Skip to content

Entschädigung wegen Benachteiligung im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens

Diskriminierung im Bewerbungsverfahren: Ein Fall von Benachteiligung wegen Schwerbehinderung?

In einem aktuellen Fall vor dem Landesarbeitsgericht Köln war die zentrale Frage, ob ein Bewerber wegen seiner Schwerbehinderung im Bewerbungsprozess benachteiligt wurde. Der Kläger, ein promovierter Hochschulabsolvent mit Schwerbehinderung und umfangreicher beruflicher Erfahrung, sah sich nach seiner Ablehnung für eine Position bei einem großen IT-Dienstleistungsunternehmen ungerecht behandelt. Er behauptete, dass seine Qualifikationen für die ausgeschriebene Stelle als „(Senior) Agile Coach/Agilist“ völlig ausreichend waren und dass seine Ablehnung aufgrund seiner Behinderung erfolgt sei.

Direkt zum Urteil Az: 11 Sa 1172/20 springen.

Der Weg zur Klage

Nachdem der Kläger die Ablehnung seiner Bewerbung erhielt, machte er geltend, dass er aufgrund seiner Schwerbehinderung diskriminiert wurde und forderte eine Entschädigung. In dem Versuch, eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden, bot der Kläger dem Unternehmen an, ihm zwei Monatsgehälter (insgesamt 10.000 Euro) als Entschädigung zu zahlen. Als das Unternehmen lediglich 2.500 Euro anbot, reichte der Kläger eine Klage beim Arbeitsgericht ein.

Erstes Urteil und Berufung

Zunächst wurde die Klage vom Arbeitsgericht Aachen abgewiesen. Der Kläger ließ sich davon jedoch nicht entmutigen und ging in Berufung vor das Landesarbeitsgericht Köln. Dort wurde das vorherige Urteil aufgehoben und der Fall erneut verhandelt.

Das endgültige Urteil

In seiner endgültigen Entscheidung verurteilte das Landesarbeitsgericht Köln die Beklagte, eine Entschädigung in Höhe von 7.500 Euro an den Kläger zu zahlen, zuzüglich Zinsen seit dem Tag der Klageeinreichung. Des Weiteren wurde bestimmt, dass der Kläger ein Viertel und die Beklagte drei Viertel der Kosten des Rechtsstreits zu tragen haben. Eine Revision wurde nicht zugelassen.

Dieser Fall zeigt, dass auch in heutigen Zeiten die Problematik der Diskriminierung bei der Arbeitsplatzvergabe noch präsent ist. Trotz aller Fortschritte im Bereich der Gleichberechtigung und Inklusion können sich behinderte Menschen immer noch mit Vorurteilen und Ungerechtigkeiten konfrontiert sehen. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, das Bewusstsein für dieses Thema zu stärken und für Chancengleichheit im Arbeitsmarkt zu sorgen.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 11 Sa 1172/20 – Urteil vom 30.06.2021

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 25.06.2020 – 7 Ca 218/20 – abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 7.500,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 31.01.2020 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu ¼ und die Beklagte zu ¾.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung wegen der (Schwer-)Behinderung zu zahlen.

Der am .1965 geborene schwerbehinderte Kläger ist promovierter Hochschulabsolvent im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften. Nach seiner Promotion im Jahre 1998 war er für als Angestellter und Selbständiger u. a. in den Bereichen Consulting, Coaching und Projektbetreuung bzw. Projektleitung tätig, seit dem Jahre 2007 überwiegend in der Informationstechnik. Wegen der weiteren Einzelheiten des beruflichen Werdeganges und der Qualifikationen des Klägers wird auf Bl. 14 ff. d. A. Bezug genommen. Seit dem Mai 2019 ist der Kläger arbeitssuchend.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der IT-Dienstleistungsbranche mit über 4.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz im Jahre 2019 von etwa 449,7 Mio. Euro.

Die Beklagte hat am 09.08.2019 eine Stellenausschreibung für die Position „(Senior) Agile Coach/Agilist (m/w/d)“ veröffentlicht. Wegen der Einzelheiten des Inhalts der Stellenanzeige wird auf Bl. 11 ff. d. A. Bezug genommen.

