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Treuwidrige Änderungskündigung – Abwälzung von Mindereinnahmen auf Arbeitnehmer

LAG Berlin-Brandenburg – Az.: 6 Sa 2266/11 – Urteil vom 17.02.2012

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Senftenberg vom 01.09.2011 – 4 Ca 192/11 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der am …..1949 geborene Kläger war aufgrund eines Arbeitsvertrags vom 29.11.1999 (Abl. Bl. 8 und 9 GA) als Schuldner- und Insolvenzberater gegen ein Monatsgehalt von 2.755 € brutto bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden für den Beklagten tätig.

Zwecks Neuregelung der Vergütung ab 01.01.2011 unterbreitete der Beklagte dem Kläger das auf den 01.03.2011 datierte Angebot eines Änderungsvertrags, worin es unter anderem hieß:

„Der Arbeitnehmer erhält monatlich einen Sockelbetrag / Brutto-Gehalt von 1.400,00 € (entspricht einer Leistungspauschale von 1.600,00 €, abzüglich pauschaler Sachkosten in Höhe von monatlich 200,00 €). Für jede Beratung, die beim Landkreis OSL / dem Kreissozialamt abgerechnete wurde, erhält der Arbeitnehmer einen Leistungszuschlag gestaffelt nach Beratungsintensivität (Basisberatung: 230,00 €; Standardberatung: 345,00 €; Intensivberatung: 460,00 €). Die Höchstgrenze des Einkommens beträgt monatlich brutto 2.780,00 Euro.“

Nach Ablehnung dieses Angebots kündigte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 23.02. zum 31.08.2011 (Abl. Bl. 7 GA).

Das Arbeitsgericht Senftenberg hat die hiergegen und auf vorläufige Weiterbeschäftigung gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das Arbeitsverhältnis des Klägers stehe nicht unter Kündigungsschutz, weil der Kläger nicht die erforderliche Beschäftigtenzahl für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes vorgetragen habe. Dem Vortrag des Klägers sei auch nicht zu entnehmen, weshalb die Kündigung etwa wegen grober Verletzung seiner Grundrechte sittenwidrig sei. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liege ebenfalls nicht vor, weil die Kündigung weder willkürlich sei noch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. Vielmehr habe der Beklagte zur Begründung des beabsichtigten Änderungsvertrags auf mögliche Finanzierungslücken infolge einer fall- und schwierigkeitsbezogenen Abrechnung durch den Auftrag gebenden Landkreis verwiesen.

Gegen dieses ihm am 12.10.2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 11.11.2011 eingelegte und am 27.12.2011 nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist begründete Berufung des Klägers. Er sieht schon keine Notwendigkeit für eine Kürzung seiner Vergütung, weil der Beklagte durch die neue Abrechnung nicht weniger Geld einnehme als bisher. Zudem sei die Kündigung unverhältnismäßig, weil er auf der Grundlage der angebotenen Vertragsänderung in den Urlaubsmonaten im Sommer, aber auch im ersten Quartal aufgrund eher schwacher Fallzahlen ein Einkommen von 2.780 € nicht erreichen könne, ohne dies in anderen Monaten ausgleichen zu können.

Der Kläger beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 23.02.2011 beendet worden sei,

2. im Falle seines Obsiegens mit dem Antrag zu 1. den Beklagten zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Schuldner- und Insolvenzberater weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er behauptet, bereit gewesen zu sein, über sein Änderungsangebot zu verhandeln, wenn der Kläger ein Gegenangebot unterbreitet hätte. Dementsprechend sei der Arbeitsplatz inzwischen zu anderen Bedingungen neu besetzt worden. Dabei hätte der Kläger von Januar bis August 2011 in allen Monaten 2.780 € verdienen können. Den aus seiner Tätigkeit erzielten Einnahmen in Höhe von insgesamt 28.406 € hätten jedoch Ausgaben in Höhe von 31.627,82 € gegenübergestanden, so dass er, der Beklagte, einen Verlust von 3.221,82 € aus Mitgliedsbeiträgen habe ausgleichen müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1. Die innerhalb der verlängerten Begründungsfrist ordnungsgemäß begründete Berufung des Klägers ist in der Sache unbegründet.

1.1 Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 23.02.2011 mit der sechsmonatigen Frist des § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 BGB zum 31.08.2011 aufgelöst worden.

1.1.1 Die Kündigung des Beklagten ist nicht gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot aus § 612a BGB unwirksam.

