Skip to content

Fristlose Verdachtskündigung wegen Entwendung von Dieselkraftstoff

Verdachtskündigung bei mutmaßlicher Dieselentwendung: Einblicke in das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz

Die jüngste Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz befasst sich mit einem brisanten Thema im Arbeitsrecht: der fristlosen Verdachtskündigung aufgrund des Verdachts der Entwendung von Dieselkraftstoff.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 2 Sa 292/19 >>>

Hintergrund des Falles

Die Auseinandersetzung dreht sich um die Frage, ob eine außerordentliche, und hilfsweise ordentliche, Kündigung eines Arbeitnehmers gerechtfertigt war, der im Verdacht stand, Dieselkraftstoff entwendet zu haben. Die beklagte Spedition hatte die abschließbaren Tankdeckel ihrer LKW-Flotte durch nicht verschließbare ersetzt, um Reparaturkosten zu vermeiden. Der klagende Arbeitnehmer parkte seinen LKW regelmäßig in der Nähe seines Wohnortes. Die strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihn wurden mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.

Die Position der Beklagten

Die Spedition argumentierte, dass während der Standzeiten des LKW Differenzen im Tankinhalt festgestellt wurden, die nur durch unbefugte Entnahme von Kraftstoff erklärbar seien. Mehrere Fahrer hätten bereits zugegeben, Kraftstoff entwendet zu haben. Der Kläger hingegen habe nie gemeldet, dass Kraftstoff fehlen würde, was eine Verletzung seiner Pflichten darstelle.

Die Sicht des Klägers

Der Kläger bestritt, Kraftstoff entwendet zu haben. Er argumentierte, dass andere Personen ebenfalls Kenntnis vom Standort seines LKW hatten und somit auch andere als Täter in Frage kämen. Zudem sei es möglich, dass die Tankanzeige fehlerhaft war und somit keine tatsächliche Entnahme stattgefunden habe.

Entscheidung des Gerichts

Das Gericht stellte fest, dass für eine Verdachtskündigung starke Verdachtsmomente vorliegen müssen, die das Vertrauen in den Arbeitnehmer nachhaltig zerstören. Diese Verdachtsmomente waren hier nicht gegeben. Es wurde betont, dass bloße Vermutungen nicht ausreichen. Das Gericht konnte nicht feststellen, dass der Kläger tatsächlich Kraftstoff entnommen hat. Zudem wurde die Position des Klägers gestärkt, dass er mögliche Abweichungen im Tankinhalt nicht bemerkt haben könnte.

Schlussbetrachtung

Dieses Urteil zeigt, dass eine Verdachtskündigung hohe Anforderungen an den Arbeitgeber stellt. Es reicht nicht aus, bloße Vermutungen oder Indizien vorzubringen. Es müssen konkrete Tatsachen vorliegen, die den Verdacht rechtfertigen. In diesem Fall konnte die Spedition diese Anforderungen nicht erfüllen, weshalb die Kündigung als unrechtmäßig angesehen wurde.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 2 Sa 292/19 – Urteil vom 12.03.2020

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 11.06.2019 – 11 Ca 68/19 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, um Ansprüche des Klägers auf Annahmeverzugslohn sowie Spesen und über einen von der Beklagten geltend gemachten Schadensersatzanspruch wegen der Entwendung von Dieselkraftstoff.

Die Beklagte betreibt eine Spedition mit einer Flotte von ca. 115 Fahrzeugen.

Der 1977 geborene Kläger war seit dem 15. August 2011 bei der Beklagten aufgrund Arbeitsvertrags vom 08. August 2011 (Bl. 11 – 18 d. A.) als LKW-Fahrer beschäftigt. Gemäß den Lohnabrechnungen für die Monate September, Oktober und November 2018 (Bl. 20 bis 22 d. A.) erhielt der Kläger zuletzt einen Bruttomonatslohn in Höhe von 2.675,00 EUR zuzüglich vermögenswirksamer Leistungen in Höhe von 13,30 EUR, eine „Fleetboardprämie“ in Höhe von 50,00 EUR brutto, eine Zusatzzahlung in Höhe von 200,00 EUR brutto und Spesen in monatlich wechselnder Höhe.

Unter dem 28. März 2014 erteilte die Beklagte dem Kläger eine schriftliche Abmahnung wegen Diebstahls (Bl. 117 d. A.).

Fristlose Verdachtskündigung wegen Entwendung von Dieselkraftstoff
Verdachtskündigung aufgrund von Dieselentwendung: Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz betont die Notwendigkeit starker Verdachtsmomente, die über bloße Vermutungen hinausgehen. Hohe Anforderungen an Arbeitgeber gestellt. (Symbolfoto: kaninw /Shutterstock.com)

Die LKW der Beklagten sind mit einem sog. Fleetboard ausgestattet, das gestützt auf ein GPS-Signal Fahrdaten abrufbar speichert (u.a. Start und Ende der Fahrten sowie Standzeiten jeweils mit Angabe der Position des Fahrzeugs, Fahrstrecke und Kilometerstand) und dabei auch Angaben zu dem jeweils erfassten Tankinhalt ausweist. Die durch das Fleetboard erfassten Daten werden per Mobilfunk an die Beklagte übertragen und dort computertechnisch erfasst und gespeichert. Anhand der eingelegten Fahrerkarte wird der erfasste Datensatz dem Fahrzeugführer zugeordnet.

In dem vom Kläger gefahrenen LKW, dessen Tank ein Fassungsvermögen von 660 Liter hat, wurde der Tankfüllstand für den Fahrer mittels einer (analogen) Tanknadel angezeigt. Der Kläger betankte den von ihm geführten LKW selbst und bezahlte den Kraftstoff mit der ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellten Tankkarte unmittelbar zu deren Lasten.

