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Fehlende Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers trotz fehlender Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Arbeitsfähigkeit zweifelhaft: Arbeitnehmer ohne Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat in seinem Urteil vom 11.01.2023 entschieden, dass die Klägerin, trotz fehlender Krankschreibung und anhaltender medizinischer Bedenken, Anspruch auf Verzugslohn und die Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses bis zum 31.03.2023 hat. Die Beweisaufnahme ergab kein eindeutiges Bild zur Arbeitsunfähigkeit der Klägerin, woraus sich ihre teilweise Arbeitsfähigkeit ableiten ließ. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens, eine Revision wurde nicht zugelassen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 Sa 56/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Arbeitsverhältnis fortgesetzt: Die Klägerin wird bis zum 31.03.2023 weiterbeschäftigt.
  2. Verzugslohnansprüche: Die Klägerin hat Anspruch auf Lohnzahlung für den Zeitraum vom 13.08.2021 bis zum 30.11.2021.
  3. Keine Krankschreibung: Ab dem 13.08.2021 lag keine Krankschreibung der Klägerin vor.
  4. Amtsärztliche Feststellungen: Die amtsärztlichen Einschätzungen führten nicht zu einer klaren Feststellung der Arbeitsunfähigkeit.
  5. Beweisaufnahme offen: Die Beweisaufnahme ergab kein klares Bild zur Arbeitsfähigkeit der Klägerin.
  6. Beweislast der Beklagten: Die Beklagte konnte die behauptete Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht eindeutig beweisen.
  7. Kosten des Verfahrens: Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
  8. Keine Revision zugelassen: Eine Revision gegen die Entscheidung wurde nicht nicht zugelassen.

Arbeitsrecht: Zwischen Leistungsfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit

Im Zentrum des Arbeitsrechts steht häufig die Frage nach der Leistungsfähigkeit von Arbeitnehmern und den damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf Fällen, in denen die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers trotz fehlender Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Frage steht. Solche Situationen werfen komplexe rechtliche Fragen auf, die sich um Themen wie Arbeitsvertrag, Verzugslohnansprüche und die Rolle von ärztlichen Attesten drehen. Insbesondere in Fällen, in denen Arbeitnehmer ihre Arbeit trotz gesundheitlicher Einschränkungen aufnehmen oder fortsetzen möchten, entstehen oft rechtliche Auseinandersetzungen, die vor Gericht geklärt werden müssen.

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat sich mit einem solchen Fall auseinandergesetzt, in dem die Leistungsfähigkeit eines Arbeitnehmers trotz fehlender offizieller Krankschreibung diskutiert wurde. Dieser Fall beleuchtet die Herausforderungen, die entstehen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Arbeitsfähigkeit haben, und zeigt auf, wie das Gericht mit der Berufung der Beklagten und den geltend gemachten Verzugslohnansprüchen umgeht. Tauchen Sie ein in die Details dieses spannenden Falles, der die feinen Nuancen des Arbeitsrechts und die Bedeutung der gerichtlichen Beurteilung von Arbeitsfähigkeit und -unfähigkeit aufzeigt.

Der Konflikt um Arbeitsfähigkeit trotz fehlender Krankschreibung

Der Fall, der vor dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern verhandelt wurde, dreht sich um eine komplexe Situation im Arbeitsrecht. Es geht um die Klägerin, die bei der Beklagten seit 2011 als Küsterin tätig war. Im Dezember 2020 erlitt sie eine Verletzung an der rechten Hand, was zu einer Krankschreibung führte. Trotz verschiedener medizinischer Untersuchungen und Gespräche zwischen der Klägerin und der Beklagten blieb die Frage der Arbeitsfähigkeit der Klägerin strittig. Die Klägerin behauptete, ab August 2021 wieder arbeitsfähig zu sein, was die Beklagte jedoch aufgrund amtsärztlicher Einschätzungen anzweifelte.

Verzugslohnansprüche und Beschäftigungsverpflichtung im Fokus

Die Auseinandersetzung gipfelte in einer Klage der Klägerin auf Verzugslohn für den Zeitraum von August bis November 2021 und auf vertragsgemäße Beschäftigung. Das Arbeitsgericht Rostock gab der Klägerin zunächst in allen Punkten Recht. Die Beklagte legte daraufhin Berufung ein und beharrte auf ihrer Position, die Klägerin sei aufgrund der amtsärztlichen Feststellungen arbeitsunfähig gewesen. Die Klägerin wiederum argumentierte, sie sei uneingeschränkt arbeitsfähig gewesen, was durch die Aussagen ihrer behandelnden Ärzte untermauert wurde.

Beweisaufnahme und gerichtliche Bewertung

In der Berufungsverhandlung wurden verschiedene Zeugen, darunter die behandelnden Ärzte der Klägerin, gehört. Die Aussagen ergaben kein eindeutiges Bild der Arbeitsfähigkeit der Klägerin. Während die Amtsärztin auf eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit schloss, zeigte der behandelnde Facharzt ein differenzierteres Bild auf. Er stellte fest, dass die Klägerin für einen Großteil ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten arbeitsfähig gewesen sei. Dieses offene Beweisergebnis führte dazu, dass die Berufung der Beklagten überwiegend als unbegründet angesehen wurde.

