Skip to content

Mitwirkungsobliegenheit Arbeitgeber bei Verwirklichung Urlaubsanspruch

Die Tragweite des Urlaubsabgeltungsanspruchs

Das Landesarbeitsgericht Hamm hat in einem jüngsten Urteil vom 09.02.2023 über die Abgeltung von Urlaubsansprüchen und die Wirksamkeit einer Aufrechnung entschieden. Dieser Fall beleuchtet die rechtlichen Feinheiten und die Bedeutung von klaren Kommunikationslinien zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Bezug auf Urlaubsansprüche.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.:5 Sa 568/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


  • Mitwirkungsobliegenheit Arbeitgeber: Der Arbeitgeber hat die Pflicht, den Arbeitnehmer aktiv über seinen Urlaubsanspruch zu informieren und ihn zur Inanspruchnahme des Urlaubs aufzufordern.
  • Verwirklichung Urlaubsanspruch: Bei Nichterfüllung dieser Pflicht durch den Arbeitgeber kann der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers nicht verfallen.
  • Arbeitsunfähigkeit und Urlaubsanspruch: Bei langanhaltender Arbeitsunfähigkeit kann der Urlaubsanspruch nach 15 Monaten verfallen, auch wenn der Arbeitgeber seine Hinweispflichten nicht erfüllt hat.
  • Rückforderungsanspruch: Es gab Unklarheiten bezüglich der Rückforderung von Beiträgen zur betrieblichen Altersversorgung, die während der Arbeitsunfähigkeit des Klägers gezahlt wurden.
  • EuGH und Urlaubsanspruch: Der EuGH hat festgestellt, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht automatisch verfällt, wenn der Arbeitnehmer keinen Urlaubsantrag gestellt hat.
  • BAG-Entscheidung: Urlaubsansprüche können nur verfallen, wenn der Arbeitnehmer vor Arbeitsunfähigkeit vom Arbeitgeber über den Verfall informiert wurde.
  • Gleichlauf von gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaub: In Abwesenheit spezifischer Regelungen gelten für beide Urlaubsarten dieselben Bedingungen hinsichtlich des Verfalls.

Die Kernpunkte des Falles

Mitwirkungsobliegenheit Arbeitgeber bei Verwirklichung Urlaubsanspruch
Klare Kommunikation zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verhindert Missverständnisse bei Urlaubsansprüchen. (Symbolfoto: Maps Expert /Shutterstock.com)

Die Parteien, bestehend aus Kläger und Beklagtem, waren durch ein langjähriges Arbeitsverhältnis verbunden, welches durch die Eigenkündigung des Klägers endete. Der Kläger, der im Jahr 2017 erkrankte, erhielt von der Beklagten eine schriftliche Bestätigung, dass ihm für das Jahr 2017 noch ein Resturlaub von 30 Tagen zusteht. Interessanterweise wurde in diesem Schreiben nicht auf einen möglichen Verfall der Urlaubstage hingewiesen.

Differenzen in der Urlaubsabgeltung

Die Beklagte führte eine Abrechnung für die Jahre 2019 bis 2021 durch, wobei sie den Urlaub des Klägers mit einer tariflichen täglichen Arbeitszeit und einem tariflichen Stundenlohn berechnete. Dies resultierte in einer Auszahlung zugunsten des Klägers. Allerdings wurde dieser Betrag nicht in voller Höhe an den Kläger ausgezahlt. Der Grund? Die Beklagte zog Beiträge für die betriebliche Altersversorgung des Klägers ab, die sie während seiner Erkrankungszeit weiterhin gezahlt hatte.

Die Beklagte argumentierte, dass sie trotz der Erkrankung des Klägers weiterhin monatliche Beiträge an eine Direktversicherung gezahlt hat, obwohl dem Kläger in dieser Zeit kein Lohnanspruch mehr zustand. Später teilte die Beklagte schriftlich mit, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch für das Jahr 2017 verfallen sei und der an die Versicherung gezahlte Betrag in Abzug gebracht werde.

Die Position des Klägers

Der Kläger war der Ansicht, dass die Beklagte den Urlaub für das Jahr 2017 abgelten müsse. Er argumentierte, dass durch ^<den fehlenden Hinweis auf den drohenden Verfall der Urlaub nicht verfallen sei. Zudem betonte er, dass er in der Vergangenheit mehrfach zum Jahresende nicht gewährte Urlaubsansprüche von der Beklagten abgegolten bekommen habe. Er war der Meinung, dass der Abzug von 2.500,00 EUR zu Unrecht erfolgt sei und die Beklagte keinen aufrechenbaren Anspruch habe.

Das Urteil und seine Bedeutung

Das Landesarbeitsgericht Hamm entschied, dass die Berufung der Beklagten zurückgewiesen wird und die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 4.014,00 EUR brutto zu zahlen. Dieses Urteil unterstreicht die Wichtigkeit klarer Kommunikationslinien zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Bezug auf Urlaubsansprüche und die Notwendigkeit, rechtliche Feinheiten zu beachten, um spätere rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.

