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Entschädigung – Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch – Benachteiligung

Landesarbeitsgericht Sachsen – Az.: 5 Sa 414/18 – Urteil vom 11.03.2020

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 28.11.2018 – 1 Ca 1034/18 – wird z u r ü c k g e w i e s e n .

2. Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund seiner Schwerbehinderteneigenschaft hat.

Der am …1980 geborene Kläger legte im Februar 2014 das Erste Staatsexamen ab. Am 05.12.2016 bestand der Kläger das Zweite Juristische Staatsexamen. Beide Prüfungen bestand der Kläger mit der Note „befriedigend“.

Von 2002 bis 2008 war der Kläger als „TV-Redakteur, Künstlermanagement, Journalist“ tätig. Danach arbeitete er bis 2015 als Immobilienmakler.

Von 2004 bis 2007 absolvierte der Kläger eine Berufsausbildung zum Industriekaufmann.

Von Oktober 2006 bis März 2010 studierte der Kläger an der Universität … Rechtswissenschaften.

Im Rahmen eines Weiterbildungsstudiums von Juni 2014 bis Oktober 2016 an der Fernuniversität … erwarb der Kläger den Abschluss „Master of Laws“.

Am 01.06.2014 begann der Kläger das Rechtsreferendariat beim Land … Die Verwaltungsstation absolvierte der Kläger bei der Stadt …

Seit 04.01.2017 betreibt der Kläger eine Rechtsanwaltskanzlei.

Der Kläger ist schwerbehindert mit dem Grad der Behinderung von 50.

Ab 01.04.2017 war der Kläger als freiberuflicher Rechtsanwalt bei der … tätig.

Vom 01.09.2017 bis 28.02.2018 war der Kläger in der Rechtsanwaltskanzlei … tätig. Dem Kläger wurde das Arbeitszeugnis vom 28.02.2018 (Bl. 78 f. d. A.) erteilt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Lebenslauf des Klägers Bezug genommen (Bl. 26 f. d. A.).

Im November 2017 veröffentlichte der Beklagte über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit ein Stellenangebot. Danach sollte zum 01.02.2018 ein „Arbeitsplatz als Führungskraft“ besetzt werden. Nach der Stellenbeschreibung sollte die Stelle als „Amtsleiter/in Rechts- und Kommunalamt“ beim Beklagten besetzt werden. Das Aufgabengebiet sollte die Leitung des Rechts- und Kommunalamtes mit derzeit ca. 20 Bediensteten umfassen. Folgende Anforderungen wurden genannt:

– abgeschlossenes weiterführendes wissenschaftliches Hochschulstudium (Master oder gleichwertiger Abschluss) in der Fachrichtung Rechtswissenschaften bzw. 2. Juristisches Staatsexamen (Volljurist/in),

– mehrjährige einschlägige Berufserfahrung,

– umfassende Rechtskenntnisse in den Aufgabenbereichen, insbesondere

auch der kommunalen Doppik,

– mehrjährige einschlägige Führungserfahrung vorzugsweise in einer vergleichbaren Führungsposition hinsichtlich der Führungsspanne und des Aufgabenbereichs im kommunalen Bereich,

– Führungskompetenzen, insbesondere zielorientierte/kooperative Leitung,

– ausgeprägte Fähigkeiten zum analytischen, konzeptionellen und strategischen Handeln und Denken,

– Bereitschaft zur Tätigkeit auch außerhalb der regulären Arbeitszeit (im Bedarfsfall),

– Pkw-Führerschein und die Bereitschaft zur Nutzung des privaten Pkws für dienstliche Zwecke, sofern kein Dienst-Pkw zur Verfügung steht und die Inanspruchnahme von öffentlichen Verkehrsmitteln unzweckmäßig ist.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Stellenangebot des Beklagten Bezug genommen (Bl. 21 ff. d. A.).

Der Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 11.11.2017 (Bl. 25 d. A.) auf die ausgeschriebene Stelle. Dem Schreiben waren beigefügt neben dem Lebenslauf u. a. Zeugnisse über die erlangten Bildungsabschlüsse sowie auch Stationszeugnisse aus der Referendarzeit (Bl. 28 ff. d. A.).

Mit Schreiben vom 11.04.2018 (Bl. 73 d. A.) teilte der Beklagte mit, dass er sich für einen anderen Bewerber entschieden habe.

