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Fristverkürzende Stellungnahme des Betriebsrats in Verfahren gemäß § 102 BetrVG

Versteckte Nebentätigkeit: Kündigung rechtmäßig oder nicht?

Im Fokus der Betrachtung steht ein arbeitsrechtlicher Streit, der seinen Ursprung in einer verheimlichten Nebentätigkeit hat. Ein Mitarbeiter arbeitete heimlich in einer Reinigungsfirma, ohne seinen Hauptarbeitgeber darüber zu informieren oder eine Genehmigung einzuholen. Dies führte zu seiner Kündigung und später zu einem Gerichtsverfahren. Der Hauptpunkt der Debatte liegt dabei auf dem Zusammenspiel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerrechten sowie dem Umstand, ob eine heimliche Nebentätigkeit ohne Genehmigung einen triftigen Grund zur Kündigung darstellt oder nicht.

Direkt zum Urteil Az.: 3 Ca 1733/20 springen.

Verborgene Nebentätigkeit als Kündigungsgrund?

Laut des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrags ist jede Nebentätigkeit, ob bezahlt oder unentgeltlich, anzumelden und bedarf der schriftlichen Zustimmung des Arbeitgebers. In diesem Fall hatte der Mitarbeiter, ohne seinen Arbeitgeber zu informieren oder um Erlaubnis zu fragen, eine Nebentätigkeit bei einem Reinigungsunternehmen angenommen.

Rolle des Betriebsrats

Der Betriebsrat spielte eine entscheidende Rolle in diesem Verfahren. Die Einwände des Betriebsrats sollten den Arbeitgeber dazu bringen, sein Vorhaben, den Arbeitnehmer zu entlassen, zu überdenken. Es ging darum, ob besondere Anhaltspunkte dafür vorhanden waren, dass der Betriebsrat seine abschließende Stellungnahme zu der geplanten Kündigung abgegeben hatte.

Bewertung der Nebentätigkeit und Kündigungsgrund

Die Gerichtsentscheidung hob hervor, dass es nicht allein auf das Vorhandensein einer Nebentätigkeit ankam, sondern auf die Art und Weise, wie sie ausgeübt wurde. Es wurde betont, dass das heimliche Ausüben einer offensichtlich nicht genehmigungsfähigen Nebentätigkeit einen wichtigen Kündigungsgrund darstellen kann. Die Interessen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers wurden gegeneinander abgewogen, um die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu beurteilen.

Weiterbeschäftigungsanspruch und Treuepflicht

Schließlich stellte das Gericht fest, dass ein Arbeitgeber nicht dazu verpflichtet ist, die Interessen des Arbeitnehmers ohne Rücksicht auf seine eigenen überwiegenden Interessen zu fördern. Im Zusammenhang mit dem Kündigungsprozess wurde auch die Frage der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers betrachtet.

Die genaue rechtliche und praktische Konsequenz dieser Entscheidung ist zweifelsohne komplex und zeigt auf, wie vielschichtig und anspruchsvoll arbeitsrechtliche Fälle sein können. Dieser Fall unterstreicht die Notwendigkeit, die Bestimmungen des Arbeitsvertrags genau zu kennen und einzuhalten, und zeigt auch die Rolle, die der Betriebsrat bei solchen Verfahren spielen kann.

[…]


Das vorliegende Urteil

ArbG Bielefeld – Az.: 3 Ca 1733/20 – Urteil vom 02.12.2020

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 02.07.2020 weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen als Lagermitarbeiter weiter zu beschäftigen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 02.07.2020.

Der Kläger ist seit dem 01.02.2013 bei der Beklagten als Lagermitarbeiter beschäftigt. Das monatliche Bruttoentgelt des Klägers beträgt 2500,00 EUR.

§ 6 Abs. 1 des zwischen den Parteien geltenden Arbeitsvertrages lautet:

„Jede Nebentätigkeit, gleichgültig ob sie entgeltlich oder unentgeltlich ausgeübt wird, ist anzuzeigen und bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung der Firma. Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn die Nebentätigkeit die Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben zeitlich nicht oder allenfalls unwesentlich behindert und sonstige berechtigte Interessen der Firma nicht beeinträchtigt werden.“

Der Kläger war – ohne Information der Beklagten und ohne eine Nebentätigkeitsgenehmigung beantragt zu haben – über eine Drittfirma jeweils am Sonntag in der Zeit von 06:00 Uhr bis 11:00 Uhr bei der Firma V in S zur Reinigung eingesetzt. In den jeweiligen Räumlichkeiten befanden sich während der „Reinigungsschicht“ keine anderen Arbeitnehmer. Der Kläger reinigte mit seinen Kollegen jeweils drei Kammern, in denen Schweinehälften schockgefrostet werden. Produktionsmitarbeiter der Firma V verrichten in diesen Räumen keine Arbeit. Der Kläger trägt während der Reinigung zum Schutz vor den zu benutzenden Reinigungschemikalien einen Ganzkörperschutzanzug, eine Kopfbedeckung, Stiefel und Handschuhe sowie eine Atemschutzmaske (auf die Fotos, Bl. 124, 125, 126 d.A. wird verwiesen).

