Skip to content

Entfernung einer Abmahnung aus Personalakte – Pflicht zur Fahrtzeitendokumentation

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 4 Sa 55/17 – Urteil vom 16.11.2017

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 21.12.2016 – 4 Ca 843/16 – wie folgt abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Entfernung einer Abmahnung aus seiner Personalakte.

Der Kläger ist seit dem 01.01.1995 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Kundendiensttechniker beschäftigt und betreut als solcher den Großraum Trier sowie den Großraum Saarbrücken. Zur Ausübung seiner Tätigkeit fährt er in der Regel morgens direkt von seinem Wohnort zum ersten Kunden fährt und abends vom letzten Kunden zurück zu seinem Wohnsitz.

Bei der Beklagten findet eine gekündigte, aber noch nachwirkende Gesamtbetriebsvereinbarung zur Regelung der Arbeitszeit im technischen Außendienst (im Folgenden: GBV-Arbeitszeit) Anwendung. Diese enthält u. a. folgende Bestimmungen:

„§ 4 Anfahrts- und Rückfahrtszeit/ Beginn der Arbeitszeit

a) Anfahrtszeit vom Wohnort zum ersten Kunden:

Es sind bis zu 30 Minuten ab Fahrtbeginn vom Wohnort des Mitarbeiters zum eingeteilten ersten Kunden als zumutbar anzusehen. Die angefallene Anfahrtszeit von bis zu 30 Minuten wird daher nicht als Arbeitszeit erfasst. Bei einer Anfahrtszeit zum ersten eingeteilten Kunden vom Wohnort des Mitarbeiters, die länger als 30 Minuten in Anspruch nimmt, beginnt die Arbeitszeit folglich ab der 31. Minute. Bei einer kürzeren Anfahrtszeit beginnt die Arbeitszeit entsprechend früher.

b) Rückfahrtszeit vom letzten Kunden zum Wohnort:

Es sind bis zu 30 Minuten ab Fahrtbeginn vom eingeteilten letzten Kunden zum Wohnort des Mitarbeiters als zumutbar anzusehen. Die angefallene Abfahrtszeit bis zu 30 Minuten wird daher nicht als Arbeitszeit erfasst. Die Arbeitszeit endet mit Beginn der Heimfahrt zum Wohnort, d. h. nach Abschluss der Tätigkeit (Reportzeit = Arbeitsende). Bei einer Fahrzeit vom letzten eingeteilten Kunden zum Wohnort des Mitarbeiters, die länger als 30 Minuten in Anspruch nimmt, wird die Zeit ab der 31. Minute als Arbeitszeit erfasst. Bei einer Unterbrechung der direkten Heimfahrt endet die Arbeitszeit zum Zeitpunkt der Unterbrechung.

§ 9 Zeiterfassung und Kontrolle

Jeder Mitarbeiter muss seiner Pflicht im Reporting nachkommen. Die Zeiten sind wahrheitsgemäß und zeitnah mit Hilfe der vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Arbeitsmittel/Systeme zu dokumentieren. Die Führungskraft ist berechtigt, die Zeiterfassung einzusehen und ist ebenso verpflichtet, bei Differenzen sowie Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz einzugreifen. Der Betriebsrat erhält Zugriff auf die Arbeitszeitkonten der einzelnen Mitarbeiter“.

Die Fahrtzeiten des Klägers von seinem Wohnort zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück zu seinem Wohnsitz wurden in der Vergangenheit nur insoweit als zu vergütende Arbeitszeit berücksichtigt, als sie jeweils eine Dauer von 30 Minuten überschritten.

Ebenso wie die anderen Außendienstmitarbeiter führt der Kläger ein Arbeitszeitjournal. Dieses enthält u. a. folgende, vom Kläger auszufüllende Spalten: „Abfahrt“, „AZ von“, „AZ bis“, „Ankunft“. Zur Darstellung der Form der Arbeitszeitjournale wird ergänzend auf Blatt 44 d. A. Bezug genommen.

