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Fristlose Kündigung wegen Diebstahl – Abmahnungserfordernis – Betriebsratsanhörung

Fristlose Kündigung wegen Diebstahlvorwurfs bestätigt

Im vorliegenden Fall des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz, Az.: 5 Sa 549/13, wurde die fristlose Kündigung eines Metzgers wegen Diebstahls eines Zungenstücks vom Arbeitsplatz gerechtfertigt und die Klage gegen diese Kündigung abgewiesen, da das Gericht von einer vorsätzlichen Pflichtverletzung des Klägers ausgeht.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 5 Sa 549/13 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Der Metzger wurde fristlos entlassen, weil er ein Zungenstück im Wert von etwa 105 Euro ohne Bezahlung oder Lieferschein mitgenommen hat.
  • Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hob das Urteil der Vorinstanz auf und wies die Klage ab, indem es feststellte, dass der Metzger mit Zueignungsabsicht gehandelt hat.
  • Eine Abmahnung vor der Kündigung war nicht erforderlich, da die Pflichtverletzung schwerwiegend und offensichtlich rechtswidrig war.
  • Der Betriebsrat wurde ordnungsgemäß vor der Kündigung angehört.
  • Das lange Arbeitsverhältnis und das Alter des Klägers konnten den Vertrauensverlust und die Schwere der Pflichtverletzung nicht aufwiegen.
  • Die fristlose Kündigung war verhältnismäßig und durch den Diebstahl gerechtfertigt.
  • Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
  • Die Revision wurde nicht zugelassen.

Schwerwiegende Pflichtverletzungen am Arbeitsplatz

Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind zur Einhaltung von vertraglichen Pflichten sowie der geltenden Gesetze verpflichtet. Gravierende Verstöße wie Diebstahl, Verletzung von Geheimhaltungspflichten oder Beleidigung können eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Allerdings müssen hierbei Verhältnismäßigkeitsgrundsätze beachtet werden. Aspekte wie Dauer der Betriebszugehörigkeit, Grad des Verschuldens oder mögliche Abmahnungen sind zu berücksichtigen.

Eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats ist verpflichtend. Er muss vom Arbeitgeber über die Kündigungsabsicht informiert werden und die Chance zur Stellungnahme erhalten. Bei Nichteinhaltung dieser Pflicht kann eine Kündigung unwirksam sein – auch bei einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Arbeitnehmers.

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➜ Der Fall im Detail


Langjähriger Mitarbeiter wegen Diebstahls fristlos entlassen

Im Kern dieses Falles steht die fristlose Kündigung eines langjährigen Mitarbeiters eines Unternehmens in Rheinland-Pfalz, der beschuldigt wurde, Fleisch im Wert von ca. 105 Euro entwendet zu haben.

Diebstahl Fleischwaren
(Symbolfoto: Pavel L Photo and Video /Shutterstock.com)

Der Mitarbeiter, seit 1980 im Betrieb und als Metzger tätig, wurde beschuldigt, kurz vor Schichtende ein Zungenstück ohne Bezahlung und Lieferschein in seinen Privatwagen geladen zu haben. Die Tat ereignete sich am 29. November 2012, und der Vorfall löste eine rechtliche Auseinandersetzung aus, die Fragen zum Abmahnungserfordernis und zur Betriebsratsanhörung bei fristlosen Kündigungen aufwarf.

Die Vorwürfe und der interne Ablauf

Der betroffene Mitarbeiter gab an, das Fleisch sei für einen Kunden bestimmt gewesen und behauptete, er habe den Diebstahl nicht beabsichtigt. Zeugen aus der Nachtschicht undder Tagschicht, inklusive des Betriebs- und Verkaufsleiters, wurden angehört. Die interne Untersuchung führte zu der Entscheidung, den Mitarbeiter fristlos zu entlassen, was dieser mit einer Klage anfechtete. Das Arbeitsgericht Koblenz gab zunächst dem Kläger Recht und sah keine ausreichenden Beweise für eine Zueignungsabsicht. Die Entscheidung wurde jedoch vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz nach Berufung der Beklagten aufgehoben.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts

Das Landesarbeitsgericht führte aus, dass das Verhalten des Mitarbeiters eine erhebliche Pflichtverletzung darstelle und die fristlose Kündigung rechtfertige. Die Kündigung sei aus wichtigem Grund erfolgt, da das Vertrauen des Arbeitgebers in den Mitarbeiter nachhaltig erschüttert sei. Eine Abmahnung sei in diesem Fall entbehrlich gewesen, da die Schwere der Tat dies nicht erfordere. Die Anhörung des Betriebsrats sei formgerecht erfolgt, und die Entscheidung sei somit rechtskräftig.

Rechtsprechung und Arbeitsrecht

Dieser Fall wirft ein Schlaglicht auf die Wichtigkeit der Einhaltung arbeitsrechtlicher Verfahren bei der Kündigung von Mitarbeitern, insbesondere in Bezug auf das Abmahnungserfordernis und die Betriebsratsanhörung. Das Urteil verdeutlicht, dass auch langjährige Betriebszugehörigkeit und ein bisher unbescholtener Arbeitsverlauf das Vertrauen des Arbeitgebers in Fällen schwerwiegender Pflichtverletzungen nicht automatisch wiederherstellen können.

