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Fristlose Kündigung Tankstellenverkäufer wegen Eigenverwertung von leeren Pfandflaschen

Eigenverwertung von Pfandflaschen: Fristlose Kündigung von Tankstellenverkäufer

Die Eigenverwertung von leeren Pfandflaschen an einem Arbeitsort kann ungeahnte Folgen haben. Dies wird am Beispiel eines Tankstellenverkäufers deutlich, der auf fristloser Kündigung klagte, weil er Pfandflaschen während der Arbeitszeit gesammelt hatte – eine Aktion, die eine wesentliche Rolle in der Diskussion um Arbeitnehmer-Kündigung spielt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 2 Sa 357/21  >>>

Das Wichtigste in Kürze


  • Fall von fristloser Kündigung eines Tankstellenverkäufers aufgrund der Eigenverwertung von gefundenen Pfandflaschen
  • Der Kläger weist die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nach, die ordentliche Kündigung hingegen wird hingenommen
  • Verhandlung über die Eigentumsfrage der Pfandflaschen und ob schlüssige Kündigungsgründe vorgebracht wurden
  • Die Beklagtenseite argumentiert, dass das Einlösen der Pfandflaschen durch den Kläger eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstelle, die jegliche Basis für eine weitere Zusammenarbeit entziehe
  • Kläger argumentiert, dass ihm nicht bewusst gewesen sei, dass die gefundenen Pfandflaschen als Vermögenswerte der Tankstellenbetreiberin anzusehen seien, und betont, dass diese Praxis vom vorherigen Betreiber geduldet wurde
  • Gericht hält die vorgeworfene Pflichtverletzung nicht für so schwerwiegend, dass eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt gewesen wäre und hebt hervor, dass dieser Fall sich von anderen Fällen (z.B. Diebstahl aus Shop-Kasse) unterscheidet
  • Es wird festgestellt, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam ist und der Arbeitgeber bei so einer unklaren Eigentumslage eine klare Weisung hätte geben müssen

Außerordentliche Kündigung aufgrund Sammeln von Pfandflaschen

Eigentumsrecht bei Pfandflaschen
Das Sammeln von Pfandflaschen am Arbeitsplatz: Ein Fall verdeutlicht die rechtlichen Grauzonen und die Bedeutung klarer Arbeitsanweisungen. (Symbolfoto: Veja /Shutterstock.com)

In der Beschwerde des Klägers wurde behauptet, dass er im Rahmen seines ordnungsgemäßen Erwerbs für eingelöste Pfandflaschen zuvor das Pfand selbst entrichtet hatte. Aus seiner Sicht waren ihm daher im Sinne des Pfandrechts Eigentumsrechte an den Flaschen zuzustehen. Auch war dem Kläger nicht bewusst, dass Pfandflaschen, die auf dem Tankstellengelände abgestellt waren, der Beklagten – seiner Arbeitgeberin – zuzuordnen waren. Im Laufe seiner Anstellung kam es nie zu expliziten Anweisungen oder Abmahnungen, die diese Praxis verbieten sollte.

Vertiefung der Problematik

Die Beklagte, die Arbeitgeberin, brachte das Argument vor, dass dem Kläger hätte klar sein müssen, dass sein Verhalten eine erhebliche Verletzung der Vertragspflichten darstellt und daher eine unwiderrufliche Erschütterung des Vertrauens nach sich zieht. Diese Auffassung verstärkte die Verstoß gegen Pfandflaschensammelverbot Position.

Ein weiterer Einwand wurde berücksichtigt, dass der vorherige Betreiber der Tankstelle mit der Pfandeinlösung für aufgefundene Flaschen durch Mitarbeiter einverstanden gewesen sei. Die Beklagte sprach sich gegen diese Behauptung des Klägers aus.

Gerichtliche Bewertung und Urteil

Im Urteil ging das Gericht darauf ein, dass die vorgeworfene Pflichtverletzung nicht derart schwerwiegend sei, dass der Kläger ohne explizite vorherige Weisung oder einschlägige Abmahnung hätte erkennen müssen, dass er berechtigte Vermögensinteressen der Beklagten gegen deren Willen verletzt. Es stand fest, dass das Sammeln von Pfandflaschen zur finanziellen Aufbesserung in der Bevölkerung allgemein bekannt ist. Es besteht hier ein „Graubereich“, welcher durch eine klare vorhergehende Weisung von der Beklagten hätte geregelt werden können.

Aufgrund dieser Betrachtungen kam das Gericht zu dem Schluss, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam war.

Schlüsselerkenntnisse zum Fall der Pfandflaschen

Dieses Urteil unterstreicht die Notwendigkeit einer klaren Kommunikation und Weisungsgebung am Arbeitsplatz bezüglich der Nutzung von Unternehmenseigentum oder „Graubereichen“ wie dem Sammeln von Pfandflaschen. Es zeigt auch die möglichen Konsequenzen, die entstehen können, wenn ein Arbeitnehmer in Außerordentlicher Kündigung verwickelt wird. Es ist unerlässlich, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihre Rechte und Pflichten kennen, wenn sie sich in solchen Situationen wiederfinden.

