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Abgeltung von nicht genommenen gesetzlichen Mindesturlaub und tarifliche Ausschlussfristen

Landesarbeitsgericht Hamburg – Az.: 6 Sa 104/13 – Urteil vom 26.03.2014

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 14. August 2013 – 20 Ca 52/13 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 5.909,60 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.10.2012 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat 72%, die Beklagte 28% der Kosten der 1. Instanz zu tragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu 48% und die Beklagte zu 52% zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltung und um die Erteilung eines Arbeitszeugnisses.

Die Klägerin war aufgrund eines am 30.12.1997 geschlossenen Arbeitsvertrages (Anlage B 1, Bl. 24 d. A.) seit dem 01.01.1998 als kaufmännische Angestellte bei der B. GmbH beschäftigt.

Im Jahr 2012 ging das Arbeitsverhältnis im Wege eines Betriebsübergangs von der B. GmbH auf die Beklagte über. Die Bruttomonatsvergütung der Klägerin betrug zuletzt 3.201,00 €. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund einer Kündigung der Klägerin vom 12.09.2012 zum 30.09.2012 (Anlage K 1, Bl. 5 d. A.). Die Klägerin war ab März 2011 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durchgehend arbeitsunfähig krank. Im Jahr 2011 nahm sie keinen Urlaub.

Im Arbeitsvertrag der Parteien findet sich die folgende Regelung:

„Alle anderen Belange, die das Arbeitsverhältnis betreffen, werden durch den Manteltarifvertrag der Druckindustrie geregelt.“

Die Bestimmungen des Manteltarifvertrages für die Angestellten der Druckindustrie in den Ländern Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern vom 15. Juli 2005 (im Folgenden: MTV) lauten auszugsweise – soweit für den vorliegenden Rechtsstreit von Belang – wie folgt:

§ 12 Urlaub/Altersfreizeit

I. Urlaubsanspruch

1. In jedem Kalenderjahr (Urlaubsjahr) hat jeder Angestellte bzw. Auszubildende Anspruch auf 30 Tage bezahlten Erholungsurlaub (Jahresurlaub). Besondere gesetzliche Urlaubsansprüche (z.B. für Schwerbehinderte) bleiben unberührt.

2. (…)

3. (1) Für jeden Kalendermonat des bestehenden Arbeitsverhältnisses im gleichen Betrieb besteht Anspruch auf ein Zwölftel des Urlaubs.

(…)

4. (1) Der Angestellte hat Anspruch auf vorschussweise Gewährung auch des Urlaubsteils, der gemäß der Zwölftelung bei Antritt des Urlaubs noch nicht fällig ist.

(2) (..)

II. Urlaubsbezahlung

1. d. Zur Berechnung des Durchschnittsverdiensts je Urlaubstag wird bei einer 5-Tage-Woche der Bruttoverdienst des Berechnungszeitraums geteilt durch den Divisor 65.

(…)

III. Abgeltung / Verfall

1. Abgeltung des Urlaubs ist unzulässig. Nur in dem Fall, dass das Arbeitsverhältnis während des Urlaubs beendet wird oder wenn infolge Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaub nicht oder nicht mehr voll gewährt werden kann, ist er abzugelten.

2. Urlaub oder Urlaubsteile, die nicht bis zum 31. März des folgenden Jahres geltend gemacht wurden, werden nicht gewährt.

§ 18 Ausschlussfristen

1. Ansprüche aus dem Manteltarifvertrag und den Gehaltstarifverträgen sind wie folgt geltend zu machen:

a) Ansprüche auf tarifliche Zuschläge und Antrittsgebühren innerhalb von sechs Wochen nach Vorliegen der Gehaltsabrechnung, bei der sie hätten abgerechnet werden müssen.

b) Sonstige tarifliche Geldansprüche innerhalb von drei Monaten nach dem Zeitpunkt, an dem sie hätten erfüllt werden müssen.

2. Eine Geltendmachung nach Ablauf der unter Ziff. 1 festgesetzten Fristen ist ausgeschlossen.

3. Ist ein tariflicher Anspruch rechtzeitig geltend gemacht und lehnt der andere Teil seine Erfüllung ab, muss der Anspruch innerhalb von drei Monaten seit der ausdrücklichen Ablehnung rechtshängig gemacht werden. Eine spätere Klageerhebung ist ausgeschlossen.“

Mit ihrer am 26.02.2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen und am 04.03.2013 der Beklagten zugestellten Klage begehrt die Klägerin Urlaubsabgeltung für 60 Tage nicht gewährten Urlaubs aus den Jahren 2011 und 2012 in Höhe von 9.145,71 € brutto (= 3.201,00 € / 21 Tage x 60 Tage) sowie die Erteilung eines Zeugnisses mit einer sehr guten Leistungs- und Führungsbeurteilung. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren hat die Klägerin darüber hinaus Ansprüche aus betrieblichen Altersversorgungen verfolgt.

Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe durch ihren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 06.11.2012 (eingereicht als Anlage K 2, Bl. 38 d. A.) die Ansprüche rechtzeitig innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist gegenüber der Beklagten geltend gemacht. Aus dem Postausgangsbuches ihres Prozessbevollmächtigten ergebe sich, dass das Schreiben am 06.11.2012 rausgegangen sei. Im Fall des Bestreitens könne Beweis angetreten werden durch Vorlage des Postausgangsbuchs.

Sie habe trotz Aufforderung kein Zwischenzeugnis erhalten. Sie benötige dieses aber zwingend, denn sie sei schon zur Erfüllung ihrer Schadensminderungspflicht verpflichtet, sich um neue Arbeit zu bemühen. Ihre Leistungen seien vorbildlich und weit überdurchschnittlich gewesen. Sie habe mehrfach Belobigungen erhalten und immer wieder Überstunden geleistet. Eine sehr gut Leistungs- und Führungsbeurteilung sei daher ohne Probleme gerechtfertigt.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 9.145,71 € nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 01.10.2012 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die statusbildenden Urkunden für die Betriebliche Altersversorgung H. (…-1) an die Klägerin herauszugeben;

3. die Beklagte zu verurteilen, gegenüber der Z. Versicherung zu erklären, aus dem Vertrag H. (…-1) keine eigenen Rechte herzuleiten;

4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die statusbildenden Urkunden für die Betriebliche Altersversorgung D. (…-2 an die Klägerin herauszugeben;

5. die Beklagte zu verurteilen, gegenüber der Z. Versicherung zu erklären, aus dem Vertrag D. (…-2 keine eigenen Rechte herzuleiten;

6. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ein Zeugnis unter dem Ausstellungsdatum 30.09.2012 zu erteilen, in dem die Führung und Leistung der Klägerin mit „sehr gut“ (stets zur vollsten Zufriedenheit) beurteilt werden und in dem der Beendigungsgrund auf eigenen Wunsch genannt ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, sie habe kein Schreiben vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin innerhalb der Ausschlussfrist von drei Monaten erhalten, mit dem dieser die Abgeltungsansprüche geltend gemacht habe. Das Schreiben vom 06.11.2012 (Anlage K 2) sei ihr nicht zugegangen. Die für die eingehende Post seit 10 Jahren zuständige Mitarbeiterin G. könne bestätigen, dass das Schreiben nicht eingegangen sei. Die Beklagte nehme insoweit Bezug auf ein Schreiben der Frau G. in der Anlage zum SS v. 13.08.2013 (Bl. 42 d. A.).

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 14.08.2013 vollen Umfangs abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Klägerin stehe der mit dem Klageantrag zu 1. eingeklagte Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht zu. Der Urlaubsabgeltungsanspruch sei ein reiner Geldanspruch und unterliege daher auch tariflichen Ausschlussfristen. Die Klägerin habe nicht dargelegt, dass sie den Urlaubsabgeltungsanspruch innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist nach § 18 Ziff. 2 MTV geltend gemacht habe.

Eine Anspruchsgrundlage für die mit den Klageanträgen zu 2. – 5. geltend gemachten Ansprüche sei nicht ersichtlich.

Der auf Erteilung eines Zeugnisses mit einer sehr guten Leistungs- und Beurteilung gerichtete Klageantrag zu 6. sei gleichfalls unbegründet. Die Klägerin habe nicht substantiiert unter Vortrag der dafür sprechenden Tatsachen dargelegt, dass sie eine sehr gute Leistung erbracht habe. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Die Klägerin hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 29. August 2013 zugestellte Urteil am Montag, den 30. September 2013 insoweit Berufung eingelegt, wie das Arbeitsgericht die Klaganträge zu 1. und 6. abgewiesen hat. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 29. November 2013 ist die Berufungsbegründung an diesem Tag bei Gericht eingegangen.

