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Kürzung von Sonderzahlungen bei Arbeitsunfähigkeit

Landesarbeitsgericht Niedersachsen – Az.: 7 Sa 490/18 – Urteil vom 17.01.2019

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 19. April 2018 – 2 Ca 409/17 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 999,38 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5

  • Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2017 zu zahlen.
  • Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  • Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Beklagte zu 51% und die Klägerin zu 49%.
  • Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte zu 68% und die Klägerin zu 32%.
  • Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Sonderzuwendung für das Jahr 2017.

Die Klägerin, die mit Wirkung vom 16. März 2017 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wurde, ist bei der Beklagten seit dem 1. April 2007 als Logistikfachkraft beschäftigt. Ihr monatliches Bruttoarbeitsentgelt belief sich im Jahr 2017 auf 1.950,00 € bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 41 Stunden. Ab dem Jahr 2018 erfolgte eine Erhöhung des Monatsentgelts um 40,00 € brutto auf 1.990,00 € brutto.

Seit dem Jahr 2007 zahlte die Beklagte der Klägerin – wie auch anderen Arbeitnehmern – mit dem Arbeitsentgelt für November ein Weihnachtsgeld. Grundlage der Berechnung des Weihnachtsgeldes war ein Betrag in Höhe von 100% eines Bruttomonatsentgelts. Aufgrund arbeitsunfähigkeitsbedingter Fehlzeiten erhielt die Klägerin im Jahr 2015 ein geringeres und im Jahr 2016 kein Weihnachtsgeld.

Unter dem 25. April 2017 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 8. Januar 2018, Bl. 29 und 30 dA). Dieser Arbeitsvertrag bestimmt ua.:

„6. Für das Arbeitsverhältnis gelten ergänzend in der jeweils gültigen Fassung die Arbeitsordnung und die Allgemeinen Organisatorischen Richtlinien der C. die Ihnen bereits vorliegen.“

In der Allgemeinen Arbeits- und Sozialordnung der A. vom 1. April 2017 (künftig: ASO), von der Klägerin unterschrieben am 7. April 2017 (Anlage B2 zum Schriftsatz der Beklagten vom 21. Februar 2018, Bl. 94 – Bl. 106 dA), heißt es ua.:

– „§ 5 Vergütung

– …

(3) Die Zahlung von Gratifikationen, Prämien, Boni oder sonstigen Vergünstigungen erfolgt freiwillig, es sei denn es liegt eine schriftliche verbindliche Zusage der Gesellschaft vor. Auch wiederholte Zahlungen begründen keinen Rechtsanspruch auf deren Fortzahlung für die Zukunft.

– § 6 Freiwilliges Weihnachts- und Urlaubsgeld

– (1) …

(2) Der Arbeitgeber entscheidet für Mitarbeiter, mit denen vertraglich weder eine limitierte noch eine pauschale Abgeltung von Mehrarbeit/Überstunden vereinbart worden ist, über die Gewährung eines Weihnachtsgeldes und dessen Höhe jedes Jahr neu, mit der Maßgabe, dass auch mit einer wiederholten Zahlung kein Rechtsanspruch für die Zukunft begründet wird. Mitarbeiter, mit denen vertraglich eine limitierte oder eine pauschale Abgeltung von Mehrarbeit/Überstunden vereinbart worden ist, erhalten auch für den Fall, das anderen Mitarbeitern ein Weihnachtsgeld gewährt wird, ein solches nicht.“

Die Parteien vereinbarten weder eine limitierte noch eine pauschale Abgeltung von Mehrarbeit bzw. Überstunden. Geleistete Mehrarbeit/Überstunden werden in einem Arbeitszeitkonto gemäß § 3 Abs. 6 und Abs. 7 ASO berücksichtigt.

Die Beklagte vereinbart mit Führungskräften vertraglich eine limitierte oder eine pauschale Abgeltung von Mehrarbeit/Überstunden. Aufgrund der Vergütungsstruktur für Führungskräfte wird an Führungskräfte kein Weihnachtsgeld gezahlt.

Die Klägerin ist seit dem 27. Juli 2017 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Diese Arbeitsunfähigkeit geht auf eine psychische Erkrankung zurück. Der Entgeltfortzahlungszeitraum endete am 6. September 2017. Seit dem 7. September 2017 zahlt die Beklagte keine Entgeltfortzahlung an die Klägerin.