Mit Schreiben vom 14.04.2018 (Bl. 74 ff. d. A.) machte der Kläger Ansprüche auf Schadensersatz geltend.

Die Personalsachbearbeiterin Frau … hatte die Aufgabe, die Daten der 24 Stellenbewerber tabellarisch zu erfassen.

Entschädigung - Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch - Benachteiligung
(Symbolfoto: Von Pixel-Shot/Shutterstock.com)

Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, dass er gemäß § 15 Abs. 2 AGG Anspruch auf eine Entschädigung habe. Der Beklagte habe den Kläger aufgrund seiner Bewerbung nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Der Beklagte habe den Kläger daher wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Die Einladung sei auch nicht wegen seiner Schwerbehinderteneigenschaft entbehrlich gewesen. Die fachliche Eignung des Klägers habe nicht offensichtlich gefehlt.

Der Kläger habe 2009 ein Rechtspraktikum beim … absolviert und dabei zahlreiche Widerspruchs- und Klagverfahren bearbeitet. Der Kläger habe eine mehrjährige Erfahrung in der Verwaltung gesammelt. Er verfüge über eine vertiefte Kenntnis des buchhalterischen Rechnungswesens. Er verfüge auch über Führungserfahrung. In seiner selbständigen Tätigkeit in einer eigenen Medienagentur und im Rahmen eines eigenen Immobilienbüros habe er freiberuflich Mitarbeiter geführt. In seiner Rechtsanwaltskanzlei führe er seit April 2018 zwei freiberufliche Mitarbeiter. Bei der Tätigkeit in der Kanzlei … habe der Kläger das Dezernat Sozial- und Verwaltungsrecht geleitet und dabei vier Mitarbeiter geführt.

Der Beklagte habe die Schwerbehindertenvertretung bei der Prüfung der Eignung des Arbeitsplatzes für Schwerbehinderte nicht beteiligt. Der Kläger hat bestritten, dass der Beklagte die Bewerbung des Klägers an die Schwerbehindertenvertretung weitergeleitet habe.

Der Kläger hat bestritten, dass der Beklagte die Bundesagentur für Arbeit eingeschaltet hat.

Der Kläger hat bestritten, dass die Mitarbeiterin Frau … die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers übersehen hat.

Der Kläger habe Anspruch auf drei Bruttomonatsgehälter.

Der Kläger hat erstinstanzlich folgenden Klageantrag gestellt:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.727,01 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.04.20i8 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen, dass der Kläger keinen Anspruch auf eine Entschädigung habe. Der Beklagte hat die Angaben des Klägers zu seiner beruflichen Vita mit Nichtwissen bestritten. Die Personalsachbearbeiterin Frau … habe unbeabsichtigt die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers nicht erfasst. Der Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Der Kläger habe die Anforderungen der Stellenausschreibung offensichtlich nicht erfüllt. Dies ergebe sich aufgrund der Bewerbungsunterlagen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG habe. Der Kläger erfülle offensichtlich nicht die im Anforderungsprofil des Beklagten genannten Anforderungen für die ausgeschriebene Position des Rechtsamtsleiters. Der Kläger verfüge nicht über eine mehrjährige einschlägige Berufserfahrung. Die vom Kläger angeführten Tätigkeiten erfolgten entweder ehrenamtlich oder im Rahmen einer Ausbildung. Der Kläger verfüge erst seit etwa einem Jahr über eine Anwaltszulassung und damit insoweit über eine einschlägige Berufserfahrung.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 28.11.2018 – 1 Ca 1034/18 – wurde dem Kläger am 07.12.2018 zugestellt. Der Kläger hat mit am gleichen Tag eingehendem Schriftsatz vom 10.12.2018 Berufung eingelegt und diese mit am 13.02.2019 eingehendem Schriftsatz vom 12.02.2019, damit innerhalb der bis zum 07.03.2019 verlängerten Berufungsbegründungsfrist, begründet.

