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Fristlose verhaltensbedingte Kündigung bei beharrlicher Arbeitsverweigerung

Landesarbeitsgericht Hamm – Az.: 3 Sa 238/18 – Urteil vom 15.08.2018

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 13.12.2017 wird unter Zurückweisung des Auflösungsantrages zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten, außerordentlichen, fristlosen und einer hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Der Kläger ist seit dem 01.06.2009 bei dem Beklagten beschäftigt. Der Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

Dem vorliegenden Verfahren war bereits ein Rechtsstreit vorausgegangen.

Im Rahmen des zunächst geführten Verfahrens unter dem Aktenzeichen 2 Ca 1141/14 erklärte das Arbeitsgericht Detmold durch ein Teilurteil vom 08.07.2015, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet worden sei und wies eine zugleich erhobene Zahlungsklage, die Vergütungsansprüche für den Zeitraum Januar 2011 bis Oktober 2014 betraf, zurück. Durch Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 06.04.2017 im Verfahren 4 Sa 1227/15 wurde bestätigt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien fortbesteht und die Beklagte wurde zur Zahlung von 7.730,25 € verurteilt. Gegenstand dieser Verurteilung sind die Vergütungsansprüche aus dem Zeitraum von Januar 2011 bis Dezember 2014.

Durch Schlussurteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 26.04.2017 wurde der Beklagte zu einer weiteren Zahlung von 6.095,42 € verurteilt. Gegenstand dieser Entscheidung waren die Vergütungsansprüche des Klägers bis zum 30.06.2015. Die Zustellung dieses Urteils erfolgte am 20.05.2017. Hierin führte das Arbeitsgericht u.a. aus, ab dem 10.02.2015 bis zum 30.04.2015 habe der Kläger gegen den Beklagten einen Vergütungsanspruch für 20 Stunden pro Woche, wobei zehn Stunden mit 11,00 € und zehn Stunden mit 25,00 € zu vergüten seien. Der Anspruch folge aus der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung über eine Prozessbeschäftigung bzw. aus dieser Vereinbarung in Verbindung mit § 615 S. 1 BGB, soweit keine Arbeitsleistung durch den Kläger erbracht worden sei, auch für den Zeitraum vom 01.05.2016 bis zum 30.06.2015 habe der Kläger gegen den Beklagten einen Vergütungsanspruch für 20 Stunden pro Woche, wobei zehn Stunden mit 11,00 € und zehn Stunden mit 25,00 € zu vergüten seien. Dieser Vergütungsanspruch folge aus der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung über eine Prozessbeschäftigung in Verbindung mit § 615 S. 1 BGB. Dem Vergütungsanspruch des Klägers für den Zeitraum vom 01.05.2015 bis zum 30.06.2015 stehe nicht entgegen, dass der Kläger während dieses Zeitraums keine Arbeitsleistung mehr für den Beklagten erbracht habe, da der Kläger sich mit Schreiben vom 22.04.2015 zu Recht auf ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB berufen habe.

Weitere etwaige Vergütungsansprüche aus dem Gesichtspunkt des für den Zeitraum ab dem 01.07.2015 waren noch nicht Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen.

Mit Schreiben vom 06.07.2017 (Bl. 97 f. d.A.) wandte sich der Beklagte an den Kläger und forderte diesen auf, er solle am 17.07.2017 um 10.00 Uhr seine Tätigkeit im Bereich EDV bei dem Beklagten aufnehmen.

Mit weiterer E-Mail vom 06.07.2017 erklärte der Beklagte, nachdem „die Restzahlungen aus dem AG-Urteil erfolgt seien, habe die Zinsberechnung erstellt werden können, die Überweisung des sich ergebenden Betrages sei veranlasst“ (Bl. 100 d.A.).

Der Kläger erwiderte hierauf mit E-Mail vom 07.07.2017 (Bl. 101 d.A.), bestätigte den Erhalt der Arbeitsaufforderung vom 06.07.2017 mit den genannten Terminen im Zeitraum vom 17.07. bis 03.08.2017 und erklärte zugleich, seinen Arbeitsantritt von der Zahlung des rückständigen Lohnes abhängig zu machen und wies darauf hin, dass die Bezahlung des Betrages aus dem aktuellen Urteil nicht ausreiche. Er erklärte ferner, davon auszugehen, dass der Beklagte in Kenntnis des Betrages sei, es werde ein anwaltlicher Schriftsatz erfolgen (müssen), in dem die Forderungen auf der Rechtsgrundlage des Schlussurteils berechnet seien.

Mit weiterer E-Mail vom 07.07.2017 (Bl. 102/103 d.A.) erklärte der Kläger u.a., ab dem 10.02.2015 bestehe kein geringfügiges Arbeitsverhältnis, in der Klage seien 1.566,- €/Monat gefordert. Genannt waren ferner Beträge für die Monate Juli bis Dezember („Zeitraum excl. Urteil“).

Mit E-Mail vom 12.07.2017 (Bl. 107 d.A.) wies der Kläger erneut darauf hin, der Status der geringfügigen Beschäftigung gelte nach dem Schlussurteil nur bis Februar 2017.

Mit E-Mail vom 14.07.2017 (Bl. 105 d.A.) erklärte der Beklagte, die Leistungen aus dem Urteil des Arbeitsgerichts erbracht zu haben. Für ein Gütegespräch sehe er keinen Anlass, die Arbeitsaufforderung gelte nach wie vor.

Für den Zeitraum ab dem 01.07.2015 erfolgte durch den Beklagten keine Vergütung an den Kläger.

Mit Schreiben vom 18.07.2017 (Bl. 10 d.A.) kündigte der Beklagte das zum Kläger bestehende Arbeitsverhältnis. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dieses Kündigungsschreiben am selben Tag durch zwei Boten durch Einwurf in den Briefkasten des Klägers übermittelt worden ist und ob der Kläger zu diesem Zeitpunkt ortsabwesend war.

Mit seiner beim Arbeitsgericht Detmold am 09.08.2017 eingegangenen Kündigungsschutzklage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung, begehrt daneben die vorläufige Weiterbeschäftigung und beantragt hilfsweise, die Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen. Zur Begründung hat der Kläger dabei ausgeführt, er sei am 09.08.2017 aus dem Urlaub zurückgekehrt, erst an diesem Tag habe er das Kündigungsschreiben im Briefkasten vorgefunden, ihm sei nicht bekannt, wann es zugegangen sei. Ein ausdrückliches Angebot von Mitteln der Glaubhaftmachung zur Glaubhaftmachung der vom Kläger behaupteten urlaubsbedingten Abwesenheit enthält die Klageschrift nicht.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung sei sowohl als außerordentliche, fristlose Kündigung als auch als ordentliche, fristgerechte Kündigung unwirksam. Die Kündigung könne nicht auf eine angebliche Arbeitsverweigerung gestützt werden. Hierzu fehle es bereits an der erforderlichen Abmahnung.

