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Kündigung während Probezeit – Treuwidrigkeit

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 5 Sa 13/21 – Urteil vom 27.05.2021

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 9. Dezember 2020, Az. 7 Ca 1789/20, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Wartezeitkündigung.

Der 1971 geborene Kläger war seit dem 16. April 2020 im Tiefbaubetrieb der Beklagten als Kraftfahrzeugfahrer (mit den Führerscheinklassen C1, C, C1E) zu einem Bruttomonatsentgelt von € 2.296,00 beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der für allgemeinverbindlich erklärte Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV-Bau) Anwendung. Die tarifliche Kündigungsfrist beträgt in den ersten sechs Monaten sechs Werktage (§ 11 Nr. 1.1. BRTV-Bau).

Am 4. Mai 2020 war ein Waldweg mit Basaltsplitt aufzufüllen, um den Weg zu verbreitern und zu befestigen. Der auf der Baustelle anwesende Geschäftsführer der Beklagten erteilte dem Kläger den Auftrag, den Basaltsplitt mit einem Lkw (allradgetriebener 26-Tonner mit 3 Achsen) von der Lagerstelle bis zur Baustelle zu transportieren und dort abzukippen. Nachdem der Kläger vier Fahrten durchgeführt hatte, rutschte der Lkw auf der fünften Fahrt an einer Seite des Weges ab und stürzte die Böschung hinunter. Es ist streitig, auf wessen Fehlverhalten der Unfall beruht. Der Kläger verletzte sich und war bis zum 22. Mai 2020 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Am Lkw entstand ein Totalschaden iHv. € 150.000,00.

Mit Schreiben vom 5. Mai 2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 12. Mai 2020. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 19. Mai 2020 erhobenen Klage. Er ist der Ansicht, die Kündigung sei treuwidrig, weil ihm die Beklagte wegen des Unfalls gekündigt habe. Der Lkw sei nicht „waldweggeeignet“ gewesen, der linke Vorderreifen „so gut wie“ abgefahren. Er sei Opfer einer falschen Arbeitgeberanweisung geworden. Der Geschäftsführer habe den Waldweg mit einer Raupe vor der Unfallfahrt so bearbeitet, dass der Untergrund nicht mehr stabil gewesen sei. Der Geschäftsführer sei selbst für den Schaden verantwortlich. Er wolle sich durch die Kündigung bei ihm dafür rächen, dass es zu dem folgenschweren Schaden gekommen sei.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass die von der Beklagten mit Schreiben vom 5. Mai 2020 ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses unwirksam ist,

2. ergänzend bzw. hilfsweise vorsorglich festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm den Schaden zu ersetzen, der ihm durch die Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses entstanden ist bzw. noch entstehen wird.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 9. Dezember 2020 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung der Beklagten sei nicht treuwidrig. Durch den Totalschaden am Lkw sei das für den Arbeitseinsatz des Klägers erforderliche Betriebsmittel weggefallen. Die Beklagte habe unwidersprochen vorgetragen, dass sie nur über einen Lkw dieser Art verfügt habe. Es sei unerheblich, wer für den Unfall verantwortlich sei. Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag zu Ziff. 2) sei nicht zur Entscheidung angefallen. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 9. Dezember 2020 Bezug genommen.

Gegen das am 15. Dezember 2020 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 11. Januar 2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

Er macht geltend, das Arbeitsgericht habe dem angefochtenen Urteil einen falschen Sachverhalt zugrunde gelegt. Er sei am 4. Mai 2020 angewiesen worden, von einem weiter entfernten Lagerplatz Füllmaterial (Splitt) für einen zu verbreiternden an einem Hang verlaufenden Waldweg anzufahren und abzukippen. Nach vier Fahrten habe der Geschäftsführer der Beklagten in seiner Abwesenheit – für ihn nicht erkennbare – Ausgrabungsarbeiten durchgeführt, die zur Instabilität der verbleibenden Waldwegfläche geführt hätten. Auf der fünften Fahrt sei er mit dem Lkw abgerutscht und in die Tiefe gestürzt. Er müsse sich nicht den Vorwurf gefallen lassen, den Unfall schuldhaft verursacht zu haben, denn er sei trotz fehlender Bankette angewiesen worden, den instabilen Weg mit dem schweren Lkw zu befahren. Der Geschäftsführer hätte ihn (zB. mit einem Signal) warnen müssen, nachdem er durch seine Baggerarbeiten den Weg destabilisiert habe.

