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Fristlose Kündigung – Abschwächung der Warnfunktion bei mehreren Abmahnungen

ArbG Mönchengladbach – Az.: 2 Ca 1188/11 – Urteil vom 29.06.2011

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 15.04.2011 beendet wurde.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Streitwert: 9.600,00 Euro.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen, außerordentlichen Kündigung.

Der 53jährige, verheiratete und 4 Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 01.04.1987 bei der Beklagten, für die regelmäßig mehr als 5 Arbeitnehmer tätig sind, als Hilfskraft im Tiefdruck gegen ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt in Höhe von zuletzt ca. 3.200,00 Euro beschäftigt.

Der Kläger ist Ersatzmitglied des im Betrieb der Beklagten gebildeten Betriebsrates.

In dieser Funktion hat er an der Betriebsratssitzung am 14.04.2011 teilgenommen wegen Verhinderung des Betriebsratsmitgliedes K. I..

Die Beklagte hat dem Kläger in der Vergangenheit diverse Abmahnungen erteilt.

Hierbei beziehen sich die Abmahnungen vom 11.09.1996 (vgl. Bl. 7 d.A.), 07.01.2003 (vgl. Bl. 39 d.A.), 17.08.2007 (vgl. Bl. 13 d.A.) und 22.09.2009 (vgl. Bl. 14 d.A.) auf Verstöße des Klägers gegen das im Betrieb der Beklagten bestehende Rauchverbot.

Die Beklagte hat seit jeher durch entsprechende Aushänge auf das bestehende Rauchverbot im Betrieb hingewiesen. Es wurde zuletzt auch in einer Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2009 geregelt. In der Betriebsvereinbarung wurden Raucherzonen festgelegt, die sich außerhalb der Hallen und an solchen Stellen innerhalb der Produktionshallen befinden, in denen keine Gefahr besteht.

Wegen der dem Kläger hinsichtlich anderer arbeitsvertraglicher Verstöße erteilten Abmahnungen wird auf die zur Akte gereichten Ablichtungen Bl. 7 ff d.A. ergänzend Bezug genommen.

Am 05.04.2011 wurde der Kläger an der Auslage der Rotationsmaschine 9 rauchend angetroffen.

Mit Schreiben vom 12.04.2011 hörte die Beklagte den in ihrem Betrieb gebildeten Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers an (vgl. Bl. 45 ff d.A.).

Am 14.04.2011 behandelte der Betriebsrat im Rahmen seiner wöchentlichen Betriebsratssitzung die Angelegenheit. Am 15.04.2011 teilte die Vorsitzende des Betriebsrates, Frau I., dem Geschäftsführer der Beklagten mit, dass der Betriebsrat den Beschluss gefasst habe, zur Angelegenheit keine Stellungnahme abzugeben.

Mit Schreiben vom 15.04.2011 (vgl. Bl. 6 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis sodann fristlos.

Der Kläger behauptet, im Hinblick auf Verstöße gegen das Rauchverbot bestehe keine Wiederholungsgefahr, da er sich das Rauchen inzwischen abgewöhnt habe. Zudem habe der Kläger aufgrund der Anzahl der einschlägigen Abmahnungen und aufgrund des Umstandes, dass in der letzten, sich auf den Verstoß gegen das Rauchverbot beziehenden Abmahnung eine weniger einschneidende Maßnahme angedroht worden sei, nicht ernstlich mit einer außerordentlichen Kündigung im Wiederholungsfall rechnen müsse.

Der Kläger vertritt die Rechtsauffassung, der Betriebsrat habe nicht nur nach § 102 BetrVG angehört werden müssen, sondern es habe der Zustimmung nach § 103 BetrVG bedurft.

Der Kläger trägt vor, er habe Kenntnis von der streitgegenständlichen Kündigung erst am Samstag, dem 16.04.2011 erlangt.

Der betriebliche Raucherplatz befinde sich in der gleichen Halle, maximal 4 bis 5 m entfernt von der Stelle, an der der Kläger zuletzt rauchend angetroffen worden sei.

Der Kläger beantragt, festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 15.04.2011 beendet wurde.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass der Kläger sich das Rauchen abgewöhnt habe.

Sie trägt vor, die Kündigungserklärung sei am 15.04.2011 um 15:10 Uhr in den Hausbriefkasten des Klägers eingelegt worden.

Im Hinblick auf die Anhörung des Betriebsrates sei auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung abzustellen. Am 15.04.2011 sei das vom Kläger vertretende Betriebsratsmitglied I. wieder im Betrieb gewesen. Erst ab 18.04.2011 habe sich das Betriebsratsmitglied in Urlaub befunden. Darauf, dass Herr I. am 16.04.2011, einem Samstag, nicht im Betrieb der Beklagten anwesend gewesen sei, könne sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen, da der Samstag nicht zur regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit gehöre.

Die Beklagte vertritt die Rechtsauffassung, die Kündigungsandrohung sei nicht wegen zu vieler Abmahnungen entwertet worden. Auch die Formulierung „Kündigung“ bei der Androhung in der Abmahnung müsse überhaupt nicht fallen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Ablichtungen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet.

Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien hat durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 15.04.2011 nicht mit Zugang dieser Kündigung mit sofortiger Wirkung sein Ende gefunden.

Die Kündigung ist rechtsunwirksam.

