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Unwirksamkeit Aufhebungsvertrag wegen behaupteter Geschäftsunfähigkeit

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 7 Sa 377/20 – Urteil vom 12.05.2021

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 10. November 2020, Az.: 3 Ca 781/20, wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines Aufhebungsvertrages.

Der 1960 geborene, verheiratete und seiner Ehefrau zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 1. August 1977 bei der Beklagten, die zu der R.-Gruppe gehört, beschäftigt. Er hat einen GdB von 80.

Seit dem 1. Januar 2015 war der Kläger gemäß Anstellungsvertrag vom 1. September 2014 (Bl. 6 ff. d. A.) als Niederlassungsleiter tätig und erzielte – unter Berücksichtigung eines 13. Monatsgehalts sowie eines Dienstwagens – ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 7.606,76 €. Nach § 1 Abs. 2 des Arbeitsvertrages wurde der Kläger „mit der Leitung“ der Beklagten betraut, nach § 1 Abs. 4 des Arbeitsvertrags ist die dem Kläger „übertragene Stellung (…) mit Handlungsvollmacht gemäß § 54 HGB ausgestattet“, „beschränkt auf den (…) angegebenen Tätigkeits- und Aufgabenbereich“. § 2 des Arbeitsvertrages vom 1. September 2014 bestimmt:

„Herr A. gehört zu den leitenden Angestellten der Firma nach § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes. Er gilt mithin nicht als Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes und unterliegt keinem Tarifvertrag.“

Nach § 2a Abs. 1 des Arbeitsvertrages ist eine Kündigung mit einer Frist von 6 Monaten zum Halbjahresende möglich.

Am 10. oder 11. August 2020 fand ein Online-Meeting zwischen der Personalleiterin der Beklagten, Frau M., dem Kläger sowie der stellvertretenden Niederlassungsleiterin K. Frau H. statt. Dabei konfrontierte die Zeugin M. den Kläger mit dem Hinweis, dass auf ebay originalverpackte R.-Artikel, die außerhalb der R.-Gruppe nicht vertrieben würden, aufgetaucht seien, zum Beispiel eine Duschbrause sowie eine Dampfdusche mit dem Hinweis auf den Abholstandort B-Stadt.

Zum 13. August 2020 wurde der Kläger während seines Urlaubs in den Firmensitz der R.-Gruppe in B. einbestellt. Zu diesem Termin wurden weder ein Vertreter des Betriebsrates noch der Schwerbehindertenvertretung hinzugezogen. Hier wurde der Kläger mit „Unregelmäßigkeiten“ konfrontiert. Es kam zur Unterzeichnung des streitgegenständlichen Aufhebungsvertrages, der als Datum „13.08.2019“ trägt und eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31. August 2020 vorsieht. Wegen des Inhalts dieses Aufhebungsvertrags wird auf Bl. 12 d. A. Bezug genommen. Zudem unterzeichnete der Kläger ein hinsichtlich der Beträge nicht ausgefülltes Schriftstück „Schuldanerkenntnis und Ratenzahlungsvereinbarung“, ebenfalls datiert auf den „13.08.2019“ (Bl. 13 d. A.).

Mit anwaltlichem Schreiben vom 31. August 2020 (Bl. 14 f. d. A.) hat der Kläger den Aufhebungsvertrag und das Schuldanerkenntnis widerrufen und angefochten sowie auf eine aus seiner Sicht bestehende partielle Geschäftsunfähigkeit hingewiesen. Diesem Schreiben fügte er ein „Ärztliches Attest“ des S. vom 21. August 2020 bei, in dem es unter anderem heißt:

„Aufgrund schwerwiegender Erkrankungen (u.a. Darmkrebs, Diabetes mellitus, Arterielle Hypertonie, Polyneuropathie, etc.) war der Patient in den letzten Wochen nicht geschäfts- und entscheidungsfähig, sodass von ihm getroffene Entscheidungen nicht akzeptiert werden können. Dies bezieht sich insbesondere auf einen unterschriebenen Auflösungsvertrag mit seinem bisherigen Arbeitgeber.“

Wegen des Inhalts dieses ärztlichen Attests im Übrigen wird auf Bl. 16 d. A. Bezug genommen.

Mit am 31. August 2020 beim Arbeitsgericht eingegangener Klage begehrt der Kläger unter anderem die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch den Aufhebungsvertrag vom „13.08.2019“ mit dem 31. August 2020 beendet wurde.

Zwischenzeitlich hat das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung auf Antrag der Beklagten seine Zustimmung zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung erteilt. Die Beklagte hat diese hilfsweise ausgesprochen. In dem vom Kläger insoweit eingeleiteten Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern, Az. 1 Ca 34/21, hat dieses durch Beschluss vom 29. März 2021 gemäß § 278 Abs. 6 ZPO unter anderem festgestellt, dass die Parteien sich darüber einig sind, dass, sofern das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis nicht bereits durch Aufhebungsvertrag vom 13. August 2020 seine Beendigung gefunden hat, dieses aufgrund ordentlicher arbeitgeberseitiger Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen vom 21. Dezember 2020 mit Ablauf des 31. Juli 2021 seine Beendigung finden wird.

Der Kläger hat vorgetragen, es sei ihm vor dem 13. August 2020 erklärt worden, es handele sich um „offene Fragen“. Tatsächlich sei er mit haltlosen Vorwürfen konfrontiert und zur Unterschrift unter einen Aufhebungsvertrag sowie ein Schuldanerkenntnis und Ratenzahlungsvereinbarung veranlasst worden.

Er habe sich am 13. August 2020 in einem Zustand der partiellen Geschäftsunfähigkeit befunden. Er war der Ansicht, nach § 105 BGB sei seine auf den Abschluss des Aufhebungsvertrages gerichtete Erklärung nichtig.

Die Beklagte habe als Arbeitgeberin ihre vertragliche Nebenpflicht gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB verletzt, wonach seine Entscheidungsfreiheit vor unzulässiger Beeinflussung zu schützen und ein Mindestmaß an Fairness im Rahmen des Vertragsschlusses zu sichern sei.

Bereits mit ärztlichem Attest des ihm wegen seiner schwerwiegenden Erkrankungen behandelnden Arztes S. sei eine Geschäftsunfähigkeit im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Auflösungsvertrages attestiert worden. Mit weiterer ärztlicher Stellungnahme vom 30. September 2020 (Bl. 36 d. A.) habe der behandelnde Arzt S. eine deutliche Einschränkung der Geschäftsfähigkeit bestätigt. Die schwerwiegenden und dauerhaften Erkrankungen ergäben sich aus den Entlassungsberichten des städtischen Krankenhauses B-Stadt vom 20. März 2018 (Bl. 27 ff. d. A.) und 22. Oktober 2018 (Bl. 32 ff. d. A.). In Ergänzung seiner Stellungnahmen habe der behandelnde Arzt S. mit Schreiben vom 28. Oktober 2020 (Bl. 166 d. A.) attestiert, dass er zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages in seinem Geisteszustand vergleichbar mit einem volltrunkenen oder Drogen bzw. Rauschgift konsumierenden Patienten gewesen sei. Auch der behandelnde Arzt F. bestätige mit ärztlichem Attest vom 26. Oktober 2020 (Bl. 167 d. A.), dass aus ärztlicher Sicht und aufgrund der im Attest geschilderten Umstände von seiner Entscheidungsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Vertragsunterschrift ausgegangen werden müsse.

Die Rechtsfolge der Nichtigkeit gemäß § 134 BGB trete vorliegend auch deshalb ein, weil zwingende gesetzliche Vorschriften umgangen worden seien. Vorliegend sei er bewusst in seinem Urlaub ohne Angabe von Gründen in die Firmenzentrale bestellt worden. Es seien ihm der streitgegenständliche Aufhebungsvertrag sowie das Schuldanerkenntnis vorgelegt worden mit der Alternative, dies zu unterschreiben oder es werde eine Anzeige wegen Betruges erfolgen. Wenn er unterschreibe, könne man den Aufhebungsvertrag noch abändern und gesundheitlichen Aspekte mit aufnehmen, damit er keine dreimonatige Sperre beim Arbeitslosengeld erhalte. Diese Änderung sei dann direkt durch den Personalleiter, Herrn F., vorgenommen worden. In der gesundheitsbedingten Panik, Kopflosigkeit und um dem weitergehenden Stress zu entgehen, habe er die vorgelegten Unterlagen unterzeichnet, ohne die weiteren Folgen zu bedenken. Die Beklagte habe bewusst seine ihr bekannte gesundheitliche Situation zu seinem Nachteil ausgenutzt. Allein der Umstand der Unterzeichnung bestätige die von den behandelnden Ärzten beschriebene Geschäftsunfähigkeit. Anlässlich des Gesprächs sei er durch die Zeugin M. auch bezüglich seiner Vermögensverhältnisse und seiner Familienverhältnisse befragt worden.

