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Arbeitsunfall – Arbeitgeberhaftung bei Vorsatz – Unfallerfolg

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein – Az.: 3 Sa 495/10 – Urteil vom 19.01.2011

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 19.08.2010 – 1 Ca 139 b/10 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten – ihrer Arbeitgeberin – aus Anlass eines Unfalls vom 04.01.2009 Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Schadensersatzpflicht für zukünftige Schäden.

Die Klägerin ist am ….1961 geboren und bei der Beklagten als Krankenschwester in der Psychiatrieabteilung beschäftigt. Am 04.01.2009 rutschte sie gegen 9:45 Uhr im Bereich einer neben dem Haupteingangsbereich des Klinikums E… liegenden Tür zur Psychiatrieabteilung auf dem Weg zum Dienstantritt aus und brach sich mehrfach den linken Oberarm. Der Heilungsverlauf ist langwierig. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten und Folgen dieser Verletzung wird auf den bei den Akten befindlichen ärztlichen Zwischenbericht vom 04.08.2009 (Anl. K 4, Bl. 13 f. d. A.), den bei den Akten befindlichen vorläufigen Entlassungsbericht (Anl. K 5, Bl. 15 ff. d. A.) sowie das bei den Akten befindliche erste Rentengutachten der BG Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege vom 15.04.2010 (Anl. K 11, Bl. 67 ff. d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte hatte einen Räumdienst eingerichtet. Das Klinikgelände war unstreitig geräumt und zum wesentlichen Teil auch gestreut (Klageschrift – Bl. 2 d. A./ Berufungsbegründung Bl. 108 d. A.). Auch die Wege zum Haupteingang der Klinik und zur nur mittels eines Schlüssels zu öffnenden Nebeneingangstür waren geräumt (Berufungsbegründung S. 2 – Bl. 108 d. A.). Ob direkt am Unfallort gestreut war, ist streitig. Zum Unfallzeitpunkt schien die Sonne. Der Bereich vor dem Haupteingang war nach den Erklärungen der Klägerin im Kammertermin vom 19.08.2010 trocken und es lag dort Sand. Der Bereich vor der Nebeneingangstür sah feucht aus (Bl. 76f d. A.).

Die Klägerin hat stets behauptet, am Unfallort habe sich am 04.01.2009 eine Eisplatte gebildet, die entgegen der sonstigen Flächen nicht geräumt bzw. abgestreut gewesen sei. An diesem Tag hätten Temperaturen unter 0°Celsius geherrscht. Der Klinikleitung sei bekannt gewesen, dass der Eingangsbereich sehr schnell sehr glatt werde. Die Beklagte habe zumindest bedingt vorsätzlich ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt und habe deshalb Schadensersatz und auch Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 18.000,00 EUR zu leisten. Die Beklagte hat dem stets entgegengehalten, sie habe regelmäßig gestreut und kontrolliert, auch noch am Morgen des 04.10.2009. Abgesehen davon sei eine etwaige – bestrittene – kurzfristige Glättebildung mit zumutbaren Mitteln nicht zu verhindern gewesen. Im Übrigen habe die Klägerin den Haupteingang benutzen müssen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das ist im Wesentlichen mit der Begründung geschehen, eine Ersatzpflicht der Beklagten entfalle gem. § 104 SGB VII. Der als Arbeitsunfall einzuordnende Sturz sei nicht auf eine vorsätzliche Pflichtverletzung der Beklagten zurückzuführen, so dass eine Haftung kraft Gesetzes ausgeschlossen sei. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils vom 19.08.2010 verwiesen.

Gegen dieses der Klägerin am 13.09.2010 zugestellte Urteil hat sie am 08.10.2010 Berufung eingelegt, die am 12.11.2010 begründet wurde.

Die Klägerin ergänzt und vertieft im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie ist nach wie vor der Ansicht, der Beklagten sei zumindest bedingter Vorsatz anzulasten.

Die Klägerin beantragt zuletzt nur noch, unter Abänderung des am 19.08.2010 verkündeten und am 13.09.2010 zugestellten Urteils des Arbeitsgerichts Elmshorn – Az. 1 Ca 139 b/10 –

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch EUR 18.000,00 nebst 5 Prozentpunkten Zinsen p. a. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.04.2009 zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die ihr in Zukunft aus dem Arbeitsunfall vom 04.01.2009 in E… entstehen, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen;

Die Beklagte beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Arbeitsunfall - Arbeitgeberhaftung bei Vorsatz - Unfallerfolg
(Symbolfoto: Von ESB Professional/Shutterstock.com)

Der Beklagten ist keine vorsätzliche Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflichten zur Last zu legen. Nur dann wäre sie als Arbeitgeberin zur Leistung von Schadensersatz und Schmerzensgeld aus Anlass des Arbeitsunfalls vom 04.01.2009 verpflichtet. Ohne Vorliegen von Vorsatz sind Ansprüche wegen des Personenschadens gegenüber dem Arbeitgeber gem. § 104 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen. Das hat das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil zutreffend festgestellt. Dem folgt das Berufungsgericht. Zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen wird auf die ausführlichen und überzeugenden Entscheidungsgründe verwiesen. Lediglich ergänzend und auch auf den neuen Vortrag der Klägerin eingehend ist Folgendes auszuführen:

1. Bei dem Unfall handelt es sich zweifelsfrei um einen Arbeitsunfall, so dass sich die Haftungsfrage nach § 104 Abs. 1 SGB VII richtet. Eine Haftung der Beklagten für Personenschäden setzt daher gemäß § 104 Abs. 1 SGB VII voraus, dass der Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt worden ist.

