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Fristlose Kündigung wegen unentschuldigten Fehlens – Arbeitnehmerkündigung per WhatsApp

Fristlose Kündigung bei unentschuldigtem Fehlen: Elektronische Arbeitnehmerkündigung im Fokus

Das Arbeitsrecht ist kein starres Konstrukt, sondern passt sich an die sich verändernde Arbeitswelt an und beantwortet immer neue Fragen, mit denen Gesetzgeber, Gerichte und Arbeitsrechtsteilnehmer konfrontiert sind. Ein hochaktuelles Thema in diesem Kontext ist die Frage nach der Zulässigkeit von Kündigungen über moderne Kommunikationsmittel wie WhatsApp. Hier geht es um das Zusammentreffen von zwei bedeutsamen Prinzipien des Arbeitsrechts – der Schutz der Arbeitnehmer vor übereilten und unüberlegten Kündigungen und die Anpassung des Arbeitsrechts an die modernen Kommunikationsmittel unserer Zeit. Dieser Artikel befasst sich detailliert mit einem Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 15. September 2021 (Az.: …), das sich mit genau diesen Fragestellungen auseinandersetzt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 5 Sa 408/21 >>>

Das Wichtigste in Kürze


  • Kündigungen müssen auch im digitalen Zeitalter die formellen Anforderungen erfüllen.
  • Der Geschäftsführer erhielt eine Kündigung per WhatsApp, die das Gericht jedoch als formungültig bewertet hat.
  • Eine handschriftliche Kündigungserklärung wurde ebenfalls per WhatsApp versandt, erfüllte aber ebenfalls nicht die notwendigen Formalitäten.
  • Es besteht eine fortwährende Debatte darüber, ob eine Kündigung per Telefax, PDF-Datei oder WhatsApp gültig ist.
  • Treu und Glauben dürfen die Formvorschriften nicht aushebeln, und ein Formmangel kann nur in Ausnahmefällen als irrelevant qualifiziert werden.
  • Das Gericht betonte, dass § 623 BGB den Arbeitnehmer vor unüberlegter und überhasteter Kündigung schützen soll, eine Formvorschrift mit Warnfunktion darf daher nicht ignoriert werden.
  • Die Rechtsirrtümer der Beklagten bezüglich der Formwirksamkeit der Kündigung vom 7. Januar 2021 führen nicht zu einer daraufhin notwendigen außerordentlichen Kündigung.

Streit um Kündigung per WhatsApp

Fristlose Kündigung wegen unentschuldigten Fehlens - Arbeitnehmerkündigung per WhatsApp
(Symbolfoto: Roman Samborskyi /Shutterstock.com)

Die Auseinandersetzung betraf eine fristlose Kündigung wegen unentschuldigten Fehlens des Arbeitnehmers und eine daran anschließende Arbeitnehmerkündigung per WhatsApp. Es ging um das Verhältnis zwischen den gesetzlichen Formvorschriften für Kündigungen und den konkreten Kommunikationsgewohnheiten in modernen Arbeitsverhältnissen. Auslöser war eine Situation, in der der Arbeitnehmer, der am 7. Januar 2021 unentschuldigt von der Arbeit fernblieb, kurz darauf ein Foto von einer Kündigungsankündigung per WhatsApp an den Arbeitgeber schickte. Im weiteren Verlauf widerrief der Arbeitnehmer die Kündigung, was zur zentralen Fragestellung führte: War die elektronische Kündigung zulässig und wirksam oder hatte der Arbeitnehmer das Recht, seine Entscheidung rückgängig zu machen?

Einschätzung der Rechtslage und Prüfung der Kündigung

Das Gericht musste sich dabei im Wesentlichen mit zwei Rechtsfragen auseinandersetzen: Erstens, ob eine per WhatsApp erklärte Kündigung formwirksam ist und zweitens, ob der Arbeitnehmer seine Entscheidung rechtmäßig zurückziehen konnte. Unter Bezugnahme auf § 623 BGB, der eine Schriftform für die Kündigung vorschreibt, stellte das Gericht fest, dass die elektronisch erklärte Arbeitnehmerkündigung formunwirksam war. Trotz des Arguments des Arbeitgebers, dass die Kündigung nach dem allgemeinen Rechtsverständnis und den heutigen Kommunikationsgewohnheiten als wirksam anzusehen sei, betonte das Gericht die Unabdingbarkeit der Schriftform und die Funktion des § 623 BGB als Arbeitnehmerschutzvorschrift.

