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Fristlose verhaltensbedingte Verdachtskündigung – Fehlbuchung von Gutscheinbeträgen

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 4 Sa 29/17 – Urteil vom 14.03.2018

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 15.11.2016, Az. 8 Ca 2332/16, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen sowie einer hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.

Die am … 1964 geborene Klägerin war seit dem 15.02.2009 in einem von dem Beklagten betriebenen Lebensmittelmarkt als Verkäuferin beschäftigt, wobei sie jedoch überwiegend als Kassiererin eingesetzt wurde. Der Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden.

Unter dem 18.10.2013, 31.01.2014 und 01.04.2014 erhielt die Klägerin vom Beklagten insgesamt drei Schreiben, die jeweils als „Abmahnung“ betitelt waren. Hinsichtlich des Inhalts dieser Schreiben wird auf Blatt 50 – 53 d. A. Bezug genommen.

Am Mittwoch, dem 28.06.2016 hatte die Klägerin Dienst an der Kasse 4. An dem betreffenden Tag kam eine Mitarbeiterin des Beklagten als Kundin an die Kasse der Klägerin, um insgesamt 15 Einkaufsgutscheine einzulösen. Hierbei handelte es sich um solche Gutscheine, die der Beklagte an seine Mitarbeiterinnen als Sonderzahlung ausgibt, und die (auch) gegen andere Gutscheine verschiedenster Firmen (z. B. A., iT.) eingelöst werden können. Nach Behauptung der Klägerin (insoweit auch erstinstanzlich unstreitig) war ihr die betreffende Mitarbeiterin nicht persönlich bekannt. Die Klägerin fragte sodann beim Marktleiter nach, ob sie die Gutscheine einlösen dürfe, was der Marktleiter bejahte.

Das Einlösen von Gutscheinen im Lebensmittelmarkt des Beklagten wird wie folgt vorgenommen:

  • Zuerst wird die Ware in der Kasse eingegeben;
  • im Anschluss gibt die Kassiererin den Betrag des Gutscheines ein und drückt die Taste „sonstige Zahlungsmittel“;
  • Sodann wird die Gutschein-Nummer manuell eingegeben;
  • der Bezahlvorgang ist abgeschlossen;
  • die Kassiererinnen sind angewiesen, einen entsprechenden Beleg dem Kunden auszuhändigen und einen Bon-Nachdruck an die Gutscheine zu heften.

Bei den insgesamt 15 von der Mitarbeiterin des Beklagten bei der Klägerin am 28.06.2016 eingelösten Gutscheinen handelte es sich um zehn Gutscheine im Wert von jeweils 25 € und um fünf Gutscheine im Wert von jeweils 50 €. Bei insgesamt acht der 25 €-Gutscheine gab die Klägerin anstelle des korrekten Betrages jeweils einen Betrag von 50 € in die Kasse ein. Dementsprechend erhielt die Kollegin der Klägerin von ihr für die eingelösten Gutscheine neue Gutscheine verschiedenster Firmen im Wert von insgesamt 700 €, wohingegen sich der korrekte Wert der eingelösten Gutscheine nur auf 500 € belief.

Am 06.07.2016 wurde die Klägerin vom Beklagten zu dem betreffenden Vorfall angehört. Dabei wurde ihr vorgeworfen, dass sie bei der Eingabe der Gutscheinbeträge im Kassensystem mehrfach anstelle des Betrages von 25 € einen Betrag von 50 € eingegeben habe, sodass eine Differenz von 200 € entstanden sei. Die Klägerin konnte bei dieser Anhörung keine konkrete Erklärung abgeben. Im Anschluss an das Gespräch bot der Beklagte der Klägerin den Abschluss eines Aufhebungsvertrages an, was diese am 07.07.2016 ablehnte.

Mit Schreiben vom 07.07.2016, welches der Klägerin noch am selben Tag ausgehändigt wurde, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos sowie vorsorglich auch ordentlich zum 30.09.2016. Hiergegen richtet sich die von der Klägerin am 22.07.2016 beim Arbeitsgericht eingereichte Kündigungsschutzklage.