Der Kläger hat ferner die Auffassung vertreten, wirksam von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch gemacht zu haben. Die im Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 26.04.2017 titulierten Beträge für den Zeitraum bis zum 30.06.2017 seien verspätet gezahlt worden. Das Zurückbehaltungsrecht bestehe aber auch deshalb, weil der Beklagte für den Zeitraum ab dem 01.07.2015 überhaupt keine Vergütung gezahlt habe. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung habe bereits ein Zahlungsrückstand von 37.411,20 € bestanden. Hinzu sei die Verzugspauschale von insgesamt 960,00 € zu zählen.

Der Kläger hat ferner die Ansicht vertreten, die Kündigungen mit seiner beim Arbeitsgericht Detmold am 09.08.2017 eingegangenen Klage rechtzeitig gerichtlich angegriffen zu haben. Er habe die dreiwöchige Klagefrist des § 4 KSchG gewahrt. Zustellungen der Deutschen Post in seinem Wohngebiet erfolgten, so hat der Kläger hierzu geltend gemacht, täglich stets spätestens bis 14.00 Uhr. Zustellungen durch die Citypost erfolgten sogar früher und zwar spätestens vormittags bis ca. 12.00 Uhr. Mit einer Briefkastenleerung durch ihn nach 16.00 Uhr sei deshalb nicht mehr zu rechnen gewesen. Ein Bekannter habe ihm zudem erklärt, dass die „Blauen“ (gemeint sei die Citypost) früher dran seien als die „Gelben“ (Deutsche Post). Von einer Zustellung durch die Citypost sei deshalb sogar zwischen 12.00 Uhr und 13.00 Uhr spätestens auszugehen.

Bezüglich der Begründung seines Antrags auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage wird auf den Inhalt der eidesstattlichen Versicherung des Klägers vom 21.09.2017 (Bl. 41 f. d.A.) verwiesen. In dieser eidesstattlichen Versicherung trägt der Kläger vor, am 09.08.2017 die auf den 18.07.2017 datierte Kündigung des Beklagten im Briefkasten vorgefunden zu haben.

Der Kläger hat zuletzt beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche, fristlose Kündigung des Beklagten vom 18.07.2017 noch durch die zugleich ausgesprochene hilfsweise ordentliche Kündigung des Beklagten vom 18.07.2017 beendet worden ist.

2. Für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag wird der Beklagte verurteilt, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen.

Er hat hilfsweise beantragt, die Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage abzulehnen.

Der Beklagte hat gemeint, die angegriffene Kündigung sei bereits wegen des Ablaufs der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 KSchG als wirksam anzusehen in Anwendung des § 7 KSchG. Er hat hierzu behauptet, das Kündigungsschreiben vom 18.07.2017 sei am selben Tag um 15.20 Uhr nach Unterzeichnung durch den 1. Vorsitzenden und dem gemäß Satzung für Personalfragen zuständigen Geschäftsführer in Gegenwart der späteren Boten (Zeugen C und D) in einen verschlossenen Briefumschlag eingelegt worden. Die Zeugen hätten sich dann auf den Weg zum Wohnsitz des Klägers begeben und den verschlossenen Briefumschlag um 16.38 Uhr in den Briefkasten der Wohnung des Klägers eingeworfen. Dass der Kläger in diesem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen sei, hat der Beklagte in Abrede gestellt. Gleiches gelte für die Darstellungen des Klägers, wonach er erst am 09.08.2017 zur Erhebung der Kündigungsschutzklage fähig gewesen sei.

Hiernach sei von einem Zugang des Kündigungsschreibens bereits am 18.07.2017 auszugehen. Die Vorstellung, dass mit der Briefkastenleerung nur vormittags zu rechnen sei, weil auch nur vormittags Zustellungen von Schriftstücken erfolgten, sei überholt. Sowohl die Post AG als auch private Zustelldienste stellten regelmäßig nachmittags zu. Berufstätige hätten ohnehin erst in der Regel ab den Abendstunden die Möglichkeit, ihren Briefkasten zu leeren und auf diese Weise die Möglichkeit, von zugestellten Schriftstücken Kenntnis zu nehmen. Typischerweise würden daher Briefkästen bis in die frühen Abendstunden hin geleert, weil eben bis in die frühen Abendstunden auch mit Postzustellungen gerechnet werden müsse. Briefe, die bis 18.00 Uhr in den Briefkasten eingelegt würden, gingen deshalb noch am selben Tag zu. Aber selbst dann, wenn man weiterhin auf die gewöhnlichen Verhältnisse und die Gepflogenheiten am Ort der Zustellung abstellte, müsse vorliegend von einem Zugang des Kündigungsschreibens bereits am 18.07.2017 ausgegangen werden. Die Deutsche Post AG lasse in der Straße, in welcher der Kläger wohne, im Regelfall zwischen 11.00 und 13.00 Uhr zustellen. Es komme allerdings ebenso häufig zu Zustellungen durch die blaue Post (Citypost). Die Citypost OWL GmbH & Co.KG mache ihren Zustellmitarbeitern jedoch keine Vorgaben über den Zeitpunkt der Zustellungen. Übliche Zustellzeiten gebe es ausdrücklich nicht. Die Zusteller seien vielmehr frei darin, sich die Zustellungen einzuteilen. Mit Zustellungen durch die Citypost müsse deshalb in der Zeit zwischen 7.30 Uhr und 18.00 Uhr gerechnet werden. Die Gewerbetreibenden in der Wstraße hätten sich auch darauf eingestellt, dass jederzeit mit Zustellungen durch die Citypost gerechnet werden müsse und zwar an Werktagen bis gegen 18.00 Uhr. Die vor Ort verkehrsüblichen Zustellzeiten für Schriftstücke endeten daher am Zustellort Wstraße in C1 frühestens um 18.00 Uhr. Aus diesem Grund sei von einem Ablauf der Klagefrist am 08.08.2017 um 24.00 Uhr auszugehen.

Jedenfalls habe ihrer Meinung nach die Kündigung vom 18.07.2017 das Arbeitsverhältnis zum Kläger beendet, weil er ohne rechtfertigenden Grund die Erbringung seiner Arbeitsleistung verweigert habe. Wegen seiner Ankündigung, dass er seiner Arbeitsverpflichtung nicht nachkommen werde, sei der vorherige Ausspruch einer Abmahnung auch entbehrlich gewesen. Ein Zurückbehaltungsrecht habe dem Kläger nicht zugestanden, weil er zum Zeitpunkt des vorgesehenen Arbeitsbeginns alle bereits titulierten Ansprüche beglichen habe. Etwaige Ansprüche für den Zeitraum nach dem 30.06.2015 hätte der Kläger konkret beziffern müssen. Die nunmehr im Verfahren vorgelegte Darstellung von Annahmeverzugsvergütungsansprüchen ersetze dies gerade nicht. Gleiches gelte für den im Rahmen der Korrespondenz lediglich pauschal getätigten Hinweis, dass ihm noch Vergütungsansprüche zustünden verbunden mit der Bitte, Gütegespräche zu führen. Für solche Gespräche habe er jedoch keinen weiteren Anlass gesehen.