Auswirkungen auf Praxis und Rechtsverständnis

Das Urteil hat weitreichende Auswirkungen auf das Verständnis von Kündigungsverfahren und die Nutzung moderner Kommunikationsformen im Arbeitsrecht. Es verdeutlicht, dass die digitalen Kommunikationsmedien nicht ohne Weiteres den gesetzlichen Anforderungen an die Form von Kündigungen genügen. Zugleich zeigt es, wie wichtig es ist, das Arbeitsrecht an die technischen Entwicklungen anzupassen. Da jedoch eine Anpassung des geltenden Rechts an die sich ständig weiterentwickelnden technischen Kommunikationsmittel nicht kurzfristig erreicht werden kann, bleibt vorerst ein Spannungsfeld zwischen den Anforderungen des Arbeitsrechts und der Realität der heutigen Kommunikationskultur.

Dennoch betont das Urteil die Notwendigkeit zur Einhaltung der gesetzlichen Formvorschriften und signalisiert eine deutliche Warnung vor vorschnellen Kündigungen, insbesondere per WhatsApp oder anderen elektronischen Medien. Es betont die fortwährend bestehende Notwendigkeit der Einhaltung der Schriftform bei Kündigungserklärungen, auch im digitalen Zeitalter.

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Kündigung per Whatsapp – kurz erklärt


Eine Kündigung über WhatsApp ist in Deutschland nicht gesetzlich anerkannt und daher ungültig. Gemäß § 623 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) muss eine Kündigung immer in Schriftform erfolgen. Dies gilt für die Kündigung von Arbeitsverträgen und Mietverträgen. Dasselbe Prinzip gilt auch für andere elektronische Formen der Kündigung, wie E-Mail, Fax oder SMS. Eine gültige Kündigung muss ein Originaldokument mit eigenhändiger Unterschrift des Kündigenden sein und per Post (vorzugsweise per Einschreiben) versendet werden.



Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 5 Sa 408/21 – Urteil vom 22.12.2022

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 15. September 2021, Az. 5 Ca 46/21, soweit die Klage abgewiesen worden ist, abgeändert und

a) festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 13. Januar 2021 aufgelöst worden ist,

b) die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Bedingungen als Sicherheitsmitarbeiter weiterzubeschäftigen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Der 1986 geborene Kläger ist verheiratet und Vater von zwei unterhaltsberechtigten Kindern. Er ist seit dem 1. August 2017 bei der Beklagten als Sicherheitsmitarbeiter zu einem Bruttostundenlohn von zuletzt € 10,60 in der 40-Stundenwoche beschäftigt. Die Beklagte erbringt Wach- und Sicherheitsdienstleistungen; sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer iSd. § 23 Abs. 1 KSchG.

Der Kläger sollte am Donnerstag, dem 07.01.2021 um 7:00 Uhr zur Arbeit im Pfortendienst bei der Kundin Papier-R. erscheinen. Um 8:49 Uhr teilte er dem Geschäftsführer der Beklagten per WhatsApp folgendes mit:

„Moin sorry ich komm heute nicht mehr auf die arbeit meine frau lässt sich von mir scheiden keine ahnung ob ich die nächsten tage überhaupt noch kommen werde“

Um 11:26 Uhr desselben Tages übermittelte er dem Geschäftsführer per WhatsApp das Foto einer handschriftlichen Kündigungserklärung auf Karopapier mit folgendem Text:

„Sehr geehrter Herr H.,

Hiermit kündige ich, das mit ihnen bestehendes Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 01.03.2021.

Mit Freundlichen Grüßen

A.“

Unter dem Foto fügte er folgende WhatsApp-Nachricht an:

„Schriftlich bekommst du es auch noch geschickt. Des weitern bitte ich dich drum mir bis einschließlich 12.01.2021 mir Urlaub gibst das ich die Grundsachen klären kann. Sorry nochmals aber es geht nicht mehr anders. Die Arbeit hab ich zu lange vor meine Familie gestellt. Gruss M.“

Das Original des fotografierten Kündigungsschreibens vom 7. Januar 2021 übermittelte der Kläger der Beklagten nicht. Am 8. Januar 2021 bestätigte die Beklagte die Kündigung des Klägers schriftlich wie folgt:

„… am 07.01.2021 haben Sie erklärt, dass Sie auf eigenen Wunsch zum 07.01.2021 das Arbeitsverhältnis mit uns beenden.

Wir bestätigen hiermit Ihre fristlose Kündigung zum 07.01.2021.