Die Beklagte hat hinsichtlich der ausgeschriebenen Stelle der Bundesagentur für Arbeit (BA) keinen Vermittlungsauftrag erteilt, auch besteht kein Kooperationsvertrag mit der BA. Die Stellenanzeige gelangte über einen beauftragten privaten Dienstleister (Rexx systems nebst angeschlossener Jobbörse ) automatisch an die Online-Jobbörse der BA. Dort sind die Stellen unter Angabe des Titels des Stellenangebots, Veröffentlichkeitsdatum, Arbeitgeber, Arbeitsort und Entfernung zum Arbeitsort hinterlegt und mit einem Link versehen, der es ermöglicht, die konkrete Stellenanzeige abzurufen.

Auf die Stellenausschreibung vom 09.08.2019 hat sich der Kläger über das Portal s mit E-Mail vom 14.08.2019 unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung und unter Beifügung von Lebenslauf, Arbeitszeugnissen und Qualifikationsnachweisen beworben (Bl. 14 ff. d. A.).

Mit E-Mail vom 23.08.2019 und vom 26.08.2019 (Bl. 58 f. d. A.) hat die Beklagte auf Nachfrage dem Kläger sinngemäß mitgeteilt, dass sein Qualifikationsprofil nicht hinreichend mit dem Anforderungsprofil der zu besetzenden Position übereinstimme.

Mit Schreiben vom 19.10.2019, der Beklagten am 20.10.2019 zugegangen, hat der Kläger u. a. geltend gemacht, dass er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden sei und die Zahlung einer Entschädigung von zwei Monatsgehältern (10.000,00 Euro) zur Vermeidung eines gerichtlichen Verfahrens angeboten (Bl. 60 f. d. A.). Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 03.01.2020 (Bl. 67 f. d. A.) ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung eine Entschädigung von 2.500,00 Euro angeboten hatte, hat der Kläger am 20.01.2020 eine Entschädigungsklage beim Arbeitsgericht eingereicht, die der Beklagten am 30.10.2019 zugestellte wurde.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 25.06.2020 (Bl. 206 ff. d. A.) die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die BA habe von der Stellenanzeige durch Einstellen in die Online-Jobbörse Kenntnis erlangt, auch wennl kein betreuter Vermittlungsauftrag erteilt worden sei. Zudem habe die Beklagte hinreichend dargetan, dass der Kläger im Hinblick auf die Anwendung agiler Methoden nicht dem Anforderungsprofil genüge. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbingens sowie der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das ihm am 28.11.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07.12.2020 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe durch das Unterlassen eines Vermittlungsauftrags ihre Konsultations- und Mitteilungspflicht verletzt, wodurch eine Benachteiligung wegen der (Schwer-)Behinderung indiziert sei. Ein benachteiligungsfreies Auswahlverfahren habe die Beklagte nicht dargetan. Hinsichtlich der Höhe der Entschädigung sei u.a. zu berücksichtigen, dass sich die privatwirtschaftlich tätige Beklagte, die weniger als 5 % Personen mit Schwerbehinderung beschäftige, durch die Nichtbeschäftigung von behinderten Personen einen erheblichen Wettbewerbs- und Kostenvorteil verschaffe.

Der Kläger beantragt zuletzt, das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 25.06.2020 – 7 Ca 218/20 – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG, mindestens aber ein Monatsgehalt entsprechend 5.000,00 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz an den Kläger zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Das Fehlen eines Vermittlungsauftrags sei allenfalls ein schwaches Indiz für eine Benachteiligung. Ein sachlicher Zusammenhang mit der Beschäftigungsquote behinderter Personen bestehe nicht. Die Einschaltung der BA sei in der IT-Branche de facto nicht erfolgversprechend. Zudem habe sich der unterlassene Vermittlungsauftrag nicht ausgewirkt, denn der Kläger habe sich über s selbst beworben und sei wegen fehlender Eignung nicht eingestellt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 04.12.2020, 12.02.2021 und 28.05.2021, die Sitzungsniederschrift vom 30.06.2021 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und sie wurde ordnungsgemäß innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.

II. Die Berufung ist im tenorierten Umfang begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, an den Kläger gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG wegen eines immateriellen Schadens eine Entschädigung in Höhe von 7.500,– Euro zu zahlen.

