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Unwirksamkeit einer Kündigung wegen verbotener Maßreglung

Maßregelung als Grund für die Unwirksamkeit einer Kündigung

Im Arbeitsrecht gibt es konkrete Bestimmungen, die den Arbeitnehmer vor ungerechtfertigten Maßnahmen des Arbeitgebers schützen. Ein aufschlussreiches Beispiel hierfür ist ein Fall, in dem die Kündigung eines Arbeitnehmers als ungültig erklärt wurde, da sie als verbotene Maßregelung angesehen wurde. Die Klägerin dieses Falls berief sich auf das Maßregelungsverbot im Arbeitsrecht, welches besagt, dass ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht benachteiligen darf, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 6 Sa 523/22 >>>

Das Wichtigste in Kürze


  • rteil Arbeistrecht Siegen: Der Fall dreht sich um die Unwirksamkeit einer Kündigung aufgrund einer verbotenen Maßregelung.
  • Es gab einen Streit darüber, ob das Arbeitsverhältnis bereits durch eine Eigenkündigung beendigt wurde oder noch besteht. Das Arbeitsgericht hat entschieden, dass keine Eigenkündigung vorliegt.
  • Die Klägerin warf dem Arbeitgeber vor, die Kündigung als Strafe für ihre Inanspruchnahme ihrer Rechte ausgesprochen zu haben.
  • Die Klägerin fordert die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht beendet wurde.
  • Das Arbeitsgericht hat der Klage der Klägerin stattgegeben und es folgte eine Berufungsverhandlung.
  • Die Kündigung stellte laut der Beklagten keine Maßregelung für ein ausgeübtes Recht dar. Die Kündigung wurde aufgrund einer nach ihrer Aussage falschen Behauptung der Klägerin ausgesprochen.
  • Das Gericht entschied, dass die Kündigung sich als Maßregelung darstellt und daher unwirksam ist. Grund ist das Geltendmachen von Rechten der Klägerin, die in der Kündigungserklärung des Arbeitgebers direkt genannt wurden.
  • Die Unwirksamkeit der Kündigung folgt aus den Paragraphen 612a und 134 BGB des deutschen Rechts. Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.

Kündigung und Maßregelungsverbot im Fokus

Verbotene Maßregelung im Arbeitsrecht
Arbeitnehmerrechte im Fokus: Kündigung als verbotene Maßregelung wird unwirksam. (Symbolfoto: Anton Vierietin /Shutterstock.com)

Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte ein Arbeitsverhältnis gekündigt, das bei Gericht angefochten wurde. Die Klägerin argumentierte, dass die Kündigung ungültig sei, da sie als Maßregelung gegen die Ausübung ihrer Rechte diente. Sie wies darauf hin, dass die Kündigung erst ausgesprochen wurde, nachdem sie behauptet hatte, ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Geschäftsführer der Beklagten ausgeübt zu haben. Obwohl die Beklagte behauptete, die Kündigung sei wegen einer angeblichen Lüge der Klägerin in diesem Zusammenhang ausgesprochen worden, wurde dies vom Berufungsgericht zurückgewiesen.

Berufung und Entscheidung des Gerichts

Obwohl die Beklagte das Vorliegen einer Maßregelung bestritt, entschied das Gericht zugunsten der Klägerin. Es wurde geurteilt, dass die Kündigung tatsächlich eine Maßregelung darstellte und daher rechtswidrig war. Hierbei wurde auf § 612a des BGB verwiesen, der unter anderem die Unwirksamkeit einer Kündigung als Maßregelung feststellt. Im Wortlaut der Kündigungserklärung der Beklagten konnte das Gericht deutlich erkennen, dass die Ausübung der Rechte der Klägerin aus ihrem Arbeitsverhältnis der Hauptgrund für die Kündigung war.

Auslegung und Tragweite

Trotz eingehender Prüfung der eingereichten Fakten durch das Gericht konnte die Beklagte nicht beweisen, dass die Kündigung aus einem anderen Grund als der zulässigen Ausübung der Rechte der Klägerin ausgesprochen wurde. Vielmehr stützte das Berufungsgericht seine Entscheidung auf den klar nachvollziehbaren Wortlaut der Kündigungserklärung und die nachweisbare Wahrheit der Aussagen der Klägerin.

Ungezügelte Rechteausübung und daraus resultierende Konsequenzen

Der vorliegende Fall illustriert eindrucksvoll, wie wichtig die Wahrung der Arbeitnehmerrechte im Arbeitsrecht ist. Eine Kündigung, die als Reaktion auf die Ausübung dieser Rechte erfolgt, kann als verbotene Maßregelung gewertet und folglich für unwirksam erklärt werden. Dies unterstreicht das grundlegende Prinzip des Arbeitsrechts, dass ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht für die zulässige Ausübung seiner Rechte benachteiligen darf. Die Entscheidung des Berufungsgerichts in diesem Fall stellt einen wichtigen Präzedenzfall dar und dient als klare Richtlinie für zukünftige vergleichbare Sachverhalte.

