Landesarbeitsgericht Sachsen – Az.: 2 Sa 506/17 – Teilurteil vom 23.08.2018
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 24.08.2017 – 1 Ca 4178/16 – teilweise a b g e ä n d e r t und die Klage insoweit abgewiesen, als auf den Klageantrag zu 3. festgestellt wurde, dass Umkleidezeiten des Klägers (Berufskleidung) in einem Umfang von sechs Minuten pro Umkleidung vergütungspflichtige Arbeitszeiten sind.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil oder einer gleichwertigen Entscheidung zu den Kosten vorbehalten.
Revision ist nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in dem zweiten Rechtszug – soweit für dieses Teilurteil von Belang – unverändert darüber, ob festzustellen ist, dass Umkleidezeiten des Klägers (Berufskleidung) in einem Umfang von sechs Minuten pro Umkleidung vergütungspflichtige Arbeitszeiten sind.
Der Kläger ist bei der Beklagten unter Einsatz in der von dieser betriebenen … als Rettungsassistent beschäftigt.
Während der mit RTW, KTW und NEF bezeichneten Dienste ist der Kläger verpflichtet, eine persönliche Schutzausrüstung (PSA) bestehend aus Schuhen, Jacke, Weste und Hose zu tragen. Ein Qualitätsmanagement-Handbuch vom 12.06.2013 enthielt u. a. die Regelung, dass die Arbeitskleidung erst in der Wache angelegt werden dürfe. Nach einem Hygieneplan war festgelegt, dass das Umkleiden bei der Arbeit und im Umkleideraum stattzufinden habe. In einem Qualitätsmanagement-Handbuch vom 06.10.2014 ist eine entsprechende Verpflichtung nicht mehr enthalten. Bei seiner Einstellung sowie in späteren Unterweisungen war der Kläger darauf hingewiesen worden, dass die PSA nicht zu Hause gereinigt werden dürfe und grundsätzlich am Dienstort angezogen werde. Den Mitarbeitern wurde das Fahren mit angelegter Dienstkleidung im privaten Pkw untersagt.
Der Kläger hat vorgetragen, der Umkleidevorgang dauere im Durchschnitt jeweils sechs Minuten. Bei den Umkleidezeiten handele es sich um vergütungspflichtige Arbeitszeiten, die dem für ihn geführten Arbeitszeitkonto gutzuschreiben seien.
Der Kläger hat die Feststellung beantragt, dass die unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit erforderlichen Umkleidezeiten (Berufskleidung), mindestens jedoch sechs Minuten pro Umkleidung, vergütungspflichtige Arbeitszeiten sind.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Umkleidezeiten seien nicht zusätzlich zu vergüten. Es gebe jedenfalls aktuell keine Anweisung der Geschäftsleitung an den Kläger oder andere Mitarbeiter, die Dienstkleidung ausschließlich an der Arbeitsstelle an- bzw. auszuziehen. Zudem sei vom Kläger nicht dargelegt worden, dass er die Kleidung regelmäßig am Arbeitsort an- und wieder ausgezogen habe. Jedenfalls sei die vom Kläger angesetzte Dauer von sechs Minuten zu lang. Ein Umkleidevorgang dauere etwa 181 bis 194 Sekunden. Der pauschale Ansatz von sechs Minuten pro Umkleidevorgang sei unzulässig. Der Kläger könne sich nicht auf § 287 ZPO stützen, weil er insbesondere zum Faktor Zeit keine Anknüpfungstatsachen liefere. Ebenso wenig würden Anknüpfungstatsachen zum Ausschöpfen seiner persönlichen Leistungsfähigkeit sowie der Erforderlichkeit vorgetragen.