In den zurückliegenden Jahren kam es wiederholt zu unbefugten Kraftstoffentnahmen. Wenn ein Fahrer entsprechende Meldung erstattet hatte, wurde seitens der Beklagten in einigen Fällen im Zeitraum 2013 bis 2016 Anzeige erstattet bzw. die jeweilige ausländische Behörde informiert. Die strafrechtlichen Ermittlungen wurden eingestellt mangels hinreichenden Tatverdachts. Die Tankdeckel der LKW der Beklagten waren ursprünglich abschließbar. Die abschließbaren Tankdeckel wurden von Seiten der Beklagten durch nicht verschließbare Tankdeckel ersetzt, da der Aufbruch eines Tankdeckels zur unbefugten Entnahme von Kraftstoff Reparaturkosten verursachte, die den Wert des entnommenen Kraftstoffs erheblich überstiegen.

Der Kläger parkte den LKW regelmäßig in der Nähe seines Wohnhauses (A-Straße, A-Stadt). Von dort trat er die jeweilige Folgefahrt an. Die entsprechenden Standzeiten wurden durch das Fleetboard-System erfasst. Während dieser und weiterer, nicht am Wohnort des Klägers erfasster Standzeiten ergaben sich bei Auswertung der durch das Fleetboard-System erfassten Tankfüllstände im Zeitraum vom 19. Januar bis 26. November 2018 jeweils bei Abgleich des Füllstands zwischen Beginn und Ende der jeweiligen Standzeit Abweichungen in insgesamt 26 Fällen, darunter 22 am Wohnsitz des Klägers und vier an anderen Standorten; wegen der Einzelheiten der aufgezeichneten Daten wird auf das von der Beklagten vorgelegte Fleetboard-Protokoll für den betreffenden Zeitraum mit einem Differenzvolumen von insgesamt 2.059,20 Liter verwiesen (Anlage B 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 21. März 2019 = Bl. 74 bis 76 d. A.).

Mit Schreiben vom 21. Dezember 2018 (Bl. 23 d. A.), dem Kläger am gleichen Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis fristlos zum 21. Dezember 2018, ersatzweise zum nächstmöglichen Termin. Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner am 08. Januar 2019 beim Arbeitsgericht Koblenz eingegangenen Kündigungsschutzklage gewandt. Klageerweiternd hat er restliche Vergütung für den Monat Dezember 2018 in Höhe von 1.049,42 EUR brutto sowie Spesen in Höhe von 120,00 EUR, Vergütung für die Monate Januar bis März 2019 in Höhe von monatlich 3.354,30 EUR brutto abzüglich des für März 2019 erhaltenen Arbeitslosengeldes von 701,92 EUR netto und die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses verlangt. Die Beklagte hat den Kläger im Wege der Widerklage auf Schadensersatz in Höhe eines Gesamtbetrags von 13.231,05 EUR in Anspruch genommen, der sich aus dem geltend gemachten Schaden in Höhe von 2.124,39 EUR für die Entnahme von 2059,20 Liter Kraftstoff, eines Betrags von 29,86 EUR für die zur Auswertung der Dieselkraftstoffentnahmen aufgewandte Arbeitszeit ihrer Mitarbeiterin (zwei Arbeitsstunden x 14,93 EUR) und einem von ihr berechneten Nutzungsausfallschaden in Höhe von 11.076,80 EUR wegen der vom Kläger ab dem 21. Dezember 2018 (Zugang der fristlosen Kündigung) bis zum 28. Februar 2019 (Ablauf der Kündigungsfrist einer möglichen ordentlichen Kündigung) nicht mehr durchgeführten Transportfahrten zusammensetzt.

Wegen des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 11. Juni 2019 – 11 Ca 68/19 – Bezug genommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 21.12.2018 nicht zum 21.12.2018 aufgelöst worden ist,

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die „ersatzweise zum nächstmöglichen Termin“ ausgesprochene Kündigung der Beklagten vom 21.12.2018 aufgelöst worden ist,

3. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 21.12.2018 hinaus fortbesteht,

4. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.049,42 EUR brutto und 120,00 EUR netto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2019 zu zahlen,

5. die Beklagte zu verurteilen, ihm ein wohlwollendes qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen,

6. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.354,30 EUR brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2019 zu zahlen.

7. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.354,30 EUR brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2019 zu zahlen.

8. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.354,30 EUR brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2019 abzüglich auf die Agentur für Arbeit übergegangener 701,92 EUR netto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und widerklagend, den Kläger zu verurteilen, an sie 13.231,05 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Mit Urteil vom 11. Juni 2019 – 11 Ca 68/19 – hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgegeben und die Beklagte zur Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses verurteilt. Weiterhin hat es die Beklagte verurteilt, an den Kläger für den Monat Dezember 2018 1049,42 EUR brutto und 108,00 EUR Spesen und für die Monate Januar, Februar sowie März 2019 jeweils 2.938,30 EUR brutto abzüglich des für März 2019 bezogenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 701,92 EUR netto jeweils nebst Zinsen zu zahlen. Die Klage im Übrigen und die Widerklage hat es abgewiesen. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe seines Urteils verwiesen.

Gegen das ihr am 10. Juli 2019 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 07. August 2019, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 29. August 2019, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, begründet. Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen das Urteil des Arbeitsgerichts, soweit es der Klage mit Ausnahme des zuerkannten Zwischenzeugnisses stattgegeben und ihre Widerklage abgewiesen hat, und verfolgt insoweit ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage mit Ausnahme des Antrags auf Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses und ihren Widerklageantrag weiter.