Die Klägerin trägt vor, mit der nachweislichen Abgabe des Schreibens vom 06.11.2012 an die Post sei der Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens erbracht. Dieser Beweis sei von der Beklagten auch nicht entkräftet worden. Das Arbeitsgericht habe die Entwicklung bei der Postzustellung verkannt, als es den Beweis des ersten Anscheins verneint habe. Bei der Post abgegebene Briefe würden zugestellt; etwaige Verluste lägen im untersten Promille-Bereich. Auch der Gesetzgeber gehe hiervon aus: Gemäß § 41 Abs. 2 VwVfG Bund § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG gelte ein Verwaltungsakt, er im Inland durch die Post übermittelt werde, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben.

Der Anspruch der Klägerin auf ein qualifiziertes Arbeitszeugnis mit der Gesamtbewertung „sehr gut“ folge aus dem von der Beklagten nicht bestrittenen und daher zugestanden erstinstanzlichen Sachvortrag.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 14. August 2013, Az. 20 Ca 52/13, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,

1. an die Klägerin 9.145,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.10.2012 zu zahlen;

2. Der Klägerin ein Zeugnis unter dem Ausstellungsdatum 30.09.2012 zu erteilen, in dem die Führung und Leistung der Klägerin mit „sehr gut“ (stets zur vollsten Zufriedenheit) beurteilt werden und in dem der Beendigungsgrund auf eigenen Wunsch genannt ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Berufungserwiderung der Beklagten ist nach Verlängerung der Berufungserwiderungsrist bis zum 3. April 2014 am 4. April 2014 bei Gericht eingegangen. Mit ihrer Berufungserwiderung verteidigt die Beklagte das erstinstanzliche Urteil.

Für das Vorbringen der Parteien im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache teilweise Erfolg.

I.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 14. August 2013 – 20 Ca 52/13 – ist gemäß § 64 Abs. 1 und 2 lit. b) ArbGG statthaft. Sie ist, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG), auch im Übrigen zulässig.

II.

Soweit sich die Klägerin gegen die Abweisung des Zahlungsantrags zu 1. wendet, ist ihre Berufung teilweise begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Der Umstand, dass die Beklagte die Berufungserwiderungsfrist um einen Tag versäumt hat, ist auf die Entscheidung des Rechtsstreits ohne Einfluss geblieben.

Nach § 67 Abs. 4 Satz 1 ArbGG ist gegenüber der ersten Instanz neues Vorbringen grundsätzlich in der Berufungsbeantwortung vorzutragen. Die Versäumung der Berufungserwiderungsfrist hat präklusionsrechtliche Folgen im Rahmen des § 67 ArbGG. Verspätetes Vorbringen kann nur unter den Einschränkungen des § 67 Abs. 4 Satz 2 ArbGG zugelassen werden (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, Bearb. Germelmann, § 66 ArbGG Rn. 29 m.w.N.).

Hier hat die Beklagte mit der Berufungserwiderung keine Tatsachen vorgetragen, die vom Vorbringen der ersten Instanz abweichen oder dieses ergänzen. Präklusionsrechtliche Folgen der Verspätung des Berufungserwiderungsschriftsatzes sind deshalb nicht eingetreten.

2. Die Klage ist hinsichtlich des Klagantrags zu 1. in Höhe von € 5.909,60 € brutto begründet. Hinsichtlich des darüber hinausgehenden Betrages ist der Antrag zu 1. unbegründet.

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Abgeltung des nicht gewährten gesetzlichen Mindesturlaubs für die Jahre 2011 und 2012 zu (§ 7 Abs. 4 BUrlG).

Einen Anspruch auf Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs kann die Klägerin nicht geltend machen. Insoweit steht die Ausschlussfrist aus § 18 Ziffer 1. lit. b. und Ziffer 2. MTV entgegen.

a) Die Klägerin hat einen Anspruch auf Abgeltung ihres nicht genommenen gesetzlichen Mindesturlaubs (§ 7 Abs. 4 BUrlG).

aa) Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 BUrlG liegen vor.

Aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2012 und der ab März 2011 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses fortdauernden Arbeitsunfähigkeit war es der Klägerin nicht möglich, den Urlaub für 2011 und 2012 in natura zu nehmen.

bb) Die Bestimmung des § 7 Abs. 3 BUrlG steht einem Abgeltungsanspruch für den gesetzlichen Urlaub aus 2011 nicht entgegen.

Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die genannte Bestimmung aufgrund der Vorgaben des Art 7 EGRL 88/2003 unionrechtskonform dahingehend auszulegen, dass der gesetzliche Urlaub nicht erlischt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig ist. Die unionsrechtskonforme Auslegung hat zur Folge, dass der aufrechterhaltene Urlaubsanspruch zu dem im Folgejahr entstandenen Urlaubsanspruch hinzutritt und damit erneut dem Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG unterfällt (BAG 16.10.2012 – 9 AZR 63/11 – AP Nr. 64 zu § 7 BUrlG; BAG 13.12.2011 – 9 AZR 399/10 – BAGE 140, 133 ff.). Besteht die Arbeitsunfähigkeit am 31.03. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres fort, so gebietet auch das Unionsrecht keine weitere Aufrechterhaltung des Urlaubsanspruchs. Der zunächst aufrechterhaltene Urlaubsanspruch erlischt somit zu diesem Zeitpunkt (BAG 16.10.2012 – 9 AZR 63/11 – AP Nr. 64 zu § 7 BUrlG).

Der Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, nicht genommenen Urlaub abzugelten, entsteht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Vorbehaltlich abweichender Regelungen wird der Urlaubsabgeltungsanspruch mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch fällig. Dies gilt auch in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist (BAG, Urteil vom 21.02.2012, 9 AZR 486/10, zit. nach juris).

Aus der Anwendung dieser Grundsätze folgt für den vorliegenden Fall, dass mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses am 30. September 2012 der Anspruch der Klägerin auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs für 2011 und 2012 fällig geworden ist.

cc) Dieser Anspruch ist nicht gemäß § 18 Ziff. 1 lit b) MTV verfallen.

Zwar können grundsätzlich auch Ansprüche auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs tariflichen Ausschlussfristen unterfallen. Der unabdingbare Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs nach §§ 1, 3 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG steht dem nicht entgegen (BAG 13.12.2011 – 9 AZR 399/10 – BAGE 140, 133 ff.; BAG, 09.08.2011 – 9 AZR 365/10 – NZA 2011,1421). Dass der Urlaubsabgeltungsanspruch verfallen kann, ist eine notwendige Folgewirkung der Aufgabe der Surrogatstheorie durch die Rechtsprechung (BAG 19.06.2012 – 9 AZR 652/10 – BAGE 142, 64 ff; BAG, 09.08.2011 – 9 AZR 365/10 – NZA 2011,1421). Nach Aufgabe der Surrogatstheorie stellt der Urlaubsabgeltungsanspruch nunmehr stets einen auf eine finanzielle Vergütung gerichteten Geldanspruch i. S. des Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABL. EU L 299 vom 18.11.2003 – Arbeitszeitrichtlinie) dar. Damit ist die Möglichkeit verbunden, dass der Abgeltungsanspruch bei Nichtwahrung tarifliche Ausschlussfristen verfällt (BAG 19.06.2012 – 9 AZR 652/10 – BAGE 142, 64 ff).

Im vorliegenden Fall ist der gesetzliche Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin jedoch nicht verfallen. Zwar findet der MTV im Arbeitsverhältnis der Parteien kraft vertraglicher Bezugnahme Anwendung. Doch wird der gesetzliche Urlaubsabgeltungsanspruch von der Ausschlussfrist des § 18 Ziff. 1 lit a) MTV nicht erfasst. Dies ergibt sich aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift.

§ 18 MTV bezieht sich auf Ansprüche aus dem Manteltarifvertrag und aus den Gehaltstarifverträgen der Druckindustrie in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und regelt die Fristen, innerhalb derer diese Ansprüche geltend gemacht werden müssen. Nach § 18 Abs. 2 MTV ist die Geltendmachung nach Ablauf der Fristen ausgeschlossen. Für „sonstige tarifliche Geldansprüche“ ist in 18 Ziff. 1 lit b) MTV eine Geltendmachungsfrist von „drei Monaten nach dem Zeitpunkt, an dem sie hätten erfüllt werden müssen“ vorgesehen.

Der auf § 7 Abs. 4 BUrlG gestützte Anspruch der Klägerin auf Abgeltung des gesetzlichen Urlaubs ist kein „sonstiger tariflicher Geldanspruch“ i. S. des § 18 Ziff. 1 lit. b) MTV, sondern ein gesetzlicher Anspruch.

