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Betriebsstilllegung – Interessenausgleich nach § 126 Abs 1 InsO

ArbG Stuttgart – Az.: 19 BV 80/21 – Beschluß vom 19.11.2021

Es wird festgestellt, dass die Kündigung folgender, namentlich bezeichneter Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt ist.

6., 9., 11., 17., 21., 25. – 27., 30., 32. – 34., 38., 40. – 43., 45., 47., 49., 50. – 53., 55. – 65., 74., 76. – 77., 79. und 87.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Beschlussverfahren über die Frage, ob die Kündigungen der beteiligten Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Gründen sozial gerechtfertigt sind.

Der Beteiligte zu 1. (in der Folge: Antragssteller) wurde durch Beschluss des Amtsgerichts G. vom 1. April 2020 – Aktenzeichen: 0 IN 00/20 – zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma S. GmbH (in der Folge: Insolvenzschuldnerin) bestellt (vgl. Insolvenzeröffnungsbeschluss vom 1. April 2020, Bl. 75-78 d. A.). Die Insolvenzschuldnerin ist im Bereich der Metallverarbeitung, insbesondere in der Herstellung und Bearbeitung von Aluminiumdruckgussteilen für die Automobilindustrie tätig. Sie verfügte über vier Standorte in H., M., R. und P..

Der Beteiligte zu 2. ist der Gesamtbetriebsrat der Insolvenzschuldnerin mit Sitz in H.. Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats ist Herr Y., der zugleich Vorsitzender des örtlichen Betriebsrates im Betrieb der Insolvenzschuldnerin in H. sowie Mitglied des Gläubigerausschusses für die Arbeitnehmer ist. Örtliche Betriebsräte bestanden in H., M. und R..

Die Beteiligten zu 6. – 65., 87. sind Arbeitnehmer der Betriebe in H. und M., die mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht einverstanden sind. Bei den Beteiligten zu 56., 62. und zu 63. handelt es sich um Arbeitnehmer, die bereits vom vorhergehenden Insolvenzverwalter Herr Mu. vor der Betriebsübernahme durch die nunmehrige Insolvenzschuldnerin gekündigt wurden. Die hiergegen eingelegten Kündigungsschutzklagen wurden in erster Instanz abgewiesen. Über das insoweit eingelegte Rechtsmittel der Berufung wurde noch nicht abschließend entschieden.

Die Beteiligten zu 67. – 81. sind Arbeitnehmer der Betriebe in H. und M., deren Arbeitsverhältnisse aufgrund des gesetzlichen Sonderkündigungsschutzes vom Insolvenzverwalter noch nicht gekündigt worden sind.

Nachdem an den betrieblichen Standorten H. und M. kein Interesse möglicher Investoren oder Erwerber bestand sowie der Großkunde „D.“, der etwa 33 % des Gesamtumsatzes der Insolvenzschuldnerin ausmachte, die Geschäftsbeziehung zu dieser zum 31. Dezember 2020 beendete, entschloss die Insolvenzverwaltung im Dezember 2020 die Stilllegung der Betriebe in H. und M.. Dies wurde dem Gesamtbetriebsrat sowie den bestehenden örtlichen Betriebsratsgremien mit Schreiben vom 16. Dezember 2020 mitgeteilt (vgl. Bl. 137-142 d. A.). Mit Beschluss vom 17. Dezember 2020 wurde die durch die Insolvenzverwaltung getroffene Stilllegungsentscheidung unter Einbeziehung der Ausproduktion sowie des Abzuges und Verlagerung einzelner Betriebsmittel im Gläubigerausschuss bestätigt (vgl. Protokoll der 14. Sitzung des Gläubigerausschusses vom 17. Dezember 2020, Bl. 145-148 d. A.).

Die Ausproduktion in den betroffenen Betrieben H. und M. fand bis zum 31. März 2021 statt. Seit diesem Zeitpunkt findet kein operativer Geschäftsbetrieb mehr statt. Neue Aufträge wurden nicht mehr angenommen. Die bestehenden Miet- und Leasingverträge wurden gekündigt und fristgerecht zum 31. Juli 2021 an den Vermieter zurückgegeben (vgl. Kündigungen vom 27. April 2021, Bl. 607 f. d. A. und Bl. 609 f. d. A.). Einzig in H. war zur Gewährleistung der Abverkäufe bzw. Versteigerung der einzelnen Maschinen über die D. Group der Abschluss einer Mietabwicklungsvereinbarung notwendig, ausweislich derer die Restnutzungsdauer bis längstens 30. September 2021 verlängert wurde.

Die wesentlichen Betriebsmittel (unter anderem Maschinen, maschinelle Anlagen und Werkzeuge) standen im Eigentum der Kunden – so hinsichtlich der Werkzeuge – bzw. der N.leasing – so hinsichtlich des Maschinenparks –. Die Leasinggegenstände wurden im Auftrag der N.leasing bereits im März 2021 durch die N. Group versteigert. Die übrigen im Eigentum der Insolvenzschuldnerin stehenden Betriebsmittel, insbesondere Bürocontainer, zwei LKWs, Werkzeugschränke und Hebebühnen wurden abgebaut und im Rahmen von am 13. Juli 2021, 16. Juli 2021 und 23. Juli 2021 durch die Firma Hä. GmbH & Co. KG durchgeführten Versteigerungen verwertet.

Die ehemaligen Produktionshallen der Insolvenzschuldnerin in M. sind nunmehr geräumt. Dasselbe gilt für das Büro des Personalleiters in M.. Die Hallen der ehemaligen CNC-Fertigung sind nach der Verwertung der darin vormals befindlichen Maschinen leer. Die Gerätschaften in der Gießerei in wurden am 29. Juli 2021 abgebaut. Die Hallen des ehemaligen Werkzeugbaus sind ebenfalls vollständig abgeräumt. In H. ist der ehemalige Messraum vollständig abgebaut, die Büros und der Empfangsbereich sind leergeräumt und der ehemalige CNC-Bereich befand sich am 3. August 2021 im Abbau. Die Betriebsmittel sind wie in M. vollständig abgebaut und die Druckgussanlagen entfernt. Auch die vormaligen Arbeitsplätze in der ehemaligen Instandhaltung sind leergeräumt.

In Umsetzung des Stilllegungsbeschlusses wurden sämtliche Arbeitsverhältnisse an den Standorten H. und M. beendet. Die hierdurch notwendigen Massenentlassungsanzeigen wurden bei den örtlich zuständigen Bundesagenturen für Arbeit – für den Betrieb in H. bei der Agentur für Arbeit G. und für den Betrieb in M. bei der Agentur für Arbeit in W. – erstattet (vgl. Bl. 20-37 d. A. und Bl. 79-96 d. A.). Die Arbeitsagenturen in G. bzw. W. bestätigten den Eingang der Massenentlassungsanzeigen mit Schreiben vom 4. Februar 2021 (vgl. Bl. 223 f. d. A. und 228 f. d. A.). Zum Zweck der Restabwicklung wird noch eine Rumpfmannschaft beschäftigt, die die restlichen Abbau- und Verwertungsarbeiten überwacht, letzte Aufräumarbeiten übernimmt und eine ordnungsgemäße Forderungseinziehung bzw. Buchhaltung gewährleistet.