Bei Abschluss des Aufhebungsvertrages sei insbesondere die Vorschrift des § 168 SGB IX, aber auch die Vorschriften über die Kündigungsfristen gemäß § 622 Abs. 2 BGB und die Anhörung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG seien umgangen worden.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch den Aufhebungsvertrag vom „13.08.2019“ mit dem 31. August 2020 geendet hat, sondern unverändert fortbesteht;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern es über den 31. August 2020 hinaus unverändert fortbesteht;

3. für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 und/oder zu 2 die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Niederlassungsleiter weiter zu beschäftigen;

4. festzustellen, dass das Schuldanerkenntnis und Ratenzahlungsvereinbarung vom 13. August 2019 unwirksam ist;

5. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 877,00 € netto monatlich, zahlbar zum Letzten eines jeden Monats, beginnend ab dem 1. September 2020 für die Dauer des Anstellungsvertrages nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem jeweiligen Fälligkeitstag zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, im Vorfeld der Anhörung sei dem Kläger mitgeteilt worden, dass es sich um offene Fragen aus dem vorangegangenen Meeting vom 10. August 2020 handele. Während des Anhörungsgespräches am 13. August 2020 habe der Kläger zugegeben, über einen Zeitraum von mehreren Jahren immer wieder Vermögensstraftaten zu ihren Lasten begangen zu haben. Im Rahmen des Gesprächs sei dem Kläger ein Entwurf des am 13. August 2020 abgeschlossenen Aufhebungsvertrages sowie des am selben Tag abgeschlossenen Schuldanerkenntnisses vorgelegt worden. Frau M. habe gegenüber dem Kläger erklärt, dass man ihm aufgrund seiner langen Betriebszugehörigkeit einen Aufhebungsvertrag anbieten wolle. Sie habe dabei darauf verwiesen, dass eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses angesichts der erhobenen Vorwürfe eine alternative Möglichkeit wäre, sollten sich die Vorwürfe bestätigen. Frau M. habe dem Kläger aber weder ein Ultimatum gestellt noch habe sie eine fristlose Kündigung oder eine Strafanzeige in Aussicht gestellt, falls der Kläger den Aufhebungsvertrag und das Schuldanerkenntnis nicht unterschreiben würde. Eine Strafanzeige habe Frau M. in dem Gespräch überhaupt nicht erwähnt. Der Kläger habe im Rahmen der Anhörung lediglich nachgefragt, ob eine Strafanzeige gegen ihn gestellt werden würde. Die Zeugin M. habe daraufhin geantwortet, dass sie keine Aussage für die Beklagte oder die Firma R. AG treffen könne, der Sachverhalt aber sicherlich an die Versicherung weitergegeben werde und sie davon ausgehe, dass die Versicherung eine Strafanzeige stellen werde.

Die Beklagte war der Ansicht, selbst wenn eine Drohung im Sinn des § 123 BGB vorgelegen hätte, wäre diese jedenfalls nicht widerrechtlich gewesen. Es habe ein Verhalten des Klägers vorgelegen, dass sie zu einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie zur Erstattung einer Strafanzeige berechtigt hätte.

Die Beklagte hat weiter vorgetragen, am 22. Juli 2020 sei dem Betriebsrat ein Schreiben zugegangen, das an die Betriebsratsvorsitzende W. adressiert gewesen sei. Diese habe das Schreiben nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub am 27. Juli 2020 geöffnet. Das Schreiben habe Bezug auf das Profil eines ebay-Users mit dem Namen „D.“ genommen. In dem Schreiben sei darauf verwiesen worden, dass es in Bezug auf diesen Account zu Unregelmäßigkeiten zu Lasten der Beklagten bzw. der R.-Gruppe, zu der die Beklagte gehöre, komme. Am 27. Juli 2020 habe die Betriebsratsvorsitzende das Schreiben an Bu., einen freien Mitarbeiter der Beklagten, der unter anderem für die IT-Abteilung zuständig sei, weitergegeben. Am 28. Juli 2020 sei durch Herrn Bu. ein Testkauf eingeleitet worden, den dessen Lebensgefährtin, Sch., durchgeführt habe. Dabei habe diese über das Profil „D.“ ein Damen-Shirt gekauft. Durch den Testkauf habe sich herausgestellt, dass es sich bei dem Verkäufer unter diesem Profil um D. W. handelte, der in B-Stadt wohnhaft sei. Gleichzeitig seien durch den Leiter des Verkaufsmanagements Süd, S., in der Kalenderwoche 31 die auf dem ebay Profil des Users „D.“ angebotenen und verkauften Artikel überprüft worden. Dabei habe sich herausgestellt, dass auf dem Profil eine Vielzahl von Artikeln, die sie führe, sowie originalverpackte R.-Artikel angeboten worden seien, die nicht im freien Verkauf erhältlich seien, sondern nur über sie selbst bzw. über andere Unternehmen der R.-Gruppe. Dabei habe es sich insbesondere um Drückerplatten gehandelt. In dem Jahr vor der Überprüfung durch Herrn S. habe Herr W. über sein Online-Profil ausweislich der Käuferbewertungen mindestens 53 Mal G. Drückerplatten verkauft, die von ihr vertrieben würden. Des Weiteren hätten sich auf dem Online-Profil unter anderem noch eine original verpackte Handbrause/Duschbrause von R. befunden, die ebenfalls nicht im freien Verkauf erhältlich sei. Das ebay-Profil des Herrn W. habe zudem weitere diverse Sanitärartikel enthalten, die lediglich über sie oder andere Unternehmen der R.-Gruppe vertrieben würden. Zudem habe sich im dem ebay-Profil eine Dampfdusche zum Preis von 5.000,00 € gefunden, die im weiteren Verlauf der Ermittlungsmaßnahmen als Verkaufsstück in ihrer Ausstellung im Haus in B-Stadt habe identifiziert werden können. Aus weiteren Ermittlungen habe sie geschlossen, dass der Warenfluss zu dem ebay-Verkäufer Herrn W. über die T. S. GmbH (Sanitär/Heiz./Öfen), B-Stadt, erfolgt sei. Drückerplatten mit der Artikelnummer GJ 1234 seien am 2. April 2020 (Menge 26), am 18. Februar 2020 (4 Vorgänge mit insgesamt 15 Stück) sowie am 12. Dezember 2019 (18 Stück) der T. S.GmbH mit einem Nettopreis von 0 € in Rechnung gestellt worden. Drückerplatten mit der Artikelnummer GJ 12345 seien am 2. April 2020 (Menge 2 Stück), am 12. Dezember 2019 (22 Stück) sowie am 6. November 2019 (33 Stück) ebenfalls mit 0 € gegenüber der T.S. GmbH in Rechnung gestellt worden. Es habe sich weiter herausgestellt, dass bei allen genannten Aufträgen bei der Auftragserfassung die betroffenen Positionen auf „Anfang K“ gesetzt worden seien. Die Bezeichnung „K“ bezeichne dabei kostenlose Artikel. Zudem sei eine Dummy-Artikelnummer eingegeben worden. Zudem sei die Auftragsbewertung jeweils manuell verändert worden. Die Einstandspreise seien manuell deutlich nach unten angepasst worden. Die Erfassung der Aufträge sei immer mit dem Kürzel „FV“ durchgeführt worden, für das ihr Mitarbeiter M. R. in der Niederlassung B-Stadt hinterlegt sei.

Im Nachgang des Online-Meetings sei der Auftragserfasser, Herr R., befragt worden. Dieser habe dem Zeugen Mi. mitgeteilt, dass der Kläger ihn immer angerufen und zur Auftragserfassung angewiesen habe. Die Drückerplatten seien gemäß Herrn R. von dem Kläger im Nachgang persönlich abgeholt worden, wobei der Kläger zur Begründung angeführt habe, dass er die Ware beim Kunden persönlich abliefern wolle.

Eine daraufhin noch am selben Tag vorgenommene Auswertung von Differenzgutschriften auf Kundenebene habe eine exorbitante Menge an Differenzgutschriften im Zeitraum 2009 bis heute gegenüber der T.S. GmbH, in der Summe Differenzgutschriften bei 542 Aufträgen bei einem Gesamtvolumen von 90.213,00 € ergeben. Diese Anzahl der Differenzgutschriften liege dabei deutlich über der sonst üblichen durchschnittlichen Anzahl von Differenzgutschriften, bei denen es sich in der Regel pro Jahr um maximal fünf bis zehn Gutschriften handele.

Im Vorfeld zur Anhörung am 13. August 2020 sei dem Kläger mitgeteilt worden, dass es sich um offene Fragen aus dem vorangegangenen Meeting vom 10. August 2020 handele. Zu Beginn der Anhörung habe die Personalleiterin den Kläger befragt, ob er wisse, weshalb man ihn trotz seines Urlaubs zu dem Gespräch gebeten habe. Der Kläger habe darauf geantwortet, dass er sich dies denken könne. Die Personalleiterin habe nun auf die Vorwürfe sowie auf die für den Kläger zur Durchsicht bereitliegenden Unterlagen bezüglich der Warenabgabe ohne Unterschrift, Differenzgutschriften an die Firma T. S. GmbH sowie die veränderten Kaufpreise verwiesen. Der Kläger habe daraufhin erklärt, dass er auf eine Durchsicht der Unterlagen verzichte. Er habe darauf verwiesen, dass es sich um eine lange Geschichte handele. Sodann habe er eingeräumt, dass er die Einkaufspreise manuell verändert und dann nach Abwicklung über die T.S. GmbH Herr W. die Produkte über ebay für ihn verkauft habe. Es habe sich um Abverkaufsware gehandelt, die von diversen Kunden nicht abgenommen worden sei und daher nicht anders hätte verkauft werden können. Die abgeänderten Preise habe der Kläger mit entsprechenden Absprachen mit Du. begründet, wozu es auch eine Notiz gebe. Eine solche existiere allerdings nicht.