Bis einschließlich 16.03.2016 füllte der Kläger das Arbeitszeitjournal dergestalt aus, dass er, so wie in dem betreffenden Formular vorgesehen, seine Fahrtzeiten durch Ausfüllen der Spalten „Abfahrt“ und „Ankunft“ gesondert von den in den Spalten „AZ von“ und „AZ bis“ eintrug. Ab dem 17.03.2016 ging der Kläger dazu über, seine Fahrtzeiten nicht mehr gesondert im Arbeitszeitjournal auszuweisen, sondern in den Spalten „Abfahrt“ und „AZ von“ einerseits und in den Spalten „AZ bis“ und „Ankunft“ andererseits jeweils dieselben Zeiten einzutragen und zwar jeweils unter Zugrundelegung des Zeitpunkts seiner Abfahrt von seinem Wohnort bzw. seiner Rückkehr. Für den 17.03.und den 18.03.2016 trug er in der Spalte „Bemerkungen“ ein: „Siehe Gerichtsurteil C-266/14“. Bei Einreichung des Journals für den Monat März 2016 teilte der Kläger der Beklagten per E-Mail vom 01.04.2016 folgendes mit:

„Guten Morgen D.,

anbei das Zeitjournal für den Monat März 2016.

Ich habe ab Mitte des Monats, auf Rat von meinem Anwalt, das Zeitjournal so geführt, dass Fahrzeit gleichgestellt mit der Arbeitszeit ist.

Ich berufe mich auf ein BAG Urteil vom 22.04.2009, Az 5 AZR 29208 und selbstverständlich auf die Bestätigung EuGH vom 10.09.2015 – Az C-266-14.

Die BV Regelung der Arbeitszeit im technischen Außendienst vom 18.12.2008 ist somit seit April 2009 in Frage gestellt.“

Mit Schreiben vom 21.04.2016 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung die – auszugsweise – wie folgt lautet:

„Sehr geehrter Herr A.,

Ihr Verhalten gibt uns Veranlassung, Sie aus folgenden Gründen abzumahnen und zukünftig zur Einhaltung Ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten aufzufordern:

Sie sind verpflichtet, Ihre Arbeits- und Fahrtzeiten in einem Arbeitszeitjournal zu erfassen. Dieses haben Sie mehrfach eigenmächtig fehlerhaft ausgefüllt, indem sie Fahrtzeiten am Morgen von ihrem Wohnort zu einem Kunden und am Abend von einem Kunden zu Ihrem Wohnort vollständig als Arbeitszeit erfasst haben.

Für die folgenden Daten haben Sie die gesamte Anfahrts- und Rückfahrtszeit in dem Arbeitszeitjournal als Arbeitszeit erfasst

  • 17.03.2016
  • 18.03.2016
  • 21.03.2016
  • 22.03.2016
  • 23.03.2016
  • 24.03.2016
  • 29.03.2016
  • 30.03.2016
  • 31.03.2016

Nach § 4 der Gesamtbetriebsvereinbarung zur Regelung der Arbeitszeit im technischen Außendienst gilt für die Anfahrtszeit vom Wohnort zu ersten Kunden sowie die Rückfahrtszeit vom letzten Kunden zum Wohnort, dass eine angefallene Anfahrts- und Rückfahrtszeit von jeweils bis zu 30 Minuten als zumutbar anzusehen ist und die angefallene Anfahrts- und Rückfahrtszeit von jeweils 30 Minuten somit nicht als Arbeitszeit erfasst wird“.

Der Kläger hat erstinstanzlich u. a. geltend gemacht, die Abmahnung enthalte eine unrichtige Sachverhaltsdarstellung.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger mit Schreiben vom 21.04.2016 erteilte Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat im Wesentlichen geltend gemacht, die Klage sei bereits unzulässig. Zudem sei die Abmahnung berechtigterweise ausgesprochen worden. Die Mitarbeiter seien nach der GBV verpflichtet, das Zeitjournal wahrheitsgemäß auszufüllen. Hiergegen habe der Kläger verstoßen. Insofern schildere und bewerte die Abmahnung den Sachverhalt zutreffend.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 21.12.2016, auf dessen Tatbestand (Bl. 91 – 93 d. A.) gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ergänzend zur Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, stattgegeben. Hinsichtlich der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 4 – 7 dieses Urteils (= Bl. 93 – 96 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 10.01.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 08.02.2017 Berufung eingelegt und diese der innerhalb ihr mit Beschluss vom 09.03.2017 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 01.04.2017 begründet.