1.1.1.1 Es stellt keine Benachteiligung des Arbeitnehmers wegen zulässiger Ausübung seiner Rechte i.S.d. § 612a BGB dar, wenn der Arbeitgeber dessen Ablehnung eines Angebots zum Abschluss eines Änderungsvertrags zum Anlass für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nimmt, ohne dass es auf den Inhalt dieses Angebots ankommt. Es verhält sich insoweit nicht anders als bei einer Änderungskündigung, wenn der Arbeitnehmer das mit der Kündigung verbundene Änderungsangebot ablehnt (dazu Rieble RdA 2000, 40, 42). Die Kündigung erfolgt nicht wegen der Ablehnung als solcher, diese ist nicht das tragende Motiv (zu diesem Erfordernis BAG, Urt. vom 06.11.2003 – 2 AZR 690/02 – BAGE 108, 269 = AP TzBfG § 14 Nr. 7 zu B II 2 a der Gründe). Vielmehr geht es dem Arbeitgeber in erster Linie um eine Neugestaltung des weiteren Leistungsaustauschs. Anderenfalls wäre auch der in § 2 KSchG geregelte Änderungsschutz überflüssig, der indes nur für Arbeitsverhältnisse gilt, die gemäß §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 Satz 2 oder 3 KSchG unter Kündigungsschutz stehen.

1.1.1.2 So verhielt es sich im vorliegenden Fall. Der Beklagte hat dem Kläger nicht gerade deshalb gekündigt, weil dieser sein Änderungsangebot abgelehnt hatte, sondern weil er sich gezwungen gesehen hat, die Vergütungsabrede dem geänderten Abrechnungsmodus seines Auftraggebers und seiner Finanzlage anzupassen.

1.1.2 Die Kündigung des Beklagten ist auch nicht wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB unwirksam. Es verstieß nicht gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, dass der Beklagte auf die Ablehnung seines Änderungsangebots durch den Kläger mit dieser Kündigung reagierte. Denn die mit dem Angebot beabsichtigte Einführung einer auftragsbezogenen Vergütung hätte dem Kläger trotz der sogar über dem bisherigen Festgehalt liegenden Kappungsgrenze auch bei Mindereinnahmen in einzelnen Monaten nach dessen eigener Darstellung immer noch ein seiner Tätigkeit angemessenes Einkommen belassen und ihn nicht etwa auf einen sog. Hungerlohn verwiesen.

1.1.3 Schließlich ist die Kündigung des Beklagten auch nicht etwa deshalb gemäß § 242 BGB wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unwirksam, weil das dem Kläger unterbreitete Änderungsangebot auf eine unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB gerichtet war.

1.1.3.1 Bei dem Passus über die Zahlung eines Leistungszuschlags handelte es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen in Gestalt eines Formularvertrags nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dass dieser Passus vom Beklagten nicht für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert worden war, wie dies gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB an sich erforderlich ist, stand nicht entgegen, weil ein arbeitsrechtlicher Änderungsvertrag einen Verbrauchervertrag i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB darstellt (vgl. BAG, Urt. vom 25.05.2005 – 5 AZR 572/04 – BAGE 115, 19 = AP BGB § 310 Nr. 1 zu V 1 der Gründe), auf dessen vorformulierte Bedingungen unter anderem § 307 BGB auch dann Anwendung findet, wenn diese nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind und der Arbeitnehmer aufgrund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte.

1.1.3.2 Indem der Kläger für seine Tätigkeit neben einem monatlichen Sockelbetrag von 1.400 € einen nach Art und Anzahl der abgerechneten Beratungen abhängigen Leistungszuschlag bekommen sollte, für sein Gesamteinkommen aber zugleich eine monatliche Höchstgrenze von 2.780 € vorgesehen war, hätte der Beklagte das Risiko von Mindereinnahmen in einzelnen Monaten auf den Kläger abgewälzt, ohne ihm die Möglichkeit einzuräumen, diese durch Mehreinnahmen in anderen Monaten wieder auszugleichen. Dabei hätte der Kläger nach übereinstimmender Schilderung der Parteien im Verhandlungstermin noch nicht einmal Einfluss auf den Abrechnungszeitpunkt nehmen können.

1.1.3.3 Die sich aus der beabsichtigten Neuregelung der Vergütung des Klägers ergebende unangemessene Benachteiligung ließ die wegen Ablehnung des darauf gerichteten Angebots ausgesprochene Kündigung nicht als treuwidrig i.S.d. § 242 BGB erscheinen.