Am 15. November 2017 teilte die Beklagte ihren Arbeitnehmern durch Veröffentlichung im Intranet Folgendes mit (Anlage zur Klage vom 11. Dezember 2017, Blatt 12 dA):

– „Liebe Mitarbeiterinnen, liebe Mitarbeiter,

wir haben beschlossen, eine Weihnachtsgratifikation in Höhe von 75% eines Monatsgehaltes (anteilig bei unterjährigem Firmeneintritt) mit dem Gehalt für November zur Auszahlung zu bringen.

Bis auf Widerruf wird ab dem 20. Arbeitsunfähigkeitstag bei jeder jährlichen evtl. zur Auszahlung zu bringenden Weihnachtsgratifikation eine anteilige Kürzung vorgenommen.

– Für Mitarbeiter mit Zielvereinbarungen gelten individuelle Regelungen.

– Der Vorstand.“

Die Beklagte zahlte an die Klägerin im Jahr 2017 kein Weihnachtsgeld. Sie kürzte das Weihnachtsgeld der Klägerin ab dem 20. Tag der Arbeitsunfähigkeit um 22,41 € brutto bei Zugrundelegung einer 5-Tage-Woche. Als Bezugszeitraum legte die Beklagte den Zeitraum von Januar bis Dezember 2017 zugrunde.

Seit Oktober 2017 ist bei der Beklagten ein Betriebsrat gebildet. Dieser stimmte weder der ASO noch der Kürzungsregelung in der Mitteilung vom 15. November 2017 zu.

Mit ihrer am 11. Dezember 2017 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 21. Dezember 2017 zugestellten Klage hat die Klägerin die Zahlung eines Weihnachtsgeldes für das Jahr 2017 in Höhe von 1.950,00 € brutto (100% eines Bruttomonatsgehalts), hilfsweise in Höhe von 1.462,50 € brutto (75% eines Bruttomonatsgehalts) verlangt.

Sie hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes in Höhe von 100% eines Bruttomonatsgehalts folge aus betrieblicher Übung. Ein Freiwilligkeitsvorbehalt sei nicht wirksam vereinbart worden.

Die Klägerin hat gemeint, dass sie jedenfalls Anspruch auf die Zahlung eines Weihnachtsgeldes in Höhe von 75% eines Bruttomonatsgehalts habe. Ohne vorherige Vereinbarung könne eine Kürzung des Weihnachtsgeldes nicht erfolgen. Die Kürzung nach Satz 2 der Mitteilung vom 15. November 2017 für arbeitsunfähigkeitsbedingte Fehlzeiten sei nur mitgeteilt, aber nicht vereinbart worden. Das Weihnachtsgeld sei Gegenleistung für die Leistung von Mehrarbeit bzw. Überstunden, weshalb eine Kürzung nicht erfolgen könne. Die Kürzung stelle sowohl einen Verstoß gegen den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz als auch eine unzulässige Benachteiligung aus Gründen der Behinderung dar.

Die Klägerin hat beantragt,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.950,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2017 zu zahlen,

2. hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.462,50 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2017 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass ein Anspruch der Klägerin auf die Zahlung eines Weihnachtsgeldes für das Jahr 2017 nicht bestehe. Einem Anspruch aus betrieblicher Übung stehe der in § 6 Abs. 2 ASO wirksam vereinbarte Freiwilligkeitsvorbehalt entgegen. Sie hat behauptet, dass mit den Lohnabrechnungen im November 2017 denjenigen Mitarbeitern, denen ein Weihnachtsgeld gezahlt worden sei, die Freiwilligkeit der Zahlung mitgeteilt worden sei.

Sie hat gemeint, dass sie wegen des Freiwilligkeitsvorbehalts habe entscheiden können, dass das Weihnachtsgeld anteilig für Mitarbeiter gekürzt werde, die im Jahr 2017 länger als 19 Tage arbeitsunfähig erkrankt seien. Die Kürzung um ¼ des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfalle, sei nach § 4a EFZG zulässig. Das Weihnachtsgeld sei keine im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Leistung und auch kein laufendes Entgelt, sondern eine Sonderzahlung. Die Verknüpfung mit der Vergütung von Überstunden diene lediglich als Abgrenzungskriterium zwischen den verschiedenen Vergütungsstrukturen bei der Beklagten. Es handele sich ausschließlich um ein Differenzierungskriterium zwischen den verschiedenen Arten der Arbeitsverträge und diene damit der Differenzierung nach Mitarbeitergruppen. Mit dem Weihnachtsgeld sollten keine Überstunden vergütet werden. Angesichts der Kürzungsmöglichkeit nach § 4a EFZG sei das Weihnachtsgeld der Klägerin nach 76 Arbeitsunfähigkeitstagen aufgebraucht gewesen. In der Anwendung des § 4a EFZG liege eine zulässige Differenzierung. Aus diesem Grund fehle es auch an einer Benachteiligung der Klägerin wegen einer Behinderung im Sinne des § 1 AGG.