Die Beklagte trägt vor, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht die von ihr ausgesprochene außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung vom 21. Dezember 2018 für unwirksam gehalten. Das Arbeitsgericht habe in der angefochtenen Entscheidung angenommen, dass sich die während der Standzeiten aufgetretenen Differenzen des Tankinhalts nur mit der unbefugten Entwendung von Kraftstoff erklären ließen. Die Täterschaft des Klägers hinsichtlich dieser unbefugten Entwendungen könne sie allerdings hier im Wege des Indizienbeweises beweisen, bei dem nur mittelbar auf die Täterschaft geschlossen werden könne. Vorliegend würden die Indizien in ihrer Gesamtheit die entsprechende Überzeugung vermitteln, auch wenn die Mehrzahl der Beweiszeichen jeweils für sich alleine nicht zum Nachweis der Täterschaft des Klägers ausreichen möge. Über die sich aus der Gesamtwürdigung ergebenden schweren Verdachtsmomente sei das Arbeitsgericht in seiner Beweiswürdigung fehlerhaft hinweggegangen. Die nachfolgenden Beweiszeichen würden für die Täterschaft des Klägers sprechen. Dieser habe stets Kenntnis der Standorte seines Dienst-LKW gehabt, dem während der Standzeiten unbefugt Kraftstoff entnommen worden sei. Auch wenn sich die Abstellorte im öffentlichen Verkehrsraum befunden hätten, so spreche die Lebenserfahrung gegen Entwendungen durch Dritte. Das Arbeitsgericht habe hervorgehoben, dass Kraftstoffdiebstahl auch durch organisierte Banden ein in der Branche bekanntes Problem sei. Es sei jedoch kein Zufall, wenn nur die LKW ihrer Fahrer wiederholt und regelmäßig Gegenstand unbefugter Entnahmen geworden seien. Der Großteil ihrer 125 Fahrer habe nie eine unbefugte Entnahme an ihrem Abstellort zu verzeichnen gehabt, selbst diejenigen, die ihre Dienst-LKW in unmittelbarer Nähe der von den Entnahmen betroffenen Orten und sogar für organisierte Banden besonders günstig in der Nähe von Autobahnen oder Bundesstraßen abgestellt hätten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass nur 20 Fahrer ihre Dienst-LKW regelmäßig auf ihrem Betriebsgelände abstellen würden. Von den Entnahmen seien die LKW von 17 ihrer Fahrer einschließlich des Dienst-LKW des Klägers betroffen gewesen. Davon hätten die von ihr aufgeführten elf Fahrer, bei deren Dienst-LKW wiederholte und regelmäßige Entnahmen am Abstellort nahe ihres Wohnsitzes erfolgt seien, ihre Täterschaft für diese Entnahmen gegenüber ihr eingeräumt und die von ihr jeweils angegebene entwendete Mindestmenge und Schadenssumme anerkannt. Ein weiterer Fahrer habe sich im Verfahren vor dem Arbeitsgericht auf einen gerichtlichen Vergleich eingelassen, in dem er einen Teil des Schadens ausgeglichen habe. Nur vier weitere Fahrer, denen ebenfalls jeweils wegen der Entnahme von Dieselkraftstoff außerordentlich fristlos gekündigt worden sei, würden die Entnahmen abstreiten. Gerade die Regelmäßigkeit der unbefugten Entnahmen am Dienst-LKW des Klägers, von denen die meisten an seinem Wohnsitz stattgefunden hätten, spreche entscheidend für seine Täterschaft und gegen die Täterschaft eines Dritten. Am Wohnsitz des Klägers seien 22 Entnahmen an seinem Dienst-LKW in ca. 11 Monaten in der Zeit vom 19. Januar bis zum 26. November 2018 erfolgt. In diesem Zeitraum habe eine weitere Entnahme am Dienst-LKW des Klägers an einem anderen Ort stattgefunden. Auch dies sei im Hinblick darauf, dass der Großteil der Fahrer vollständig von unbefugten Entnahmen verschont geblieben sei, kein Zufall, sondern spreche für die Täterschaft des Klägers. Dass zufällig der Dienst-LKW des Klägers innerhalb von elf Monaten 26 Mal das Ziel organisierter Banden gewesen sein solle, sei fernliegend. Ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB stelle für sich genommen auch die unterbliebenen Anzeigen des Klägers bezüglich des abhandengekommenen Kraftstoffes dar. Die Entnahmen hätten in acht Fällen über 85 Liter betragen, so dass sie auf der Tankanzeige sehr auffällig gewesen und dem Kläger als Berufskraftfahrer auch bei der Aufnahme seiner Tätigkeit nach einer derartigen Entnahme aufgefallen seien. Bei einem Fassungsvermögen des Tanks des vom Kläger gefahrenen Dienst-LKW von 660 Liter, der vor den Entnahmen stets nahezu zu 100 % voll gewesen sei, würde die Entnahme von 85 Litern und mehr mindestens ca. 13 % des Tankvermögens ausmachen und habe beim Losfahren umso eher auffallen müssen. Selbst eine Fehlmenge von nur 30 Litern sei bei einem Tankvolumen von 660 Liter auf einer Anzeige mit einer Tanknadel offensichtlich. Dies ergebe sich auch aus den von ihr zur Verdeutlichung vorgelegten Bildaufnahmen des Zeugen P. S. hinsichtlich der analogen Tanknadel seines Dienst-LKW. Bestünden aufgrund der Tankanzeige begründete Zweifel an der Vollständigkeit der Tankfüllung, habe der Kläger als Berufskraftfahrer dies ihr unverzüglich mitzuteilen. Die Verletzung dieser Verpflichtung würde bereits für sich genommen einen wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstellen. Eine Meldung, dass Kraftstoff abhandengekommen sei, habe der Kläger bei ihr nie erstattet. Die wiederholte Unterlassung der gebotenen Anzeigen zeige eine erhebliche Bereitschaft des Klägers, seine Verhaltenspflichten außer Acht zu lassen. Die unterbliebenen Meldungen würden für einen im hohen Maße sorglosen Umgang mit ihren Rechtsgütern sprechen. Eine Abmahnung sei aus diesem Grunde entbehrlich gewesen. Jedenfalls sei die hilfsweise ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen entsprechend ihren Ausführungen zur außerordentlichen Kündigung sozial gerechtfertigt. Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von Lohn und Spesen für Dezember 2018 bestehe nicht. Der Anspruch sei durch Aufrechnung mit ihrem Schadensersatzanspruch auf Ersatz des Wertes des entwendeten Kraftstoffes nach § 389 BGB erloschen. Das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB stehe dem nicht entgegen, weil ihre Forderung auf vorsätzlichem Handeln des Klägers beruhe. Infolge der Wirksamkeit der Kündigung könne der Kläger keine Annahmeverzugslohnansprüche für Zeiträume nach dem 21. Dezember 2018 geltend machen. Hilfsweise berufe sie sich auf das Leistungsverweigerungsrecht des § 615 Satz 2 BGB, § 11 Nr. 1 und 2 KSchG. Es sei dem Kläger seit Kündigungsausspruch ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, anderweitigen Verdienst zu erzielen. Eine Recherche im Stellenportal „LKW-Fahrer-gesucht.com“ habe per 19. Juli 2019 insgesamt 298 Stellenangebote für den Beruf Kraftfahrer, die den Ort „H.“ aufwiesen, ergeben, die der Kläger hätte annehmen können. Insbesondere hätte der Kläger die von ihr aufgeführten ausgeschriebenen Stellen sofort antreten können, die sich aus den von ihr als Anlage B 49 zur Berufungsbegründung vorgelegten Ausdrucken der Anzeigen ergeben würden. Eine Recherche im Stellenportal Stepstone habe per 30. Juli 2019 insgesamt 259 Stellenangebote für den Beruf „Berufskraftfahrer“ ergeben. Zahlreiche weitere Stellenangebote seien bei der Bundesagentur für Arbeit und in anderen Jobportalen per 30. Juli 2019 gelistet. Ihr Auskunftsverlangen vom 2. August 2019 hinsichtlich des Verdienstes, den der Kläger durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erworben oder zu erwerben böswillig unterlassen habe, habe der Kläger unbeantwortet gelassen. Ihr Widerklageantrag sei in der geltend gemachten Höhe zulässig und begründet. Ihr sei ein Mitverschulden an der unbefugten Entnahme von Kraftstoff nicht deswegen anzulasten, weil sie die Verschlussvorrichtungen an den Tankdeckeln habe entfernen lassen. Die Verschlussvorrichtungen würden nicht den Aufbruch der Tankdeckel verhindern, so dass aus deren Entfernen nicht gefolgert werden könne, sie nehme unbefugte Entnahmen in Kauf. Organisierte Banden schrecke eine Verschlussvorrichtung nicht ab. Der Grund für das Entfernen der Tankdeckel liege darin, dass ein Aufbruch der Verschlussvorrichtung aufgrund der anfallenden Reparaturkosten von ca. 3.000,00 bis 4.000,00 EUR einen Schaden verursachen würde, der zusätzlich zur Kraftstoffentnahme entstehe und im Vergleich zum entwendeten Kraftstoff unverhältnismäßig hoch wäre. Fehlerhafte Messungen des Fleetboards seien weder substantiiert behauptet noch naheliegend. Der Zeuge T. sei im Rahmen seiner Vernehmung im Verfahren betreffend Herrn K. (ArbG Koblenz – 11 Ca 3691/18) nicht zu seinen eigenen Verfehlungen vernommen worden. Weiter habe der Zeuge T. ausdrücklich eingeräumt, „ein Problem mit dem Diesel gehabt“, dabei aber allein gehandelt zu haben. Hinsichtlich seiner eigenen Taten sei die Aussage des Zeugen T. im vorbezeichneten Verfahren nicht frei von Widersprüchen gewesen. Einschließlich des Klägers hätten nur fünf betroffene Fahrer etwaige Entnahmen abgestritten und sich geweigert, Schadensersatz zu leisten. Von diesen Fahrern sei ein Fahrer aufgrund einer belastenden Zeugenaussage mit Urteil vom 22. Oktober 2019 – 11 Ca 3692/18 – vom Arbeitsgericht zum Ersatz des vollen Schadens für den entwendeten Diesel verurteilt worden. Diese Fahrer seien keine Opfer organisierter Kriminalität oder von Entnahmen sonstiger Dritter geworden. Dagegen spreche schon, dass keiner von ihnen ihr eine Mitteilung über Dieselentnahmen gemacht habe. Im Übrigen seien drei Dienst-LKW, die regelmäßig in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Abstellort des Klägers abgestellt gewesen seien, nicht Gegenstand unbefugter Entnahmen gewesen, was weiter für Kraftstoffentnahmen durch den Kläger spreche, weil es für organisierte Banden oder sonstige Dritte sinnvoll gewesen wäre, auf einer Route mehrere LKW „anzuzapfen“. Zwar habe sich das Arbeitsgericht mit allen Indizientatsachen individuell auseinandergesetzt. Es habe aber im Rahmen der Gesamtwürdigung eine Abwägung vermissen lassen, dass hier eine Vielzahl von Indizien zusammenkommen würden, die zwar für sich genommen einen anderen Schluss zuließen, in der Gesamtheit eine Unschuld des Klägers aber mehr als unwahrscheinlich machen würden. Schließlich sei für das vorliegende Verfahren irrelevant, dass die Staatsanwaltschaft das gegen den Kläger eingeleitete Strafverfahren eingestellt habe. Sie habe auch vergangene Anzeigen von Kraftstoffentnahmen nicht ohne Reaktion hingenommen. Hätten Fahrer Entnahmen an ihrem Wohnsitz angezeigt, seien sie von ihr angewiesen worden, ihre Dienst-LKW auf ihrem Betriebsgelände abzustellen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 11. Juni 2019 – 11 Ca 68/19 – abzuändern, soweit es in Ziffer 1 des Urteilstenors der gegen die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 21. Dezember 2018 gerichteten Kündigungsschutzklage und in Ziffern 3 bis 6 des Urteilstenors den Zahlungsanträgen stattgegeben sowie die Widerklage abgewiesen hat, und die Klage mit Ausnahme des Antrags auf Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses insgesamt abzuweisen, sowie den Kläger auf die Widerklage zu verurteilen, an sie 13.231,05 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger erwidert, das Urteil des Arbeitsgerichts sei insoweit fehlerhaft, als es davon ausgehe, dass die aufgetretenen Differenzen des Tankinhalts während der Standzeiten sich nur mit der unbefugten Entwendung von Kraftstoff erklären ließen. Wie erstinstanzlich ausführlich dargestellt worden sei, habe das Fleetboard auch bei anderen Werten, z.B. dem Gewicht, falsch gemessen, so dass nicht auszuschließen sei, dass die gemessenen Werte auch schlicht falsch erfasst worden seien und überhaupt kein Kraftstoff abhandengekommen sei. Richtig sei das erstinstanzliche Urteil allerdings insoweit, als es zu dem Ergebnis gelange, dass die Beklagte für den Fall einer tatsächlichen Entwendung von Kraftstoff aus dem Tank keine ausreichenden Indizien für seine Täterschaft dargelegt oder gar bewiesen habe. Gegen die vorgebrachten Indizien der Beklagten spreche, dass außer ihm auch noch andere Personen Kenntnis vom Standort seines Dienst-LKW gehabt hätten. Welche „Lebenserfahrung“ der Beklagten gegen eine Entwendung von Kraftstoff durch Dritte spreche, bleibe ihr Geheimnis. Dies sei vielmehr der Regelfall. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten hätten 17 ihrer Fahrer illegal Kraftstoff aus den Tanks entnommen. Weshalb dies nur bei den von ihnen gefahrenen LKW der Fall gewesen sein solle, sei ebenso unklar wie die Frage, ob bei anderen Fahrern und LKW nicht auch Tankdifferenzen aufgetreten seien. Darüber hinaus sei es auch keineswegs richtig, dass die elf Fahrer, die einen angeblichen Kraftstoff-Diebstahl eingeräumt haben sollen, auch jeweils den vollen Umfang der Entnahmen eingeräumt hätten. Vielmehr habe der im Verfahren gegen den Fahrer „K.“ benannte Zeuge T. nicht nur die Behauptung der Beklagten nicht bestätigt, dass der ebenfalls gekündigte Mitarbeiter K. ihm gegenüber eingeräumt habe, Diesel aus dem Tank entwendet zu haben. Vielmehr habe der Zeuge auch erklärt, dass die ihm selbst vorgeworfenen Kraftstoffentnahmen nur teilweise zutreffend gewesen seien und andere vorgeworfene Tankdifferenzen entweder nicht zutreffend seien oder durch Dritte erfolgt wären. Der Geschäftsführer der Beklagten habe jedoch wegen des zurückzuzahlenden Betrages nicht mit sich diskutieren lassen, nachdem der erhobene Vorwurf grundsätzlich eingeräumt worden sei. Als Gegenleistung für das Absehen von einer Kündigung habe er vielmehr die Rückzahlung des vollen errechneten Betrages erwartet. Entsprechend der Annahme des Arbeitsgerichts, wonach er keinen Diesel aus dem Kraftstofftank entnommen habe, habe die Staatsanwaltschaft das gegen ihn aufgrund der Anzeige der Beklagten eingeleitete Strafverfahren eingestellt. Bestritten bleibe, dass eine Fehlmenge von 85 oder gar nur 30 Litern bei der analogen Tanknadel sichtbar – schon gar nicht offensichtlich – sei. Dass dies beim benannten Zeugen S. ersichtlich sein solle, bedeute nicht, dass dies auch für alle anderen Fahrer, insbesondere für ihn ersichtlich sei. Die vorgelegten Bildaufnahmen seien insoweit unbrauchbar. Zunächst seien keine Aufnahmen zum Vergleich zwischen einem vollen Tank und einem um 13 % geminderten Tankvolumen vorgelegt worden. Darüber hinaus sei jedem Führerscheininhaber bekannt, dass die Tankanzeige von Fahrzeugen den Verbrauch auf den ersten Kilometern weniger deutlich erfasse als auf den letzten, wenn sich die Tankfüllung dem unteren Ende zuneige. Seiner Erinnerung nach habe sich die Tanknadel auf den ersten 100 Kilometern nach dem Volltanken zumeist überhaupt nicht bewegt. Das Arbeitsgericht habe explizit offengelassen, ob ihm die abweichenden Tankfüllstände überhaupt hätten auffallen müssen. Selbst wenn man dies zugunsten der Beklagten unterstelle, würde eine unterlassene Mitteilung der Tankdifferenzen gemäß der Auffassung des Arbeitsgerichts noch keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstellen. Im Übrigen hätte er selbst dann, wenn er den abhandengekommenen Kraftstoff bemerkt hätte, überhaupt keine Veranlassung gehabt, einen solchen Vorfall der Beklagten zu melden. Vielmehr habe er zuvor unstreitig von mehreren Kollegen, die das Abhandenkommen von Kraftstoff gegenüber dem Arbeitgeber kundgetan hätten, erzählt bekommen, dass die Reaktion darauf die Anweisung gewesen sei, nicht die Polizei zu informieren, sondern einfach weiterzufahren. Bezeichnend sei, dass die Beklagte auch nicht vorgetragen habe, wie sie auf eine solche Information reagiert hätte. Unstreitig hätte sie nicht die Tankdeckel mit Schlössern versehen. Jedenfalls hätte es insofern einer Abmahnung bedurft. Mangels Anspruchs der Beklagten im Rahmen der Widerklage könne diese nicht mit seinen Vergütungsansprüchen aufrechnen. Auch das hilfsweise geltend gemachte Leistungsverweigerungsrecht bestehe nicht. Mit Schreiben vom 04. September 2019 habe er umfänglich Auskunft über den erteilten Zwischenverdienst unter Vorlage des Änderungsbescheides der Agentur für Arbeit sowie der Gehaltsabrechnungen für die Monate April, Mai und Juni 2019 seines neuen Arbeitgebers erteilt. Weiterhin habe er mit diesem Schreiben Auskunft über den zuvor erzielten Zwischenverdienst erteilt, nämlich dass ein solcher nicht vorgelegen habe. Er habe auch keinen Zwischenverdienst böswillig unterlassen. Böswilligkeit scheide grundsätzlich davon aus, wenn der Arbeitnehmer bei der Agentur für Arbeit gemeldet sei, weil diese ihm dann eine Tätigkeit zu vermitteln habe, was vorliegend der Fall gewesen sei. Auch wenn er aufgrund der verhängten Sperrzeit zunächst kein Arbeitslosengeld bezogen habe, sei er dennoch arbeitssuchend gemeldet gewesen. Darüber hinaus sei er im Rahmen der Verpflichtungen gegenüber der Agentur für Arbeit auch verpflichtet, sich umfassend zu bewerben, was vorliegend erfolgt sei. Dennoch habe er keine zumutbare Stelle erhalten. Dass die von der Beklagten nunmehr vorgelegten Stellenanzeigen ihm zumutbare Stellen anbieten würde, werde bestritten. Dem Arbeitnehmer sei es im laufenden Kündigungsschutzprozess schon nicht zumutbar, ein neues Dauerarbeitsverhältnis einzugehen, welches die Rückkehr an den alten Arbeitsplatz erschwere. Darüber hinaus sei es dem Arbeitnehmer auch unzumutbar, eine deutlich schlechter dotierte Stelle anzunehmen. Beides ergebe sich aus den vorgelegten Stellenanzeigen nicht. Im April 2019 habe er sogar eine deutlich schlechter dotierte Stelle angenommen, die eine Gehaltsreduzierung in Höhe von mehr als 30 % bedeute. Folgerichtig habe das Arbeitsgericht die Widerklage abgewiesen, weil eine Entnahme von Kraftstoff sowie ein Anlass für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung nicht vorliege. Darüber hinaus bleibe es auch bei dem erheblichen Mitverschulden der Beklagten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. b und c ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. 519, 520 ZPO).

