Skip to content

Fristlose Arbeitnehmerkündigung per WhatsApp – treuwidriges Berufen auf Formmangel

Landesarbeitsgericht München – Az.: 3 Sa 362/21 – Urteil vom 28.10.2021

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 26.04.2021 – 5 Ca 2353/20 – teilweise zu Ziff. 3 abgeändert und diese Ziffer wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 134,95 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.02.2021 zu zahlen.

II. Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

III. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer per WhatsApp übermittelten Kündigung sowie über Zahlungsansprüche.

Der Kläger war bei dem Beklagten seit dem 02.06.2020 als Helfer zu wöchentlich 50 Stunden und einer monatlichen Vergütung von 1.200,00 € brutto beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 02.06.2020 war als Anschrift des Klägers die D.-Straße in … A-Stadt angegeben. Als zusätzliche Vereinbarung bestimmte § 12 Satz 1 des Arbeitsvertrags:

„Bei selbstverschuldeten Schäden am Fahrzeug wird ein Eigenanteil von 500,00 € erhoben.“

Am 22.09.2020 schickte der Beklagte dem Kläger ein Bild eines unterschriebenen Kündigungsschreibens vom 02.09.2020. Danach wurde dem Kläger die fristlose Kündigung ausgesprochen, weil er am 02.09.2020 betrunken in die Arbeit gekommen und deswegen für den Betrieb nicht tragbar sei (vgl. Bl. 10 d. A.).

Hiergegen hat der Kläger am 28.09.2020 Klage vor dem Arbeitsgericht Augsburg erhoben, mit der er Kündigungsschutz, Zahlung von 500,00 € netto sowie 1.500,00 € brutto als Vergütung für Juni 2020 geltend gemacht hat. Dem Beklagten wurde die Klageschrift am 15.10.2020 zugestellt, die die neue Anschrift des Klägers in der Z.-Straße in … A-Stadt auswies. Nachdem der Kläger unter dieser Anschrift zunächst nicht formlos zum Gütetermin geladen werden konnte, wurde ihm die Klageschrift dorthin nochmals ohne Zusatz am 12.11.2020 mit Zustellungsurkunde zugestellt. Mit Telefax vom 27.11.2020 zeigte der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Vorlage einer Vollmacht, die zur Entgegennahme von Kündigungen berechtigte, an, dass er den Kläger anwaltlich vertrete.

Am 11.01.2021 übergab der Beklagte dem Kläger in der Güteverhandlung eine Kündigung vom 02.09.2020. Der Inhalt dieser Kündigung ist nicht bekannt.

Mit Telefax vom 01.02.2021 hat der Kläger klageerweiternd Vergütung vom 01. – 03.09.2020 in Höhe von 202,42 € brutto sowie Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.868,40 € brutto geltend gemacht und den Antrag bezüglich der Vergütung für Juni 2020 zurückgenommen. Die per WhatsApp am 22.09.2020 übermittelte Kündigung sei mangels Schriftform unwirksam. Der Abzug von 500,00 € netto vom Augustgehalt sei nicht gerechtfertigt. Der Kläger habe im September 2020 seine Arbeitsleistungen erbracht. Der nach §§ 1,3 MiLoG dem Kläger zustehende monatliche Grundlohn berechne sich auf 2.024,27 € brutto, weshalb der Kläger für drei Arbeitstage im September 2020 Anspruch auf 3/30 und mithin 202,42 € brutto habe. Gemäß §§ 4,7 BUrlG habe der Kläger zudem Anspruch auf Urlaubsabgeltung in Höhe des gesamten Jahresurlaubs von 20 Arbeitstagen für 2020, der sich auf Basis des errechneten Grundlohns auf 1.868,40 € brutto belaufe. Das Arbeitsverhältnis der Parteien habe erst am 15.02.2021 aufgrund der am 11.01.2021 übergebenen Kündigung geendet. Der Zinsanspruch rechtfertige sich aus §§ 288, 291 BGB.

Der Beklagte hat seinen Klageabweisungsantrag nicht schriftsätzlich begründet. Der Kläger habe regelmäßig fünf Tage pro Woche gearbeitet.