Zudem sei die Berufung auf ein Zurückbehaltungsrecht treuwidrig, weil er die vorangegangenen gerichtlichen Entscheidungen stets befolgt habe.

Mit Urteil vom 13.12.2017 hat das Arbeitsgericht den Klageanträgen entsprochen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kündigung des Beklagten vom 18.07.2017 beende das Arbeitsverhältnis weder außerordentlich fristlos noch hilfsweise ordentlich fristgemäß.

Der Kläger habe mit seiner beim Arbeitsgericht Detmold am 09.08 2017 eingegangenen Kündigungsschutzklage die dreiwöchige Klagefrist des § 4 KSchG gewahrt. Es sei von einem Zugang des Kündigungsschreibens am 19.07.2017 auszugehen.

Erreiche eine Willenserklärung die Empfangseinrichtung des Adressaten (hier Briefkasten) zu einer Tageszeit, zu der nach den Gepflogenheiten des Verkehrs eine Entnahme oder Abholung durch den Adressaten nicht mehr erwartet werden könne, so sei die Willenserklärung an diesem Tag nicht mehr zugegangen. Es komme nicht darauf an, ob dem Adressaten noch zugemutet werden könne, sich von dem Erklärungsinhalt Kenntnis zu verschaffen. Maßgeblich sei vielmehr, ob der Erklärende unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung und unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten im Bereich des Adressaten noch davon ausgehen könne, dass der Adressat noch Kenntnis von dem Inhalt der Erklärung am Tag des Einwurfes der Sendung erlangen werde. Unbeachtlich sei insbesondere, dass ein Berufstätiger nach getaner Arbeit regelmäßig erst am Abend seinen Briefkasten leere. Es sei auf die konkreten örtlichen allgemeinen Gepflogenheiten am Ort der Zustellung einzugehen. Dies zugrunde gelegt, sei auch nach den Darstellungen des Beklagten weiterhin von einer Verkehrsanschauung auszugehen, wonach im Gebiet des Wohnsitzes des Klägers bei einem Einwurf bis zur Mittagszeit davon ausgegangen werden könne, dass der Adressat noch am selben Tag Kenntnis vom Erklärungsinhalt erhalten werde. Für eine abweichende Verkehrsanschauung sei die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet.

Der Beklagte trage vor, dass Zustellungen durch die Deutsche Post AG in der Regel zwischen 11.00 Uhr und 13.00 Uhr erfolgten. Dass sich die Verkehrsanschauung durch zunehmende Gewinnung von Marktanteilen durch konkurrierende Postdienstleister geändert habe, könne auch dem Vortrag des Beklagten im Ergebnis nicht entnommen werden. Auch wenn der Beklagte erkläre, in der Wstraße in C1 komme es ebenso häufig zu Zustellungen durch die Citypost OWL GmbH & Co.KG, ergebe sich eine Änderung der Verkehrsanschauung nicht. Dabei könne es als zutreffend unterstellt werden, dass die Citypost ihren Zustellmitarbeitern freistelle, wann sie Zustellungen in der Zeit zwischen 7.30 Uhr und 18.00 Uhr vornähmen. In welcher Häufigkeit tatsächlich von dieser eingeräumten Freiheit Gebrauch gemacht werde und Zustellungen durch die entsprechenden Mitarbeiter nach der Mittagszeit vorgenommen würden, könne dem nicht entnommen werden. Dass sich Gewerbetreibende in der Umgebung des Wohnsitzes des Klägers auf eine Zustellung bis 18.00 Uhr eingestellt hätten, lasse deshalb nicht darauf schließen, inwieweit sich das allgemeine Verhalten der Bevölkerung in der Umgebung im Hinblick auf die Leerung des eigenen Briefkastens tatsächlich geändert habe. Es müsse auch nicht darauf eingegangen werden, inwieweit die Behauptung zutreffe, dass die Citypost OWL GmbH & Co.KG die gleichen Zustellmengen bewältige wie die Deutsche Post AG, was trotz zunehmender Marktanteile konkurrierender Postdienstleister bislang weiterhin fraglich erscheine.

Das Arbeitsverhältnis sei nicht durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 18.07.2017 beendet worden.

Dabei könne unterstellt werden, dass der Kläger seine Arbeitsleistung beginnend ab dem 18.07.2017 zu Unrecht verweigert habe. Eine beharrliche Arbeitsverweigerung könne grundsätzlich als geeignet angesehen werden, das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung zu beenden. Insoweit könne dem Beklagten auch zugestanden werden, dass der Kläger sein Zurückbehaltungsrecht nicht wirksam ausgeübt habe, weil er nicht hinreichend genau benannt habe, von der Auszahlung welcher konkret bezifferten Vergütungsleistungen er die Arbeitsaufnahme konkret abhängig mache.

Die auf der zweiten Stufe vorzunehmende Interessenabwägung falle jedoch zugunsten des Fortsetzungsinteresses des Klägers aus. Zugunsten des Fortsetzungsinteresses des Klägers sprächen vor allem die Beschäftigungsdauer seit dem 01.06.2009 und die bestehende oder zumindest zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung absehbare Unterhaltsverpflichtungen des Klägers gegenüber seiner Partnerin und dem gemeinsamen Kind. Im Ergebnis halte das Gericht jedoch den Ausspruch einer Abmahnung für geeignet und auch erforderlich, um den Kläger zu einer weiteren Arbeitsleistung bei dem Beklagten zu bewegen, sodass die ausgesprochene Kündigung nicht das mildeste Mittel zum Abstellen vertragswidriger Verhaltensweisen darstelle.

Dabei sei dem Beklagten zunächst zuzugestehen, dass er im Rahmen seiner Arbeitsaufforderung erklärt habe, dass der Kläger mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen müsse, wenn er weiterhin seine Arbeit nicht aufnehmen werde. Gleichwohl halte das Gericht eine Abmahnung nach dem ersten behaupteten unentschuldigten Fernbleiben nicht für entbehrlich, denn es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger in entschuldbarer Weise jedenfalls davon ausgegangen sei, wirksam von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch gemacht zu haben. Die Arbeitsverweigerung am 17. und 18.07.2017 erweise sich vor diesem Hintergrund nicht als beharrlich. Dem Beklagten sei noch einmal zuzugestehen, dass die Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes insofern mangels konkreter Bezifferung der verlangten Beträge nicht wirksam gewesen sein könnte. Zur Vermeidung einer verhaltensbedingten Kündigung hätten zwischen den Parteien jedoch Gespräche über die Höhe der zwischenzeitlich angelaufenen Vergütungsansprüche erfolgen können bzw. müssen, um das weitere Fernbleiben des Klägers tatsächlich als beharrlich ansehen zu können. Selbst dann, wenn in diesem Zeitraum nur eine monatliche Vergütung von 450,00 € geschuldet gewesen wäre, belaufe sich der Zahlungsrückstand für diesen Zeitraum noch immer auf 10.800,00 € brutto.