Bedeutung für die Praxis

Für die Praxis bedeutet dieses Urteil, dass Arbeitgeber bei der Ankündigung von fristlosen Kündigungen sorgfältig vorgehen müssen, insbesondere im Hinblick auf die Dokumentation der Pflichtverletzung und die korrekte Durchführung der Betriebsratsanhörung. Arbeitnehmer wiederum werden daran erinnert, dass schwerwiegende Pflichtverletzungen, wie Diebstahl, auch ohne vorherige Abmahnung zur fristlosen Kündigung führen können.

Schlussfolgerungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber

Dieses Urteil unterstreicht die Notwendigkeit für beide Seiten, die arbeitsrechtlichen Grundlagen und die Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu verstehen. Die Entscheidung zeigt auf, dass Rechtsverstöße gravierende Folgen haben können und die Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen essentiell ist, um solche Situationen zu vermeiden oder ihnen zu begegnen.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Wann ist eine Abmahnung vor einer fristlosen Kündigung erforderlich?

Eine Abmahnung ist vor einer fristlosen Kündigung in der Regel erforderlich. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer grundsätzlich zunächst die Möglichkeit geben, sein Verhalten zu ändern bzw. zu unterlassen. Die Abmahnung dient dabei als Warnung und weist darauf hin, dass im Wiederholungsfall eine Kündigung droht.

Es gibt jedoch Ausnahmen, bei denen eine fristlose Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt sein kann. Dies ist der Fall, wenn es sich um eine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung des Arbeitnehmers handelt, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber unzumutbar macht. Beispiele hierfür können Straftaten wie Diebstahl, Betrug, Bedrohungen oder sexuelle Übergriffe sein.

Auch wenn eine Abmahnung offensichtlich keinen Erfolg verspricht, weil der Arbeitnehmer sein Fehlverhalten ernsthaft und endgültig nicht abstellen will, kann eine fristlose Kündigung ohne Abmahnung in Betracht kommen. Dies gilt ebenso, wenn die sofortige Kündigung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt ist.

Ob eine Abmahnung im konkreten Fall entbehrlich ist, hängt somit stets von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei verhaltensbedingten Kündigungen, die sich nicht auf eine derart gravierende Pflichtverletzung stützen, ist eine vorherige einschlägige Abmahnung jedoch in aller Regel notwendig. Ansonsten ist die fristlose Kündigung unwirksam.

Welche Rolle spielt der Betriebsrat bei einer fristlosen Kündigung?

Der Betriebsrat spielt bei einer fristlosen Kündigung eine wichtige Rolle. Auch wenn es sich um eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund handelt, muss der Arbeitgeber den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung anhören. Eine Kündigung ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats ist unwirksam.

Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat umfassend über die geplante Kündigung informieren. Dazu gehören Angaben zur Person des zu kündigenden Arbeitnehmers, zur Art der Kündigung (hier: außerordentlich/fristlos), zu den Kündigungsgründen und zum beabsichtigten Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses. Der Betriebsrat soll so in die Lage versetzt werden, die Kündigung eigenständig zu prüfen und sich dazu zu äußern.

Bei einer außerordentlichen Kündigung hat der Betriebsrat nur drei Tage Zeit, um gegenüber dem Arbeitgeber Bedenken zu erheben und diese zu begründen. Äußert sich der Betriebsrat innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung als erteilt.

Anders als bei einer ordentlichen Kündigung hat der Betriebsrat bei einer außerordentlichen Kündigung kein Widerspruchsrecht. Er kann lediglich Bedenken äußern. Teilt der Betriebsrat dem Arbeitgeber fristgerecht Bedenken mit, hat dies aber keine aufschiebende Wirkung. Der Arbeitgeber kann die Kündigung dennoch aussprechen.

Besonderheiten gelten bei der fristlosen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds. Hier benötigt der Arbeitgeber zwingend die vorherige Zustimmung des Betriebsrats. Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung, muss sich der Arbeitgeber an das Arbeitsgericht wenden, um die Zustimmung ersetzen zu lassen. Erst dann kann er die außerordentliche Kündigung rechtswirksam erklären.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Anhörung des Betriebsrats ist bei jeder fristlosen Kündigung zwingend erforderlich, um diese wirksam auszusprechen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gibt es nicht. Verstößt der Arbeitgeber gegen seine Anhörungspflicht, ist die Kündigung allein aus diesem Grund unwirksam.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 626 Abs. 1 BGB (Außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund): Erläutert die rechtlichen Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung. Im Kontext des Falles wird die Zueignungsabsicht des Klägers als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung betrachtet.
  • § 242 StGB (Diebstahl): Definiert den Diebstahl als Straftat. Dies ist relevant, da der Kläger beschuldigt wurde, Fleisch aus dem Warenbestand des Arbeitgebers gestohlen zu haben, was zur fristlosen Kündigung führte.
  • § 102 BetrVG (Anhörung des Betriebsrats bei Kündigungen): Besagt, dass der Betriebsrat vor Ausspruch einer Kündigung anzuhören ist. Im vorliegenden Fall war die Anhörung des Betriebsrats ein strittiger Punkt.
  • § 241 Abs. 2 BGB (Verletzung von Nebenpflichten): Bezieht sich auf die Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsvertrag, hier insbesondere das Verbot, dem Arbeitgeber Schaden zuzufügen. Der Kläger verletzte diese Pflicht durch den Diebstahl.
  • § 153 StPO (Einstellung des Verfahrens bei geringer Schuld): Wird erwähnt, da das Strafverfahren gegen den Kläger eingestellt wurde. Dies hat jedoch keine direkte Auswirkung auf die arbeitsrechtliche Bewertung der Kündigung.
  • § 69 ArbGG (Berufung und Revision im Arbeitsgerichtsprozess): Regelt die Berufung und Revision im Arbeitsgerichtsverfahren. Im vorliegenden Fall wurde die Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts nicht zugelassen.
  • § 91 ZPO (Kostentragung bei Unterliegen): Bestimmt, dass die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Im vorliegenden Fall musste der Kläger die Kosten beider Instanzen tragen.
  • § 66 ArbGG, § 519, § 520 ZPO (Form- und Fristvorschriften für die Berufung): Sind relevant für die Zulässigkeit der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil. Im analysierten Fall wurde die Berufung als zulässig erachtet.
  • § 174 BGB (Zurückweisungsrecht wegen fehlender Vollmacht): Während im vorliegenden Fall nicht direkt erwähnt, ist dieser Paragraph im Kontext von Kündigungen und deren Anfechtung aufgrund formaler Mängel relevant.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 5 Sa 549/13 – Urteil vom 26.06.2014