Bitte senden Sie Ihren Dienstausweis, Firmenunterlagen und Dienstkleidung auf dem Postweg an uns zurück.“

Der Zeitpunkt des Zugangs dieser Kündigungsbestätigung ist zwischen den Parteien streitig. Am 7. und 8. Januar 2021 erteilte die Beklagte dem Kläger jeweils eine schriftliche Abmahnung, weil er an diesen Tagen nicht zur Arbeit erschienen ist. Am 10. Januar 2021 um 16:50 Uhr übersandte der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger folgende WhatsApp-Nachricht:

„Bitte bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend melden.“

Der Kläger sandte ihm am 11. Januar 2021 um 11:56 Uhr folgende WhatsApp:

„Hallo T.! Erst mal wollte ich mich für die Unannehmlichkeiten die ich dir in letzter Zeit bereitet habe in aller vorm entschuldigen und das meine Kündigung (nicht rechtskräftig ist) ein Schnellschuss war. Ich hoffe auch dass du ein wenig Verständnis für meine Situation hast (mit meiner Frau) das sich aber weitestgehend wieder beruhigt hat. Deshalb werde ich auch am 18.01.2021 wieder ordnungsgemäß zum Dienst erscheinen. Über eine positive Rückmeldung von deiner Seite würde ich mich sehr freuen. Gruss M.“

Der Kläger erschien auch am Montag, dem 11. Januar sowie am 12. und 13. Januar 2021 nicht zur Arbeit. Deshalb kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 13. Januar 2021 fristlos zum 15. Januar 2021. In der am 13. Januar 2021 erstellten zweiten Lohnabrechnung für Dezember 2020 errechnete die Beklagte einen Bruttolohn von € 2.054,55 und ein Nettoentgelt von € 1.648,26. Sie nahm jedoch mehrere Abzüge vor, so dass ein Auszahlungsbetrag von € 194,00 netto verblieb. Gegen die Kündigung vom 13. Januar 2021 erhob der Kläger am 20. Januar 2021 Klage. Außerdem verlangte er – soweit noch von Interesse – seine Weiterbeschäftigung, die Zahlung von € 1.383,39 netto Restlohn für Dezember 2020 und ein Zwischenzeugnis.

Der Kläger macht geltend, er habe ab dem 11. Januar 2021 nicht unentschuldigt gefehlt, denn er sei vom 11. Januar bis zum 14. Februar 2021 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Zum Nachweis reichte er das am 12. Juli 2021 ausgestellte Duplikat einer „ärztlichen Bescheinigung“ des Facharztes für Allgemeinmedizin/Notfallmedizin Y. zur Gerichtsakte (Bl. 210 d.A.). Darin wurde ihm eine „Dienstunfähigkeit“ für die Woche vom 11. bis zum 15. Januar 2021 attestiert. Diese Bescheinigung war nicht auf dem Verordnungsformular für gesetzlich Krankenversicherte, sondern auf einem Privatrezeptvordruck ausgestellt. Ferner legte der Kläger die Duplikate (Bl. 80, 81 d.A.) zweier auf dem richtigen Verordnungsformular ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen desselben Arztes für die Zeit vom 18. Januar bis zum 14. Februar 2021 (Erstbescheinigung: 18. bis 31. Januar, Folgebescheinigung: 1. bis 14. Februar) vor. Auf einem zur Gerichtsakte gereichten Duplikat der Ausfertigung zur Vorlage bei der Krankenkasse sind folgende Diagnosen aufgeführt: „(ICD-10) M 51.9, M 48.9, G 40.9“.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch seine eigene Kündigung vom 7. Januar 2021 beendet wird,

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 13. Januar 2021 beendet worden ist,

3. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen fortbesteht,

4. die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränderten Bedingungen als Wachmann weiterzubeschäftigen,

5. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weiteres Arbeitsentgelt für den Monat Dezember 2020 iHv. € 1.383,39 netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2021 zu zahlen,