➨ Ungeklärte Urlaubsansprüche: Was steht Ihnen wirklich zu?

Das Landesarbeitsgericht Hamm hat kürzlich über die Abgeltung von Urlaubsansprüchen entschieden und dabei die Bedeutung klarer Kommunikationslinien zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hervorgehoben. Sind auch Sie unsicher, wie es um Ihre Urlaubsansprüche steht oder ob Ihnen eine Urlaubsabgeltung zusteht? Lassen Sie uns gemeinsam Licht ins Dunkel bringen. Ich biete Ihnen eine fundierte Ersteinschätzung Ihrer Situation und stehe Ihnen anschließend für eine umfassende Beratung zur Seite. Gemeinsam sorgen wir dafür, dass Ihre Rechte gewahrt bleiben. Nehmen Sie jetzt Kontakt auf und lassen Sie uns Ihre Ansprüche klären.

✉ jetzt anfragen!

Unter welchen Bedingungen können Urlaubsansprüche verfallen? – kurz erklärt


Urlaubsansprüche können unter bestimmten Bedingungen verfallen. Grundsätzlich darf der Jahresurlaub nur dann verfallen, wenn der Arbeitgeber nachweisen kann, dass er die betroffenen Beschäftigten angemessen über den bevorstehenden Verfall aufgeklärt hat und ihnen die Möglichkeit gegeben hat, den Urlaub auch zu nehmen. Der Arbeitgeber muss seine Mitarbeitenden förmlich auffordern, den Urlaub zu nehmen. Übrige Tage Urlaub aus dem Vorjahr müssen normalerweise bis zum 31. März des Folgejahres in Anspruch genommen werden, sonst verfallen sie. Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch entschieden, dass Urlaubsansprüche grundsätzlich nicht mehr verjähren können. Dies bedeutet, dass der Resturlaub nicht mehr automatisch verfallen kann und sogar viele Jahre rückwirkend genommen oder ausbezahlt werden kann.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Hamm – Az.: 5 Sa 568/22 – Urteil vom 09.02.2023

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 03.05.2022 – 2 Ca 860/21 – wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 03.05.2022 – 2 Ca 860/21 – teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, über die bereits erfolgte Verurteilung hinaus an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 4.014,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.04.2021 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird für die Beklagte in Höhe von 4.014,00 EUR (Urlaubsabgeltung) zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren über die Abgeltung von Urlaubsansprüchen und die Wirksamkeit einer seitens der Beklagten erklärten Aufrechnung.

Die Parteien verband ein langjähriges Arbeitsverhältnis, welches durch Eigenkündigung des Klägers zum 15.03.2021 sein Ende fand. Der am 25.06.1970 geborene Kläger erkrankte im Jahre 2017.

Mit Schreiben vom 08.01.2018, fälschlicherweise datiert auf den 08.01.2017, bestätigte die Beklagte dem Kläger, dass ihm für das Jahr 2017 noch ein Resturlaub in Höhe von 30 Tagen zusteht. Auf einen Verfall der Urlaubstage wurde in dem Schreiben nicht hingewiesen.

Die Beklagte rechnete für die Jahre 2019, 2020 und 2021 mit einer tariflichen täglichen Arbeitszeit von 7,7 Stunden insgesamt 504,35 Stunden bei einem tariflichen Stundenlohn von 13,38 EUR den Urlaub ab. Hieraus ergab sich laut Abrechnung für März 2021 (Bl. 7 d. A.) eine Auszahlung in Höhe von insgesamt 7.227,14 EUR zugunsten des Klägers.

Dieser Betrag wurde dem Kläger allerdings nicht vollständig ausgezahlt, da die Beklagte für die Zeit von August 2017 bis einschließlich August 2019 die insgesamt gezahlten Beiträge an die betriebliche Altersversorgung des Klägers in Höhe von 2.500,00 EUR netto in Abzug brachte.

Die Beklagte begründete den Abzug damit, dass sie für den Kläger in der Zeit von August 2017 bis August 2019 weiterhin monatlich 100,00 EUR an die bestehende Direktversicherung (A Versicherung) abgeführt hat, obwohl aufgrund der Erkrankung des Klägers dem Kläger kein Lohnanspruch mehr zustand.

Mit Schreiben vom 08.04.2021 teilte die Beklagte mit, dass ein Urlaubsabgeltungsanspruch für das Jahr 2017 verfallen sei und der an die A-Versicherung gezahlte Betrag in Abzug gebracht werde.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe den Urlaub für das Jahr 2017 abzugelten. Durch den unterbliebenen Hinweis auf den drohenden Verfall sei der Urlaub nicht verfallen. Weiterhin dürfe sich der Kläger darauf verlassen, dass der ihm mitgeteilte Resturlaubsanspruch für das Jahr 2017 vergütet werde, da die Beklagte dem Kläger in der Vergangenheit mehrfach zum Jahresende nicht gewährte Urlaubsansprüche abgegolten habe. Der Abzug in Höhe von 2.500,00 EUR sei zu Unrecht erfolgt. Der Beklagten stehe kein aufrechenbarer Anspruch zu.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 4.014,00 EUR brutto sowie einen weiteren Betrag in Höhe von 2.500,00 EUR netto, jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.04.2021 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, der Urlaubsanspruch für das Jahr 2017 sei verfallen. Im Übrigen habe die Beklagte lediglich in den Jahren 2011 und 2012 eine Urlaubsabgeltung zum Jahresende gezahlt. Weiterhin habe die Beklagte den Abzug in Höhe von 2.500,00 EUR berechtigterweise vornehmen dürfen. Der Beklagten stehe ein Bereicherungsanspruch zu, da sie irrtümlich in der Zeit von August 2017 bis August 2019 monatlich weiter einen Betrag in Höhe von 100,00 EUR geleistet habe.