1. Die auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gerichtete Klage ist zulässig, insbesondere ist der Klageantrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Kläger durfte die Höhe der von ihm begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen (vgl. hierzu: BAG Urt. v. 29.04.2021 – 8 AZR 279/20 – m. w. N.). Die Vorschrift des § 15 Abs. 2 AGG räumt dem Gericht bei der Bestimmung der Höhe der Entschädigung einen Ermessensspielraum ein, weshalb eine konkrete Bezifferung des Zahlungsantrags nicht notwendig ist. Der Kläger hat auch Tatsachen dargetan, die das Gericht bei der Festlegung der Höhe der Entschädigung heranziehen soll. Er hat einen aus seiner Sicht nicht zu unterschreitenden Mindestbetrag ebenso benannt wie das ´erzielbare Bruttomonatsgehalt auf der ausgeschriebenen Stelle von ca. 5.000,– Euro.

2. Das Entschädigungsbegehren hat der Kläger frist- und formgerecht geltend gemacht und eingeklagt (§§ 15 Abs. 4 AGG, 61b Abs. 1 ArbGG). Nach der Absage vom 23.08.2019 hat der Kläger binnen zwei Monate mit Schreiben vom 19.10.2019, der Beklagten am 20.10.2019 zugegangen, den Entschädigungsanspruch geltend gemacht und sodann mit der am 20.01.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage weiter verfolgt.

3. Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist für den Kläger als Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG eröffnet. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass er eine Bewerbung eingereicht hat, denn § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG enthält einen formalen Bewerberbegriff (vgl. u.a.: BAG, Urt. v. 19.05.2016 – 8 AZR 470/14 – m. w. N.).

4. Der Kläger hat durch seine Nichtberücksichtigung im Einstellungsverfahren eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG erfahren.

a) Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus, wobei § 7 Abs. 1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen (§ 3 Abs. 1, Abs. 2 AGG) verbietet. Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG untersagt im Anwendungsbereich dieses Gesetzes eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, u.a. wegen einer Behinderung. Zudem dürfen Arbeitgeber nach § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu nach § 164 Abs. 2 Satz 2 SGB IX die Regelungen des AGG. Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der Benachteiligung und einem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Dasselbe gilt für das besondere Benachteiligungsverbot in § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Auch hier muss zwischen der Benachteiligung und dem Grund – hier der Schwerbehinderung – ein Kausalzusammenhang bestehen. Soweit es – wie im Streitfall – um eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG geht, ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund iSv. § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG an einen Grund iSv. § 1 AGG bzw. die (Schwer-)Behinderung anknüpft oder durch diese/n motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt. Die Vorschrift des § 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast (Vollbeweis) dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Es müssen Indizien vorgetragen werden, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Dabei sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen. Die andere Partei muss dann Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben. Der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer-)Behinderung. Diese Pflichtverletzungen sind grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein (BAG Urt. v. 29.04.2021 – 8 AZR 279/20 – m. w. N.).

b) Die Beklagte hat weder gesondert geprüft, ob die ausgeschriebene Stelle mit einer schwerbehinderten Person besetzt werden konnte noch hat sie frühzeitig in geeigneter Art und Weise Verbindung mit der BA aufgenommen und den freien Arbeitsplatz gemeldet (§ 164 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 SGB IX). Die Meldepflicht soll gewährleisten, dass der Arbeitgeber von der BA Kenntnis über geeignete schwerbehinderte Bewerber für die freie Stelle erhält. Damit soll möglichst vielen geeigneten schwerbehinderten Menschen die Möglichkeit gegeben werden, Arbeit zu finden. Es handelt sich um gesetzlich vorgesehene Instrumente zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter und ihnen gleichgestellter Menschen am Arbeitsleben (vgl. zum inhaltsgleichen § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX a.F.: BAG, Urt. v. 12.09.2006 – 9 AZR 807/05 – m. w. N.). Die Verbindungsaufnahme mit der BA muss sach- und zweckgerecht erfolgen. Es bedarf der Angaben der Daten, die für einen qualifizierten Vermittlungsvorschlag seitens der BA erforderlich sind, wie etwa die Mitteilung der konkreten Stellenbeschreibung oder des Anforderungsprofils (LPK-SGB IX/Franz Josef Düwell, 5. Aufl. 2019, SGB IX § 164 Rn. 139 m. w. N.). Die BA oder der Integrationsfachdienst sind ihrerseits nach § 164 Abs. 1 Satz 3 SGB IX verpflichtet, auf der Basis des Anforderungsprofils bzw. der Stellenbeschreibung geeignete Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten. Der Arbeitgeber kann entweder seine konkrete Betreuungsperson bei der BA informieren oder das Online-Portal der BA nutzen (Kleinebrink DB 2019, 1505,1506). Die bloße Weiterleitung einer Stellenausschreibung an die Online-Jobbörse der BA, ohne gesonderten Vermittlungsauftrag, ist unzureichend, denn bei ihr ihr ist nicht sicher gestellt, dass die zuständige Vermittlungsperson der BA in geeigneter Art und Weise Kenntnis von dem freien Arbeitsplatz erlangt und in die Lage versetzt wird, einen sachgerechten Vermittlungsvorschlag zu unterbreiten (LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 21.08.2014 – 10 TaBV 671/14 -; BeckOK SozR/Brose, 60. Ed. 01.03.2021, SGB IX § 164 Rn. 9; Fabricius in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 164 SGB IX Rn. 19; Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann/Kohte, 6. Aufl. 2019, SGB IX §§ 164, 165 Rn. 5 jew. m.w.N.). Da die Beklagte weder ihre Prüfpflicht noch ihre Mitteilungspflicht ordnungsgemäß erfüllt hat, ist die Vermutung einer Benachteiligung des Klägers wegen einer (Schwer-)Behinderung gegeben.