Insgesamt spiegelt das Urteil die Bedeutung von Fairness, Verhältnismäßigkeit und Transparenz im Arbeitsverhältnis wider. Hierbei stand vor allem das Thema Fristlose Kündigung in Verbindung mit der Sammlung von Pfandflaschen im Vordergrund des rechtlichen Konflikts.

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Eigentumsrecht bei Pfandflaschen – Arbeitsrecht – kurz erklärt

Das Eigentum an Pfandflaschen ist rechtlich komplex. Grundsätzlich geht das Eigentum an der Flasche mit dem Kauf des Getränks auf den Käufer über. Bei der Rückgabe an den Handel geht das Eigentum wieder auf den ursprünglichen Besitzer (Hersteller oder Händler) über.

Wurde die Flasche jedoch speziell für einen bestimmten Hersteller/Abfüller gekennzeichnet (sog. Individualflasche), bleibt dieser Eigentümer, auch wenn die Flasche verkauft wurde. Der Käufer erwirbt in dem Fall nur das Getränk, nicht die Flasche.

Ob eine entsorgte Pfandflasche noch im Eigentum des ursprünglichen Besitzers steht, ist umstritten. Teilweise wird vertreten, dass mit der Entsorgung der Verzicht auf das Eigentum erklärt wurde. Andererseits kann argumentiert werden, dass dem Handel durch die Rückgabepflicht faktisch das Eigentum zufällt.

Das unerlaubte Sammeln von Pfandflaschen durch Mitarbeiter kann eine fristlose Kündigung rechtfertigen, insbesondere nach Abmahnung. Allerdings ist die Eigentumslage mit Blick auf entsorgte Flaschen nicht eindeutig, so dass die Rechtmäßigkeit im Einzelfall geprüft werden muss.


Das vorliegende Urteil

Sächsisches Landesarbeitsgericht – Az.: 2 Sa 357/21 – Urteil vom 28.11.2022

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Zwickau vom 07.07.2021 – Az. 9 Ca 190/21 – wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Die Beklagte betreibt eine gepachtete Tankstelle. Der Kläger war seit dem 01.08.2018 zunächst beim Rechtsvorgänger und dann bei der Beklagten als Verkäufer, Bereich Tankstelle, zu einem monatlichen Bruttogehalt i.H.v. durchschnittlich ca. 1.957,45 Euro beschäftigt. Es waren regelmäßig nicht mehr als 10 Vollzeitbeschäftigte tätig, ein Betriebsrat bestand nicht.

Die Tankstelle ist mit einem Shop kombiniert. Den Mitarbeitern der Beklagten war gestattet, gegen Bezahlung dort einzukaufen. Im Shop wurden auch leere Pfandflaschen gegen Auszahlung des Pfands angenommen. Es kam vor, dass Kunden lediglich Flaschen abgaben und sich Pfand auszahlen ließen, da der Standort verkehrsgünstig gelegen ist und die Beklagte Kunden ansprechen wollte, nicht nur ein Fahrzeug zu betanken, sondern das sonstige Waren- und Dienstleistungsangebot zu nutzen. Auf dem Gelände der Tankstelle fanden sich immer wieder Pfandflaschen, die von Kunden nicht zurückgegeben, sondern beispielsweise im Mülleimer entsorgt wurden. Eine Weisung der Beklagten, wie mit diesen Flaschen umzugehen sei, bestand nicht.

Die Beklagte sprach dem Kläger unter dem 03.02.2021, am selben Tag zugegangen, eine außerordentliche Kündigung aus.

Unmittelbar nach Aushändigung der Kündigung überreichte die Beklagte dem Kläger zusätzlich eine Abmahnung. Diese hat auszugsweise folgenden Inhalt:

„Für mich haben Sie wiederholt – fast täglich – Diebstahl begangen, z.B. am 22.12.2020 um 14.35 Uhr und um 16.50 Uhr, am 23.12.2020 um 16.51 Uhr, am 28.12.2020 um 18.51 Uhr, am 29.12.2020 um 17.02 Uhr und 17.37 Uhr.

Weiterhin habe ich den Verdacht, daß Sie dieses auch anderen Mitarbeitern so mitgeteilt haben und diese zum Diebstahl animiert haben.“

Durch weiteres Schreiben vom 25.02.2021, dem Kläger zugegangen am 26.02.2021, kündigte die Beklagte dessen Arbeitsverhältnis ordentlich.

Mit der am 23.02.2021 der Beklagten zugestellten Klage machte der Kläger die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung geltend. Die ordentliche Kündigung hat der Kläger hingenommen, so dass das Arbeitsverhältnis jedenfalls mit Ablauf des 31.03.2021 endete.