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 17.09.2013, Az. 8 Ca 4457/12, abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 29.11.2012.

Der Kläger (1950 geb., verheiratet) war seit 01.08.1980 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern am Standort G-Stadt als Metzger zu einem Bruttomonatslohn von zuletzt € 2.913,- beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt an ihrem Standort in G-Stadt 21 Arbeitnehmer, an ihrem Standort in F. 40 bis 45 Arbeitnehmer. Der bei der Beklagten gebildete fünfköpfige Betriebsrat ist (aus deren Sicht) für beide Standorte zuständig.

Am 28.11.2012 trat der Kläger um 22:00 Uhr die Nachtschicht an. Für die Nachtschicht war der Zeuge A. als Wiegemeister zuständig. Für die Tagschicht des Folgetags war ab 5:00 Uhr der Zeuge B. als Wiegemeister zuständig. Am 29.11.2012 kurz vor 5:00 Uhr lud der Kläger ein 17,5 kg schweres Zungenstück im Wert von € 105,- (netto) in einer Transportbox in den Kofferraum seines auf dem Parkplatz des Betriebs abgestellten Pkw, ohne zuvor für das Zungenstück einen Lieferschein erhalten zu haben. Auf dem Weg mit der Box zum Parkplatz kam es zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und dem Zeugen B., dessen Inhalt zwischen den Parteien streitig ist. Außerdem traf der Kläger auf seinem Weg den Zeugen C.. Diesem gegenüber erklärte er, das Fleisch sei für eine Kundin, die Metzgerei Sp., bestimmt. Der Zeuge C. verdächtigte den Kläger des Diebstahls und informierte sowohl den Verkaufsleiter als auch den Betriebsleiter, den Zeugen D., die mit dem Kläger ein Gespräch führten. Der Kläger wiederholte in diesem Gespräch zunächst, das Fleisch sei für die Metzgerei Sp. bestimmt. Auf den Einwand, dass von dieser Metzgerei keine Bestellung vorliege, korrigierte der Kläger seine Aussage und erklärte, das Zungenstück sei für eine andere Kundin, die Metzgerei B., bestimmt. Der Zeuge D. rief die Polizei und erstattete Strafanzeige.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 29.11.2012 fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 07.12.2012 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage.

Das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Unterschlagung (Az. 2030 Js 2576/13) wurde von der Staatsanwaltschaft Koblenz am 19.07.2013 gem. § 153 StPO wegen geringer Schuld und mangelndem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung eingestellt.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestands und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 17.09.2013 (dort Seite 2 bis 7) Bezug genommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose Kündigung vom 29.11.2012 noch durch die vorsorglich am selben Tag ausgesprochene ordentliche Kündigung beendet ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung – zusammengefasst – ausgeführt, die Kündigung der Beklagten vom 29.11.2012 habe das Arbeitsverhältnis weder außerordentlich noch ordentlich aufgelöst. Ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor. Die Kammer sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung des Wiegemeisters B. nicht davon überzeugt, dass der Kläger beabsichtigt habe, sich das Zungenstück rechtswidrig zuzueignen. Das Geschehen am 29.11.2012 rechtfertige keine Verdachtskündigung, weil die Beklagte ihre Kündigung nicht auf einen dringenden Verdacht, sondern ausdrücklich und ausschließlich auf den Vorwurf einer Straftat gestützt habe. Der Kläger habe zwar seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt, weil er das Zungenstück ohne Lieferschein und ohne Bezahlung in seinen Pkw geladen habe. Um dieser Pflichtverletzung zu begegnen, hätte nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Abmahnung genügt. Deshalb sei auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung sozial nicht gerechtfertigt. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 8 bis 16 des erstinstanzlichen Urteils vom 17.09.2013 Bezug genommen.