Des Weiteren habe der Kläger eingeräumt, Eigenanteile aus Incentive Touren nicht in der Kasse verbucht, sondern behalten zu haben. Sie führe für Kunden sogenannte Incentive Touren zu Werbezwecken durch, bei denen eigentlich kein Eigenanteil der Kunden erhoben werde. Der Kläger habe jedoch über Außendienstmitarbeiter angebliche Eigenanteile von den Kunden eingetrieben, die ihm die Außendienstmitarbeiter dann in einem Umschlag übergeben hätten. Als Begründung für sein jahrelanges Verhalten habe der Kläger angeführt, dass sein Hauptmotiv die von ihm als ungerecht empfundene Höhe des Gehalts gewesen sei. So seien diverse Anfragen wegen einer Gehaltsanpassung unberücksichtigt geblieben bzw. nicht in einem Umfang ausgefallen, der ihm gerecht erschienen sei. Der Kläger habe weiter erklärt, dass sein Vorgänger deutlich mehr Geld bekommen habe als er und seine Außendienstmitarbeiter mit Provision beinahe so viel verdienten wie er. Des Weiteren habe er erklärt, dass vergleichbare Positionen bei Mitbewerbern der Beklagten deutlich höher dotiert seien. Bedingt durch seine Krankheit habe er auch keine Möglichkeit mehr zu wechseln. Der Kläger habe zugegeben, daher irgendwann damit begonnen zu haben, die von ihm empfundenen Ungerechtigkeiten dahingehend „auszugleichen“, dass er Produkte wie beschrieben über ebay habe verkaufen lassen und sich um den Erlös zulasten der Beklagten bereichert habe.

Frau M. habe den Kläger nunmehr auch damit konfrontiert, dass man bereits durch die manuell abgeänderten Preise einen Schaden von über 100.000 € vermute. Auf die Frage, ob der Kläger seine Bereicherung insgesamt schätzen könne, habe dieser verneint.

Daraufhin habe der Kläger den Aufhebungsvertrag unterschrieben. Dazu habe er noch das Schuldanerkenntnis unterschrieben. Dabei sei zwischen dem Kläger und ihrer Personalleiterin besprochen worden, dass eine Bezifferung der anerkannten Schuld noch nicht erfolgen solle, da der Schaden noch in seiner Gesamtheit geprüft und beziffert habe werden müssen.

Bei dem Anhörungsgespräch am 13. August 2020 habe der Kläger keinerlei Anzeichen einer gesundheitlichen oder psychischen bzw. physischen Beeinträchtigung gezeigt. Es handele sich offensichtlich um eine reine Schutzbehauptung. Hätte der Kläger die weiteren Folgen des Aufhebungsvertrages nicht bedacht, so hätte die von ihm behauptete Änderung des Aufhebungsvertrages, um eine Sperre des Arbeitslosengeldes zu vermeiden, gar nicht vorgenommen werden müssen.

Zwischenzeitlich hätten die Ermittlungsmaßnahmen noch weitere Unregelmäßigkeiten zu Tage gefördert, so die Abgabe von Artikeln an Kunden ohne Unterschrift. Zudem habe ermittelt werden können, dass Warenaufträge in B-Stadt erfasst, die Ware dann von K. nach B-Stadt geschickt und dort von einer Person abgeholt worden sei, die sich als Angestellter der Firma T.S. GmbH ausgegeben habe, oder dass die Ware von dem Kläger persönlich ausgeliefert worden sei. Der angebliche Mitarbeiter der Firma T. S. GmbH sowie der Kläger hätten dabei jeweils keine Unterschrift auf den Empfangsquittungen/Lieferscheinen geleistet. Zum Teil seien die Waren auch von potentiellen Käufern, darunter Herr W., und die dazu gehörenden Lieferscheine später von Mitarbeitern der T.S. GmbH abgeholt worden, ohne dass diese unterschrieben worden seien. Die Waren seien des Weiteren mittels Lagerergänzungsaufträgen von K. nach B-Stadt geschickt und dort als Sachgesamtheit erfasst und vom Kunden abgeholt bzw. vom Kläger angeblich ausgeliefert worden. Nachweislich seien dabei die Betätigungsplatten deutlich unter dem Marktpreis verkauft worden. Für die gebildeten Sachgesamtheiten sei ein Paketpreis gebildet und manuell in die Einstandsbewertung eingegriffen worden, offensichtlich um die Aufträge durch die Revision zu schleusen. Dabei sei der Verkaufspreis auf deutlich geringere Beträge als den eigentlichen und auch marktüblichen Verkaufspreis gesetzt worden. Dabei habe sich eine Differenz von insgesamt 15.157,58 € ergeben. Herr W. habe die Drückerplatten zu marktüblichen Preisen verkauft. Bezüglich der auffälligen Kundendifferenzgutschriften mit jahresübergreifenden Verrechnungen sei Herr R. vom Kläger angewiesen worden, den Kundenauftrag zu erfassen, der dann in der Folge die Differenzgutschriften selbst genehmigt habe.

Dass es sich bei den G.-Drückerplatten um Auslaufmodelle gehandelt habe und inzwischen ein Nachfolgemodell des Herstellers existiere, bedeute dies nicht, dass die Waren im normalen Tagesgeschäft definitiv nicht mehr verkäuflich gewesen wären. Es habe sich im Übrigen auch dann nicht um Eigentum des Klägers gehandelt. Unerheblich sei, ob die Dampfdusche über 10 Jahre als Ausstellungsstück gezeigt worden sei.

Dass im Zusammenhang mit Waren, deren Abverkauf schwierig sei, Naturallieferungen des Herstellers gewährt würden, sei nicht ungewöhnlich. Das habe aber nichts damit zu tun, dass der Kläger angeblich über einen solchen Einkaufsvorteil in Höhe von einigen Tausend Euro die Drückerplatten habe loswerden sollen. Es handele sich vielmehr um unabhängige Vorgänge. Insbesondere bedeute dies nicht, dass der Kläger die Berechtigung gehabt hätte, die Drückerplatten selbst privat zu veräußern und sich privat an den Verkäufen zu bereichern.

Eine Veränderung der Einstandspreise, um schwerverkäufliche Waren besser abverkaufen zu können, müsse von der Zentrale in B., hier der Abteilung Vertrieb vorgenommen werden.

Die Revision gleiche lediglich den Rohertrag, also die Differenz zwischen Einstandspreis und Verkaufspreis ab. Sie sehe die verkaufte Warengruppe, begutachte aber nicht jede Einzelposition, sondern lediglich den gesamten Auftrag.

Die Behauptung des Klägers erkläre nicht dessen Vorgehensweise, die Verkäufe über die T.S. GmbH abzuwickeln und die Waren dann auf dem ebay-Profil des Herrn W. verkaufen zu lassen. Bei Herrn W. handele es sich offensichtlich zumindest um den Mitbewohner der Tochter des Klägers.

Herr T. S., Geschäftsführer der T.S. GmbH, habe am 23. Oktober 2020 gegenüber dem von ihr eingeschalteten Wirtschaftskriminalisten H. geschildert, der Kläger sei vor mehreren Jahren auf ihn zugekommen und habe erklärt, er wolle private Kunden beliefern, was gemäß ihren Richtlinien nicht vorgesehen gewesen sei. Der Kläger habe vorgeschlagen, Verkäufe über die T.S. GmbH derart abzuwickeln, dass diese die Rechnungen bezahle, jedoch tatsächlich keine Ware erhalte. Für die so entstehenden Kosten habe der Kläger in ihrem Namen der T. S. GmbH Gutscheine ausgestellt, die circa 10 bis 15 % über dem Rechnungspreis gelegen hätten. Die Gutscheine seien dabei auch für Rechnungen verwendet worden, denen tatsächliche Warenlieferungen gegenübergestanden hätten. Nachdem es zu Beginn der entsprechenden „Geschäftsbeziehung“ zwischen dem Kläger und Herrn S.lediglich um kleinteilige Produkte gegangen sei, habe das Volumen zwischenzeitlich stark zugenommen. Lieferscheine zu dieser Art von Aufträgen habe Herr S. nie erhalten. Von dem Kläger habe er Differenzgutschriften erhalten, um die Rechnungen auszugleichen, für die er keine Waren erhalten habe. Des Weiteren habe er auch so genannte VGA-Gutschriften (Vertriebsgemeinkostenanteil-Gutschriften) erhalten, um Rechnungen auszugleichen, für die er keine Waren erhalten habe. Herr S. habe weiter angegeben, dass es auch nach Aussagen der Mitarbeiter der Beklagten vorgekommen sei, dass der Kläger erklärt habe, Waren an die T.S. GmbH auszuliefern, die T. S. GmbH diese Ware allerdings nie erhalten habe.

Bereits vor 2015 habe der Kläger bei Abwesenheit des Herrn K. Differenzgutschriften freigeben können. Die Zeugin H. habe ausschließlich auf Weisung des Klägers gehandelt.

Der Kläger hat erwidert, das Online-Meeting habe nicht am 10., sondern während seines Urlaubs am 11. August 2020 stattgefunden.

