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Kündigung wegen Betriebsstilllegung

ArbG Gera – Az.: 3 Ca 111/22 – Urteil vom 08.11.2022

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 6.300,00 € festgesetzt.

4. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Zusammenfassung

In diesem Fall am Arbeitsgericht Gera ging es um die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses durch eine Arbeitgeberkündigung aufgrund einer Betriebsstilllegung. Die Arbeitgeberin hatte aufgrund einer Insolvenz in Eigenverwaltung versucht, den Geschäftsbetrieb zu sanieren und zu veräußern, was jedoch scheiterte. Der Insolvenzverwalter entschied sich für eine Betriebsstilllegung, bei der auch die Klägerin entlassen wurde. Das Gericht entschied, dass die Kündigung wirksam war, da die Betriebsstilllegung ernsthaft und endgültig war und es keine Sozialauswahl geben musste, da alle Arbeitsplätze im Unternehmen wegfielen. Eine Betriebsübernahme durch den Käufer der Anlagen und Maschinen fand nicht statt, da diese nicht die notwendigen Voraussetzungen dafür erfüllte. Die Klage wurde abgewiesen, und die Kosten des Rechtsstreits wurden der Klägerin auferlegt. Die Berufung wurde nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses durch eine Arbeitgeberkündigung wegen Betriebsstilllegung.

Zwischen der Klägerin und der H. bestand seit dem 05.04.1994 ein Arbeitsverhältnis. Zuletzt war die Klägerin als Molkereifacharbeiterin/Fachkraft für Arbeitsschutz und Pandemiebeauftragte in Vollzeit zu einem Stundenlohn von 12,00 € zuzüglich einer Zulage von 200,00 € beschäftigt. Die durchschnittliche Vergütung betrug 2.100,00 € pro Monat.

Am 08.11.2021 beantragte die H., bei welcher kein Betriebsrat gebildet war, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung mit dem Ziel, den Geschäftsbetrieb zu sanieren und zu veräußern. Das Amtsgericht Gera beschloss am 08.11.2021 unter dem Az. 8 IN 237/21 zur Verhütung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage der Schuldnerin die Anordnung der vorläufigen eigenen Verwaltung und bestellte den Beklagten zum vorläufigen Sachwalter. Mit Beschluss vom 11.11.2021 setzte es einen vorläufigen Gläubigerausschuss ein. Die H. suchte unter Einsatz eines beauftragten Unternehmens im Rahmen eines Mergers & Akquisitionsverfahren nach Investoren, was innerhalb der bis zum 15.12.2021 gesetzten Bieterfrist nicht gelang. Seitens der Rohmilchlieferanten bestand ohne strategischen Investor keine Bereitschaft, über den 31.12.2021 die Belieferung fortzuführen.

Mit Beschluss vom 20.12.2021 beschloss der Vorstand der H. die Einstellung des Geschäftsbetriebes mit Ablauf des 31.12.2021, die Rücknahme des Antrages auf Eigenverwaltung und die Stilllegung. Der von der Stilllegungsabsicht am 16.12.2021 informierte Gläubigerausschuss stimmte am 23.12.2021 der Betriebsstilllegung zu. Mit Beschluss vom 01.01.2022 eröffnete das Amtsgericht über das Vermögen der H. das Insolvenzverfahren und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter.

Der Beklagte hielt an dem Beschluss zur Unternehmensstilllegung fest und begann diesen umzusetzen. Die Produktion blieb seit Ende des Jahres 2021 eingestellt. Anschließend wurden nur noch gelieferte Rohmilch und bereits erzeugte Rohmilchprodukte abverkauft.

Unter dem 01.01.2022 erstellte der Beklagte eine Massenentlassungsanzeige, wonach von 92 bei der Gemeinschuldnerin beschäftigten Arbeitnehmern 88 Arbeitnehmer im voraussichtlichen Zeitraum vom 03.01.2022 bis zum 01.02.2022 entlassen werden sollten. Er teilte mit, dass weitere 3 Arbeitnehmer bereits eine Eigenkündigung zum 15.01.2022 ausgesprochen hatten und eine Arbeitnehmerin dem Sonderkündigungsschutz nach dem Mutterschutzgesetz unterlag. Die Bundesagentur für Arbeit setzte auf die ihr am 03.01.2022 um 11:48 Uhr eingegangene Entlassungsanzeige eine Entlassungssperre von einem Monat fest.