Der Kläger hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, die Beklagte erlange an den weggeworfenen Flaschen kein Eigentum. Dieses stehe vielmehr dem Hersteller/Abfüller zu, da es sich ansonsten nicht um eine Pfandflasche handele. Die Eigentumsfrage sei aber nachrangig, weil zu einem Kündigungsgrund nicht schlüssig vorgetragen sei. Er habe zu keinem Zeitpunkt Pfandflaschen, die der Beklagten zuzuweisen wären, an sich genommen und sich unberechtigt Pfand auszahlen lassen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 03.02.2021 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 31.03.2021 fortbestanden hat.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger das auf dessen Namen lautende Gesundheitszeugnis herauszugeben.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich zur Begründung der Kündigung vorgetragen,

sie habe im Gespräch am 03.02.2021 von einer zum 31.01.2021 neu eingestellten Mitarbeiterin erfahren, dass der Kläger Pfandflaschen, welche von Kunden auf dem Tankstellengelände entsorgt worden seien, eingesammelt habe und diese gegen den Pfandbetrag während seiner Arbeitszeit selbst in der Tankstelle eingelöst habe. Nach Aussage der neuen Mitarbeiterin haben der Kläger und andere Mitarbeiter ihr gesagt, sie solle sich das Pfand für aufgefundene Flaschen aus der Kasse nehmen und die Flaschen ins Lager bringen. Anhand des Kassensystems habe diese Aussage nachvollzogen werden können. Es seien mehrere Einträge ersichtlich gewesen, aus denen sich zu den Arbeitszeiten des Klägers Pfandeinlösungen gefunden haben, ohne das weitere Transaktionen im zeitlichen Zusammenhang gestanden haben. Beispielhaft sei dies an folgenden Tagen der Fall gewesen: 22.12.2020, 14.35 Uhr; 22.12.2020,16.50 Uhr; 23.12.2020, 16.51 Uhr; 28.12.2020, 18.51 Uhr; 29.12.2020, 17.02 Uhr; 29.12.2020, 17.37 Uhr.

Die Entnahme des Pfandes für Flaschen, welche auf dem Tankstellengelände aufgefunden worden seien, stelle strafrechtlich einen Diebstahl dar. Die Flaschen seien Eigentum der Beklagten geworden, weil letztere hinsichtlich aller sich in Ihrem Gewaltbereich befindlichen herrenlosen Gegenstände Besitzberechtigte gewesen sei. Jedenfalls habe der Kläger verbotene Eigenmacht geübt, indem er auf dem Betriebsgelände zurückgelassene Flaschen an sich genommen habe. Er sei insoweit nur Besitzdiener. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft, da ein gegen das Vermögen der Beklagten gerichteter schwerwiegender Pflichtverstoß vorliege. Dies mache die Weiterbeschäftigung unzumutbar. Schließlich stelle die Abgabe der Pfandflaschen während der Arbeitszeit eine private Tätigkeit dar, welche in erheblichem Umfang erfolgt sei. Der Kläger habe nicht bestritten, auf dem Betriebsgelände aufgefundene Pfandflaschen bei der Beklagten eingelöst und den Pfandbetrag einbehalten zu haben. Auf die Ausführungen hierzu im Schriftsatz der Beklagten vom 31.05.2021, dort Seite 2 (Bl. 28 der Akte erster Instanz) wird Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 07.07.2021 hinsichtlich der Kündigung stattgegeben, den Antrag zu 2. hat es – rechtskräftig – abgewiesen. Zur Begründung der Stattgabe wird ausgeführt, die Beklagte habe die Pflichtverletzung nicht ausreichend dargelegt bzw. nicht nachgewiesen. Es sei schon nicht feststellbar, dass der Kläger überhaupt auf dem Gelände der Tankstelle aufgefundene Pfandflaschen im Shop der Tankstelle eingelöst und sich in Gestalt der ausgezahlten Pfandbeträge einen Vermögensvorteil verschafft habe. Es sei lediglich vorgetragen, dass er Pfandflaschen eingelöst habe. Nach Behauptung des Klägers habe er diese zuvor rechtmäßig erworben. Dem sei die Beklagte nicht ausreichend entgegengetreten. Die Ansicht der Beklagten, wonach der Kläger schon nicht bestritten habe, auf dem Gelände der Tankstelle aufgefundene Pfandflaschen an sich genommen zu haben, erschließe sich nicht. Die benannte Zeugin sei nicht zu hören, da diese erst nach den hier mit konkreten Daten behaupteten Pflichtverletzungen eingestellt worden sei. Die Beklagte habe nicht erläutert, wieso diese Zeugin zum Sachverhalt aussagekräftig sei. Für weitere ohne Datum pauschal behauptete Pflichtverletzungen nach dem 31.01.2021 fehle es an konkretem Vortrag, so dass die Zeugin hierfür ebenfalls nicht zu hören sei. Soweit die Beklagte im Kündigungsschreiben auf einen Verdacht verweise, scheitere die Kündigung unter diesem Gesichtspunkt schon daran, dass die Beklagte den Kläger vor deren Ausspruch nicht anhörte. Jedenfalls gehe die durchzuführende Interessenabwägung zugunsten des Klägers dahin, dass die außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig sei. Die hier in Rede stehende Pflichtverletzung sei nicht derart schwerwiegend, dass für den Kläger erkennbar gewesen sei, dass eine Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich ausgeschlossen war. Der Sachverhalt sei mit anderen, in denen beispielsweise Geld aus der Kasse genommen worden war, nicht vergleichbar. Aufgrund der Dereliktion durch die Kunden fehle dem Arbeitnehmer regelmäßig das Unrechtsbewusstsein hinsichtlich der Frage, wem die Flasche nunmehr zustehe und ob er eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletze, wenn er sie an sich nehme. Daraus ergebe sich, dass keine schwerwiegende Pflichtverletzung vorliege, die eine vorhergehende Abmahnung entbehrlich mache. Vielmehr verlange der Sachverhalt gerade nach einer solchen. Im Übrigen habe auch die Beklagte selbst eine Abmahnung offensichtlich für erforderlich gehalten. Da diese unstreitig nach der Kündigung übergeben wurde, sei aber der Kündigungsgrund nicht bereits verbraucht. Eine private Tätigkeit während der Arbeitszeit in erheblichem Umfang sei nicht erkennbar.

