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Fristlose Verdachtskündigung – Verstoß gegen Schmiergeldverbot – Kündigungserklärungsfrist

LAG Rheinland-Pfalz – Az.: 9 Sa 56/11 – Urteil vom 28.10.2011

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 10.11.2010, Az.: 7 Ca 385/10, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten auch im Berufungsverfahren über die Wirksamkeit der gegenüber dem Kläger ausgesprochenen fristlosen, vorsorglich fristgerechten Kündigung vom 16.02.2010. Der verheiratete und einem Kind in Ausbildung zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 28.08.1978 bei der Beklagten zu einer Bruttomonatsarbeitsvergütung in Höhe von 4.400,00 EUR beschäftigt. Der Kläger war zuletzt Fachkalkulator in der Einheit WLD SC und dort im Team Arbeitswirtschaft/Gebäude und Holztechnik eingesetzt. Zu seinen Aufgaben gehörte es u. a., von Geschäftspartner der Beklagten im Bereich des Gerüstbaus am Standort L. erbrachte Leistungen zu überprüfen.

Aufgrund des Verdachts unberechtigter Mehrfachabrechnungen durch die Firma L. GmbH begann die Beklagten im November 2009 mit Überprüfungen, ob durch die genannte Firma Leistungen doppelt abgerechnet worden sind und welche Mitarbeiter hieran ggf. beteiligt waren. Am 15.01.2010 teilte der ehemalige Mitarbeiter R. der Firma L. der Beklagten mit, er habe für die Firma L., Herr S., Barzahlungen an den Kläger ausgehändigt. Der Prokurist der Firma L. habe ihm in der Zeit von Mai bis September 2009 monatlich ein Kuvert mit jeweils 2.500,00 EUR zur Übergabe an den Kläger übergeben. Am 21.01.2010 erfolgte aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses des zuständigen Amtsgerichts unter anderem eine Durchsuchung des Arbeitsplatzes des Klägers, wobei ein Geldbetrag in Höhe von 700,00 EUR aufgefunden wurde. Der Kläger wurde durch den Ermittlungsdienst der Beklagten am 29.01. und 05.02.2010 zu den Vorwürfen angehört. Der Kläger bestritt hierbei die Vorwürfe. Nach der Anhörung am 29.01.2010 unterhielt sich der Kläger mit dem Prokuristen der Firma L. über die Befragung durch den Ermittlungsdienst, was er in seiner Anhörung am 05.02.2010 bestritt.

Die kündigungsberechtigte Einheit XY erhielt am 05.02.2010 den Bericht des Ermittlungsdienstes und hörte daraufhin den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu einer beabsichtigten fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung mit Schreiben vom 09.02.2010 an. Wegen des Inhalts der Betriebsratsanhörung wird auf Bl. 45 ff. d. A. Bezug genommen. Mit Schreiben vom 15.02.2010 teilte der Betriebsrat mit, dass er die Kündigungsabsicht zur Kenntnis nehme.

Mit Schreiben vom 16.02.2010, dem Kläger am 17.02.2010 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30.09.2010.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalt sowie des streitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 10.11.2010, Az: 7 Ca 385/10 (Bl. 143 ff. d. A.). Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage abgewiesen und zur Begründung zusammengefasst ausgeführt:

Die Kündigung sei nach § 626 BGB jedenfalls als Verdachtskündigung gerechtfertigt. Gegen den Kläger habe der dringende Verdacht der Annahme von Schmiergeldern der Firma L. bestanden. Hierbei handele es sich um den Verdacht einer schwerwiegenden Vertragsverletzung, da durch die Annahme von Schmiergeldern die Einstellung des Arbeitnehmers deutlich werde, unbedenklich eigene Vorteile bei der Erfüllung von Aufgaben wahrnehmen zu wollen, obwohl er sie allein im Interesse des Arbeitgebers durchzuführen habe. Durch ein derartiges Verhalten werde das Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Redlichkeit zerstört.