6. die Beklagte zu verurteilen, ihm ein wohlwollendes Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf die Leistung und das Verhalten bezieht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 15. September 2021 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Trier hat die Kündigungsschutzklage gegen die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13. Januar 2021 abgewiesen und die Beklagte verurteilt, dem Kläger den eingeklagten Restlohn für Dezember 2020 zu zahlen sowie ein Zwischenzeugnis zu erteilen. Zur Begründung hat es – zusammengefasst – ausgeführt, die Eigenkündigung des Klägers vom 7. Januar 2021 sei wegen Verstoßes gegen die Schriftform (§ 623 BGB) nichtig. Für die außerordentliche Kündigung der Beklagten bestehe ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB, weil der Kläger vom 11. bis zum 13. Januar 2021 unentschuldigt gefehlt habe. Der Kläger habe zunächst vorgetragen, er sei nicht zur Arbeit erschienen, weil er zuvor die schriftliche Kündigungsbestätigung der Beklagten vom 8. Januar 2021 vorgefunden habe. Später habe er ausgeführt, er sei ab 11. Januar 2021 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Dieser widersprüchliche Vortrag gehe zu Lasten des Klägers. Er hätte trotz der Kündigungsbestätigung der Beklagten vom 8. Januar 2021 am 11. Januar 2021 zur Arbeit erscheinen bzw. sich bei der Beklagten über die Vertragssituation erkundigen müssen, weil er zuvor eine formnichtige Eigenkündigung erklärt habe. Zumindest ein wörtliches Arbeitsangebot wäre erforderlich gewesen. Etwas anders könnte sich zwar ergeben, wenn der Kläger ab 11. Januar 2021 arbeitsunfähig krank gewesen wäre. Dies müsse jedoch nicht aufgeklärt werden, weil der Kläger nicht substantiiert vorgetragen habe, dass er der Beklagten eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den fraglichen Zeitraum übersandt habe. Im Kammertermin habe der Kläger nur eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit ab dem 18. Januar 2021 vorgelegt und später eine rückdatierte ärztliche Bescheinigung für den streitgegenständlichen Zeitraum. Damit sei er für die Rechtfertigung seines Nichterscheinens vom 11. bis 13. Januar 2021 darlegungs- und beweisfällig geblieben. Die Interessenabwägung falle zu Lasten des Klägers aus, zumal er am 7. und 8. Januar 2021 wegen seines Nichterscheinens an diesen Tagen abgemahnt worden sei. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 15. September 2021 Bezug genommen.

Gegen das am 8. Oktober 2021 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 8. November 2021 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2021 begründet.

Er macht im Wesentlichen geltend, die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13. Januar 2021 sei unwirksam. Es sei zwar richtig, dass er am 7. und 8. Januar 2021 unentschuldigt nicht zur Arbeit erschienen sei, weshalb ihn die Beklagte abgemahnt habe. Durch die beiden Abmahnungen seien diese Pflichtverletzungen kündigungsrechtlich „verbraucht“. Im Zeitraum vom 11. bis 13. Januar 2021 sei er arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung habe er der Beklagten per Einschreiben mit Rückschein zukommen lassen. Da er das Original am 11. Januar 2021 an die Beklagte geschickt und keine Kopie für seine Unterlagen angefertigt habe, habe er – auf Hinweis des Arbeitsgerichts – am 12. Juli 2021 bei seinem behandelnden Arzt eine Kopie angefordert. Aus diesem Grund trage die erstinstanzlich vorgelegte ärztliche Bescheinigung („Duplikat“) das Datum vom 12. Juli 2021.

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich, das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 15. September 2021, Az. 5 Ca 46/21, soweit die Klage abgewiesen worden ist, abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 13. Januar 2021 beendet worden ist,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Bedingungen als Sicherheitsmitarbeiter weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, das Arbeitsverhältnis sei bereits durch die Eigenkündigung des Klägers vom 7. Januar 2021 beendet worden. Dem Kläger sei es nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf die Formunwirksamkeit seiner Kündigung per WhatsApp zu berufen. Ihre außerordentliche Kündigung vom 13. Januar 2021 sei wirksam, weil der Kläger unentschuldigt nicht zur Arbeit erschienen sei. Er habe ihr für die Zeit vom 11. bis 13. Januar 2021 keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung übermittelt. Erst im Laufe des Rechtsstreits habe er eine auf den 12. Juli 2021 datierte ärztliche Bescheinigung vorgelegt, die unstreitig im Nachhinein ausgestellt worden sei. Dies sei aus rein prozesstaktischen Gründen erfolgt. Dass der Kläger nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei, ergebe sich auch aus dem WhatsApp-Verlauf. Selbst in der WhatsApp des Klägers vom 11. Januar 2021 sei von einer Arbeitsunfähigkeit keine Rede.

Die Berufungskammer hat darüber Beweis erhoben, ob der Kläger ab dem 11. Januar 2021 arbeitsunfähig erkrankt gewesen ist durch Einholung einer schriftlichen Zeugenaussage des behandelnden Arztes Y., auf Antrag der Beklagten zusätzlich durch dessen persönliche Zeugenvernehmung. Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die schriftlichen Zeugenaussagen des Arztes vom 28. Juni 2022, vom 10. Juli 2022 und vom 26. Juli 2022 (mit anliegender Praxisdokumentation) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 22. Dezember 2022. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13. Januar 2021 aufgelöst worden. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Eine Umdeutung in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB kommt nicht in Betracht. Die Beklagte ist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zur Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet. Das erstinstanzliche Urteil ist deshalb abzuändern, soweit die Klage abgewiesen wurde.