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Verbotene Maßregelung im Arbeitsrecht – kurz erklärt


Das im § 612a BGB verankerte „Maßregelungsverbot“ ist eine wichtige rechtliche Regelung für Arbeitgeber. Es besagt, dass ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht benachteiligen darf, wenn dieser seine Rechte in zulässiger Weise ausübt. Eine solche Benachteiligung kann in unterschiedlichen Formen auftreten, einschließlich einer Kündigung.

Eine verbotene Maßregelung liegt vor, wenn die Maßnahme eine Benachteiligung wegen einer zulässigen Rechtsausübung des Arbeitnehmers darstellt. Der Arbeitnehmer hat das Recht, seine Interessen wahrzunehmen und z.B. Ansprüche geltend zu machen, ohne dafür negative Konsequenzen befürchten zu müssen.

Wenn ein Arbeitnehmer eine Maßregelung vermutet, muss er diese in der Regel vor Gericht beweisen. Dies kann manchmal schwierig sein und erfordert oft die Unterstützung eines Anwalts.

Eine als Maßregelung empfundene Kündigung kann also vor dem Arbeitsgericht angefochten werden. Die Höhe des Streitwerts bei einer Kündigungsschutzklage liegt dabei meist beim dreifachen Bruttomonatsgehalt des Arbeitnehmers.



Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 6 Sa 523/22 – Urteil vom 01.12.2022

1. Das Versäumnisurteil vom 10.11.2022 – 6 Sa 523/22 – bleibt aufrechterhalten.

2. Die Beklagte hat auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung vom 08.07.2021, die die Beklagte der Klägerin gegenüber ausgesprochen hat.

In einem weiteren Verfahren – 8 Ca 58/21 und 5 Sa 522/22 – hatten die Parteien unter anderem darüber gestritten, ob das Arbeitsverhältnis bereits am 19.09.2020 durch eine Eigenkündigung der Klägerin sein Ende gefunden hat. Die 8. Kammer des Arbeitsgerichts hatte mit Urteil vom 28.04.2022 unter anderem entschieden, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch eine Eigenkündigung beendet worden ist. Hinsichtlich dieser Entscheidung ist das Urteil rechtskräftig geworden. Nur die Klägerin hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, soweit sie nämlich teilweise mit ihren Entgeltansprüchen unterlegen und deshalb beschwert war. Hinsichtlich dieser Entgeltansprüche war im Parallelverfahren der vereinbarte Stundenumfang, die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden sowie die Voraussetzungen und die ausdrückliche Erklärung eines Zurückbehaltungsrechts streitig. Mit der arbeitsgerichtlichen Entscheidung über die Eigenkündigung steht rechtskräftig fest, dass im Zeitpunkt des Zugangs der hier streitigen Kündigung das Arbeitsverhältnis noch bestand. Der Gütetermin zu dem besagten Parallelverfahren fand am 08.07.2021 statt. Das gleiche Datum trägt das hier streitgegenständliche Kündigungsschreiben. In dem besagten Gütetermin wurde die Klägerin vom dortigen Vorsitzenden nach § 141 ZPO angehört (Protokoll vom 08.07.2021 – 8 Ca 58/21, Bl. 94 d.A.). Sie berichtete über mehrere Gespräche mit dem Geschäftsführer und darüber, dass sie dem Geschäftsführer gegenüber die damals nach ihrer Auffassung erheblichen Lohnrückstände geltend gemacht habe. Darauf hat der Geschäftsführer der Beklagten zu Protokoll erklärt: „Diese Behauptungen sind kackendreist gelogen, es gab solche Gespräche nicht“.

Im Kündigungsschreiben vom 08.07.2021 heißt es sodann wörtlich:

Wie Sie wissen hat am 08.07.2021 ein Gerichtstermin stattgefunden, in dem es auch um die Frage der wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ging. In der Verhandlung haben Sie wahrheitswidrig behauptet, dass Sie Ihre Arbeitskraft im September 2020 angeboten hätten und von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch gemacht hätten. Dies entspricht nicht der Wahrheit und stellt einen Prozessbetrug dar. Sie wollen Lohn, der Ihnen nicht zusteht. Aufgrund dieses Verhaltens kündigen wir Sie heute vorsorglich noch einmal fristlos mit sofortiger Wirkung, hilfsweise ordentlich fristgerecht zum nächsten möglichen Zeitpunkt.