Für die Beklagte habe sich der dringende Verdacht aufgrund der Einlassungen des Zeugen R. vor dem Ermittlungsdienst ergeben. Anhaltspunkte oder ein Motiv dafür, dass Herr R. den Kläger zu Unrecht habe beschuldigen sollen, seien für die Beklagte nicht erkennbar gewesen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass Herr R. sich durch die Einräumung der Geldübergaben selbst der Gefahr der Strafverfolgung ausgesetzt habe. Es sei daher nachvollziehbar, dass die Beklagte der leugnenden Aussage des Klägers vor dem Ermittlungsdienst keinen maßgeblichen Beweiswert zugemessen habe. Der Verdacht sei ferner durch das Ergebnis der Durchsuchung des Arbeitsplatzes erhärtet worden. Diesen dringenden Verdacht habe der Kläger bis zum Abschluss des erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahrens nicht entkräften können. Der auch gerichtlich vernommene Zeuge R. habe vielmehr glaubhaft die Geldübergaben detailliert beschrieben. Zwar habe der Zeuge S. nicht bestätigen können, Geldübergaben an den Kläger veranlasst zu haben. Hierbei könne jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass dieser Zeuge bei Einräumung der behaupteten Geldübergaben sich selbst einer Straftat hätte bezichtigen müssen. Insgesamt sei durch die Beweisaufnahme der dringende Tatverdacht nicht entkräftet, sondern vielmehr noch erhärtet worden.

Einer vorherigen Abmahnung habe es nicht bedurft. Der Kläger habe nicht mit vertretbaren Gründen annehmen können, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig und werde vom Arbeitgeber nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen.

Auch die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Die kündigungsberechtigte Einheit der Beklagten habe über die kündigungsrelevanten Vorfälle erst am 05.02.2010 durch Vorlage des Ermittlungsberichtes Kenntnis erhalten.

Die abschließende Interessenabwägung falle zu Lasten des Klägers aus. Auch unter Berücksichtigung der erheblichen Dauer der Betriebszugehörigkeit und der mit einer Kündigung für den Kläger verbundenen erheblichen Folgen überwiege das Beendigungsinteresse der Beklagten, da das Arbeitsverhältnis aufgrund des dringenden Verdachts einer erheblichen Pflichtwidrigkeit unerträglich belastet sei und die für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauensgrundlage irreparabel zerstört sei.

Die Kündigung sei auch nicht wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG rechtsunwirksam. Die Beklagte habe die für sie maßgeblichen Kündigungsgründe vollständig und detailliert dargelegt. Zwar habe sie auf Seite 3 des Anhörungsschreibens ausgeführt, dass interne Auswertungen ergeben hätten, dass der Kläger Aufmaße im A.-System freigegeben habe, obwohl die Firma L. hierfür keine Leistung erbracht habe. Diese unrichtige Information sei jedoch gleich im nächsten Absatz und in der Folge der schriftlichen Anhörung mehrfach richtig gestellt worden, in dem die Beklagte wiederholt darauf hingewiesen habe, dass gegen den Kläger der Verdacht bestehe, an diesen doppelten bzw. mehrfachen Verrechnungen mitgewirkt zu haben. Der Gesamtkontext der Anhörung ergebe, dass die Beklagte nicht von einem Tatnachweis in Bezug auf Doppelabrechnungen ausgegangen sei, sondern aus ihrer Sicht ein diesbezüglicher dringender Tatverdacht bestanden habe.

Das genannte Urteil ist dem Kläger am 06.01.2011 zugestellt worden. Er hat hiergegen mit einem am 26.01.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb mit Beschluss vom 03.03.2011 bis zum 06.04.2011 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 28.03.2011, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 31.03.2011, begründet.

Mit dem genannten Schriftsatz, auf den wegen der Einzelheiten ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 179 ff. d. A.), macht der Kläger zur Begründung seiner Berufung im Wesentlichen geltend:

Die Beklagte habe die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Nach eigenem Sachvortrag der Beklagten habe sie bereits am 02.11.2009 von einem ehemaligen Bauleiter der Firma L. erfahren, dass der Kläger neben weiteren Personen dabei mitgewirkt haben solle, der Firma L. Mehrfachabrechnungen zu ermöglichen. Der Zeuge R. habe bereits am 15.01.2010 von den angeblichen Geldübergaben berichtet. Der Durchsuchungsbeschluss datiere vom 19.01.2010. Die Beklagte habe somit bereits seit 02.11.2009 Kenntnis von Umständen gehabt, die eine fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Spätestens durch die zusätzliche Aussage des Zeugen R. am 15.01.2010 hätten sich bei ihr die Verdachtsmomente so verstärken müssen, dass spätestens ab diesem Zeitpunkt die Ausschlussfrist zu laufen begonnen habe.