Mit Urteil vom 19. April 2018 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass ein Anspruch weder aus betrieblicher Übung noch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz folge und nicht aufgrund einer Diskriminierung wegen einer Behinderung bestehe. Es fehle auch an einer Gesamtzusage, die einen Anspruch begründe. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens und seiner Würdigung durch das Arbeitsgericht wird auf Bl. 147 bis Bl. 157 dA verwiesen.

Gegen das der Klägerin am 11. Mai 2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 7. Juni 2018 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 10. August 2018 am 10. August 2018 begründet.

In der Berufungsinstanz verlangt die Klägerin von der Beklagten noch die Zahlung eines Weihnachtsgeldes in Höhe von 75% eines Bruttomonatsentgelts, dh. eine Zahlung in Höhe von 1.462,50 € brutto.

Sie ist der Auffassung, dass in der Mitteilung vom 15. November 2017 eine Gesamtzusage liege, die die Klägerin nicht wirksam von der Zahlung des Weihnachtsgeldes habe ausschließen können. Jedenfalls für das Jahr 2017 könne aufgrund der Mitteilung vom 15. November 2017 kein Freiwilligkeitsvorbehalt eingreifen. Die Kürzungsregelung in Satz 2 der Mitteilung vom 15. November 2017 sei unwirksam. Denn sie lasse im Unklaren, in welcher Höhe eine anteilige Kürzung erfolgen könne. Da eine Kürzungsbestimmung ohne Limitierung vorliege, liege ein Verstoß gegen § 4a EFZG vor. Die Kürzungsregelung sei auch deshalb unwirksam, weil der Betriebsrat der Regelung ebenso wenig wie der ASO zugestimmt habe. Da die Kürzungsregelung in Satz 2 der Mitteilung vom 15. November 2017 unwirksam sei, könne eine anderweitige Kürzungsmöglichkeit nicht hineingelesen werden.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 19. April 2018 – 2 Ca 409/17 – teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.462,50 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2017 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen und verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie meint, dass es möglicherweise an einer formgerechten Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift mangels einer ausreichenden Unterschrift des Prozessbevollmächtigten der Klägerin fehle.

Sie ist der Auffassung, dass in der Mitteilung vom 15. November 2017 keine Gesamtzusage liege, sondern die vom Arbeitgeber im Rahmen der ihm zustehenden Freiwilligkeit getroffene Entscheidung über die Gewährung eines Weihnachtsgeldes. Die Kürzungsregelung in Satz 2 der Mitteilung vom 15. November 2017 sei wirksam. Sie richte sich nach § 4a EFZG. Eine solche Kürzung habe zuvor nicht vereinbart werden müssen, da auch die Sonderzahlung zuvor nicht vereinbart gewesen sei. Die ASO stamme aus der Zeit vor Bildung des Betriebsrats, sodass eine Zustimmung des Betriebsrats zu der ASO nicht möglich gewesen sei. Die Zahlung des Weihnachtsgeldes sei mitbestimmungsfrei. Jedenfalls folge aus einem Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats kein individualrechtlicher Anspruch der Klägerin.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften sowie die in der mündlichen Verhandlung vom 17. Januar 2019 abgegebenen Erklärungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die gem. § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete und deshalb zulässige Berufung (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO), ist teilweise begründet.

1.