Den letzten Arbeitseinsatz bei der Firma V hatte der Kläger am 14.06.2020. In der darauffolgenden Woche von Montag, den 15.06.2020 bis zum Freitag, den 19.06.2020, arbeitete der Kläger bei der Beklagten in C1 regulär.

Zur Chronologie der Corona-Fälle im Kreis H zu jener Zeit: Bereits Anfang Mai wurde der Betrieb eines Mitbewerbers der Firma V, die Firma I im münsterländischen W, nach einem Corona-Ausbruch in der Belegschaft vorübergehend geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Tests bei der Firma V noch negativ. Am 16.05.2020 wurde der Schlacht- und Zerlegebetrieb X in E für einige Tage geschlossen. Am 16.06.2020 wurden 128 V-Beschäftigte binnen einer Woche positiv getestet. Am 17.06.2020 waren von 983 Testergebnissen bei der Firma V 657 positiv. Am 18.06.2020 wurden Schulen und Kitas im Kreis H geschlossen. Für den Schlachtbetrieb V wurde die unverzügliche Schließung des Betriebes in S verfügt. Am 20.06.2020 verfügte der Landrat des Kreises H eine „Allgemein-Verfügung zur Absonderung in sogenannter häuslicher Quarantäne“ für alle Arbeitnehmer, die auf dem Betriebsgelände der Firma V am Standort „In der Mark 2, XXXXX S“ tätig waren, bis zum 02.07.2020.

Am 19.06.2020 erhielt der Kläger gegen 18:00 Uhr einen Anruf von seinem Vorgesetzten des Nebenarbeitgebers. Dieser forderte den Kläger auf, sich einem Corona-Test zu unterziehen. Etwa eine Stunde später unterzog sich der Kläger am selben Abend einem Corona-Test.

Am 21.06.2020 rief der Kläger seine Vorgesetzte bei der Beklagten an und informierte diese über seine Nebentätigkeit. Der Kläger war unsicher, wie er sich verhalten sollte, da das Gesundheitsamt bei seinem Bruder, welcher ebenfalls bei der Nebenarbeitgeberin tätig war, Quarantäne angeordnet hatte. Seine Vorgesetzte forderte ihn auf, zu Hause zu bleiben und sich zu melden, sobald das Testergebnis vorliege. Am Montag, den 22.06.2020 telefonierte der Kläger mit dem für ihn zuständigen Gesundheitsamt, welches ihn anwies, sich in Quarantäne zu begeben.

Ein erstes negatives Testergebnis lag am 23.06.2020 vor, nachdem der Kläger sich zusätzlich bei seinem Hausarzt am 22.06.2020 hatte testen lassen. Dieses Ergebnis teilte der Kläger der Beklagten am 23.06.2020 gegen 17:00 Uhr telefonisch mit. Im Nachgang zu diesem Telefonat ging das Ergebnis auch textlich bei der Beklagten ein. Am 24.06.2020 lag das negative Testergebnis der Testung vom 19.06.2020 vor.

Die Beklagte unterrichtete den Betriebsrat mit Schreiben vom 29.6.2020 (Bl. 99, 100 der Akte), beim Betriebsrat am 30.6.2020 eingegangen, zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung sowie mit weiterem Schreiben vom 30.6.2020 (Bl. 101, 102 der Akte) zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung. Der Betriebsrat nahm zur außerordentlichen Kündigung mit Schreiben vom 01.07.2020 (Bl. 103, 104 der Akte) sowie zur ordentlichen Kündigung mit Schreiben vom 02.07.2020 (Bl. 105, 106 der Akte) Stellung. Im Schreiben zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung erhebt der Betriebsrat „erhebliche Bedenken“ gegen die beabsichtigte fristlose Kündigung. In der Stellungnahme zur ordentlichen Kündigung widerspricht der Betriebsrat dieser und empfiehlt, die beabsichtigte ordentliche Kündigung „nochmals zu überdenken“. Die letzten Absätze der beiden Stellungnahmen des Betriebsrates beginnen mit dem Wort: „schlussendlich“. Wegen der Einzelheiten wird auf die beiden Stellungnahmen (Bl. 103-106 der Akte) verwiesen.