Die Altersrente des Klägers erhöhe sich in der Zeit vom 01.08.2017 bis zum 01.09.2019 um insgesamt 14,79 EUR pro Monat. Der Kläger werde unter Zugrundelegung der statistischen Lebenserwartung von weiteren 29 Jahren die betriebliche Altersversorgung 16 Jahre beziehen, so dass er eine Rente aufgrund der in der Zeit vom 01.08.2017 bis zum 01.09.2019 geleisteten Prämien erhalten werde in Höhe von 2.839,68 EUR. Dies stelle die Bereicherung des Klägers dar.

Das Arbeitsgericht hat der Klage bezüglich der Auszahlung der aufgerechneten Beträge stattgegeben und im Übrigen abgewiesen. Hierzu hat es ausgeführt, ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG für das Kalenderjahr 2017 in der geltend gemachten Höhe für 30 Urlaubstage stehe dem Kläger nicht zu, da dieser aufgrund der lang andauernden Arbeitsunfähigkeit am 31.03.2019 rechtlich untergegangen sei. Auch im Fall der unterbliebenen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten verfalle der Urlaubsanspruch für Urlaubsjahre, in denen der Arbeitnehmer durchgehend arbeitsunfähig krank gewesen sei und deshalb – unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten erfüllt hat – überhaupt keinen Urlaub nehmen können habe.

Der Kläger habe aber Anspruch auf Zahlung der in Abzug gebrachten 2.500,00 EUR netto als Urlaubsabgeltung gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG. Die Entstehung des Anspruchs dem Grunde nach sei zwischen den Parteien unstreitig. Der Anspruch sei auch nicht durch die erklärte Aufrechnung der Beklagten untergegangen.

Die Aufrechnung bewirke, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in dem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind (§ 389 BGB). Dies setze voraus, dass zwei Personen einander Leistungen (Gegenseitigkeit) schulden, die ihrem Gegenstande nach gleichartig sind, wobei die Forderung, mit der aufgerechnet wird, fällig und die Forderung, gegen die aufgerechnet wird, erfüllbar sein muss (§ 387 BGB). Zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung habe der Kläger unstreitig noch kein Geld von der Versicherung erhalten. Das „erlangte etwas“ im Sinne des § 812 Abs. 1 S.1 1. Alt. BGB könne deshalb nur der (erhöhte) Auszahlungsanspruch gegen die Versicherung sein.

Da der bereicherungsrechtliche Anspruch stets Kehrseite des „erlangten etwas“ sein müsse, könne sich der Anspruch vorliegend nicht auf Herausgabe von 2.500 EUR netto erstrecken. Rechtsfolge bei Bejahung des bereicherungsrechtlichen Anspruchs könne nur die Abtretung der Ansprüche des Klägers gegen die Versicherung sein. Hier ergebe sich auch aus § 818 Abs. 2 BGB kein anderes Ergebnis, da nicht ersichtlich sei, weshalb die Abtretung der Ansprüche ausgeschlossen sein solle. Aufgrund dessen mangele es bereits an der erforderlichen Gegenseitigkeit der Forderungen, so dass eine Aufrechnungslage nicht bestanden habe, so dass der Anspruch nicht erloschen sei.

Gegen das Urteil des ersten Rechtszuges, welches der Beklagten am 24.05.2022 zugestellt worden ist, wendet sie sich mit der am 24.05.2022 bei Gericht eingegangenen Berufung, welche mit am 13.06.2022 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet wurde.

Der Kläger wendet sich gegen das ihm am 16.05.2022 zugestellte Urteil mit der am 15.06.2022 bei Gericht eingegangenen Berufungsschrift, die mit am 18.07.2022 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet wurde.

Die Beklagte ist der Auffassung, der Urlaubsabgeltungsanspruch aus dem Jahr 2017 sei verjährt, mit diesem rechtlichen Aspekt habe sich das Arbeitsgericht nicht auseinandergesetzt. Sie erhebt ausdrücklich den Einwand der Verjährung.

Eine betriebliche Übung, Urlaub am Jahresende abzugelten, habe nicht bestanden. Selbst der eigene Vortrag des Klägers ergebe nicht, dass eine Abgeltung bereits verfallenen Urlaubs als Übung bestünde.