Auf die weiteren Sachverhaltsfeststellungen des Arbeitsgerichts wird ergänzend Bezug genommen.

Gegen das dort am 29.07.2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte hinsichtlich der Klagestattgabe Berufung eingelegt, welche am 30.08.2021 beim Sächsischen Landesarbeitsgericht eingegangen ist und mit Eingang am 22.10.2021 innerhalb der gemäß Antrag vom 28.09.2021 bis zum 29.10.2021 verlängerten Frist begründet wurde.

Die Beklagte führt dazu aus, das erstinstanzliche Gericht gehe bereits fehlerhaft davon aus, dass sich das vorgeworfene Fehlverhalten allein auf die Schilderungen zur Einlösung der 6 Pfandflaschen am 22.12.2020, 23.12.2020 und 28.12.2020 beziehe. Diese Daten seien ausdrücklich nur als Beispiel angeführt. Der Vorwurf habe sich nicht auf diese konkreten Handlungen allein bezogen, sondern auf das Verhalten des Klägers, während der Arbeitszeit die auf dem Tankstellengelände hinterlassenen Flaschen einzusammeln und die Einlösung unter Einbehaltung des Pfands vorzunehmen. Dieser Vorwurf genüge der Darlegungspflicht der Beklagten, eine detaillierte Schilderung mit Datum und Uhrzeit sei nicht notwendig. Anderes würde zu einer unzulässigen Überforderung der darlegungs- und beweisbelasteten Partei führen. Das Ausgangsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, der Kläger habe hinreichend bestritten, dass er das Pfand von Flaschen einlöste, welche er zuvor auf dem Tankstellengelände an sich genommen habe. Wenn man dem erstinstanzlichen Gericht dennoch darin folge, sei der von der Beklagten angebotene Beweis zu erheben gewesen. Die Zeugin würde bestätigt haben, dass der Kläger ihr gegenüber das kündigungsrelevante Verhalten eingestanden habe.

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts falle die Interessenabwägung auch nicht zu Ungunsten der Beklagten aus. Bei dem vom Kläger an den Tag gelegten Verhalten handele es sich um eine schwerwiegende Pflichtverletzung, die gegen die Vermögensinteressen des Arbeitsgebers gerichtet sei und daher eine unwiderrufliche Erschütterung des Vertrauens zur Folge habe, die jegliche Basis für eine weitere Zusammenarbeit entziehe. Die Überlegung des Arbeitsgerichts, dass sich ein Arbeitnehmer über die Berechtigung am Flaschenpfand keine Gedanken mache und es ihm daher bereits am Unrechtsbewusstsein mangele, gehe fehl. Es dürfe mittlerweile allgemein bekannt sein, dass der Umgang mit aufgefundenen „Wertgegenständen“ (wozu auch die Pfandflasche zu zählen sei) rechtlich nicht unproblematisch sei. Ein Arbeitnehmer könne daher nicht davon ausgehen, dass auf dem Betriebsgelände aufgefundene Pfandflaschen in seinen Besitz und sein Eigentum übergehen. Er müsse sich zumindest die Frage stellen, ob der Arbeitgeber ein Anrecht auf diese Flaschen habe. Dies verpflichte ihn zu entsprechender Nachfrage beim Arbeitgeber oder auskunftsfähiger Personen.

Da es sich um eine gegen das Vermögen des Arbeitgebers gerichtete schwerwiegende Pflichtverletzung handele, sei eine Abmahnung entbehrlich. Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts habe die Beklagte den Ausspruch nicht selbst für notwendig gehalten. Die Abmahnung sei lediglich zur „Absicherung“ übervorsorglich ausgehändigt worden für den Fall, dass in einem möglichen arbeitsgerichtlichen Verfahren das Gericht die außerordentliche Kündigung als unwirksam erachte.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich, das am 07.07.2021 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Zwickau – 9 Ca 190/21 – teilweise abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hat sich den Ausführungen des Erstgerichts im Urteil angeschlossen und Letzteres verteidigt. Die Beklagte habe einen außerordentlichen Kündigungsgrund weder in der ersten Instanz noch in der Berufungsbegründung substantiiert dargelegt. Das Arbeitsgericht gebe den Sachvortrag des Klägers korrekt wieder, wonach er für eingelöste Pfandflaschen vorher das Pfand bei ordnungsgemäßem Erwerb selbst entrichtet habe und insoweit auch berechtigter Inhaber der Pfandflaschen gewesen sei. Es sei dem Kläger nicht geläufig gewesen, dass am oder im Tankstellengelände abgestellte Pfandflaschen allein der Beklagten zuzuordnen seien. Der vorherige Betreiber der Tankstelle habe das Einsammeln und Abgeben von Pfandflaschen durch die Kollegen des Klägers trotz Kenntnis nicht beanstandet. Der Kläger habe daher im Ergebnis von einem „zulässigen“ Verhalten ausgehen dürfen. Hinzu komme, dass Kunden dem Tankstellenpersonal teilweise Pfandflaschen direkt aushändigten und die Beklagten daher nicht per se Besitzer sämtlicher Pfandflaschen geworden sei, für die Pfand an „Dritte“ nicht ausgezahlt worden sei. Die Beklagte stütze sich darauf, dass ein bis zur Kündigung als zulässig angesehenes Verhalten künftig geändert werden solle. Ohne entsprechende Hinweise habe der Kläger hier aber nicht damit rechnen müssen, dass ein bisher in dem Arbeitsverhältnis als vertragsgemäß angesehenes Verhalten geändert werden solle.