In einer Betriebsversammlung am 03.01.2022 um 14:00 Uhr informierte der Beklagte die Mitarbeiterschaft von dem Beschluss zur Betriebsstilllegung. Anschließend übergab er den anwesenden Mitarbeitern jeweils die Kündigung bzw. stellte sie bei Abwesenheit per Boten zu. Alle Arbeitsverhältnisse wurden unter Einhaltung der gesetzlichen Mindestkündigungsfrist unter Beachtung der gesetzlichen Höchstkündigungsfrist im Falle der Insolvenz von 3 Monaten bis spätestens 30.04.2022 gekündigt. Mit Ausnahme eines Abwicklungsteams wurden alle Mitarbeiter von der Arbeitspflicht freigestellt.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30.04.2022 und stellte sie bis zum Beendigungszeitpunkt unwiderruflich von der Arbeitspflicht frei.

Der Beklagte verkaufte den Anlagen- und Maschinenbestand als Gesamtpaket an die P. (PIPM). Mit Schreiben vom 17.06.2022 teilte die PIPM der Klägerin mit, dass sie nach Kauf des gesamten Bestandes mit erster Priorität nach einem Käufer suche, der die seit Ende letzten Jahres eingestellte Produktion wieder aufnehmen möchte. Hilfsweise würden die Maschinen und Anlagen einzeln verkauft und der Standort einer anderen Nutzung zugeführt.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Kündigung sei sozialwidrig. Der Betrieb sei nicht endgültig eingestellt worden, sondern mit der Absicht, diesen fortzuführen. Dafür spreche insbesondere der Verkauf der Anlagen als Gesamtpaket an die PIPM und deren Erklärung, in erster Priorität nach einem Erwerber zu suchen, der die eingestellte Produktion wieder aufnehmen möchte. Die Kündigung sei wegen Betriebsübergangs unwirksam. Auch sei sie mangels ordnungsgemäßer Massenentlassungsanzeige unwirksam.

Nach Teilklagerücknahme wegen eines Zeugnisanspruchs beantragt die Klägerin nunmehr festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 03.01.2022 nicht zum Ablauf des 30.04.2022 aufgelöst wird, sondern darüber hinaus unverändert fortbesteht.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Durch die endgültige Stilllegung des Betriebes sei der Arbeitsplatz der Klägerin entfallen. Eine anderweitige Beschäftigung sei aufgrund der vollständigen Betriebseinstellung nicht möglich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Die Kündigungsschutzklage ist zulässig, aber unbegründet. Das seit dem 05.04.1994 bestanden habende Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch die Kündigung vom 03.01.2022 mit Ablauf des 30.04.2022 unter Einhaltung der während des Insolvenzverfahrens gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO gekürzte Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Monatsende beendet. Die Kündigung ist wirksam.

1. Die Rechtswirksamkeit der Kündigung ergibt zwei ergibt sich nicht bereits aus § 7 KSchG, da die Klägerin binnen 3 Wochen nach Zugang der Kündigung am 03.01.2022 die am 20.01.2022 eingegangene und am 28.01.2022 zugestellte Klage erhoben hat, §§ 4 ff. KSchG, §§ 253, 167 ZPO.

2. Das Arbeitsverhältnis unterlag persönlichen und betrieblichen Anwendungsbereich (§ 1 Abs.1, § 23 KSchG) dem allgemeinen Kündigungsschutz nach dem ersten Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes.

3. Die Kündigung vom 03.01.2022 ist sozial gerechtfertigt gemäß § 1 Abs. 1 KSchG. Die Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse, die der Weiterbeschäftigung der Klägerin im Betrieb entgegenstehen, bedingt. Die Kündigung basiert auf der ernsthaften und endgültigen Entscheidung zur Betriebsstilllegung, deren ernsthafter Umsetzung und dem daraus folgenden Wegfall des Arbeitsplatzes der Klägerin.

Unter einer Betriebsstillegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, das der Arbeitgeber die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen und endgültigen Absicht einstellt, den bisherigen Betriebszweck dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen.

Für den im Rahmen der Insolvenz von dem Beklagten verwalteten Betrieb der H. wurde, nachdem das zum Zwecke der Betriebsfortführung durchgeführte Bieterverfahren erfolglos war, am 20.12.2021 durch deren Vorstand eine endgültige Entscheidung zur vollständigen Stilllegung des Betriebes zum 31.12.2021 beschlossen, welche nachfolgend durch den Insolvenzverwalter nicht verändert, sondern beibehalten wurde. Nachfolgend sollten nur noch Abverkauf der Reste und Abwicklungsarbeiten stattfinden.

An der Ernstlichkeit und Endgültigkeit dieser Entscheidung bestehen aufgrund der Ausgangssituation einer Insolvenzlage, der schriftlichen Niederlegung des Beschlusses, der vorangehenden Information des Gläubigerausschusses und dessen nachfolgende Zustimmung dazu sowie der nachfolgenden Umsetzung der Entscheidung keine Zweifel. Die Produktion wurde tatsächlich unstreitig mit dem 31.12.2021 eingestellt und nachfolgend erfolgten keine Rohmilchanlieferungen mehr. Die Lieferanten waren dazu nicht mehr bereit.