Gegen das am 15.11.2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 05.12.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 19.12.2013 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Beklagte macht zur Begründung der Berufung geltend, der Kläger habe den objektiven Tatbestand des Diebstahls iSv. § 242 StGB erfüllt. Das Arbeitsgericht habe eine Zueignungsabsicht letztlich mit dem Argument verneint, der Kläger sei einer Bestellung der Metzgerei B. nachgekommen. Unstreitig habe eine „offizielle“ Bestellung dieser Metzgerei nicht vorgelegen. Es könne dahinstehen, ob Metzger B. am Abend des 28.11.2012 beim Kläger privat angerufen und ihn gebeten habe, das Zungenstück für ihn mitzunehmen. Denn der Kläger habe diese Bestellung nicht schon zu Beginn seiner Schicht am Vorabend des 28.11.2012 dem Wiegemeister A. mitgeteilt. Für die Zueignungsabsicht spreche auch, dass der Kläger das Fleisch ohne Lieferschein in sein Fahrzeug verbracht habe. Der Zeuge B. habe bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung bestätigt, dass ihn der Kläger nicht nach einem Lieferschein gefragt und ihm auch nicht das Gewicht des Rindfleisches mitgeteilt habe. Die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts sei fehlerhaft, weil es zwar die Interessen des Klägers, nicht jedoch ihre Interessen gewürdigt habe.

Sie habe den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung am 29.11.2012 ordnungsgemäß angehört. Ihr Geschäftsführer habe dem Vorsitzenden des Betriebsrats am Vormittag des 29.11.2012 ein zweiseitiges Informationsschreiben übergeben, nachdem er ihm und einigen anderen Mitgliedern des Betriebsrats zuvor die gesamte Situation auch mündlich erläutert habe. Bereits am Nachmittag des 29.11.2012 habe der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende dem Geschäftsführer die abschließende schriftliche Stellungnahme des Betriebsrats übergeben.

Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 19.12.2013, 29.01.2014 und 27.03.2014 Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich, das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 17.09.2013, Az. 8 Ca 4457/12, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 21.01.2014 und der Schriftsätze vom 06.02.2014 und 05.05.2014, auf die Bezug genommen wird, als zutreffend. Außerdem rügt er in zweiter Instanz erstmals die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats.

Ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung liege nicht vor. Am Abend des 28.11.2012 habe der Metzger B. bei ihm zuhause angerufen und ihn gebeten, ihm am nächsten Tag ein Zungenstück für Hackfleisch mitzubringen. Derartige Bestellungen habe Metzger B. in der Vergangenheit schon öfter aufgegeben. Dann habe er ihm das bestellte Fleisch jeweils gegen Lieferschein auf dem Heimweg mitgebracht. Er habe am 28.11.2012 bei Schichtbeginn gegen 22:00 Uhr den Zeugen A. gefragt, ob Rindfleisch entbeint sei, weil er für Metzger B. ein Zungenstück mitbringen solle. Der Zeuge A. habe ihm daraufhin geraten, noch ein Vorderviertel „einzuschieben“, damit die Bestellung ausgeführt werden könne. Dies habe er getan. Kurz vor Schichtende habe er am 29.11.2012 zwischen 4:50 und 5:00 Uhr morgens den für die Frühschicht zuständigen Zeugen B. gebeten, das Zungenstück auszuwiegen und den Lieferschein auszudrucken. Er habe das Rindfleisch in einer Transportbox bereits in den Kofferraum seines Pkw verladen, weil der Zeuge B. – auch nach mehrmaliger Bitte – nicht in der Lage gewesen sei, sofort einen Lieferschein auszudrucken. Der Zeuge sei noch mit anderen Lieferungen beschäftigt gewesen. Er sei mit dem Zeugen B. so verblieben, dass er auf dem Rückweg von seinem Pkw nochmals bei ihm vorbeikomme, um die Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Auf dem Weg zu seinem Pkw sei er seinem Vorgesetzten, dem Zeugen C., begegnet, der die Transportbox nebst Inhalt ebenfalls gesehen habe.

Er habe nicht heimlich gehandelt. Eine Zueignungsabsicht könne ihm die Beklagte nicht nachweisen. Das Zungenstück sei für die Metzgerei B. bestimmt gewesen. Er habe es – wie in anderen Fällen auch – gegen Lieferschein dort abliefern wollen. Den Zeugen B. habe er zweimal um die Ausstellung eines Lieferscheins gebeten. Dieser habe ihm erklärt, es ginge im Moment nicht, er habe keine Zeit. Er habe dem Zeugen erklärt, dass er das Zungenstück bereits selbst gewogen habe, das Gewicht betrage ca. 18 kg. Der Zeuge B. habe das Gewicht auf einen Zettel geschrieben und ihn neben seinen Bildschirm gelegt. Er habe den Zeugen ausdrücklich um schnellstmögliche Erledigung gebeten, damit er pünktlich zum Arzt komme, er wolle das Zungenstück vorher schon mal ins Auto bringen. Als er dann von seinem Pkw zurückgekehrt sei, habe ihm der Zeuge erklärt, dass er jetzt keinen Lieferschein mehr ausstellen dürfe. Es könne sein, dass er gegen die bei der Beklagten geltenden Verhaltensregeln verstoßen habe. Dies rühre jedoch allein aus der Besonderheit des Augenblicks (Wechsel zwischen Nacht- und Tagschicht, hohes Arbeitsaufkommen, eigener Zeitdruck wegen eines anstehenden Arzttermins).