Die Berufung ist zulässig. Die Berufungsschrift und die Berufungsbegründungsschrift tragen eine Unterschrift iSv. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, §§ 519 Abs. 4, 130 Nr. 6 ZPO.

a)

Eine Unterschrift setzt einen individuellen Schriftzug voraus, der sich – ohne lesbar sein zu müssen – als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt. Unter diesen Voraussetzungen kann selbst ein vereinfachter, von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichneter Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein (vgl. BAG 25. Februar 2015 – 5 AZR 849/13 – Rn. 19 mwN).

b)

Die Berufungsschrift und Berufungsbegründungsschrift sind vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin erstellt und von diesem unterzeichnet. Das handschriftliche Gebilde, mit dem der Klägervertreter die Berufungsschrift und die Berufungsbegründungsschrift unterzeichnet hat, steht für einen Namen. Es ist von individuellem Gepräge und hat charakteristische Merkmale, welche die Identität dessen, von dem es stammt, ausreichend kennzeichnen (vgl. BAG 30. August 2000 – 5 AZB 17/00 – Rn. 4). Die Unterschrift beginnt mit einem links nach oben geschwungenen Bogen, der für ein „S“ steht. Die schräg nach unten gezogene Linie lässt ein „l“ erkennen und der weitere Bogen nach rechts mit sich anschließender relativ gerader Linie nach unten zeigt an, dass verschiedene weitere Buchstaben im Namen enthalten sind, bevor mit der nach unten geschwungenen Linie ein „g“ angedeutet ist. Die Anordnung der Buchstaben und deren Verbindung sind als Ausdruck einer in Teilen verstümmelten Schrift, nicht aber eines Handzeichens zu verstehen (vgl. BAG 30. August 2000 – 5 AZB 17/00 – Rn. 4).

II.

Die Berufung ist teilweise begründet.

1.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Zahlung eines Weihnachtsgeldes für das Jahr 2017 in Höhe von 999,38 € brutto. Der Anspruch folgt aus § 6 Abs. 2 Satz 1 ASO in Verbindung mit der Mitteilung der Beklagten vom 15. November 2017.

 

a)

§ 6 Abs. 2 ASO in der Fassung vom 1. April 2017 ist in den Arbeitsvertrag der Parteien wirksam einbezogen worden. Denn bei dieser von der Klägerin unter dem 7. April 2017 unterschriebenen ASO handelt es sich um die im Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses gültige Fassung der ASO. Deshalb kommt es auf eine etwaige Unwirksamkeit einer Bezugnahme auf die „jeweils“ gültige Fassung der ASO vorliegend nicht an (vgl. [zur Unwirksamkeit eines einseitigen Abänderungsvorbehalts des Arbeitgebers] BAG 11. Februar 2009 – 10 AZR 222/08 –). Ebenso wenig kommt es auf die vor dem Jahr 2017 greifenden Vereinbarungen an. Denn durch die im Jahr 2017 getroffenen neuen vertraglichen Regelungen sind etwaige anderweitige Regelungen, die in der Vergangenheit bestanden, abgelöst.

b)

§ 6 Abs. 2 Satz 1 ASO enthält keinen den vertraglichen Leistungsanspruch ausschließenden Freiwilligkeitsvorbehalt. Die vertragliche Regelung überlässt der Beklagten ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht iSd. § 315 BGB, was grundsätzlich zulässig ist (vgl. BAG 3. August 2016 – 10 AZR 710/14 – Rn. 18ff.).

c)

Durch die Mitteilung vom 15. November 2017 hat die Beklagte ihr Leistungsbestimmungsrecht ausgeübt und ihren Mitarbeitern die Zahlung eines Weihnachtsgeldes in Höhe von 75% des Bruttomonatsentgelts für das Jahr 2017 nach den in der Mitteilung enthaltenen Bestimmungen zugesagt. Anhaltspunkte, dass die Höhe des Weihnachtsgeldes von 75% eines Monatsgehalts nicht billigem Ermessen entspricht, bestehen nicht. Die Klägerin begehrt die Zahlung eines Weihnachtsgeldes für das Jahr 2017 in dieser Höhe.

d)

Die Klägerin gehört als Mitarbeiterin, mit der eine pauschale oder limitierte Abgeltung von Mehrarbeit/Überstunden nicht vereinbart ist, zum grundsätzlich anspruchsberechtigten Personenkreis nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ASO.

e)