Das Arbeitsgericht Augsburg hat durch Urteil vom 26.04.2021 – 5 Ca 2353/20 – festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien bis zum 15.02.2021 bestanden habe, und den Beklagten verurteilt, an den Kläger 500,00 € netto, 202,42 € brutto und 1.868,40 € brutto nebst Zinsen zu zahlen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien habe nicht vor dem 15.02.2021 geendet, da der darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht dargelegt habe, dass dem Kläger vor dem 11.01.2021 eine schriftliche ordentliche Kündigung oder vor dem 01.02.2021 eine schriftliche außerordentliche Kündigung zugegangen sei, §§ 622 Abs. 1, 623 BGB. Der Anspruch des Klägers auf weitere Vergütung in Höhe von 500,00 € netto für August 2020 ergebe sich aus § 611 a BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag. Der Beklagte habe von der abgerechneten Vergütung einen Abzug in genannter Höhe vorgenommen, ohne diesen im Verfahren zu begründen. Der Kläger habe auch einen Anspruch auf Vergütung in Höhe von 202,42 € brutto für den Zeitraum vom 01.09. – 03.09.2020 aus § 1 MiLoG i.V.m. dem Arbeitsvertrag. Der Kläger habe vom 01.09. – 03.09.2020 unstreitig seine Arbeitsleistung ordnungsgemäß erbracht. Dies entspreche – abhängig von der zwischen den Parteien strittigen Verteilung der Arbeitszeit auf fünf oder sechs Tage – 10 oder 8,33 Stunden pro Tag bzw. 30 oder 25 Stunden insgesamt. Multipliziert mit dem gesetzlichen Mindestlohn für das Jahr 2020 in Höhe von 9,35 € brutto ergebe sich mindestens ein Anspruch in der geforderten Höhe. Darüber hinaus sei das Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt sei, § 308 Abs. 1 ZPO. Schließlich habe der Kläger einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.868,40 € brutto aus §§ 7 Abs. 4, 1 Abs. 1 Satz 1 BUrlG. Für das Jahr 2020 sei ein gesetzlicher Urlaubsanspruch in Höhe von vier Wochen entstanden, § 3 Abs. 1 und 2 BUrlG. Die Wartezeit nach § 4 BUrlG sei erfüllt. Die Voraussetzungen für einen Teilurlaub nach § 5 Abs. 1 BUrlG lägen nicht vor. Der Urlaub sei nicht mit Ablauf des 31.12.2020 untergegangen, weil nach richtlinienkonformen Verständnis von § 7 Abs. 1 BUrlG den Arbeitgeber die Mitwirkungsobliegenheit treffe, den Arbeitnehmer erforderlichenfalls förmlich aufzufordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfalle, wenn er ihn nicht beantrage. Der hierfür darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat insoweit nichts vorgetragen. Die Höhe des Urlaubsentgelts bestimme sich nach § 11 Abs. 1 BUrlG nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst der letzten 13 Wochen. Insoweit sei die dreifache Bruttomonatsvergütung nach dem gesetzlichen Mindestlohn zugrunde zu legen. Hieraus ergebe sich ein Abgeltungsanspruch in Höhe von 1.868,40 € brutto bzw. 1.868,64 € brutto, abhängig davon, ob der Kläger fünf oder sechs Tage pro Woche gearbeitet habe. Da der Kläger lediglich 1.868,40 € brutto verlange, wirke sich der Streit zwischen den Parteien über die Arbeitstage pro Woche nicht aus, § 308 Abs. 1 ZPO. Der Zinsanspruch ergebe sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

Gegen dieses, ihm am 30.04.2021 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 28.05.2020 Berufung beim Landesarbeitsgericht München eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.07.2021 am 29.07.2021 begründet.

Die Berufung auf den Formmangel der per WhatsApp übermittelten Kündigung vom 02.09.2020 verstoße gegen § 242 BGB. Der Kläger habe den Zugang der Kündigung vereitelt. Am 02.09.2020 hätte der Kläger dem Beklagten seine aktuelle Anschrift nicht mitgeteilt. Auf mehrfache telefonische Anfragen des Beklagten habe sich der Kläger geweigert, seine aktuelle Adresse mitzuteilen. Die gerichtliche Ladung vom 13.10.2020 auf den Gütetermin vom 02.11.2020 habe nicht zugestellt werden können. Die Kündigung vom 02.09.2020 habe deshalb erst im Gütetermin vom 11.01.2021 nach mehreren Verzögerungen, die der Beklagte nicht zu vertreten hätte, übergeben werden können. Die außerordentliche Kündigung vom 02.09.2020 sei wirksam und habe das Arbeitsverhältnis zum 02.09.2020 enden lassen. Ein außerordentlicher Kündigungsgrund liege vor. Der Kläger sei am 02.09.2020 anstatt pünktlich um 06:30 Uhr erst kurz nach 07:00 Uhr an seinem Einsatzort erschienen. Infolge Alkohol- und/oder anderer berauschender Mittel habe der Kläger sich nicht auf den Beinen halten können und sei auf die Pakete gefallen. Der Beklagte habe gegenüber dem Kläger mündlich die fristlose Kündigung ausgesprochen. Der Abzug von 500,00 € netto von der Vergütung für August 2020 rechtfertige sich aus § 12 des Arbeitsvertrags. Der Kläger habe an dem von ihm genutzten Transportfahrzeug einen Schaden in Höhe von mehreren tausend Euro verursacht. Der Selbstbehalt des Beklagten betrage 1.000,00 €. Für den Monat September 2020 sei allenfalls der 01.09.2020 zu vergüten. Am 02.09.2020 habe der Kläger infolge Alkohol- und/oder anderer berauschender Mittel nicht arbeiten können. Urlaubsabgeltungsansprüche kämen allenfalls pro rata temporis in Betracht.