Die Beklagte macht im Wesentlichen geltend, die Klage sei mangels Bestimmtheit unzulässig, da weder in der Klageschrift noch im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 19.10.2016 die Tatsachen beschrieben seien, aufgrund derer der Kläger die Entfernung der Abmahnung begehre. Vielmehr beschränke sich die Klageschrift auf den Hinweis, der Sachverhalt sei unrichtig dargestellt, so dass der Kläger keine Pflichtwidrigkeit begangen habe. Die Klage sei jedoch auch unbegründet. Die Abmahnung gebe den zugrundeliegenden Sachverhalt zutreffend wieder. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts hätte die Rechtsauffassung des Klägers, Arbeitszeiten im Anschluss an eine Entscheidung des EuGH abweichend von den bestehenden Regelungen aufzeichnen zu dürfen, nicht in die Abmahnung aufgenommen werden müssen. Die Auffassung des Arbeitsgerichts, die Abmahnung lasse an den Vorwurf eines versuchten Arbeitszeitbetruges denken, entbehre jeder Grundlage. Die Abmahnung stelle vielmehr ausdrücklich und ausschließlich darauf ab, dass der Kläger die Arbeitszeitjournale eigenmächtig fehlerhaft ausgefüllt habe, indem er die gesamten Anfahrts- und Rückfahrtszeit als Arbeitszeit erfasst habe. Die rechtliche Bewertung, die in der Abmahnung zum Ausdruck komme, sei zutreffend. Jedenfalls habe sie – die Beklagte – die Aufzeichnungen von Arbeitszeiten entgegen den Bestimmungen in der Gesamtbetriebsvereinbarung als Pflichtverletzung bewerten dürfen. § 4 der GBV sei wirksam. Im Übrigen sei der Kläger nicht berechtigt gewesen, eigenmächtig – d. h. ohne Rücksprache und Vereinbarung mit der Beklagten – seine Arbeitszeiteinträge anders als in § 4 der GBV festgelegt, vorzunehmen. Eine abweichende und im Übrigen auch unzutreffende Rechtsauffassung, basierend auf einer Entscheidung des EuGH in anderer Sache, rechtfertige keinen Verstoß gegen die Handlungsanweisungen aus der GBV. Auch aus sonstigen Gründen ergebe sich vorliegend keine Berechtigung des Klägers zur abweichenden Aufzeichnung seiner Arbeitszeiten. Schließlich sei die Abmahnung auch verhältnismäßig. Die Ansicht des Arbeitsgerichts, der Kläger habe mit der Art und Weise des Ausfüllens des Arbeitszeitsjournals letztlich nur Ansprüche geltend gemacht, die er für gegeben halte, verkenne, dass der Kläger mit dem Ausfüllen des Zeitjournals keine Ansprüche geltend gemacht, sondern gegen die Bestimmungen der GBV verstoßen habe. Insoweit handele es sich nicht um eine Geltendmachung, sondern bereits um eine Selbsthilfe im Wege einer Umsetzung seiner Rechtsauffassung. Wenn jeder Mitarbeiter die Arbeitszeitjournale nach eigenem Gutdünken ausfülle, so seien diese für die weitere personalbuchhalterische Verarbeitung nicht mehr verwendbar. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass zwischen dem 01.03 und 01.04.2016 der Vorgesetzte des Klägers diesen mehrfach darauf hingewiesen habe, dass die Arbeitszeitjournale entsprechend den Bestimmungen der GBV auszufüllen seien.

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf deren Berufungsbegründungsschrift vom 21.11.2016 (Bl. 72 – 75 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt, das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderungsschrift vom 16.05.2017 (Bl. 150 – 152 d. A.), auf die Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

I.

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das somit insgesamt zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

II.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

1.

Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere – entgegen der Ansicht der Beklagtenhinreichend bestimmt i. S. v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Das Berufungsgericht folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter I. der Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ausdrücklich fest.

2.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 21.04.2016 aus seiner Personalakte.

Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, und auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an dem Verbleib in der Personalakte besteht (BAG v. 19.07.2012 – 2 AZR 782/11 – AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abmahnung, m. w. N.). Soweit dem Arbeitnehmer eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten vorgeworfen wird, kommt es nicht darauf an, ob dieser Pflichtenverstoß dem Arbeitnehmer subjektiv vorwerfbar ist; es reicht aus, wenn der Arbeitgeber einen objektiven Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten rügt (BAG v. 30.05.1996 – 6 AZR 537/95 – AP Nr. 2 zu § 611 BGB Nebentätigkeit).

Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die Klage als unbegründet.

a)

Die Abmahnung vom 21.04.2016 ist inhaltlich bestimmt. Sie beschreibt einen konkreten Sachverhalt und enthält auch den Vorwurf einer konkreten Pflichtverletzung, nämlich einen Verstoß gegen die in der GBV enthaltenen Bestimmungen zur Dokumentation von Arbeits- und Fahrtzeiten.

b)

Die Abmahnung enthält keine unrichtigen Tatsachenbehauptungen. Der dort wiedergegebene Sachverhalt ist unstreitig insgesamt zutreffend. Die Sachverhaltsschilderung ist auch nicht deshalb unvollständig, weil der Kläger im zeitlichen Zusammenhang mit der Erstellung des Arbeitszeitsjournals für den Monat März 2016 gegenüber der Beklagten die Rechtsauffassung zum Ausdruck gebracht hat, seine Fahrtzeiten seien als Arbeitszeiten zu bewerten. Eine vom Arbeitnehmer zur Rechtfertigung eines etwaigen Pflichtenverstoßes vertretene Rechtsansicht, sei sie zutreffend oder unzutreffend, gehört nicht zum notwendigen Bestandteil einer Abmahnung.

c)

Die Abmahnung beruht nicht auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Klägers.

Dabei kann offen bleiben, ob die Fahrtzeiten von seinem Wohnort zum ersten Kunden und für die Rückfahrt vom letzten Kunden zu seinem Wohnort in vergütungsrechtlicher Hinsicht als Arbeitszeit zu bewerten sind. In diesem Zusammenhang wäre jedoch zu berücksichtigen, dass die Entscheidung des EuGH vom 10.09.2015 – C-266/14 -, auf die der Kläger seine Rechtsansicht stützt, ausschließlich die Bewertung von Fahrtzeiten in arbeitsschutzrechtlicher, nicht hingegen in vergütungsrechtlicher Hinsicht betrifft, und dass – jedenfalls bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen – die Anrechnung einer Zeitersparnis durchaus dann in Betracht kommt, wenn sich der Arbeitnehmer von seiner Wohnung aus unmittelbar zu einem außerhalb gelegenen Arbeitsplatz begeben kann, anstatt den Umweg über den Betrieb nehmen zu müssen (BAG v. 22.04.2009 – 5 AZR 292/08 – AP Nr. 11 zu § 611 BGB Wegezeit). Darüber kann auch durch Arbeitsvertrag eine gesonderte Vergütungsregelung für andere als die eigentliche Tätigkeit und damit auch für Fahrtzeiten zu auswärtigen Arbeitsstellen getroffen werden (BAG v. 12.12.2012 – 5 AZR 355/12 – AP Nr. 41 zu § 611 BGB Arbeitszeit).

Die Beklagte rügt im Abmahnungsschreiben einen Verstoß gegen die in der GBV-Arbeitszeit enthaltenen Vorschriften zur Dokumentation von Arbeits- und Fahrtzeiten. Sie beruht insoweit auf einer zutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Klägers.

Nach § 4 der GBV-Arbeitszeit werden Anfahrtszeiten von bis zu 30 Minuten zum ersten Kunden sowie Rückfahrtszeiten von bis zu 30 Minuten vom letzten Kunden zum Wohnort des Arbeitnehmers nicht als Arbeitszeit erfasst. Ob die betreffende Regelung in der GBV-Arbeitszeit insoweit wirksam ist, als sie Fahrtzeiten in einem bestimmten Umfang von der Vergütungspflicht ausnimmt, ist vorliegend ohne Belang. Sie ist jedenfalls insoweit wirksam, als sie die getrennte Erfassung von An- und Rückfahrtszeiten einerseits und der dazwischenliegenden Zeiten andererseits vorsieht und die Mitarbeiter in § 9 verpflichtet, die betreffenden Zeiten wahrheitsgemäß mit Hilfe der vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Arbeitsmittel/Systeme zu dokumentieren. Als „Arbeitsmittel“ bzw. „System“ im Sinne dieser Vorschrift hat die Beklagte ihren Außendienstmitarbeitern als Zeitjournal bezeichnete Tabellen zur Verfügung gestellt, in welche der Mitarbeiter sowohl seine Fahrtzeit zum ersten Kunden als auch seine Rückfahrt vom letzten Kunden gesondert zu dokumentieren hat. Es obliegt im Übrigen ohnehin grundsätzlich dem Arbeitgeber, darüber zu entscheiden, in welcher Art und Weise der Arbeitnehmer seine Zeiten zu dokumentieren und welche Angaben er dabei zu machen hat.