Die Kündigung des Beklagten vom 18.07.2017 beendete das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht als ordentliche fristgerechte Kündigung. Die Kündigung sei nicht sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 1, 2 KSchG.

Auch bei der in Anwendung des in § 1 Abs. 2 KSchG verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu treffenden Prognoseentscheidung gelte, dass es vor Ausspruch einer auf steuerbares Verhalten gestützten ordentlichen Kündigung einer vorherigen Abmahnung nur dann nicht bedürfe, wenn bereits ex ante erkennbar sei, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten stehe oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handele, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich ausgeschlossen sei. Hinsichtlich der Erforderlichkeit einer Abmahnung bzw. der Klärung der zwischenzeitlich noch ausstehenden Beträge werde auf die Ausführungen zur außerordentlichen Kündigung verwiesen.

Auch dem Weiterbeschäftigungsantrag sei stattzugeben gewesen.

Über den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage sei nicht zu entscheiden, weil das Gericht bereits zu der Annahme gelange, dass der Kläger die dreiwöchige Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG gewahrt habe.

Gegen das unter dem 02.02.2018 zugestellte Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe im Übrigen Bezug genommen wird, hat der Beklagte unter dem 27.02.2018 Berufung zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 02.05.2018 unter dem 26.04.2018 begründet.

Er verbleibt bei seiner Auffassung, der Kläger habe die dreiwöchige Klagefrist versäumt, da von einem Zugang der Kündigung bereits am 18.07.2017 auszugehen sei. Unzutreffend sei die Annahme des Arbeitsgerichts, die Kündigung sei erst am Folgetag zugegangen. Fehlerhaft gehe das Arbeitsgericht davon aus, er habe darlegen und beweisen müssen, dass am Ort des Zugangs die Verkehrsanschauung in der Bevölkerung so sei, dass bis 18.00 Uhr mit Postzustellung gerechnet werde. Das Arbeitsgericht habe völlig überzogene Anforderungen insoweit gestellt. Richtigerweise habe das Arbeitsgericht auf eine allgemeine Verkehrsanschauung abstellen müssen, die sich allgemein etabliert habe. Diese habe er richtigerweise dahingehend beschrieben, dass mit zunehmender Beauftragung auch privater Zustelldienste es zu Zustellungen bis in die frühen Abendstunden und teilweise weit darüber hinaus komme. Die Verkehrsanschauung habe sich allgemein dahingehend verändert, dass Zustellungen von Poststücken eben nicht mehr nur bis 13.00 Uhr oder bis in die Mittagszeit eines Tages erfolgten. Hilfsweise habe er jedenfalls darauf hingewiesen, dass jedenfalls ab Zustellungsort eine entsprechende Verkehrsanschauung sich etabliert habe, dass tatsächlich Zustellungen durch private Zustelldienste bis in die frühen Abendstunden hinein erfolgten.

Soweit über den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung zu entscheiden sei, habe der Kläger zwar unverzüglich nach Kenntniserlangung Kündigungsschutzklage einreichen lassen und dies mit einem Antrag auf nachträgliche Klagezulassung verbunden; Mittel der Glaubhaftmachung habe der Kläger jedoch in keiner Weise angeboten. Dies sei auch später nicht innerhalb der erforderlichen Frist geschehen.

Ebenso verbleibt der Beklagte bei seiner Auffassung, das Arbeitsverhältnis sei bereits durch die außerordentliche Kündigung wirksam beendet worden, da der Kläger seine Tätigkeit zum vorgesehenen Zeitpunkt am 17.07.2017 nicht aufgenommen habe.

Das Arbeitsgericht gehe zutreffend von einer beharrlichen Arbeitsverweigerung aus. Diese sei auch nicht durch ein Zurückbehaltungsrecht gerechtfertigt gewesen. Konkrete Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis habe der Kläger nicht benannt oder gar beziffert. Dies sei erst am späteren Zeitpunkt erfolgt.

Rechtsfehlerhaft gehe das Arbeitsgericht allerdings davon aus, die Kündigung sei wegen Fehlens einer Abmahnung unverhältnismäßig. Eine Abmahnung sei entbehrlich gewesen. Schon in der Arbeitsaufforderung sei mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen gedroht worden. Dem Kläger sei daher klar gewesen, dass er bei Nichtaufnahme der Arbeit mit der Kündigung habe rechnen müssen. Habe dem Kläger kein Zurückbehaltungsrecht zugestanden, sei es auch nicht erforderlich gewesen, ihm mit weiteren rechtlichen Konsequenzen zu drohen.

Jedenfalls sei seiner Meinung nach die Kündigung als ordentliche wirksam.

Zumindest sei das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen, da ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar sei.

Er habe sämtliche titulierten Forderungen vor dem 18.07.2017 bezahlt. Während des laufenden Verfahrens habe er mit Schreiben vom 07.03.2018 sowohl ein Angebot auf Abschluss eines weiteren Prozessarbeitsverhältnisses unterbreitet, als auch den Vorschlag eines abschließenden Beendigungsvergleichs. Gleichwohl berufe sich der Kläger weiterhin auf ein Zurückbehaltungsrecht, wolle ein Prozessarbeitsverhältnis nicht begründen und kündige ein alternatives Vergleichsangebot an, auf das er bis heute warte. Müsse er Nachforderungen, wie der Kläger sie mittlerweile geltend mache, bilanzieren, werde dies zur sofortigen Insolvenz wegen Überschuldung führen. Sie könnten aus wirtschaftlichen Gründen daher nicht erfüllt werden. Der Kläger berufe sich auf ein Zurückbehaltungsrecht, eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses könne unter diesen Umständen nicht erfolgen. Er könne die Arbeitsleistung nicht in Anspruch nehmen, da der Kläger sich auf das vermeintliche Zurückbehaltungsrecht berufe. Ihm müsse daher in dieser Zwickmühle mit gerichtlicher Auflösung des Arbeitsverhältnisses geholfen werden. Die Höhe der Abfindung sehe er in Höhe der Regelabfindung unter Zugrundelegung eines monatlichen Entgelts von 450,– €.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgericht Detmold vom 13.12.2017 aufzuheben, die Klage abzuweisen und den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage abzuweisen, sowie hilfsweise für den Fall, dass das Landesarbeitsgericht die Kündigung als unwirksam ansehen sollte, das Arbeitsverhältnis der Parteien zum Ablauf des 31.10.2017 gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung, die 2020,– € nicht übersteigen sollte, aufzulösen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen, sowie den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag abzuweisen.

Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil.

Das Arbeitsgericht gehe zutreffend von einem Zugang der Kündigung erst am 19.07.2017 aus, so dass er die dreiwöchige Klagefrist gewahrt habe. Kurz vor 17.00 Uhr sei nach der allgemeinen Verkehrsanschauung mit einer Zustellung von Postsendungen nicht mehr zu rechnen, erst recht nicht im konkreten Zustellgebiet.