Die Berufung hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die außerordentliche Kündigung vom 21. Dezember 2018 ist mangels wichtigen Grundes i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB unwirksam. Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 KSchG). Die von der Beklagten vorgetragenen Indizien begründen weder den Tatvorwurf noch den (zumindest) dringenden Verdacht, dass der Kläger Kraftstoff aus dem von ihm gefahrenen LKW entwendet hat. Danach sind auch die vom Arbeitsgericht zuerkannten Zahlungsansprüche begründet. Der von der Beklagten im Wege der Aufrechnung und Widerklage geltend gemachte Schadensersatzanspruch besteht nicht.

I. Die außerordentliche Kündigung vom 21. Dezember 2018 ist mangels wichtigen Grundes i.S v. § 626 Abs. 1 BGB unwirksam.

1. Gemäß § 626 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 15, NZA 2019, 445).

2. Soweit die Beklagte die Kündigung darauf gestützt hat, dass der Kläger in der Zeit vom 19. Januar bis 26. November 2018 die sich aus dem vorgelegten Fleetboard-Protokoll ergebenden Mengen Dieselkraftstoff unterschlagen habe, lässt sich weder ein solcher Tatvorwurf noch ein entsprechender dringender Tatverdacht feststellen. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist für diesen Kündigungsvorwurf ein zumindest dringender Tatverdacht, auf den sie sich hilfsweise berufen hat, nicht gegeben.

a) Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn starke, auf objektive Tatsachen gründende Verdachtsmomente vorliegen, die geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Der Verdacht muss auf konkrete, vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende Tatsachen gestützt sein. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus (BAG 2. März 2017 – 2 AZR 698/15 – Rn. 22, NZA 2017, 1051).

b) Diese Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung sind hier nicht erfüllt.

Im Streitfall kann zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass gemäß dem vorgelegten Fleetboard-Protokoll insgesamt 2059,20 Liter Dieselkraftstoff im Zeitraum vom 19. Januar bis 26. November 2018 aus dem Tank des vom Kläger gefahrenen Dienst-LKW entnommen worden sind. Jedenfalls begründen die von der Beklagten vorgetragenen Indizien nicht den (zumindest) dringenden Verdacht, dass der Kläger den Dieselkraftstoff unterschlagen hat. Vielmehr erscheint es ebenso gut als möglich, dass eine (oder auch mehrere) andere Person(en), wie z.B. auch ein anderer Fahrer der Beklagten, die behaupteten Mengen von Dieselkraftstoff aus dem vom Kläger gefahrenen LKW entnommen hat.