Der Beklagte beantragt, das Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg, AZ.: 5 Ca 2353/20 vom 26.04.2021 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Für die Argumentation einer Zustellungsvereitelung bleibe kein Raum. Der Beklagte habe den Kläger mehrfach mit einem PKW von zuhause abgeholt, weshalb dieser die aktuelle Adresse des Klägers gekannt habe. Eine Kündigung an den Kläger habe über einen Schriftsatz an das Gericht oder direkt an den Unterzeichner übersandt werden können. Der Vortrag des Beklagten hinsichtlich eines Schadens im August 2020 sei unsubstanziiert und werde im Übrigen bestritten. Hinsichtlich des gesamten Urlaubsanspruchs für 2020 verweist der Kläger auf § 4 BUrlG.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze des Beklagten vom 29.07.2021 (Bl. 96 – 100 d. A.) und vom 21.10.2021 (Bl. 110 – 112 d. A.), den Schriftsatz des Klägers vom 02.09.2021 (Bl. 107 – 109 d. A.) sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.10.2021 (Bl. 113 – 117 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, aber überwiegend unbegründet.

I.

Die nach § 66 Abs. 1 lit. b) und c) ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO, und damit zulässig.

II.

Die Berufung ist jedoch überwiegend unbegründet.

1. Die Kündigung vom 02.09.2020, zugestellt per WhatsApp am 22.09.2020, ist wegen Verstoßes gegen die Schriftform, §§ 623, 126 Abs. 1 BGB, nichtig, § 125 Satz 1 BGB.

Fristlose Arbeitnehmerkündigung per WhatsApp - treuwidriges Berufen auf Formmangel
(Symbolfoto: Diego Cervo/Shutterstock.com)

a) Gemäß § 623 BGB bedarf die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Dies soll Rechtssicherheit für die Vertragsparteien und eine Beweiserleichterung im Rechtsstreit bewirken. Die Schriftform wird nach § 126 Abs. 1 BGB dadurch erfüllt, dass die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet wird. Durch die Unterzeichnung wird der Aussteller der Urkunde erkennbar. Sie stellt eine unzweideutige Verbindung zwischen der Urkunde und dem Aussteller her (Identifikationsfunktion). Außerdem wird durch die Verbindung zwischen Unterschrift und Erklärungstext gewährleistet, dass die Erklärung inhaltlich vom Unterzeichner herrührt (Echtheitsfunktion). Schließlich erhält der Empfänger der Erklärung die Möglichkeit zu überprüfen, wer die Erklärung abgegeben hat und ob die Erklärung echt ist (Verifikationsfunktion). Die Schriftform des § 623 i.V.m. § 126 BGB schützt damit vor allem den Kündigungsempfänger. Darüber hinaus entfaltet das Schriftformerfordernis für den Erklärenden eine Warnfunktion (vgl. BAG, Urteil vom 17.12.2015 – 6 AZR 709/14 – Rn. 27 m.w.N.).

