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Kündigung Busfahrer wegen Beleidigungen und Unfreundlichkeit gegenüber Fahrgästen

Kündigungsrecht auf der Probe: Entlassung eines Busfahrers nach Vorwürfen der Beleidigung und Unfreundlichkeit

In einer kontroversen Entscheidung hat das Landesarbeitsgericht Köln die Berufung einer Verkehrsgesellschaft gegen ein vorheriges Urteil des Arbeitsgerichts Aachen abgewiesen (Aktenzeichen: 11 Sa 518/20). Dieser Fall konzentriert sich auf die Entlassung eines Busfahrers, der nach mehreren Beschwerden von Fahrgästen wegen Beleidigung und Unfreundlichkeit gekündigt wurde. In diesem Kontext wird die Rechtsfrage aufgeworfen, ob derartige Vorwürfe ausreichen, um eine wirksame Kündigung zu begründen. Die Hauptproblematik liegt hierbei in der Abwägung zwischen den Interessen des Arbeitgebers an einem höflichen und professionellen Umgang seiner Angestellten mit der Kundschaft und dem Kündigungsschutz des Arbeitnehmers.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 11 Sa 518/20 >>>

Strittige Kündigung und Anschuldigungen

Die Kündigung war Gegenstand eines Rechtsstreits, in welchem neben der Wirksamkeit der Entlassung auch weitere Punkte behandelt wurden. Dazu gehörten die Pflicht zur Beschäftigung bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens, die Entfernung von zwei Abmahnungen aus der Personalakte des Busfahrers sowie die Rückzahlung von Vergütung. Ein weiterer strittiger Punkt war der Auflösungsantrag des Arbeitgebers, mit welchem dieser trotz einer eventuell unwirksamen Kündigung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erreichen wollte.

Berufungsverfahren und Argumentation der Parteien

In dem Berufungsverfahren legte die Verkehrsgesellschaft dar, warum sie die Entscheidung des Arbeitsgerichts Aachen für rechtlich fehlerhaft hält. Die Argumentation sollte dabei auf die spezifischen Umstände des Falls abgestimmt sein und sich mit den rechtlichen und tatsächlichen Argumenten des vorherigen Urteils auseinandersetzen. Besonders diskutiert wurde, ob das Verhalten des Busfahrers, der angeblich einen Bus mit lärmenden Kindern anhielt und die Türen bis zum Eintreffen der Polizei geschlossen hielt, eine fristlose oder zumindest ordentliche Kündigung rechtfertigen könnte.

Relevanz des Verhaltens des Arbeitnehmers für die Kündigung

Zusätzlich zur Kündigung war die Pflicht des Arbeitgebers zur weiteren Beschäftigung des Fahrers ein zentraler Aspekt des Rechtsstreits. Hierbei stellte sich die Frage, ob der Arbeitnehmer sich so verhalten hat, dass eine weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien nicht mehr erwartet werden kann. Auch lange zurückliegende Umstände und deren Auswirkungen auf die zukünftige Zusammenarbeit wurden berücksichtigt. Im Kontext dieses Falles spielten auch wahrheitswidrige Angaben des Arbeitnehmers im Prozess eine Rolle, die unter bestimmten Umständen eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen können.

Perspektive des Arbeitnehmers und abschließende Beurteilung

In ihrer abschließenden Bewertung betonte die Beklagte, dass der Busfahrer lediglich seine subjektive Sicht eines Alltagskonflikts darstellte und den Fahrgast nicht bewusst der Falschaussage bezichtigte. Damit lehnte das Gericht die Berufung der Verkehrsgesellschaft ab und bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts Aachen. Die Entscheidung wirft weiterhin Fragen zur Auslegung von Beleidigungen und Unfreundlichkeit im Arbeitskontext und zur Verhältnismäßigkeit von Kündigungen auf.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 11 Sa 518/20 – Urteil vom 14.04.2021

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 18.06.2020 – 3 Ca 3431/19 – wird einschließlich des Auflösungsantrages kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten zuletzt um die Wirksamkeit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses, die Verpflichtung zur Beschäftigung bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens, die Entfernung von zwei Abmahnungen aus der Personalakte sowie die Rückzahlung von Vergütung und einen Auflösungsantrag der Arbeitgeberin.

Kündigung Busfahrer wegen Beleidigungen und Unfreundlichkeit gegenüber Fahrgästen
Entlassung eines Busfahrers nach Beleidigungs-Vorwürfen: Balancieren zwischen professionellem Verhalten und Kündigungsschutz. (Symbolfoto: Ground Picture /Shutterstock.com)

Die Klägerin ist bei der Beklagten, einem Busunternehmen, welches als Subunternehmerin für öffentliche Nahverkehrsunternehmen tätig ist, seit dem 16.06.2018 als Busfahrerin auf Grundlage des Arbeitsvertrags vom 30.05.2018 (Bl. 37 ff. d. A.) beschäftigt. Zu den Auftraggeberinnen gehört u. a. die A -AG (A ).