Der Gesamtbetriebsrat wurde gemeinsam mit den bestehenden örtlichen Betriebsratsgremien mit Schreiben vom 16. Dezember 2020 unter anderem zu Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs aufgefordert und entsprechende Terminvorschläge unterbreitet (vgl. Bl. 137-142 d. A.). Dem Schreiben waren Entwürfe eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans sowie weitere Unterlagen, insbesondere die Insolvenzeröffnungsbeschlüsse, eine Namensliste für die Betriebe M. und H., eine Mitarbeiterliste hinsichtlich der betroffenen Betriebe, Anhörungsschreiben nach Maßgabe des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG sowie die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten und zu entlassenden Mitarbeiter für die Betriebe M. und H. beigefügt. Deren Empfang wurde durch den Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats schriftlich bestätigt (vgl. Empfangsbestätigung vom 16. Dezember 2020, Bl. 143 d. A.). Vonseiten des Gesamtbetriebsrates wurde der Insolvenzverwaltung der 21. Januar 2021 sowie 27. Januar 2021 als ganztätige Verhandlungstermine zur Erörterung eines möglichen Interessenausgleichs vorgeschlagen. Diesen Terminen stimmte die Insolvenzverwaltung zu. Am 21. Januar 2021 wurden die Rahmenbedingungen für eine mögliche Einigung besprochen. Eine solche konnte aber weder am 21. Januar 2021 noch am 27. Januar 2021 aufgrund von Differenzen hinsichtlich des Inhalts des Interessenausgleichs sowie einer möglichen Prämienzahlung erzielt werden. Nachdem es zwischen dem Antragssteller und dem Beteiligten zu 2. zu weiteren Unstimmigkeiten über den Zeitpunkt der Unterzeichnung der Verträge gekommen war, erklärte der Insolvenzverwalter am 27. Januar 2021 das Scheitern der Verhandlungen. Daraufhin kam es am 15. Februar 2021 zu einem Termin vor der Einigungsstelle. In diesem konnte ein Interessenausgleich mangels Zustimmung der Arbeitnehmervertretung nicht abgeschlossen werden.

Der Antragssteller ist der Auffassung, dass der Antrag nach Maßgabe des § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO zulässig und begründet sei. Der Beteiligte zu 2. sowie die örtlichen Betriebsratsgremien H., M. und R. seien mit Schreiben vom 16. Dezember 2020 unter anderem dazu aufgefordert worden, in die Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs einzutreten. Ein solcher sei binnen drei Wochen nach Verhandlungsbeginn nicht zustande gekommen.

Soweit die Beteiligten sich darauf beriefen, dass die Verhandlungen gar nicht gescheitert seien bzw. dieses Scheitern jedenfalls in der Sphäre der Insolvenzverwaltung gelegen habe, sei dies unerheblich. Eine solche Frage werde nur im Rahmen der Einsetzung einer Einigungsstelle virulent. Ohne Relevanz sei dies hingegen für die Frage, ob sich der Antragssteller auf die Regelung des § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO berufen könne. Darüber hinaus übersähen die Beteiligten, dass ein Verfahren vor der Einigungsstelle tatsächlich durchgeführt und durch zwischenzeitlich rechtskräftigen Beschluss eingestellt worden sei. Anders als die Beteiligten meinen, könne ein Interessenausgleich im Gegensatz zu einem Sozialplan nicht durch einen Spruch der Einigungsstelle erzwungen werden.

Die betriebliche Interessenvertretung sei ordnungsgemäß von der beabsichtigten Betriebsänderung nach Maßgabe des § 111 Satz 1 BetrVG informiert worden. Hierzu seien ihm frühzeitig Entwürfe eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans nebst anderen Unterlagen ausgehändigt worden. Zu keinem Zeitpunkt habe der Gesamtbetriebsrat eine nicht ausreichende Unterrichtung über die beabsichtigte Betriebsänderung gerügt. Vielmehr habe der Gesamtbetriebsrat im Rahmen der Einigungsstelle ausdrücklich zu Protokoll erklärt, dass über die Betriebsänderungen abschließend beraten worden sei und weiteren Informationsbedarf nicht mehr bestünde. Unerheblich sei daher auch der Einwand, die Insolvenzverwaltung habe das Scheitern der Verhandlungen provoziert.

Der Gesamtbetriebsrat sei entgegen der Ausführungen der Beteiligten für das hiesige Verfahren auch zuständig. Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für das Interessenausgleichverfahren folge aus § 50 Abs. 1 BetrVG. Die beabsichtigte Betriebsänderung betreffe sämtliche vier Betriebe der Insolvenzschuldnerin und somit das Gesamtunternehmen. Dies ergebe sich aus dem einheitlichen Abzugs- und Verlagerungskonzept, welches nicht lediglich durch die Betriebsschließung der Betriebe in M. und H. geprägt sei, sondern sich durch die im Interessenausgleichsentwurf beschriebenen Gesamtmaßnahmen betriebsübergreifend auswirke. Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats sei auch durch den für diesen legitimierten Rechtsanwalt Z. bestätigt worden, nachdem mit Schreiben vom 16. Dezember 2020 sowohl der Gesamtbetriebsrat als auch die örtlichen Betriebsratsgremien angeschrieben worden seien. Darüber hinaus sei durch Herrn Z. mitgeteilt worden, dass die örtlichen Betriebsräte den Gesamtbetriebsrat hinsichtlich der Regelungsgegenstände Interessenausgleich und Sozialplan im Wege der Delegation beauftragt haben. Dies sei auf Nachfrage des Vorsitzenden der Einigungsstelle am 15. Februar 2021 ebenfalls zu Protokoll erklärt worden (vgl. Protokoll vom 15. Februar 2021, Bl. 134 f. d. A.). Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für das Interessenausgleichsverfahren führe zur Zuständigkeit für das hiesige Beschlussverfahren.

In Umsetzung des Stilllegungsbeschlusses der Insolvenzverwaltung sowie des Gläubigerausschusses sei der komplette Geschäftsbetrieb an den Standorten H. und M. eingestellt worden. Ein Betriebsübergang habe nicht stattgefunden. In der Folge sei auch der Weiterbeschäftigungsbedarf für sämtliche Mitarbeiter an den beiden Standorten und damit für die hier Beteiligten weggefallen. Soweit teilweise behauptet werde, dass weiterproduziert wurde bzw. werde, genüge diese pauschale Behauptung nicht der den Beteiligten obliegenden Darlegungslast.

Entgegen der Auffassung einiger Beteiligter sei eine bestehende oder nicht bestehende Masseunzulänglichkeit für das hiesige Beschlussverfahren nicht von Relevanz. Deren Vorliegen zu überprüfen, obläge nicht dem Arbeitsgericht, sondern allein dem Insolvenzgericht. Das Bestreiten der Masseunzulänglichkeit sei daher unzulässig, zumindest aber unerheblich.

Der Antragssteller beantragt nach der teilweisen Rücknahme in Bezug auf die Beteiligten zu 4., 8., 23., 36., 66. – 68., 69., 70. – 72., 75., 78., 80., 82., 83., 85., 86. und nach Abschluss von Teilvergleichen in Bezug auf die Beteiligten zu 7., 10., 12. – 16., 18.– 20., 22., 24., 28. –29., 31., 35., 37., 39., 44., 46., 48., 54., 81., 84. daher zuletzt:

Es wird festgestellt, dass die Kündigung folgend namentlich bezeichneter Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt ist.

6., 9., 11., 17., 21., 25. – 27., 30., 32.-34., 38., 40. – 43., 45., 47., 49. – 53., 55. – 65., 74., 76. – 77., 79. und 87.

Der Beteiligte zu 2. beantragt zuletzt:

Der Antrag wird abgewiesen.

Die Beteiligten zu 6., 9., 11., 17., 21., 25. – 27., 30., 32. – 34., 38., 40. – 43., 45., 47., 49. – 53., 55. – 65., 74., 76. – 77., 79., 87. beantragen zuletzt:

Der Antrag wird abgewiesen.