Die Klägerin hat beantragt, festzustellen, dass das zwischen ihr und dem Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung vom 07.07.2016 sowie durch die hilfsweise fristgerechte Kündigung zum 30.09.2016 aufgelöst wurde.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat im Wesentlichen geltend gemacht, im Hinblick darauf, dass die Klägerin am 28.06.2016 für Gutscheine im Gesamtwert von 500 € einen Betrag von insgesamt 700 € in die Kasse eingegeben habe, bestehe gegen sie der objektive Tatverdacht, sich für den Differenzbetrag von 200 € selbst Waren aus dem Geschäftsbetrieb entnommen zu haben. Der dringende Tatverdacht dieser strafbaren Handlung rechtfertige eine fristlose Kündigung. Darüber hinaus habe die Klägerin, wie sich aus den ihr erteilten Abmahnungen ergebe, wiederholt Fehler bei Eingaben im Kassensystem gemacht. Auch vor diesem Hintergrund erweise sich die Kündigung als wirksam.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 15.11.2016, auf dessen Tatbestand (Bl. 68 – 72 d. A.) zur ergänzenden Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen wird, stattgegeben. Hinsichtlich der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 6 – 12 dieses Urteils (= Bl. 72 – 78 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihm am 23.01.2017 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 25.01.2017 Berufung eingelegt und diese innerhalb der ihm mit Beschluss vom 24.03.2017 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 24.04.2017 begründet.

Der Beklagte macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei die streitgegenständliche fristlose Kündigung wirksam; dies gelte zumindest für die vorsorglich ausgesprochene fristgerechte Kündigung. Die Auffassung des Arbeitsgerichts, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin bei ihren Falschangaben am 28.06.2016 vorsätzlich gehandelt habe, sei nicht nachvollziehbar. Dies ergebe sich bereits daraus, dass die Falscheingabe eines Gesamtbetrages von 200 € nicht auf einem einmaligen „vertippen“ beruhe, sondern sich aus mehreren Vorgängen zusammensetze. Die Klägerin habe nämlich mehrfach in einem sich wiederholenden Arbeitsvorgang falsche Beträge eingegeben. Hierbei könne es sich nicht um ein einmaliges Versehen gehandelt haben. Es sei nahezu ausgeschlossen, dass sich die Klägerin derart oft verlesen oder vertippt haben könne. Dass ein diesbezügliches Versehen so oft in einem Kassiervorgang geschehen sein solle, sei lebensfremd und entziehe sich jeder Wahrscheinlichkeit. Vielmehr dränge sich der Verdacht geradezu auf, dass diese Handlungen vorsätzlich und bewusst vorgenommen worden seien. Es werde ausdrücklich bestritten, dass der Klägerin die an den Vorgängen vom 28.06.2016 mitbeteiligte Kollegin nicht bekannt gewesen sei. Es müsse auch davon ausgegangen werden, dass die Falschangaben mit Schädigungsabsicht erfolgt seien. Insoweit dränge sich der Verdacht auf, dass die Klägerin mit der beteiligten Kollegin gemeinsame Sache gemacht habe; zumindest müsse jedoch die Absicht bestanden haben, zu Lasten des Arbeitgebers zu handeln. Auch im Rahmen der Anhörung vom 06.07.2016 seien die gegen die Klägerin bestehenden Verdachtsmomente nicht beseitigt, sondern vielmehr bestätigt worden, da die Klägerin nicht versucht habe, ihr Verhalten zu erklären. Die Kündigung sei auch aufgrund der wiederholt bei der Klägerin aufgetretenen Kassendifferenzen gerechtfertigt. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei die Klägerin vor dem 28.06.2016 wiederholt ordnungsgemäß abgemahnt worden. Bezüglich der Abmahnung vom 18.10.2013 ergebe sich die erforderliche Warnfunktion bereits daraus, dass das betreffende Schriftstück mit „Abmahnung“ überschrieben sei. Soweit das Arbeitsgericht bezüglich der Abmahnung vom 31.01.2014 in den Entscheidungsgründen ausgeführt habe, es fehle darin an der Angabe eines konkreten Fehlverhaltens der Klägerin, so werde verkannt, dass ihm – dem Beklagten – nicht bekannt sein könne, woraus die in der Abmahnung gerügte Kassendifferenz von 99,60 € konkret herrühre bzw. welches konkrete Fehlverhalten der Klägerin zu dieser Differenz geführt habe. Der Abmahnung vom 01.04.2014 komme – entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts – (ebenfalls) die notwendige Warnfunktion zu. Bei Übergabe des Abmahnungsschreibens sei der Klägerin nämlich in einem persönlichen Gespräch nochmals deutlich gemacht worden, dass im Wiederholungsfalle das Arbeitsverhältnis beendet werde und Kassendifferenzen nicht mehr hingenommen werden könnten. Die Häufigkeit von Kassendifferenzen seien bei der Klägerin deutlich über dem Üblichen gewesen. Bei anderen Mitarbeitern seien solche Kassendifferenzen nicht festzustellen. Es sei ihm nicht zumutbar, die Klägerin weiterhin zu beschäftigen. Diese sei offensichtlich nicht geeignet, die Tätigkeit einer Kassiererin auszuüben, da bei ihr in deutlich höheren Umfang als bei vergleichbaren Kolleginnen und Kollegen Kassendifferenzen aufgetreten seien.