b) Die per WhatsApp übermittelte Kündigungserklärung vom 02.09.2020 genügt dem Schriftformerfordernis des § 126 Abs. 1 BGB nicht. Die dem Kläger übersandte WhatsApp-Nachricht gibt lediglich die Ablichtung der Originalunterschrift des Beklagten wieder (für den vergleichbaren Fall des Telefaxes vgl. BAG, Urteil vom 17.12.2015 – 6 AZR 709/14 – Rn. 47). Ist aber die Schriftform für eine Erklärung unter Abwesenden vorgesehen, wird die Erklärung erst in dem Zeitpunkt wirksam (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB), in dem sie dem anderen Teil in der gesetzlich vorgeschriebenen Form zugeht. Es reicht nicht aus, dass der Empfänger die Erklärung unterzeichnet und den anderen Teil hierüber in anderer Form, die die Voraussetzungen nach § 126 BGB nicht wahrt, in Kenntnis setzt (vgl. BAG, Urteil vom 17.12.2015 – 6 AZR 709/14 – Rn. 47 und Urteil vom 07.07.2010 – 4 AZR 1023/08 – unter II. 1. der Gründe).

c) Dem Kläger ist die Berufung auf den Formmangel nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt.

aa) Ein Berufen auf einen Formmangel kann nur ausnahmsweise das Gebot von Treu und Glauben verletzen. Die Formvorschrift des § 623 BGB darf im Hinblick auf ihren Sinn und Zweck nicht ausgehöhlt werden. Ein Formmangel kann deshalb nach § 242 BGB nur ganz ausnahmsweise als unbeachtlich qualifiziert werden. Das Ergebnis muss für einen Vertragsteil schlechthin untragbar sein. Hierfür reicht die Erfüllung der Voraussetzungen der Verwirkung nicht aus. Es müssen vielmehr Umstände hinzukommen, die das Verhalten des Berechtigten in hohem Maße als widersprüchlich erscheinen lassen (vgl. BAG, Urteil vom 17.12.2015 – 6 AZR 709/14 – Rn. 51 m.w.N.).

bb) Diese strengen Kriterien für die Annahme eines Verstoßes gegen Treu und Glauben sind im vorliegenden Fall nicht hinreichend dargelegt worden.

Der Beklagte hat schon nicht vorgetragen, dass ihm eine Zustellung einer schriftlichen Kündigung am 02.09.2020 an den Kläger persönlich oder an dessen neue Anschrift etwa im Wege der Postnachsendung nicht möglich war. Er hat sich insoweit darauf beschränkt zu behaupten, dass der Kläger am 02.09.2020 seinen Einsatzort verlassen und seine aktuelle Anschrift nicht mitgeteilt habe. Der Beklagte hat darüber hinaus nicht dargelegt, wann der Kläger durch wen auf welche Art und Weise erfolglos um Mitteilung seiner neuen Anschrift aufgefordert worden ist. Er hat insbesondere nicht dargelegt, dass er den Kläger via WhatsApp vergeblich nach seiner neuen Anschrift gefragt habe, obwohl er über dieses Medium mit dem Kläger kommunizierte.

Der Formmangel der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 02.09.2020 aufgrund der Übersendung per WhatsApp ist für den Beklagten auch nicht schlechthin untragbar. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde jedenfalls unstreitig zum 15.02.2021 beendet. Eine frühere Beendigung unter Wahrung jedenfalls der ordentlichen Kündigungsfrist wäre möglich gewesen, wenn der Beklagte nach Zugang der Kündigungsschutzklage am 15.10.2019 versucht hätte, die Kündigung unter der ihm mit der Klageschrift bekannt gewordenen neuen Anschrift des Klägers per Post, Boten oder Gerichtsvollzieher zuzustellen. In diesem Zusammenhang kann sich der Beklagte nicht darauf berufen, diese Möglichkeiten nicht gekannt zu haben. Wenn sich der Beklagte am Markt als Unternehmer und Arbeitgeber betätigt, kann und muss er sich ggf. Rechtsrat einholen. Schließlich wäre eine Übersendung an den Prozessbevollmächtigten des Klägers, der die Vertretung mit Telefax vom 27.11.2020 angezeigt hatte, möglich gewesen. Er war zur Entgegennahme von Kündigung bevollmächtigt.

2. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung von 500,00 € netto als Teil seiner Augustvergütung gemäß § 611 a Abs. 2 BGB i.V.m. seinem Arbeitsvertrag.