Darauf hat der Kläger zum Ablauf des Umziehens bei Dienstbeginn sowie zum Ablauf des Umziehens bei Dienstende unter Beweisantritt wie folgt repliziert:
Tätigkeit
Dauer
(Näherungswerte)
1. PSA – Einzelstücke – aus den Wäschefächern (1 Fach Hose, 1 Fach Hemd, Arbeitsschuhe Regal, Fleecejacke hängt im Spind, Dienstjacke hängt im Spind)
60 Sekunden
2. Ausziehvorgang
75 Sekunden
2.1. Privatjacke ausziehen und hinlegen
15 Sekunden
2.2. Pullover oder Fleecejacke ausziehen und hinlegen
15 Sekunden
2.3. Hemd ausziehen und hinlegen
15 Sekunden
2.4. Schuhe ausziehen und hinstellen
15 Sekunden
2.5. Hose ausziehen und hinlegen
15 Sekunden
3. Aufschließen Spind für Privatkleidung
10 Sekunden
4. Jacken auf Bügel hängen, Schuhe einräumen, Hemd ordentlich reinlegen
30 Sekunden
5. Spind für Privatkleidung abschließen
10 Sekunden
6. Anziehvorgang
125 Sekunden
6.1. Hemd nehmen und anziehen
20 Sekunden
6.2. Hose nehmen und anziehen
20 Sekunden
6.3. Fleecejacke nehmen und anziehen
20 Sekunden
6.4. Arbeitsschutzschuhe nehmen und anziehen
25 Sekunden
6.5 Dienstjacke nehmen und anziehen
20 Sekunden
6.6. Arbeitsmittel, z. B. Schreibzeug, Schlüssel einstecken
20 Sekunden
7. Umkleideraum verlassen und abschließen
15 Sekunden
8. Weg vom Umkleidezeit zum Aufenthaltsraum (ca. 30 m, 2 Türen, 2 Treppen) – hier beginnt die Kerntätigkeit
60 Sekunden
Insgesamt:
385 Sekunden = 6,41 Minuten
Tätigkeit
Dauer in Sekunden
1. Weg vom Aufenthaltsraum innerhalb der Wache zum Spind
(ca. 30 m, 2 Türen, 2 Treppen)
60 Sekunden
2. Aufschließen Spind für Privatkleidung
10 Sekunden
3. Ausziehvorgang
100 Sekunden
3.1. Arbeitsmittel, z. B. Schreibzeug, Schlüssel aus den Taschen nehmen und hinlegen
20 Sekunden
3.2. Dienstjacke ausziehen und hinlegen
15 Sekunden
3.3. Arbeitsschutzschuhe ausziehen und hinlegen
20 Sekunden
3.4. Fleecejacke ausziehen und hinlegen
15 Sekunden
3.5. Hose ausziehen und hinlegen
15 Sekunden
3.6. Hemd ausziehen und hinlegen
15 Sekunden
4. PSA in die Wäsche geben
40 Sekunden
5. Privatsachen aus Spind ordentlich herausnehmen
20 Sekunden
6. Anziehvorgang
100 Sekunden
6.1. Hose nehmen und anziehen
20 Sekunden
6.2. Hemd nehmen und anziehen
20 Sekunden
6.3. Pullover oder Fleecejacke nehmen und anziehen
20 Sekunden
6.4. Schuhe nehmen und anziehen
20 Sekunden
6.5. Privatjacke nehmen und anziehen
20 Sekunden
7. Abschließen Spind
10 Sekunden
Insgesamt:
340 Sekunden = 5,67 Minuten
Hierzu hat sich die Beklagte zur Dauer des Umziehens bei Dienstende in der Rettungswache … unter Gegenbeweisantritt wie folgt verhalten:
Tätigkeit
Dauer in Sekunden
1. Weg vom Aufenthaltsraum innerhalb der Wache zum Spind
33 Sekunden
2. Aufschließen Spind für Privatkleidung
4 Sekunden
3. Ausziehvorgang
38 Sekunden
3.1. Arbeitsmittel aus Taschen nehmen
5 Sekunden
3.2. Dienstjacke ausziehen
8 Sekunden
3.3. Arbeitsschutzschuhe ausziehen
10 Sekunden
3.4. Fleecejacke ausziehen
5 Sekunden
3.5. Hose ausziehen
5 Sekunden
3.6. Poloshirt ausziehen
5 Sekunden
4. PSA in Wäsche geben
17 Sekunden
5. Privatsachen aus Spind herausnehmen
10 Sekunden
6. Anziehvorgang
75 Sekunden
6.1. Hose anziehen
16 Sekunden
6.2. Hemd anziehen
18 Sekunden
6.3. Pullover anziehen
16 Sekunden
6.4. Schuhe anziehen
15 Sekunden
6.5. Privatjacke anziehen
10 Sekunden
7. Abschließen Spind
4 Sekunden
Insgesamt: 181 Sekunden
Das vom Kläger angegangene Arbeitsgericht Leipzig hat das Feststellungsbegehren mit einer durch Auslegung gewonnenen Modifikation des Inhalts ausgeurteilt, dass Umkleidezeiten des Klägers (Berufskleidung) in einem Umfang von sechs Minuten pro Umkleidung vergütungspflichtige Arbeitszeiten sind.
Die Beklagte hat gegen das dahingehende ihr am 09.10.2017 zugestellte Urteil am 03.11.2017 Berufung eingelegt und sie am 07.12.2017 ausgeführt.
Das Ausgangsgericht begründe nicht, aufgrund welcher eigener Erfahrungen es eine Umkleidezeit von sechs Minuten einschließlich der Wegezeiten für angemessen halte. Nicht berücksichtigt würden auch saisonale Unterschiede. Es dürfte auf der Hand liegen, dass im Winter der Auskleidevorgang etwas länger ist, im Sommer jedoch erheblich kürzer dauere.
Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Ausgangsurteils des Arbeitsgerichts Leipzig vom 24.08.2017 – 1 Ca 4178/16 – die Klage insoweit abzuweisen, als es die hier in Rede stehende Feststellung ausgeurteilt hat.
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung der Beklagten.
Er hält an seinem Vorbringen fest und verteidigt das Ausgangsurteil.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens beider Parteien wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Berufung ist begründet. Denn die – mit ihrem Feststellungsbegehren ihrerseits zulässige – Klage ist unbegründet. Die begehrte Feststellung kann nicht getroffen werden. Denn der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Arbeitsvergütungsanspruch für sechs Minuten pro Umkleidung.