Der Beteiligte zu 61. ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO entgegen der Ansicht des Antragsstellers nicht erfüllt seien. Ein Scheitern der Interessenausgleichsverhandlungen liege nicht vor. Der Insolvenzverwalter habe im Rahmen des Verhandlungstermins vom 27. Januar 2021 insoweit Druck ausgeübt, als dass er eine Unterschriftsleistung von Seiten des Gesamtbetriebsrats an diesem Tag gefordert habe. Dies sei dem Gesamtbetriebsrat angesichts der nicht unterschriftsreifen Verträge und der noch nicht abgeschlossenen Beratungen nicht möglich gewesen. Nachdem man um eine Frist bis zum 28. Januar 2021 gebeten habe, sei von Seiten des Insolvenzverwalters das Scheitern der Verhandlungen erklärt worden. Das Verhalten der Insolvenzverwaltung lasse insofern mutmaßen, dass bereits zu Beginn der Verhandlungen kein großes Interesse an einem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen bestanden habe. Das angebliche Scheitern der Verhandlungen sei daher nicht auf das Verhalten des Gesamtbetriebsrats, sondern auf dasjenige des Insolvenzverwalters zurückzuführen. Die Masseunzulänglichkeit werde bestritten. Hinzu komme, dass durch die Fortführungsvereinbarung mit den Kunden die Kosten für die Ausproduktion bis März gedeckt gewesen sei. Es hätte – wie vom Betriebsrat sowie der IG Metall vorgeschlagen – eine Auffanggesellschaft gegründet werden können. Auch habe die Möglichkeit bestanden, die Kosten durch die Agentur für Arbeit tragen zu lassen. Sämtliche Vorschläge seien aber vonseiten der Antragsstellerseite unter Berufung auf den hohen Verwaltungsaufwand zurückgewiesen worden. Vor diesem Hintergrund sei nicht genügend unternommen worden, um die Folgen für die Mitarbeiter sozial verträglich zu gestalten. Auch habe die Belegschaft während der Insolvenz kaum Informationen erhalten.

Die Beteiligten zu 45. und 59. bestreiten, dass die Voraussetzungen der §§ 125, 126 InsO vorlägen. Es seien vonseiten des Antragsstellers keine ernsthaften Interessenausgleichsverhandlungen durchgeführt worden. Die geführten Verhandlungen seien eine Schau, um den Anschein eines Sozialplanes oder eines Interessenausgleichsverfahrens zu erwecken. Man speise Mitarbeiter, die über 30 Jahre gearbeitet hätten, mit zwei Monatsgehältern ab. Die Mitarbeiter hätten zu keinem Zeitpunkt nachvollziehbare Informationen erhalten. Auch der Betriebsrat habe keine dahingehenden Informationen erhalten, welche ihm eine transparente Kommunikation gegenüber den Mitarbeitern erlaubt hätte. Es sei nicht die Absicht des Antragsstellers gewesen, einen transparenten Interessenausgleich vorzuschlagen. Man habe von vornherein eine zwanghaft ergebnisorientierte Strategie mit dem Ziel des Scheiterns der Verhandlungen verfolgt.

Die Beteiligten zu 6., 9., 17., 21., 33., 40. – 42., 49, 54., 56., 63., 65., 76., 77., schließen sich den Ausführungen des Beteiligten zu 61. an.

Die Beteiligten zu 49. und 77. bestreiten darüber hinaus die Zulässigkeit des Antrags mangels Nennung der jeweiligen Kündigungstermine im Antrag. Ein möglicher Betriebserwerber sei fehlerhaft nicht beteiligt worden. Die Sozialauswahl sei hier nicht analog § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO auf grobe Fehlerhaftigkeit, sondern konkret zu prüfen. Der Antragssteller werde insoweit aufgefordert, die Sozialauswahl offen zu legen und hierbei Namen und Sozialdaten von vergleichbaren Arbeitnehmern zu nennen. Die ordnungsgemäße Anhörung des bestehenden Betriebsrats werde mit Nichtwissen bestritten. Der Beteiligte zu 49. sei Mitglied der Schwerbehindertenvertretung, so dass ihm Sonderkündigungsschutz zukomme. Darüber hinaus werde wegen einer Reduzierung des Grades der Behinderung momentan ein Klageverfahren bei dem Sozialgericht U. geführt. Der Beteiligte zu 77. wehre sich gegen zwei Kündigungen. Als Wahlbewerber genieße er gemäß § 15 Abs. 3 KSchG sowie aufgrund der Gleichstellung nach dem SGB IX Sonderkündigungsschutz.

Der Beteiligte zu 6. bestreitet, dass der Antragssteller ausreichend dargelegt habe, dass eine Weiterbeschäftigung der verbleibenden Mitarbeiter an den Standorten R. und P. zur Vermeidung der Kündigung unmöglich sei. Ausweislich des Entwurfs des Interessenausgleichs sollten Betriebsmittel und für deren Bedienung erforderliche Arbeitskraftvolumina in die verbleibenden Standorte R. und P. verlagert werden. Es erschließe sich daher nicht, weshalb sämtliche Arbeitsplätze an den Standorten H. und M. gekündigt worden seien, obwohl sich aufgrund der Verlagerung eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit aufdränge. Es sei zu berücksichtigen, dass der Beteiligte zu 6. knapp 34 Jahre Betriebszugehörigkeit und zum Zeitpunkt der Kündigung ein Alter von 62 Jahren aufweise.

Der Beteiligte zu 11. bestreitet, dass der Antragssteller den jeweils zuständigen Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet habe. Rechtzeitig bedeute, dass der Betriebsrat auf die Planung der Betriebsänderung noch hätte Einfluss nehmen können. Diese Einflussmöglichkeit habe dem Betriebsrat am Tag der Unterrichtung, nämlich dem 16. Dezember 2020, nicht mehr offen gestanden, da zu diesem Zeitpunkt die Stilllegungsentscheidung des Antragsstellers bereits getroffen worden sei. Dementsprechend habe auch keine Beratung zwischen dem Antragssteller und dem Betriebsrat mehr stattgefunden. Darüber hinaus habe der Antragssteller ein unzuständiges Betriebsratsgremium beteiligt. Die zuständigen Teilnehmer der auch hier vorzunehmenden gewesenen Beratung seien die jeweiligen örtlichen Betriebsräte an den Standorten H. und M. und nicht der Gesamtbetriebsrat gewesen. Selbst bei der Stilllegung aller Betriebe eines Unternehmens liege die Notwendigkeit eines unternehmenseinheitlichen oder betriebsübergreifenden Interessenausgleichs nicht auf der Hand. Hier seien indessen nur zwei von insgesamt vier Betriebsstätten von der geplanten bzw. bereits getroffenen Stilllegungsentscheidung betroffen gewesen. Um gleichwohl von einer originären Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ausgehen zu können, hätte eine betriebsübergreifende „Verzahnung“ der mitzubestimmenden Maßnahmen gegeben sein müssen, welche hier jedoch ersichtlich nicht vorgelegen habe. Ein „einheitliches Abzugs- und Verlagerungskonzept“ stelle als solche keine Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 1 BetrVG dar. Ein betriebsübergreifendes Verteilungsproblem sei hier nicht ersichtlich, nachdem lediglich die Betriebe in H. und M. stillgelegt werden sollten. Die vorgesehene betriebsübergreifende Verlagerung von Werkzeugen und Maschinen sei mit keinerlei Nachteilen für die Belegschaft verbunden gewesen. Personalverlagerungen sollten jedenfalls definitiv keine stattfinden, ebenso wenig brauchten betriebsübergreifende Personalauswahl- und Kündigungsentscheidungen getroffen werden. Allein der Wunsch des Arbeitgebers nach einer unternehmenseinheitlichen oder betriebsübergreifenden Regelung, sein Kosten- oder Koordinierungsinteresse sowie reine Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte genügten nicht, um in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung die Zustimmung des Gesamtbetriebsrats zu begründen.

Die Bestätigung durch den Gesamtbetriebsrat vom 15. Februar 2021 ändere an dessen Unzuständigkeit nichts, da sich dessen Bestätigung seiner angeblichen Zuständigkeit nach § 50 Abs. 2 BetrVG ausdrücklich ausschließlich auf das Verhandlungs- und Abschlussmandat bezüglich des Interessenausgleichs im Rahmen des Einigungsstellenverfahrens, nicht aber auf die vorgelagerte Unterrichtungs- und Beratungsphase bezogen hat, an welcher er ohnehin nicht beteiligt gewesen worden sei. Dementsprechend sei auch die Erklärung des Gesamtbetriebsrats vom selben Tag, dass die Beratungen „über die Betriebsänderungen“ abgeschlossen seien, bedeutungslos. Eine ordnungsgemäße Beauftragung des Gesamtbetriebsrats als zuständiger Adressat und Teilnehmer bereits der Unterrichtungen und Beratungen müsse jedenfalls mit Nichtwissen bestritten werden.