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens des Beklagten im Berufungsverfahren wird auf dessen Berufungsbegründungsschrift vom 24.04.2017 (Bl. 121 – 129 d. A.) Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt, das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 18.05.2017 (Bl. 160 f d. A.), auf die Bezug genommen wird und macht u. a. geltend, sie habe am 28.06.2016 keinesfalls vorsätzlich falsche Beträge in die Kasse eingegeben. Soweit ihr seinerzeit Fehler unterlaufen seien, so beruhten diese keinesfalls auf einem vorsätzlichen oder gar strafbaren Fehlverhalten. Dies auch insbesondere vor dem Hintergrund, dass sie die Kollegin, welche ihre Gutscheine eingelöst habe, weder vom Namen noch vom Sehen her gekannt habe.

Entscheidungsgründe

I.

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage vielmehr zu Recht stattgegeben.

II.

Die Kündigungsschutzklage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche Kündigung vom 07.07.2016 noch durch die hilfsweise unter dem selben Datum ausgesprochene ordentliche Kündigung aufgelöst worden.

1.

Die außerordentliche Kündigung erweist sich in Ermangelung eines wichtigen Grundes i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB als unwirksam.

Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB ist nach der gesetzlichen Definition gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, die es dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses fortzusetzen. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt – ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles – (überhaupt) geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden. Sodann ist zu untersuchen, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist, d. h. ob es dem Kündigenden unzumutbar geworden ist, das Arbeitsverhältnis bis zu dem gemäß § 626 Abs. 1 BGB relevanten Zeitpunkt fortzusetzen.

a)

Die streitbefangene fristlose Kündigung erweist sich nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. Verdachtskündigung als wirksam.

Es ist allgemein anerkennt, dass der Verdacht, der Arbeitnehmer könne eine strafbare Handlung zu Lasten des Arbeitgebers oder eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen haben, geeignet sein kann, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu bilden. Entscheidend ist, dass es gerade der Verdacht ist, der das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers zerstört oder zu einer unerträglichen Belastung des Arbeitsverhältnisses geführt hat. Die Verdachtsmomente und die Verfehlungen, deren der Arbeitnehmer verdächtigt wird, müssen so schwerwiegend sein, dass dem Dienstberechtigten die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Der Verdacht muss objektiv durch Tatsachen begründet sein, die so beschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können. Der Verdacht muss darüber hinaus dringend sein, d. h. es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der gekündigte Arbeitnehmer die Straftat oder die Pflichtverletzung begangen hat. Der Arbeitgeber muss alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen haben. Er ist insbesondere verpflichtet, den verdächtigten Arbeitnehmer anzuhören, um ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung vorliegend nicht erfüllt sind.