Die in der Mitteilung vom 15. November 2017 enthaltene Kürzungsregelung entspricht nicht billigem Ermessen. Aufgrund des mit der Zahlung des Weihnachtsgeldes verbundenen Leistungszwecks ist dem Anspruch jedoch eine zeitanteilige Kürzung des Weihnachtsgeldes um die Zeiten, in denen infolge Arbeitsunfähigkeit kein Entgeltfortzahlungsanspruch der Klägerin im Jahr 2017 bestand (vgl. BAG 15. August 2018 – 10 AZR 419/17 –; 21. März 2001 – 10 AZR 28/00 –), immanent. Eine solche Kürzung entspräche unter Berücksichtigung des Leistungszwecks und der Umstände des Einzelfalls auch billigem Ermessen (vgl. [zu den Grundsätzen billigen Ermessens und der gerichtlichen Leistungsbestimmung] BAG 3. August 2016 – 10 AZR 710/14 –). Eine dementsprechende Berechnung des Weihnachtsgeldes führt zu einem Anspruch der Klägerin in Höhe von 999,38 Euro brutto.

aa)

Satz 2 der Mitteilung vom 15. November 2017 enthält keine wirksame Kürzungsregelung.

(1)

Satz 2 der Mitteilung vom 15. November 2017 ist dahingehend auszulegen, dass eine Kürzung ab dem 20. Arbeitsunfähigkeitstag nach § 4a EFZG erfolgen soll. Indem die Kürzungsregelung an Arbeitsunfähigkeitstage anknüpft, stellt sie den Bezug zu § 4a EFZG her, der die weiteren Voraussetzungen für eine Kürzung regelt.

(2)

Eine Kürzung des Weihnachtsgeldes für das Jahr 2017 nach § 4a EFZG ist nicht möglich, da es sich um Arbeitsvergütung für geleistete Arbeit handelt. Es fehlt damit an der Voraussetzung in § 4a Satz 1 EFZG, wonach die Leistung zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbracht wird.

(a)

Nach § 4a Satz 1 EFZG ist eine Vereinbarung über die Kürzung von Leistungen, die der Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt (Sondervergütungen), auch für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zulässig. Das laufende Arbeitsentgelt ist der Bruttoverdienst des Arbeitnehmers, den dieser als Gegenleistung für geleistete Arbeit für bestimmte Zeitabschnitte erhält. Zum laufenden Arbeitsentgelt zählen aber auch (Sonder-)Zahlungen mit reinem Entgeltcharakter wie Provisionen, Erfolgsbeteiligungen, Boni oder Prämien, die ausschließlich für die Erbringung der Arbeitsleistung erbracht werden (vgl. Reinartz NZA 2015, 83 (83)).

(b)

Will der Arbeitgeber andere Zwecke als die Vergütung der Arbeitsleistung verfolgen, muss sich dies deutlich aus der zugrundeliegenden Vereinbarung ergeben. So können Sonderzahlungen als Treueprämie erwiesene oder als „Halteprämie“ künftige Betriebstreue honorieren; der Arbeitgeber kann aber auch den Zweck verfolgen, sich an den zum Weihnachtsfest typischerweise erhöhten Aufwendungen seiner Arbeitnehmer zu beteiligen. Ist die Honorierung künftiger Betriebstreue bezweckt, wird dies regelmäßig dadurch sichergestellt, dass die Sonderzuwendung nur bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über einen Stichtag hinaus bis zum Ende eines dem Arbeitnehmer noch zumutbaren Bindungszeitraums gezahlt wird oder der Arbeitnehmer diese zurückzuzahlen hat, wenn das Arbeitsverhältnis vor Ablauf zumutbarer Bindungsfristen endet. Ist die Honorierung erwiesener Betriebstreue bezweckt, wird dies regelmäßig dadurch sichergestellt, dass die Zahlung der Sonderzuwendung vom (ungekündigten) Bestand des Arbeitsverhältnisses am Auszahlungstag abhängig gemacht wird. Ein weiteres Merkmal derartiger Zahlungen ist, dass sie nicht von einer bestimmten Arbeitsleistung, sondern regelmäßig nur vom Bestand des Arbeitsverhältnisses abhängen (vgl. BAG 13. Mai 2015 – 10 AZR 266/14 – Rn. 14). Knüpft die Bezugsgröße der Berechnung an das bezahlte Bruttoeinkommen an, spricht dies dafür, dass die Sonderzahlung eine Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung darstellt und Vergütungscharakter hat (vgl. BAG 23. März 2017 – 6 AZR 404/16 – Rn. 26; BAG 26. April 2016 – 1 AZR 435/14 – Rn. 23). Erfolgt bei unterjährigem Beginn oder Ende des Arbeitsverhältnisses eine anteilige Berechnung der Sonderzahlung, kann dies ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die Sonderzahlung Arbeitsleistung vergüten soll (vgl. BAG 26. April 2016 – 1 AZR 435/14 – Rn. 23). Allerdings wird eine mit einer bestimmten Zwecksetzung zugesagte Gratifikation nicht allein dadurch zu einem im Synallagma stehenden Vergütungsbestandteil, weil die Gratifikation im Eintrittsjahr anteilig gezahlt wird (vgl. BAG 18. Januar 2012 – 10 AZR 667/10 – Rn.18).