Dem Vorbringen des Klägers, der vorherige Betreiber der Tankstelle sei mit der Pfandeinlösung für aufgefundene Flaschen durch Mitarbeiter einverstanden gewesen, ist die Beklagte nach Hinweis des Gerichts darauf, dass dieser Vortrag unstreitig sei, in der mündlichen Verhandlung mit einfachem Bestreiten entgegengetreten.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 28.11.2022.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte und gemäß den §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete, damit zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der zulässigen Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben, denn sie ist begründet.

I.

Gründe, die zur Unzulässigkeit der Klage führen könnten, sind nicht erkennbar und nicht geltend gemacht.

Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich bereits aus der Präklusionswirkung der §§ 13, 4, 7 KSchG. Dabei ist allerdings davon auszugehen, dass der Klageantrag bezüglich der zweiten Hälfte „sondern bis zum 31.03.2021 fortbestanden hat“ als zusätzlich zum Kündigungsschutzantrag rechtshängig gemachtem allgemeinen Feststellungsantrag grundsätzlich eines gesonderten Feststellungsinteresses bedürfte, welches nicht erkennbar ist. Das Ende jedenfalls mit Ablauf 31.03.2021 steht zwischen den Parteien genauso wenig im Streit wie die Tatsache, dass es abgesehen von der mit der ersten Hälfte des Feststellungsantrags angegriffenen außerordentlichen Kündigung keine weiteren streitigen Beendigungstatbestände gibt. Der Klageantrag ist aber dahin auszulegen, dass es sich bei dem Fortsatz gerade nicht um einen selbstständigen Feststellungsantrag handelt, sondern nur um ein unselbständiges Anhängsel. Schon der Klagebegründung sind keinerlei Ausführungen zu entnehmen, wonach ein selbstständiger Feststellungsantrag gewollt wäre, dort noch mit der üblichen Formulierung, die in zeitlicher Hinsicht eine Prüfung des Bestandes des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erforderte. Die in zeitlicher Hinsicht in der mündlichen Verhandlung auf den 31.03.2021 beschränkte Formulierung knüpft lediglich an das unstreitige Ende durch die ordentliche Kündigung an. Ausführungen dazu, warum hier ein selbstständiger Feststellungsantrag nunmehr gewollt sein sollte, finden sich nicht. Die erstinstanzlich erfolgte Aufnahme des Beendigungsdatums in den Tenor ist damit unschädlich und bedarf keiner Korrektur.

II.

Die Klage ist begründet, denn die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Das Gericht kann schon nicht feststellen, dass ein an sich geeigneter wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB gegeben ist.  Letzteres kann aber sogar zugunsten der Beklagten unterstellt werden, ohne dass sich hieraus in ihrem Sinne etwas ableiten ließe. Denn die Kündigung ist jedenfalls unverhältnismäßig.

1.

Das Gericht hat dies noch zu prüfen, denn die Kündigung gilt nicht bereits nach §§ 13, 4, 7 KSchG als rechtswirksam. Der Kläger hat die Klageerhebungsfrist eingehalten. Die Kündigung ging dem Kläger am 03.02.2021 in der nach § 623 BGB erforderlichen Schriftform zu, so dass die gemäß § 4 S. 1 KSchG hieran anknüpfende Frist mit dem 04.02.2021 zu laufen begann, § 187 Abs. 1 BGB. Gemäß § 188 Abs. 2 BGB endete die Frist mit Ablauf des 24.02.2021. Mit Zustellung der Kündigungsschutzklage am 23.02.2021 war diese fristgemäß im Sinne des § 4 KSchG erhoben, § 253 Abs. 1 ZPO.

2.

Ein an sich geeigneter wichtiger Grund kann schon nicht festgestellt werden, weil die Beklagte zur Rechtswidrigkeit der dem Kläger unterstellten Handlungen weder ausreichend vorgetragen noch Beweis angeboten hat.