Bei den im Internet verkauften Artikeln habe es sich um „Ladenhüter“ gehandelt, die im normalen Tagesgeschäft nicht mehr verkäuflich gewesen seien. Die Drückerplatten seien beispielsweise seit drei Jahren vom Hersteller G. nicht mehr gefertigt worden. Die Dampfdusche sei seit über zehn Jahren als Ausstellungsstück in der Ausstellung der Beklagten in P. gezeigt worden. Ein Abverkauf sei hier über Jahre hinweg nicht möglich gewesen. Der Einkaufsprokurist im Zentraleinkauf in der Zentrale in B. habe nicht weiterhelfen können, der Lieferant habe eine Rücknahme der Artikel abgelehnt. Der Zeuge R. habe sodann den Vorschlag gemacht, dass der Lieferant mit einer „Abverkaufshilfe“ Unterstützung leisten solle. Dies sei ihm auch in Form von Naturallieferungen (kostenlose WC-D.) zugesagt und an die Beklagte geliefert worden, um über diesen Einkaufsvorteil in Höhe von einigen tausend Euro die Drückerplatten loszuwerden. Auf Vorschlag des Zeugen R. habe er versuchen sollen, die Drückerplatten über den Kunden St./M. im Internet loszuschlagen. Der Zeuge Kr. dieses Kunden habe dies als zu kostenintensiv abgelehnt. Der Einkäufer der Beklagten, Herr H., sei insoweit involviert und informiert gewesen. Um die Lagerplätze zu räumen, seien diese sodann über das Internet verkauft worden. Auf gleichem Weg habe dann auch versucht werden sollen, die Dampfdusche zu verkaufen, um die blockierte Ausstellungsfläche freizumachen. Bezüglich der Abwicklung der Drückerplatten sei die Vorgehensweise gewählt worden, um die Lagerbestände offiziell auf „0“ zu setzen. Bei der Preisfindung seien die Naturallieferungen im Einkaufspreis berücksichtigt und eingerechnet worden. Bei der Duschbrause habe es sich um eine kostenlose Werkslieferung zur Bemusterung gehandelt. Die Differenzgutschriften seien erst ab 2015, als der Zeuge K. in Rente gegangen sei, von ihm zur Freigabe durch die Zeugin H. angewiesen worden. Diese Zeugin habe sein EDV-Passwort gehabt. Es berechtige zur Freigabe von Gutschriften. Die Gutschriften bezögen sich auf Preisdifferenzen, Reklamationen, Bonuszahlungen und Kostenrechnungen. Die Handhabung der Gutschriften für Boni, Reklamationen und Differenzen sei bereits seit Jahrzehnten durch den Zeugen K. bei mehreren Kunden praktiziert und sowohl von ihm als auch von der Zeugin Ha. während seiner, des Klägers, Abwesenheit (Krankheit bzw. Urlaub) gleichlautend abgewickelt worden. Diese Vorgehensweise habe dazu gedient, Umsätze zu halten bzw. zu steigern und zusätzliche Kunden zu gewinnen. Ein Abwandern der Kunden sei dadurch vermieden worden. Es sei durch diese Vorgehensweise über Jahrzehnte ein positives Betriebsergebnis zum Wohl der Firma erwirtschaftet sowie zur Sicherung von Arbeitsplätzen beigetragen worden. Da es sich bei der Firma T.S. GmbH nicht um einen Installationsbetrieb, sondern um einen Großhandel handele, hätten diese Differenzen und Vereinbarungen nur über Differenzgutschriften ausgeglichen werden können.

Als finanzielle Beteiligung der Kunden an durch den Zeugen K. seit circa 20 Jahren organisierten Motorradtouren für Kunden sei ein Eigenanteil eingeführt worden. Als der Zeuge K. 2014 in Rente gegangen sei, sei bei der Übergabe auch die Incentiv-Beteiligung besprochen worden. Herr K. habe darauf hingewiesen, dass dieses Geld für die besonderen Aufwendungen, nicht offiziell honorierte Überstunden bezüglich der Planung, Vortouren, Tourbeteiligung, Stellung des eigenen Fahrzeugs, Bewirtungskosten und Guidekosten vorgesehen sei und das Handling so besprochen sei. Diese Vorgabe sei von ihm übernommen worden. Diese Beteiligung sei auch von der Zeugin Ha. bei verschiedenen Kunden eingefordert worden und sei so auch über Jahre bekannt gewesen. Diese Handhabung sei auch in anderen „R.-Niederlassungen“ so praktiziert worden.

Aufgrund der vorgebrachten Vorwürfe, Gespräche und Handlungen müsse er davon ausgehen, dass dieses Szenario nur darauf abziele, ihn kostengünstig aus dem Beschäftigungsverhältnis zu drängen, da dies aufgrund seiner Schwerbehinderung ansonsten schwer möglich gewesen wäre. Anscheinend habe er auch wegen seiner offenen Art und gezielten Fragen über die Zukunft der Firma bezüglich des Verkaufs von Fachabteilungen oder sogar der Schließung (Stahlabteilung) wegen Abfindungsregelungen etc. nicht mehr ins Konzept gepasst.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 10. November 2020 festgestellt, dass das Schuldanerkenntnis und die Ratenzahlungsvereinbarung vom „13.08.19“ unwirksam sind. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Es hat – zusammengefasst – zur Begründung ausgeführt, das am 13. August 2020 unterzeichnete Schuldanerkenntnis habe keine Rechtswirkung. Der Aufhebungsvertrag zum 31. August 2020 sei jedoch wirksam. Die Willenserklärung sei nicht im Zustand der Geschäftsunfähigkeit abgegeben worden. Die Darlegungen des Klägers hierzu seien nicht ausreichend. Die Atteste der behandelnden Ärzte seien in sich widersprüchlich. Die Willenserklärung sei auch nicht durch wirksame Anfechtung nach dem §§ 119 ff. entfallen. Aufgrund der unstreitig vorliegenden Umstände, zum Beispiel hinsichtlich der Eigenanteile, die der Kläger in die eigene Tasche gesteckt habe, sei der Hinweis auf eine Strafanzeige und eine außerordentliche Kündigung jedenfalls nicht rechtswidrig gewesen. Widerrufsgründe seien nicht erkennbar. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts (Bl. 204 ff. d. A.) Bezug genommen.

Das genannte Urteil ist dem Kläger am 20. November 2020 zugestellt worden. Er hat hiergegen mit einem am 17. Dezember 2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

Zur Begründung der Berufung macht der Kläger nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 218 ff. d. A.), zusammengefasst geltend,

der Aufhebungsvertrag sei unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen. Es sei zu berücksichtigen, dass er, der seit 43 Jahren bei der Beklagten beschäftigt sei, in seinem Urlaub zu einer „Besprechung“ in die Firmenzentrale einbestellt worden sei. Dort sei er unvermutet und unvorbereitet mit den Vorwürfen konfrontiert worden, wobei der Beklagten seine gesundheitliche Situation bestens bekannt gewesen sei. Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass die von der Beklagtenseite im Fall einer außerordentlichen Kündigung einzuhaltende Frist des § 626 Abs. 2 BGB bereits verstrichen gewesen sei und eine erforderliche Zustimmung zu einer Kündigung weder seitens des Betriebsrates eingeholt noch die Zustimmung durch das Integrationsamt erteilt gewesen sei, § 85 SGB IX, geschweige denn eine solche überhaupt beantragt gewesen sei. Zudem sei von seiner tarifvertraglichen Unkündbarkeit auszugehen gewesen. Nach alledem wäre aus diesen Gesichtspunkten zum Zeitpunkt der „Besprechung“ am 13. August 2020 weder eine außerordentliche noch ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich in Betracht gekommen. In dieser Situation habe er zudem auf Hinweise der Beklagten auf mögliche nachteilige sozialrechtliche Konsequenzen, die sich aus dem Abschluss des Aufhebungsvertrages ergeben könnten, verzichten sollen.

Ausweislich der vorgelegten Atteste sowie der jeweiligen Entlassungsberichte, die ausreichend Anknüpfungspunkte für einen Sachverständigen zur Klärung der Frage der Geschäftsunfähigkeit darstellten, sei von seiner Geschäftsunfähigkeit im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages am 13. August 2020 auszugehen. Das Arbeitsgericht habe das Beweisangebot „Einholung eines Sachverständigengutachtens“ zur Frage der Geschäftsunfähigkeit übergangen. Es habe auch nicht dargelegt, woraus seine eigene Sachkunde herrühre.

Der streitgegenständliche Aufhebungsvertrag sei auch wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig. Der Aufhebungsvertrag stehe mit den darin getroffenen Regelungen in einem auffälligen Missverhältnis im Hinblick auf seine tatsächliche objektive Rechtsposition und den Inhalt der Vereinbarung, die insbesondere in Kombination mit dem geplanten Schuldanerkenntnis der Beklagten die Möglichkeit eröffnet habe, sein Arbeitsverhältnis „problemlos“ zu lösen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – vom 10. November 2020 – 3 Ca 781/20 – aufzuheben:

I. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch den Aufhebungsvertrag vom „13.08.2019“ mit dem 31. August 2020 geendet hat, sondern unverändert fortbesteht.

II. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern es über den 31. August 2020 hinaus unverändert fortbesteht.

III. Für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 und/oder zu 2 wird die Beklagte verurteilt, den Kläger zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Niederlassungsleiter weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 22. Januar 2021, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 244 ff. d. A.), als rechtlich zutreffend. Ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns liege nicht vor. Zum Zeitpunkt des Gesprächs am 13. August 2020 sei der Kläger nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Sie sei auch nicht davon ausgegangen, dass der Kläger arbeitsunfähig sei. Ihr möge zwar die Krebserkrankung des Klägers bekannt gewesen sei. Da der Kläger allerdings schon seit mehreren Jahren an dieser leide und trotzdem arbeitsfähig gewesen sei, habe sie selbstverständlich davon ausgehen können, dass der Kläger am 13. August 2020 an keinen nennenswerten gesundheitlichen Einschränkungen gelitten habe, die seine Entscheidungsfähigkeit hätten negativ beeinflussen können. Generell seien ihr keine der behaupteten psychischen Erkrankungen oder Einschränkungen des Klägers bekannt gewesen. Zudem seien am Tag des Abschlusses des Aufhebungsvertrages vom 13. August 2020 keinerlei gesundheitliche Einschränkungen des Klägers erkennbar gewesen. Tatsächlich habe der Kläger vor Abschluss des Aufhebungsvertrages in dem Anhörungsgespräch Frau M. gefragt, ob er durch den Abschluss des Aufhebungsvertrages Probleme mit einer Sperrzeit zu erwarten habe. Der Kläger sei sodann darauf hingewiesen worden, dass grundsätzlich eine Sperrzeit zu erwarten sei, man diese aber unter Umständen vermeiden könne, wenn man die (Krebs-)Erkrankung des Klägers aufnehmen würde. Dabei sei der Kläger aber auch deutlich darauf hingewiesen worden, dass es keine Garantie gebe, dass auf dieser Weise eine Sperrzeit vermieden werden könne.