Nach diesen Stellungnahmen entschloss die Beklagte sich, am 02.07.2020 das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht zu kündigen.

Der Kläger räumt ein, keine Genehmigung der Beklagten zur Ausführung seiner Nebentätigkeit gehabt zu haben, die unterbliebene Anzeige und Genehmigung könne aber, so meint der Kläger, allenfalls eine Abmahnung rechtfertigen. Der Kläger ist der Ansicht, dass wenn er einen entsprechenden Antrag gestellt, dieser auch hätte gem. § 6 Abs. 1 seines Arbeitsvertrages genehmigt werden müssen. Zudem behauptet der Kläger, im Betrieb der Beklagten sei allgemein bekannt gewesen, dass der Kläger der Nebentätigkeit nachging. So hätten mehrere Teamchefs als unmittelbare Vorgesetzte des Klägers bei der Beklagten von der Nebentätigkeit gewusst.

Der Kläger behauptet, über ein mögliches Infektionsrisiko erst am Abend des 19.06.2020 durch den Anruf seines Vorgesetzten bei seinem Nebenarbeitgeber erfahren zu haben. Die Infektionsrisiken in der Produktion der Firma V habe er lediglich allgemein und am Rande in der Woche vom 15.06.-19.06.2020 mitbekommen. Die Allgemeinverfügungen seien ihm erst mit der Klageerwiderung bekannt geworden. Nach seiner Auffassung bestand frühestens am Abend des 19.06.2020 eine Informationspflicht gegenüber der Beklagten, welche am darauffolgenden Montag, den 22.06.2020 zu erfüllen gewesen wäre. Da er die Beklagte am 21.06.2020 informierte, habe er die Beklagte rechtzeitig informiert.

Der Kläger beantragt,  festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 2.07.2020 wieder fristlos  noch fristgerecht aufgelöst worden ist; hilfsweise, für den Fall des Obsiegens mit diesem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen         Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den        bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen als           Lagermitarbeiter weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,  die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger habe die von ihm ausgeübte Nebentätigkeit vertragswidrig der Beklagten nicht mitgeteilt. Durch die erst am 21.06.2020 erfolgte Anzeige und Mitteilung seines Einsatzes habe der Kläger vorwerfbar eine erhebliche Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten begangen.

Sie meint, eine mögliche Corona-Infektion des Klägers hätte dazu führen können, dass sich im Betrieb der Beklagten das Corona-Virus ausbreitet, was weitreichende wirtschaftliche Schäden des Unternehmens und die gesundheitliche Gefährdung von Arbeitskolleginnen/-kollegen zur Folge gehabt hätte. Die Beklagte behauptet, der Kläger habe den Medien entnehmen können, dass am 17.06.2020 bei der Firma V über 1.000 positive Corona-Befunde vorlagen und hätte daher auf ein erhöhtes Corona-Risiko schließen müssen. Der Kläger habe mit seinem Anruf am 21.06.2020 viel zu spät reagiert

Die Beklagte ist der Ansicht, die Stellungnahmen des Betriebsrates seien abschließend. Dies folge aus dem Wort „schlussendlich“ in den Stellungnahmen des Betriebsrats. Zudem gebe es eine langjährige Vorgehensweise in der Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat dergestalt, dass dieser bei seiner Beteiligung den entsprechenden Punkt in einer Sitzung erörterte und dann eine abschließende Stellungnahme abgab. Es habe vorliegend nicht an sicheren Anhaltspunkten dafür gefehlt, dass sich der Betriebsrat nicht mehr zur Kündigungsabsicht äußern werde.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Klage ist begründet.

1. Der gegen die Kündigungen vom 02.07.2020 gerichtete Bestandsschutzantrag im Sinne von § 4 S. 1 KSchG ist begründet.

a) Sowohl die außerordentliche als auch die außerordentliche Kündigung sind bereits gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam. Denn sie wurden vor Ablauf der dem Betriebsrat nach § 102 Abs. 2 S. 1, S. 3 Betriebsverfassungsgesetz eingeräumten Wochen-bzw. Drei-Tagesfrist erklärt, ohne dass der Betriebsrat zuvor eine das Anhörungsverfahren abschließende Stellungnahme abgegeben hätte.

aa) Das Bundesarbeitsgericht hat zu den Grundsätzen einer abschließenden, das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG vorzeitig beendenden Stellungnahme folgende Grundsätze aufgestellt (BAG, Urt. v. 25.05.2016 – 2 AZR 345/15):