Schlussfolgerungen und gerichtliche Entscheidung

Das Gericht entschied, dass die Klägerin Anspruch auf die geltend gemachten Verzugslohnansprüche hat. Ebenso wurde die Beklagte verpflichtet, die Klägerin bis März 2023 zu den Bedingungen ihres Arbeitsvertrages zu beschäftigen. Die Kosten des Berufungsverfahrens wurden der Beklagten auferlegt. Die Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen.

Dieses Urteil beleuchtet die komplexe Natur arbeitsrechtlicher Streitigkeiten, insbesondere wenn es um die Bewertung der Arbeitsfähigkeit ohne eindeutige medizinische Nachweise geht. Es zeigt, wie wichtig eine detaillierte Betrachtung des Einzelfalles ist und stellt eine bedeutende Entscheidung im Bereich des Arbeitsrechts dar.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was beinhaltet der Begriff „Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers“ im Arbeitsrecht?

Der Begriff „Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers“ im Arbeitsrecht bezieht sich auf die Fähigkeit und Bereitschaft eines Arbeitnehmers, die im Arbeitsvertrag festgelegten Aufgaben und Pflichten zu erfüllen. Dies umfasst sowohl die physische als auch die geistige Fähigkeit, die erforderliche Arbeit zu leisten, sowie die Bereitschaft, diese Arbeit zu erbringen.

Die Leistungsfähigkeit eines Arbeitnehmers ist ein entscheidender Faktor in vielen Aspekten des Arbeitsrechts. Beispielsweise kann eine erhebliche Minderleistung des Arbeitnehmers, die auf eine mangelnde Leistungsfähigkeit zurückzuführen ist, eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen. Wenn ein Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldeten Arbeitsleistungen nicht erbringt, kann dies als Arbeitsverweigerung angesehen werden, die einen Kündigungsgrund darstellen kann.

Die Leistungsfähigkeit eines Arbeitnehmers ist auch relevant, wenn es um den Annahmeverzug des Arbeitgebers geht. Nach § 297 BGB kommt der Arbeitgeber nicht in Verzug, wenn der Arbeitnehmer zur Zeit des Angebots oder im Fall des § 296 BGB zu der für die Handlung des Arbeitgebers bestimmten Zeit außer Stande ist, die Leistung zu bewirken.

Die Leistungsfähigkeit eines Arbeitnehmers kann durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden, darunter seine gesundheitliche Verfassung, seine fachliche Qualifikation und seine Motivation. Wenn ein Arbeitnehmer trotz bestehendem Arbeitsverhältnis und trotz bestehender Arbeitspflicht überhaupt nicht mehr für den Arbeitgeber arbeitet, begeht er einen sogenannten Vertragsbruch.

Es ist auch wichtig zu beachten, dass die Leistungsfähigkeit eines Arbeitnehmers nicht starr ist, sondern sich im Laufe der Zeit ändern kann. Sie kann durch Faktoren wie Alter, Gesundheitszustand und Weiterbildung beeinflusst werden.

Die Leistungsfähigkeit eines Arbeitnehmers ist auch eng mit dem Direktionsrecht des Arbeitgebers verbunden. Das Direktionsrecht ist das Recht des Arbeitgebers, die Leistungspflicht des Arbeitnehmers nach Zeit, Inhalt und Ort sowie dessen Arbeitnehmerpflichten hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens nach billigem Ermessen rechtlich verbindlich näher zu bestimmen.

Insgesamt ist die Leistungsfähigkeit eines Arbeitnehmers ein zentraler Aspekt des Arbeitsrechts, der sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber von großer Bedeutung ist.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern – Az.: 3 Sa 56/22 – Urteil vom 11.01.2023

1. Auf die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 24.02.2022 – 2 Ca 1274/21 – wird diese verurteilt, die Klägerin zu den Bedingungen ihres Arbeitsvertrages vom 17.05.2013/20.05.2013 in der Fassung der Vereinbarung vom 20.07.2017 bis zum 31.03.2023 zu beschäftigen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision gegen diese Entscheidung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Verzugslohnansprüche der Klägerin für die Zeit vom 13.08.2021 bis zum 30.11.2021 sowie um die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin vertragsgemäß zu beschäftigen.

Zwischen den Parteien besteht seit dem 01.11.2011 ein Arbeitsverhältnis. Die Klägerin war bei der Beklagten zunächst als Küsterin beschäftigt. Mit Wirkung vom 23.04.2018 vereinbarten die Parteien eine Veränderung und Konkretisierung der Arbeitsaufgaben mit folgendem Inhalt:

1. Vor- und Nachbereitung von Gemeindeveranstaltungen:

Spielgruppen: i. d. R. Di, Do wöchentlich; Mit jede zweite Woche (Vorbereitung  des Raumes incl. Teppich, Spielzeug etc.; Nachbereitung

entsprechend, incl. Säubern des Teppichs 1 x monatlich;

Wegräumen des Teppichs und ggf. der Sitzkissen;

Ordnen des Regals im Raum; Staub wischen im Regal, Türscheibe pflegen)

Chöre: Vorbereitung des Raumes nach Absprache (z. B. Stellen der Stühle), Nachbereitung entsprechend Absprachen und Folgeveranstaltungen

Seniorenveranstaltungen: Vorbereitung des Raumes nach Absprache,

insbesondere Tische und Bestuhlung;

Nachbereitung nach Absprache und

Folgeveranstaltungen

Gastveranstaltungen: nach Absprache und aktuellem wöchentlichen

Belegungsplan

Einzelveranstaltungen: Vorbereitung der Räume und Nachbereitung nach

Absprache

2. Gesangsbuchpflege; Liederblätter für Gottesdienst und andere Gemeindeveranstaltungen (kopieren, sortieren, Bestand pflegen)