Die Aufrechnungslage sei zu Unrecht verneint worden. Eine Herausgabe des Erlangten sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes nicht möglich, da der Kläger nicht Partei des Altersversicherungsvertrages sei, sondern im Rahmen der Direktversicherung die Beklagte. Die Klage der Beklagten auf Wertersatz ergebe daher auch die erforderliche Gegenseitigkeit der Forderungen. Zur Darlegung der Höhe der Forderungen nimmt sie Bezug auf das erstinstanzliche Vorbringen

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Herford vom 03.05.2022 Az.: 2 Ca 860/21 die Klage vollumfänglich abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen sowie

in teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Herford vom 03.05.2022 Az.: 2 Ca 860/21 die Beklagte über die bereits erfolgte Verurteilung hinaus zu verurteilen, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 4.014,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.04.2021 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger beruft sich darauf, dass die Beklagte tatsächlich auch in weiteren Jahren die offenen Urlaubsansprüche jeweils abgegolten habe und zwar ausdrücklich in Zeiträumen, zu denen noch kein Verfall eingetreten sei. Hierbei handele es sich um die Jahre 2011 bis 2015. Bei einem entsprechenden Hinweis des Gerichtes würde er diesen Vortrag in erster Instanz auch entsprechend ergänzt haben. Dieser Hinweis sei nicht erfolgt. Eine betriebliche Übung habe daher nicht verneint werden dürfen, die Entscheidung stelle sich mangels Hinweises als Überraschungsentscheidung dar. Er vertritt unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH die Auffassung, eine Verjährung oder ein Verfall könne vorliegend nicht gegeben sein.

Auch gehe die Leistungskondiktion gegen die Versicherungsunternehmerin vor, weshalb nicht der Kläger in Anspruch zu nehmen sei. Die Zahlung sei darüber hinaus in Kenntnis einer Nichtschuld erfolgt und nicht versehentlich. Ein Wertzuwachs sei für den Kläger auch noch nicht entstanden, vielmehr bestehe lediglich eine Anwartschaft.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Parteien in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufungen der Parteien sind an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG) sowie in gesetzlicher Form und Frist eingelegt (§ 519 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) und innerhalb der Frist (§ 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) und auch ordnungsgemäß (§ 520 Abs. 3 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG) begründet worden.

II. In der Sache hat jedoch nur die Berufung des Klägers Erfolg. Die Berufung der Beklagten war zurückzuwiesen.

1. Zu Recht hat das Arbeitsgericht der Klage in Höhe von 2.500,00 EUR netto nebst Zinsen im ausgeurteilten Umfang stattgegeben.

Der Beklagten steht kein fälliger, aufrechenbarer Gegenanspruch gegen den Kläger zu, der eine Kondiktion gem. §§ 812 Abs. 1, 818 Abs. 1 – 3 BGB begründen würde.

a) Bedenken gegen den Rückforderungsanspruch gerade gegen den Kläger bestehen vorliegend schon deshalb, da in der Kammerverhandlung deutlich geworden ist, dass eine Rückforderung gegenüber dem Versicherungsunternehmen, der A Pensionskasse AG selbst nicht auch nur versucht worden ist.

Die vertraglichen Bedingungen, aufgrund derer die Leistungen erfolgt sind, sind bis zuletzt nicht vorgetragen worden. So ist auch bis zuletzt nicht dargelegt worden, weshalb bei der Zusage einer betrieblichen Altersversorgung nach den Vereinbarungen der Parteien überhaupt für Monate ohne Entgeltfortzahlung kein Anspruch auf Weiterführung der Versicherung gegeben sein soll.

Dass in Monaten, in denen kein Entgelt geleistet wird, auch keine Versicherungsprämien anfallen, müsste sich demgemäß in den Versicherungsvereinbarungen widerspiegeln, welche aber nicht bekannt sind. Sind aber die Leistungen an die Versicherung nach den vertraglichen Vereinbarungen im Deckungsverhältnis als Pflichtleistung erbracht worden, wären diese mit Rechtsgrund erfolgt, so dass sich ein Rückforderungsanspruch gegen den Kläger im Valutaverhältnis nach § 812 BGB nur ergäbe, wenn dort aufgrund eigener Vereinbarung kein Verfügungsgrund (Monate ohne Entgeltleistungen begründen keinen Anspruch auf Fortführung der Prämienzahlung) ergäbe.

Dieses kann aber dahinstehen.

b) Unabhängig davon ist (derzeit) nicht erkennbar, dass eine materielle Bereicherung des Klägers tatsächlich stattgefunden hat.

aa) Eine Leistungskondiktion gem. § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB ist nicht gegeben, da die Beklagte eben nicht an den Kläger geleistet hat, sondern Prämien direkt an den Versicherer geleistet hat.

bb) In Betracht kommt daher nur ein Anspruch gem. § 812 Abs. 1, S. 1, 2. Alt. BGB.

Der Kläger ist derzeit nicht um einen Geldanspruch von 2500,00 EUR bereichert. Dem Kläger mag entsprechend der Ausführungen der Beklagten ein möglicher Wertzuwachs bei den monatlich ab dem Jahr 2035 im Erlebensfall von der A Pensionskasse AG zu leistenden Rentenbeträgen in Höhe von 14,79 EUR erwachsen. Indes ist die Realisierung dieses Betrages in der Zukunft völlig ungewiss bezüglich des Ob und der sich dann ergebenden Dauer des Bezuges.