Durch das in § 102 BetrVG ausgestaltete Beteiligungsverfahren wird dem Betriebsrat vor dem Kündigungsausspruch eine Einflussnahme auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers eingeräumt (BAGE 144, 125 = NZA 2013, 669 Rn. 76 = NJW 2013, 2221 Ls.; BAGE 78, 39 = NZA 1995, 363 [zu II 2]). Die vom Betriebsrat vorgebrachten Einwendungen sollen den Arbeitgeber gegebenenfalls dazu veranlassen, von seinem Kündigungsvorhaben Abstand zu nehmen oder es doch in geänderter Form zu verwirklichen, etwa anstatt einer Beendigungs- „nur“ eine Änderungskündigung zu erklären oder dem Arbeitnehmer mit einer Änderungskündigung einen geringeren Eingriff in seinen „Besitzstand“ anzutragen. Soweit dieser präventive Kündigungsschutz nicht durchgreift, kann der Betriebsrat mit einem Widerspruch die individuelle Rechtsstellung des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess verbessern (§ 1 II 2 Nr. 1 Hs. 2 KSchG) und diesem unter den Voraussetzungen des § 102 V 1 BetrVG die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens ermöglichen (BAG, NJW 1978, 1124 [zu 3 c]).

Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, muss er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitteilen (§ 102 II 1 BetrVG). Innerhalb derselben Frist kann der Betriebsrat der ordentlichen Kündigung aus den in § 102 III BetrVG abschließend aufgezählten Gründen widersprechen. Die Abfassung und Zuleitung der vom Arbeitgeber vor dem Kündigungsausspruch zu berücksichtigenden Stellungnahme obliegt – unabhängig von den im Betriebsrat erörterten Gründen – nach § 26 II 1 BetrVG dem Betriebsratsvorsitzenden (zur Erklärung der Gründe für die Zustimmungsverweigerung nach § 99 III 1 BetrVG: BAGE 149, 182 = NZA 2015, 370 Rn. 54). Eine vor Ablauf der Wochenfrist ausgesprochene Kündigung ist nach § 102 I 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat muss mit seiner Äußerung allerdings nicht bis zum Fristablauf warten. Er kann bereits vor diesem Zeitpunkt zur mitgeteilten Kündigungsabsicht des Arbeitgebers abschließend Stellung nehmen. Das Beteiligungsverfahren ist mit Eingang einer solchen Äußerung vorzeitig beendet und der Arbeitgeber kann die Kündigung umgehend erklären (BAG, NZA 2015, 476 = NJW 2015, 1469 Rn. 13).

Einer Äußerung des Betriebsrats während des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG kommt indes nur fristverkürzende Wirkung zu, wenn ihr der Arbeitgeber unzweifelhaft entnehmen kann, dass es sich um eine abschließende Stellungnahme handelt. Erklärt der Betriebsrat dies nicht ausdrücklich, ist der Inhalt seiner Mitteilung durch Auslegung entsprechend §§ 133, 157 BGB zu ermitteln (BAG, NZA 1988, 137 [zu B I 1 d bb]). Diese muss eindeutig ergeben, dass der Betriebsrat sich bis zum Ablauf der Anhörungsfrist nicht noch einmal – und sei es „nur“ zur Ergänzung der Begründung seiner bereits eröffneten Entschließung – äußern möchte (BAG, NZA 1995, 672 = NJW 1995, 2743 Ls. [zu II 1 b]). Der Arbeitgeber muss aufgrund der bisherigen Äußerung des Betriebsrats davon ausgehen können, dieser werde unter keinen Umständen mehr tun als bereits geschehen (BAG, NZA 2004, 1330 = NJW 2005, 239 Ls. [zu B II 2 b bb]).

Für die Annahme einer vorfristig abgegebenen verfahrensbeendenden Äußerung bedarf es besonderer Anhaltspunkte. Dem Betriebsrat steht für die Mitteilung der Gründe, die aus seiner Sicht gegen die Verwirklichung des Kündigungsentschlusses sprechen, die gesamte Anhörungsfrist zur Verfügung. Die Möglichkeit zur Stellungnahme gegenüber dem Arbeitgeber ist dabei nicht auf eine einmalige Äußerung beschränkt. Ebenso wie der Arbeitgeber seine Angaben im Verfahren nach § 102 I 2 BetrVG während der Wochenfrist ergänzen darf, kann auch der Betriebsrat in diesem Zeitraum eine bereits abgegebene Stellungnahme jederzeit erweitern. Hierfür kann insbesondere Anlass bestehen, wenn sich der Kündigungssachverhalt oder dessen rechtliche Bewertung aus Sicht des Betriebsrats im Verlauf der Wochenfrist verändern. Dieser ist auch nicht gehalten, sich die Ergänzung einer bereits übermittelten Stellungnahme ausdrücklich vorzubehalten.