3. Vorbereitung des Saales für Gottesdienst im Gemeindezentrum (Bestuhlung; Altar, Pflege des Gesangsbuchschrankes)

4. Pflege der Außenanlagen

5. Mitarbeit bei der Vorbereitung für (und ggf. Aushilfe beim) Austragen des Gemeindebriefes

6. Kopierarbeiten nach Beauftragung durch Frau Jantzen

7. Mitarbeit beim Versand von Serienbriefen der Münsterverwaltung

8. Mitarbeit auf dem Friedhof

9. Pflege des Saales und des Altars

10. Pflege des Mobiliars

11. Reinigungsarbeiten nicht mehr als 5 h wöchentlich (Räume, Flur, Foyer, Treppenhaus, Toiletten)

Am 08.12.2020 verletzte sich die Klägerin an der rechten Hand (drei ca. 5 x 5 Millimeter große Defektwunden im Bereich des Handrückens) mit anschließender Krankschreibung. Am 12.03.2021 fand ein Personalgespräch statt, indem der Klägerin das Angebot unterbreitet wurde, andere Stellen wie das Integrationsamt, die Rentenstelle o. ä. einzubeziehen. Dieses Angebot lehnte die Klägerin ab. In dem Gespräch wurde die amtsärztliche Begutachtung angekündigt. Auf Antrag der Beklagten erfolgte am 31.03.2021 eine amtsärztliche Begutachtung. Im Ergebnis stellte die Amtsärztin mit Gutachten vom 12.04.2021 fest, dass die Verletzung im Bereich der Gebrauchshand in einem vorgeschädigten Hautareal erfolgt und damit der Heilungsverlauf verlangsamt sei. Nach Auskunft der behandelnden Fachärzte sei die Hoffnung auf eine baldige Behandlungsbeendigung geäußert worden. Spätestens ab der zweiten Maiwoche sei eine Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin zu erwarten. Nachdem sich diese Einschätzung nicht erfüllt hatte, erfolgte am 25.06.2021 im Nachtrag zum amtsärztlichen Gutachten eine erneute Einschätzung der Situation durch die Amtsärztin, die – soweit hier von Bedeutung – wie folgt lautet:

„Mangels Heilungserfolg ist Frau B. weiterhin arbeitsunfähig. Die vom spezialisierten Facharzt vorgeschlagene chirurgisch-therapeutische Behandlung lehnt Frau B. ab, daher ist eine Heilung derzeit auch nicht absehbar. Unter diesen Bedingungen wird Frau B. auf absehbare Zeit einen Großteil ihrer Aufgaben nicht erfüllen können, da eine uneingeschränkte Nutzung ihrer Gebrauchshand nicht möglich ist. Das Arbeiten mit Flüssigkeiten/Wasser, das Tragen von Handschuhen sowie das Arbeiten in kalter und feuchter Umgebung sind auf absehbarer Zeit nicht möglich.“

Wegen der Handverletzung befand sich die Klägerin in der Zeit vom 14.01.2021 bis zum 12.08.2021 bei dem Facharzt für Chirurgie Dr. med. D. in ambulanter Behandlung. Im Ergebnis der Vorstellung der Klägerin bei Dr. D. am 12.08.2021 (von der Beklagten bestritten) erfolgte keine weitergehende Krankschreibung.

Per Mail vom 12.08.2021 informierte die Klägerin die Beklagte, dass ihre Arbeitsunfähigkeit ende und sie ab dem 13.08.2021 ihre Arbeitsleistung zur Verfügung stelle. Die Beklagte teilte am selben Tag ebenfalls per Mail folgendes der Klägerin mit:

„Das bedeutet in diesem Falle, dass Sie Ihre Arbeit in der Kirchengemeinde nur wieder aufnehmen könne, wenn Sie zuvor Ihre vollständige Arbeitsfähigkeit uns gegenüber nachgewiesen haben. Dazu ist eine ärztliche Stellungnahme unabdingbar.“

Am 18.08.2021 erfolgte eine erneute amtsärztliche Begutachtung. In der Stellungnahme der Amtsärztin vom 20.08.2021 wird ausgeführt, dass bei der Untersuchung keine wesentliche Befundänderung festgestellt worden sei, so dass die beschriebenen Einschränkungen der amtsärztlichen Stellungnahme vom 25.06.2021 weiterhin Bestand hätten.

Vor diesem Hintergrund zahlte die Beklagte der Klägerin für die Zeit ab dem 13.08.2021 keine Vergütung und lehnte eine Beschäftigung der Klägerin ab.

Mit ihrer am 11.11.2021 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung der Vergütung für die Zeit vom 13.08.2021 bis zum 30.11.2021 sowie die vertragsgemäße Beschäftigung.

Parallel zu diesem Rechtsstreit hat die Beklagte mit Schreiben vom 15.10.2021 bei dem Integrationsamt die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin beantragt (Az. 40510-1-21 K 55960). Mit Bescheid vom 20.09.2022 hat das Integrationsamt die Zustimmung erteilt. Dagegen hat die Klägerin Widerspruch eingelegt.