Der Kläger habe in dem Anhörungsgespräch vom 13. Augst 2020, sofort nachdem die Personalleiterin Frau M. ihm angeboten gehabt habe, das Arbeitsverhältnis aufzuheben, erklärt, dass er einen Aufhebungsvertrag abschließen wolle. Nach einer Bedenkzeit habe der Kläger nicht gefragt.

Der Aufhebungsvertrag sei auch nicht wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig. Die Rechtsposition des Klägers, der ansonsten eine außerordentliche Kündigung vor dem 31. August 2020 zu erwarten gehabt hätte, sei durch den Aufhebungsvertrag nicht verschlechtert, sondern sogar verbessert worden. Es sei auch kein Schuldanerkenntnis „geplant“ gewesen. Der Kläger habe ein solches vielmehr unterzeichnet und dabei mit der Personalleiterin besprochen, dass noch keine Beträge eingetragen werden sollten, da sich noch nicht genau habe feststellen lassen, wie hoch der vom Kläger verursachte Schaden letztendlich sei.

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 12. Mai 2021 (Bl. 273 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

B.

In der Sache hatte die Berufung des Klägers keinen Erfolg.

I.

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Kläger prozessfähig, §§ 51, 52 ZPO. Er war während des vorliegenden Prozesses fähig, Prozesshandlungen selbst bzw. durch den von ihm bestellten Prozessbevollmächtigten wirksam vorzunehmen oder entgegenzunehmen. Die Prozessfähigkeit der Partei richtet sich nach § 52 ZPO danach, ob sie sich durch Verträge verpflichten kann. Prozessunfähig, weil geschäftsunfähig, sind daher Volljährige unter den Voraussetzungen von § 104 Nr. 2 BGB. Dabei ist gemäß § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist. Demgemäß liegt ein Ausschluss der freien Willensbestimmung gemäß § 104 Nr. 2 BGB vor, wenn jemand nicht imstande ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von der vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Erkenntnissen zu handeln. Abzustellen ist dabei darauf, ob eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider bei sachlicher Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann, etwa weil infolge der Geistesstörung Einflüsse dritter Personen den Willen übermäßig beherrschen (BAG 28. Mai 2009 – 6 AZN 17/09 – Rn. 8 mwN.; vgl. auch BGH 14. März 2017 – VI ZR 225/16 – Rn. 13 mwN.; 20. Juni 1984 – IVa ZR 206/82 – Rn. 12 mwN., jeweils juris).

Bei der Prozessfähigkeit handelt es sich um eine Sachurteilsvoraussetzung, die von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu klären ist.

An der Geschäftsfähigkeit und damit an der Prozessfähigkeit des Klägers während des vorliegenden Verfahrens bestehen weder aus Sicht der Parteien, ihrer Prozessbevollmächtigten noch des Gerichts Zweifel – auch nicht nach dem in der zweitinstanzlichen Kammerverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck. Der Kläger selbst hat sich ausschließlich auf das Vorliegen einer – partiellen – Geschäftsunfähigkeit bei Abschluss des streitgegenständlichen Aufhebungsvertrages am 13. August 2020, nicht aber bei Mandatierung seines Prozessbevollmächtigten und im Prozess berufen.

II.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch den Aufhebungsvertrag vom 13. August 2020 mit Ablauf des 31. August 2020 beendet worden. Der zwischen den Parteien geschlossene Aufhebungsvertrag ist weder unwirksam, weil der Kläger zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geschäftsunfähig gewesen wäre (unter 1.) noch wegen Umgehung zwingender gesetzlicher Vorschriften (unter 2.) noch weil der Aufhebungsvertrag sittenwidrig wäre (unter 3.) noch weil der Kläger den Aufhebungsvertrag wirksam angefochten hätte (§ 142 Abs. 1 BGB; unter 4.). Die Rechtswirkungen des Aufhebungsvertrags sind auch nicht wegen einer Missachtung des Gebots fairen Verhandelns entfallen (unter 5.).

Der auf Weiterbeschäftigung als Niederlassungsleiter gerichtete Hilfsantrag zu 3 ist nur für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 und/oder zu 2 gestellt und damit nicht zur Entscheidung angefallen.

1.

Der Aufhebungsvertrag ist nicht bereits deshalb unwirksam, weil der Kläger im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geschäftsunfähig und seine Willenserklärung daher nichtig gewesen wäre, § 105 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 104 Nr. 2 BGB.

a) Nach § 105 Abs. 1 BGB ist die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen nichtig.

Die Geschäftsfähigkeit einer natürlichen Person stellt den gesetzlichen Regelfall dar, Mängel der Geschäftsfähigkeit sind Ausnahmeerscheinungen. Derjenige, der sich auf das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Ausnahmeerscheinung berufen will, hat die hierfür maßgeblichen Tatsachen darzulegen und zu beweisen (BAG 17. Februar 1994 – 8 AZR 275/92 – Rn. 22 mwN.; BGH 20. Juni 1984 – IVa ZR 206/82 – Rn. 16; LAG Köln 29. Juni 2017 – 4 Ta 125/17 – Rn. 31 mwN., jeweils juris). Der Pflicht zur Substantiierung ist dabei nur genügt, wenn das Gericht aufgrund der Darstellung beurteilen kann, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der an eine Behauptung geknüpften Rechtsfolgen erfüllt sind (BGH 9. Februar 2009 – II ZR 77/08 – Rn. 4, juris). Dies ist hier nach allgemeinen Grundsätzen dann der Fall, wenn das Gericht auf der Grundlage des Tatsachenvortrags zu dem Ergebnis kommen muss, die Voraussetzungen des § 104 Nr. 2 BGB lägen vor. Auf die Wahrscheinlichkeit des Vortrags kommt es nicht an (BGH 14. März 2017 – VI ZR 225/16 – Rn. 13 mwN.; LAG Köln 29. Juni 2017 – 4 Ta 125/17 – Rn. 32, jeweils juris). Der Kläger muss Tatsachen und Umstände für einen seine freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung seiner Geistestätigkeit substantiiert darlegen. Eine bloße Willensschwäche genügt insoweit nicht (vgl. BAG 28. Januar 2010 – 2 AZR 985/08 – Rn. 17 mwN.). Für das Vorliegen einer Geschäftsunfähigkeit bedarf es zusätzlich des Ausschlusses einer freien Willensbestimmung (BAG 28. Mai 2009 – 6 AZN 17/09 – Rn. 9 mwN., juris).

Zwar kann grundsätzlich die Geschäftsfähigkeit auch nur für einen gegenständlich begrenzten Geschäftskreis (das heißt „partiell“) ausgeschlossen oder gegeben sein, es gibt aber keinen („relativen“) Ausschluss für schwierige Geschäfte (BAG 28. Mai 2009 – 6 AZN 17/09 – Rn. 8 mwN.).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass bei ihm im Zeitpunkt der Abgabe der auf den Abschluss des auf den 13. August 2019 datierten Aufhebungsvertrags gerichteten Willenserklärung ein Ausschluss der freien Willensbildung vorgelegen hat. Auf der Grundlage seines Vorbringens konnte das Gericht nicht zu dem Ergebnis gelangen, die Voraussetzungen des § 104 Nr. 2 BGB lägen vor. Das gilt auch unter Berücksichtigung der von dem Kläger vorgelegten Entlassungsberichte aus dem Jahr 2018, des ärztlichen Attestes des S. vom 21. August 2020, der ärztlichen Stellungnahme des S. vom 30. September 2020, der „Ergänzung zur ärztlichen Stellungnahme vom 30.09.20“ vom 28. Oktober 2020 und des ärztlichen Attests des F. vom 26. Oktober 2020.

Bei den vorlegten ärztlichen Bescheinigungen handelt es sich prozessual um qualifizierten Parteivortrag (zu Privatgutachten: BGH 2. Juni 2008 – II ZR 67/07 – Rn. 3 mwN.; 24. Februar 2005 – VII ZR 225/03 – Rn. 26 mwN., jeweils juris).

Der Vortrag des Klägers einschließlich der von ihm vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen enthält keinen schlüssigen, hinreichend substantiierten Tatsachenvortrag, aus dem die Kammer auf eine Prozessunfähigkeit des Klägers in einem längeren Zeitraum unter Einschluss des 13. August 2020 oder konkret im Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages am 13. August 2020 schließen könnte.

Der Kläger hat keine konkreten Symptome oder Ausfallerscheinungen am 13. August 2020 oder im Zeitraum um diesen Tag vorgetragen. Er befand sich am 13. August 2020 vielmehr unstreitig in Erholungsurlaub und war für seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit als Niederlassungsleiter arbeitsfähig. Der Kläger war lediglich im Zeitraum vom 22. Juni bis 5. Juli 2020 wegen einer „Lymphadenitis bei Immunschwäche“ krankgeschrieben, nicht hingegen wegen einer Störung seiner Geistestätigkeit und nicht im Zeitraum um den 13. August 2020.

Er hat sich am 13. August 2002 auf Aufforderung der Beklagten mit dem Pkw zum Firmensitz nach B. begeben und dort an der Besprechung teilgenommen.

Die vom Kläger vorgelegten vorläufigen Entlassungsberichte des Städtischen Krankenhauses B-Stadt vom 20. März 2018 sowie vom 22. Oktober 2018 stehen bereits in keinem engen zeitlichen Zusammenhang zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages im August 2020. Sie geben auch inhaltlich keine Hinweise auf das Vorliegen einer Geistesstörung oder -schwäche. Der vorläufige Entlassungsbericht vom 20. März 2018 gibt vielmehr als Vorerkrankungen arterielle Hypertonie und Diabetes mellitus Typ 2 an sowie bei bekanntem Sigmakarzinom Lebermetastasen an. Auch der vorläufige Entlassungsbericht vom 22. Oktober 2018 gibt keine Hinweise auf eine Geistesstörung oder -schwäche, sondern nennt als Diagnose eine Lebermetastase nach Kolonkarzinom und Lebermetastasenresektion und Adhäsionen.