Zwar hat die Klägerin am 28.06.2016 Einkaufsgutscheine einer Kollegin im Gesamtwert von 500 € mit insgesamt 700 € in der Kasse verbucht, der betreffenden Kollegin sodann andere Gutscheine im Wert von insgesamt 700 € herausgegeben und damit dem Beklagten einen Schaden in Höhe von 200 € zugefügt. Soweit die Klägerin dies erstinstanzlich noch zum Teil bestritten hat, hat sie dies in der Berufungsverhandlung nach gerichtlichem Hinweis auf die vom Beklagten zu den Akten gereichten Gutscheine und Kassenbelege nicht mehr in Abrede gestellt.

Die damit verbundene Pflichtverletzung der Klägerin rechtfertigt indessen nicht den dringenden Verdacht einer vorsätzlichen Schädigung des Vermögens der Beklagten oder einer sonstigen vorsätzlichen schweren Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten. Eine hohe Wahrscheinlichkeit eines vorsätzlichen Fehlverhaltens der Klägerin besteht nicht. Vielmehr erscheint es ebenso wahrscheinlich, dass der Klägerin insoweit lediglich Fahrlässigkeit zur Last fällt.

Für die Annahme eines Vorsatzes fehlt es bereits an einem Motiv der Klägerin. Durch die falsche Eingabe der Gutscheinbeträge und die Herausgabe anderer Gutscheine, die deren tatsächlichen Wert überstiegen, hat sich die Klägerin zweifellos nicht selbst bereichert. Profitiert hiervon hat vielmehr ausschließlich die Mitarbeiterin des Beklagten, die an dem betreffenden Tag Gutscheine eingelöst hat. Von einem bewussten und gewollten Zusammenwirken zwischen der Klägerin und der betreffenden Mitarbeiterin kann nicht ausgegangen werden. Nach Behauptung der Klägerin war ihr die andere Mitarbeiterin, die unstreitig in einem anderen Lebensmittelmarkt des Beklagten eingestellt war, weder vom Namen noch vom Sehen her bekannt. Zwar hat die Beklagte dies im Berufungsverfahren bestritten. Da er für das Vorliegen von Verdachtsmomenten jedoch die Darlegungs- und Beweislast trägt, genügt dieses bloße Bestreiten nicht. Es ist daher zugunsten der Klägerin davon auszugehen, dass ihr die Mitarbeiterin nicht bekannt war und somit kein Motiv für eine vorsätzliche Falscheingabe von Beträgen in das Kassensystem erkennbar ist.

Entgegen der Ansicht des Beklagten lässt sich auch aus der Vielzahl der Falscheingaben (insgesamt acht) ein vorsätzliches Handeln der Klägerin nicht ableiten. Vielmehr besteht diesbezüglich ebenso die Möglichkeit, dass die Falscheingaben auf einem „Vertippen“ und/oder „Verlesen“ beruhen und/oder auf Konzentrationsmängel bei der sich wiederholenden, mehrfachen Eingabe von Gutscheinbeträgen (50 € und 25 €) zurückzuführen sind.

Insgesamt bestehen somit keine ausreichenden Anhaltspunkte, welche eine hohe Wahrscheinlichkeit und damit den dringenden Verdacht einer Straftat oder sonstigen schwerwiegenden vorsätzlichen Pflichtverletzung der Klägerin begründen könnten.

b)

Die von der Klägerin zu verantwortende Kassendifferenz vom 28.06.2016 vermag – auch unter Berücksichtigung der ihr mit Schreiben vom 18.10.2013, 31.01.2014 und 01.04.2014 erteilten „Abmahnungen“ – den Ausspruch der streitgegenständlichen fristlosen Kündigung ebenfalls nicht zu rechtfertigen.

Nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen kann der Klägerin keine bewusste und gewollte, also vorsätzliche Vermögensschädigung des Beklagten am 28.06.2016 vorgeworfen werden. Entsprechendes gilt für die abgemahnten Kassendifferenzen, hinsichtlich derer keinerlei Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Fehlverhalten der Klägerin erkennbar sind. Es handelt sich daher um (bloße) Fehlleistungen der Klägerin bei ihrer Tätigkeit als Kassiererin. Solche Fehlleistungen sind – bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen – nach erteilter Abmahnung regelmäßig nur geeignet, den Ausspruch einer ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung, nicht hingegen den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu rechtfertigen. Dabei sind die Grundsätze anzuwenden, die das BAG zur Problematik der Schlechtleistung im Arbeitsverhältnis herausgearbeitet hat (vgl. BAG v. 17.01.2008 – 2 AZR 536/06 – AP Nr. 85 zu § 1 KSchG 1969).