Besondere Anhaltspunkte für eine abschließende Stellungnahme liegen regelmäßig vor, wenn der Betriebsrat dem Arbeitgeber mitteilt, er stimme der beabsichtigten Kündigung ausdrücklich und vorbehaltlos zu oder erklärt, von einer Äußerung zur Kündigungsabsicht abzusehen. In anderen Fällen wird der Arbeitgeber nur von einer abschließenden Stellungnahme ausgehen können, wenn aus seiner Sicht eine weitere Äußerung des Betriebsrats zur Kündigungsabsicht ausgeschlossen ist. Dazu ist es nicht ausreichend, dass der Betriebsratsvorsitzende dem Arbeitgeber das Ergebnis der Beschlussfassung des Gremiums mitgeteilt hat. Dies schließt für sich allein genommen eine erneute Beschlussfassung des Betriebsrats oder eine Ergänzung der mitgeteilten Beschlussgründe durch den Vorsitzenden nicht aus.

Fehlt es an sicheren Anhaltspunkten dafür, dass sich der Betriebsrat in keinem Fall mehr zur Kündigungsabsicht äußern wird, muss der Arbeitgeber, sofern er die Kündigung vor Ablauf der Wochenfrist erklären will, beim Betriebsratsvorsitzenden nachfragen und um entsprechende Klarstellung bitten. Auf dessen Erklärung darf er sich verlassen.

Diese Maßstäbe gelten auch für eine außerordentliche Kündigung und die dafür maßgebliche Stellungnahmefrist von drei Tagen (Rinck, KR, § 102 BetrVG, Rn. 131).

bb) Aus den o.g. Grundsätzen folgt, dass im vorliegenden Fall die Beklagte nicht von einer abschließenden Stellungnahme ausgehen durfte.

(1) Unstreitig waren die Stellungnahmefristen sowohl im Hinblick auf die außerordentliche als auch im Hinblick auf die ordentliche Kündigung nicht abgelaufen. Die Beklagte hat das Anhörungsverfahren gegenüber dem Betriebsrat am 30.06.2020 eingeleitet. Die Frist des § 102 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 BetrVG endete nach § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des Tages der nächsten Woche, der durch seine Benennung dem Tag entspricht, an dem der Betriebsrat die Arbeitgebermitteilung erhalten hat (BAGE 106, 14 = NZA 2003, 961 [zu II 1 b aa]; BAG, Urt. v. 12.12.1996 – 2 AZR 803/95, BeckRS 1996, 30765782 [zu II 1 b]). Die Frist des § 102 Abs. 2 S. 3 endete nach § 188 Abs. 1 BGB mit dem Ablauf des letzten Tages der Frist. Die Kündigungsschreiben sind dem Kläger bereits im Verlauf des 02.07.2020 und damit vor dem Ende der am 03.07.2020 ablaufenden Drei-Tages-Frist und der am 07.07.2020 ablaufenden Wochenfrist übergeben worden.

(2) Die Beklagte konnte auch nicht von besonderen Anhaltspunkten ausgehen, die auf eine abschließende Stellungnahme schließen lassen.

Sofern die Beklagte einwendet, es habe nicht an sicheren Anhaltspunkten dafür gefehlt, dass sich der Betriebsrat nicht mehr zur Kündigungsabsicht äußern werde, so ist dies nach der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht der anzulegende Maßstab dafür, ob eine abschließende Stellungnahme vorliegt. Es bedarf gerade besonderer Anhaltspunkte dafür, dass der Arbeitgeber nicht mehr mit der Möglichkeit rechnen muss, dass der Betriebsrat noch eine weitere Stellungnahme abgeben wird (BAG, Urt. v. 25.05.2016 – 2 AZR 345/15).

Die Beklagte konnte die Schreiben des Betriebsrates zu den Kündigungen nicht als abschließende Stellungnahme ansehen. Der Betriebsrat hat in seiner Stellungnahme zur außerordentlichen Kündigung erhebliche Bedenken gegen diese Kündigung erhoben. Der ordentlichen Kündigung hat der Betriebsrat widersprochen. In beiden Stellungnahmen beginnt der letzte Absatz der Stellungnahme mit: „Schlussendlich“. Allein aus dem Gebrauch dieses Wortes durfte die Beklagte jedoch nicht auf eine abschließende Stellungnahme schließen. Die Verwendung des Wortes „schlussendlich“ hat laut Duden die Bedeutung: „schließlich, endlich, am Ende, zum Schluss“ und kann auch bedeuten, dass der Betriebsrat seine zuvor geäußerte Ansicht am Ende der Stellungnahme in einem Absatz zusammenfasst. Aus der Verwendung dieses Wortes lässt sich nicht schließen, dass die Beklagte hätte ausschließen können, der Betriebsrat werde sich ergänzend äußern.