In dem hier zu entscheidenden Rechtsstreit hat die Klägerin beantragt:

1. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Monat August 2021 737,33 € brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf die sich hieraus ergebende Nettosumme ab dem 15.09.2021 zu bezahlen;

2. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Monat September 2021 1.474,66 € brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf die sich hieraus ergebende Nettosumme ab dem 15.10.2021 zu bezahlen;

3. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Monat Oktober 2021 1.474,66 € brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf die sich hieraus ergebende Nettosumme ab dem 15.11.2021 zu bezahlen;

4. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Monat November 2021 1.474,66 € brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf die sich hieraus ergebende Nettosumme ab dem 15.12.2021 zu bezahlen;

5. die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin als Küsterin zu den Bedingungen ihres Arbeitsvertrages vom 17.05.2013/20.05.2013 in der Fassung der Vereinbarung vom 20.07.2017 zu beschäftigen.

Mit Urteil vom 24.02.2022 hat das Arbeitsgericht der Klage vollumfänglich stattgegeben und im Wesentlichen ausgeführt, ab dem 13.08.2021 liege eine Krankschreibung der Klägerin nicht vor, so dass der von der Klägerin geltend gemachte Verzugslohn für den streitgegenständlichen Zeitraum begründet sei. Außerdem sei aufgrund der danach gegebenen Arbeitsfähigkeit der Klägerin der von ihr geltend gemachte Beschäftigungsanspruch ebenfalls begründet.

Gegen diese am 08.03.2022 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 08.04.2022 bei dem Landesarbeitsgericht M-V eingegangene Berufung der Beklagten nebst der – nach entsprechender gerichtlicher Fristverlängerung – am 09.06.2022 eingegangenen Berufungsbegründung.

Die Beklagte hält an ihrer erstinstanzlichen Rechtsauffassung fest. Auf der Grundlage der amtsärztlichen Feststellungen vom 31.03.2021 und vom 25.06.2021 und unter Berücksichtigung des mit der Klägerin – unstreitig – am 28.07.2021 geführten Gespräches habe die Beklagte davon ausgehen müssen, dass die Klägerin den weit überwiegenden Teil ihrer Arbeitsverpflichtungen aus gesundheitlichen Gründen nicht habe erbringen können. Die Ankündigung der Klägerin per Mail vom 12.08.2021 mit dem Hinweis, die Arbeit am 13.08.2021 aufnehmen zu wollen, da eine weitere Krankschreibung nicht erfolgen werde, sei für die Beklagte angesichts der vorhergehenden Ereignisse, Gespräche und amtsärztlichen Feststellungen völlig überraschend gekommen. Mit den amtsärztlichen Aussagen vom 20.08.2021 habe sich außerdem bestätigt, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nicht habe erfüllen könne. Die Amtsärztin habe schlicht die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin festgestellt. Dennoch habe die Klägerin im Nachgang weder weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt, noch ihre Arbeitsfähigkeit nachgewiesen und auch nicht ihre Arbeitskraft angeboten. Vielmehr habe sie sich überhaupt nicht mehr bei der Beklagten gemeldet und erst knapp drei Monate später – ohne jedoch außergerichtlich auf die Beklagte zugegangen zu sein – die Vergütung seit August eingeklagt. Auch die weiteren Erkenntnisse zum tatsächlichen Gesundheitszustand bzw. zur Arbeitsfähigkeit der Klägerin im Rahmen des Zustimmungsverfahrens zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung bei dem Integrationsamt hätten gezeigt, dass die Klägerin ab dem 13.08.2021 nicht in der Lage gewesen sei, ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. So habe der behandelnde Facharzt der Klägerin auf Nachfrage des Integrationsamtes in seiner gutachterlichen fachärztlichen Stellungnahme vom 06.12.2021 (Bl. 256, 257 d. A.) das Ergebnis der amtsärztlichen Stellungnahme vom 20.08.2021 bestätigt. Auch aus den ärztlichen Attesten des Hausarztes der Klägerin vom 27.01.2022 und vom 18.08.2022 (Bl. 258, 259 d. A.) habe sich kein anderes Bild ergeben. Dies gilt auch für die ärztliche Stellungnahme des Hausarztes der Klägerin vom 19.11.2021 auf entsprechende Anfrage des Integrationsamtes (Bl. 260 d. A.). Schließlich habe die Amtsärztin im Zuge der Beteiligung durch das Integrationsamt nochmals mit Stellungnahme vom 03.03.2022 bestätigt, dass die Klägerin größtenteils nicht in der Lage sei, ihre arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen. Nach alledem stehe für die Beklagte fest, dass ab dem 13.08.2021 und dann auch fortlaufend für den Zeitraum danach eine Leistungsfähigkeit der Klägerin bezogen auf ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nicht vorhanden gewesen sei. Mithin sei auch der Beschäftigungsanspruch der Klägerin nicht begründet.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 24.02.2022 – Az. 2 Ca 1274/21 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin trägt vor, sie sei seit dem 13.08.2021 uneingeschränkt arbeitsfähig. Der sie behandelnde Facharzt habe anlässlich der Vorstellung und Untersuchung am 12.08.2021 ihr gegenüber erklärt, dass sie nunmehr wieder arbeitsfähig sei und keine weitere Krankschreibung mehr erfolge. Auch im Zeitraum danach sei im Hinblick auf die Verletzung ihrer rechten Hand keine Krankschreibung mehr durch Dr. D. bzw. durch ihren Hausarzt erfolgt. Die amtsärztlichen Feststellungen vom 25.06.2021 und vom 20.08.2021 stünden dem nicht entgegen. Dies folge bereits daraus, dass es an einer vollständigen Darstellung des vorliegenden Krankheitsbildes fehle. Auch sei der Verlauf der eigenen Untersuchungshandlung nicht dargestellt worden. Zudem sei es nicht nachvollziehbar, weshalb die Amtsärztin sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt habe, weshalb der Klägerin keine weitere Arbeitsunfähigkeit ab dem 13.08.2021 attestiert worden sei. Insbesondere habe die Amtsärztin anlässlich ihrer Stellungnahme vom 20.08.2021 – anders als im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 25.06.2021 – keine Rücksprache – insoweit unstreitig – mit den behandelnden Ärzten geführt. Die Klägerin sei auch nicht verpflichtet gewesen, ihre Arbeitskraft nach Kenntnisnahme der amtsärztlichen Stellungnahme vom 20.08.2021 erneut anzubieten. Denn die Beklagte habe von vornherein nicht die Absicht gehabt, die Arbeitsleistung der Klägerin anzunehmen. Den Stellungnahmen der behandelnden Ärzte im Zuge der Verfahrensführung bei dem Integrationsamt sei kein anderes Ergebnis zu entnehmen. Im Gegenteil könnten sowohl ihr Hausarzt als auch der sie behandelnde Facharzt bei ausdrücklicher Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht bestätigen, dass die Klägerin ab dem 13.08.2021 uneingeschränkt arbeitsfähig gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Anlässlich der Kammerverhandlung vom 11.01.2023 hat die Kammer Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Dr. T., Dr. D. und Dr. D.. Wegen des Beweisthemas und bzgl. des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist ganz überwiegend nicht begründet.

Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die von der Klägerin geltend gemachten Verzugslohnansprüche nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme begründet (I). Dies gilt grds. auch für den von der Klägerin geltend gemachten Beschäftigungsantrag, wobei dieser allerdings aufgrund der zwischenzeitlich ausgesprochenen fristgemäßen Kündigung zum 31.03.2023 auf den 31.03.2023 zeitlich zu begrenzen ist (II). Daraus folgt schließlich die Verpflichtung der Beklagten, die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, wobei Revisionszulassungsgründe nicht gegeben sind (III).

I

Die Beklagte ist gem. § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. § 615 BGB und §§ 293 ff BGB verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 13.08.2021 bis zum 30.11.2021 die vereinbarte Vergütung auf der Grundlage eines Bruttomonatsgehalts von 1.474,66 € nebst Zinsen in der geltend gemachten Höhe zu zahlen.

Gem. § 615 S. 1 BGB kann der Beschäftigte im Falle des Verzuges des Arbeitgebers für die infolge des Verzuges nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Neben dem Bestehen – hier unstreitig – eines rechtswirksamen Arbeitsverhältnisses setzt der Annahmeverzug des Arbeitgebers gem. § 293 BGB voraus, dass er die ihm angebotene Leistung des leistungsbereiten und leistungswilligen Beschäftigten nicht annimmt. Dies wiederum setzt grundsätzlich ein tatsächliches Angebot des Beschäftigten i. S. d. § 294 BGB voraus. Davon abweichend ist – wie vorliegend gegeben – ein wörtliches Angebot des Beschäftigten dann ausreichend, wenn der Arbeitgeber erklärt hat, dass er die Leistung nicht annehmen werde. Liegt danach ein rechtswirksames Angebot des Arbeitnehmers zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung vor und beruft sich der Arbeitgeber sodann auf eine von ihm behauptete Leistungsunfähigkeit i. S. d. § 297 BGB, erhebt der Arbeitgeber damit eine Einwendung, für deren Voraussetzungen er als Gläubiger der Arbeitsleistung die Darlegungs- und Beweislast trägt. Da dieser regelmäßig nicht über nähere Erkenntnisse über den Gesundheitszustand des betroffenen Arbeitnehmers verfügt, genügt er seiner primären Darlegungslast im Regelfall bereits dadurch, dass er Indizien vorträgt, aus denen auf eine Leistungsunfähigkeit im Annahmeverzugszeitraum geschlossen werden kann. Hat der Arbeitgeber solche Indizien vorgetragen, ist es Sache des Arbeitnehmers, die Indizwirkung der behaupteten Tatsachen zu erschüttern. Diesbezüglich wird es grundsätzlich notwendig sein, insoweit die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbindenden. Der Arbeitgeber ist dann für die von ihm behauptete Leistungsunfähigkeit i. S. d. § 297 BGB beweispflichtig. In diesem Zusammenhang kann er sich jeweils auf das Zeugnis der von dem Arbeitnehmer benannten Ärzte berufen. Trägt der Arbeitnehmer dagegen nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gilt die Behauptung des Arbeitsgebers, der Arbeitnehmer sei während des Verzugszeitraums leistungsunfähig gewesen, als zugestanden (vgl. insg. zutreffend BAG vom 22.08.2018 – 5 AZR 592/17 – ; juris Rn 25).

Gemessen an den benannten Voraussetzungen sind die von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsansprüche unter Berücksichtigung des Vortrages der Parteien und vor dem Hintergrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme begründet.