Im Übrigen sei die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem am Standort H. bereits seit dem 5. März 1984 und zuletzt als Schichtleiter in der Gießerei beschäftigt gewesenen Beteiligten zu 11. auch nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und nicht sozial gerechtfertigt. Entgegen der Behauptung des Antragstellers sei die Fertigung am Standort H. nicht zum 31. März 2021 eingestellt worden. So seien vielmehr selbst über den 31. Mai 2021 hinaus noch Arbeiten in diesem Betrieb erbracht worden, die sich nicht im bloßen Abbau und Abtransport von Maschinen und Anlagen erschöpften.

Die Beteiligten zu 40. – 42. und 76. bestreiten die Ausführungen des Antragsstellers zur Stilllegung der Betriebe sowie dem Abbau und der Verwertung der Betriebsmittel mit Nichtwissen. Dass der Beschäftigungsbedarf für sämtliche Mitarbeiter an beiden Standorten weggefallen und eine ordnungsgemäße Sozialauswahl durchgeführt worden sei, werde bestritten.

Die Beteiligte zu 21., 33. und 61. führen aus, dass die Betriebsmittel und Werkzeuge, sobald diese eine gewisse Mengen produziert hätten, in das Eigentum der Firma S. GROUP übergegangen seien. Die daraus enthaltenen Gelder gehörten zur Insolvenzmasse. Auch durch die Veräußerung der Werke R. und P. seien zur Insolvenzmasse gehörende Gelder generiert worden. Der Gesamtbetriebsrat sei unzuständig. Eine Beteiligung der örtlichen Betriebsratsgremien der Standorte H. und M. werde mit Nichtwissen bestritten. Infolge der Unzuständigkeit des Gesamtbetriebsrates sei auch das Verfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Das zuständige Betriebsratsgremium sei mit Blick auf die Interessenausgleichsverhandlungen nicht rechtzeitig unterrichtet worden.

Die Beteiligten zu 56. und 63. halten das Verfahren vor dem Hintergrund, dass bereits ein noch nicht rechtskräftiges Kündigungsverfahren bezüglich einer Kündigung aus der Vorinsolvenz im Gange ist, bereits für unzulässig.

Wegen des übrigen Sach- und Streitstandes wird nach § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, §§ 495 Abs. 1, 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 8. Oktober 2021 (Bl.942 – 945 d. A.) verwiesen.

II.

Der Antrag ist zulässig (hierzu 1.) und begründet (hierzu 2.). Es steht damit fest, dass die Kündigungen der im Tenor namentlich benannten Beteiligten aus dringenden betrieblichen Gründen sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 1, 2 Satz 1 KSchG sind.

1. Der Antrag ist zulässig. Nach § 126 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 InsO kann der – endgültige –Insolvenzverwalter beim  Arbeitsgericht die Feststellung beantragen, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse bestimmter, im Antrag bezeichneter Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt ist, wenn im Betrieb ein Betriebsrat besteht mit welchem innerhalb von drei Monaten nach schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen ein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 InsO nicht zustande kommt, obwohl der Verwalter den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet hat. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

a) Der Antragssteller ist durch Beschluss des Amtsgerichts G. vom 1. April 2020 zum endgültigen Insolvenzverwalter bestellt worden und damit antragsberechtigt. Der durch ihn gestellte Antrag ist in der zuletzt gestellten Fassung auch hinreichend bestimmt. Er enthält eine konkrete Namensliste der Arbeitnehmer, die bereits gekündigt wurden oder deren Arbeitsverhältnis bei Antragsstellung zeitnah gekündigt werden sollte (Wolf in: Braun, InsO, 8. Auflage 2020, § 126 InsO Rn. 7). Für die Bestimmtheit des Antrages unerheblich ist der Umstand, dass dieser keine Angaben hinsichtlich der Kündigungstermine trifft.  Das Beschlussverfahren nach § 126 Abs. 1 InsO kann als sog. „Präventives Kollektivverfahren“ betrieben werden (hierzu Rieble, Das insolvenzarbeitsrechtliche Beschlussverfahren des § 126 InsO, NZA 2007, 1393, 1394). In dieser Konstellation wird erst das Kollektivverfahren durchgeführt und nach Maßgabe des Beschlusserfolges den betroffenen Arbeitnehmern gekündigt. Eine Angabe des einschlägigen Kündigungstermins ist in diesen Fällen nicht möglich. Auch bei dem sog. „Nachgelagerten Kollektivverfahren“ bedarf es keiner Angabe des Kündigungstermins für die Bestimmtheit des Antrages. Die Angabe des Kündigungstermins oder der Kündigungsfrist ist allein für die Frage der Bestimmtheit der Kündigung und damit für die Individualkündigungsschutzverfahren von Relevanz (hierzu BAG 20. Juni 2013 – 6 AZR 805/11 – Rn. 15). Auf das prozessuale Bestimmtheitserfordernis nach Maßgabe des §§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO schlägt dies nicht durch.

b) Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass die Feststellung für Kündigungen verlangt wird, die bereits ausgesprochen sind. Das Beschlussverfahren nach § 126 Abs. 1 InsO kann auch für bereits erklärte Kündigungen als „Nachgelagertes Kollektivverfahren“ durchgeführt werden (BAG 29. Juni 2000 – 8 ABR 44/99 – Rn. 29, juris). Hierfür spricht zum einen die Regelung des § 127 Abs. 2 InsO, der vorsieht, dass ein Kündigungsschutzverfahren auf Antrag des Insolvenzverwalters auszusetzen ist, wenn der Arbeitnehmer schon vor Rechtskraft der nach § 127 Abs. 1 bindenden Entscheidung im Verfahren nach § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO Kündigungsschutzklage erhoben hat. Zum anderen ergibt sich dies aus dem Sinn und Zweck des § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO, der in einer Konzentration der Personalabbaumaßnahme und der daraus folgenden Kündigungsschutzverfahren liegt (vgl. Gallner in: ErfK, 21. Auflage 2021, § 126 InsO Rn. 1). Mit dieser Zielsetzung unvereinbar wäre es, wenn erst nach rechtskräftigem Abschluss des Beschlussverfahrens – welches mehrere Monate bis Jahre in Anspruch nehmen kann – die Kündigungen ausgesprochen werden könnten.

c) Zulässig ist der Antrag auch in Bezug auf die Beteiligten zu 56., 62. und zu 63. Zwar scheidet das Verfahren nach § 126 Abs. 1 InsO für sog. „Altkündigungen“ des Insolvenzschuldners oder des vorläufigen Verwalters aus, was aus dem Wortlaut des § 127 Abs. 1 Satz 1 InsO und dem Schutzzweck des Verfahrens folgt (hierzu Rieble, Das insolvenzarbeitsrechtliche Beschlussverfahren des § 126 InsO, NZA 2007, 1393, 1395). Es ist jedoch einschlägig für die vorsorglichen, für den Fall der Unwirksamkeit der „Altkündigungen“ ausgesprochenen Kündigungen des Insolvenzverwalters.

d) Beteiligt sind gemäß § 126 Abs. 2 HS 2 InsO neben dem antragsstellenden Insolvenzverwalter der Gesamtbetriebsrat sowie die namentlich bezeichneten Arbeitnehmer, die mit der beabsichtigten oder ausgesprochenen Kündigung nicht einverstanden sind. Da es in Bezug auf die Betriebe in H. und M. keine Betriebsveräußerung gab, konnte ein Betriebserwerber nicht im Sinne des § 128 Abs. 1 Satz 2 InsO beteiligt werden.