Die Kündigung sei auch nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG rechtsunwirksam. Die Beklagte habe den Betriebsrat nicht mitgeteilt, dass sie von den angeblichen Vorwürfen bereits ab dem 02.11.2010 Kenntnis gehabt habe. Ferner habe sie unzutreffend angegeben, dass der Kläger tatsächlich Aufmaße zugunsten der Firma L. freigegeben habe, obwohl hierfür keine Leistung erbracht worden sei. Eine Richtigstellung im weiteren Verlauf des Anhörungsschreibens sei nicht erfolgt. Vielmehr habe die Beklagte den Betriebsrat bewusst unrichtig und irre führend dahingehend unterrichtet, dass dem Kläger bereits ein Fehlverhalten nachgewiesen sei. Auch habe die Beklagte nicht alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen. Entlastende Ermittlungen durch Befragung des Zeugen S. seien nicht unternommen worden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 10.-11.2010, Az.: 7 Ca 385/10, abzuändern und festzustellen, dass durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 16.02.2010 das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst wurde.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil mit ihrer Berufungserwiderung gemäß Schriftsatz vom 01.06.2011 (Bl. 200 ff. d. A.), auf den Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Das Rechtsmittel ist an sich statthaft. Die Berufung wurde auch form- und fristgerecht eingelegt sowie – auch inhaltlich ausreichend – begründet. Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten steht der Zulässigkeit der Berufung unter dem Gesichtspunkt nicht ausreichender Begründung nicht entgegen, dass der Kläger sich nach Ansicht der Beklagten nicht ausreichend mit der Begründung des angefochtenen Urteils zur Wahrung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB auseinander gesetzt haben soll. Träfe dies in tatsächlicher Hinsicht zu, hat der Kläger sich jedenfalls aber mit der Begründung des Arbeitsgerichts zu anderen Gründen, die bei ihrem Vorliegen zur Unwirksamkeit der Kündigung führen würden (unzureichende Betriebsratsanhörung, Unterlassung weiterer Aufklärungsmaßnahmen) auseinander gesetzt. Damit liegt eine ausreichende Berufungsbegründung vor.

II.

In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Die Berufungskammer folgt der Begründung des angefochtenen Urteils und stellt dies hiermit gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen veranlasst lediglich folgende Ausführungen:

1. Das Arbeitsgericht ist zutreffend von den auch von der Berufungskammer geteilten Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur sogenannten Verdachtskündigung ausgegangen. Ein demnach zunächst erforderlicher dringender Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung war vorliegend gegeben. Es bestand der dringende Verdacht eines Verstoßes gegen das sogenannte Schmiergeldverbot, mithin einer Vertragspflichtverletzung, die an sich zur Rechtfertigung einer fristlosen Kündigung geeignet ist (BAG 21.06.2001 – 2 AZR 30/00 – EzA § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 7; LAG Rheinland-Pfalz 16.01.2009 – 9 Sa 572/08 – juris; LAG Rheinland-Pfalz 24.09.2010 – 9 Sa 235/10 -, juris). Das Arbeitsgericht ist ferner zutreffend davon ausgegangen, dass auch ein dringender Verdacht einer derartigen Vertragsverletzung bestand. Das Arbeitsgericht hat die bestehenden Verdachtsmomente zutreffend gewürdigt und ist auch in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass auch die im gerichtlichen Verfahren durchgeführte Beweisaufnahme nicht zu einer Entkräftung, sondern zu einer Verstärkung des Verdachts geführt hat. Konkrete Anhaltspunkte, die im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der diesbezüglichen Feststellungen begründen, sind weder ersichtlich, noch im Rahmen der Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 2 Nr. 3 ZPO geltend gemacht.

2. Die Berufungskammer teilt auch die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass eine vorherige Abmahnung entbehrlich war. Zwar ist auch bei Störungen im Vertrauensbereich das Abmahnungserfordernis stets zu prüfen und eine Abmahnung jedenfalls dann vor Ausspruch der Kündigung erforderlich, wenn ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht und erwartet werden kann, dass das Vertrauen wieder hergestellt wird. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (BAG 04.06.1997 – 2 AZR 526/06 – EzA § 626 n. F. BGB Nr. 168; BAG 21.06.2001, a. a. O.). Eine Abmahnung hat allerdings nicht stets schon dann Vorrang vor einer Kündigung, wenn eine Wiederholung des pflichtwidrigen Verhaltens aufgrund der Abmahnung nicht zu erwarten steht. Bei besonders schwerwiegenden Verstößen ist eine Abmahnung grundsätzlich entbehrlich, weil in diesen Fällen regelmäßig davon auszugehen ist, dass das pflichtwidrige Verhalten, das für ein Arbeitsverhältnis notwendige Vertrauen auf Dauer zerstört hat.