Rechtsirrig gehe das Arbeitsgericht allerdings davon aus, er habe seine Arbeitspflicht beharrlich verletzt. Er verbleibt bei seiner Auffassung, ihm habe ein Zurückbehaltungsrecht zur Seite gestanden, da im Kündigungszeitpunkt 37.411,20 € an Vergütung unbezahlt gewesen seien. Selbst wenn man unzutreffend nur eine monatliche Vergütung von 450,– € zugrunde lege, habe sich ein Zahlungsrückstand von 10.800,– € ergeben. Selbst eine Abmahnung wäre daher seiner Meinung nach unrechtmäßig gewesen. Der Beklagte habe die offene und fällige Vergütung selbst leicht errechnen können.

Dem Auflösungsantrag sei nicht stattzugeben, da dem Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar sei. Der Beklagte wolle lediglich drohende Annahmeverzugsansprüche begrenzen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.

A.

Durchgreifende Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen nicht.

Die Berufung ist statthaft gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 b), c) ArbGG.

Die Berufung ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 517 ff. ZPO.

B.

Die Berufung des Beklagten ist jedoch nicht begründet.

Das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die streitbefangene außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 18.07.2017 (I.), noch durch die vorsorgliche ordentliche Kündigung vom gleichen Tage (II.) aufgelöst worden ist.

Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung durch gerichtliche Entscheidung kam nicht in Betracht (III.)

Dem Kläger steht daher auch ein Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung zur Seite (IV.)

I.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die streitbefangene außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 18.07.2017 nicht wirksam aufgelöst worden.

Das Arbeitsgericht ist zutreffend von der Wahrung der dreiwöchigen Klagefrist nach § 13 Abs.1 Satz 2, § 4 Satz 1 KSchG ausgegangen und hat die außerordentliche Kündigung jedenfalls im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung für unwirksam erachtet.

1.

Die Kündigung stellt sich nicht von Anfang an rechtswirksam nach § 13 Abs. 1 Satz 2, § 7, § 4 Satz 1 KSchG dar, weil der Kläger die maßgebliche dreiwöchige Klagefrist versäumt hätte.

Denn von einem Zugang der Kündigung ist erst am 19.07.2017 auszugehen. Von diesem Tage an hat der Kläger die dreiwöchige Klagefrist bei Eingang der Klage am 09.08.2017 und alsbaldiger Zustellung vom 22.08.2017 gewahrt.

a)

Eine schriftliche Willenserklärung geht unter Abwesenden nach § 130 Abs. 1 BGB zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers bzw. eines empfangsberechtigten Dritten gelangt ist und für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen. Wenn für den Empfänger diese Möglichkeit unter gewöhnlichen Verhältnissen besteht, ist es unerheblich, wann er die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat oder ob er daran z.B. durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände zunächst gehindert war (BAG 16.03.1988, EzA BGB § 130 Nr.16; BAG 02.03.1989, EzA BGB § 130 Nr. 22; BAG 22.03.2012, EzA KSchG § 5 Nr.41; BAG 25.04.2018, 2 AZR 493/17).

Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist dabei nach den “gewöhnlichen Verhältnissen” und den “Gepflogenheiten des Verkehrs” zu beurteilen (BAG 08.12.1983, EzA BGB § 130 Nr.13; BAG 22.03.2012, aaO; BAG, 25.04.2018, aaO).

Ein Kündigungsschreiben gelangt mit dem Einwurf in den Wohnungsbriefkasten in verkehrsüblicher Art in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Arbeitnehmers (BAG 02.03.1989, EzA BGB § 130 Nr. 22). Denn in erster Linie zählt die Wohnung zum Machtbereich des Empfängers einer schriftlichen Willenserklärung, solange er sie nicht aufgegeben hat.

Der Einwurf in einen Briefkasten bewirkt den Zugang zu einem Zeitpunkt, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist (vgl.BAG 08.12.1983, aaO), wobei nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen, sondern dies im Interesse der Rechtssicherheit zu generalisieren ist (BAG 22.03.2012, aaO unter Verweis auf BGH 21.012004, EzA BGB 2002 § 130 Nr.3; BAG, 25.04.2018, aaO). Bei Hausbriefkästen ist daher mit einer Leerung im Allgemeinen zum Zeitpunkt der üblichen Postzustellzeiten zu rechnen, die allerdings stark variieren können (BAG 22.03.2012, aaO).

Der Einwurf eines Kündigungsschreibens in den Hausbriefkasten zu einer Zeit, bei der eine Nachschau in den Hausbriefkasten verkehrsüblich nicht mehr zu erwarten ist, bewirkt dann einen Zugang erst am Folgetag (LAG Köln 17.09.2010, NZA-RR 2011,180; LAG Schleswig-Holstein 13.10.2015, NZA 2015, 14).

b)

Die Darlegungs- und Beweislast für den Zugang trägt dabei derjenige, der sich auf den (früheren) Zugang der Willenserklärung beruft.

c)

Unter Berücksichtigung der dargestellten Kriterien kann es für die Entscheidung des Rechtsstreits dahingestellt bleiben, ob das in Rede stehende Kündigungsschreiben des Beklagten noch am 18.07.2017 gegen 16.38 Uhr in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen worden ist; selbst wenn dies der Fall wäre, läge ein Zugang der Kündigungserklärung damit erst am 19.07.2017 vor.

Soweit der Beklagte sich auf eine zwischenzeitlich gewechselte allgemeine Verkehrsanschauung beruft, nach der mit einer Zustellung von Postsendungen allgemein bis in die frühen Abendstunden zu rechnen ist, fehlt es an einer näheren Darlegung, aufgrund welcher Umstände sich eine solche nunmehrige allgemeine Verkehrsanschauung gebildet haben soll. Die fehlende Darlegung musste insoweit zu Lasten des Beklagten als der für einen Zugang der Kündigung darlegungs- und beweispflichtigen Partei gehen.

Aber auch ein Abstellen auf die örtlichen Verhältnisse, wie der Beklagte sie behauptet, könnte nicht zur Annahme eines Zugangs noch am 18.07.2017 führen.