Der Kläger trägt zur Begründung der Berufung vor, dass er nicht ungeeignet, insbesondere auch nicht offensichtlich ungeeignet gewesen sei. Er könne die vom Beklagten geforderten beruflichen Abschlüsse vorweisen. Als schwerbehinderter Bewerber, worüber er den Beklagten durch Vorlage seines Schwerbehindertenausweises unterrichtet hat, sei der Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen gewesen. Hierbei wäre ihm ermöglicht worden, seine Führungskompetenz darzulegen. Der Kläger habe vom 01.09.2017 bis 28.02.2018 als Schwangerschaftsvertreter des Verwaltungs- und Sozialrechtsdezernat der Kanzlei … geleitet und vier Kanzleimitarbeiter geführt. Auch während seiner Selbständigkeit vor und während des Studiums habe der Kläger eigene Mitarbeiter gehabt. Der Kläger verfüge damit über eine Führungserfahrung von zehn Jahren. Er verfüge über die verlangte Berufserfahrung. In der Stellenausschreibung sei nicht erwähnt, dass nur hauptamtlich ausgeführte Tätigkeiten Berücksichtigung finden sollen. Auch ergebe sich nicht, dass Tätigkeiten im Rechtsreferendariat und in Praktika unberücksichtigt bleiben sollen. Auch sei unerwähnt, dass die Berufserfahrung mit Absolvierung des Zweiten Staatsexamens erlangt worden sein müsse. Der Kläger habe vor und während des Referendariats eine umfangreiche Berufserfahrung bei öffentlichen Arbeitgebern erlangt. Von Dezember 2016 bis März 2017 habe der Kläger bei Rechtsanwalt … freiberuflich als Rechtsanwalt gearbeitet.

Der Kläger bestreitet, dass der Beklagte die Schwerbehindertenquote erfüllt. Das Unterlassen der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung stelle ein Indiz gemäß § 22 AGG dar. Es spreche mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Benachteiligung, wenn der Arbeitgeber vor der Besetzung der Stelle nicht frühzeitig mit der Bundesagentur Verbindung aufgenommen hat.

Der Kläger stellt folgende Anträge:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 28.11.2018 – 1 Ca 1034/18 – wird abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, jedoch mindestens 4.575,67 € (ein Monatsgehalt), zzgl. fünf Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz dem 28.04.2018 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, Zurückweisung der Berufung.

Der Beklagte nimmt auf sein erstinstanzliches Vorbringen Bezug und trägt weiter vor, dass der Kläger keinen Anspruch auf Entschädigung habe. § 13 AGG sei auf abgelehnte Bewerber nicht anwendbar. Frau … habe die Bewerberliste – wie immer – an den Personalrat und die Schwerbehindertenvertretung geschickt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beiderseits vorgelegten Schriftsätze, insbesondere vom 12.02., 15.04., 24.07., 04.10. und 24.10.2019 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

I.

Die Berufung ist zulässig.

Die Berufung ist statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG). Die Berufung ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung ist nicht begründet.

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.

1. Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus; er ist verschuldensunabhängig.

a) Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG untersagt im Anwendungsbereich des AGG eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, u. a. wegen einer Behinderung. Zudem dürfen Arbeitgeber nach § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen.

b) § 7 Abs. 1 AGG verbietet sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, u. a. einer Behinderung, eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

aa) Im Hinblick auf eine zu treffende Auswahlentscheidung des Arbeitgebers befinden sich Personen grundsätzlich bereits dann in einer vergleichbaren Situation, wenn sie sich für dieselbe Stelle beworben haben. Bereits deshalb kommt es – sofern ein Bewerber vorab ausgenommen und damit vorzeitig aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschlossen wurde – nicht zwangsläufig auf einen Vergleich mit dem/der letztlich eingestellten Bewerber/in an.

bb) Eine Benachteiligung im Rahmen einer Auswahlentscheidung, insbesondere bei einer Einstellung oder Beförderung, liegt bereits dann vor, wenn der Beschäftigte nicht in die Auswahl einbezogen, sondern vorab ausgeschieden wird. Die Benachteiligung liegt hier in der Versagung einer Chance. Bewerber/innen haben Anspruch auf ein diskriminierungsfreies Bewerbungs-Stellenbesetzungsverfahren. Sind bereits die Chancen einer Bewerberin/eines Bewerbers durch ein diskriminierendes Verfahren beeinträchtigt worden, kommt es regelmäßig nicht mehr darauf an, ob eine nach § 1 AGG verbotene Anknüpfung bei der sich an das Auswahlverfahren anschließenden Einstellungsentscheidung noch eine nachweisbare Rolle gespielt hat. Deshalb ist es auch ohne Bedeutung, ob es später im Zuge des Auswahlverfahrens tatsächlich zu einer Einstellung oder Beschäftigung kommt.

c) Für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen sieht § 22 AGG eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat (BAG, Urteil vom 20.01.2016 – 8 AZR 194/15 – AP Nr. 12 zu § 22 AGG).

Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Der Arbeitgeber muss demnach Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben. In dem Motivbündel des (potentiellen) Arbeitgebers darf der betreffende Grund weder als negatives noch der fehlende Grund als positives Kriterium enthalten gewesen sein (BAG, Urteil vom 20.01.2016 a. a. O.).

2. Von diesen Grundsätzen ausgehend ergibt sich, dass der Kläger nicht wegen der Behinderung benachteiligt worden ist.

a) Eine Benachteiligung ergibt sich nicht daraus, dass der Kläger auf seine Bewerbung hin nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist (§ 165 Satz 3 SGB IX).

aa) Bewirbt sich ein schwerbehinderter Mensch bei einem öffentlichen Arbeitgeber um eine zu besetzende Stelle, so hat dieser ihn nach § 165 Satz 2 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Nach § 165 Satz 4 SGB IX ist eine Einladung nur entbehrlich, wenn dem schwerbehinderten Menschen die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Damit muss der öffentliche Arbeitgeber im Grundsatz einem sich bewerbenden schwerbehinderten Menschen die Chance eines Vorstellungsgesprächs auch dann gewähren, wenn dessen fachliche Eignung zwar zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Die Verletzung der in § 165 Satz 3 SGB IX geregelten Verpflichtung eines öffentlichen Arbeitgebers, eine/n schwerbehinderten Bewerber/in zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, begründet grundsätzlich die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung. Die Pflichtverletzung ist grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht interessiert zu sein (BAG, Urteil vom 20.01.2016 a. a. O.).

bb) Für die Frage, ob dem Bewerber die fachliche Eignung offensichtlich fehlt, ist im öffentlichen Dienst auf die veröffentlichte Stellenbeschreibung abzustellen, denn mit dem veröffentlichten Anforderungsprofil bestimmt der öffentliche Arbeitgeber den Umfang seiner verfahrensrechtlichen Verpflichtung (BAG, Urteil vom 16.02.2012 – 8 AZR 697/10 – AP Nr. 4 zu § 22 AGG). Der öffentliche Arbeitgeber hat im Anforderungsprofil die formalen Voraussetzungen, fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie außerfachlichen Kompetenzen zu beschreiben, die ein Bewerber für eine erfolgreiche Bewältigung der künftigen Tätigkeit benötigt und die dementsprechend der leistungsbezogenen Auswahl zugrunde zu legen sind. „Offensichtlich“ fachlich nicht geeignet ist, wer „unzweifelhaft“ insoweit nicht dem Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspricht. Bloße Zweifel an der fachlichen Eignung rechtfertigen es nicht, von einer Einladung abzusehen, weil sich Zweifel im Vorstellungsgespräch ausräumen lassen können. Der schwerbehinderte Mensch soll die Chance haben, sich in einem Vorstellungsgespräch zu präsentieren und den öffentlichen Arbeitgeber von seiner Eignung zu überzeugen (BAG, Urteil vom 11.08.2016 – 8 AZR 375/15 – AP Nr. 2 zu § 82 SGB IX). Ob der schwerbehinderte Mensch für die zu besetzende Stelle offensichtlich fachlich ungeeignet ist, ist anhand eines Vergleichs zwischen dem Anforderungsprofil und dem (fachlichen) Leistungsprofil des Bewerbers oder der Bewerberin zu ermitteln. Lassen bereits die Bewerbungsunterlagen zweifelsfrei erkennen, dass die durch das Anforderungsprofil zulässig vorgegebenen fachlichen Kriterien nicht erfüllt werden, besteht für den öffentlichen Arbeitgeber keine Verpflichtung, den schwerbehinderten Menschen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (BAG, Urteil vom 11.08.2016 a. a. O.).

cc) Der Kläger ist für die ausgeschriebene Tätigkeit offensichtlich ungeeignet i. S. v. § 165 Satz 2 SGB IX.