Gemessen hieran war eine Abmahnung entbehrlich. Der dringende Verdacht bezog sich im vorliegenden Fall auf eine schwerwiegende Pflichtverletzung, von der der Kläger unter keinem Gesichtspunkt annehmen konnte, die Beklagte sehe eine solche nicht als vertragswidrig oder zumindest nicht als so schwerwiegend an, dass hierdurch der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet werde. Durch den dringenden Verdacht der Pflichtverletzung ist das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen ohne Aussicht auf dessen Wiederherstellung zerstört worden.

3. Die Berufungskammer teilt auch die vom Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung und macht sich diese zu eigen.

4. Die Beklagte hat auch die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Die genannte Frist beginnt grundsätzlich erst, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis vom Kündigungssachverhalt hat, die ihm eine Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht.

Die Beklagte hat – ohne dass dem Kläger seinerseits entgegen getreten wäre, dargelegt, dass bei ihr unter Beteiligung eines Prokuristen ausschließlich der Leiter der Einheit Labor XY (XY) kündigungsberechtigt ist und diese Einheit der schriftliche Ermittlungsbericht erst am 05.02.2010 zugeleitet wurde. Unter Berücksichtigung der erforderlichen und durchgeführten Betriebsratsanhörung wahrte damit die dem Kläger am 17.02.2010 zugegangene Kündigung die Kündigungserklärungsfrist.

Zutreffend ist allerdings, dass der Kündigungsberechtigte sich allerdings nach Treu und Glauben die Kenntnis eines in seiner Funktion dem Arbeitgeber angenäherten Mitarbeiters oder Vorgesetzten zurechnen lassen muss, wenn dessen Stellung im Betrieb nach den jeweiligen Umständen erwarten lässt, er werde dem Kündigungsberechtigten den Kündigungssachverhalt mitteilen (BAG 26.11.1987 – 2 AZR 312/87 -, juris). Der Kündigungsberechtigte darf sich nicht auf eine spätere Kenntnis berufen, wenn sie darauf beruht, dass die eingerichtete Organisation des Betriebs den Fristbeginn verzögert (KR-KSchG/Fischermeier, 9. Auflage, § 626 BGB, Rz. 355; zum Einsatzes eines firmeneigenen Ermittlungsdienstes vgl. auch LAG Hamm 19.05.2008 – 8 Sa 288/08 -, juris).

Auch unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergibt sich vorliegend keine andere Beurteilung. Es kann dahinstehen, ob sich die Beklagte eine frühere Kenntnis der Mitarbeiter des Ermittlungsdienstes zurechnen lassen muss oder nicht. Jedenfalls hinsichtlich des Verdachts der Pflichtverletzung der Annahme von Schmiergeldern ist die Kündigungserklärungsfrist gewahrt, selbst dann, wenn auf die Kenntnis der Mitarbeiter des Ermittlungsdienstes abgestellt wird.

Diesbezüglich ergab sich ein Verdacht erstmalig, nachdem der Zeuge R. sich am 15.01.2010 an die Mitarbeiter des Ermittlungsdienstes gewendet hatte. Der Kündigungsberechtigte kann aber dann, wenn Anhaltspunkte für eine außerordentliche Kündigung vorliegen, Ermittlungen anstellen, und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt (BAG 17.03.2005 – 2 AZR 245/04 – EzA § 626 BGB 2002 Nr. 9). Das Ergebnis der am 21.01.2010 durchgeführten Durchsuchung u. a. des Arbeitsplatzes des Klägers konnte somit abgewartet werden. Mit der gebotenen Zügigkeit wurde sodann am 29.01.2010 die rechtlich erforderliche Anhörung des Klägers durchgeführt. Es bestand auch Veranlassung zur erneuten Anhörung des Klägers am 05.02.2010, nachdem der Kläger die Vorwürfe in seiner ersten Anhörung am 29.01.2010 bestritten und der Ermittlungsdienst nachfolgend erfahren hatte, dass der Zeuge S. über den Inhalt der Anhörung des Klägers vom 29.01.2010 informiert war.

5. Die streitgegenständliche Kündigung ist auch nicht deshalb rechtsunwirksam, weil die Beklagte nicht alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hätte.