Die Beklagte habe den Betriebsrat fehlerhaft angehört. Das Informationsschreiben an den Betriebsrat sei nicht unterzeichnet. Der Betriebsratsvorsitzende habe am 29.11.2012 lediglich den Empfang des Schreibens quittiert. Die Unterschriften unter der Stellungnahme des Betriebsrats vom 29.11.2012 könne er nicht lesen. Im Übrigen enthalte das Schriftstück nur eine Bestätigung der Kenntnisnahme. Ansonsten werde darauf hingewiesen, dass der Betriebsrat auf eine gerichtliche Klärung warte. Ihm sei nach wie vor nicht bekannt, dass es am Standort G-Stadt einen Betriebsrat gebe, aus welchen Mitgliedern er bestehe und wann er von wem gewählt worden sei.

Die Berufungskammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen A., B., C. und D.. Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 26.06.2014 Bezug genommen. Auch im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften und der zur Information des Gerichts beigezogenen Akte der Staatsanwaltschaft Koblenz (Az. 2030 Js 2576/13) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und inhaltlich ausreichend begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

Die Berufung hat in der Sache Erfolg. Die gegen die außerordentliche Kündigung vom 29.11.2012 gerichtete Kündigungsschutzklage ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.11.2012 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden.

1. Die außerordentliche Kündigung ist aus einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG 29.08.2013 – 2 AZR 273/12 – Rn. 19, NZA 2014, 533).

Einen in diesem Sinne die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellt ua. ein vom Arbeitnehmer zu Lasten des Arbeitgebers begangenes Vermögensdelikt dar, und zwar auch dann, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (vgl. BAG 20.06.2013 – 2 AZR 546/12 – Rn. 13, NZA 2014, 143; BAG 21.06.2012 – 2 AZR 153/11 – Rn. 17, NZA 2012, 1025; BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – Rn. 26, AP BGB § 626 Nr. 232; jeweils mwN). Maßgebend ist der mit der Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch.

b) Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Berufungskammer (§ 286 ZPO) fest, dass der Kläger am 29.11.2012 aus dem Warenbestand der Beklagten ein 17,5 kg schweres Zungenstück im Wert von ca. € 105,- in Zueignungsabsicht in seinem privaten Pkw verstaut hat. Er hat damit vorsätzlich gegen seine arbeitsvertragliche Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen, keine gegen das Vermögen seiner Arbeitgeberin gerichteten rechtswidrigen Handlungen zu begehen. Darauf, dass die Staatsanwaltschaft Koblenz das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger gem. § 153 StPO eingestellt hat, kommt es kündigungsrechtlich nicht an.

Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger das Zungenstück ohne Bezahlung und ohne Lieferschein in einer Transportbox in seinen Pkw geladen hat. Die Berufungskammer ist im Gegensatz zum Arbeitsgericht davon überzeugt, dass der Kläger mit rechtswidriger Zueignungsabsicht gehandelt hat.

Zwar hat der Zeuge A., der als Wiegemeister für die Nachtschicht des 28./29.11.2012 zuständig war, bei seiner Vernehmung bestätigt, dass der Kläger des Öfteren Fleisch für die Metzgerei B. mitgenommen habe. Er hat auch bekundet, dass ihm der Kläger am 28.11.2012 vor 22:00 Uhr mitgeteilt habe, dass er ein Zungenstück benötige. Er habe ihm geantwortet, es sei noch ein Vorderviertel (Rindfleisch) vorhanden, dass er ausbeinen lassen müsse. Dann habe er die ganze Nachtschicht nichts mehr davon gehört. Er habe das Zungenstück nicht gewogen, weil dies Sache der Tagschicht gewesen sei, die am 29.11.2012 die Arbeit angetreten habe. Er habe bereits Feierabend gemacht, so dass der Zeuge B. das Zungenstück hätte wiegen müssen.

Der Zeuge B., der als Wiegemeister für die Tagschicht des 29.11.2012 zuständig war, hat bei seiner zweitinstanzlichen Vernehmung bekundet, dass zum Schichtwechsel am 29.11.2012 gegen 5:00 Uhr sehr viel zu tun gewesen sei. Der Kläger sei bei ihm an der Waage vorbeigekommen und habe ihm erklärt: „Das ist hier ein Zungenstück für die Metzgerei Sp.; das ist schon gewogen; die Nachtschicht weiß Bescheid; ich stelle das schon mal ins Auto, nicht dass ich es nachher vergesse.“ Er habe gesehen, dass der Kläger mit der Transportkiste auf den Hof gegangen sei. Für ihn sei die Sache erledigt gewesen, weil ihm der Kläger erklärt habe, dass das Fleisch bereits gewogen sei, denn beim Wiegen werde der Lieferschein erstellt und ausgedruckt. Er persönlich habe das Fleisch nicht gewogen. Der Kläger habe ihn auch nicht gebeten, das Fleisch zu wiegen.

Der Zeuge B. wiederholte auf Befragen mehrfach, dass der Kläger ihm erklärt habe, das Rindfleisch sei für die Metzgerei Sp., es sei schon gewogen, es sei vergessen worden, er fahre es nach. Der Zeuge B. hat die Behauptung des Klägers, er habe ihn gebeten, das Fleisch zu wiegen (und damit einen Lieferschein zu erstellen) nicht bestätigt, sondern ausdrücklich verneint. Der Zeuge hat auch die Behauptung des Klägers, er habe das Gewicht des Rindfleisches, das er ihm genannt habe, auf einem Zettel notiert, verneint.