aaa) Das Stellenangebot des Beklagten betrifft die Stelle des Amtsleiters/in Rechts- und Kommunalamt (Jurist/in). Nach dem Anforderungsprofil erwartete der Beklagte neben einem „abgeschlossenen weiterführenden wissenschaftlichen Hochschulstudium in der Fachrichtung Rechtswissenschaften bzw. Zweites Juristisches Staatsexamen (Volljurist/in)“ und weiteren Anforderungen eine „mehrjährige einschlägige Berufserfahrung“, eine „mehrjährige einschlägige Führungserfahrung vorzugsweise in einer vergleichbaren Führungsposition hinsichtlich der Führungsspanne und des Aufgabenbereichs im kommunalen Bereich“ sowie „Führungskompetenzen, insbesondere zielorientierte/kooperative Leitung“. In der weiteren Beschreibung des Stellenangebots wird die Führungserfahrung mit einer Dauer von „zwei bis fünf Jahren“ und die Personalverantwortung mit „zehn bis 49 Mitarbeitern/innen“ konkretisiert.

bbb) Der Kläger erfüllt die Anforderungen an die Berufserfahrung und auch an die Führungserfahrung zweifelsfrei nicht.

aaaa) Der Kläger verfügt offensichtlich nicht über eine „mehrjährige einschlägige Berufserfahrung“.

(1) Eine einschlägige Berufserfahrung ist eine berufliche Erfahrung in der zu übertragenden Tätigkeit oder einer auf die Aufgabe bezogenen entsprechenden Tätigkeit (vgl. BAG zur Stufenzuordnung, Urteil vom 17.12.2015 – 6 AZR 432/14 – AP Nr. 10 zu § 16 TV-L). Aus dem Teilbegriff „Beruf“ folgt weiter, dass nur Zeiten im ausgeübten Beruf und nicht im Rahmen der vorausgehenden Berufsausbildung zu berücksichtigen sind.

(2) Der Kläger hat am 05.12.2016 mit Ablegen des Zweiten Juristischen Staatsexamens die geforderte berufliche Qualifikation erlangt. Nach diesem Zeitpunkt war der Kläger als Rechtsanwalt tätig, selbständig und auch vorübergehend in anderen Anwaltskanzleien. Diese als einschlägig anzusehende Berufserfahrung weist eine Dauer von ca. einem Jahr bis zur Bewerbung des Klägers auf.

Der Kläger verfügt damit nicht über eine „mehrjährige“ Berufserfahrung. Soweit sich der Kläger auch auf Zeiten im Rahmen seiner Berufsausbildung, insbesondere auf Ausbildungsstationen als Rechtsreferendar beruft, sind dies Zeiten ohne Bedeutung. Die hierin erlangten Fähigkeiten dienten der Erlangung des Berufsabschlusses und stellen ihrerseits keine Zeiten einer Berufstätigkeit und damit einer Berufserfahrung dar. Soweit der Kläger vor und während seines Studiums andere Tätigkeiten ausgeübt hat, handelt es sich insoweit zwar um Berufstätigkeiten, in denen er dementsprechend berufliche Erfahrungen gesammelt hat. Allerdings ergeben sich insoweit keine „einschlägigen“ Berufserfahrungen.

bbbb) Der Kläger verfügt ohne Zweifel auch nicht über eine „mehrjährige einschlägige Führungserfahrung“.

(1) Der Beklagte hat die Anforderungen an die Führungserfahrung in der Stellenausschreibung näher konkretisiert. Sie sollte „mehrjährig“ erlangt und „einschlägig“ sein. Die einschlägige Führungserfahrung sollte sich (quantitativ) aus der „Führungsspanne“ (Anzahl der unterstellten Mitarbeiter) sowie (qualitativ) aus den Aufgabenbereichen im kommunalen Bereich ergeben. Dass der Beklagte auf eine „vorzugsweise in einer vergleichbaren Führungsposition“ erlangten Führungserfahrung ergänzend hingewiesen hat, ist für die Beurteilung der offensichtlichen Nichteignung unbeachtlich. Der Beklagte hat damit kein unerlässliches Kriterium genannt.

(2) Der Kläger hat Führungserfahrung erworben. Sowohl als selbständiger als auch für andere Kanzleien tätiger Rechtsanwalt hatte der Kläger Weisungsbefugnisse gegenüber Mitarbeitern(innen).