Aufgrund einer Kundenbeschwerde erteilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 18.06.2019 eine Abmahnung. Sie hielt der Klägerin vor, sie habe sich unfreundlich gegenüber einem Fahrgast geäußert und forderte die Klägerin sinngemäß auf, sich künftig ordentlich und menschlich gegenüber den Kunden zu verhalten. Wegen der weiteren Einzelheiten des Abmahnungsschreibens vom 18.06.2019 wird auf Bl. 43 d. A. verwiesen.

Nachdem die A mit E-Mail vom 09.07.2019 die Beklagte über diverse Kundenbeschwerden wegen eines angeblich unfreundlichen und beleidigenden Verhaltens der Klägerin unterrichtet hatte (Bl. 45 d. A.), mahnte die Beklagte die Beklagte die Klägerin erneut mit Schreiben vom 09.07.2019 (Bl. 52 d. A.) ab.

Die A gab der Beklagten mit E-Mail vom 14.10.2019 weitere Kundenbeschwerden bekannt, u.a. drei Beschwerden vom 01.01.2019 betreffend die Linie 42. Wegen der weiteren Einzelheiten der E-Mail vom 14.10.2019 wird auf Bl. 47 ff. d. A. Bezug genommen. Die Linie 42 wird von mehreren Bussen gleichzeitig bedient. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Kundenbeschwerden den von der Klägerin gesteuerten Bus betreffen.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 15.10.2019 fristlos mit sofortiger Wirkung, hilfsweise mit der gesetzlichen Kündigungsfrist (Bl. 50 d. A.).

Die Beklagte hat den Lohn der Klägerin bis zum 31.10.2019 abgerechnet und an die Klägerin ausgezahlt.

Die Kündigungsschutzklage der Klägerin war vor dem Arbeitsgericht erfolgreich. Mit Urteil vom 18.06.2000 (Bl. 100 ff. d. A.) hat das Arbeitsgericht u. a. festgestellt, dass die Kündigung vom 15.10.2019 das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat. Es hat die Beklagte verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiterzubeschäftigen und die Abmahnungen vom 18.06.2019 und 09.07.2019 aus der Personalakte zu entfernen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe nicht hinreichend vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass die Klägerin in den Vorfall vom 01.10.2019 verwickelt gewesen sei. Das Vorbringen der Beklagten sei widersprüchlich, eine Pflichtverletzung der Klägerin liege nicht vor. Die erteilten Abmahnungen seien zu unbestimmt und daher aus der Personalakte zu entfernen. Die am 28.01.2020 zugestellte Widerklage auf Rückzahlung der Vergütung für die zweite Oktoberhälfte sei unbegründet, denn die Zahlung sei mit Rechtsgrund erfolgt. Die Klägerin könne den Lohn aufgrund Annahmeverzugs beanspruchen, da die Kündigungsschutzklage erfolgreich gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens und der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichtes wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen das ihr am 01.07.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16.07.2020 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 01.10.2020 begründet.

Die Beklagte hält die Täterschaft der Klägerin für den Kündigungsvorfall vom 01.10.2019 aufgrund der Eintragungen in der Tacho-Scheibe des Kraftfahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen , Dienstplan, Fahrtenbucheintrag und Einbuchungsdaten der A für bewiesen. Die Klägerin hätte im Falle der Überforderung aufgrund des Verhaltens der beförderten Kinder per Funk die Leitstelle der A oder die Disposition der Beklagten informieren können und müssen. Stattdessen habe die Klägerin die Kinder 10 bis 15 Minuten im Bus eingesperrt, in der Absicht, ihnen Angst einzujagen. Der wiederholt wissentlich, unwahre Sachvortrag der Klägerin sowie die Bezeichnung der Fahrgastbeschwerde vom 08.06.2019 als Falschaussage rechtfertige die Auflösung des Arbeitsverhältnisses.

Die Beklagte beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 18.06.2020, Az. 3 Ca 3431/19, abzuändern, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die Klage insgesamt abzuweisen;

2. das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen aufzuheben, soweit es die Widerklage abgewiesen hat und die Klägerin zu verurteilen, überzahlte Vergütung für den Monat Oktober 2019 in Höhe 1.239,16 EUR nebst 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Beklagte zu zahlen;

3. das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 16.11.2019 gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die aber EUR 2.4000,00 nicht überschreiten sollte, aufzulösen.