Der Begriff des Zugangs stellt auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme „unter gewöhnlichen Verhältnissen“ ab und zielt daher darauf ab, bis wann üblicherweise unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse mit einer Leerung des Briefkastens gerechnet werden darf. Allein der Umstand, dass an einem Ort möglicherweise unterschiedliche Zustelldienste mit der Zustellung von Sendungen betraut sind, die auch ggfs. zu unterschiedlichen Zeiten tätig werden, führt unter Abstellen auf die gewöhnlichen zu erwartenden Verhältnisse nicht dazu, dass sich eine allgemeine oder auch nur örtlich begrenzte Verkehrsauffassung bildet, mit einer Zustellung von Sendungen sei nunmehr jederzeit oder bis in die Abendstunden zu rechnen mit der Folge, auch mit einer Leerung des Hausbriefkastens sei entsprechend erst zu einem späteren Zeitpunkt zu rechnen. Wenn insoweit die mit der Zustellung betraute Deutsche Post AG nach der eigenen Darlegung des Beklagten im Bereich der Wohnung des Klägers regelmäßig in der Zeit zwischen 11.00 und 13.00 Uhr zustellt, kann dies die vom Beklagten angenommene Verkehrsanschauung auch zu späteren Zustellzeiten nicht begründen. Aber auch die Darstellung der Inanspruchnahme von Zustelldiensten der „City Post“, die nach der Behauptung des Beklagten ihren Zustellern keine Vorgaben zur Zustellzeit macht, macht nicht klar, dass tatsächlich eine wesentliche Änderung von Zustellzeiten eingetreten ist, die zu einer geänderten Verkehrsanschauung führt. Muss auf die „gewöhnlichen“ Verhältnisse im Sinne einer Rechtsklarheit abgestellt werden, kann eine Änderung der Verkehrsanschauung allenfalls dadurch bewirkt werden, dass auch durch diesen Zustelldienst üblicherweise Zustellungen tatsächlich bis in die frühen Abendstunden erfolgen; die bloße Möglichkeit infolge behaupteter fehlender Vorgaben bewirkt jedenfalls eine solche Änderung nicht. Eine Verkehrsanschauung kann sich zudem nur bilden, wenn Zustellungen durch solche Dienste überhaupt in nennenswertem Umfang erfolgen, was dem Vorbringen des Beklagten nicht zu entnehmen ist.

Selbst wenn die Behauptung des Beklagten zutrifft, Gewerbetreibende im maßgeblichen Bereich hätten sich auf Zustellungen bis gegen 18.00 Uhr eingestellt, lässt dies einen Schluss auf eine geänderte Anschauung im Bereich der Privathaushalte nicht zu.

Auch die Zustellung von Sendungen durch andere Zustelldienste als die Deutsche Post AG in Einzelfällen kann unter dem Gebot des Abstellens auf die üblichen Gepflogenheiten nicht zur Annahme eines Zugangs noch am 18.07.2017 führen.

2.

Da der Kläger somit die dreiwöchige Klagefrist gewahrt hat, war über den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung nicht zu befinden. Bei diesem handelt es sich um einen Hilfsantrag für den Fall, dass die Klage verspätet ist (BAG 22.03.2012, aaO).

3.

Die außerordentliche Kündigung des Beklagten ist nicht von einem wichtigen Grund gedeckt, der die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar machte.

a)

Nach § 626 Abs. 1 BGB ist bei allen Kündigungsgründen eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und eine Abwägung der Interessen beider Vertragsteile erforderlich. Dieses Erfordernis schließt es aus, bestimmte Tatsachen ohne Rücksicht auf die Besonderheit des Einzelfalles stets als wichtigen Grund zur Kündigung anzuerkennen; es gibt im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB keine absoluten Kündigungsgründe (BAG 23.01.1963, EzA GewO § 124a Nr. 3 ).

Die Prüfung des Vorliegens eines wichtigen Grundes hat daher in zwei systematisch zu trennenden Abschnitten zu erfolgen:

Vorrangig ist zu prüfen, ob ein bestimmter Grund an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Sofern dies bejaht wird, bedarf es nach § 626 Abs. 1 BGB des Weiteren der Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (BAG 17.05.1984, EzA BGB § 626 n.F. Nr.90, BAG 13.12.1984, EzA BGB § 626 n.F. Nr.94).

Ein Umstand ist in der Regel nur dann geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, wenn er sich konkret auf das Arbeitsverhältnis auswirkt. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses muss durch objektive Umstände, die Einstellung oder das Verhalten des Gekündigten im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit, im Vertrauensbereich der Vertragsparteien oder im Unternehmensbereich beeinträchtigt sein (BAG 06.02.1969, EzA BGB § 626 Nr. 11; BAG 20.09.1984, EzA BGB § 626 n.F. Nr. 91).

Eine außerordentliche Kündigung kommt dabei nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als solche milderen Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und Ausspruch einer ordentlichen Kündigung anzusehen (BAG 24.03.2011, EzA BGB 2002 § 626 Nr.34).

b)

In Rechtsprechung und Literatur ist allgemein anerkannt, dass eine beharrliche Arbeitsverweigerung je nach den Umständen des Einzelfalls geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen: Die beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers, eine vertraglich geschuldete, rechtmäßig und damit wirksam zugewiesene Arbeit zu leisten, stellt regelmäßig eine erhebliche Pflichtverletzung dar.

Weigert sich der Arbeitnehmer, die ihm im Rahmen einer rechtmäßigen Ausübung des Weisungsrechts zugewiesene Tätigkeit auszuführen, so kann dies im Falle der sog. beharrlichen Arbeitsverweigerung den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen (BAG 21.11.1996, EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 50; BAG 05.04.2001, EzA BGB § 626 n.F. Nr. 186). Zumindest ist sie geeignet, eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses sozial zu rechtfertigen (BAG 13.03.2008, EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 73).

Das Merkmal der Beharrlichkeit ist dann gegeben, wenn eine Nachhaltigkeit im Willen des Arbeitnehmers festgestellt werden kann, den sich aus dem Arbeitsvertrag ergebenden Pflichten nicht nachzukommen Eine solche Nachhaltigkeit kann dabei sowohl dann angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer wiederholt nach entsprechender Abmahnung seiner Pflicht zur Arbeitsleistung aus dem Arbeitsvertrag nicht nachkommt, als auch dann, wenn er eine einmalige Vertragsverletzung begeht, hierbei aber der nachhaltige Wille zum Ausdruck kommt, seinen Pflichten nicht nachkommen zu wollen .Letzteres ist insbesondere der Fall, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber vor die Alternative gestellt worden ist, entweder die Tätigkeit zu verrichten oder den Bestand des Arbeitsverhältnisses aufs Spiel zu setzen (BAG 05.04.2001, aaO).

c)

Vorliegend ist der Kläger der Arbeitsaufforderung des Beklagten vom 06.07.2017 für eine Tätigkeitsaufnahme erstmals für den 17.07.2017 unstreitig nicht nachgekommen.

Gleichwohl liegt damit kein Fall einer Arbeitsverweigerung vor, da der Kläger zurecht von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch gemacht hat.

aa)

Eine unzulässige Arbeitsverweigerung liegt dann nicht vor, wenn der Arbeitnehmer berechtigterweise von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch gemacht hat (BAG 09.05.1996 EzA BGB § 626 n.F. Nr. 161; BAG 13.03.2008, EzA BGB 2002 § 273 Nr.1).

Nach § 273 Abs. 1 BGB kann der Schuldner, der aus demselben Rechtsverhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat, sofern sich nicht aus dem Schuldverhältnis ein anderes ergibt, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird. Dieses Zurückbehaltungsrecht kann ein Arbeitnehmer auch an seiner Arbeitsleistung ausüben, wenn er einen fälligen Lohnanspruch gegen den Arbeitgeber erworben hat und der Arbeitgeber diesen nicht erfüllt (BAG 25.10.1984 EzA BGB § 273 Nr. 3).

bb)

Vorliegend waren zum Zeitpunkt der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts Ansprüche des Klägers aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges nach §§ 615, 611 BGB infolge des rechtskräftig festgestellten Fortbestandes eines Arbeitsverhältnisses ab dem Monat Juli 2015 gegeben.