Mit der am 24.08.2021 bei Gericht eingegangenen Klage hat sich die Klägerin gegen diese Kündigung gewandt und die Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses beantragt.

Die Klägerin hat zur Begründung ihrer Klage vorgetragen, die Kündigung sei rückdatiert worden auf den 08.07.2021, sie sei ihr erst zum Ende ihres Urlaubs am 16.08.2021 zugegangen. Die Kündigung sei nach ihrer Auffassung wegen des Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot unwirksam. Sie sei mit der Kündigung bestraft worden, weil sie es gewagt habe, ihre Rechte vor Gericht wahrzunehmen und auch Vollstreckungsmaßnahmen aus dem im Vorverfahren ergangenen Versäumnisurteil in Erwägung ziehe. Auch stehe die Kündigung im Zusammenhang mit dem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten im Parallelverfahren vom 04.08.2021, in dem nochmals die Umstände der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts geschildert worden seien. Die Kündigung sei die Reaktion des Geschäftsführers der Beklagten auf die Ausübung dieses Zurückbehaltungsrechts.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die rückdatierte Kündigung vom 08.07.2021, zugestellt 16.08.2021, weder fristlos noch fristgerecht beendet worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ein qualifiziertes Zeugnis zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat entgegen einer im Gütetermin verkündeten gerichtlichen Auflage zur Klage nichts weiter vorgetragen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 28.04.2022 insgesamt stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die fristlose Kündigung sei unwirksam mangels eines wichtigen Grundes. Die Kündigung sei auch auf ihre Wirksamkeit überprüfbar gewesen, auch wenn zwischen Ausstellungsdatum und dem Datum, das die Klägerin als Zugangsdatum angegeben habe, ein sehr langer Zeitraum liege. Es sei die Beklagte, die die Nichteinhaltung der Klagefrist rügen müsse und damit sei sie es, die konkret zu einem von ihr ggfls. behaupteten oder angenommenen früheren Zeitpunkt vortragen müsse. Die ordentliche Kündigung sei dem gegenüber wirksam. Das Kündigungsschutzgesetz finde keine Anwendung, daher müsse die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt sein. Die Kündigung sei auch nicht gemäß § 612 a BGB als verbotene Maßregelung unwirksam, da die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts für die Kündigung nicht der tragende Grund gewesen sei. Vielmehr gehe aus dem Kündigungsschreiben hervor, dass die Kündigung auch wegen des Prozessvortrages der Klägerin ausgesprochen worden sei, den die Beklagte als unzutreffend gewertet habe.

Gegen dieses ihr am 04.07.2022 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12.07.2022 Berufung eingelegt und sie hat diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 06.10.2022 am 29.08.2022 begründet. Mit ihrer Berufung wendet sie sich gegen das Urteil, soweit es die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung angenommen und insofern die Klage abgewiesen habe. Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht in der Kündigung keine Maßregelung erblickt. Eine solche Maßregelung gehe nach ihrer Auffassung eindeutig aus dem Kündigungsschreiben hervor.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 04.07.2022 – 8 Ca 2256/21 – dahingehend abzuändern, dass festgestellt wird, dass das Arbeitsverhältnis vom 03.06.2020 durch die auf den 08.07.2022 rückdatierte, am 16.07.2022 zugestellte Kündigung auch nicht ordentlich fristgerecht beendet worden ist.

In der Berufungsverhandlung vom 10.11.2022 ist gegen die dort säumige Beklagte auf Antrag der Klägerin ein klagestattgebendes Versäumnisurteil ergangen.

Nach Zustellung des Versäumnisurteils an die Beklagte am 14.11.2022 hat diese am 17.11.2022 beim Landesarbeitsgericht Einspruch eingelegt und diesen Einspruch am 22.11.2022 begründet. Die Kündigung stelle keine Maßregelung für ein ausgeübtes Recht dar. Das ergebe sich schon aus dem großen zeitlichen Abstand zwischen der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts durch die Klägerin und der Kündigungserklärung. Das Arbeitsgericht habe auf Seite 4 des Urteils zu Recht festgestellt, dass das Zurückbehaltungsrecht in Hinblick auf die Arbeitskraft bei behaupteten noch ausstehendem Lohn bereits im September 2020 ausgeübt worden sei. Die Kündigung sei der Klägerin ein halbes Jahr später zugegangen. So lange könne eine Rechtsausübung nicht kausal sein. Tatsächlich sei die Kündigung ausgesprochen worden, weil die Klägerin in der Gerichtsverhandlung behauptet habe, es sei der Geschäftsführer der Beklagten gewesen, demgegenüber sie das Zurückbehaltungsrecht ausgeübt habe. Diese Behauptung sei gelogen. Wegen dieser Lüge sei dann die Kündigung ausgesprochen worden und gerade nicht wegen der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts.