Die Klägerin beantragt,

1. die Berufung zurückzuweisen;

2. den Auflösungsantrag des Berufungsklägers zurückzuweisen.

Die Klägerin bestreitet den behaupteten Hergang des Geschehens am 01.10.2019 sowie ihre Beteiligung daran. Sie habe auch nicht wahrwidrig im Prozess vorgetragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 01.10.2020, 16.10.2020, 08.02.2021, 26.03.2021, 01.04.2021 und 13.04.2021, die Sitzungsniederschrift vom 14.04.2021 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Verurteilung auf Entfernung der Abmahnungen vom 18.06.2021 und 09.07.2021 aus der Personalakte richtet, denn die Berufungsbegründung setzt sich nicht ansatzweise mit der Argumentation des Arbeitsgerichtes zur mangelnden Bestimmtheit der Abmahnungen auseinander.

In der Berufungsbegründung muss aber für jeden der Streitgegenstände eine den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO genügende Begründung gegeben werden. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig (BAG, Urt. v. 08.05.2008 – 6 AZR 517/07 – m. w. N.). Die aufgrund § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG anwendbare Vorschrift des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO erfordert dabei eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Eine schlüssige, rechtlich haltbare Begründung kann zwar nicht verlangt werden, doch muss die Berufungsbegründung auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Sie muss erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist und auf welchen Gründen diese Ansicht im Einzelnen beruht (BAG Urt. v. 24.10.2019 – 8 AZR 528/18 – m. w. N.). Formelhafte Wendungen oder bloße Bezugnahmen und Wiederholungen des erstinstanzlichen Vorbringens genügen nicht (BAG, Urt. v. 19.02.2013 – 9 AZR 543/11 – m. w. N.).

II. Im Übrigen ist die Berufung der Beklagten zulässig, denn sie ist nach § 64 Abs. 2b) und c) ArbGG statthaft und wurde ordnungsgemäß innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG begründet.

III. Der Berufung der Beklagten bleibt der Erfolg versagt. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Kündigung vom 15.10.2019 das Arbeitsverhältnis weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst hat. Die Beklagte ist daher verpflichtet, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Omnibusfahrerin weiterzubeschäftigen. Aufgrund des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses war die Beklagte zur Zahlung des Lohns für die zweite Oktoberhälfte 2019 verpflichtet. Die Berufungsbegründung rechtfertigt keine Abänderung der Entscheidung des Arbeitsgerichts.

1. Eine Pflichtverletzung der Klägerin am 01.10.2019, die die Grundlage für eine soziale Rechtfertigung der Kündigung (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG) oder sogar einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen könnte, ist nicht hinreichend feststellbar.

a) Dass der Polizeibericht vom 03.02.2020 (Bl. 62 f. d. A.) nicht den streitigen Kündigungsvorfall betrifft, hat die Beklagte auf Nachfrage des Berufungsgerichtes im Verhandlungstermin vom 14.04.2021 klar gestellt. Der Bericht dokumentiert vielmehr ein weiteres Geschehen am 01.10.2019 gegen 14 Uhr wegen lärmender Kinder bzw. pöbelnder Jugendlicher in einem Bus der Linie 42.

b) Der behauptete Kündigungsvorfall bezüglich der Linie 42 soll sich vielmehr laut dritter Kundenbeschwerde (Bl. 48 d. A.) am 01.10.2019 bei der K Gesamtschule S , Standort M , zwischen 15:00 Uhr und 15:30 Uhr zugetragen haben. Auch die A hat mit E-Mail vom 11.05.2020 (Bl. 203 d. A.) bestätigt, dass es sich um einen Vorfall am 01.10.2019 mit Schülern handelt, welcher um ca. 15:00 Uhr stattgefunden haben soll und auf den sich die drei Kundenbeschwerden beziehen.