1. Der gegen die Kündigung der Beklagten vom 13. Januar 2021 gerichtete Kündigungsschutzantrag ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden.

a) Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Beklagtenkündigung vom 13. Januar 2021 das Arbeitsverhältnis der Parteien noch bestand, weil die per WhatsApp übermittelte Eigenkündigung des Klägers vom 7. Januar 2021 nicht den Anforderungen der §§ 623 iVm. § 126 Abs. 1 BGB entspricht. Die Kündigung ist daher gemäß § 125 Satz 1 BGB nichtig.

Die per WhatsApp übermittelte Kündigungserklärung genügt nicht dem Schriftformerfordernis der §§ 623, 126 Abs. 1 BGB. Die WhatsApp-Nachricht des Klägers gibt lediglich die Ablichtung der Originalunterschrift wieder. Ist die Schriftform für eine Erklärung unter Abwesenden vorgesehen, wird die Erklärung erst in dem Zeitpunkt wirksam (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB), in dem sie dem anderen Teil in der gesetzlich vorgeschriebenen Form zugeht. Der Zugang einer Ablichtung genügt nicht (vgl. BAG 17.12.2015 – 6 AZR 709/14 – Rn. 47 zur Übermittlung einer Kündigung per Telefax; BAG 10.05.2016 – 9 AZR 149/15 – Rn. 34 zur Übermittlung einer Erklärung per PDF-Datei; LAG München 28.10.2021 – 3 Sa 362/21 – Rn. 23 zur Übermittlung einer Kündigung per WhatsApp).

Zu Recht hat das Arbeitsgericht ferner angenommen, dass dem Kläger die Berufung auf den Formmangel nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt ist. Die Formvorschrift des § 623 BGB darf im Hinblick auf ihren Sinn und Zweck nicht ausgehöhlt werden. Ein Formmangel kann deshalb nach § 242 BGB nur ganz ausnahmsweise als unbeachtlich qualifiziert werden (vgl. BAG 17.12.2015 – 6 AZR 709/14 – Rn. 51 mwN; BAG 10.05.2016 – 9 AZR 149/15 – Rn. 36 mwN). Ein besonderer Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die gesetzlichen Konsequenzen eines Formverstoßes sind für die Beklagte nicht schlechthin untragbar. Gerade in Fallkonstellationen der vorliegenden Art soll § 623 BGB den Arbeitnehmer vor einer unüberlegten und übereilten Kündigung schützen. Hat eine Formvorschrift auch Warnfunktion darf sie nicht aus bloßen Billigkeitserwägungen außer Acht gelassen werden. Im Streitfall hat der Kläger dem WhatsApp-Foto vom 7. Januar 2021 die Nachricht angefügt, dass er der Beklagten die Kündigungserklärung noch übermitteln wolle („handschriftlich bekommt du es auch noch geschickt“). Die Beklagte konnte daher nicht erwarten, dass sich der Kläger nicht auf den Mangel der Form berufen wird. Bereits in seiner WhatsApp-Nachricht vom 11. Januar 2021 hat sich der Kläger entschuldigt, um Verständnis für seine familiäre Situation gebeten und erklärt, seine Kündigung sei „ein Schnellschuss“ gewesen und „nicht rechtskräftig“. Für die Beklagte war erkennbar, dass der Kläger am Arbeitsverhältnis festhalten will. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Beklagte infolge der rechtsirrigen Annahme der Formwirksamkeit der Kündigungserklärung vom 7. Januar 2021 bereits vor dem 11. Januar 2021 Dispositionen getroffen hätte.

b) Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts bestand für die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13. Januar 2021 kein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB. Nach dem Ergebnis der zweitinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme ist der Kläger ab dem 11. Januar 2021 nicht unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben; er war vielmehr arbeitsunfähig erkrankt.

aa) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., vgl. zB. BAG 23.08.2018 – 2 AZR 235/18 – Rn. 12 mwN). In diesem Sinne kann das unentschuldigte Fehlen eines Arbeitnehmers für die Dauer eines ganzen Arbeitstages ohne ausreichende Information des Arbeitgebers im Wiederholungsfall nach einschlägiger Abmahnung je nach den Umständen „an sich“ geeignet sein, eine außerordentliche Kündigung zu begründen (vgl. BAG 15.03.2001 – 2 AZR 147/00 – Rn. 15 mwN; LAG Rheinland-Pfalz 23.09.2020 – 7 Sa 54/20 – Rn. 61 mwN).

bb) Der Kläger hat ab Montag, dem 11. Januar 2021 nicht unentschuldigt gefehlt. Nach dem Ergebnis der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme ist die Berufungskammer davon überzeugt, dass der Kläger ab 11. Januar 2021 arbeitsunfähig erkrankt war.