Herauszugeben ist aber nach der gesetzlichen Regelung jeweils nur das tatsächlich Erlangte. Dieses ist vorliegend nicht mehr als eine Anwartschaft auf spätere Leistung und kein bereits zugeflossener materieller Geldwert.

Auch das Arbeitsgericht hat hierauf und auf die Möglichkeit, stattdessen auf die Abtretung der Ansprüche zu klagen hingewiesen. Dieses ist indes nicht erfolgt.

Die Kammer bezieht daher im Weiteren zur Begründung auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichtes und sieht gem. § 69 Abs. 2 ArbGG von weiteren Ausführungen ab.

2) Das Arbeitsgericht hat aber die Klage des Klägers auf Abgeltung der Urlaubsansprüche für das Kalenderjahr 2017 unter Beachtung der insoweit zum Teil geänderten Rechtsprechung aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 22.09.2022 (C-518/20 sowie C-727/20, juris) zu Unrecht abgewiesen.

Die Klage ist begründet, das Urteil des Arbeitsgerichtes daher insoweit abzuändern.

a) Seit der insoweit grundlegenden Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2012 entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass Urlaubsansprüche bei langandauernder Erkrankung nicht gem. § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ablauf des 31.12. des Kalenderjahres bzw. dem 31.03. des Folgejahres erlöschen, sondern aufgrund richtlinienkonformer Auslegung erst 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres (BAG, Urteil vom 07. August 2012, 9 AZR 353/10, NZA 2012, 1216-ff im Anschluss an EuGH 22. November 2011, C-214/10 ,[KHS]).

aa) In dieser Entscheidung hatte der EuGH ausgeführt, Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sei dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten wie etwa Tarifverträgen nicht entgegensteht, die die Möglichkeit für einen während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränken, dass sie einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt. Als Begründung wurde hierzu ausgeführt, dass ein Arbeitnehmer, der während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig ist, anderenfalls berechtigt wäre, unbegrenzt alle während des Zeitraums seiner Abwesenheit von der Arbeit erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln. Ein Recht auf ein derartiges unbegrenztes Ansammeln von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub, die während eines solchen Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit erworben wurden, würde jedoch nicht mehr dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub entsprechen. (EuGH, Urteil vom 22. November 2011, wie vor, Rz. 29,30).

bb) Aufgrund der späteren Feststellung des EuGH, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der ein Arbeitnehmer, der im betreffenden Bezugszeitraum keinen Antrag auf Wahrnehmung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gestellt hat, am Ende des Bezugszeitraums die ihm gemäß diesen Bestimmungen für den Bezugszeitraum zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Urlaub automatisch verliert (vgl. EuGH 6. November 2018, C-684/1, [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 61), hat das BAG in der Folge entschieden, dass der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub (§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG) bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 BUrlG), erlischt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber seinen aus einem richtlinienkonformen Verständnis von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG resultierenden Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs genügt, indem er den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt (BAG, Urteil vom 19. Februar 2019, 9 AZR 423/16, NZA 2019, 977 ff, Rz 21, 22, 39).

cc) Diese Mitwirkungspflichten bestehen auch während einer langandauernden Erkrankung, die sich über mehrere Jahre erstreckt.

Das BAG hat in seinem Vorlagebeschluss an den EuGH vom 07.07.2020 (9 AZR 401/19 (A), NZA 2020, 1541 ff, Rn. 19 – 27) ausgeführt, die Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers bestünden regelmäßig auch, wenn und solange der Arbeitnehmer arbeitsunfähig sei. Sie könnten ihren Zweck erfüllen, weil sich die Dauer der Erkrankung nicht von vornherein absehen lasse.

Dem Arbeitgeber sei es möglich, den arbeitsunfähigen Arbeitnehmer entsprechend den gesetzlichen Vorgaben rechtzeitig und zutreffend über den Umfang und die Befristung des Urlaubsanspruchs unter Berücksichtigung des bei einer langandauernden Erkrankung geltenden Übertragungszeitraums zu unterrichten. Der Arbeitgeber sei nicht gehindert, den Arbeitnehmer rechtzeitig aufzufordern, den Urlaub bei Wiedergenesung vor Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums zur Vermeidung des Verfalls so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums gewährt und genommen werden könne.

Die Aufforderungen und Hinweise des Arbeitgebers seien auch nicht entbehrlich. Das Bundesurlaubsgesetz ermögliche es dem Arbeitnehmer mit den Regelungen in § 7 Abs. 1 und Abs. 2 BUrlG, durch seine Urlaubswünsche, die sich auf das gesamte Urlaubsjahr bzw. ggf. den zulässigen Übertragungszeitraum beziehen könnten, bei Bedarf über Erholungszeiträume zu verfügen, die längerfristig gestaffelt und geplant werden können. Die rechtzeitige Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten stelle sicher, dass der Arbeitnehmer die durch das Bundesurlaubsgesetz mit § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG intendierte Dispositionsmöglichkeit hinsichtlich des Zeitraums der Inanspruchnahme des Urlaubs nutzen und ab dem ersten Arbeitstag nach seiner Wiedergenesung Urlaub in Anspruch nehmen könne, sofern der Arbeitgeber nicht berechtigt sei, die Gewährung von Urlaub nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BUrlG abzulehnen.