Der Umstand, dass elf oder zwölf von 17 Fahrern, deren LKW jeweils von Entnahmen betroffen waren, ihre Täterschaft eingeräumt haben, besagt nicht, dass auch der Kläger zu den Tätern gehört. Vielmehr spricht die von anderen Fahrern eingeräumte Täterschaft für die Möglichkeit, dass ein anderer Fahrer Kraftstoff nicht nur aus dem von ihm selbst gefahrenen LKW, sondern auch aus dem LKW des Klägers wiederholt unbemerkt entnommen haben kann, zumal insoweit der Verdacht dann nicht auf ihn selbst, sondern auf den Kläger fällt. Soweit die Beklagte angeführt hat, dass die Entnahmen aus dem Tank des Dienst-LKW des Klägers erfolgt seien, der gewusst habe, dass die Tanks an den Dienst-LKW nicht verschlossen seien, haben auch andere Personen, insbesondere die anderen Fahrer der Beklagten, davon Kenntnis gehabt bzw. haben können. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, dass sich die Entnahmen ganz überwiegend in 22 von insgesamt 26 Fällen während der Standzeiten des Dienst-LKW am Wohnsitz des Klägers in der A-Straße in A-Stadt ereignet hätten, die abseits gelegen sei, so dass Täter der Dieselentnahmen während der Standzeiten am Wohnort des Klägers nur eine Person sein könne, die den Standort gekannt habe. Auch danach kommt als Täter z. B. auch ein anderer Fahrer der Beklagten in Betracht, der wusste, dass der Kläger seinen Dienst-LKW dort abstellt, zumal mehrere Fahrer bereits Unterschlagungen eingeräumt haben, wenn auch nur ihre eigenen Fahrzeuge betreffend. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es auch in Anbetracht der Mengen, die insbesondere am Wohnort des Klägers entnommen worden sein sollen, nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung, dass diese sich abtransportieren lassen, ohne dass der Kläger das bemerkt hat. Die Unterschlagungen von Dieselkraftstoff in einer Vielzahl von Fällen lassen auf eine entsprechende kriminelle Energie schließen, die ggf. auch Mittel und Wege findet, um unbemerkt Dieselkraftstoff in den bezeichneten Mengen zu entnehmen und abzutransportieren, zumal die A-Straße in A-Stadt nach dem eigenen Vortrag der Beklagten ausweislich des von ihr vorgelegten Luftbildes abseits gelegen ist. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten waren zudem drei weitere Dienst-LKW anderer Fahrer regelmäßig in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Abstellort des Klägers abgestellt worden, was belegt, dass auch anderen Fahrern der regelmäßige Abstellort des vom Kläger gefahrenen LKW ohne weiteres bekannt gewesen sein kann. Der von der Beklagten für eine Täterschaft des Klägers angeführte Umstand, dass sehr regelmäßige Dieselentnahmen aus seinem Dienst-LKW an unterschiedlichen Orten stattgefunden hätten, verfängt ebenfalls nicht. Eine Entnahme von Kraftstoff an anderen Orten als am Wohnsitz des Klägers spricht eher für die Täterschaft anderer Personen. Auf die Frage, ob ein regelmäßiger Diebstahl gerade aus dem Dienst-LKW des Klägers durch organisierte Banden als eine Möglichkeit in Betracht kommt oder eher fernliegend ist, kommt es nicht an. Wie die Beklagte selbst angeführt hat, ist der Wohnort des Klägers abseits gelegen, so dass jede Person, die den Standort kannte, insbesondere auch ein anderer Fahrer der Beklagten, die Möglichkeit gehabt hat, auch unbemerkt Dieselkraftstoff aus dem ungesicherten Tank zu entnehmen. Auch bei einer Gesamtwürdigung aller angeführten Indizien begründen die von der Beklagten vorgetragenen Umstände keine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger die ihm vorgeworfenen Unterschlagungen von Kraftstoff begangen hat. Vielmehr ist es gemäß den obigen Ausführungen ebenso gut möglich, dass andere Personen, insbesondere auch andere Fahrer der Beklagten, den Dieselkraftstoff jeweils aus dem ungesicherten Tank des vom Kläger gefahrenen LKW entnommen haben.

3. Auch der Kündigungsvorwurf der Beklagten, dass der Kläger aufgrund der unterbliebenen Anzeigen bzgl. des abhandengekommenen Kraftstoffes wiederholt Nebenpflichten verletzt habe, rechtfertigt die Kündigung nicht.

Bei einem Gesamttankvolumen von 660 Litern kann auch bei den behaupteten Entnahmen von über 85 Litern nicht unterstellt werden, dass dem Kläger ein zu niedriger Stand der analogen Tanknadel überhaupt aufgefallen ist und er eine Entnahme von Dieselkraftstoff aus dem Tank bemerkt haben muss. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, sind die Abweichungen von höchstens 17 % auch für den Kläger als Berufskraftfahrer nicht derart auffällig, dass sie hätten wahrgenommen werden müssen. Jedenfalls lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger aufgrund der analogen Anzeige im LKW (Tanknadel) überhaupt Abweichungen der Tankfüllstände bei Antritt der Fahrt nach der jeweiligen Standzeit bemerkt hat. Es ist auch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Beklagte dem Kläger diesbezüglich eine Weisung zur Überprüfung des Tankfüllstandes erteilt hat. Danach kann bereits nicht angenommen werden, dass der Kläger aufgrund der unterbliebenen Anzeige bzgl. des abhandengekommenen Kraftstoffes schuldhaft eine ihm obliegende Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) verletzt hat. Unabhängig davon fehlt es selbst bei Annahme einer fahrlässigen Nebenpflichtverletzung jedenfalls an einer vorherigen einschlägigen Abmahnung. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 30, NZA 2019, 445). Selbst wenn man dem Kläger vorwirft, dass er die behaupteten Abweichungen bzw. Auffälligkeiten der Tankfüllstände hätte erkennen können und dies der Beklagten melden müssen, liegt darin jedenfalls keine so schwere Pflichtverletzung, dass eine Hinnahme dieses allenfalls als fahrlässig zu bewertenden Verhaltens offensichtlich – auch für den Kläger erkennbar – ausgeschlossen war. Die von der Beklagten angeführte Abmahnung vom 28. März 2014 wegen eines dem Kläger vorgeworfenen Diebstahls steht in keinem inneren Zusammenhang mit dem Vorwurf einer fahrlässigen Verletzung der Pflicht zur Mitteilung der Tankfüllstandabweichungen, so dass die Abmahnung gemäß den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts, denen die Berufungskammer folgt, insoweit keine gleichartige Pflichtverletzung betrifft und nicht einschlägig ist.