(1) Das Arbeitsgericht hat im Ausgangspunkt verkannt, dass im Kündigungsschutzprozess dem kündigenden Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes obliegt. Den Arbeitgeber trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen (vgl. BAG 17.03.2016 – 2 AZR 110/15 – Rn. 32 mwN). Im Falle des Fernbleibens von der Arbeit obliegt dem Arbeitgeber nicht nur der Nachweis dafür, dass der Arbeitnehmer überhaupt gefehlt hat, sondern auch dafür, dass er unentschuldigt gefehlt hat, also zB die vom Arbeitnehmer behauptete Krankheit nicht vorliegt (so schon BAG 26.08.1993 – 2 AZR 154/93 – Rn. 35; vgl. auch BAG 17.06.2003 – 2 AZR 123/02 – Rn. 25; BAG 08.05.2014 – 2 AZR 75/13 – Rn. 30 mwN).

Freilich obliegt es gemäß § 138 Abs 2 ZPO dem Arbeitnehmer, im Einzelnen vorzutragen, warum sein Fehlen als entschuldigt anzusehen ist. Nur diese vom Arbeitnehmer behaupteten Tatsachen hat der Arbeitgeber zu widerlegen. Legt der Arbeitnehmer ein ärztliches Attest vor, so begründet dieses in der Regel den Beweis für die Tatsache der arbeitsunfähigen Erkrankung. Ein solches Attest hat einen hohen Beweiswert, denn es ist der gesetzlich vorgesehene und wichtigste Beweis für die Tatsache der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Bezweifelt der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit, muss er tatsächliche Umstände darlegen und im Bestreitensfall beweisen, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben. Den Beweiswert erschütternde Tatsachen können sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben (vgl. zuletzt BAG 08.09.2021 – 5 AZR 149/21 – Rn. 13 mwN).

Ist es dem Arbeitgeber gelungen, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern bzw. zu entkräften, so tritt hinsichtlich der Behauptungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage des Attestes bestand. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, nunmehr angesichts der Umstände, die gegen eine Arbeitsunfähigkeit sprechen, weiter zu substantiieren, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben, welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Erst wenn der Arbeitnehmer insoweit seiner Substantiierungspflicht nachgekommen ist und ggf. die behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden hat, muss der Arbeitgeber aufgrund der ihm obliegenden Beweislast den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers widerlegen (vgl. BAG 08.09.2021 – 5 AZR 149/21 – Rn. 15 mwN; BAG 26.08.1993 – 2 AZR 154/93 – Rn. 37; LAG Rheinland-Pfalz 04.05.2021 – 6 Sa 359/20 – Rn. 61 mwN).

Mit der Patientenkartei und der Vernehmung des behandelnden Arztes kommen dabei regelmäßig Beweismittel in Betracht, die eine weitere Sachaufklärung versprechen. In derartigen Fällen ist auch stets zu prüfen, ob die Umstände, die den Beweiswert des ärztlichen Attests erschüttern, nicht sogar so gravierend sind, dass sie ein starkes Indiz für die Behauptung des Arbeitgebers darstellen, die Krankheit des Arbeitnehmers sei nur vorgetäuscht; dann müsste der Arbeitnehmer dieses Indiz entkräften. Der dargestellte hohe Beweiswert kommt nur einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu. Liegt sie nicht vor, stellt sich die Rechtslage so dar, als habe der Arbeitnehmer kein ärztliches Attest eingereicht (vgl. BAG 17.06.2003 – 2 AZR 123/02 – Rn. 30, 31 mwN).