Jedoch sei die Befristung des Urlaubsanspruchs bei einem richtlinienkonformen Verständnis des § 7 Abs. 3 BUrlG nicht von der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten abhängig, wenn es – was erst im Nachhinein feststellbar ist – objektiv unmöglich gewesen wäre, den Arbeitnehmer durch Mitwirkung des Arbeitgebers in die Lage zu versetzen, den Urlaubsanspruch zu realisieren. Der Zweck der aus § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG abgeleiteten Obliegenheiten, zu verhindern, dass der Arbeitnehmer den Urlaubsanspruch verliert, weil er ihn in Unkenntnis der Befristung und des damit einhergehenden Risikos des Erlöschens nicht rechtzeitig gegenüber dem Arbeitgeber geltend macht, bestimme nicht nur den Inhalt der rechtlich gebotenen Aufforderungen und Hinweise, sondern sei auch auf der Rechtsfolgenseite zu berücksichtigen.

Regelmäßig sei dem Arbeitgeber die Berufung auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs versagt, wenn er seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt hat, denn ein verständiger Arbeitnehmer hätte bei gebotener Aufforderung und Unterrichtung seinen Urlaub typischerweise rechtzeitig vor dem Verfall beantragt.

dd) Anders verhalte es sich, wenn auch bei Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten deren Zweck nicht hätte erreicht werden können, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt. Unter diesen Umständen sei es dem Arbeitgeber, der seinen Obliegenheiten nicht nachgekommen ist, nicht verwehrt, sich auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu berufen. Sei der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig, seien nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal. Der Urlaubsanspruch sei auf eine bezahlte Befreiung von der Arbeitspflicht gerichtet. Könne der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung krankheitsbedingt nicht erbringen, werde ihm die Arbeitsleistung unmöglich. Er werde nach § 275 Abs. 1 BGB von der Pflicht zur Arbeitsleistung frei. Eine Befreiung von der Arbeitspflicht durch Urlaubsgewährung sei deshalb rechtlich unmöglich.

Dieses Ergebnis stehe im Einklang mit der durch den Gerichtshof gefundenen Auslegung des Unionsrechts. Die gemäß Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta bestehende Obliegenheit des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer u.a. erforderlichenfalls mittels entsprechender Aufforderungen und Hinweise in die Lage zu versetzen, den Urlaub wahrzunehmen (EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 45 f.), diene nach Feststellung des Gerichtshofs der Vermeidung einer Situation, in der die Aufgabe, für die tatsächliche Wahrnehmung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub zu sorgen, vollständig auf den Arbeitnehmer verlagert würde, während der Arbeitgeber die Möglichkeit erhielte, sich unter Berufung auf den fehlenden Urlaubsantrag des Arbeitnehmers seinen eigenen Pflichten zu entziehen (EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 43). Ein Arbeitnehmer, der während des Bezugs- und/oder Übertragungszeitraums krankheitsbedingt arbeitsunfähig sei, könne seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben. Eine freie Entscheidung über die Verwirklichung des Anspruchs sei – ohne dass es auf die Aufforderungen und Hinweise des Arbeitgebers ankäme – von vornherein ausgeschlossen, weil die Arbeitsunfähigkeit auf psychischen oder physischen Beschwerden beruhe und vom Willen des Arbeitnehmers unabhängig sei (BAG, EuGH-Vorlage vom 07. Juli 2020, 9 AZR 401/19 (A), NZA 2020, 1541-1547, Rn. 19 – 27 unter Verweis auf st. Rspr., vgl. EuGH 25. Juni 2020, C-762/18 und C-37/19, [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 66; 4. Oktober 2018, C-12/17, [Dicu] Rn. 32, 33 mwN; so auch LAG Hamm, Urteil vom 17. Februar 2022, 5 Sa 872/21, Rn. 32 – 46, juris, mit dem sich die hier entscheidende Kammer unter Aufgabe der hiervon abweichenden Rechtsprechung im Urteil vom 24. Juli 2019, 5 Sa 676/19, juris, mit dem die Hinweispflichten während einer andauernden Arbeitsunfähigkeit verneint wurden und Anschließung an die Rechtsprechung des BAG).

ee) Das bedeutet im Ergebnis, dass ein Urlaubsanspruch bei langanhaltender Arbeitsunfähigkeit auch dann 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres verfällt, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweispflichten nicht nachgekommen ist, da dann nicht (mehr) der fehlende Hinweis des Arbeitgebers sondern die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers kausal für den Verfall des Urlaubs ist.