1.1.3.3.1 Allerdings wird der gemäß Art. 12 Abs. 1 GG gebotene Mindestschutz des Arbeitsplatzes vor Verlust durch private Dispositionen für Arbeitnehmer in Kleinbetrieben, deren Arbeitsverhältnis gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 oder 3 KSchG nicht unter allgemeinem Kündigungsschutz steht, auch über die zivilrechtliche Generalklausel des § 242 BGB gewährleistet. Dabei geht es vor allem darum, diese Arbeitnehmer vor Willkür oder auf sachfremden Motiven beruhende Kündigungen zu schützen. Der dadurch vermittelte Schutz darf allerdings nicht dazu führen, dass dem Kleinunternehmer als Arbeitgeber praktisch die im Kündigungsschutzgesetz vorgegebenen Maßstäbe der Sozialwidrigkeit auferlegt werden (BVerfG, Beschluss vom 27.01.1978 – 1 BvL 15/87 – BVerfGE 97, 169 = AP KSchG 1969 § 23 Nr. 17 zu B I 3 b cc der Gründe). Über § 242 BGB darf deshalb nicht geprüft werden, ob die vom Arbeitgeber angeführten Gründe seine Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial rechtfertigen (BAG, Urt. vom 21.02.2001 – 2 AZR 579/99 – BAGE 97, 141 = AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 26 zu II 4 a der Gründe) oder ob die beabsichtigte Änderung der Arbeitsbedingungen gemäß § 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt ist. Nur dies hätte sich im vorliegenden Fall ergeben können.

1.1.3.3.2 Während eine Änderungskündigung, deren Angebot auf eine gemäß § 1 Abs. 3 TVG unzulässige Abweichung von einem Tarifvertrag gerichtet ist, deshalb selbst wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot für gemäß § 134 BGB unwirksam gehalten wird (BAG, Urt. vom 10.02.1999 – 2 AZR 422/98 – BAGE 91, 22 = AP KSchG 1969 § 2 Nr. 52 zu B III der Gründe; abl. Rieble, RdA 2000, 40) wird aus sonstigen rechtlichen Mängeln des mit einer Kündigung verbundenen Änderungsangebots zu Recht lediglich deren Sozialwidrigkeit nach § 2 Satz 1 KSchG abgeleitet. So widerspricht ein Änderungsangebot, dessen Inhalt den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und muss deshalb vom Arbeitnehmer nicht billigerweise hingenommen werden (BAG, Urt. vom 03.07.2003 – 2 AZR 617/02 – BAGE 107, 56 = AP KSchG 1969 § 2 Nr. 73 zu II 2 der Gründe). Dies trifft auch für ein Änderungsangebot zu, das nicht so konkret gefasst ist, dass dem Arbeitnehmer klar wird, welche Arbeitsbedingungen künftig gelten sollen (BAG, Urt. vom 15.01.2009 – 2 AZR 641/07 – AP KSchG 1969 § 2 Nr. 141 R 16 und 20). Gleiches wie in dem damit angesprochenen Fall der in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB geregelten Intransparenz muss für den Fall gelten, dass sich das mit der Kündigung verbundene oder wie im vorliegenden Fall vorher bereits abgelehnte Änderungsangebot auf eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB richtet. Auch darin ist kein Mangel zu sehen, der über die Sozialwidrigkeit im Falle von Kündigungsschutz hinausgeht.

1.1.3.3.3 Diese rechtliche Behandlung von Änderungsangeboten, die auf eine unangemessene Benachteiligung gerichtet sind, führt auch nicht zu einem unbilligen Ergebnis für den Arbeitnehmer, der mangels Kündigungsschutz das Angebot nicht gemäß § 2 Satz 1 KSchG unter Vorbehalt dessen sozialer Rechtfertigung annehmen kann. Auch eine uneingeschränkte Annahme hindert ihn nicht, die geänderten Vertragsbedingungen zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zu machen und damit einer AGB-Kontrolle zu unterziehen. Sollte der Arbeitgeber etwa darauf mit einer Kündigung reagieren, wäre nunmehr diese als Maßregelung gemäß §§ 134, 612a BGB unwirksam.

1.2 Mit der Abweisung des Feststellungsantrags des Klägers ist sein in Form eines unechten Hilfsantrags gekleideter Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung nicht zur Entscheidung angefallen.

2. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Kammer hat die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage zugelassen, welche Auswirkung die Ablehnung eines Angebots des Arbeitgebers mit einer für den Arbeitnehmer unangemessenen Benachteiligung auf die deshalb vom Arbeitgeber erklärte Kündigung des Arbeitsverhältnisses hat.

 

 

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