(c)

Bei dem Weihnachtsgeld für das Jahr 2017 handelt es sich um Arbeitsvergütung für geleistete Arbeit. Voraussetzung eines möglichen Anspruchs auf die Zahlung eines Weihnachtsgeldes nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ASO ist, dass vertraglich weder eine limitierte noch eine pauschale Abgeltung von Mehrarbeit/Überstunden vereinbart ist. Anspruchsberechtigter Personenkreis sind demnach die Arbeitnehmer der Beklagten, bei denen eine gesonderte Vergütung/ein gesonderter Ausgleich von Mehrarbeit/Überstunden erfolgt. Diese Voraussetzung knüpft an die bei der Beklagten gegebene Gruppenbildung anhand verschiedener Arbeitsvertragstypen an. In dem Differenzierungsmerkmal liegt zugleich der besondere Bezug zu dem Vergütungsbestandteil „Überstunde/Mehrarbeit“. Hinzu kommt, dass die Mitteilung vom 15. November 2017 für die Berechnung des Weihnachtsgeldes an das jeweilige Monatsentgelt anknüpft und regelt, dass bei unterjährigem Eintritt lediglich eine anteilige Zahlung erfolgt. Die Mitteilung vom 15. November 2017 ist bei der Bestimmung des Leistungszwecks zu berücksichtigen, da sie die genannten weiteren Voraussetzungen/Anknüpfungspunkte und damit Zwecke des im Jahr 2017 von der Beklagten gezahlten Weihnachtsgeldes bestimmt (vgl. [in Abgrenzung dazu] BAG 16. Januar 2013 – 10 AZR 26/12 – Rn. 18 [alleiniges Abstellen auf den Anspruch auf eine Entscheidung nach billigem Ermessen über die Höhe der Gratifikation und ggf. ihre Auszahlung im November des Bezugsjahres]).

(3)

Da eine Kürzung nach § 4a EFZG nicht möglich ist, kommt es vorliegend nicht auf die Frage an, ob eine solche mit der Klägerin vereinbart werden musste (vgl. [verneinend für einen Freiwilligkeitsvorbehalt nach früherer Rechtsprechung] BAG 7. August 2002 – 10 AZR 709/01 – Rn. 23) oder eine solche bereits in § 6 Abs. 2 Satz 1 ASO als mögliche Form der Leistungsbestimmung vereinbart ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob eine solche Vereinbarung bereits vor Beginn des Bezugszeitraums für das Weihnachtsgeld 2017 getroffen werden musste.

bb)

Da es sich bei dem Weihnachtsgeld für das Jahr 2017 um Arbeitsvergütung handelt, ist diese nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts jedoch – ohne gesonderte ausdrückliche arbeitsvertragliche Vereinbarung – für die Zeiten zu kürzen, in denen infolge Arbeitsunfähigkeit kein Entgeltfortzahlungsanspruch der Klägerin im Jahr 2017 bestand (vgl. BAG 15. August 2018 – 10 AZR 419/17 –; 21. März 2001 – 10 AZR 28/00 –). Eine solche Kürzung ist dem vorliegenden Anspruch auf die Weihnachtsgeldzahlung immanent. Sie stellt aus diesem Grund auch keine Abweichung von einer gesetzlichen Regelung dar. Eine entsprechende Kürzung entspricht zudem unter Berücksichtigung des Leistungszwecks und der Umstände des Einzelfalls im vorliegenden Fall billigem Ermessen. Die zeitanteilige Kürzung betrifft den Zeitraum ohne Entgeltfortzahlung vom 7. September 2017 bis einschließlich zum 31. Dezember 2017.

cc)

Nach allem besteht ein Anspruch der Klägerin auf die Zahlung von Weihnachtsgeld für das Jahr 2017 anteilig für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis zum 6. September 2017. Der Anspruch berechnet sich wie folgt:

– vom 1. Januar 2017 bis 31. August 2017: 1.462,50 € brutto : 12 Monate x 8 Monate = 975,00 € brutto

zzgl.