2. Der zulässige Antrag ist begründet. Der Antrag wurde vom kündigungsberechtigten Insolvenzverwalter gestellt, nachdem innerhalb von drei Wochen nach schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen ein Interessenausgleich im Sinne des § 125 Abs. 1 InsO nicht zustande gekommen ist, obwohl der Insolvenzverwalter zuvor den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet hat. Die Kündigungen erweisen sich durch dringende betriebliche Gründe bedingt und damit als sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG. Ob die Kündigungen darüber hinaus aus weiteren Gründen, insbesondere einem nicht ordnungsgemäß durchgeführten Massenentlassungsverfahren (§ 17 KSchG), einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung (§ 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG) oder einem etwaig bestehenden Sonderkündigungsschutz, unwirksam sind, bedarf im Rahmen des Verfahrens nach § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO keiner Entscheidung.

a) Der Antrag wurde von dem kündigungsberechtigten Insolvenzverwalter gestellt.

aa) Der Antrag kann nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck des Verfahrens nur dann begründet sein, wenn er vom kündigungsberechtigten Insolvenzverwalter gestellt wird. Denn wäre die Kündigung schon mangels Kündigungsberechtigung unheilbar unwirksam, bräuchte sie nicht mehr auf ihre soziale Rechtfertigung überprüft werden. Dies gilt für beabsichtigte sowie für bereits ausgesprochene Kündigungen (BAG 29. Juni 2000 – 8 ABR 44/99 – Rn. 32, juris).

bb) Im Streitfall besteht die Kündigungsberechtigung des Antragsstellers. Dieser wurde zunächst mit Beschluss des Amtsgericht G. vom 30. Januar 2020 zum vorläufigen und mit Beschluss vom 1. April 2020 zum endgültigen Insolvenzverwalter bestellt. Mit dieser Bestellung geht nach Maßgabe des § 113 Satz 1 InsO die Kündigungsberechtigung einher.

b) Die Voraussetzungen des § 126 Abs. 1 InsO liegen vor. Eine umfassende und rechtzeitige Unterrichtung des zuständigen Beteiligten zu 2. ist vor der schriftlichen Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen in Bezug auf einen Interessenausgleich erfolgt (hierzu aa)). Ein Interessenausgleich wurde gleichwohl innerhalb von drei Wochen nach der schriftlichen Aufforderung zu Aufnahme von Verhandlungen nicht geschlossen (hierzu bb)).

aa) Der zuständige Beteiligte zu 2. ist rechtzeitig und umfassend vor der schriftlichen Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen von der beabsichtigten Betriebsänderung in Bezug auf den Interessenausgleich unterrichtet worden.

(1) Der Gesamtbetriebsrat ist rechtzeitig unterrichtet worden. Rechtzeitig bedeutet, dass der Betriebsrat grundsätzlich noch auf die Planung der Betriebsänderung Einfluss nehmen können muss. Nicht mehr rechtzeitig in diesem Sinne ist die Unterrichtung damit, wenn – im Streitfall durch den Insolvenzverwalter – bereits mit der Durchführung der Betriebsänderung begonnen wurde (BAG 30. Mai 2006 – 1 AZR 25/05 – Rn. 17, juris; Annuß in: Richardi, BetrVG, 16. Auflage 2018, § 111 Rn. 148; Kania in: ErfK, 21. Auflage 2021, § 111 BetrVG Rn. 22; Fitting, BetrVG, 29. Auflage 2018, § 111 BetrVG Rn. 110). Mit der Durchführung einer Betriebsstilllegung ist begonnen, sobald unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung der betrieblichen Organisation getroffen wurden (BAG 30. Mai 2006 – 1 AZR 25/05 – Rn. 17, juris; BAG 14. April 2015 – 1 AZR 795/13 – Rn. 22, juris). Kein Beginn der Betriebsstilllegung stellt hingegen in der Regel der Stilllegungsentschluss und dessen Verlautbarung, die bloße Einstellung der Produktion oder die Freistellung von Arbeitnehmern dar (Fitting, BetrVG, 29. Auflage 2018, § 111 Rn. 110; BAG 22. November 2005 – 1 AZR 407/04 – Rn. 32 ff., juris; BAG 14. April 2015 – 1 AZR 795/13 – Rn. 24, juris). Ebenso ist die tatsächliche Einstellung der betrieblichen Tätigkeit angesichts ihrer Reversibilität sowie die Anhörung des Betriebsrats zu den beabsichtigten Kündigungen noch kein Beginn der Stilllegung. Durchgeführt wird die Betriebsänderung indes dann, wenn Kündigungen ausgesprochen oder Betriebsmittel veräußert werden (BAG 23.  September 2003 – 1 AZR 576/02 – Rn. 22, juris).

(2) Im Streitfall erfolgte die Unterrichtung des Beteiligten zu 2. mit Schreiben vom 16. Dezember 2020 nach den vorstehenden Ausführungen rechtzeitig. Unumkehrbare Maßnahmen, wie insbesondere Kündigungen sind zu diesem Zeitpunkt – noch – nicht ausgesprochen worden. Dies ergibt sich einerseits aus „Nr. 3“ des Schreibens, worin der Antragssteller über den Plan, diese Kündigungen im Dezember 2020 zu erklären, informiert. Andererseits folgt dies aus der zeitlich mit dem Schreiben vom 16. Dezember 2020 durchgeführten Anhörung des Betriebsrats nach Maßgabe des § 102 BetrVG.  Weiter ergibt sich aus „Nr. 1“, dass der Antragssteller mit der yy-Group einen Unternehmenskaufvertrag geschlossen hat, bezüglich dessen es aber noch ein Rücktrittsrecht bestand. Dass der Antragssteller bereits am 16. Dezember 2020 den Entschluss gefasst hat, die Betriebe in H. und M. stillzulegen und sich diese Stilllegungsentscheidung im Rahmen der Sitzung des Gläubigerausschusses am 17. Dezember 2020 bestätigen ließ, steht der Rechtzeitigkeit der Unterrichtung ebenso wie die Freistellung der Mitarbeiter zum 1. Januar 2021 nicht entgegen. Eine irreversible Auflösung der Organisationseinheit ist damit nicht gegeben.

(3) Die Unterrichtung war auch umfassend. Dies setzt voraus, dass der Unternehmer die Gründe für die geplante Betriebsänderung darlegt sowie den Inhalt einer möglichen Maßnahme und deren Auswirkungen auf die Arbeitnehmer beschreibt. Auch der Zeitplan muss so konkret genannt werden, dass der Betriebsrat sich hiervon ein Bild machen kann (Fitting, BetrVG, 29. Auflage 2018, § 111 BetrVG Rn. 111). Eine bestimmte Form ist für die Unterrichtung gesetzlich nicht vorgesehen. Mit dem Schreiben vom 16. Dezember 2020 wurde der Antragssteller vorstehenden Anforderungen gerecht. Inwieweit die Unterrichtung aus Sicht des Betriebsrats unzureichend war, bleibt auch nach dem Vortrag der Beteiligten offen. Ein Hinweis auf die – aus seiner Sicht mangelhafte – Unterrichtung hat der Beteiligte zu 2. gegenüber dem Antragssteller auch nicht erteilt. Kommt der Betriebsrat dieser aus § 2 Abs. 1 BetrVG folgenden Obliegenheit indes nicht nach, kann er sich später bereits aus diesem Grund nicht mehr auf eine mangelhafte Unterrichtung berufen.

(4) Für die Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs waren nicht die örtlichen Betriebsräte, sondern der Beteiligte zu 2. als Gesamtbetriebsrat zuständig. Seine Zuständigkeit folgt aus § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Ob der Beteilige zu 2. darüber hinaus kraft Auftrages nach Maßgabe des § 50 Abs. 2 BetrVG für die Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs zuständig war, bedarf in der Folge keiner Entscheidung.