Eine Verdachtskündigung als Reaktion auf die Störung des für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendigen Vertrauens kann unverhältnismäßig sein, wenn der Arbeitgeber nicht alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat, wobei insbesondere die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers grundsätzlich Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung ist (vgl. etwa BAG 18.09.1997 – 2 AZR 36/97 – EzA § 626 n. F. BGB Nr. 169). Eine vorherige Anhörung des Klägers ist vorliegend erfolgt. Der Kläger macht geltend, dass die Beklagte verpflichtet gewesen sei, sich mit der Firma L., insbesondere dem Zeugen S. in Verbindung zu setzen und diesen zu den angeblichen Geldübergaben zu befragen.

Hierzu war die Beklagte nicht verpflichtet. Der Kläger hat im Rahmen seiner Anhörungen die erhobenen Vorwürfe bestritten. Aus Sicht der Beklagten handelte es sich aufgrund der Bekundungen des ehemaligen Bauleiters M. der Firma L. um einen nicht nur den Kläger betreffenden Vorfall, sondern um einen umfangreichen Sachverhaltskomplex unter Beteiligung von zumindest 16 Personen, die an unberechtigten Mehrfachabrechnungen der Firma L. beteiligt gewesen sein sollen. Die Firma L. und bei dieser insbesondere deren Prokurist S. soll demnach der Hauptschädiger gewesen sein, der zu Lasten der Beklagten gehandelt haben soll. Eine Befragung des Herrn S. war der Beklagten schon aus diesem Grunde nicht zumutbar. Die Beklagte konnte unterstellen, dass der Zeuge S. die Vorwürfe bestreiten würde. Im Rahmen der Überprüfung der Zumutbarkeit einer Befragung des Zeugen S. kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Beklagte durch eine frühzeitige Konfrontation des Herrn S. mit den vorliegenden Verdachtsmomenten weitere Ermittlungen zur Realisierung evtl. Regressforderungen gegen die Firma L. hätte gefährden können.

6. Ebenfalls zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Kündigung nicht unter dem Gesichtspunkt nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG rechtsunwirksam ist. Ausweislich der schriftlichen Betriebsratsanhörung hat die Beklagte die Kündigung auf den Verdacht von zwei Pflichtverletzungen gestützt, zum einen auf den Verdacht, dass der Kläger an der Ermöglichung von Mehrfachabrechnungen durch die Firma L. mitgewirkt habe und zum anderen auf den Verdacht, der Kläger habe von der Firma L. Schmiergeldzahlungen angenommen. Die Darstellung des Kündigungssachverhalts und der bestehenden Verdachtsmomente hinsichtlich des zuletzt genannten Verdachts ist ausführlich, vollständig und ermöglichte dem Betriebsrat ohne eigene Nachforschungen, sich ein Bild über die Stichhaltigkeit der geltend gemachten Gründe zu machen. Diesen Teil der Anhörung beanstandet auch der Kläger mit seiner Berufung nicht.

Hinsichtlich des Verdachts der Mitwirkung an der Ermöglichung von Mehrfachabrechnungen durch die Firma L. führt die auf Seite 3 der Betriebsratsanhörung (Bl. 47 d. A.) enthaltene Passage: „Interne Auswertungen haben ergeben, dass Herr A. Aufmaße im A.-System freigegeben hat, obwohl die Firma L. dafür keine Leistung erbracht hat“ nicht dazu, dass von einer bewusst irreführenden Information des Betriebsrats hinsichtlich dieses Kündigungsvorwurfs ausgegangen werden kann. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass aufgrund des Gesamtzusammenhangs der Ausführungen der Beklagten in der Betriebsratsanhörung zu diesem Kündigungsvorwurf für den Betriebsrat nicht zweifelhaft bleiben konnte, dass die Beklagte nicht von einer erwiesenen Pflichtverletzung, sondern von einem dringenden Verdacht dieser Pflichtverletzung ausging. Bereits im folgenden Absatz weist die Beklagte daraufhin, dass noch keine detaillierten Angaben dazu möglich sind, in welchem Rahmen der Kläger insgesamt unzulässigerweise Doppelzahlungen oder Zahlungen ohne Leistung veranlasst habe. Sie führt sodann aus, dass sie den dringenden Verdacht hege, dass der Kläger an den doppelten bzw. mehrfachen Verrechnungen vorsätzlich mitgewirkt habe und schildert sodann die Tatsachen, auf die sie diesen Verdacht stützt. Im zweiten Absatz der Seite 4 des Anhörungsschreibens weist die Beklagte auf eine mögliche Einflussnahme durch den Kläger hin und führt auf Seite 5 ebenfalls aus, dass sie einen dringenden Verdacht gegen den Kläger hege.

III.

Die Berufung des Klägers war daher mit der sich aus § 97 Abs.1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen. Ein Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG besteht nicht.

 

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