5. Die Beklagte hat nicht hinreichend dargelegt, dass die zu vermutende Benachteiligung des Klägers im Bewerbungsverfahren ausschließlich auf anderen Gründen als die der (Schwer-)Behinderung beruht.

a) Der Arbeitgeber kann eine Vermutung nach § 22 AGG widerlegen, indem er darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass die klagende Partei eine formale Qualifikation nicht aufweist oder eine formale Anforderung nicht erfüllt, die unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit an sich ist. In einem solchen Fall kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass die Bewerbung ausschließlich aus diesem Grund ohne Erfolg blieb. Es fehlt dann am Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligenden Behandlung und einem in § 1 AGG genannten Grund. Ebenso kann der Arbeitgeber die Vermutung der Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes dadurch widerlegen, dass er substantiiert dazu vorträgt und im Bestreitensfall beweist, dass er bei der Behandlung aller Bewerbungen nach einem bestimmten Verfahren vorgegangen ist, das eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes ausschließt (BAG, Urt. v. 25.10.2018 – 8 AZR 501/14 – m. w. N.)

b) Die Beklagte hat nicht hinreichend substantiiert dargelegt , dass der Kläger mangels formaler, unverzichtbarer Qualifikation für die Ausübung der ausgeschriebenen Tätigkeit ungeeignet ist, sondern sich auf mangelnde Erfahrung im Bereich des agilen Coachings berufen. Ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren, welches eine Benachteiligung ausschließt (vgl. hierzu auch: BAG, Urt. v. 11.08.2016 – 8 AZR 4/15 -), ist ihrem Vorbringen nicht zu entnehmen. Sie hat nicht dargetan, dass sie z.B. ausnahmslos alle Bewerbungen in einem ersten Schritt daraufhin gesichtet hat, ob die Bewerber eine zulässigerweise gestellte Anforderung erfüllen und dass sie alle Bewerbungen von vornherein aus dem weiteren Auswahlverfahren herausgenommen hat, bei denen dies nicht der Fall war. Sie trägt auch nicht vor, wie viele Bewerbungen eingegangen sind, welche Bewerber aus demselben Grund ebenso aus dem Auswahlverfahren ausgenommen wurden, welche Bewerber, weil sie die Anforderung erfüllten, im weiteren Auswahlverfahren verblieben sind und dass der letztlich ausgewählte Bewerber die Anforderung, wegen deren Fehlens die klagende Partei aus dem weiteren Auswahlverfahren vorab ausgenommen wurde, erfüllt. Die Beklagte hat lediglich zum mehrstufigen Auswahlverfahren ausgeführt, dass die Abteilung Recruiting die Vollständigkeit der Bewerbungsunterlagen sowie der allgemeinen Qualifikationen wie Sprachkenntnisse oder Arbeitszeugnisse prüft, während die Prüfung der fachlichen Eignung der Fachabteilung (LOB) obliegt, die bei fachlicher Eignung ggfs. die Vereinbarung eines Vorstellungstermins veranlasst. Die Berücksichtigung der (Schwer-)Behinderung im Auswahlverfahren als zumindest mitursächlicher Grund ist damit – auch nicht aufgrund der gesonderten Eigenbewerbung des Klägers über s – nicht ausgeschlossen.