c) Dem Dienstplan Oktober 2019 (Bl. 195, 245 d .A.) ist zu entnehmen, dass die Klägerin in der Dienstzeit 12:05 Uhr bis 20:48 Uhr für AC Plan 7 eingeteilt war. Der Dienstplan 7 (Schule) MF, gültig ab dem 28.08.2019, weist ohne personelle Zuordnung u. a. für die Linie 42 eine Einsatzzeit von 14:26 Uhr bis 15:27 Uhr G Kapelle – H Straße aus. Die Klägerin soll nach dem Vorbringen der Beklagten gegen 12:00 Uhr die Kollegin St abgelöst und das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen gesteuert haben. Die Beklagte hat zum Nachweis, dass die Klägerin dieses Fahrzeug am 01.10.2019 gesteuert hat, das Fahrtenbuch (Bl. 242 ff. d. A.) vorgelegt. Dass und wann mit diesem Fahrzeug die Linie 42 bedient worden ist, ist den Dienstplänen und dem Fahrtenbuch nicht zu entnehmen. Wenn jedoch – wie von der Beklagten behauptet – dieses Fahrzeug auf der Linie 42 eingesetzt wurde und es aufgrund des Vorfalls mit Schülern 10 bis 15 Minuten still gestanden haben soll, so müsste dies anhand der von der Beklagten vorgelegten Tachoscheibe (Bl. 194 d. A.) nachvollziehbar sei. Dies ist jedoch nicht der Fall, die Kopie des mechanischen Tachographen weist für den Zeitraum 15:00 bis 15:30 Uhr keinerlei relevante Zeitunterbrechung auf. Die erkennbare zeitliche Unterbrechung kurz nach 14:00 Uhr ist hingegen unbeachtlich, denn der streitige Vorfall soll sich zwischen 15:00 und 15:30 Uhr zugetragen haben. Weitere, nahe liegende Beweismittel wie etwa die Benennung von Fahrgästen als Zeugen, die unmittelbar persönlich den angeblichen Zwischenfall wahrgenommen waren, hat die Beklagte nicht angeboten. Vor diesem Hintergrund ist die Beklagte für die von ihr behauptete Verwicklung der Klägerin in den Kündigungsvorfall beweisfällig geblieben. Es kann daher zum einen dahin stehen, ob und in welcher Art und Weise sich der Vorfall überhaupt zugetragen hat, d.h. ob die Klägerin etwa einen Bus mit lärmenden Kindern gestoppt hat un d die Türen verschlossen hielt bis zum Eintreffen der von der fahrenden Person gerufenen Polizei. Zum anderen kann offen bleiben, ob ein solches Verhalten unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund oder zumindest eine ordentliche Kündigung hätte sozial rechtfertigen können.

2. Hinsichtlich der aus der Unwirksamkeit der Kündigung vom 15.10.2019 folgenden Beschäftigungspflicht der Beklagten und der Unbegründetheit der Widerklage wird zum Zwecke der Vermeidung auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

3. Der Auflösungshilfsantrag der Beklagten ist unbegründet, denn hinreichende Auflösungsgründe im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG liegen nicht vor.

a) Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber i. S. v. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, eine Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm übertragenen Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten, des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit gefährdet ist. Zu diesem Zeitpunkt können aufgrund der zeitlichen Entwicklung und damit veränderter tatsächlicher oder rechtlicher Umstände länger zurückliegende Umstände ihre Bedeutung für die erforderliche Zukunftsprognose verloren haben (BAG, Urt. v. 19.11.2015- 2 AZR 217/15 – m. w. N.). Auch bewusst wahrheitswidriger Prozessvortrag eines Arbeitnehmers in einem Kündigungsrechtsstreit, den dieser hält, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess zu verlieren, ist geeignet, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der wahrheitswidrige Vortrag letztlich entscheidungserheblich ist. Entscheidend ist, dass der „untaugliche Versuch“ eines „Prozessbetrugs“ das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers irreparabel zerstört (BAG, Urt. v. 24.05.2018 – 2 AZR 73/18 -).

b.) Wie bereits unter III. 1.c) dargelegt, lässt sich nicht positiv feststellen, dass die Klägerin für den Vorfall am 01.10.2019 ab 15:00 Uhr verantwortlich war, ihr Bestreiten der Beteiligung lässt sich daher nicht als bewusst wahrheitswidriger Prozessvortrag qualifizieren. Hinsichtlich ihrer Einlassung zur Kundenbeschwerde des Fahrgastes Schnell vom 08.06.2019 (Bl. 262 d. A.) ist zunächst zu bemerken, dass die Beschwerde zwar eine unangemessene Zurechtweisung seitens der Klägerin enthält. Sie soll den Kunden, der sich nach dem Linienverlauf erkundigt hatte, in lautem Tonfall mit den Worten, ob er nicht lesen könne, geantwortet haben. Welche Schimpfwörter gefallen sein sollen, ist nicht wieder gegeben. Wenn die Klägerin hierauf erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 14.02.2020 entgegnet, sie habe sich aus ihrer Sicht zuvorkommend verhalten, vielmehr sei der Fahrgast aufbrausend gewesen und habe sie als blöde Schlampe bezeichnet, so hält sich ihr Vorbringen im Bereich der Wahrnehmung berechtigter Interessen. Die Klägerin stellt erkennbar ihre subjektive Sicht eines Alltagskonfliktes dar, sie hat damit den Fahrgast entgegen der Darlegung der Beklagten auch nicht der bewussten Falschaussage bezichtigt.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

V. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

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