2.1.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Frist nur gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung des Interesses beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Die Prüfung, ob ein „wichtiger Grund“ vorliegt, vollzieht sich grundsätzlich in zwei Schritten. Es muss zunächst ein Sachverhalt vorliegen, der an sich, also generell und losgelöst von den individuellen Belangen der konkret betroffenen Vertragsparteien, geeignet ist, einen wichtigen Grund darzustellen. Im zweiten Schritt hat eine Interessenabwägung im Einzelfall zu erfolgen. Bezüglich der Feststellung eines an sich geeigneten Grundes wurden in der Rechtsprechung Fallgruppen gebildet, in denen typischerweise die Voraussetzungen des § 626 BGB erfüllt sind (vgl. Niemann, in Erfurter Kommentar, 2022, § 626 BGB Rn. 15 ff). Erforderlich ist ein objektiv rechtswidriger Verstoß gegen vertragliche Pflichten. An sich geeignet sind insbesondere gegen den Arbeitgeber gerichtete Straftaten. Verhaltensbedingte Störungen sind zwar grundsätzlich nur dann kündigungsrelevant, wenn für die Zukunft erneute Vertragsverstöße zu besorgen sind. Bei besonders schwerwiegenden Pflichtverletzungen kommt es auf eine Widerholungsgefahr allerdings dann nicht an, wenn die durch die Pflichtverletzung verursachte Störung des Vertrauensverhältnisses anhält. Dies ist vom Kündigenden darzulegen, wenn sich die Besorgnis nicht bereits aus Art und Entwicklung der bisherigen Störungen ergibt. Aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergibt sich außerdem grundsätzlich die Erforderlichkeit einer einschlägigen Abmahnung als milderes Mittel vor Ausspruch einer Kündigung. Mit der wirksamen Abmahnung wird der Arbeitnehmer in hinreichend deutlicher Art und Weise dazu aufgefordert, ein bestimmtes, vom Arbeitgeber als vertragswidrig angesehenes Verhalten zu unterlassen. Gleichzeitig wird er darauf hingewiesen, dass im Wiederholungsfall Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses bedroht sind. Entbehrlich ist eine Abmahnung daher dann, wenn für den Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist, dass sein Verhalten eine so schwere Pflichtverletzung darstellt, dass der Arbeitgeber diese keinesfalls hinnehmen muss und wird.Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung. Dies gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich, denn es gibt keine „absoluten“ Kündigungsgründe.

Darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen von Kündigungsgründen ist der Arbeitgeber, hier also die Beklagte. Den Kündigenden trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund ausschließen (vgl. BAG, Urteil vom 03. November 2011 – 2 AZR 748/10 – juris). Der Kündigende braucht aber nicht von vornherein alle nur denkbaren Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe zu widerlegen. Der Gekündigte ist vielmehr nach § 138 Abs. 2 ZPO gehalten, substantiiert zu bestreiten (vgl. BAG, Urteil vom 03. November 2011 – 2 AZR 748/10 – a.a.O.). Den Arbeitnehmer kann zudem schon auf der Tatbestandsebene des wichtigen Grundes eine sekundäre Darlegungslast treffen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber als primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs steht, während der Arbeitnehmer aufgrund seiner Sachnähe die wesentlichen Tatsachen kennt. In einer solchen Situation kann der Arbeitnehmer gehalten sein, dem Arbeitgeber durch nähere Angaben weiteren Sachvortrag zu ermöglichen. Kommt er in einer solchen Prozesslage seiner sekundären Darlegungslast nicht nach, gilt das tatsächliche Vorbringen des Arbeitgebers – soweit es nicht völlig „aus der Luft gegriffen“ ist – i.S.v. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Dabei dürfen an die sekundäre Behauptungslast des Arbeitnehmers keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Sie dient lediglich dazu, es dem kündigenden Arbeitgeber als primär darlegungs- und beweispflichtiger Partei zu ermöglichen, weitere Nachforschungen anzustellen und sodann substantiiert zum Kündigungsgrund vorzutragen und ggf. Beweis anzutreten (vgl. BAG, Urteil vom 17. März 2016 – 2 AZR 110/15 – juris). Nur bei einer substantiierten Einlassung ist es dem Kündigenden möglich, die Angaben zu überprüfen und, falls sie sich nach seinen Ermittlungen als unrichtig herausstellen, die erforderlichen Beweise anzutreten (vgl. zum Ganzen: LAG Baden-Württemberg Urt. v. 17.9.2020 – 17 Sa 8/20, BeckRS 2020, 29204 Rn. 37, beck-online).

2.2.

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Beklagte einen Grund behauptet, welcher an sich geeignet wäre, das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Frist und ohne Abmahnung zu kündigen. Es kann nicht festgestellt werden, dass dieser Grund tatsächlich gegeben ist.

2.2.1.

Gegen das Vermögen des Arbeitgebers gerichtete Handlungen des Arbeitnehmers können einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung bilden. Als wichtiger Grund ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die rechtswidrige schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet (BAG, Urteil vom 08. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – juris). Dazu zählt auch die aus § 241 Abs. 2 BGB folgende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers (BAG, Urteil vom 12. Mai 2010 – 2 AZR 845/08 – NZA 2010, 1248 ff.).

2.2.2.

Die Beklagte hat entsprechende Handlungen des Klägers behauptet. Es kann zu ihren Gunsten unterstellt werden, dass der Kläger auf dem Betriebsgelände der Tankstelle aufgefundene Flaschen gegen Auszahlung des Pfandbetrages an sich selbst eingelöst hat. Es kann weiter unterstellt werden, dass er damit der Beklagten bei korrekter rechtlicher Wertung ihr zustehende Vermögenswerte entzogen hat.