(2) Nach diesen Grundsätzen hätte das Arbeitsgericht nicht ohne Beweisaufnahme davon ausgehen dürfen, der Kläger habe vom 11. bis zum 13. Januar 2021 unentschuldigt gefehlt. Die Beklagte hat zwar genügend Umstände vorgetragen, die gegen eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers ab dem 11. Januar 2021 sprachen. Der Kläger hat am 7. Januar 2021 das Arbeitsverhältnis – wenn auch formnichtig – zum 1. März 2021 selbst gekündigt und per WhatsApp mitgeteilt, dass er wegen eines Ehestreits „keine ahnung“ habe, ob er „die nächsten tage überhaupt noch kommen werde“. Er beantragte Urlaub „bis einschließlich 12.01.2021“, um „Grundsachen“ zu klären. In seiner WhatsApp vom 11. Januar 2021 (um 11:56 Uhr) bat er unter Hinweis auf den Ehestreit, der sich „weitestgehend wieder beruhigt“ habe, um Verständnis für seine Situation und kündigte an, dass er am 18. Januar 2021 „wieder ordnungsgemäß zum Dienst erscheinen“ werde. Eine Arbeitsunfähigkeit erwähnte der Kläger in dieser WhatsApp-Nachricht mit keinem Wort. Schließlich legt er für die Zeit vom 11. bis 15. Januar 2021 keine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf dem Formular für gesetzlich Krankenversicherte vor, sondern eine „ärztliche Bestätigung“ des Kassenarztes Y. auf einem Privatrezeptvordruck. Auch sein prozessualer Vortrag war nicht frei von Ungereimtheiten und Widersprüchen. Andererseits ist festzustellen, dass die Beklagte auf die formnichtige Kündigung des Klägers vom 7. Januar zum 1. März 2021 mit einer schriftlichen „Kündigungsbestätigung“ vom 8. Januar 2021 reagiert und – unzutreffend – eine „fristlose Kündigung zum 07.01.2021“ bestätigt hat. Gleichwohl übersandte sie dem Kläger zwei Abmahnungen, weil er am 7. und 8. Januar 2021 nicht zur Arbeit erschienen ist, und wies ihn auf die ordnungsgemäße Erfüllung seiner „arbeitsvertraglichen Verpflichtungen“ hin. Dieser Vorwurf lässt sich mit der „Kündigungsbestätigung“ zum 7. Januar 2021 nicht in Einklang bringen.

(3) Nach dem gesamten Inhalt der mündlichen Verhandlung und dem Ergebnis der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme (§ 286 ZPO) ist es der primär darlegungspflichtigen und beweisbelasteten Beklagten nicht gelungen, zu widerlegen, dass der Kläger ab dem 11. Januar 2021 arbeitsunfähig erkrankt war.

Der behandelnde Facharzt für Allgemeinmedizin/Notfallmedizin Y. führte in seiner (ersten) schriftlichen Zeugenaussage vom 28. Juni 2022 aus, dass sich der Kläger am 11. Januar 2021 in seine Behandlung begeben habe. Aus medizinischer Sicht habe vom 11. Januar bis zum 14. Februar 2021 Arbeitsunfähigkeit bestanden. Der Kläger habe ihm am 11. Januar 2021 keine gültige Krankenversichertenkarte vorgelegt, weshalb er für die Krankschreibung nicht das Formular für Kassenpatienten verwendet, sondern eine „private“ Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt habe. Erst nachdem ihm der Kläger am 18. Januar 2021 bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit eine Krankenversichertenkarte vorgelegt habe, sei es möglich gewesen, das Kassenformular zur Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit zu verwenden. Seine Praxissoftware habe für den Kläger am 18. Januar 2021 eine Erstbescheinigung ausgestellt, weil an diesem Tag erstmals eine Arbeitsunfähigkeit zu Lasten der Krankenkasse ersichtlich gewesen sei. In seiner (zweiten) schriftlichen Zeugenaussage vom 10. Juli 2022 führte der Arzt aus, dass sich der Kläger verrenkt habe, er habe über Rückenschmerzen und Blockaden geklagt. Er habe den Kläger am 11. und am 18. Januar 2021 körperlich untersucht, inklusive Labor. Am 18. Januar 2021 habe er nach Vorlage der Krankenversichertenkarte für den Kläger eine Überweisung zur Neurochirurgie wegen des Verdachts auf lumbalen Bandscheibenschaden bei Spinalkanalstenose ausgestellt. Somit sei der Kläger seit dem 11. Januar 2021 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Auf Antrag der Beklagten übersandte der Zeuge mit Schreiben vom 26. Juli 2022 die Praxisdokumentation vom 11. Januar 2021. Er führte in seiner (dritten) schriftlichen Zeugenaussage auf den Vorhalt der Beklagten aus, er habe in seiner schriftlichen Zeugenaussage vom 10. Juli 2022 nicht behauptet, “es werde keine Versicherungskarte ausgestellt“. Der Kläger sei am 11. Januar 2021 ohne eine gültige – einlesbare – Krankenversichertenkarte in seiner Praxis erschienen. Erst am 18. Januar 2021 habe er sich abends nach der Sprechstunde mit einer gültigen und einlesbaren Versichertenkarte eingefunden. Daher habe er erst an diesem Tag eine Überweisung zum Facharzt für Neurochirurgie und eine ordnungsgemäße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt. Für eine Laborabnahme sei es am 18. Januar 2021 zu spät gewesen; diese sei beim Wiedererscheinen des Klägers am 1. Februar 2021 erfolgt. Während seiner persönlichen Vernehmung durch die Berufungskammer am 22. Dezember 2022 führte der Zeuge abermals aus, der Kläger sei am 11. Januar 2021 in seiner Praxis erschienen. Er habe ihn untersucht und zunächst für die Zeit vom 11. bis zum 15. Januar 2021 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Der Kläger habe keine einlesbare Krankenversichertenkarte mitgeführt, weshalb er ihn auf einem Formular, dass er für Beamte oder Privatversicherte verwende, arbeitsunfähig krankgeschrieben habe. Am 18. Januar 2021 sei der Kläger wegen seiner anhaltenden Beschwerden erneut erschienen, allerdings erst abends nach der Sprechstunde. Am 18. Januar 2021 habe er eine Versichertenkarte dabeigehabt, die eingelesen werden konnte. Deshalb habe er dann auf dem Krankenkassenformular eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt. Auf Befragen der Kammer erklärte der Zeuge, dass er den Kläger körperlich untersucht habe. Er habe zunächst dessen Standbild angeschaut und dann den Rücken untersucht. Beim Kläger habe er eine Menge Blockaden festgestellt. Der Kläger sei nicht mit den Fingern bis zum Boden gekommen, der Finger-Boden-Abstand (bei Vorneigung des Oberkörpers mit herabhängenden Armen und gestreckten Beinen) habe gut 30 cm betragen.