Gegen diese Dokumentationspflicht hat der Kläger, wie im Abmahnungsschreiben gerügt, verstoßen, indem er bezüglich der in der Abmahnung im Einzelnen genannten Daten die maßgeblichen Fahrtzeiten nicht mehr gesondert dokumentiert, sondern sie im Ergebnis den unter den Spalten „AZ von“ und „AZ bis“ einzutragenden Zeiten zugeschlagen hat.

Das in der Abmahnung gerügte Fehlverhalten des Klägers war auch nicht gerechtfertigt. Soweit der Kläger die Rechtsansicht vertritt, bei den Fahrtzeiten handele es sich um vergütungspflichtige Arbeitszeit, so berechtigte ihn dies nicht, seine Zeitangaben – quasi nach eigenem Gutdünken – abweichend von den Vorgaben der GBV-Arbeitszeit und des ihm zur Verfügung gestellten Formulars zu tätigen.

Die Abmahnung enthält auch kein über den gerügten Pflichtenverstoß hinausgehendes Unwerturteil in Gestalt des Vorwurf eines Arbeitszeitbetruges. Dieser Vorwurf kommt in der Abmahnung nicht ansatzweise zum Ausdruck. Vielmehr hat die Beklagte ausschließlich den Verstoß des Klägers gegen seine Dokumentationspflicht gerügt.

d)

Die Abmahnung ist auch nicht unverhältnismäßig.

Bei Abmahnungen im Arbeitsverhältnis ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Danach ist die Ausübung eines Rechts unzulässig, wenn sie der Gegenseite unverhältnismäßig große Nachteile zufügt und andere, weniger schwerwiegende Maßnahmen möglich gewesen wären, die den Interessen des Berechtigten ebensogut Rechnung getragen hätten oder zumindest zumutbar gewesen wären. Dieser Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird als Übermaßverbot zur Vermeidung von schwerwiegenden Rechtsfolgen bei nur geringfügigen Rechtsverstößen verstanden. Hiernach hat der Arbeitgeber im Rahmen der ihm zustehenden Freiheit der Meinungsäußerung zunächst selbst zu entscheiden, ob er ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers missbilligen will und ob er deswegen eine mündliche oder schriftliche Abmahnung erteilen will (BAG v. 13.11.1991 – 5 AZR 74/91 – AP Nr. 7 zu § 611 BGB Abmahnung, m. w. N.).

Die schriftliche Abmahnung der Beklagten ist nicht unverhältnismäßig im Vergleich zu dem beanstandeten Verhalten. Dass die Beklagte die Abmahnung in die Personalakte des Klägers aufgenommen hat, ist sachgerecht. Es muss ihr überlassen bleiben, ob sie dies aus Beweisgründen für erforderlich hält oder nicht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setzt voraus, dass der Gläubiger – hier also die Beklagte – zwischen verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten wählen kann (Ausweichprinzip). Es ginge zu weit, der Beklagten die Abmahnung und deren Aufnahme in die Personalakte des Klägers zu untersagen, weil man über den erhobenen Vorwurf auch hinwegsehen könnte. Damit würde die Beklagte zwangsläufig zu erkennen geben, sie nehme an der Verletzung der Dokumentationspflicht keinen Anstoß.

Gegen die Verhältnismäßigkeit der streitbefangenen Abmahnung kann auch nicht mit Erfolg eingewandt werden, das Verhalten des Klägers stelle sich letztlich (nur) als Geltendmachung eines Rechts auf Zahlung von Arbeitsvergütung für Fahrtzeiten dar. Der Kläger hatte jederzeit die Möglichkeit, seine etwaigen diesbezüglichen Ansprüche geltend zu machen, ohne hierbei zugleich seine Dokumentationspflichten zu verletzen. Überdies war der Kläger mit E-Mail seines Vorgesetzten vom 19.03.2016 ausdrücklich angehalten worden, die Bestimmungen der GBV-Arbeitszeit bei der Führung seiner Arbeitszeitjournale einzuhalten.

e)

Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte kein schutzwürdiges Interesse mehr hat am Verbleib der zu Recht erteilten Abmahnung in der Personalakte des Klägers, sind – auch im Hinblick darauf, dass seit deren Erteilung erst ca. 1,5 Jahre vergangen sind – nicht gegeben.

III.

Nach alledem war die Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!