Eine verhaltensbedingte Kündigung kann gegenüber einem leistungsschwachen Arbeitnehmer gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten dadurch vorwerfbar verletzt, dass er fehlerhaft arbeitet. Allerdings genügt ein Arbeitnehmer – mangels anderer Vereinbarungen – seiner Vertragspflicht, wenn er unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeitet. Er verstößt gegen seine Arbeitspflicht nicht allein dadurch, dass er die durchschnittliche Fehlerhäufigkeit aller Arbeitnehmer überschreitet. Allerdings kann die längerfristige deutliche Überschreitung der durchschnittlichen Fehlerquote je nach tatsächlicher Fehlerzahl, Art, Schwere und Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung ein Anhaltspunkt dafür sein, dass der Arbeitnehmer vorwerfbar seine vertraglichen Pflichten verletzt (BAG v. 17.01.2008, a. a. O.).

Bei einer Kündigung wegen qualitativer Minderleistung des Arbeitnehmers ist es im Kündigungsschutzrechtsstreit zunächst Sache des Arbeitgebers, zu den aufgetretenen Leistungsmängeln das vorzutragen, was er über die Fehlerzahl, die Art und die Schwere sowie Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung des Arbeitnehmers wissen kann. Kann der Arbeitgeber darlegen, dass der Arbeitnehmer längerfristig die durchschnittliche Fehlerhäufigkeit aller mit vergleichbaren Arbeiten beschäftigten Arbeitnehmer erheblich überschreitet, so kann dies ein Anhaltspunkt dafür sein, dass der Arbeitnehmer vorwerfbar seine vertraglichen Pflichten verletzt. Da jedoch der Vergleich durchschnittlicher Fehlerquoten für sich noch keinen hinreichenden Aufschluss darüber gibt, ob durch die fehlerhafte Arbeit des gekündigten Arbeitnehmers das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stark beeinträchtigt ist, muss der Arbeitgeber hier weitere Umstände darlegen. Anhand der tatsächlichen Fehlerzahl, der Art, Schwere und Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung des betreffenden Arbeitnehmers ist näher darzulegen, dass die längerfristige deutliche Überschreitung der durchschnittlichen Fehlerquoten nach den Gesamtumständen darauf hinweist, dass der Arbeitnehmer vorwerfbar seine vertraglichen Pflichten verletzt (BAG v. 17.01.2008, a. a. O.).

Diesen Anforderungen wird der Sachvortrag des Beklagten nicht gerecht. Der Beklagte hat nicht dargetan, dass die Klägerin längerfristig die durchschnittliche Fehlerhäufigkeit aller mit ihr vergleichbaren Arbeitnehmer erheblich überschritten hat. Die pauschale Behauptung, die Häufigkeit von Kassendifferenzen habe bei der Klägerin „deutlich über dem Üblichen“ gelegen, erweist sich diesbezüglich als völlig unsubstantiiert.

2.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch nicht durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung aufgelöst worden. Die ordentliche Kündigung erweist sich als sozial ungerechtfertigt und daher als rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG).

a)

Die ordentliche Kündigung ist nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. Verdachtskündigung gerechtfertigt. Zwar kann eine Verdachtskündigung nicht nur als außerordentliche, sondern auch als ordentliche Kündigung ausgesprochen werden. Vorliegend fehlt es jedoch – wie bereits oben unter II. 1. a) ausgeführt – am Vorliegen ausreichender Verdachtsmomente.

b)

Die von der Klägerin zu verantwortende Kassendifferenz vom 28.06.2016 vermag – auch unter Berücksichtigung der erteilten Abmahnungen – den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Diesbezüglich wird – zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen – auf die obigen Ausführungen unter II. 1. b) Bezug verwiesen.

III.

Nach alledem war die Berufung des Beklagten mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

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