Aus dem vom Kläger vorgelegten ärztlichen Attest des S. vom 21. August 2020 ergibt sich nicht, dass der Kläger sich in einer Situation befunden hat, in der er in einem näher eingegrenzten Zeitraum dauerhaft nicht mehr im Stande gewesen ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer vorliegenden Geistesstörung oder -schwäche zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln. Das Attest referiert lediglich die schwerwiegenden Erkrankungen des Klägers in der Vergangenheit, nämlich unter anderem Darmkrebs, Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, Polyneuropathie etc. Der Internist, Diabetologe und Hypertensiologe DHL S. kommt sodann zu dem Schluss, dass der Kläger aufgrund dieser schwerwiegenden Erkrankungen „in den letzten Wochen nicht geschäfts- und entscheidungsfähig“ gewesen sei, „sodass von ihm getroffene Entscheidungen nicht akzeptiert werden können. Das bezieht sich insbesondere auf einen unterschriebenen Auflösungsvertrag mit seinem bisherigen Arbeitgeber“. Dieses ärztliche Attest enthält nur insoweit Tatsachen, als es die bisherigen Krankheiten des Klägers angibt. Inwiefern diese Krankheiten mit einer Geistesstörung oder -schwäche verbunden sind oder eine solche hervorrufen, ist aus dem Attest nicht zu entnehmen. Ebenso wenig enthält das Attest konkrete Tatsachen, wie sich eine etwaige Geistesstörung im Fall des Klägers in welchem Zeitraum geäußert hätte. Soweit S. zur rechtlichen Schlussfolgerung kommt, der Patient sei in den letzten Wochen nicht geschäfts- und entscheidungsfähig gewesen, bleibt völlig offen, was der bescheinigende Arzt unter einer „Geschäfts- und Entscheidungsfähigkeit“ versteht und wie er deren Vorliegen erkannt und festgestellt haben will. Ebenso bleibt offen, welchen Zeitraum der behandelnde Arzt unter den „letzten Wochen“ versteht und wieso die seit geraumer Zeit bestehenden Erkrankungen bei welchen Anzeichen nunmehr zu einer Geistesstörung oder -schwäche bei fortbestehender Arbeitsfähigkeit als Niederlassungsleiter geführt haben sollen.

Der ärztlichen Stellungnahme des S. vom 30. September 2020 lassen sich ebenfalls keine Tatsachen entnehmen, aus denen sich eine Geschäftsunfähigkeit des Klägers im August 2020 entnehmen lassen würde. Auch diese Stellungnahme enthält zunächst Ausführungen zu der Krebserkrankung im Dezember 2016. Lediglich allgemein ist angeben, dass es bei dem Kläger durch die Krebserkrankung sowie durch die Chemotherapie mit multiplen Komplikationen „zu einer schweren posttraumatischen psychischen Belastungsstörung“ kam, so dass der Kläger „eine Persönlichkeits- und Wesensveränderung erlitt“. Es habe sich „eine schwere Depression mit Schlafstörungen und Alpträumen“ gezeigt. Der Kläger habe „eine starke Konzentrationsschwäche“ gehabt. Dies sei auch hinsichtlich seiner Diabetesbehandlung erkennbar gewesen. Der Kläger habe des Öfteren vergessen, die Insulinapplikationen und Blutzuckermessungen durchzuführen. „Verstärkt“ sei die klinische Symptomatik im Jahr 2018 worden, als Lebermetastasen des Coloncarzinoms diagnostiziert und operiert worden seien. Herr S. kommt in seiner ärztlichen Stellungnahme zu dem Ergebnis, seines Erachtens sei der Kläger seit „psychisch auffällig“. Er sei „in seinen Entscheidungen sowohl privat, als auch beruflich und geschäftlich deutlich eingeschränkt“ gewesen. Dieser zusammenfassenden Beurteilung lässt sich nicht entnehmen, inwiefern der Kläger sich im August 2020 in einem seine freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden haben soll. Weder das Vorliegen einer schweren Depression, Schlafstörungen, Alpträume noch eine starke Konzentrationsschwäche belegen an sich eine Geschäftsunfähigkeit. Offen bleibt auch, was der Aussteller der ärztlichen Stellungnahme unter einer „schweren“ Depression versteht, in welchem Umfang Schlafstörungen und Alpträume vorgelegten haben und wie sich eine „starke“ Konzentrationsschwäche äußert. Gerade Depressionen kommen bekanntermaßen in vielfältigen und völlig unterschiedlich ausgeprägten Formen vor und depressive Erkrankungen unterliegen regelmäßig Schwankungen. Dass der Erkrankte dauerhaft oder zumindest für einen längeren Zeitraum nicht mehr in der Lage ist, Alltagstätigkeiten auszuführen, folgt daraus nicht (vgl. BAG 28. Januar 2010 – 2 AZR 985/08 – Rn. 18). Nicht jede psychische Erkrankung schließt dauerhaft und für sämtliche Geschäfte die freie Willensbildung aus. Selbst eine deutliche Einschränkung in den privaten, beruflichen und geschäftlichen Entscheidungen bedeutet gerade nicht deren Ausschluss.

In der „Ergänzung zur ärztlichen Stellungnahme vom 30.09.20“ vom 28. Oktober 2020 zieht der behandelnde Arzt Dr. S. wiederum lediglich eine juristische Folgerung auf das Vorliegen einer Geschäftsunfähigkeit. Konkrete Tatsachen, aus denen sich eine solche ergeben würde, enthält auch diese Stellungnahme nicht. Vielmehr gibt die Stellungnahme gerade an, dass es keine medizinischen Maßstäbe gebe. Wie sich geäußert haben soll, dass der Kläger „zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages in seinem Geisteszustand vergleichbar mit einem Volltrunkenen oder Drogen bzw. Rauschgift konsumierenden Patienten“ war, lässt sich weder dieser „Ergänzung“ noch dem Klägervortrag entnehmen. Es widersprüchlich, wenn der Kläger einerseits vergleichbar mit einem Volltrunkenen oder Drogen bzw. Rauschgift konsumierenden Patienten“ gewesen sein soll, andererseits aber als Niederlassungsleiter arbeitsfähig war und mit einem Kraftfahrzeug problemlos zu einer geschäftlichen Besprechung nach B. fuhr.

Das ärztliche Attest des Gastroenterologen und Internisten F. vom 26. Oktober 2020 referiert ebenfalls die schwerwiegenden Erkrankungen des Klägers in der Vergangenheit und berichtet von einer deutlichen psychischen Belastung mit Traumatisierungsstörung nach den dreimaligen Krebsoperationen, zuletzt am 16. Oktober 2018, und einer extremen Belastung, „wenn Nachsorgeuntersuchungen durchgeführt werden“. Schließlich berichtet Herr F.von zusätzlichen Ängsten des Klägers durch eine Lungenentzündung im März 2020. Der Gastorenterologe führt weiter aus: „Die letzten Monate waren durch die Pandemie und wechselnden Entwicklungen, auch in unserem Heimatland, von Verunsicherungen und Ängsten des Klägers begleitet. Ebenso im August diesen Jahres als der Patient das Vertragswerk seines Arbeitgebers unterzeichnet hat.“ Der Arzt geht „zusammengefasst aus ärztlicher Sicht und aufgrund der geschilderten Umstände bei dem Patienten von einer Entscheidungsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Vertragsunterschrift“ aus. Die von F. wiedergegebenen Tatsachen in Form der Erkrankungen des Klägers in der Vergangenheit und den allgemein umschriebenen „Verunsicherungen und Ängsten“ lassen nicht erkennen, dass der Kläger sich gerade am 13. August 2020 in dem Ausnahmezustand eines die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden hat, der seiner Natur nach kein vorübergehender war. Gerade Verunsicherungen und Ängste treten ebenfalls in unterschiedlicher Ausprägung sowie schwankend auf.

Der Kläger hat auch nicht behauptet, sich in stationärer oder ambulanter psychiatrischer Behandlung befunden zu haben oder wegen einer psychischen Erkrankung medikamentös behandelt worden oder arbeitsunfähig gewesen zu sein.

Vom – nach Zeitraum und Häufigkeit nicht näher eingegrenztem – Vergessen der Insulinapplikationen und Blutzuckermessungen abgesehen hat der Kläger keine Beispiele angeführt, in denen er sich beispielsweise völlig unvernünftig oder gar selbstgefährdend verhalten hätte. Das Vergessen der Insulinapplikationen und Blutzuckermessungen selbst belegt nicht, dass er nicht in der Lage gewesen wäre, einen freien Willen zu bilden.

Der Vortrag des Klägers lässt auch angesichts seiner langandauernden Erkrankungen nicht erkennen, aufgrund welcher geänderter Umstände er sich sodann unstreitig bereits spätestens am 31. August 2020 nicht mehr in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand, als er seinen Prozessbevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Rechte und der Klageerhebung im Streitfall beauftragte. Auch das ärztliche Attest des S. vom 21. August 2020 berichtet davon, dass der Kläger in den letzten Wochen nicht geschäfts- und entscheidungsfähig „war“. Von einer im Zeitpunkt der Erstellung des Attests andauernden Störung ist nicht die Rede.

Da der Kläger somit bereits seiner Darlegungslast nicht nachgekommen ist, bedurfte es nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Geschäftsunfähigkeit des Klägers am 13. August 2020.

2.