Schon vor Übergabe der Kündigung war mit der Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung begonnen worden durch die Produktionseinstellung zum 31.12.2021, der Massenentlassungsanzeige, welche vor Zugang der Kündigung bei der Bundesagentur für Arbeit am 03.01.2022 um 11:48 Uhr eingegangen und mit der Festsetzung einer Entlassungssperre beantwortet worden war und der Information der gesamten Mitarbeiterschaft in der Betriebsversammlung vom 03.01.2022 um 14:00 Uhr. Auch wurden unstreitig alle Mitarbeiter mit Wirkung spätestens zum 30.04.2022 gekündigt und mit Ausnahme des Abwicklungsteams von der Erbringung der Arbeitsleistung unwiderruflich freigestellt. Spätestens zum 30.04.2022 war die Produktionsgemeinschaft vollständig aufgehoben. Der Verkauf der Anlagen und Maschine als Gesamtpaket an die PIPM macht ebenfalls den Willen des Insolvenzverwalters deutlich, diesen Betrieb nicht weiter betreiben zu wollen.

Aus vorstehenden Gründen war auch zum Zeitpunkt der Kündigung sicher abzusehen, dass der Betrieb zum 30.04.2022 vollständig eingestellt war, wie es auch geschah. Verhandlungen über die Fortführung des Betriebes wurden nicht geführt.

Stilllegungsentscheidung und Betriebsveräußerung schließen einander systematisch aus. Maßgeblich für die Annahme eines Betriebsübergangs ist allein die objektive Sachlage. Der Betrieb wurde nicht durch den Verkauf der Anlagen und Maschinen als Gesamtpaket an die PIPM übertragen mit der Folge, dass diese nach § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB in die Arbeitsverhältnisse eingetreten wäre. Allein aus dem Übergang der noch am Standort verbliebenen Anlagen eines Molkereibetriebes auf die PIPM ergibt sich noch kein Übergang der wirtschaftlichen Einheit dieses Betriebes. Eine Übertragung weiterer Faktoren wie Liefer- und Kundenbeziehungen und Markenrechte ist nicht vorgetragen. Der Stillstand des Produktionsbetriebes über inzwischen mehr als 10 Monate spricht deutlich gegen einen Betriebsübergang.

Durch die Betriebsstilllegung ist der Arbeitsplatz der Klägerin vollständig weggefallen wie auch alle weiteren Arbeitsplätze im Unternehmen, da es sich um den einzigen Betrieb der H. handelte, weshalb weder eine Sozialauswahl erforderlich war noch eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit bestand.

4. Die Kündigung ist nicht gemäß § 613 a Abs. 4 BGB unwirksam. Die Kündigung erfolgte nicht wegen eines Betriebsübergangs, sondern wegen der beschlossenen und umgesetzten Betriebsstilllegung. Auf die vorstehenden Ausführungen wird verwiesen.

5. Die Kündigung ist nicht gemäß § 17 KSchG i.V. m. § 134 BGB unwirksam. Die Massenentlassungsanzeige des Beklagten ist vor Übergabe der Kündigung ordnungsgemäß erfolgt.

II. Mit dem letzten Halbsatz des Klageantrages macht die Klägerin ausweislich der Klagebegründung ausdrücklich einen allgemeinen Feststellungsantrag geltend. Dieser Feststellungsantrag ist als unzulässig abzuweisen. Der Beklagte hat mit Ausnahme der mit dem punktuellen Kündigungsschutzantrag angegriffenen Kündigung vom 03.01.2022 keine weiteren Beendigungstatbestände gesetzt. Solche waren auch nicht zu erwarten. Zumindest ist der Antrag jedoch unbegründet.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 i.V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Wert des Streitgegenstandes ist gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen und bemisst sich nach dem Wert der zuletzt zur Entscheidung gestellten Ansprüche. Der Kündigungsstreit wird gemäß § 3ff ZPO, 42 Abs. 2 GKG mit dem Wert des an die Klägerin für drei Monate zu leistenden Entgelts bemessen. Dem darüber hinausgehenden allgemeinen Feststellungsantrag ist darüber hinaus kein weiterer Wert beizumessen.

Mangels Berufungszulassungsgründen gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG ist die Berufung nicht gemäß § 64 Abs. 2 a ArbGG zuzulassen. Unberührt von dieser Entscheidung bleibt die Statthaftigkeit der Berufung für die Klägerin nach § 64 Abs. 2 b) und c) ArbGG.

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