1. Die Vergütungspflicht für Umkleidezeiten folgt – so keine anderen Anspruchsgrundlagen (wie hier) anwendbar sind – aus § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. dem Arbeitsvertrag. Dazu muss das Umkleiden Teil der vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitszeit sein. Dies ist etwa der Fall, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt, die im Betrieb an- und abgelegt werden muss.
2. Selbst wenn hier feststünde, dass Umkleidezeiten auf Veranlassung der Beklagten entstanden sind und daher zu vergüten wären, ergibt sich der vom Kläger in Anspruch genommene zeitliche Umfang von sechs Minuten pro Umkleidung aus seinem eigenen Vorbringen nicht.
a) Zur Ermittlung der Zeitspanne eines Umkleidevorgangs ist ein sog. modifizierter subjektiver Maßstab anzulegen. Der Arbeitnehmer darf seine Leistungspflicht nicht frei selbst bestimmen, sondern muss unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten. „Erforderlich“ ist nur die Zeit, die der einzelne Arbeitnehmer für das Umkleiden und den Weg zur und von der Umkleidestelle im Rahmen der objektiven Gegebenheiten unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit benötigt (BAG vom 26.10.2016 – 5 AZR 168/16 – Juris m. w. N.). Bei Ermittlung der erforderlichen Zeit gilt es, die Variablen des Umkleidevorgangs zu berücksichtigen. Hierzu gehören u. a. die Frage, welche Privatkleidung je nach Jahreszeit der Arbeitnehmer zuvor getragen hat und welche Wartezeiten notwendigerweise entstehen (vgl. BAG vom 26.10.2016 a. a. O.).
Umkleide- und damit verbundene Wegezeiten darf das Gericht zwar nach § 287 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 Satz 2 ZPO schätzen. Dies setzt allerdings voraus, dass der Arbeitnehmer seiner Darlegungs- oder Beweislast für den zeitlichen Umfang, in dem die in Anspruch genommenen Umkleidezeiten seines Erachtens erforderlich waren, nicht in jeder Hinsicht genügen kann (vgl. dazu BAG vom 26.10.2016 a. a. O.).
b) Nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung berücksichtigt weder der vom Kläger dargestellte Ablauf des Umziehens bei Dienstbeginn noch derjenige des Ablaufs des Umziehens bei Dienstende die von der Beklagten bereits in der Berufungsbeantwortung eingewandten saisonalen Gegebenheiten.
Die Notwendigkeit des Ausziehens und des Anziehens eines Pullovers oder einer Fleecejacke erschließt sich jedenfalls nicht für die Zeiten sommerlicher Tagestemperaturen.
Die Darstellung des Klägers differenziert insoweit nicht nach Jahreszeiten bzw. sommerlichen Schichtzeiten, die in den Nächten einen Pullover oder eine Fleece-jacke durchaus erforderlich machen können dürften.
Allein der Abzug des auf das Ausziehen bzw. Anziehen von Pullover oder Fleecejacke errechneten Zeitanteils von insgesamt 35 Sekunden (15 Sekunden + 20 Sekunden) lässt die Umkleidung bei Dienstbeginn auf 350 Sekunden (385 Sekunden minus 35 Sekunden) und damit unter sechs Minuten sinken.
Hinsichtlich der für die Umkleidung bei Dienstende in Anspruch genommenen Zeiten ergibt sich bereits aufgrund des eigenen Vorbringens des Klägers ein Umfang von lediglich 340 Sekunden, mithin weniger als sechs Minuten (und zwar 5,67 Minuten). Diese Zeit verringert sich noch um die Umkleidezeiten auch hier für Pullover oder Fleecejacken im Umfang von 35 Sekunden, die aus den vorstehenden Gründen unmöglich ganzjährig bzw. zu jeder Tageszeit auch im Sommer anfallen können.
Unabhängig von dem Vorstehenden und selbständig tragend spricht gegen das Vorbringen des Klägers auch der von der Beklagten aufgeworfene Gesichtspunkt, dass auch mehrere Kläger sog. Parallelverfahren ihrerseits durchgängig sechs Minuten für Umkleidungen in Ansatz brächten. Nachdem das durch das Arbeitsgericht durch Auslegung ermittelte Feststellungsbegehren – durch Rechtsmittel unangefochten – exakt sechs Minuten für Umkleidungen beträgt, überzeugt gerade diese Zeit nicht. Personenbedingte Abweichungen erscheinen demgegenüber eher wahr.
Eine Schätzung kommt hier nicht in Betracht, weil der Kläger deutlich macht, seiner Darlegungs- und Beweislast zum zeitlichen Umfang genügen zu können. Denn er trägt die Umkleidezeiten sekundengenau unter Beweisantritt vor.
Die von der Beklagten vorgetragenen Zeiten macht sich der Kläger auch nicht wenigstens hilfsweise zu eigen.
II.
Die Kostenentscheidung ist dem Schlussurteil oder einer gleichartigen Entscheidung zu den Kosten vorzubehalten.
Gegen dieses Teilurteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil es an Gründen hierfür fehlt.