Bereits mit dieser Zeugenaussage hat die Beklagte das Entlastungsvorbringen des Klägers eindrucksvoll widerlegt. Der Kläger hat den Zeugen B. nicht gebeten, das Rindfleisch zu wiegen, sondern wahrheitswidrig behauptet, dass das Fleisch bereits gewogen worden sei. Er hat dem Zeugen B. gegenüber auch wahrheitswidrig behauptet, dass die Nachtschicht vergessen habe, das Fleisch (in den Kühl-Lkw) zu laden, weshalb er es in seinem Privat-Pkw auf dem Heimweg in der Metzgerei vorbeibringe. Schließlich täuschte der Kläger den Zeugen B. auch über den Empfänger der Ware, weil er wahrheitswidrig behauptete, das Fleisch sei für die Metzgerei Sp. bestimmt.

Bei der Vernehmung des Zeugen B. sind keinerlei Umstände zu Tage getreten, die seine Aussage als unglaubhaft erscheinen ließen. Vielmehr hat der Zeuge ruhig, sachlich und erkennbar aus eigener Erinnerung heraus das Geschehene bekundet, er machte für die Berufungskammer einen glaubwürdigen Eindruck. Die Aussage zum Geschehensablauf war auch bei intensiver Nachfrage konsistent, in sich stimmig und widerspruchsfrei sowie für die Berufungskammer plausibel nachvollziehbar.

Der Zeuge C., der bei der Beklagten als Verkäufer beschäftigt ist, hat während seiner Vernehmung bekundet, dass er dem Kläger am 29.11.2012 gegen 5:00 Uhr auf dem Parkplatz begegnet sei. Der Kläger habe eine Transportkiste getragen und ihm ungefragt erklärt, das Fleisch sei für die Metzgerei Sp. bestimmt, er solle es mitnehmen, es sei schon gewogen worden. Die Sache sei ihm „komisch“ vorgekommen, weil die Metzgerei Sp. normalerweise nur dienstags beliefert werde. Deshalb habe er den Zeugen B. befragt. Dieser habe ihm geantwortet, dass der Kläger ihm erklärt habe, er habe ein Zungenstück für die Metzgerei Sp., das Fleisch sei schon gewogen worden, er solle es mitnehmen, die Nachtschicht habe es vergessen. Daraufhin habe er bei den Mitarbeitern der Nachtschicht nachgefragt, ob sie vergessen hätten, etwas aufzuladen. Dies sei verneint worden. Auch der Zeuge A. habe ihm erklärt, dass nichts vergessen worden sei, die Metzgerei Sp. habe auch nichts bestellt.

Aufgrund dieser Aussage ist die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger versucht hat, auch den Zeugen C. darüber zu täuschen, dass das Rindfleisch bereits gewogen und für die Metzgerei Sp. bestimmt sei.

Der Zeuge C. machte für die Berufungskammer einen glaubwürdigen Eindruck. Es sind keinerlei Umstände zu Tage getreten, die seine Aussage als unglaubhaft erscheinen ließen. Seine Aussage war in sich stimmig und widerspruchsfrei sowie für die Berufungskammer plausibel nachvollziehbar.

Der Zeuge D., der Betriebsleiter der Beklagten am Standort G-Stadt, konnte für die Streitentscheidung nichts Wesentliches beitragen. Er konnte lediglich bekunden, dass er am frühen Morgen des 29.11.2012 vom Zeugen C. benachrichtigt worden sei. C. habe ihm berichtet, dass der Kläger Fleisch – ohne Lieferschein – in den Kofferraum seines Pkw geladen habe. Daraufhin habe er die Mitarbeiter zusammengerufen und auch mit dem Kläger geredet. Anschließend habe er die Polizei verständigt, weil es ihm nicht gelungen sei, den Diebstahlsvorwurf aufzuklären. An weitere Einzelheiten konnte sich der Zeuge D. nicht mehr erinnern.

Aufgrund der Aussagen der Zeugen B. und C. ist die Berufungskammer davon überzeugt, dass der Kläger bei der Wegnahme des Rindfleisches am 29.11.2012 in Zueignungsabsicht handelte. Der Kläger kann die Wegnahme nicht mit der „Besonderheit des Augenblicks“ rechtfertigen. Er hat sich vielmehr den Wechsel zwischen Nacht- und Tagschicht sowie das hohe Arbeitsaufkommen zu Nutze gemacht, um das Rindfleisch ohne Lieferschein aus dem Betrieb zu schaffen. Er hat die Zeugen B. und C. bewusst und gewollt darüber getäuscht, dass das Fleisch bereits gewogen worden sei. Soweit sich der Kläger zu seiner Entlastung auf „Zeitdruck“ wegen eines anstehenden Arzttermins berufen hat, musste er auf die gerichtliche Auflage, mitzuteilen, um welche Uhrzeit er am 29.11.2012 bei welchem Arzt einen Termin wahrgenommen hat und wann dieser Termin vereinbart worden ist, einräumen, dass er keinen Termin gebucht, sondern einen Arztbesuch „geplant“ hatte.

c) Die Pflichtverletzung des Klägers ist von solchem Gewicht, dass sie auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und aller Umstände des vorliegenden Falls zum Überwiegen des berechtigten Interesses der Beklagten führt, das Arbeitsverhältnis ohne Einhalten einer Kündigungsfrist zu beenden.