Der Aufhebungsvertrag vom 13. August 2020 ist auch nicht wegen Umgehung zwingender gesetzlicher Vorschriften nichtig, § 134 BGB.

Nach §§ 174, 168 SGB IX bedarf die außerordentliche bzw. ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Eine solche vorherige Zustimmung ist im Übrigen nur unter den Voraussetzungen des § 175 SGB IX erforderlich. Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch einen Aufhebungsvertrag bedarf nach dem Willen des Gesetzgebers gerade keiner Zustimmung des Integrationsamtes.

Hinsichtlich der erforderlichen Zustimmung des Integrationsamtes zu dem Ausspruch einer Kündigung ist zu berücksichtigen, dass dieses gemäß § 174 Abs. 4 SGB IX die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung erteilen soll, wenn die Kündigung aus einem Grund erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung erfolgt. Das ist vorliegend der Fall, da eine außerordentliche Kündigung auf verhaltensbedingte Gründe gestützt worden wäre, die – auch nicht nach dem Vortrag des Klägers – unmittelbar mit seiner Behinderung in Zusammenhang stehen. Als Zusammenhang mit der Behinderung des Klägers ist es insoweit nicht anzusehen, dass der Kläger wegen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen sich nicht (mehr) in der Lage sah, seinen Arbeitsplatz zu wechseln, um ein höheres Monatseinkommen zu erzielen. Weiter zu berücksichtigen, dass das Integrationsamt seine Entscheidung innerhalb von zwei Wochen vom Tag des Eingangs des Antrags an zu treffen hat, andernfalls die Zustimmung als erteilt gilt, § 174 Abs. 3 SGB IX. Bei einer Antragstellung am Tag des Abschlusses des Aufhebungsvertrages (13. August 2020) hätte eine Zustimmung des Integrationsamtes mithin noch vor dem im Aufhebungsvertrag vereinbarten Beendigungstermin (31. August 2020) vorliegen und eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden können.

Auch eine Anhörung des Betriebsrats ist bei dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages nach dem Willen des Gesetzgebers nicht erforderlich, § 102 BetrVG. Es kann daher dahinstehen, ob der Kläger entsprechend § 2 des Arbeitsvertrages leitender Angestellter nach § 5 Abs. 3 BetrVG war und damit das BetrVG auf ihn keine Anwendung fand. Der Betriebsrat hätte zudem noch vor dem 31. August 2020 sowohl zur außerordentlichen als auch zur ordentlichen Kündigung angehört werden können, § 102 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG.

Auf eine Verletzung der Mitteilungspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat nach § 105 BetrVG kann der Kläger sich nicht berufen.

Die vorherige Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist nach § 178 Abs. 2 S. 3 iVm. S. 1 SGB IX lediglich Voraussetzung einer Arbeitgeberkündigung. Noch vor dem 31. August 2020 wäre eine Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers möglich gewesen.

Soweit der Kläger sich darauf beruft, er sei aufgrund tarifvertraglicher Regelungen unkündbar, lässt sich seinem Vortrag nicht entnehmen, welcher Tarifvertrag, der eine solche Regelung enthält, auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aus welchem Grund Anwendung finden soll. Nach § 2 S. 2 des Arbeitsvertrags vom 1. September 2014 „unterliegt“ der Kläger „keinem Tarifvertrag“. Eine hiervon abweichende individualvertragliche Abrede hat der Kläger nicht vorgetragen. Ebenso wenig hat er vorgetragen, dass beide Parteien tarifgebunden wären (§ 3 Abs. 1 TVG).

Die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages ist grundsätzlich nicht an die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebunden.

3.

Der Aufhebungsvertrag vom 13. August 2020 ist auch nicht wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig, § 138 Abs. 1 BGB. Er ist insbesondere nicht nichtig, weil der Beklagte sich unter Ausbeutung einer Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder einer erheblichen Willensschwäche des Klägers im Aufhebungsvertrag für eine Leistung Vermögensvorteile hätte versprechen oder gewähren lassen, die in einem auffälligen Missverhältnis zur Leistung stünden (§ 138 Abs. 2 BGB).

Die Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit hat nach den allgemeinen Regeln derjenige zu beweisen, der sich auf die Nichtigkeit des konkreten Rechtsgeschäfts beruft (BGH 16. Dezember 2008 – XI ZR 454/07 – Rn. 16). Das ist im vorliegenden Fall der Kläger. Er hat nicht dargelegt, dass die im Aufhebungsvertrag getroffenen Regelungen ein auffälliges Missverhältnis zwischen dem Nachgeben der Parteien enthalten.

Zwar hat der Kläger mit Abschluss des Aufhebungsvertrages auf Kündigungsschutz sowie die vor dem Ausspruch einer Kündigung erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes (§§ 174 Abs. 1, 168 SGB IX), Hinweise der Firma auf mögliche nachteilige sozialrechtliche Konsequenzen, die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung sowie gegebenenfalls die Anhörung des Betriebsrates verzichtet. Auch hat er gleichzeitig ein der Höhe nach nicht ausgefülltes Schuldanerkenntnis und Ratenzahlungsvereinbarung unterzeichnet, das nach der – insoweit mit der Berufung nicht angegriffenen – Entscheidung des Arbeitsgerichts unwirksam ist.

Andererseits standen unbestritten erhebliche Vorwürfe hinsichtlich des Verhaltens des Klägers im Raum, die einen wichtigen Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung (§ 626 Abs. 1 BGB) hätten darstellen können. So hat der Kläger unstreitig fortgesetzt von Kunden der Beklagten Incentive-Beiträge für die Teilnahme an von der Beklagten veranstaltete Motorradtouren erhoben und privat vereinnahmt. Dabei hat er den Kunden bewusst vorgespiegelt, die Beklagte berechne solche Beträge, und die Kunden hierdurch zu entsprechenden Zahlungen – im Glauben zur Zahlung verpflichtet zu sein – veranlasst. Dadurch hat er den Kunden einen Vermögensnachteil und sich selbst einen entsprechenden Vermögensvorteil verschafft, der ihm in keiner Weise zustand. Dadurch hat er im Rahmen seiner Tätigkeit für die Beklagte den Straftatbestand eines Betruges (§ 263 Abs. 1 StGB) zu Lasten der Kunden verwirklicht. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob auch weitere Mitarbeiter der Beklagten, etwa der Zeuge K., entsprechend verfahren sind. Daneben gab es erhebliche Unregelmäßigkeiten in Zusammenhang mit dem Abverkauf von G. Drückerplatten und einer Dampfdusche durch den Zeugen W. über ebay unter Zwischenschaltung der T.S. GmbH. An diesen Unregelmäßigkeiten war der Kläger zumindest beteiligt.

Zudem wurden im rückdatierten Auflösungsvertrag als Beendigungsgrund nicht die verhaltensbedingten Gründe, sondern die „Erkrankung“ des Klägers angegeben, „die auf Grund der Besonderheiten des Arbeitsplatzes immer wieder auftreten wird“. Weiter wurde angegeben: „Da intern auch kein anderer adäquater Arbeitsplatz zur Verfügung steht, müsste andernfalls eine personenbedingte Kündigung ausgesprochen werden“. Außerdem wurde ein Beendigungsdatum zum Monatsende gewählt.

3.

Der Kläger hat den Aufhebungsvertrag vom 12. August 2020 nicht wirksam widerrufen. Die Einwilligung zum Abschluss eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrages kann grundsätzlich nicht gemäß § 355 BGB iVm. §§ 312g Abs. 1, 312b BGB widerrufen werden (BAG 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/17 – Rn. 15, juris). Der Anwendungsbereich für diese Vorschrift ist gemäß § 312 Abs. 1 BGB nicht eröffnet (BAG 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/17 – Rn. 13 ff., juris). Im Übrigen wurde der Aufhebungsvertrag am 13. August 2020 gerade nicht in den Privaträumen des Klägers, sondern in den Räumlichkeiten der Beklagten in B. abgeschlossen.

4.

Der zwischen den Parteien geschlossene Aufhebungsvertrag ist nicht gemäß § 142 Abs. 1 BGB aufgrund einer wirksamen Anfechtung als von Anfang an nichtig anzusehen. Dem Vortrag des insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Klägers kann jedenfalls kein Anfechtungsgrund entnommen werden.

a) Der Kläger hat nicht zu den Voraussetzungen eines Inhalts- oder Erklärungsirrtums (§ 119 Abs. 1 BGB) vorgetragen.

b) Das Vorliegen einer arglistigen Täuschung hat er ebenfalls nicht vorgetragen. Die Voraussetzung einer Anfechtbarkeit wegen einer widerrechtlichen Drohung (§ 123 Abs. 1 BGB) liegen nicht vor

Dabei kann dahinstehen, ob die Beklagte dem Kläger am 13. August 2020 mit einer außerordentlichen Kündigung oder der Erstattung einer Strafanzeige gedroht hat.

aa) Die Androhung der Beklagten, das Arbeitsverhältnis durch eine außerordentliche Kündigung beenden zu wollen, wenn der Kläger nicht einen Aufhebungsvertrag abschließe, stellte, ebenso wie die Androhung der Erstattung einer Strafanzeige durch sie selbst, eine Drohung iSv. § 123 Abs. 1 BGB dar. Die Beklagte hätte hierdurch gegenüber dem Kläger die Zufügung eines zukünftigen empfindlichen Übels angekündigt, dessen Verwirklichung in ihrer Macht lag (vgl. BAG 28. November 2007 – 6 AZR 1108/06 – Rn. 46 mwN., juris).