II. Die vom Arbeitsgericht zuerkannten Zahlungsansprüche sind begründet.

1. Der Kläger hat Anspruch auf Annahmeverzugslohn in der vom Arbeitsgericht jeweils zuerkannten Höhe von 1.049,42 € brutto für den Monat Dezember 2018 und in Höhe von jeweils 2.938,30 € für die Monate Januar bis März 2019 gemäß § 615 Satz 1 BGB.

Die Beklagte ist durch die von ihr ausgesprochene unwirksame Kündigung vom 21. Dezember 2018 gemäß §§ 293, 296 BGB in Annahmeverzug geraten, ohne dass es hierfür eines Arbeitsangebotes des Klägers bedurfte.

Entgegen der Ansicht der Beklagten muss sich der Kläger keinen böswillig unterlassenen Zwischenverdienst gemäß § 11 Nr. 2 KSchG anrechnen lassen. Zum einen scheidet Böswilligkeit grundsätzlich aus, wenn sich der Arbeitnehmer bei der Agentur für Arbeit als arbeitssuchend gemeldet hat (vgl. LAG Köln 5. Juli 2002 – 11 Sa 559/01 – Rn. 19, NZA-RR 2003,308; Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/Preis 20. Aufl. § 615 BGB Rn. 101). Das war hier unstreitig der Fall. Zum anderen ist der Arbeitnehmer nur zur Annahme einer zumutbaren Beschäftigung verpflichtet. Der Kläger hat im April 2019 eine anderweitige Arbeitstätigkeit zu schlechteren Bedingungen aufgenommen. Dass er bereits früher eine zumutbare Beschäftigung hätte aufnehmen können und dies böswillig unterlassen hat, lässt sich nicht feststellen. Allein der Verweis der Beklagten auf die sich nach ihren Recherchen per 19. Juli 2019 und 30. Juli 2019 ergebende Anzahl von Stellenangeboten für den Beruf Kraftfahrer und die als Anlage B49 zum Schriftsatz vom 29. August 2019 vorgelegten Ausdrucke von Anzeigen reichen hierfür nicht aus, zumal sich hieraus auch die Bedingungen der Beschäftigung nicht entnehmen lassen.

Der Kläger hat der Beklagten auch die geforderte Auskunft hinsichtlich etwaigen Zwischenverdienstes erteilt. Der Kläger hat unter Vorlage der Gehaltsabrechnungen des neuen Arbeitgebers dargelegt, dass er erst ab April 2019 einen anderweitigen Arbeitsverdienst erzielt hat und zuvor ein solcher nicht vorlag. Zudem hat er gemäß § 11 Nr. 3 KSchG das für den Monat März 2019 bezogene Arbeitslosengeld in Höhe von 701,92 € gemäß dem vorgelegten Änderungsbescheid vom 14. Februar 2019 beziffert im Antrag in Abzug gebracht.

2. Weiterhin hat der Kläger einen Anspruch auf die für den Monat Dezember 2018 noch geltend gemachten Spesen in Höhe von 108,00 €, die von der Beklagten einbehalten wurden.

III. Der von der Beklagten im Wege der Aufrechnung und Widerklage geltend gemachte Schadensersatzanspruch ist unbegründet. Im Streitfall lässt sich nicht feststellen, dass die Voraussetzungen einer vertraglichen oder deliktischen Haftung des Klägers für die von der Beklagten geltend gemachten Schäden vorliegen.

Nach § 619 a BGB liegt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer vorwerfbar seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt hat und nach § 280 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet ist, beim Arbeitgeber. Dies gilt sowohl für die Pflichtverletzung als auch für das Vertretenmüssen des Arbeitnehmers. Gleiches gilt für eine deliktische Haftung des Arbeitnehmers, deren Voraussetzungen (einschließlich des Verschuldens) der Arbeitgeber als Anspruchsteller darzulegen und zu beweisen hat.

Wie bereits oben ausgeführt, lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum unbefugt Kraftstoff aus dem von ihnen gefahrenen LKW entnommen hat. Soweit die Beklagte den von ihr geltend gemachten Schadensersatzanspruch hilfsweise auf eine Verletzung der dem Kläger obliegenden Nebenpflicht zur Anzeige der Entnahmen von Kraftstoff gestützt hat, sind die Voraussetzungen für eine Haftung des Klägers ebenfalls nicht erfüllt. Gemäß den obigen Ausführungen kann im Streitfall nicht angenommen werden, dass der Kläger überhaupt Abweichungen der Tankfüllstände bei Antritt der Fahrt nach der jeweiligen Standzeit bemerkt hat bzw. Entnahmen von Dieselkraftstoff aufgrund der analogen Anzeige im LKW (Tanknadel) ohne weiteres hätte bemerken müssen. Die Beklagte hat dem Kläger auch keine Weisungen zur Überprüfung des Tankfüllstandes erteilt. Dementsprechend kann auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger die ihm nach § 241 Abs. 2 BGB obliegende Pflicht zur Anzeige bzw. Abwendung drohender Schäden schuldhaft verletzt hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!