Beziehen sich tarifliche Verfallklauseln auf „tarifliche Geldansprüche“, betreffen sie Ansprüche, die ihre materielle Anspruchsgrundlage im Tarifvertrag haben. Darüber hinaus erfassen sie auch solche gesetzlichen oder vertraglichen Ansprüche, deren Bestand von einem tariflich ausgestalteten Anspruch abhängig ist oder in einem rechtlichen Zusammenhang mit einem tariflichen Anspruch steht (BAG 01.10. 2002 – 9 AZR 215/01 – BAGE 103, 45 ff.; BAG, 19.01.1999 – 9 AZR 637/97 – BAGE 90, 311 ff.). Ziel der Tarifvertragsparteien ist es, mit einer derartigen Klausel typischerweise langwierige Streitigkeiten über das Bestehen oder Nichtbestehen von tariflichen Ansprüchen zu vermeiden (BAG 01.10. 2002 – 9 AZR 215/01 – BAGE 103, 45 ff.).

Durch die Begrenzung des sachlichen Geltungsbereichs einer Ausschlussfrist auf tarifliche Ansprüche werden solche gesetzlichen oder vertraglichen Ansprüche ausgenommen, deren Bestand von einem tariflich ausgestalteten Anspruch unabhängig ist (BAG, 19.01.1999 – 9 AZR 637/97 – BAGE 90, 311 ff.; BAG 16.10.1985 – 5 AZR 187/84 –juris). Zu diesen Ansprüchen gehört der Anspruch auf Abgeltung des nicht genommenen gesetzlichen Urlaubs. Dieser Abgeltungsanspruch hat seine Rechtsgrundlage allein in § 7 Abs. 4 BUrlG. Von tariflichen Regelungen ist er unabhängig; denn Bestimmungen in Tarifverträgen können nur zu Gunsten der Arbeitnehmer von der gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 4 BUrlG abweichen (§ 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG).

dd) Da der gesetzliche Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin nicht von der Verfallfrist in § 18 Ziff. 1 lit. b) MTV erfasst ist, ist die Beklagte zur Zahlung der auf die gesetzlichen Urlaubstage entfallenden Abgeltung verpflichtet.

Unter Zugrundelegung einer 5-Tage-Woche hat die Klägerin einen Anspruch auf Abgeltung von 40 Urlaubstagen (§ 3 Abs. 1 BUrlG; der gesetzliche vierwöchige Urlaubsanspruch führt bei einer 5-Tage-Woche von Montag bis Freitag zu einem jährlichen Anspruch von 20 Tagen Urlaub, vgl. Erfurter Kommentar, Bearb. Gallner, § 3 BUrlG Rn 8 m.w.N.). Der sich hieraus ergebende Zahlungsanspruch beläuft sich auf den tenorierten Betrag von 5.909,60 € brutto (Abgeltung je Urlaubstag: 3.201,00 € brutto x 3 : 65 = 147,74 € brutto; Abgeltung für 40 Urlaubstage: 147,74 € brutto x40=5.909,60 € brutto).

Hierbei war die Beklagte zur Zahlung eines Bruttobetrages zu verurteilen. Das im Klagantrag zu 1. fehlende Wort „brutto“ war im Urteilstenor zur Klarstellung zu ergänzen. Denn bei der Urlaubsabgeltung handelt es sich um Arbeitsvergütung der Klägerin. Entsprechend den gesetzlichen Vorgaben sind von dem ausgeurteilten Betrag Steuern und Sozialabgaben abzuführen. Dies war durch die Bezeichnung des Zahlbetrages als Bruttobetrag deutlich zu machen.

b) Ein Anspruch auf Abgeltung von tariflichem Mehrurlaubs für 2011 und 2012 steht der Klägerin nicht zu.

Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob und ggf. in welcher Höhe Ansprüche der Klägerin auf tariflichen Mehrurlaub nach § 12 MTV zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegeben waren. Denn die auf die entsprechenden Urlaubstage bezogenen Abgeltungsansprüche sind gemäß § 18 Ziff. 1 lit. b) MTV verfallen.

Als Anspruch, der seine materielle Rechtsgrundlage im Tarifvertrag hat bzw. in seinem Bestand von tariflichen Ansprüchen abhängig ist, wird der auf den tariflichen Urlaub bezogene Abgeltungsanspruch vom Geltungsbereich der Ausschlussfrist in § 18 Ziff. 1 lit b) erfasst.

Die Klägerin hat den Anspruch nicht fristwahrend innerhalb von drei Monaten geltend gemacht. Denn die vorliegende Klage ist erst am 26. Februar 2013 und damit mehr als drei Monate nach Fälligkeit des Abgeltungsanspruchs bei Gericht eingegangen.