Im Rahmen der Prüfung, ob dem Arbeitgeber trotz Vorliegens eines wichtigen Grunds die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zuzumuten ist, ist unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers gegenüber dem Bestandsinteresse des Arbeitnehmers abzuwägen. Die außerordentliche Kündigung muss insb. verhältnismäßig sein. Zu berücksichtigen sind regelmäßig Gewicht und Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr, die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs (vgl. BAG 10.6.2010 – 2 AZR 541/09, aaO.), sowie Lebensalter, Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers und seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

aa) Die außerordentliche Kündigung vom 29.11.2012 war vorliegend nicht bereits wegen des Fehlens einer Abmahnung unverhältnismäßig. Nach dem Ultima-Ratio-Prinzip kommt eine außerordentliche Kündigung grundsätzlich erst dann in Betracht, wenn alle anderen nach den Umständen möglichen und angemessenen milderen Mittel ausgeschöpft sind. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt die Anwendung milderer Mittel, sofern diese gleich geeignet wie eine Kündigung sind, eine weitere einschlägige Pflichtverletzung des Arbeitnehmers zu verhindern. § 626 Abs. 1 BGB berechtigt einen Vertragspartner zur sofortigen Kündigung, um diesem die Vermeidung weiterer Pflichtverletzung zu ermöglichen. Hingegen darf eine Kündigung nicht als Sanktion für eine bereits begangene Pflichtverletzung erfolgen. Eine Abmahnung ist daher in den Fällen erforderlich, in denen es dem Arbeitgeber zumutbar ist, dem Arbeitnehmer die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens sowie die Einordnung dieses Verhaltens durch den Arbeitgeber aufzuzeigen. Folglich ist eine Abmahnung dann entbehrlich, wenn der Arbeitnehmer die Rechtswidrigkeit einer schweren Pflichtverletzung ohne weiteres erkennen und mit deren Hinnahme durch den Arbeitgeber unter keinen Umständen rechnen kann.

So ist es hier. Der Kläger konnte unter keinen Umständen damit rechnen, dass es die Beklagte hinnimmt, dass er Rindfleisch ohne Bezahlung und ohne Lieferschein aus dem Betrieb mitnimmt. Vielmehr hätte dem Kläger bewusst sein müssen, dass er durch ein derartiges Fehlverhalten seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt. Der Kläger hat bei der gebotenen objektiven Betrachtung das für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen nicht nur erschüttert. Dieses ist vielmehr restlos zerstört. Eine Abmahnung war daher im vorliegenden Fall entbehrlich. Sie war nicht geeignet, das verlorene Vertrauen der Beklagten in die Redlichkeit des Klägers wiederherzustellen.

bb) Im Rahmen der Interessenabwägung im engeren Sinn hat die Berufungskammer zugunsten des Klägers seine lange Betriebszugehörigkeit seit 1980, sein Lebensalter von 62 Jahren und die Unterhaltspflicht gegenüber seiner Ehefrau berücksichtigt. Gleichwohl kann der Beklagten aufgrund von Art und Schwere des dem Kläger vorzuwerfenden Fehlverhaltens eine weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden. Durch das vom Kläger begangene Vermögensdelikt zu Lasten seiner Arbeitgeberin ist ein irreparabler Vertrauensverlust entstanden, der dieser eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gemacht hat. Das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Klägers ist durch die vorsätzliche Pflichtverletzung objektiv derart erschüttert worden, dass seine Wiederherstellung und ein künftig wieder störungsfreies Miteinander der Parteien nicht mehr zu erwarten ist. Dem Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist auch unter Berücksichtigung der langen Betriebszugehörigkeit und des Lebensalters des Klägers Vorrang einzuräumen. Der Kläger hat die Basis für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit zerstört. Schließlich ist auch anzuerkennen, dass die Beklagte ein Interesse daran hat, gegen ihre Eigentums- und Vermögensinteressen gerichtete Pflichtverletzungen so zu sanktionieren, dass andere Arbeitnehmer von einer Nachahmung abgeschreckt werden und erkennen können, dass die Beklagte ein solches Verhalten unter keinen Umständen duldet.

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts kann das Gratulationsschreiben der Beklagten vom 01.06.2010 zum 60. Geburtstag des Klägers, verbunden mit dem Dank für die gute Zusammenarbeit und den persönlichen Einsatz, nicht entscheidend zu seinen Gunsten bewertet werden. Die Formulierung geht nicht über eine Standard-Gratulation hinaus.

Das Arbeitsverhältnis ist auch in der Vergangenheit nicht störungsfrei verlaufen, wie das Arbeitsgericht gemeint hat. Vielmehr hat der Kläger im Januar 2010 mehrere Fleischstücke, die er aus dem Betrieb der Beklagten mitgenommen hatte, auf einem Feld in der Nähe eines Sees ausgelegt. Es handelte sich nach seinen Angaben um Fleisch aus einem Abfallcontainer, womit er hungrige Füchse füttern wollte. Die Ordnungswidrigkeit nach dem Abfallgesetz, die von einem Spaziergänger angezeigt worden war, ist am 09.07.2010 mit einem Bußgeld geahndet worden.

2. Die Beklagte hat die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat die Kündigung noch am Tag des Vorfalls erklärt und dem Kläger zugestellt.