1. Der Kläger genießt zumindest nachwirkenden Kündigungsschutz nach Maßgabe von § 16.bs. 1 S. 2 KSchG.

Der nachwirkende Kündigungsschutz steht auch dem Ersatzmitglied zu, das für ein vorübergehend verhindertes Mitglied in das Gremium einrückt und nach Beendigung des Vertretungsfalles wieder aus dem Gremium ausscheidet (vgl. BAG, 18.05.2006, EzA § 69 APG 1969 Nr. 5, 12.02.2004, EzA § 15 KSchG n.F. Nr. 56).

Besteht nachwirkender Kündigungsschutz, ist die Kündigung innerhalb eines Jahres vom Zeitpunkt der Beendigung der Amtszeit angerechnet unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen.

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die Prüfung ob ein bestimmter Sachverhalt die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes erfüllt, ist in zwei Stufen zu prüfen. Zunächst ist festzustellen, ob ein wichtiger Grund an sich für eine außerordentliche Kündigung geeignet ist. Danach ist im Einzelfall eine Interessenabwägung vorzunehmen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts z.B. vom 05.04.2001, 2 AZR 580/99 in AP zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung Nr. 32; BAG vom 16.07.2000, 2 AZR 75/99 in AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 124; BAG v. 09.05.1996, 2 AZR 387/95 in NZA 1996, S. 1085; BAG v. 21.11.1996, 2 AZR 357/95 in NZA 1997, S. 487 ff.).

Allerdings hat der Kläger seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen verletzt, da er gegen das im Betrieb der Beklagten bestehende Rauchverbot trotz mehrerer einschlägiger Abmahnungen verstoßen hat.

Die Rechtsunwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung ergibt sich nach Auffassung der Kammer aber aus einer Abschwächung der Warnfunktion dieser Abmahnung.

Die Warnfunktion einer Abmahnung kann erheblich dadurch abgeschwächt werden, dass der Arbeitgeber bei ständig neuen Pflichtverletzungen des Arbeitgebers stets nur mit einer Kündigung droht, ohne jemals arbeitsrechtliche Konsequenzen folgen zu lassen (vgl. BAG vom 16.09.2004, EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64).

Der Arbeitgeber muss dann die letzte Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung besonders eindringlich gestalten, um dem Arbeitnehmer klar zu machen, dass weitere derartige Pflichtverletzungen nunmehr zum Ausspruch einer Kündigung führen werden (vgl. BAG vom 15.11.2001, BB 2002, 1269 bis 1270).

Auch hier ist eine derartige Fallgestaltung gegeben. So hat die Beklagte dem Kläger während der Dauer des Arbeitsverhältnisses diverse Abmahnungen erteilt, denen keine weiteren Konsequenzen gefolgt sind. Insgesamt erhielt der Kläger mindestens sieben Abmahnungen, davon entfielen alleine vier Abmahnungen auf Verstöße gegen das Rauchverbot. Hat sich die Beklagte aber auch bei vier von ihr festgestellten Verstößen gegen das Rauchverbot darauf beschränkt, jeweils eine Abmahnung auszusprechen, so war aus Sicht des Klägers nicht damit zu rechnen, dass es beim erneuten Verstoß zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung kommen würde. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass die Konsequenzandrohung in den beiden letzten der streitgegenständlichen Kündigung vorangegangenen Abmahnungen wegen Verstoßes gegen das Rauchverbot sogar schwächer formuliert ist als die Konsequenzandrohung in den übrigen zeitlich früher erteilten Abmahnungen wegen Verstoßes gegen das Rauchverbot. Heißt es in den Abmahnungen vom 11.09.1996 und 07.01.2003 „Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass Sie im Wiederholungsfalle bei einem gleichgelagerten oder einem ähnlichen Verhalten mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen müssen“, so lautet die Konsequenzandrohung in den Abmahnungen vom 17.08.2007 und 22.09.2009 „Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass Sie im Wiederholungsfalle bei einem gleich gelagerten oder einem ähnlichen Verhalten mit weiteren arbeitsrechtlichen Schritten bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen müssen“. Aus den Konsequenzandrohungen in den Abmahnungen aus den Jahren 2007 und 2009 ergibt sich demzufolge, dass als arbeitsrechtliche Konsequenz nicht nur eine Kündigung, sondern ggf. auch eine weniger einschneidende Sanktion in Betracht kommt. Die Abschwächung der Warnfunktion in der Abmahnung ergibt sich hier aus einem Zusammenspiel zwischen der Anzahl der Abmahnungen und der milderen Konsequenzandrohung. Wollte die Beklagte mit Erteilung der Abmahnung vom 22.09.2009 deutlich machen, dass sie – anders als in der Vergangenheit – bei auch nur einem weiteren Verstoß gegen das Rauchverbot eine Kündigung aussprechen werde, so hätte sie diese letzte Abmahnung besonders eindringlich gestalten müssen. Dies hätte z.B. durch einen besonders hervorgehobenen Text oder aber durch ein eindringliches Abmahnungsgespräch erfolgen können (vgl. BAG vom 15.11.2001, a.a.O.).

2. Da sich die Rechtsunwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung bereits aus den o.g. Gründen ergibt, kann hier dahinstehen, ob sie darüber hinaus auch aus der mangelnden Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung des Klägers nach Maßgabe von § 103 BetrVG folgt.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 12 a ArbGG, 91 ZPO.

III.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 42 Abs. 3 GKG.

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