Auch die bisher von der Beklagten behauptete „Übung“ zwischen den Parteien, dass der Betriebsrat einmal getagt und über einen Punkt beraten habe und sodann von einer abschließenden Stellungnahme auszugehen war, kann eine abschließende Stellungnahme gemessen an den o.g. Grundsätzen nicht begründen. Unterstellt, eine solche Praxis sei tatsächlich in der Vergangenheit zwischen den Parteien so gelebt worden, so kann diese dennoch das Fristenregime des § 102 BetrVG und die hohen Anforderungen an eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrates, welche das Bundesarbeitsgericht entwickelt hat, nicht aufweichen. Dies liefe dem Sinn und Zweck der Regelung des § 102 BetrVG und der darauf basierenden höchstrichterlichen Rechtsprechung zuwider.

b) Selbst wenn man die vom Kläger bestrittene Äußerung des Betriebsratsvorsitzenden als abschließende Stellungnahme i.S.d. § 102 BetrVG versteht, so ist die Kündigungsschutzklage dennoch begründet. Die Kündigungen sind auch aus materiellen Gründen unwirksam.

Denn es liegt weder ein außerordentlicher (§626 Abs. 1 BGB) noch ein ordentlicher Kündigungsgrund (§ 1 KSchG) vor. Der Kläger hat durch sein Verhalten keinen Anlass zum Ausspruch einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung gegeben.

aa) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die erforderliche Überprüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund darstellt, vollzieht sich zweistufig: Im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht.

bb) Im Hinblick auf die Ausübung von Nebentätigkeiten gilt dabei Folgendes: Die fortgesetzte und vorsätzliche Ausübung offensichtlich nicht genehmigungsfähiger Nebentätigkeiten in Unkenntnis des Arbeitgebers stellt regelmäßig bereits ohne Hinzutreten besonderer Umstände an sich einen wichtigen Grund zur Kündigung i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB dar. Ein solcher Fall liegt vor, wenn der Arbeitnehmer über mehrere Jahre hinweg die Einholung der erforderlichen Nebentätigkeitsgenehmigungen schon deshalb unterlässt, weil ihm nach eigenem Bekunden die mangelnde Genehmigungsfähigkeit bewusst war (Schaub ArbR-HdB, § 127. Außerordentliche Kündigung Rn. 111, beck-online).

Zwar hat der Kläger seine Nebentätigkeit nicht, wie in § 6 seines Arbeitsvertrages vorgesehen, angezeigt und sich genehmigen lassen. Es handelt sich aber nicht um eine offensichtlich nicht genehmigungsfähige Nebentätigkeit. Hätte der Kläger die geforderte Anzeige getätigt, so wäre die Genehmigung von der Beklagten zu erteilen gewesen. Die Reinigungstätigkeit des Klägers fand sonntagsmorgens statt und hätte seine dienstlichen Aufgaben bei der Beklagten zeitlich nicht oder allenfalls unwesentlich behindert.

Die Kündigung lässt sich auch nicht auf die Nebentätigkeit des Klägers am 14.06.2020 und seine sodann aus Sicht der Beklagten verspätete Mitteilung am 21.06.2020 stützen. Denn der Kläger hat sich, nachdem er am Abend des 19.06.2020 einen Corona- Test absolviert hatte, am 21.06.2020 bei seiner Vorgesetzten gemeldet und nach Auffassung der Kammer damit seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen Genüge getan.