– für die Zeit vom 1. bis 6. September 2017:

1.462,50 € brutto : 12 Monate : 30 Tage x 6 Tage = 24,38 € brutto.

Insgesamt ergibt sich danach ein Anspruch der Klägerin auf ein Weihnachtsgeld für das Jahr 2017 in Höhe von 999,38 € brutto.

f)

Die Kürzung ist nicht wegen einer Diskriminierung behinderter Menschen nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Nach § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG dürfen Beschäftigte ua. nicht wegen einer Behinderung benachteiligt werden. Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, sind nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam (vgl. BAG 12. Mai 2016 – 6 AZR 365/15 – Rn. 21). Die Kürzung knüpft nicht unmittelbar an eine Behinderung, sondern an die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit ohne Entgeltfortzahlung an. Nicht behinderte arbeitsunfähige Arbeitnehmer werden von ihr ebenfalls erfasst. Menschen, die nicht behindert sind und keine Zeiten ohne Entgeltfortzahlung aufweisen, haben zudem eine höhere Gegenleistung für ihr Weihnachtsgeld erbracht. Dies schließt die Annahme einer vergleichbaren Situation aus (vgl. BAG 13. Oktober 2016 – 3 AZR 439/15 – Rn. 68).

g)

Die Kürzung ist auch nicht wegen eines etwaigen mitbestimmungswidrigen Verhaltens der Beklagten bei Zahlung des Weihnachtsgeldes für das Jahr 2017 ausgeschlossen. Denn die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung trägt keinen Anspruch auf Vergütung bei mitbestimmungswidrig eingeführten Vergütungsbestandteilen (vgl. BAG 24. Januar 2017 – 1 AZR 772/14 – Rn. 44).

h)

Die Klägerin hat die Ausschlussfrist nach § 17 ASO gewahrt.

2.

Ein Anspruch der Klägerin auf die Zahlung eines höheren Weihnachtsgeldes folgt nicht aus dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Wie sich aus den Ausführungen unter II. 1. e) aa) und bb) der Entscheidungsgründe ergibt, handelt es sich um eine zulässige Kürzung des Weihnachtsgeldes für das Jahr 2017 aufgrund des aus dem Leistungszweck des Weihnachtsgeldes folgenden Differenzierungskriteriums.

3.

Ein weitergehender Anspruch der Klägerin folgt ebenfalls nicht aus betrieblicher Übung. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Anspruch aus betrieblicher Übung nur entstehen, wenn es an einer anderen kollektiv- oder individualrechtlichen Anspruchsgrundlage für die Gewährung der Vergünstigung fehlt (vgl. BAG 15. Mai 2012 – 3 AZR 610/11 – Rn. 62). Grundlage des vorliegenden Anspruchs ist jedoch die Vereinbarung in § 6 Abs. 2 Satz 1 ASO iVm. der Mitteilung vom 15. November 2017.

4.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB. Die Zahlung des Weihnachtsgeldes war mit der Lohnzahlung für den Monat November 2017 fällig. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist von einer Fälligkeit des Lohnanspruchs am 30. November 2017 auszugehen, sodass der Anspruch der Klägerin ab dem 1. Dezember 2017 zu verzinsen war.

5.

Auch das weitere Vorbringen der Parteien, auf das in dem Urteil nicht mehr besonders eingegangen wurde, weil die Entscheidungsgründe gem. § 313 Absatz 3 ZPO lediglich eine kurze Zusammenfassung der tragenden Erwägungen enthalten sollen, führt nicht zu einem abweichenden Ergebnis.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die unterschiedliche Kostenquote erster und zweiter Instanz folgt daraus, dass der erst- und zweitinstanzliche Streitwert sich unterscheiden. Erstinstanzlich belief sich der Streitwert auf 1.950,00 € brutto, zweitinstanzlich auf 1.462,50 € brutto.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 72 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ArbGG für beide Seiten zuzulassen ([Abgrenzung zu/Einordnung in den Kontext von] BAG 3. August 2016 – 10 AZR 710/14 –; 16. Januar 2013 – 10 AZR 26/12 –; 7. August 2002 – 10 AZR 709/01 –).

 

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