Das Gericht kann aber nicht feststellen, dass dies rechtswidrig geschah. Prüfungsmaßstab ist hier u.a. die konkrete Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses. Was zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer „erlaubt“ ist, kann eine Verletzung der Nebenpflichten nicht begründen, solange die Erlaubnis ihrerseits nicht aus übergeordneten Rechtsgründen unwirksam ist. Der Kläger hat in zweiter Instanz zur Rechtfertigung vorgebracht, es sei schon beim Vorgänger der Beklagten üblich gewesen, dass die Kollegen die Pfandflaschen einsammelten und sich das Pfand selbst auszahlten. Der Vorgänger habe dies trotz Kenntnis nicht beanstandet. Dem ist die Beklagte nicht ausreichend entgegengetreten. Bis zum Hinweis der Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung darauf, dass dieser Vortrag unstreitig war und sich hieraus ein Rechtfertigungsgrund ergebe, hat sich die Beklagte dazu überhaupt nicht geäußert. Nach Hinweis hat sie den klägerischen Vortrag einfach bestritten. Damit wird sie bereits ihrer oben dargestellten Darlegungslast bzgl. des Ausschlusses von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen nicht gerecht. Die pauschale Behauptung des Klägers war insoweit auch ausreichend. Denn die Beklagte wurde dadurch in die Lage versetzt, entsprechende Nachfrage beim vorherigen Betreiber zu veranlassen, gegebenenfalls die verneinende Antwort vorzutragen und unter Beweis zu stellen. Die Kammer muss daher davon ausgehen, dass dem Kläger das Einlösen des Pfandes für aufgefundene Flaschen erlaubt war. Gründe, die zur Unwirksamkeit einer solchen Erlaubnis führen könnten, sind weder erkennbar noch vorgebracht. Die Erlaubnis des Vorgängers wirkt gemäß § 613a Abs. 1 BGB fort, bis die Beklagte vom bestehenden Weisungsrecht erneut – abweichend – Gebrauch macht. Das hat sie unstreitig nicht getan.

3.

Ein weitergehender Hinweis des Gerichts auf die vorstehend wiedergegebene Darlegungslast war entbehrlich, denn die Kündigung ist jedenfalls unverhältnismäßig.

3.1.

Wie oben bereits ausgeführt, hat bei der Prüfung im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB in zweiter Stufe eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf.

3.2.

Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die vorgeworfene Pflichtverletzung nicht derart schwerwiegend ist, dass der Kläger ohne konkrete vorherige Weisung oder einschlägige Abmahnung erkennen konnte oder auch nur hätte erkennen müssen, dass er berechtigte Vermögensinteressen der Beklagten gegen deren Willen verletzt.

3.2.1.

Unstreitig hat die Beklagte den entsprechenden Willen zur Eigenverwertung aufgefundener Pfandflaschen nicht in Form einer Weisung geäußert. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der hiesige Sachverhalt von demjenigen, über den das Hessische Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 23. Januar 2018 (8 Sa 334/17, juris) entschieden hat. Dort ist ausgeführt wie folgt:

„Denn als Vertragspflichtverletzung, die grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag, ist ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers anzusehen. Ebenso kann die erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden (BAG 12. Mai 2010 – 2 AZR 845/08 – NZA 2010, 1248 ff.). Die sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebende vertragliche Rücksichtnahmepflicht verlangt von den Parteien eines Arbeitsverhältnisses, gegenseitig auf die Rechtsgüter und Interessen der jeweils anderen Vertragspartei Rücksicht zu nehmen. Danach hat der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die in Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann (BAG 26. März 2009 – 2 AZR 953/07 – NZA-RR 2010, 516 ff.). Der konkrete Inhalt dieser Pflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis und seinen spezifischen Anforderungen. Einer besonderen Vereinbarung bedarf es insoweit nicht (BAG 12. Mai 2010 – 2 AZR 845/08 – NZA 2010, 1248 ff.).

Die Beklagte hat die Klägerin mehrfach und unmissverständlich angewiesen, auf das Einsammeln von Pfandflaschen am E Flughafen zu verzichten.

Dass die Klägerin die Rechtslage trotz der zahlreichen Abmahnungen und des vorangegangenen Kündigungsschutzverfahrens fehlerhaft eingeschätzt hat, hindert ihre außerordentliche Kündigung nicht. Ob eine Verletzung arbeitsvertraglicher (Neben-)Pflichten vorliegt, entscheidet sich nämlich nach der objektiven Rechtslage. Handelt der Arbeitnehmer – wie hier die Klägerin – in der Annahme, sein Verhalten sei rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (BAG 19. Januar 2016 – 2 AZR 449/15 – NZA 2016, 1144 ff.).“

Entgegen der im Schriftsatz vom 01.07.2021 mitgeteilten Ansicht der Beklagten lässt sich diesen Ausführungen nicht entnehmen, dass das Hessische Landesarbeitsgericht auch im Falle fehlender Weisungen eine erhebliche Pflichtverletzung bejaht habe bzw. hätte. Das Gericht hat dort lediglich abstrakt dargelegt, dass auch ohne (dort gegebene) entsprechende Weisung eine erhebliche Pflichtverletzung die außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann. Eine Aussage dazu, wann eine solche erhebliche Pflichtverletzung vorliegt, ist dagegen nicht getroffen. Zu Recht, denn ausgehend vom Grundsatz, dass es keine absoluten Gründe für die außerordentliche Kündigung gibt (vgl. Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 7. Juli 2022 – 8 Sa 740/20 –, Rn. 31, juris unter Hinweis auf BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – juris), ist dies in jedem Einzelfall festzustellen. Dazu ist u.a., so auch das Hessische Landesarbeitsgericht, auf die Ausgestaltung des jeweiligen Arbeitsverhältnisses abzustellen. Letzteres wird aber nicht nur durch Vereinbarungen geprägt, sondern insbesondere auch von arbeitgeberseitigen Weisungen. Wenn also das Hessische Landesarbeitsgericht ausführt, dass es keiner besonderen Vereinbarungen bedarf, stellt es nur klar, dass daneben Pflichten bestehen, die durch berechtigte arbeitgeberseitige Weisung begründet wurden oder für jeden erkennbar immer gegeben sind (z.B. den Arbeitgeber nicht zu bestehlen).