Ausgeurteilt waren demgegenüber lediglich Vergütungsansprüche bis einschließlich des Monats Juni 2015. Allein mit einer Begleichung dieser Ansprüche waren die ausstehenden Forderungen des Klägers nicht erfüllt, die einen weiteren Zeitraum zum Zeitpunkt der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts von 24 Monaten umfassten. Selbst wenn Ansprüche des Klägers nur in einer Höhe von 450,- € monatlich gegeben wären, war bereits ein fünfstelliger Betrag aufgelaufen.

Hierbei handelt es sich auch um einen Betrag, der die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nicht als nicht mit Treu und Glauben vereinbar wegen einer geringen Höhe der ausstehenden Forderung oder nur geringen zeitlichen Verzuges ansehen lässt.

cc)

Der Kläger hat auch in ausreichender Weise mitgeteilt, wegen welcher Forderung er seine Arbeitsleistung zurückhalten will.

Grundsätzlich muss der Schuldner vor der Ausübung seines Zurückbehaltungsrechts unter Angabe des Grundes dem Arbeitgeber klar und eindeutig mitteilen, er werde dieses Recht auf Grund einer ganz bestimmten, konkreten Gegenforderung ausüben. Nur so wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, den möglichen Anspruch des Arbeitnehmers zu prüfen und zu erfüllen (BAG 13.03.2008, aaO).

Hier hat der Kläger mit seiner ersten E-Mail vom 07.07.2017 schon erklärt, er werde seinen Arbeitsantritt von der Zahlung des rückständigen Lohns abhängig machen, wozu eine Zahlung des Betrages aus dem aktuellen Urteil nicht ausreiche. Damit hat er dem Beklagten in ausreichender Deutlichkeit kundgetan, er werde die Arbeit nur nach Begleichung seiner ausstehenden Forderungen aufnehmen.

Welches seine Forderungen sind, hat er auch noch in ausreichender Weise kundgetan. In der ersten E-Mail vom 07.07.2017 ist zwar kein konkreter Betrag genannt, der Hinweis auf das arbeitsgerichtliche Urteil macht aber deutlich, dass der Kläger von solchen monatlichen Beträgen ausgeht, wie sie das Arbeitsgericht seinen Annahmeverzugsansprüchen zuletzt zugrunde gelegt hat. Jedenfalls mit der weiteren E-Mail vom 07.07.2017 hat der Kläger ausgeführt, ab Februar 2015 besteht kein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis mehr. Was außerhalb des der arbeitsgerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Zeitraums anschließend angefallen ist, erwähnt der Kläger mit der Aufstellung für die Monate Juli bis Dezember.

Für den Beklagten war daher der Zeitraum ersichtlich, für den der Kläger Ansprüche geltend macht, da für die Zeit ab Juli 2015 keine Zahlungen mehr erfolgt sind. Ebenso war ersichtlich, in welcher Höhe der Kläger aus seiner Sicht Ansprüche hat.

Ob seine Annahme zur Höhe der wegen Annahmeverzuges fortzuzahlenden Vergütung dabei zutrifft, steht dem Bestehen einer Gegenforderung und eines Zurückbehaltungsrechts nicht entgegen. Selbst nach Auffassung des Beklagten sind jedenfalls monatliche Zahlungen von 450,–€ angefallen.

d)

Unter den gegebenen Umständen ließ sich, worauf das Arbeitsgericht zurecht hingewiesen hat, auch keine Beharrlichkeit des Klägers feststellen, seine vertragliche Tätigkeit widerrechtlich nicht ausüben zu wollen.

Eine Abmahnung wegen einer bereits erfolgten Nichtleistung der Arbeit behauptet der Beklagte selbst nicht. Bei der Androhung von Konsequenzen für den Fall der Nichtaufnahme der Arbeit in der Arbeitsaufforderung vom 06.07.2017 handelt es sich allenfalls um eine vorweggenommene Abmahnung für den noch gar nicht ersichtlichen Fall, ob der Kläger überhaupt der Arbeit fernbleibt.

Auch mit der E-Mail vom 14.07.2017 wird der Kläger nicht vor dem Hintergrund des zwischenzeitlich ausgeübten Zurückbehaltungsrechts vor die Alternative gestellt, am 17.07.2017 zur Arbeitsaufnahme zu erscheinen oder den Ausspruch einer Kündigung zu riskieren. Der Kläger durfte zumindest eine Auseinandersetzung mit seiner Auffassung zu einem Zurückbehaltungsrecht erwarten.

e)

Selbst wenn der Kläger zu Unrecht von einem Zurückbehaltungsrecht unter Zugrundelegung seiner Berechnung Gebrauch gemacht hätte, führt eine Abwägung der beiderseitigen Interessen dazu, dass dem Beklagten die Fortführung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zuzumuten war.

aa)

Die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände lassen sich nicht abschließend für alle Fälle festlegen (BAG, 27.04.2006, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17; BAG 09.06.2011, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 35). Im Rahmen der notwendigen Interessenabwägung sind unter anderem das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, auch im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlustes und ihre wirtschaftlichen Folgen, eine mögliche Wiederholungsgefahr, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf zu berücksichtigen (BAG, Urteil vom 10.11.2005, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17, BAG 09.06. 2011, aaO).

bb)

Vor Ausspruch einer Kündigung hätte es einer Abmahnung von Seiten des Beklagten bedurft.

Eine Abmahnung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts immer dann vor Ausspruch der Kündigung erforderlich, wenn es um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers geht und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann (BAG 04.06.1997, EzA BGB § 626 Nr. 168).

Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das künftige Verhalten des Arbeitnehmers schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen daher regelmäßig eine Abmahnung voraus (BAG 25.10.2012, EzA BGB 2002 § 626 Nr.41; BAG 24.03.2011, aaO).

Sie dient zugleich der Objektivierung der negativen Prognose (BAG 23.06.2009, EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr.75).

Besonders schwere Verstöße im Leistungsbereich bedürfen hingegen keiner Abmahnung, weil der Arbeitnehmer von vornherein nicht mit der Billigung seines Verhaltens rechnen kann und er sich bewusst sein muss, dass er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt (BAG 29.07.1976, EzA KSchG § 1 Nr. 34; BAG 12.07.1984, EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 57 ), wenn es sich um schwere Pflichtverletzungen handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei denen eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG 10.02.1999, EzA KSchG § 15 n.F. Nr. 47; BAG 24.03.2011, aaO; BAG 25.10.2012, aaO).

Eine Abmahnung ist auch dann entbehrlich, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht erfolgversprechend angesehen werden durfte. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage oder willens ist, sich vertragsgerecht zu verhalten (BAG 29.07. 1976, EzA KSchG § 1 Nr. 34; BAG 12.07.1984, EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 57; BAG 18.05.1994, EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 31).