Der Zeuge Y. hat glaubhaft geschildert, dass er den Kläger körperlich untersucht und wegen Rückenbeschwerden eine Arbeitsunfähigkeit ab dem 11. Januar, zunächst bis zum 15. Januar 2021 und in der Folge bis zum 14. Februar 2021 festgestellt hat. Er machte durchweg nachvollziehbare Angaben. Aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Zeugen ist die Berufungskammer auch von dessen Glaubwürdigkeit überzeugt. Der Umstand, dass es am 11. Januar 2021 Probleme mit der Krankenversichertenkarte des Klägers gegeben hat, weshalb der Zeuge an diesem Tag keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf dem Vordruck für Kassenpatienten ausstellen konnte, spricht nicht gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen. Es ist für die Frage, ob der Kläger ab dem 11. Januar 2021 arbeitsunfähig erkrankt war, nicht von entscheidender Bedeutung, dass und weshalb die Versichertenkarte des Klägers an diesem Tag nicht eingelesen werden konnte. Die Beweisaufnahme hat nicht ergeben, dass der Zeuge dem Kläger eine ärztliche Bescheinigung über eine Arbeitsunfähigkeit ab dem 11. Januar 2021 ausgestellt haben könnte, die medizinisch nicht gerechtfertigt war. Die diagnostizierte Erkrankung hat der Zeuge nicht (nur) aufgrund von Eigenangaben des Klägers, sondern aufgrund objektivierbarer Befunde durch eine körperliche Untersuchung festgestellt. Dafür, dass der Kläger den Arzt getäuscht haben könnte, besteht nicht der geringste Anhaltspunkt. Dem Zeugen kann nicht unterstellt werden, er hätte dem Kläger ein „Gefälligkeitsattest“ ausgestellt.

2. Eine Umdeutung (§ 140 BGB) der außerordentlichen fristlosen Kündigung der Beklagten vom 13. Januar 2021 in eine ordentliche Kündigung zum Ablauf der maßgeblichen Kündigungsfrist kommt nicht in Betracht. Eine ordentliche Kündigung wäre nicht durch das Verhalten des Klägers iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, weil der Kläger aus den dargelegten Gründen der Arbeit ab 11. Januar 2021 nicht unentschuldigt ferngeblieben ist.

3. Da das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die formnichtige WhatsApp-Kündigung des Klägers noch durch die Kündigung der Beklagten vom 13. Januar 2021 aufgelöst wurde, ist die Beklagte nach den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen (BAG 27.02.1985 – GS 1/84) verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits als Sicherheitsmitarbeiter weiterzubeschäftigen. Besondere Umstände, die trotz des Obsiegens des Klägers mit dem Kündigungsschutzantrag ein überwiegendes Interesse an dessen Nichtbeschäftigung begründen könnten, liegen nicht vor.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

 

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