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich, das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 9. Dezember 2020, Az. 7 Ca 1789/20, abzuändern und

1. festzustellen, dass die von der Beklagten mit Schreiben vom 5. Mai 2020 ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses unwirksam ist,

2. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Klageantrag zu Ziff. 1) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm den Schaden zu ersetzen, der ihm durch die Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses entstanden ist bzw. noch entstehen wird.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die Berufung sei bereits unzulässig, jedenfalls unbegründet. Da das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung finde, sei sie berechtigt gewesen, dem Kläger ordentlich zu kündigen. Ihre Kündigung sei nicht treuwidrig. Der Kläger habe den Unfall allein schuldhaft verursacht. Er habe die Bankette des Waldwegs befahren, der – selbst für einen Laien erkennbar – die erforderliche Befestigung gefehlt habe. Da der Waldweg breit genug gewesen sei, habe für das Befahren der Bankette, die unter der Last des vollgeladenen Baufahrzeugs eingebrochen sei, kein Anlass bestanden. Da am fabrikneuen Lkw durch den Unfall ein Totalschaden entstanden sei, habe sie für den Kläger keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Sie ist teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet.

I.

Die Berufung ist unzulässig, soweit das Arbeitsgericht angenommen hat, dass der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag zu Ziff. 2) nicht zur Entscheidung angefallen sei. Der Kläger hat sich in der Berufungsbegründung damit nicht auseinandergesetzt.

Eine Berufungsbegründung muss gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben. Bei mehreren Streitgegenständen muss für jeden eine solche Begründung gegeben werden. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Begründetheit des einen Anspruchs denknotwendig von der des anderen abhängt (vgl. BAG 19.02.2020 – 5 AZR 189/18 – Rn. 12 mwN).

Wie der Klägervertreter in der mündlichen Berufungsverhandlung auf Befragen klargestellt hat, will er mit dem Klageantrag zu Ziff. 2) für den Fall des Unterliegens mit dem Klageantrag zu Ziff. 1) Schadensersatzansprüche, insbesondere wegen Verdienstausfalls, festgestellt haben. Auf Schadensersatzansprüche geht die Berufung mit keiner Silbe ein. Sie ist deshalb insoweit bereits unzulässig.

II.

Soweit die Berufung zulässig ist, ist sie unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Kündigung der Beklagten vom 5. Mai 2020 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der tarifvertraglichen Kündigungsfrist von sechs Werktagen am 12. Mai 2020 beendet.

1. Bei Zugang der Kündigung war die Wartezeit von sechs Monaten iSv. § 1 Abs. 1 KSchG nicht erfüllt.

Gemäß § 1 Abs. 1 KSchG bedarf eine Kündigung zu ihrer Wirksamkeit der sozialen Rechtfertigung, wenn das Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat. Sinn und Zweck dieser „Wartezeit“ ist es, den Parteien des Arbeitsverhältnisses für eine gewisse Zeit die Prüfung zu ermöglichen, ob sie sich auf Dauer binden wollen (vgl. zB BAG 20.02.2014 – 2 AZR 859/11 – Rn. 18 mwN).

Das zwischen den Parteien ab 16. April 2020 begründete Arbeitsverhältnis bestand im Kündigungszeitpunkt am 5. Mai 2020 noch keine sechs Monate. Die Beklagte konnte daher das Arbeitsverhältnis der Parteien unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist von sechs Werktagen (§ 11 Nr. 1.1. BRTV-Bau) zum 12. Mai 2020 kündigen, ohne dass es zur Wirksamkeit der Kündigung eines Kündigungsgrundes iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedurfte. Der Arbeitgeber kann aus Motiven kündigen, die weder auf personen-, verhaltens- noch betriebsbedingten Erwägungen beruhen, solange die Kündigung nicht aus anderen Gründen (zB §§ 138, 242 BGB) unwirksam ist (vgl. BAG 21.04.2016 – 8 AZR 402/14 – Rn. 29 mwN).

2. Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Kündigung der Beklagten vom 5. Mai 2020 nicht treuwidrig iSv. § 242 BGB ist.

a) Während der gesetzlichen Wartezeit des § 1 KSchG ist der Arbeitnehmer lediglich vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt. In dieser Zeit ist das Vertrauen des Arbeitnehmers in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses dadurch beschränkt, dass er mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne den Nachweis von Gründen rechnen muss. Umgekehrt hat der Arbeitgeber bei der Einstellung eines Arbeitnehmers regelmäßig ein berechtigtes Interesse daran, prüfen zu können, ob der neue Mitarbeiter seinen Vorstellungen entspricht. In der Wartezeit erfolgt daher grundsätzlich nur eine Missbrauchskontrolle. Auch unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben verstößt eine Kündigung in der Wartezeit deshalb nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind. Eine solche Kündigung ist nicht willkürlich, wenn für sie ein irgendwie einleuchtender Grund besteht (vgl. BAG 22.04.2010 – 6 AZR 828/08 – Rn. 41 mwN). Ansonsten würde in diesen Fällen über § 242 BGB der kraft Gesetzes ausgeschlossene Kündigungsschutz doch gewährt und damit die Möglichkeit des Arbeitgebers eingeschränkt werden, die Eignung des Arbeitnehmers für die geschuldete Tätigkeit in seinem Betrieb und Unternehmen während der gesetzlichen Wartezeit zu überprüfen.

b) Der darlegungs- und beweisbelastete Kläger hat auch zweitinstanzlich keinen Sachverhalt vorgetragen, der eine Treuwidrigkeit der Kündigung vom 5. Mai 2020 nach § 242 BGB indiziert.

Es ist nicht treuwidrig, dass die Beklagte das Arbeitsverhältnis einen Tag nach dem Unfall vom 4. Mai 2020, der sich – aus streitiger Ursache – auf dem Waldweg ereignet hat, kündigte. Für die vom Kläger aufgestellte Behauptung, die Kündigung sei lediglich als „Vergeltungsaktion“ oder aus „Rache“ erklärt worden, weil es zu dem folgenschweren Unfall gekommen sei, fehlt die notwendige Tatsachengrundlage. Der Kläger verkennt, dass die Beklagte in der sechsmonatigen Wartezeit prüfen konnte, ob er ihren Vorstellungen entspricht, insbesondere über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um als Berufskraftfahrer im Baustellenbetrieb zu arbeiten. Die Beklagte war mit der Arbeitsweise des Klägers offensichtlich nicht zufrieden. Sie ist der Ansicht, dass er den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt hat. Ob diese Einschätzung objektiv zutrifft, ist entgegen der Auffassung des Klägers für die Wirksamkeit der Wartezeitkündigung nicht relevant. Für den Vorwurf des Klägers, der Geschäftsführer der Beklagten habe durch die von ihm durchgeführten Baggerarbeiten die Stabilität des Waldwegs reduziert (bzw. vollkommen beseitigt) und ihn pflichtwidrig nicht vor der Gefahr gewarnt, obwohl der Absturz des Lkw`s „geradezu vorprogrammiert“ gewesen sei, hat der Kläger keinerlei überprüfbaren Tatsachen angegeben. Die von ihm beantragte Ortsbesichtigung musste das Arbeitsgericht nicht durchführen. Hinzu kommt, wie das Arbeitsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, dass die Beklagte den Kläger nach dem Unfall nicht mehr als Kraftfahrer beschäftigen konnte, weil der Lkw, den er im Baustellenbetrieb führen sollte, einen Totalschaden erlitten hat. Die Beklagte war entgegen der Ansicht des Klägers nicht verpflichtet, kurzfristig ein Ersatzfahrzeug zu besorgen, um die Kündigung zu vermeiden. Der Kläger hatte noch keinen gesetzlichen Kündigungsschutz. Grundsätzlich ist es nun einmal so, dass für den Arbeitgeber vor Ablauf der gesetzlichen Wartezeit Kündigungsfreiheit herrscht.

III.

Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

 

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