(a) Nach der Kompetenzzuweisung des BetrVG ist der von den Arbeitnehmern gewählte Betriebsrat grundsätzlich für die Ausübung der gesetzlichen Mitbestimmungsrechte und damit auch für eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 1, Satz 3 BetrVG zuständig. Er hat die Interessen der Belegschaft des einzelnen Betriebes gegenüber dem Unternehmen wahrzunehmen. Diese Aufgabe wird nach Maßgabe des § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG dem Gesamtbetriebsrat nur dann zugewiesen, wenn die zu regelnde Angelegenheit das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betrifft und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Die bloße Zweckmäßigkeit oder ein Kosten- bzw. Koordinierungsinteresse vermag in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nicht begründen (BAG 11. Dezember 2001 – 1 AZR 193/01 – Rn. 39, juris; BAG 14. Dezember 1999 – 1 ABR 27/98 – Rn. 34, juris).

Für die Beurteilung der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates maßgebend ist damit der Inhalt der geplanten Betriebsänderung (Annuß in: Richardi, BetrVG, 16. Auflage 2018, § 50 Rn. 37). Liegt der Betriebsänderung und den damit einhergehenden Maßnahmen ein unternehmenseinheitliches Konzept hinsichtlich mehrerer Betriebe zu Grunde, so entsteht hieraus ein Verteilungsproblem (Fitting, BetrVG, 29. Auflage 2018, § 50 BetrVG Rn. 59). Dieses Verteilungsproblem kann regelmäßig nur auf der Ebene des Gesamtbetriebsrates gelöst werden (BAG 20. September 2012 – 6 AZR 155/11 – Rn. 37, juris).

Für die Stilllegung sämtlicher im Konkurs befindlicher Betriebe eines Unternehmens hat das BAG die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates ebenso anerkannt wie für die Verlegung eines Betriebes und dessen Zusammenschluss mit einem anderen Betrieb (BAG 17. Februar 1981 – 1 AZR 290/78 – Rn. 37, juris; BAG 24. Januar 1996 – 1 AZR 542/95 – Rn. 30).

(b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist aus Sicht der Kammer von einer Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates auszugehen. Bei der geplanten Betriebsänderung handelt es sich um eine betriebsübergreifende Regelung, für die im konkreten Fall objektiv ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmensübergreifende, einheitliche Regelung in Bezug auf den Interessenausgleich vorlag. Das „Ob“ und das „Wie“ der Betriebsänderung stand im Sachzusammenhang mit der wirtschaftlichen Schieflage des Unternehmens insgesamt. Die Stilllegung der Betriebe in M. und H. war Teil eines Restrukturierungskonzepts, welches zur einer Verlagerung der Betriebsmittel und einer Veränderung der Beschäftigungsvolumina in den verbleibenden Betrieben R. und P. führte. Die in Bezug auf zwei Betriebe geplante Stilllegung einhergehend mit dem „Abzugs- und Verlagerungskonzept“ hinsichtlich der verbleibenden Betriebe betrifft das Unternehmen zwingend als Ganzes, so dass die Regelungszuständigkeit der örtlichen Betriebsräte überschritten gewesen wäre. Ein sachgerechtes Ergebnis konnte in der Folge nicht anders als durch eine koordinierte – einheitliche –  Regelung erreicht werden. Für diese war der Beteiligte zu 2. als Gesamtbetriebsrat zuständig. Hieraus folgt auch die Zuständigkeit für das vorliegende Beschlussverfahren.

bb) Ein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 InsO konnte zwischen dem Antragssteller und dem Beteiligten zu 2. innerhalb von drei Wochen seit der schriftlichen Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen nicht erzielt werden.

(a) Der Insolvenzverwalter hat den Beteiligten zu 2. mit Schreiben vom 16. Dezember 2020 – dem Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats am 16. Dezember 2020 zugegangen (§ 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG – zu Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs aufgefordert. Diese Verhandlungen mündeten unstreitig innerhalb von drei Wochen nicht in einem Interessenausgleich.

(b) Entgegen der Ansicht der Beteiligten ist für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO unerheblich, aus welchen Gründen die Verhandlungen zunächst gescheitert sind. Entscheidend ist lediglich, dass Verhandlungen zwischen den Betriebsparteien stattgefunden haben, die auch die Möglichkeit einer Einigung zum Gegenstand hatten. Dies war vorliegend allerdings der Fall. Soweit sich die Beteiligten darauf berufen, dass sich aus dem Verhalten der Insolvenzverwaltung mutmaßen lasse, dass bereits zu Beginn der Verhandlungen kein großes Interesse an einem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen bestanden habe, kann dies insbesondere unter Berücksichtigung der tatsächlich stattgefundenen Einigungsstelle nicht nachvollzogen werden. Im Rahmen der Einigungsstelle wurde der Entwurf eines Interessenausgleichs – wie sich aus dem Protokoll vom 15. Februar 2021 ergibt – hinlänglich beraten. Für den Abschluss desselben stimmte der Insolvenzverwalter, nicht aber der Gesamtbetriebsrat. Dass vor diesem Hintergrund die Verhandlungen über den Abschluss des Interessenausgleichs durch die Insolvenzverwaltung nur „zur Farce“ betrieben wurde, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Zumindest im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung war danach die dreiwöchige Frist des § 126 Abs. 1 InsO abgelaufen.

c) Die Kündigungen erweisen sich durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG als sozial gerechtfertigt.

aa) Dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG liegen vor, wenn das Bedürfnis einer Weiterbeschäftigung im Betrieb entfallen ist. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht gehalten, nicht mehr benötigte Arbeitsplätze und Arbeitskräfte weiterhin zu besetzen bzw. zu beschäftigen. Diese dringenden betrieblichen Erfordernisse für eine Kündigung können aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen folgen. Innerbetriebliche Gründe liegen vor, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren betrieblicher Umsetzung voraussichtlich das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist entfällt.

Die unternehmerische Entscheidung zur Umorganisation ist mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG bis zur Grenze der offensichtlichen Unsachlichkeit, Unvernunft oder Willkür einer gerichtlichen Nachprüfung nicht zugänglich. Von den Arbeitsgerichten nachzuprüfen ist hierbei lediglich, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich getroffen und vollzogen wurde und ob dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist (BAG 10. Juli 2008 – 2 AZR 111/06 – Rn. 24; BAG 17. Juni 1999 – 2 AZR 522/98 – Rn. 14, juris). Für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung spricht dabei die Vermutung, dass sie aus sachlichen – nicht zuletzt wirtschaftlichen – Gründen getroffen wurde und nicht auf Rechtsmissbrauch beruht (BAG 20. Juni 2013 – 2 AZR 379/12 – Rn. 20; BAG 29. März 2007 – 2 AZR 31/06 – Rn. 24).

(1) Die Stilllegung eines Betriebs durch den Arbeitgeber bzw. durch den Insolvenzverwalter gehört zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen i. S. von § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG, die einen Grund zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung darstellen können (BAG 15. Dezember 2011 – 8 AZR 692/10 – Rn. 40 f; BAG 16. Februar 2012 – 8 AZR 693/10 – Rn. 37, BAG 18. Oktober 2012 – 6 AZR 41/11 – Rn. 47). Unter Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Verfolgung des bisherigen Betriebszwecks dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen. Mit der Stilllegung des gesamten Betriebs entfallen alle Beschäftigungsmöglichkeiten. Der Arbeitgeber ist auch nicht gehalten, eine Kündigung erst nach Durchführung der Stilllegung auszusprechen. Neben der Kündigung wegen erfolgter Stilllegung kommt auch eine Kündigung wegen beabsichtigter Stilllegung in Betracht. Erforderlich ist dazu aber, dass der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung den ernsthaften und endgültigen Entschluss gefasst hat, den Betrieb endgültig und nicht nur vorübergehend stillzulegen (BAG 13. Februar 2008 – 2 AZR 543/06 – Rn. 21 ff.; BAG 16. Februar 2012 – 8 AZR 693/10 – Rn. 37). Der Ernsthaftigkeit der Stilllegungsabsicht steht dabei nicht entgegen, dass sich der Arbeitgeber entschlossen hat, die gekündigten Arbeitnehmer in der jeweiligen Kündigungsfrist noch für die Abarbeitung vorhandener Aufträge einzusetzen. Der Arbeitgeber erfüllt damit gegenüber den tatsächlich eingesetzten Arbeitnehmern lediglich seine auch im gekündigten Arbeitsverhältnis bestehende Beschäftigungspflicht. An einem endgültigen Entschluss zur Betriebsstilllegung fehlt es aber, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung noch in Verhandlungen über eine Veräußerung des Betriebs steht (BAG 29. September 2005 – 8 AZR 647/04 – Rn. 14). Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber sich im Zeitpunkt der Kündigung noch um neue Aufträge bemüht (vgl. BAG 13. Februar 2008 – 2 AZR 75/06 – 23). Ist andererseits im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Betriebsstilllegung endgültig geplant und bereits eingeleitet, behält sich der Arbeitgeber aber eine Betriebsveräußerung vor, falls sich eine Chance bietet, und gelingt dann später noch eine Betriebsveräußerung, bleibt es bei der sozialen Rechtfertigung der Kündigung.