Die Klägerin hat am 12.08.2021 ein rechtswirksames Angebot zur Erbringung der Arbeitsleistung gegenüber der Beklagten abgegeben (1.). Zwar hat die Beklagte ihrer primären Darlegungslast im Rahmen von § 297 BGB zunächst genügt, indem sie sich auf die Krankengeschichte der Klägerin und auf die Einschätzungen der Amtsärztin berufen hat (2.). Jedoch ist die Klägerin dem Vortrag der Beklagten substantiiert entgegengetreten, indem sie aus ihrer Leidensphäre heraus vorgetragen hat, weshalb sie die arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten nach ihrer Einschätzung ab dem 13.08.2021 habe ausüben können und auch eine weitergehende Krankschreibung durch den behandelnden Facharzt Dr. D. – insoweit unstreitig – unterblieben sei (3.). Nach der danach notwendig durchzuführenden Beweisaufnahme hat sich zur Überzeugung der Kammer ein offenes Beweisergebnis ergeben, was mithin zu Lasten der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten geht (4.). Zudem kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht von einer der vollen Arbeitsunfähigkeit gleichzustellenden verminderten Arbeitsfähigkeit i. S. d. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Klägerin ab dem 13.08.2021 ausgegangen werden (5.).

1.

Per Mail vom 12.08.2021 hat die Klägerin ein hinreichendes wörtliches Angebot i. S. d. § 295 BGB zu Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung ab dem 13.08.2021 abgegeben. Ein weitergehendes tatsächliches Angebot am 13.08.2021 i. S. d. § 294 BGB war nicht erforderlich, da die Beklagte wiederum per Mail vom 12.08.2021 die Erbringung der Arbeitsleistung durch die Klägerin ab dem 13.08.2021 ohne ärztliche Bescheinigung der Arbeitsfähigkeit abgelehnt hatte.

2.

Die Beklagte ist der ihr obliegenden primären Darlegungslast nach § 297 BGB nach Ansicht in der Kammer nachgekommen, indem sie den Einschätzungen der Amtsärztin vom 25.06.2021 folgend nachvollziehbar vorgetragen hat, weshalb sie im Hinblick auf den 13.08.2021 von einer fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin trotz fehlender weiterer Krankschreibung aufgegangen ist. Zudem hat die Beklagte über die amtsärztlichen Einschätzungen hinaus unwidersprochen vorgetragen, dass anlässlich des Gespräches mit der Klägerin am 28.07.2021 keinerlei Anhaltspunkte bekannt geworden seien, aus denen Rückschlüsse auf eine baldige Genesung der Klägerin hätten gefolgert werden können. Schließlich kann sich die Beklagte im Hinblick auf die Begründung der aus ihrer Sicht bestehenden Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin mit Wirkung zum 13.08.2021 auf die amtsärztliche Stellungnahme vom 20.08.2021 mit dem Ergebnis einer ganz überwiegenden Leistungsunfähigkeit der Klägerin berufen.

3.

Dem wiederum ist die Klägerin substantiiert entgegengetreten, in dem sie aus ihrer Leidensphäre heraus nachvollziehbar eine Arbeitsfähigkeit ab dem 13.08.2021 im Hinblick auf die ihr obliegenden arbeitsvertraglichen Verpflichtungen vorgetragen hat. Diesbezüglich trägt die Klägerin objektiv nachvollziehbar vor, dass sie einen eigenen Haushalt führe, handwerkliche Arbeiten an ihrem Einfamilienhaus vornehme und ebenso das Haus umgebende Grundstück pflege, ohne dass dies zu körperlichen Einschränkungen führe, die ihre Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen könne. Auch käme sie mit feuchten Arbeitsmaterialien und Wasser in Berührung und trage Handschuhe. Dementsprechend habe der behandelnde Arzt Dr. D. ihr bei der Vorstellung am 12.08.2021 auch erklärt, dass sie nunmehr wieder arbeitsfähig sei und keine Folgebescheinigung mehr ausgestellt werde.

4.

Nach der danach notwendig durchzuführenden Beweisaufnahme der von der Beklagten benannten Zeugen Dr. T. (Amtsärztin), Dr. D. (Hausarzt) und Dr. D. (behandelnder Facharzt) ergibt sich zur Überzeugung des erkennenden Gerichts unter Berücksichtigung der nach § 286 Abs. 1 ZPO vorzunehmenden freien Beweiswürdigung ein offenes Beweisergebnis. Dieser Umstand geht zu Lasten der insoweit beweispflichtigen Beklagten. Im Ergebnis der Beweiserhebung lässt sich nach Ansicht der Kammer nicht mit der hinreichenden Sicherheit eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin beziehungsweise eine gleichgestellte verminderte Arbeitsfähigkeit der Klägerin mit Wirkung ab dem 13.08.2021 i. S. d. § 297 BGB feststellen.

Im Hinblick auf die drei vernommenen Zeugen geht die Kammer zunächst vorab jeweils von der Glaubwürdigkeit und der Glaubhaftigkeit der jeweiligen Aussagen aus. Dem liegt zugrunde, dass die Zeugen weder dem Lager der Klägerin noch dem Lager der Beklagten zugeordnet werden können. Ein Eigeninteresse an dem Ausgang des Verfahren ist ebenfalls nicht erkennbar. Soweit die Zeugen Dr. D. und Dr. D. teilweise angegeben haben, sich an bestimmte Dinge nicht mehr konkret erinnern zu können, so ist dieser Umstand jeweils bereits aufgrund des Zeitablaufes ohne Weiteres nachvollziehbar. Die Aussagen der Zeugen selbst haben jeweils keine Anhaltspunkte geliefert, die auf Zweifel an der Richtigkeit der jeweiligen Angaben hindeuten könnten.