2. Ein Arbeitsunfall ist nur dann vorsätzlich herbeigeführt worden, wenn dieser gewollt und für den Fall des Eintritts gebilligt worden war (BAG vom 19.02.2009, 8 AZR 188/08 – zitiert nach Juris, Rz. 50; BAG vom 27.06.1975 – 3 AZR 457/74 – Leitsatz ; BAG vom 10.10.2002 – 8 AZR 103/02 – zitiert nach Juris – ständige Rechtsprechung des BAG; LAG Berlin-Brandenburg vom 01.06.2010 – 12 Sa 320/10 – zitiert nach Juris, Rz 15 m.w.N.; LAG Hamm vom 30.07.2001 – 19 Sa 259/01 – zitiert nach Juris, Rz. 34). Die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles umfasst somit nicht nur die vorsätzliche Herbeiführung des Unfalls, sondern auch des konkreten Verletzungserfolgs. Es muss nicht nur ein bestimmtes Handeln, das für den Unfall ursächlich war, gewollt und gebilligt worden sein, sondern auch der Unfall muss gewollt und gebilligt worden sein (BAG vom 19.08.2004 – 8 AZR 349/03 – zitiert nach Juris, Rz. 28 und 31 m.w.N.).

§ 104 Abs. 1 SGB VII schließt schon eine Haftung bei vorsätzlicher Pflichtverletzung mit ungewollter Unfallfolge aus. Derjenige, der vorsätzlich eine zugunsten eines Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, will meistens dennoch nicht die Schädigung und den Arbeitsunfall des Arbeitnehmers selbst, sondern er hofft, dass diesem kein Unfall widerfährt (BAG vom 27.06.1975 – 3 AZR 457/74 – Rz 21). Liegt diese Fallkonstellation vor, kann ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber nicht auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch nehmen. Der Gesetzgeber hat sich insoweit mit der Schaffung des § 104 Abs. 1 SGB VII, vormals der §§ 636 ff RVO bewusst dafür entschieden, die zivilrechtliche Haftung des Arbeitgebers gegenüber Arbeitnehmern abzulösen und dadurch betriebliche Konfliktsituationen zu vermeiden. An die Stelle der privatrechtlichen Haftpflicht des Unternehmers wurde die Gesamthaftung der in der Berufsgenossenschaft zusammengeschlossenen Unternehmer gesetzt. Auf diese Weise soll das Risiko von Arbeitsunfällen für den Arbeitgeber, der die Beiträge zur Unfallversicherung allein aufbringt, kalkulierbar und Anlässe zu Konflikten im Betrieb eingeschränkt werden (BAG vom 19.08.2004 – 8 AZR 349/03 – Rz. 21 m.w.N.).

3. Vor diesem rechtlichen Hintergrund hat die Klägerin aus Anlass ihres Arbeitsunfalls vom 04.01.2009 keine Haftungsansprüche gegenüber der Beklagten. Diese hat unstreitig auf dem Betriebsgelände geräumt und gestreut. Außergewöhnliche Wetterverhältnisse waren am Unfalltag nicht gegeben. Abgesehen davon hätten diese auch nicht dazu geführt, dass die Beklagte dann verpflichtet gewesen wäre, flächendeckend stets und ständig zu streuen. Selbst wenn sich durch die Sonne und den noch kalten Boden vor dem Nebeneingang eine Eisfläche gebildet haben sollte, auf der die Klägerin gestürzt ist, ergibt sich keinerlei Anhaltspunkt für ein vorsätzliches Handeln der Beklagten im Sinne des § 104 Abs. 1 SGB VII. Vor allem fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte, selbst wenn sie theoretisch noch ein lückenloser hätte kontrollieren und streuen können, auch den Unfall der Klägerin gewollt und gebilligt hat. Hierzu fehlt auch jeglicher Tatsachenvortrag der Klägerin.

4. Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass es sich bei der Beklagten um einen Krankenhausträger handelt, wie die Klägerin meint. Das Maß der geschuldeten Verkehrssicherungspflicht bestimmt sich nicht nach der jeweiligen Branche des Pflichtigen, vielmehr nach den allgemein gültigen Sorgfaltsmaßstäben.

Im Übrigen wird auf das erstinstanzliche Urteil verwiesen.

5. Das Arbeitsgericht hat die Klage daher zu Recht abgewiesen. Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 72 ArbGG liegen nicht vor.

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