Dem Kläger kann auch keine Erhöhung des Infektionsrisikos durch seine aus Sicht der Beklagten verspätete Meldung vorgeworfen werden. Eine bestehende Infektionsgefahr kann nur dann einen Grund zur fristlosen Kündigung darstellen, wenn durch die Nebentätigkeit eine konkrete, nicht nur eine abstrakte Gefahr einer Infektion mit dem Corona-Virus entstehen würde, zumal eine solche, die in erheblichem Maße über das allgemeine Infektions-/Lebensrisiko hinausgeht. Eine solche konkretisierte, erheblich erhöhte Infektionsgefahr wird im Regelfall nicht gegeben sein und war nach Auffassung der Kammer auch hier nicht gegeben. Die negativen Testergebnisse des Klägers waren der Beklagten am 23.06.2020 und damit noch vor Ausspruch der Kündigung bekannt. Der Kläger arbeitete sonntagsmorgens in Schutzkleidung in Räumen bei der Firma V, in denen er mit sonstigen Produktionsmitarbeitern, da sonntags keine Produktion bei V stattfindet, nicht in Kontakt kam. Selbst wenn allein aufgrund der örtlichen und räumlichen Lage die abstrakte Gefahr einer Infektion mit dem Corona-Virus erheblich erhöht sein mag, ist ohne Vorliegen konkreter Anhaltspunkte nicht von einer konkreten Gefährdungslage auszugehen. Dies zumal die Beklagte davon ausgehen musste, dass der Kläger die krisenbedingt verschärften Arbeitsschutzvorschriften einhalten würde.

Sofern die Beklagte einwendet, es komme nicht darauf an ob es ein Infektionsrisiko gegeben habe oder nicht, sondern vordergründig für die Kündigung sei, dass der Kläger eigenmächtig entschieden habe die Beklagte nicht zu unterrichten, so reicht dieser Vorwurf nach Auffassung der Kammer nicht aus, um die Kündigung zu rechtfertigen. Entscheidend ist, welche Gefahr sich objektiv aus dem Pflichtverstoß zu verwirklichen drohte. Unerheblich ist, ob es tatsächlich zu einem Schaden, d.h. einer Infektion bei anderen Arbeitnehmern oder Dritten, gekommen ist oder nicht.

Dem Kläger kann nicht vorgeworfen werden, er hätte den Medien entnehmen müssen, dass es in anderen Schlachtbetrieben zu erhöhten Infektionszahlen gekommen war und dies sodann auf seine Nebentätigkeit übertragen müssen. Erst nach seiner Reinigungstätigkeit am 14.6.2020 häuften sich die Infektionen mit dem Corona-Virus im Kreis H in der V produktion. Die Allgemeinverfügung vom 18.6.2020 benennt in ihrer Begründung, dass innerhalb der Produktion der Firma V am Standort in S ein erhebliches Infektionsgeschehen vorliege. Daraus musste der Kläger als Fremdmitarbeiter, welcher sonntags ohne jeglichen Kontakt zu Produktionsmitarbeitern in Schutzkleidung reinigt, nicht schließen, dass er einem eventuell erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt war. Die Allgemeinverfügung vom 20.06.2020 bestimmt sodann die Absonderung in häusliche Quarantäne für alle auf dem Betriebsgelände der Firma V am Standort S tätigen Personen. Dieser Aufforderung ist der Kläger nachgekommen.

Der verbleibende Vorwurf, der Kläger hätte sich bereits am 19.06.2020 bei der Beklagten melden müssen, rechtfertigt aus Sicht der Kammer keine (fristlose) Kündigung. Der Kläger hat sich am Sonntag, 21.06.2020, noch vor Arbeitsantritt, bei der Beklagten gemeldet. Dem Kläger musste sich kein erhöhtes Infektionsrisiko aufgrund der Medienberichte aufdrängen, da er sonntags bei der Firma V in Schutzkleidung und ohne Kontakt zu Produktionsmitarbeitern die Schockfrosträume reinigte.

cc) Die von der Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 02.07.2020 ist ebenfalls, neben den o.g. formellen Fehlern, auch materiell unwirksam, § 1 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 KSchG.

Einzig in Betracht kam ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund. Eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen ist gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und idR schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist (Gallner/Mestwerdt/ Nägele, KSchG § 1 Rn. 193, beck-online).

Eine solche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten hat der Kläger nicht begangen. Wie oben ausgeführt bleibt der Vorwurf gegenüber dem Kläger, seine Nebentätigkeit nicht angezeigt zu haben, bestehen. Dies rechtfertigt aus Sicht der Kammer jedoch lediglich eine Abmahnung. Der dem Kläger darüber hinaus gemachte Vorwurf, sich nicht rechtzeitig bei der Beklagten gemeldet und damit das Infektionsrisiko erhöht zu haben, dringt aus den oben genannten Gründen auch als ordentlicher Kündigungsgrund nicht durch.

Dies gilt umso mehr, als der Zweck der verhaltensbedingten Kündigung im sog. Prognoseprinzip liegt. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich noch in der Zukunft belastend auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Es geht somit um die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses sowie um die Abwägung von Interessen im Zusammenhang mit der Frage, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Dauerschuldverhältnisses für die Zukunft zumutbar ist. Die Kündigung hat gerade keine Sanktionsfunktion (Gallner/Mestwerdt/ Nägele, Kündigungsschutzrecht, KSchG § 1 Rn. 194, beck-online).