Zum einen scheidet § 12 des Arbeitsvertrags, wonach bei selbstverschuldeten Schäden am Fahrzeug ein Eigenanteil von 500,00 € erhoben wird, als Rechtsgrundlage aus. Diese arbeitsvertragliche Norm ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB wegen unangemessener Benachteiligung des Klägers unwirksam. § 12 des Arbeitsvertrags erlegt dem Kläger auch bei leichtester Fahrlässigkeit eine Haftung von 500,00 € auf, obwohl er nach den Grundsätzen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung bei diesem Verschuldensmaßstab nicht haften würde. Von den aus der entsprechenden Anwendung von § 254 BGB folgenden Regeln über die Haftung im Arbeitsverhältnis kann einzelvertraglich nicht zu Lasten des Arbeitnehmers abgewichen werden (vgl. BAG, Urteil vom 05.02.2004 – 8 AZR 91/03 – unter II. 2. c) der Gründe; krit. ErfK/Preis, 21. Aufl. 2021, § 619 a BGB Rn. 11 und §§ 305 bis 310 BGB Rn. 85).

Zum anderen hat der Beklagte trotz Bestreitens durch den Kläger nicht konkret vorgetragen, dass an dem vom Kläger genutzten Transportfahrzeug ein Schaden in Höhe von mehreren tausend Euro verursacht worden und ein Selbstbehalt von 1.000,00 € erhoben worden sei. Ebenso fehlt jeder Beweisantritt.

3. Der Kläger hat Anspruch auf Vergütung für den 01.09. und 03.09.2020 in Höhe von 134,59 € brutto, §§ 611a Abs. 2, 615 BGB.

Dass der 01.09.2020 zu vergüten ist, hat der Beklagte nicht substantiiert bestritten. Er räumt vielmehr ein, dass dieser Tag „allenfalls“ zu vergüten sei. Für den 03.09.2020 fehlt es an einem Vortrag des Beklagten überhaupt. Allerdings will er gegenüber dem Kläger am 02.09.2020 mündlich die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen haben. Der Beklagte hat sich deshalb am 03.09.2020 in Annahmeverzug befunden, weil der Arbeitgeber durch Ausspruch einer rechtsunwirksamen Kündigung mit Ablauf der Kündigungsfrist grundsätzlich in Annahmeverzug kommt, ohne dass es eines – auch nur wörtlichen – Arbeitsangebots des Arbeitnehmers bedarf, §§ 295, 296 BGB. In der Kündigung liegt nämlich zugleich die Erklärung, die Arbeitsleistung – nach Ablauf der Kündigungsfrist – nicht mehr anzunehmen (vgl. BAG, Urteil vom 14.12.2017 – 2 AZR 86/17 – Rn. 32). Die mündlich am 02.09.2020 ausgesprochene Kündigung war gem. § 623 BGB unwirksam, weil sie die Schriftform nicht wahrte.

Die Berufung ist hingegen erfolgreich, soweit der Beklagte in seiner Berufungsbegründung vorgetragen hat, dass der Kläger am 02.09.2020 wegen Alkoholisierung und/oder anderer berauschender Mittel keine Arbeitsleistung erbracht hat. Diesen Vortrag hat der Kläger nicht bestritten. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Kläger an diesem Tag keine Arbeitsleistung erbracht und deshalb auch keinen Anspruch auf Vergütung hat, §§ 611 Abs. 1, 611 a Abs. 2 BGB.

Die Höhe der Vergütung berechnet sich entsprechend dem Klageantrag (§ 308 Abs. 1 ZPO) mit 2/30 aus 2.024,27 € brutto.

4. Der Beklagte schuldet dem Kläger Urlaubsabgeltung in Höhe von beantragten 1.868,40 € brutto gemäß §§ 7 Abs. 4, 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG.

Nachdem im Anschluss an die vorstehenden Ausführungen feststeht, dass die per WhatsApp am 22.09.2020 zugegangene außerordentliche fristlose Kündigung vom 02.09.2020 das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat, steht nach den nicht angegriffenen weiteren Feststellungen des Arbeitsgerichts fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 15.02.2021 endete. Folglich liegen die Voraussetzungen für einen Teilurlaub nach § 5 Abs. 1 BUrlG nicht vor. Für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor dem 01. Juli begonnen hat, entsteht kein Teilurlaubsanspruch, sondern nach Ablauf von sechs Monaten ein Vollurlaubsanspruch nach § 4 BUrlG (vgl. ErfK/Gallner, 21. Aufl. 2021, § 5 BUrlG, Rn. 6; Linck in Schaub, ArbRHdb, 19. Aufl. 2021, § 104, Rn. 25 und 63). Das am 02.06.2020 begonnene Arbeitsverhältnis hat länger als sechs Monate bestanden; es endete am 15.02.2021.

Im Übrigen wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe Bezug genommen, die der Beklagte mit seiner Berufungsbegründung auch nicht in Zweifel gezogen hat.

5. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.

IV.

Es bestand kein Grund im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG, die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!