Diese Führungserfahrung ist allerdings nicht mehrjährig. Sie weist eine Dauer von max. einem Jahr auf.

Sie ist auch nicht einschlägig. Der Beklagte hat die Anforderung quantitativ in Bezug auf die „Führungsspanne“ definiert. Die Frage der Einschlägigkeit betrifft die Anforderungen an die zu besetzende Stelle. Die Stelle des Amtsleiters(in) ist nach der Stellenausschreibung mit einer Führungsverantwortung für ca. 20 Mitarbeiter verbunden. Nach den Angaben des Klägers bezogen sich die in seiner Anwaltstätigkeit ausgeübten Weisungsbefugnisse auf eine nur geringe Mehrzahl von Mitarbeiter(innen), die deutlich unter der vom Beklagten mitgeteilten „Führungsspanne“ gelegen haben.

Unbeachtlich sind Führungserfahrungen des Klägers, die er außerhalb seiner anwaltlichen Tätigkeit erlangt hat. Der Beklagte hat mit dem Stellenangebot auf eine einschlägige Führungserfahrung „hinsichtlich des Aufgabenbereichs im kommunalen Bereich“ hingewiesen. Diese Anforderung erfüllt die unternehmerische, nicht juristische Tätigkeit des Klägers nicht. Zudem sind auch insoweit die quantitativen Anforderungen nicht erfüllt.

Der Beklagte war damit nicht verpflichtet, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.

3. Eine Indizwirkung nach § 22 AGG ergibt sich nicht daraus, dass der Beklagte die Schwerbehindertenvertretung nicht über die Bewerbung des Klägers unterrichtet haben soll.

a) Nach § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX hat der Arbeitgeber u. a. die Schwerbehindertenvertretung über Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen zu unterrichten.

b) Der Beklagte hat hierzu ausgeführt, dass die bei ihm bestehende Schwerbehindertenvertretung über die Bewerberdaten einschließlich derjenigen des Klägers unterrichtet worden ist. Der Schwerbehindertenvertretung war damit auch – über einen Link – der Zugang zu den Bewerbungsunterlagen des jeweiligen Bewerbers ermöglicht.

4. Der Beklagte hat seiner sich aus § 164 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ergebenden Verpflichtung genügt, mit schwerbehinderten Menschen besetzbare freie Arbeitsplätze zu melden. Dies folgt daraus, dass der Beklagte über die Bundesagentur für Arbeit das Stellenangebot veröffentlicht hat.

5. Eine Vermutungswirkung ergibt sich schließlich nicht deshalb, weil der Beklagte die Beschwerde des Klägers vom 14.04.2018 letztlich nicht beantwortet hat.

a) Nach § 13 Abs. 1 AGG haben die Beschäftigten das Rechts, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs, des Unternehmens oder der Dienststelle zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrem Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, von Vorgesetzten, anderen Beschäftigten oder Dritten wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt führen. Die Beschwerde ist zu prüfen und das Ergebnis der oder dem Beschwerde führenden Beschäftigten mitzuteilen.

b) Die Nichtbeantwortung der Mitteilung vom 14.04.2018 stellt kein Indiz für ein diskriminierendes Verhalten dar.

aa) Die Mitteilung vom 14.04.2018 stellt keine Beschwerde i. S. v. § 13 AGG dar. Der Kläger weist zwar auf seine Bewerbung, seine Schwerbehinderteneigenschaft sowie die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch hin. Der Kläger beruft sich allerdings (noch) nicht auf eine Benachteiligung. Der Kläger erkundigt sich lediglich nach den Gründen für die unterbliebene Einladung zum Vorstellungsgespräch.

bb) § 13 AGG dient der innerbetrieblichen Streitbeilegung. Daher ist die Vorschrift auf Bewerber grundsätzlich nicht anzuwenden (Adomeit/Mohr, AGG, 2. Auflage, § 13 Rn. 11). Dies folgt nach dem Wortlaut der Bestimmung daraus, dass ein Bewerber (noch) nicht über ein Beschäftigungsverhältnis verfügt, in welchem er sich benachteiligt fühlen könnte.

Die Berufung bleibt daher ohne Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Entschädigung.

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, § 97 ZPO, wonach der Kläger die Kosten der erfolglosen Berufung zu tragen hat.

C.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 

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