Gleichwohl zeichnen die jeweiligen Aussagen der Zeugen ein unterschiedliches Bild von der tatsächlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin gemessen an den zu erfüllenden arbeitsvertraglichen Verpflichtungen. Dabei ist die Aussage des Hausarztes Dr. D. bereits deshalb unergiebig, weil er insoweit nachvollziehbar angegeben hat, die Klägerin an der betroffenen kranken rechten Hand seit Januar 2021 nicht mehr behandelt zu haben. Seine dahingehende Aussage, dass die Klägerin ab Sommer 2021 keinen Verband mehr getragen habe, ist im Rahmen der streiterheblichen Frage der konkreten Arbeitsfähigkeit der Klägerin bezogen auf ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zum 13.08.2021 nicht aussagekräftig.

Auf der Grundlage und bei ausschließlicher Berücksichtigung der Aussage der Amtsärztin Dr. T. ist der Beklagten zuzugeben, das danach von einer Leistungsunfähigkeit der Klägerin mit Wirkung zum 13.08.2021 auszugehen ist. Denn die Zeugin hat in sich schlüssig vorgetragen, dass sie auf der Grundlage der Begutachtung der Handverletzung im März 2021 und unter Berücksichtigung der eingeholten jeweiligen Stellungnahmen der behandelnden Ärzte im Juni 2021 zu dem Ergebnis gelangt sei, dass eine absehbare Genesung der Klägerin nicht zu erwarten sein. Auch hat die Zeugen für die Kammer für sich genommen plausibel ausgesagt, dass sie im August 2021 nach nochmaliger Inaugenscheinnahme der verletzten Hand zu keinem anderen Ergebnis gelangt sei. Dieser Feststellung stehen jedoch die Angaben des behandelnden Facharztes Dr. D. entgegen. Diesbezüglich hat der Zeuge zunächst glaubhaft dargelegt, dass sich die Klägerin tatsächlich am 12.08.2021 zur Untersuchung bei ihm vorgestellt hatte. Weiter hat der Zeuge – wenn auch vage und ohne sich an die Einzelheiten erinnern zu können – angegeben, dass er seine medizinische Einschätzung auf der Grundlage jedenfalls der ungefähren Tätigkeiten der Klägerin vorgenommen habe. Der Zeuge hat sodann für die Kammer plausibel vorgetragen, dass die offene Wunde auf dem Handrücken der Klägerin an der rechten Hand soweit abgeheilt gewesen sei, dass die Klägerin keinen Verband mehr benötigt habe. Es sei ausreichend gewesen, die noch vorhandene offene Restwunde mit einem Pflaster zu überkleben. Dies habe es ermöglicht, zum Schutz der Hand Gummihandschuhe zu tragen. Daraus habe er aus medizinischer Sicht geschlussfolgert, dass die Klägerin ganz überwiegend in der Lage sein würde, die arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten zu erfüllen. Er habe im Hinblick auf die Tätigkeitsinhalte zu den Ziffern 4, 8 und 11 im Rahmen seiner Stellungnahme für das Integrationsamt deshalb Schwierigkeiten attestiert, weil er schwere und kräftige Beanspruchungen der rechten Hand wie z. B. bei dem Ausgraben eines schweren Wurzelwerkes für nicht machbar angesehen habe. Die im Übrigen zu den Ziffern 4, 8 und 11 der Tätigkeitsinhalte anfallenden Arbeiten seien der Klägerin jedenfalls unter Nutzung schützender Gummihandschuhe möglich gewesen. Einschränkungen im Hinblick auf Ziffer 1 der Tätigkeiten der Klägerin könne er aus heutiger Sicht nicht bestätigen. Weshalb er gegenüber dem Integrationsamt im Dezember 2021 Einschränkungen auch im Hinblick auf Ziffer 1 der Tätigkeiten der Klägerin benannt habe, könne er aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehen.

Unter Berücksichtigung der Aussage des behandelnden Facharztes Dr. D. bleibt die Behauptung der Beklagten, die Klägerin sei mit Wirkung ab dem 13.08.2021 überwiegend nicht in der Lage gewesen, die arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten zu erbringen und dies habe Dr. D. im Dezember 2021 gegenüber dem Integrationsamt attestierte, unbestätigt.

Bei der vorzunehmenden freien Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO ergeben sich zwar insoweit Unsicherheiten im Hinblick auf die Aussage des Zeugen Dr. D., weil der Zeuge keine dezidierten Angaben zu den konkreten Tätigkeitsinhalten der Klägerin in Bezug auf seine Diagnose mit dem Inhalt einer Arbeitsfähigkeit ab dem 13.08.2021 – im Gegensatz zu den Angaben der Zeugen Dr. T., die ausgesagt hat, dass sie ihre Erkenntnisse in Kenntnis der konkreten Tätigkeitsinhalte des Aufgabengebietes der Klägerin getroffen habe – gemacht hat. Andererseits ist zu bedenken, dass Dr. D. für die Kammer plausibel dargestellt hat, dass der Umfang der offenen Wunde im Zeitpunkt der Untersuchung am 12.08.2021 soweit zurückgegangen sei, dass die Versorgung mit einem Pflaster ausreichend sei, so dass aus medizinischer Sicht das Tragen von Gummihandschuhen zum Schutz der verbliebenen Restwunde möglich gewesen sei. Zudem ist festzustellen, dass auch die Aussage von Frau Dr. T. nicht frei von Widersprüchen geblieben ist. Denn während die Zeugin zunächst ausgesagt hat, sie habe die Verletzung der Klägerin auch anlässlich ihrer Stellungnahme aus Juni 2021 persönlich begutachtet, so hat sie nach Intervention der Klägerin anlässlich der weiteren Aussage eingeräumt, dass sich die Klägerin am 25.06.2021 nicht persönlich vorgestellt habe und eine Inaugenscheinnahme der Verletzung bereits im März 2021 vorgenommen habe. Auch ist für die Kammer diesbezüglich offen geblieben, weshalb die Zeugin Dr. T. – anders als im Juni 2021 – trotz Kenntnis von der auslaufenden Krankschreibung am 12.08.2021 den behandelnden Facharzt Dr. D. zur Fertigung ihrer Stellungnahme mit dem Ergebnis der überwiegenden Leistungsunfähigkeit nicht noch einmal konsultiert hat.