Die Drohung mit der außerordentlichen Kündigung wäre aber jedenfalls nicht widerrechtlich erfolgt.

bb) Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung ist widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Die Widerrechtlichkeit der Kündigungsandrohung kann sich regelmäßig nur aus der Inadäquanz von Mittel und Zweck ergeben. Hat der Drohende an der Erreichung des verfolgten Zwecks kein berechtigtes Interesse oder ist die Drohung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht mehr als angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Zwecks anzusehen, ist die Drohung widerrechtlich. Nicht erforderlich ist, dass sich die angedrohte Kündigung, wenn sie ausgesprochen worden wäre, in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte. Von dem Arbeitgeber kann nicht verlangt werden, dass er bei seiner Abwägung generell die Beurteilung des Tatsachengerichts “trifft”. Nur wenn der Arbeitgeber unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde im Fall ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er die außerordentliche Kündigungserklärung nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zum Abschluss einer Beendigungsvereinbarung zu veranlassen (BAG 28. November 2007 – 6 AZR 1108/06 – Rn. 48 mwN., juris).

cc) Die Beklagte konnte angesichts des vorliegenden Sachverhalts eine außerordentliche Tat- oder Verdachtskündigung in Erwägung ziehen. Eine außerordentliche Tatkündigung wegen des Einforderns eines Incentive Beitrags von Kunden und die Verwendung der auf diese Weise eingenommenen Gelder für eigene Zwecke sowie des Verdachts der Mitwirkung an dem Verkauf von Waren der Beklagten über ebay und die Veränderung von Einstandspreisen würde mit hoher Wahrscheinlichkeit einer arbeitsgerichtlichen Kontrolle standhalten. Der Kläger hat insoweit seine Position als Niederlassungsleiter der Beklagten ausgenutzt, um sich auf Kosten der Kunden rechtswidrig einen finanziellen Vorteil zu verschaffen.

(1) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist- zumutbar ist oder nicht (BAG 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 15 mwN., juris).

(2) Die Begehung eines Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB) zu Lasten der Kunden der Beklagten in Ausübung einer Tätigkeit für die Beklagte ist „an sich“ als Kündigungsgrund geeignet. Auch bestanden zumindest erhebliche Verdachtsmomente, dass Verkäufe von Drückerplatten etc. unter Mitwirkung des Klägers über die T.S. GmbH abgewickelt und die Waren dann auf dem ebay-Profil des Herrn W. verkauft wurden. Die eigenmächtige Veränderung von Einstandspreisen, die hätte von der Zentrale in B. hätte vorgenommen werden müssen, stellt eine erhebliche Verletzung vertraglicher Nebenpflichten durch den Arbeitnehmer (§ 241 Abs. 2 BGB) dar. Diese ist ebenso wie der Verdacht derselben geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

Die Beklagte durfte auch davon ausgehen, dass bei einer Abwägung der Interessen beider Vertragsteile der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Halbjahresende, das heißt hier bis zum 30. Juni 2021, nicht zumutbar ist. Der Kläger musste jedenfalls, auch wenn er sich – von der Beklagten bestritten – darauf berufen hat, dass auch von seinem Vorgänger und in (welchen?) anderen Betrieben ohne Kenntnis der Beklagten Incentive-Beiträge erhoben wurden, erkennen, dass die Beklagte dieses schwerwiegende und strafbare Verhalten zulasten der Kunden und ohne Versteuerung dieser Einkünfte nicht hinnehmen kann. Einer Abmahnung bedurfte es daher nicht. Zwar war der Kläger am 13. August 2020 60 Jahre alt, seiner Ehefrau zum Unterhalt verpflichtet, schwerbehindert und seit 33 Jahren bei der Beklagten beschäftigt, davon seit 5,5 Jahren als Niederlassungsleiter. Der Kläger hat jedoch seine leitende Position genutzt, um über mehrere Jahre von Kunden fiktive Beiträge einzuziehen und für sich zu verwenden. Dabei hat er in der Absicht gehandelt, sein Bruttomonatsgehalt, das 7.606,76 € betrug, aufzubessern. Da der Kläger die Einforderung der Incentive Beiträge (erst) am 13. August 2020 zur Kenntnis gebracht hat, war die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB an diesem Tag noch nicht abgelaufen. Die Zustimmung des Integrationsamtes zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung konnte fristgerecht innerhalb der Frist des § 174 Abs. 2 SGB IX beantragt werden.

dd) Auch eine etwaige Drohung durch die Zeugin M. mit einer Strafanzeigewäre nicht widerrechtlich gewesen. Der Sachverhalt gab aus den dargestellten Gründen Anlass zu dem Hinweis bzw. zur Anregung an die Strafverfolgungsbehörden, den Sachverhalt jedenfalls im Hinblick auf einen Betrug zu Lasten der Kunden durch Erhebung der Incentive Beiträge zu prüfen.

5.

Der streitgegenständliche Aufhebungsvertrag ist auch nicht unter Verstoß gegen das so genannte Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen.

a) Das Gebot fairen Verhandelns vor Abschluss des Aufhebungsvertrages ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 32, juris) eine im Zusammenhang mit der Verhandlung eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründete Nebenpflicht iSd. § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB. Es schützt unterhalb der Schwelle der von §§ 105, 119 ff. BGB erfassten Willensmängel die Entscheidungsfreiheit bei Vertragsverhandlungen (BAG 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 32, juris).

Bei Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags kann eine Seite gegen ihre Verpflichtungen aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen, wenn sie eine Verhandlungssituation herbeiführt oder ausnutzt, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstellt. Das Gebot fairen Verhandelns wird missachtet, wenn die Entscheidungsfreiheit des anderen Vertragspartners in zu missbilligender Weise beeinflusst wird. Es geht dabei nicht um ein Erfordernis der Schaffung einer für den Vertragspartner besonders angenehmen Verhandlungssituation, sondern um das Gebot eines Mindestmaßes an Fairness im Vorfeld des Vertragsschlusses. Eine rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit ist noch nicht gegeben, nur weil der eine Auflösungsvereinbarung anstrebende Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einräumt. Auch eine Ankündigung des Unterbreitens einer Aufhebungsvereinbarung ist nicht erforderlich. Eine Verhandlungssituation ist vielmehr erst dann als unfair zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht. Dies kann durch die Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen, die erheblich ablenken oder sogar den Fluchtinstinkt wecken, geschehen. Denkbar ist auch die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse. Die Nutzung eines Überraschungsmoments kann ebenfalls die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners beeinträchtigen (Überrumpelung). Letztlich ist die konkrete Situation im jeweiligen Einzelfall am Maßstab des § 241 Abs. 2 BGB zu bewerten und von einer bloßen Vertragsreue abzugrenzen (BAG 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 34, juris).

Liegt ein schuldhafter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns im Sinn einer Nebenpflichtverletzung gemäß § 241 Abs. 2 BGB vor, ist der Aufhebungsvertrag im Regelfall unwirksam (BAG 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 35, juris). Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB geschuldeten Rücksichts- oder Aufklärungspflichten ergeben sich aus § 280 Abs. 1 iVm. §§ 249 bis 253 BGB. Hat der Arbeitgeber bei den Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrages das Gebot fairen Verhandelns schuldhaft verletzt, führt der Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers wegen einer Missachtung des Gebots fairen Verhandelns unmittelbar zu einem Entfall der Rechtswirkungen des Aufhebungsvertrages und damit zu einer Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen (BAG 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 37 mwN., juris).

Die Beweislast für einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns und die Kausalität dieses Verstoßes für den Abschluss des Aufhebungsvertrages – unter Beachtung der Vermutung, dass ein Arbeitnehmer ohne die unfaire Behandlung seine Eigeninteressen in vernünftiger Weise gewahrt und den Aufhebungsvertrag nicht abgeschlossen hätte – trägt derjenige, der sich auf eine Verletzung des § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB beruft (BAG 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 42 mwN., juris).

b) Im vorliegenden Fall hat der insoweit darlegungspflichtige Kläger nicht substantiiert vorgetragen, dass die Beklagte seine krankheitsbedingte Schwäche bewusst ausgenutzt hat. So hat der Kläger nicht dargetan, aufgrund welcher Umstände die Beklagte am 13. August 2020 hätte erkennen müssen, dass er zu diesem Zeitpunkt in besonderem Maß krankheitsbedingt, insbesondere mental geschwächt gewesen wäre. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt arbeitsfähig. Seine letzte Krebsoperation lag nahezu zwei Jahre zurück.

Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt grundlegend von dem der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 7. Februar 2019 (6 AZR 75/18) zugrundeliegenden Sachverhalt. Anders als im dortigen Fall war im Streitfall die Arbeitsunfähigkeit des Klägers zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages gerade nicht bescheinigt und der Vertragsschluss erfolgte nicht in der Wohnung des Arbeitnehmers, sondern während einer Besprechung, zu der der Kläger während seines Urlaubs einbestellt worden war, am Firmensitz der Beklagten. Daran, dass er wegen „offener Fragen“ nach einem Online-Meeting auch zu über ebay angebotenen R.-Artikeln kurzfristig, sogar während seines Urlaubs in die Firmenzentrale einbestellt worden war, hätte der Kläger erkennen können, dass es um äußerst wichtige, dringende Fragen ging, deren Klärung aus Sicht der Beklagten nicht bis nach dem Urlaub des Klägers warten konnte und die weder telefonisch noch auf sonstige Weise zu klären waren, sondern die Anwesenheit des Klägers am Firmensitz erforderten. Er musste damit rechnen, während dieser dienstlichen Besprechung auch auf einen Aufhebungsvertrag angesprochen zu werden (vgl LAG Hamm 17. Mai 2021 – 18 Sa 1124/20 – Rn.90 mwN., juris). Die besondere Ankündigung eines solchen Gesprächs ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht erforderlich (BAG 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 34 mwN., juris).

Die Berufung des Klägers hatte daher keinen Erfolg.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

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