3.2.2.

Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass bzgl. des Umgangs mit den aufgefundenen Pfandflaschen die Pflicht des Arbeitnehmers, diese nicht für sich selbst einzulösen, nicht im vorstehenden Sinne für jeden erkennbar ist.

Den Berufungsausführungen, wonach „es … mittlerweile allgemein bekannt sein (dürfe), dass der Umgang mit aufgefundenen „Wertgegenständen“ (wozu auch die Pfandflasche zu zählen ist) rechtlich nicht unproblematisch sei“ folgt die Kammer nicht. Die Ausführungen differenzieren schon nicht hinreichend zwischen – bzgl. des Eigentums klar zuzuordnenden – „Wertgegenständen“ und den von Kunden weggeworfenen Pfandflaschen. Wie unklar es ist, wem der Wert dieser Flaschen zusteht, zeigen die im vorliegenden Verfahren von den prozessbevollmächtigten Rechtsanwälten getätigten in rechtlicher Hinsicht streitigen Ausführungen. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass das Pfandsammeln zur Aufbesserung der Finanzen in der Bevölkerung allgemein bekannt ist, beispielsweise die jeweilige Gemeindeverwaltung aber nicht dagegen vorgeht, dass aus „ihren“ Mülleimern Pfandflaschen entnommen werden. Es besteht hier im Unterschied beispielsweise zu einem Diebstahl im Shop ein „Graubereich“, welcher durch eine klare vorhergehende Weisung der Beklagten hätte geregelt werden können. Die von der Beklagten gesehene Pflicht des Arbeitnehmers zu entsprechender Nachfrage beim Arbeitgeber besteht dagegen nicht. Es ist Aufgabe des Arbeitgebers, solche Punkte durch Ausübung des Weisungsrechts zu gestalten. Dem steht nicht entgegen, dass, wie oben ausgeführt, grundsätzlich der Arbeitnehmer das Risiko zu tragen hat, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist. Denn letzteres spielt nur für die Frage eine Rolle, ob eine Pflichtverletzung vorliegt. Für die Frage, wie schwer diese Pflichtverletzung wiegt, kann ohne weiteres berücksichtigt werden, ob die Rechtslage für den Arbeitnehmer einfach zu beurteilen war oder nur schwer.

Da die Beklagte eine entsprechende Weisung nicht erteilt hat, konnte der Kläger nicht hinreichend erkennen, dass sie die Eigenverwertung des Pfandes durch einen Mitarbeiter nicht hinnehmen würde. Anderes ist hier unter dem Gesichtspunkt eines guten Betriebsklimas und vom Standpunkt eines großzügigeren Arbeitgebers aus gesehen nämlich ohne Weiteres denkbar. Es bedurfte daher einer Abmahnung, um den Kläger zur Einhaltung dessen aufzufordern, was die Beklagte als seine Pflicht ansah. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger trotz entsprechender Weisung das Pfand für sich selbst eingelöst hätte, sind nicht gegeben. Die Kammer vermag daher auch die Argumentation der Beklagten nicht nachzuvollziehen, wonach sie sich darauf verlassen können müsse, dass die Arbeitnehmer, die mit Vermögen im 5-stelligen Bereich betraut sind, ihrer Arbeit pflichtgemäß nachgehen und dieses Vertrauen durch das Verhalten des Klägers unwiderruflich erschüttert gewesen sei. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang noch darauf hinweist, dass die Klägerin des Verfahrens des Hessischen Landesarbeitsgerichts (s.o.) als Reinigungskraft im Gegenteil zu einem Verkäufer (dem hiesigen Kläger) nicht mit den Vermögenswerten des Arbeitgebers betraut sei, ist dies zwar zutreffend. Der Kläger hat sich aber an solchen Vermögenswerten, die für ihn erkennbar eindeutig der Beklagten zuzuordnen sind, gerade nicht vergriffen. Es war daher der Beklagten zuzumuten, den Kläger nach entsprechender Abmahnung jedenfalls bis zur Beendigung des nicht bestandsgeschützten Arbeitsverhältnisses durch ordentliche Kündigung weiter zu beschäftigen. Andere Gründe als den angeführten Vertrauensverlust, die gegen diese Weiterbeschäftigung sprechen könnten, bringt die Beklagte nicht vor und sind auch nicht erkennbar.

III.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, da die Berufung zurückgewiesen wurde.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG sind weder erkennbar noch vorgebracht. Es liegt insbesondere keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor, die Kammer hat vielmehr einen Einzelfall unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Rechtsprechung entschieden.

Auf die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 a ArbGG) wird hingewiesen.

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