(2) Auch ist bei einer Betriebsstilllegung erforderlich, dass die geplanten Maßnahmen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits „greifbare Formen“ angenommen haben. Diese sind gegeben, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung auf Grund einer vernünftigen betriebswirtschaftlichen Betrachtung davon auszugehen ist, dass bis zum Ablauf der einzuhaltenden Kündigungsfrist mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes, d. h. die Stilllegung, gegeben sein werde. Von einer Stilllegung kann jedenfalls dann ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber seine Stilllegungsabsicht unmissverständlich äußert, allen Arbeitnehmern kündigt, etwaige Miet- oder Pachtverträge zum nächstmöglichen Zeitpunkt auflöst, die Betriebsmittel, über die er verfügen darf, veräußert und die Betriebstätigkeit vollständig einstellt (vgl. BAG 26. Mai 2011 – 8 AZR 37/10 – Rn. 26).

Betriebsveräußerung und Betriebsstilllegung schließen sich nach diesen Grundsätzen demnach systematisch aus. Dabei kommt es auf das tatsächliche Vorliegen des Kündigungsgrundes und nicht auf die vom Arbeitgeber gegebene Begründung an. Eine vom Arbeitgeber mit einer Stilllegungsabsicht begründete Kündigung ist nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sich die geplante Maßnahme objektiv als Betriebsstilllegung und nicht als Betriebsveräußerung darstellt, weil etwa die für die Fortführung des Betriebs wesentlichen Gegenstände einem Dritten überlassen werden sollten, der Veräußerer diesen Vorgang aber rechtlich unzutreffend als Betriebsstilllegung wertet (vgl. BAG 28. Mai 2009 – 8 AZR 273/08 – Rn. 30).

(3) Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Kündigung ist der des Kündigungszugangs. Dies schließt es nicht aus, dass – insbesondere, wenn dem Kündigungsgrund ein prognostisches Element innewohnt – der tatsächliche Eintritt der prognostizierten Entwicklung Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit und Plausibilität der Prognose zulässt (hierzu BAG 27. November 2003 – 2 AZR 48/03 – Rn. 18, juris). Verläuft die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung planmäßig, ist es gerechtfertigt, von einem tragfähigen Konzept im Zeitpunkt der Kündigung auszugehen. Die im Kündigungszeitpunkt gestellte Prognose, mit Ablauf der Kündigungsfrist werde der Beschäftigungsbedarf entfallen, wird so bestätigt (vgl. BAG 7. Juli 2005 – 2 AZR 447/04 – Rn. 16, juris).  Umgekehrt spricht bei alsbaldiger Wiedereröffnung des Betriebs bzw. bei alsbaldiger Wiederaufnahme der Produktion durch einen Betriebserwerber eine tatsächliche Vermutung gegen eine ernsthafte Absicht, den Betrieb stillzulegen (vgl. BAG 21. Juni 2001 – 2 AZR 137/00 – Rn. 37 ff., juris).

(4) Für die Darlegung der bereits vor Kündigungszugang getroffenen unternehmerischen Entscheidung zur Vornahme einer Maßnahme, die zu einem Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers führen wird, ist der Arbeitgeber nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG darlegungs- und beweisbelastet. Die Tiefe seines Vortrages hängt hierbei entscheidend von der Einlassung des Arbeitnehmers an. Nur wenn der Arbeitnehmer die Behauptung, bereits vor Zugang der Kündigung eine abschließende Entscheidung getroffen zu haben mit – in der Regel Nichtwissen – bestreitet, obliegt es dem Arbeitgeber nähere tatsächliche Einzelheiten darzulegen.

(5) Dass eine Entscheidung zur Schließung der Betriebe in H. und M. nicht offensichtlich unsachlich oder willkürlich ist und damit dem Grunde nach eine taugliche unternehmerische Entscheidung sein kann, steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Im Streit steht lediglich der Umstand, ob ein solcher Stilllegungsbeschluss gefasst wurde. Der Antragsteller hat insoweit als Beleg das Schreiben an den Beteiligten zu 2. vom 16. Dezember 2020 sowie das Protokoll der 14. Sitzung des Gläubigerausschusses zur Akte gereicht, in welchem die Zustimmung des Gläubigerausschusses zur Einstellung des Geschäftsbetriebes der Standorte H. und M. eingeholt wurde. Die Beteiligten durften den durch den Antragssteller behaupteten Stilllegungsbeschluss gemäß § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen bestreiten, da sie an dessen Zustandekommen nicht beteiligt waren. Die Kammer ist aber bereits aufgrund der feststehenden Tatsachen von der Existenz des betreffenden Beschlusses überzeugt.

Ein Fälschungseinwand in Bezug auf das Protokoll der 14. Sitzung des Gläubigerausschusses ist durch die Beteiligten nicht erhoben worden. Es wurde auch nicht in Abrede gestellt, dass die entsprechenden Personen bei der Beschlussfassung anwesend gewesen seien oder einen entsprechenden Beschluss gefasst haben.

Für die Existenz des Stilllegungsbeschlusses spricht aber neben der im Beschluss aufgeführten Stilllegungsabsicht, dass sich der Antragssteller in der Folgezeit entsprechend der dort niedergelegten Absicht zur Schließung der Betriebe in H. und M. tatsächlich verhalten hat. So hat der Antragssteller parallel zur Konsultation des Gläubigerausschusses den Beteiligten zu 2. zu Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs aufgefordert. In den betroffenen Betrieben M. und H. fand bis zum 31. März 2021 lediglich eine Ausproduktion statt. Seit diesem Zeitpunkt findet ein operativer Geschäftsbetrieb nicht mehr statt. Neue Aufträge wurden nicht mehr angenommen. Die bestehenden Miet- und Leasingverträge wurden gekündigt und fristgerecht zum 31. Juli 2021 an den Vermieter zurückgegeben. Die wesentlichen Betriebsmittel wurden versteigert. Die ehemaligen Produktionshallen sowie Büroräumlichkeiten der Insolvenzschuldnerin in M. wurden geräumt. Die Hallen der ehemaligen CNC-Fertigung sind nach der Verwertung der darin vormals befindlichen Maschinen leer. Die Gerätschaften in der Gießerei wurden am 29. Juli 2021 abgebaut. Die Hallen des ehemaligen Werkzeugbaus sind ebenfalls vollständig abgeräumt. In H. ist der ehemalige Messraum vollständig abgebaut, die Büros und der Empfangsbereich sind leergeräumt und der ehemalige CNC-Bereich befand sich am 3. August 2021 im Abbau. Die Betriebsmittel sind wie in M. vollständig abgebaut und die Druckgussanlagen entfernt. Auch die vormaligen Arbeitsplätze in der ehemaligen Instandhaltung sind leergeräumt.