3. Die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 29.11.2012 scheitert nicht an einer fehlerhaften Betriebsratsanhörung iSd. § 102 Abs. 1 BetrVG.

a) Der Kläger war mit diesem Grund weder nach § 6 Satz 1 KSchG noch nach § 67 Abs. 4 Satz 1 ArbGG ausgeschlossen.

Nach § 6 Satz 1 KSchG kann sich der Arbeitnehmer zur Begründung der Unwirksamkeit der Kündigung nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz auch auf innerhalb der Frist des § 4 KSchG nicht geltend gemachte Gründe berufen, sofern er innerhalb dieser Frist Kündigungsschutzklage erhoben hat. Die Präklusionswirkung nach § 6 Satz 1 KSchG tritt jedoch nicht ein, wenn das Arbeitsgericht seiner Hinweispflicht nach § 6 Satz 2 KSchG nicht genügt hat. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer den weiteren Unwirksamkeitsgrund auch noch in zweiter Instanz geltend machen (vgl. BAG 25.10.2012 – 2 AZR 845/11 – Rn. 35, NZA 2013, 900 mwN).

Danach war der Kläger mit dem Unwirksamkeitsgrund der fehlerhaften Betriebsratsanhörung iSd. § 102 Abs. 1 BetrVG nicht ausgeschlossen, weil ihm das Arbeitsgericht keinen Hinweis nach § 6 Satz 2 KSchG erteilt hat.

Der Kläger, der erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer am 20.03.2014 die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats gerügt hat, war auch nicht gem. § 67 Abs. 4 Satz 1 ArbGG damit ausgeschlossen, sich noch nach Ablauf der Frist für die Berufungsbegründung auf eine fehlerhafte Betriebsratsanhörung zu berufen. Eine Verzögerung des Rechtsstreits ist nicht eingetreten, weil über die Kündigungstatsachen eine zweitinstanzliche Beweisaufnahme erforderlich wurde, so dass ohnehin ein zweiter Termin bestimmt werden musste.

b) Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß zur Kündigung vom 29.11.2012 angehört worden.

Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat Die Beklagte ist ihrer Mitteilungspflicht aus § 102 Abs. 1 BetrVG inhaltlich ausreichend nachgekommen. Sie hat dem Betriebsrat mit schriftlichem Anhörungsbogen vom 29.11.2012 den ihrer Kündigungsentscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt unter Angabe konkreter Tatsachen geschildert.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist unerheblich, dass der Anhörungsbogen, den der Mitgeschäftsführer der Beklagten dem Betriebsratsvorsitzenden übergeben hat, nicht unterschrieben ist. Die Anhörung des Betriebsrats muss nicht schriftlich erfolgen. Der Anhörungsbogen wurde ausweislich der Empfangsquittung des Betriebsratsvorsitzenden am 29.11.2012 übergeben.

Die Beklagte brauchte nicht den Ablauf der Frist von drei Tagen abzuwarten, die dem Betriebsrat gem. § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG zur Stellungnahme eingeräumt ist. Der Arbeitgeber kann eine Kündigung auch schon vor Fristablauf aussprechen, wenn der Betriebsrat erkennbar abschließend zu der Kündigungsabsicht Stellung genommen hat. Das Anhörungsverfahren ist dann beendet (vgl. BAG 09.06.2011 – 2 AZR 323/10 – Rn. 47, NZA 2011, 1342, mwN).

Vorliegend hat der Betriebsrat mit Schreiben vom 29.11.2012 der Beklagten geantwortet, dass er die fristlose Kündigung zur Kenntnis nehme, dieser nicht widerspreche und auf eine gerichtliche Klärung warte. Gleichzeitig forderte er die Beklagte auf, sich um einen Ersatz für den Kläger zu kümmern. Es handelte sich dabei erkennbar um eine das Anhörungsverfahren abschließende Äußerung. Das Schreiben des Betriebsrats ist vom stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden und der Schriftführerin unterzeichnet. Darauf, dass der Kläger deren Unterschriften nicht lesen kann, kommt es nicht an. Ohne Erfolg rügt der Kläger, eine abschließende Stellungnahme liege nicht vor, weil der Betriebsrat formuliert habe, dass er auf eine gerichtliche Klärung warte. Bei objektiver Betrachtung der gesamten Äußerung des Betriebsrats vom 29.11.2012 durfte die Beklagte von einer abschließenden Stellungnahme des Gremiums und vom Abschluss des Anhörungsverfahrens ausgehen.

c) Im Übrigen ist nicht nachvollziehbar, dass der Kläger einerseits die fehlerhafte Anhörung des Betriebsrats rügt und andererseits das Vorhandensein eines Betriebsrats am Standort G-Stadt bestreitet. Damit der Arbeitgeber vor einer beabsichtigten Kündigung das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG überhaupt durchführen kann, ist das Vorhandensein eines Betriebsrats erforderlich. Selbst wenn der Betriebsrat für die Standorte G-Stadt und F. unter Verstoß gegen die zwingenden Organisationsnormen der §§ 1, 3 und 4 BetrVG, dh. unter Verkennung des Betriebsbegriffs, gewählt worden sein sollte, beeinträchtigt dies seine Funktionsfähigkeit und Zuständigkeit grundsätzlich nicht (vgl. BAG 03.06.2004 – 2 AZR 577/03 – Rn. 16, NZA 2005, 175).

III.

Als unterlegene Partei hat der Kläger gem. § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz zu tragen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

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