Nach alledem vermag die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mit der notwendigen Sicherheit eine – verminderte -Leistungsunfähigkeit der Klägerin i. S. d. § 297 BGB mit Wirkung zum 13.08.2021 festzustellen.

5.

Der Vollständigkeit halber ist an dieser Stelle noch anzumerken, dass auf der Grundlage des offenen Beweisergebnisses auch eine der vollständigen Arbeitsunfähigkeit gleichzustellende verminderte Arbeitsfähigkeit der Klägerin mit Wirkung zum 13.08.2021 nicht angenommen werden kann.

Zwar geht das Bundesarbeitsgericht zutreffend davon aus, dass eine Arbeitsunfähigkeit nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass der Arbeitnehmer seine geschuldeten Vertragspflichten anstatt voll nur teilweise erbringen kann (BAG vom 09.04.2014 – 10 AZR 637/13 – ; juris Rn 24). Danach steht eine verminderte Arbeitsfähigkeit der vollständigen Arbeitsunfähigkeit gleich, wenn der Arbeitnehmer die vertraglich festgelegte volle Arbeitsleistung aus gesundheitlichen Gründen nach objektiver Beurteilung nicht erbringen kann. Eine Teil-Arbeitsunfähigkeit mit teilweiser Arbeitspflicht und teilweisem Entgeltfortzahlungsanspruch ist rechtlich nicht geboten. Weder der Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer sind verpflichtet, sich auf eine Teilleistung einzulassen. Eine solche Fallkonstellation ist jedoch – wie hier – dann nicht gegeben, wenn der Arbeitnehmer eine volle Arbeitsleistung erbringen kann und lediglich gehindert ist, die gesamte Bandbreite der arbeitsvertraglich an sich möglichen Leistungsbestimmungen zu erbringen. In einem solchen Fall ist der Arbeitgeber nach § 106 GewO grundsätzlich gehalten, im Rahmen der Fähigkeit zur Erbringung der vollen Arbeitsleistung jedenfalls Leistungseinschränkungen in einem geringen Umfang zu berücksichtigen (BAG vom 09.04.2014 a. a. O.).

Gemessen an den benannten Voraussetzungen ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme von einer Arbeitsfähigkeit der Klägerin ab dem 13.08.2021 auszugehen, auch wenn sie nach Aussage des behandelnden Facharzt Dr. D. das vollumfängliche Tätigkeitsportfolio nicht vollständig (z. B. schwere kräftige Beanspruchung der rechten Hand bei dem Ausgraben eines schweren Wurzelwerkes) hätte bedienen können.

II

Die Beklagte ist zudem gem. § 611, 611a BGB i. V. m. Art. 1, 2 GG verpflichtet, die Klägerin zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages in der Fassung vom 23.04.2018 bis zum 31.03.2023 zu beschäftigen.

Zur Begründung wird auf die Ausführungen zu Ziffer I dieser Entscheidung sowie auf die diesbezüglich zutreffenden Erwägungen in der erstinstanzlichen Entscheidung (Seite 11 und 12 der Gründe) Bezug genommen. Die notwendige zeitliche Beschränkung auf den 31.03.2023 folgt aus dem Umstand, dass die Beklagte nach Zustimmung durch das Integrationsamt eine ordentliche und fristgemäße Kündigung zum 31.03.2023 ausgesprochen hat, über deren Rechtswirksamkeit noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist. Zudem hat die Klägerin keinen arbeitsvertraglichen Anspruch auf eine Beschäftigung als „Küsterin“, da die Tätigkeitsbezeichnung in dem zuletzt geschlossenen Arbeitsvertrag vom 01.11.2012 in der Fassung vom 16.05.2013/17.05.2013 i. V. m. der Fassung vom 23.04.2018 auf „Mitarbeiterin für allgemeine Vertretungsdienste in der Münsterverwaltung und Küsterei“ lautet. Auch insoweit ist daher die erstinstanzliche Entscheidung – wenn auch nur in geringem Umfang – abzuändern.

III

1.

Die Beklagt hat gem. § 97 Abs. 1 i. V. m. § 92 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Denn das Rechtsmittel der Berufung durch die Beklagte ist vorliegend nur in ganz geringem Umfang erfolgreich geblieben. Eine Kostenquotelung ist mithin nicht angezeigt.

2.

Gründe für die Zulassung der Revision i. S. d. § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben.

 

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