6. Der Höhe nach kann der Kläger von der Beklagten eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG in Höhe von 7.500,00 Euro nebst Prozesszinsen (§§ 291, 288 Abs. 1 BGB) beanspruchen.

a) Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG kann der oder die Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG darf die Entschädigung bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG muss einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz gewährleisten. Die Härte der Sanktionen muss der Schwere des Verstoßes entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt. Sie muss auf jeden Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen, eine rein symbolische Entschädigung ist unzureichend. Geeigneter Anknüpfungspunkt für die Bemessung der Entschädigung ist der Bruttomonatsverdienst, den der erfolglose Bewerber – ungefähr – erzielt hätte, wenn er die ausgeschriebene Stelle erhalten hätte. Bei der in § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG bestimmten Grenze von drei Bruttomonatsverdiensten handelt es sich nicht um eine Obergrenze, sondern um eine Kappungsgrenze. Das bedeutet, dass zunächst – ohne Rücksicht auf irgendeine Begrenzung – die Höhe der angemessenen Entschädigung zu ermitteln und diese sodann, wenn sie drei Bruttomonatsverdienste übersteigen sollte, zu kappen ist (BAG, Urt. v. 23.01.2020 – 8 AZR 484/18 – m. w. N.).

b) Nach Auffassung der Berufungskammer sind im vorliegenden Fall anderthalb Bruttomonatsverdienste, mithin 7.500,00 Euro, angemessen für den Ausgleich des durch die unzulässige Diskriminierung wegen (Schwer)Behinderung entstandenen immateriellen Schadens und dieser Betrag zugleich erforderlich, aber auch ausreichend, um die notwendige abschreckende Wirkung zu erzielen. Da die angemessene Entschädigung den Betrag des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG von drei Monatsgehältern nicht erreicht, ist kein Raum für die Anwendung der Kappungsregelung.

Der Kläger wurde erheblich und unmittelbar wegen seiner (Schwer-) Behinderung benachteiligt. Eine Genugtuung hat die Beklagte bisher nicht geleistet. Die Beklagte hat fahrlässig ihre aus § 164 Abs. 1 Satz1, Satz 2 SGB IX folgenden Prüf- und Mitteilungspflichten missachtet. Es kann zwar nicht davon ausgegangen werden, dass es die Beklagte darauf angelegt hatte, die Einstellung von schwerbehinderten Personen zu verhindern. Dies zeigt sich anschaulich an der internen E-Mail-Kommunikation vom 09.12.2019 (Bl. 120 f. d. A.), wonach der zuständige Entscheider Schmal die Bewerbung des Klägers unter Hinweis auf das Fehlen nachgewiesener Erfahrung im Bereich Agilität und aus seiner Sicht fehlender Fähigkeiten als Coach an den Kollegen Klemm unter Hinweis auf die die ITIL-Zertifikate im Hinblick auf eine Position im Bereich ITMC übersandte. Dieser wiederum begründete seine Absage u.a. damit, dass der Kläger für den Bereich ITMC fachlich nicht geeignet sei und nicht zum Unternehmen passe. Die interne Weiterleitung der Bewerbung in Kenntnis der angezeigten (Schwer)Behinderung sowie die Gründe der Absage sprechen dafür, dass sich die Beklagte nicht gänzlich der Einstellung behinderter Menschen versperrt. Ungeachtet dessen entbindet die Beauftragung eines privaten Dienstleiters die Beklagte nicht von ihrer eigenen Verpflichtung als Arbeitgeber, die Wahrung der gesetzlichen Förderungsbestimmungen für behinderte Personen organisatorisch sicher zu stellen. Die Beklagte hätte sich vor der Einschaltung eines externen Dienstleiters selbst vergewissern müssen, ob die gesetzlich vorgeschriebenen Mitteilungspflichten an die BA gewahrt werden. Es entlastet sie nicht, wenn ihre bisherigen Erfahrungen von Vermittlungen seitens der BA nicht zufriedenstellend waren. Die gesetzlichen Prüf- und Mitteilungspflichten stehen nicht unter dem Vorbehalt bisheriger subjektiver Erfahrungswerte. Unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und ihrer Markstellung ist daher eine empfindliche Sanktion geboten, die die Beklagte in Zukunft dazu anhält, die gesetzlich vorgesehenen Instrumente zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter und ihnen gleichgestellter Menschen am Arbeitsleben zu beachten.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!