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte war es dem Beklagten jedenfalls zuzumuten, dem Kläger wegen Fernbleibens von der Arbeit am 17.07.2017 eine Abmahnung auszusprechen, selbst wenn von einem unberechtigten Fernbleiben von der Arbeit auszugehen wäre.

Eine solche stellt sich nicht wegen einer besonderen Schwere einer Pflichtverletzung als entbehrlich dar, nachdem der Kläger den Beklagten auf ein Zurückbehaltungsrecht hingewiesen hat, das er für gegeben erachtet, ohne dass hierauf eine Reaktion des Beklagten erfolgt ist.

Eine Abmahnung stellt sich des Weiteren auch nicht im Hinblick darauf als entbehrlich dar, dass der Beklagte schon mit der Arbeitsaufforderung auf mögliche Konsequenzen für den Fall der Nichtaufnahme der Arbeit gedroht hat. Dies mag eine Abmahnung entbehrlich machen für den Fall, dass der Kläger ohne jeden aus seiner Sicht rechtfertigenden Grund der Arbeit fernbleibt; jedenfalls nachdem der Kläger sich zeitnah auf ein aus seiner Sicht bestehendes Zurückbehaltungsrecht berufen hat und damit zu erkennen gegeben hat, nicht unberechtigt fernzubleiben, hätte es vor Ausspruch einer Kündigung auch unter dem veränderten Sachverhalt einer Klarstellung des Beklagten bedurft, dass auch dann eine Pflichtverletzung als gegeben angesehen wird und ein weiteres Fernbleiben eine Kündigung nach sich zieht.

Selbst wenn man keine Abmahnung erfordern will, stellt sich die Reaktion des Beklagten, bereits am ersten Tag des Fernbleibens eine außerordentliche Kündigung auszusprechen ohne zuvor auf die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts durch den Kläger einzugehen und einen Versuch zu unternehmen, hierüber zu verhandeln, als unverhältnismäßige Reaktion dar.

II.

Aus den genannten Erwägungen stellt sich auch die ordentliche Kündigung als unwirksam wegen fehlender sozialer Rechtfertigung nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG dar.

Ergibt sich das Erfordernis einer Abmahnung scheitert auch die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung an deren Fehlen.

Gleiches gilt für die Annahme einer Unverhältnismäßigkeit der Kündigung.

III.

Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch gerichtliche Entscheidung auf Antrag des Beklagten kam nicht in Betracht.

1.

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG ist das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers dann aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.

Bei der nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG anzustellenden Vorausschau kommt es nicht wie bei der Beurteilung der Sozialwidrigkeit einer Kündigung auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an. Vielmehr ist im Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag zu fragen, ob in Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit noch zu erwarten ist (BAG 25.11.1982, EzA KSchG § 9 Nr. 15; BAG 10.10.2002, EzA KSchG § 9 Nr. 46; BAG, 10.12.2009, EzA BGB 2002 § 626 Nr.29).

Die Frage der Auflösung ist daher zukunftsbezogen zu beantworten (BAG 09.09.2010, EzA KSchG § 9 n.F. Nr.60).

Da das KSchG vorrangig ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz ist, sind an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen (BAG 10.12.2009, aaO).

Als Auflösungsgründe kommen nur solche in Betracht, die das persönliche Verhältnis, die Wertung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben oder das Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen (BAG 14.10.1954, AP KSchG § 3 Nr. 6; BAG 10.10.2002, EzA KSchG § 9 n.F. Nr. 46), wobei es allerdings nicht erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer diese schuldhaft herbeigeführt hat; es kommt vielmehr auf die objektive Lage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an (BAG 30.06.1959, AP KSchG § 1 Nr. 56 ; BAG 23.06.2005, EzA KSchG § 9 n.F. Nr. 52 ).

Auch das Prozessverhalten der Parteien während des Kündigungsschutzprozesses ist ein Umstand, der für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses in Betracht zu ziehen ist. Einer Partei, die am Arbeitsverhältnis festhalten will, ist zuzumuten, eine Prozessführung an den Tag zu legen, durch die die Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht überschritten wird (BAG 25.11.1982, EzA KSchG § 9 n.F. Nr. 15).

Eine Auflösung kommt vor allem dann in Betracht, wenn während eines Kündigungsschutzverfahrens zusätzliche Spannungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien auftreten, die dem Antragsteller eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen (BAG, 10.12.2009, aaO).

2.

Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen hat der Beklagte keine Gründe dargelegt, die zur Annahme einer nicht mehr zu erwartenden den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit führen können.

a)

Soweit der Beklagte eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses wegen einer fehlenden Möglichkeit, Nachforderungen des Klägers aus wirtschaftlichen Gründen nicht erfüllen zu können und eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses daher nicht erfolgen könne, begehrt, stellt dieser Umstand keinen Aspekt dar, der den Anforderungen an einen Auflösungsgrund entspricht. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zur Vermeidung des Entstehens weiterer Ansprüche aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges entspricht keinem Tatbestand, der zur Annahme führen könnte, eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit sei nicht mehr zu erwarten. Die gerichtliche Auflösung kann nicht der Vermeidung von Risiken dienen, die sich aus dem Ausspruch einer (unwirksamen) Kündigung ergeben.

b)

Die Nichtannahme eines Angebots auf Abschluss eines Prozessarbeitsverhältnisses führt gleichermaßen nicht zu einer Auflösung.

Im Rahmen des Grundsatzes der Vertragsfreiheit steht es dem Kläger frei, ob er ein Vertragsangebot des Beklagten annehmen will oder nicht. Die Beschränkung dieser Freiheit kann nicht dadurch geschehen, im Falle der Ablehnung eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu riskieren.

c)

Gleiches gilt grundsätzlich für die Ablehnung eines Angebots auf eine vergleichsweise Regelung der Rechtsstreitigkeiten.

Kündigt der Kläger im Zusammenhang mit der Ablehnung des Angebots auf Abschluss eines Prozessarbeitsverhältnisses und des Vergleichsangebots die voraussichtliche Zuleitung eines alternativen Vergleichsangebots an, das dann nicht erfolgt, führt dies nicht zur Annahme von Spannungen zwischen den Parteien, die dem Beklagten eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zumutbar machten.

Der Kläger hat zum einen davon gesprochen, ein Angebot seinerseits nur „voraussichtlich“ machen zu wollen, so dass eine berechtigte Erwartung auf die Abgabe eines Angebots nicht gegeben war; zum anderen ist ein Arbeitnehmer auch insoweit frei darin, ein Angebot auf eine vergleichsweise Regelung zu unterbreiten.

IV.

Infolge der Unwirksamkeit der streitbefangenen Kündigungen und der fehlenden Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch gerichtliche Entscheidung ist der Beklagte gleichfalls zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet.

Einwendungen gegen die arbeitsgerichtliche Entscheidung insoweit hat der Beklagte nur damit erhoben, dass er von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine der beiden streitbefangenen Kündigungen ausgeht.

C.

Der Beklagte hat die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Im Hinblick auf die Zugangsproblematik und den Umfang der Darlegungs- und Beweislast hierzu war die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

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