Wie das Arbeitsgericht überzeugend ausgeführt hat, genügt der Vortrag der Klägerin – sie habe mit Schreiben vom 06.11.2012 gegenüber der Beklagten den Anspruch geltend gemacht, das Schreiben sei an diesem Tag per Post rausgegangen – nicht, um von einer fristwahrenden Geltendmachung des Anspruchs auszugehen. Hierzu hätte die Klägerin vielmehr vortragen müssen, wann und in welcher Art und Weise das Schreiben der Beklagten zugegangen ist.

Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht darauf an, ob die Klägerin nachweisen kann, dass das Schreiben vom 06.11.2012 zur Post gegeben worden ist. Die Aufgabe eines Briefes zur Post begründet keinen Beweis des ersten Anscheins für seinen Zugang.

Wann Erklärungen unter Abwesenden wirksam werden, ist in § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB geregelt. Maßgeblich ist danach der Zugang. Eine Erklärung ist dann zugegangen, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (BAG 11.11.1992 – 2 AZR 328/92 – AP Nr 18 zu § 130 BGB; Palandt 72. Aufl. 2013, § 130 BGB Rn. Rn 5 m.w.N.). Das Risiko der Übermittlung und Ankunft trägt der Absender (BAG 22.03.2012 – 2 AZR 224/11 – juris). Diese gesetzliche Risikoverteilung würde überspielt, wenn ein zu Gunsten des Absenders wirkender Beweis des ersten Anscheins für den Zugang eines Schreibens für den Fall akzeptiert würde, dass die Aufgabe zur Post dargelegt und bewiesen werden kann. Auf die hierzu ergangene Rechtsprechung (BAG 14.07.1960 – 2 AZR 173/59 – juris; BGH 27.05.1957 – II ZR 132/56 – BGHZ 24, 308 ff.; FG Köln 16.12.2009 – 9 K 2580/07 – juris; LAG Bremen 05.09.1986 – 4 Ta 47/86 – juris) hat das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen.

Die von der Klägerin angeführten verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften in § 41 Abs. 2 VwVfG und § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG, die eine Zugangsfiktion für Verwaltungsakte bzw. Dokumente am dritten Tag nach Aufgabe zur Post enthalten, führen nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung. Entsprechende gesetzliche Zugangsfiktionen sind gerade deshalb geschaffen worden, weil es keinen Beweis des ersten Anscheins für einen Zugang drei Tage nach Aufgabe eines Schreibens zur Post gibt.

3. Der Antrag der Klägerin auf Erteilung eines Zeugnisses mit einer sehr guten Leistungs- und Führungsbeurteilung ist unbegründet. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend und mit überzeugender Begründung, auf die gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen wird, entschieden.

Ergänzend ist Folgendes auszuführen:

Der Klägerin obliegt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sie überdurchschnittliche – im vorliegenden Fall sehr gute – Leistungen im Arbeitsverhältnis erbracht hat. Dieser Darlegungslast genügt das Vorbringen der Klägerin nicht. Sie trägt keine konkreten, auf den Fall bezogenen Tatsachen vor.

Inhaltliche Ausführungen zum geltend gemachten Zeugnisanspruch sind lediglich in der Klagschrift vom 25.02.2013 enthalten. Hierbei handelt es sich ersichtlich um einen Textbaustein, der vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin üblicherweise in Kündigungsschutzklagen zum Einsatz gebracht wird. Denn die Ausführungen beziehen sich nicht auf die Geltendmachung eines Abschlusszeugnisses nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern auf die Bitte nach einem Zwischenzeugnis. Zudem wird auf eine Schadensminderungspflicht verwiesen, aufgrund derer die Klägerin verpflichtet sei, sich um neue Arbeit zu bemühen. Eine solche Schadensminderungspflicht gegenüber dem Arbeitgeber besteht für Arbeitnehmer, die sich in Kündigungsschutzverfahren gegen arbeitgeberseitig erklärte Kündigungen wehren. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin aber selbst ihr Arbeitsverhältnis gekündigt. Ein Hinweis auf eine Schadensminderungspflicht der Klägerin gegenüber dem Arbeitgeber macht deshalb keinen Sinn.

Da es an fallbezogenem substantiiertem Sachvortrag fehlt, konnte dem Antrag der Klägerin auf Erteilung eines sehr guten Arbeitszeugnisses nicht entsprochen werden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97 ZPO.

IV.

Es bestand keine Veranlassung, die Revision zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht erfüllt sind.

 

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