Dieses allerdings gilt nur insoweit, als es sich um Kalenderjahre mit vollständiger Arbeitsunfähigkeit handelt. Soweit der Beschäftigte im Kalenderjahr sowohl Zeiten der Beschäftigung als auch der Arbeitsunfähigkeit ausweist, hat das Bundesarbeitsgericht die Fragestellung dem EuGH vorgelegt (BAG, EuGH-Vorlage vom 07.07.2020, 9 AZR 401/19 (A), BAGE 171, 231 f.), ob das Unionsrecht das Erlöschen des Urlaubsanspruchs bei einer ununterbrochen fortbestehenden Erkrankung des Arbeitnehmers 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres oder einer längeren Frist auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber im Urlaubsjahr seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat, obwohl der Arbeitnehmer den Urlaub bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest teilweise hätte nehmen können.

ff) Durch Urteil vom 22.09.2022 (C-518/20 und C-727/20, juris) hat dieser entschieden, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einer nationalen Regelung entgegen, nach der der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub, den er in einem Bezugszeitraum erworben hat, in dessen Verlauf er tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder aufgrund einer seitdem fortbestehenden Krankheit arbeitsunfähig geworden ist, entweder nach Ablauf eines nach nationalem Recht zulässigen Übertragungszeitraums oder später auch dann erlöschen kann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch auszuüben.

gg) Das BAG hat mittlerweile im Anschluss an die Entscheidung dieses Vorlagebeschusses in der Hauptsache entschieden und dort festgestellt, dass der Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub aus einem Urlaubsjahr, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bevor er aus gesundheitlichen Gründen an der Inanspruchnahme seines Urlaubs gehindert war, regelmäßig nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten erlischt, wenn der Arbeitgeber ihn rechtzeitig in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen. Dieses folge aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG (BAG, Urteil vom 20. Dezember 2022, 9 AZR 245/19, Pressemitteilung 47/22 vom 2012.2022, die Gründe liegen noch nicht vor).

Dieses bedeutet, dass Urlaubsansprüche nur dann verfallen können, wenn der Arbeitgeber vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit von dem Arbeitgeber darauf hingewiesen worden ist, dass Urlaubsansprüche, die nicht innerhalb der gesetzlichen Übertragungszeiträume gem. § 7 Abs. 3 S. 1 – 3 BUrlG, bzw. im Fall der Arbeitsunfähigkeit binnen 15 Monaten nach dem Ende des Kalenderjahres verwirklicht werden, erlöschen.

Es kann für die vorliegende Entscheidung auch dahinstehen, zu welchem Zeitpunkt genau diese Information zu erfolgen hat, da die Beklagte diese jedenfalls bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses nicht erteilt hat.

Dieses hat im Ergebnis zur Folge, dass die Urlaubsansprüche des Klägers aus dem Kalenderjahr 2017 nicht mit Ablauf des 31.03.2019 erloschen sind, sondern in das jeweilige folgende Kalenderjahr übertragen wurden, somit zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch in voller Höhe bestanden und abzugelten waren.

b) Die oben ausgeführten Grundsätze gelten allerdings grundsätzlich lediglich bezogen auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch, denn nur zu diesen verhält sich Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG.

aa) Während der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub arbeitsvertraglichen Dispositionen entzogen ist, die sich zuungunsten des Arbeitnehmers auswirken (§ 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG), können die Arbeitsvertragsparteien Urlaubsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Die grundrechtlich geschützte Vertragsfreiheit (vgl. dazu BAG 8. Mai 2018 – 9 AZR 531/17 – Rn. 58) schließt das Recht ein, das teilweise oder vollständige Erlöschen des arbeitsvertraglichen Mehrurlaubs für den Fall vorzusehen, dass der Arbeitnehmer in der zweiten Jahreshälfte ausscheidet (vgl. BAG 21. Mai 2019 – 9 AZR 579/16 – Rn. 63). Für einen Regelungswillen der Arbeitsvertragsparteien, dem zufolge allein der vertragliche Mehrurlaub abweichend von den für den gesetzlichen Mindesturlaub geltenden gesetzlichen Vorgaben berechnet werden soll, müssen allerdings deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem diesbezüglichen Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf den vertraglichen Mehrurlaub auszugehen (BAG 30. November 2021, 9 AZR 225/21, Rn. 38). Dieselben Grundsätze gelten für tarifvertragliche Regelungen. Auch Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art 7 Abs. 1 EGRL 88/2003 gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Diese Befugnis schließt die Befristung des tariflichen Mehrurlaubs ein, wenn die Regelung eine abweichendes Regime für den übergesetzlichen Urlaub vorsieht (BAG, Urteil vom 14.02.2017, 9 AZR 386/16, juris, m.w.N.).

bb) Zwar regelt auch der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer des privaten Omnibusgewerbes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 15.12.2015 in der Fassung vom 09.11.2020 (im Folgenden MTV), auf den sich die Beklagte im Kammertermin zweiter Instanz bezogen hat, in § 14 Abs. 8 folgendes:

Der Urlaub muss binnen 3 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres genommen werden. Der nicht genommene Urlaub verfällt,

a. es sei denn, dass er während des Kalenderjahres erfolglos geltend gemacht worden ist;

b. mit Ausnahme des gesetzlichen Mindesturlaubs, soweit der Arbeitnehmer den gesetzlichen Mindesturlaub im ersten Kalendervierteljahr des Folgejahres wegen fortbestehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen konnte; in diesem Fall erlischt der gesetzliche Mindesturlaub nach Ablauf von 15 Monaten seit Ende des Kalenderjahres, in dem er entstanden ist.