Gemessen am Prognoseprinzip wiegt das Verhalten des Klägers nicht so schwer, dass eine zukünftige Zusammenarbeit der Parteien unzumutbar macht. Dem Kläger war aus o.g. Gründen nicht vorzuwerfen, dass er sich erst am 21.06.2020 bei der Beklagten meldete. Eine erhöhte Infektionsgefahr lag nicht vor. Der Kläger hat sein Fehlverhalten im Hinblick auf die nicht angezeigte Nebentätigkeit eingeräumt. Die Corona-Lage und ihre nicht überblickbaren Entwicklungen sind für jedermann mit neuen Situationen und unerwarteten Gegebenheiten verbunden. Der Kläger ist aus Sicht der Kammer entsprechend dieser Situation vorgegangen, als er sich noch vor erneutem Dienstantritt und nachdem er konkret von Testmöglichkeiten und Quarantäneanordnungen erfuhr, bei der Beklagten am 21.06.2020 meldete. Es steht zu erwarten, dass der Kläger für eventuelle ähnliche Vorkommnisse nunmehr sensibilisiert ist.

2. Der Kläger obsiegt auch mit seinem hilfsweise gestellten Antrag auf Weiterbeschäftigung.

a) Der Anspruch auf Weiterbeschäftigung im gekündigtem Arbeitsverhältnis nach dessen Ende beruht nach allgemeiner Ansicht unmittelbar auf der sich für den Arbeitgeber aus § 242 BGB unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG über den Persönlichkeitsschutz ergebenden arbeitsvertraglichen Förderungspflicht der Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers. Im Hinblick auf die ordentliche Kündigung ergibt er sich bei Widerspruch des Betriebsrats aus § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG.

b) Da der Weiterbeschäftigungsanspruch im Übrigen aus einer sich aus Treu und Glauben ergebenden Pflicht des Arbeitgebers herzuleiten ist, muss er allerdings dort zurücktreten, wo überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Der Arbeitgeber ist nach Treu und Glauben nicht verpflichtet, die Interessen des Arbeitnehmers ohne Rücksicht auf eigene überwiegende und schutzwerte Interessen zu fördern. Wird nämlich das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber gekündigt und wird das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses streitig, weil der gekündigte Arbeitnehmer die Kündigung für unwirksam hält und sich dagegen mit einer Klage zur Wehr setzt, so verändert sich dadurch die Interessenlage der Arbeitsvertragsparteien im Hinblick auf eine weitere tatsächliche Beschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers. Zwar ist Grundvoraussetzung für den allgemeinen Beschäftigungsanspruch stets der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses, so dass ein vertraglicher Beschäftigungsanspruch für die Dauer des Kündigungsrechtsstreits nur gegeben sein kann, wenn nach der objektiven Rechtslage die ausgesprochene Kündigung unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis demzufolge auch während des Kündigungsprozesses fortbesteht. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Kündigungsprozesses herrscht aber Ungewissheit über die objektive Rechtslage. Gerade diese Ungewissheit ist es, die sich auf die Interessenlage auswirkt und sie verändert. Bis zur Entscheidung der ersten Instanz im Kündigungsschutzprozess ist nach Ablauf der Kündigungsfrist ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers anzuerkennen, (NZA-RR 2020, 475 Rn. 43, 44). Nach einem erstinstanzlich obsiegenden Urteil dreht sich die Interessenlage regelmäßig zugunsten des Arbeitnehmers um, da die größere Vermutung der Unwirksamkeit der Kündigung nunmehr das Interesse an tatsächlicher Beschäftigung überwiegen lässt. Ausnahmen zugunsten des Arbeitgebers ergeben sich nur noch im Einzelfall. Insofern gelten die Grundsätze zur vorläufigen Suspendierung des Arbeitnehmers im Rahmen des bestehenden Beschäftigungsverhältnisses. Darüber hinaus können auch die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und die Art seines Arbeitsbereichs sowie eine generelle wirtschaftliche Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung das Arbeitgeberinteresse überwiegen lassen.

Gemessen an diesen Grundsätzen fehlt es an einem überwiegenden Interesse der Beklagten. Die Weiterbeschäftigung des Klägers ist der Beklagten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits ist der Beklagten aus oben bereits genannten Gründen zumutbar.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits als unterlegene Partei, § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 495, 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

III. Der Streitwert war gem. § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen und mit drei Bruttomonatsgehältern für den Bestandsschutz und einem Bruttomonatsgehalt für den Weiterbeschäftigungsantrag zu bemessen.

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