In Umsetzung des Stilllegungsbeschlusses wurden sämtliche Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse an den Standorten H. und M. – insgesamt 248 – beendet. Hierzu wurden bereits am 2. Februar 2021 die notwendigen Massenentlassungsanzeigen an die zuständigen Arbeitsagenturen erstattet.

Dass über den 31. März 2021 hinaus Beschäftigungsbedarf bestanden hat, legen die Beteiligten zu 6. – 87. nicht dar. Hiergegen spricht bereits, dass die Maschinen sowie Gerätschaften sich in der Verwertung befanden. Da der Antragssteller nach dem 16. Dezember 2020 zeitnah und zügig alle Maßnahmen getroffen hat, um ihre Betriebseinheiten im M. und H. von materiellen, immateriellen und personellen Mitteln aufzulösen, ist die Kammer davon überzeugt, dass ein entsprechender Stilllegungsbeschluss so, wie von dem Antragssteller behauptet wurde, auch tatsächlich gefasst worden ist.

(6) Bei Zugang der Kündigungen hat die Stilllegungsabsicht hat auch unstreitig greifbare Formen durch den Ausspruch der Kündigungen, die Ausproduktion sowie die beginnende Verwertung der Betriebsmittel angenommen. Anhaltspunkte dafür, dass über die Abwicklungsarbeiten durch die verbleibende Rumpfmannschaft hinaus wertschöpfende Tätigkeiten erbracht wurden, bestehen nicht. Die zur Akte gereichten Bilder zeigen vielmehr eindrücklich, dass die Betriebe mangels materieller Ausstattung nicht mehr produzieren können.

bb) Der Antragssteller konnte die Beteiligten zu 6. – 87. auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz weiterbeschäftigen. Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit der Beteiligten auf einem anderen freien Arbeitsplatz im Unternehmen des Antragsstellers besteht nicht.

(1) Ist der bisherige Arbeitsplatz weggefallen, liegt ein Grund zur Kündigung nicht vor, wenn der Arbeitnehmer im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 KSchG auf einem freien und geeigneten Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen weiterbeschäftigt werden kann. Auf entsprechende Möglichkeiten zur Weiterbeschäftigung kann sich der Arbeitnehmer unabhängig davon berufen, ob ein Betriebsrat im Betrieb besteht und der Kündigung widersprochen hat (BAG 29. August 2013 – 2 AZR 809/12 – Rn. 22).

(2) Für das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit ist gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet. Dabei gilt grundsätzlich eine abgestufte Darlegungslast (BAG 24. Mai 2012 – 2 AZR 62/11 – Rn. 28). Bestreitet der Arbeitnehmer den Wegfall seines bisherigen Arbeitsplatzes, genügt der Vortrag des Arbeitgebers, wegen der betrieblichen Notwendigkeiten sei eine Weiterbeschäftigung zu den gleichen Bedingungen nicht möglich. Will der Arbeitnehmer vorbringen, es sei eine Beschäftigung an anderer Stelle möglich, obliegt es ihm darzulegen, wie er sich diese Beschäftigung vorstellt. Erst daraufhin muss der Arbeitgeber eingehend erläutern, aus welchen Gründen eine Beschäftigung auf einem entsprechenden Arbeitsplatz nicht in Betracht kommt (LAG Rheinland-Pfalz 25. Juni 2015 – 8 Sa 642/14 – Rn. 24).

(3) Nachdem der Antragssteller vorgetragen hat, dass konkrete Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf freien Arbeitsplätzen für die Beteiligten zu 6. – 87. nicht bestehen würden, haben die Beteiligten – wie es ihnen oblegen hätte – keine konkreten Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten benannt. Soweit teilweise pauschal aus dem Umstand, dass im Entwurf des Interessenausgleichs eine Verlagerung der Betriebsmittel und damit ein erhöhtes Beschäftigungsvolumen in den verbleibenden Betrieben R. und P. festgestellt wird, ein Weiterbeschäftigungsbedarf geschlussfolgert wird, übersehen die Beteiligten zu 6. – 87., dass im Entwurf sogleich dargelegt wird, dass dieses erhöhte Beschäftigungsvolumen durch die Belegschaft in P. bzw. R. vollumfänglich abgedeckt werden kann. Eine konkrete Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ist in der Folge nicht ersichtlich.

dd) Die Kündigungen sind auch nicht wegen einer fehlerhaften Sozialauswahl sozial ungerechtfertigt.

(1) Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung trotz Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und eine Schwerbehinderung nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Der Arbeitgeber hat dabei in die Sozialauswahl diejenigen Arbeitnehmer einzubeziehen, die miteinander vergleichbar sind. Vergleichbar sind Arbeitnehmer, die nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen aufgrund ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse sowie nach dem Inhalt der von ihnen vertraglichen geschuldeten Aufgaben austauschbar sind (BAG 25. Oktober 2012 – 2 AZR 552/11 – Rn. 47 m. w. N). Bei der Gewichtung der Sozialkriterien kommt dem Arbeitgeber ein Wertungsspielraum zu, so dass nur deutlich sozial schutzwürdigere Arbeitnehmer sich mit Erfolg auf die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl berufen kann (BAG 22. März 2012 – 2 AZR 167/11 – Rn. 19 m. w. N.).

(2) Für die Tatsachen, aus denen sich die Unrichtigkeit der Sozialauswahl ergibt, ist zunächst der Arbeitnehmer darlegungs- und beweisbelastet. Insoweit ist aber von einer abgestuften Darlegungslast auszugehen. Danach obliegt es zunächst dem Arbeitnehmer, die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl darzulegen, sofern er über die erforderlichen Informationen verfügt. Ist er hierzu nicht in der Lage, so muss er den Arbeitgeber auffordern, die Gründe mitzuteilen, die ihn zur Auswahl veranlasst haben (§ 1 Abs. 3 Satz 1 HS 2 KSchG). Wird diese Auskunft gegeben, so verbleibt die Darlegungs- und Beweislast bei dem Arbeitnehmer.

(3) Vorliegend hat der Antragssteller die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Mitarbeiter in den Betrieben H. und M. gekündigt. Aus welchen Gründen die Sozialauswahl in der Folge unrichtig erfolgt sein soll, haben die Beteiligten entgegen der ihnen nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG materiell obliegenden Darlegungs- und Beweislast nicht aufgezeigt. Dass die Sozialauswahl unterblieben ist, indiziert wegen der Behauptung des Antragsstellers, allen Arbeitnehmer gekündigt zu haben, die ungenügende Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte nicht (BAG 24. Februar 2000 – 8 AZR 167/99 – Rn. 46, juris). Vielmehr hätten die Beteiligten ungekündigte Arbeitnehmer konkret benennen müssen, die sozial stärker sind.

d) Sonstige Unwirksamkeitsgründe, insbesondere eine Nichteinhaltung der §§ 17 ff. KSchG, die fehlerhafte Durchführung der Betriebsratsanhörung (§ 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG) oder ein Verstoß gegen Regelungen des Sonderkündigungsschutzes, werden im streitgegenständlichen Beschlussverfahren nicht überprüft. Sie sind einer Erörterung im Individualkündigungsschutzverfahren vorbehalten. Auf die fehlende Massenunzulänglichkeit, die durch verschiedene Beteiligte gerügt wurde, kommt es im hiesigen Verfahren von vornherein nicht an.

III.

1. Eine Kostenentscheidung ist nach den §§ 2 Abs. 2 GKG, 126 Abs. 3 Satz 1 InsO, 12 a Abs. 1 ArbGG nicht veranlasst.

2. Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsbehelf nicht gegeben. Eine Beschwerde an das Landesarbeitsgericht findet nicht statt (§§ 126 Abs. 2 Satz 2, 122 Abs. 3 Satz 1 InsO). Die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht war gemäß § 122 Abs. 3 Satz 2 InsO nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinne des § 72 Abs. 2 und Abs. 3 ArbGG nicht vorlagen.

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