Dahinstehen kann, dass diese Regelung jedenfalls insoweit unwirksam sein dürfte, als sie nicht festlegt, dass Ziff b, 2. Halbsatz in dem Jahr, in dem der Arbeitnehmer nach teilweise erbrachter Arbeitsleistung arbeitsunfähig wird, nur dann gilt, wenn der Arbeitgeber vorher seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist.

c) Dieses kann aber letztlich für die Entscheidung dahinstehen, da die Beklagte jedenfalls nicht dargetan hat, dass die tariflichen Regelungen über die Urlaubsgewährung insgesamt in das Arbeitsverhältnis einbezogen worden sind. Allein daraus, dass die Urlaubsansprüche in tariflicher Höhe gewährt werden, ergibt sich dieses nicht.

aa) Dafür, dass die tarifvertraglichen Regelungen kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit gem. § 3 Abs. 1 TVG gelten, ist nicht vorgetragen, dieses ist auch nicht offenkundig.

bb) Die vollständige Anwendung der tarifvertraglichen Regelungen ergibt sich auch nicht aus der Handhabung in der Vergangenheit.

So regelt § 14 Abs. 10 MTV: Der Arbeitnehmer erhält ab einer Betriebszugehörigkeit von einem Jahr zusätzlich zur Urlaubsvergütung ein Urlaubsgeld in Höhe von 16,00 EUR für jeden tariflichen Urlaubstag. Das Urlaubsgeld ist zusammen mit der Urlaubsvergütung auszuzahlen. Bei Urlaubsaufteilung ist jeweils das anteilige Urlaubsgeld zu gewähren.

Keine der seitens des Klägers vorgelegten Abrechnungen weist aus, dass parallel zum Urlaubsentgelt Urlaubsgeld gezahlt worden wäre. Soweit sich aus den Abrechnungen 9/2014 (Bl. 142 d. A.), 7/2014 (Bl. 144 d. A.), 9/13 (Bl. 154 d. A.) und 7/13 (Bl. 156 d. A.) die Zahlung von Urlaubsgeld ergibt, erfolgte dieses weder parallel zu gewährten Urlaubstagen, noch ergibt sich eine tarifliche Leistung, da die Abrechnungen dieser Monate jeweils den Zusatz: „Die Auszahlung des Urlaubsgeldes erfolgt ohne Rechtsanspruch!“ enthält.

Insoweit dürfte es der Beklagten verwehrt sein, sich auf die tariflichen Regelungen zu berufen. Hierfür spricht im Übrigen auch, dass die Abgeltung für die Jahre 2019 bis 2021 bei Zugrundelegung des gesamten Urlaubsanspruchs vorgenommen wurde. Die Beklagte hat daher selbst nicht die tariflichen Bestimmungen zugrunde gelegt.

Eine individualvertragliche Regelung, die eine unterschiedliche Behandlung des gesetzlichen und übergesetzlichen Urlaubs bedingt, ist nicht vorgetragen und nicht erkennbar.

d) Bestehen keine tariflichen oder vertraglichen Regelungen dahingehend, dass der gesetzliche und der übergesetzliche Urlaub hinsichtlich des Verfalls eigenständigen Regelungen unterliegen, so ist vom Gleichlauf des gesetzlichen mit dem übergesetzlichen Urlaub auszugehen.

Dieses bedeutet, dass der dem Kläger gewährte Jahresurlaub im Jahr 2017 in Höhe von 28 Arbeitstagen zuzüglich des Schwerbehindertenurlaubs in Höhe von 5 Tagen gem. § 208 SGB IX bestand, somit in Höhe von insgesamt 33 Tagen, von denen nach eigenen Angaben der Beklagten 3 Tage im Jahr 2017 in natura gewährt worden waren, so dass sich wie vom Kläger geltend gemacht ein Resturlaubsanspruch von 30 Tagen ergab.

Da dieser nach Angaben der Beklagte im Jahr 2017 mit 10 Stunden pro Tag berechnet wurde, ergibt sich 30 x 10 x 13,38 EUR somit der eingeklagte Betrag von 4.014,00 EUR.

Die Klage war schlüssig und begründet. Das Urteil des Arbeitsgerichts auf die Berufung des Klägers teilweise abzuändern und der Klage insoweit ebenfalls stattzugeben.

e) Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 286 Abs. 2 Ziff. 1, 288 Abs. 1 BGB.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 91 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision war im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH und die bei Absetzung des Urteils noch nicht vorhandene abgesetzte Entscheidung des BAG zuzulassen, um divergierende Entscheidungen zu vermeiden.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!