Die Beklagte beantragt zuletzt, das Versäumnisurteil des Landesarbeitsgerichts vom 10.11.2022 – 6 Sa 523/22 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt, das Versäumnisurteil aufrecht zu erhalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Einspruch gegen das Versäumnisurteil des Landesarbeitsgerichts vom 10.11.2022 ist zwar zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Er ist zulässig, weil er rechtzeitig und frist- sowie formgerecht eingelegt worden ist, §§ 339, 340 BGB. Er ist aber unbegründet, weil die Berufung der Klägerin, zu deren Gunsten das Versäumnisurteil, ergangen ist, zulässig und begründet war. Das Versäumnisurteil war daher gemäß § 343 Satz 1 ZPO aufrecht zu erhalten.

I. Die Berufung der Klägerin war zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Die Berufung der Klägerin ist auch begründet. Der Kündigungsschutzklage war stattzugeben, weil sich die Kündigung als Maßregelung im Sinne des § 612 a BGB darstellt und deshalb gemäß § 134 BGB unwirksam ist.

1. Nach der Norm des § 612a BGB, die einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit betrifft, darf eine Arbeitgeberin eine Arbeitnehmerin nicht deshalb bei einer Maßnahme benachteiligen, weil die Arbeitnehmerin in zulässiger Weise ihre Rechte ausübt. Als „Maßnahmen“ im Sinne des § 612a BGB kommen auch Kündigungen in Betracht (BAG v. 20.04.1989 – 2 AZR 498/88 -). Zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung muss ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen. Die zulässige Rechtsausübung muss der tragende Beweggrund, d.h. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme sein (BAG v. 12.06.2002 – 10 AZR 340/01 -; ErfK-Preis § 612a BGB Rn. 13).

2. Die Anwendung dieser Grundsätze führt im vorliegenden Fall zur Unwirksamkeit der Kündigung nach §§ 612a, 134 BGB. Der Geschäftsführer der Beklagten benennt im Kündigungsschreiben ausdrücklich seine Beweggründe, indem er nach einer Aufzählung einiger Tatsachen zusammenfassend zum Ausdruck bringt, das Arbeitsverhältnis werde „wegen dieses Verhaltens“ gekündigt. Mit „diesem Verhalten“ beklagt er, dass die Klägerin ihre Rechte geltend gemacht hat. Die dargestellten Tatsachen sind die folgenden: ein Gerichtstermin, in dem es auch um die Frage der wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ging;

eine (nach Auffassung der Beklagten) wahrheitswidrige Behauptung, die Arbeitskraft im September angeboten zu haben;

die Behauptung, von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch gemacht zu haben;

Lohn zu begehren, der der Klägerin nicht zustehe.

Zu diesen vier Punkten ist festzustellen, dass (1.) die Klägerin im besagten Gerichtstermin tatsächlich zu Recht geltend gemacht hat, entgegen der Auffassung der Beklagten bestehe ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis; dass sich (2.) aus dem Protokoll der Sitzung vom 08.07.2021 (Protokoll vom 08.07.2021 – 8 Ca 58/21, Bl. 94 d.A.) gerade nicht ergibt, die Klägerin habe behauptet, im September ihre Arbeitskraft angeboten zu haben, dort ist lediglich von Gesprächen über ausstehenden Lohn die Rede; dass (3.) die „Behauptung“ die Klägerin habe „von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch gemacht“ im vorliegenden Verfahren unstreitig ist (vgl. Einspruchsschrift der Beklagten v. 22.11.2022, Seite 2; Bl. 133 d.A.); und schließlich (4.) dass die Klägerin auf der Grundlage der ehemals streitigen, nunmehr aber unstreitigen Ausübung des Zurückbehaltungsrechts Lohn aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges fordert, der ihr nach der Auffassung der Beklagten nicht zustehe.

Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis also ausdrücklich deshalb gekündigt, weil die Klägerin erfolgreich das Arbeitsgericht zur Feststellung des Bestandes des Arbeitsverhältnisses in Anspruch genommen hat, weil ihr die Beklagte etwas unterstellt, was sie tatsächlich nicht getan hat (was jedenfalls nicht protokolliert wurde), weil sie von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch gemacht hat und weil sie das Arbeitsgericht in Anspruch genommen hat, um die sich daraus ergebenden Ansprüche aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges geltend zu machen.

Das von der Beklagten gerügte „Verhalten“ der Klägerin aufgrund dessen die Kündigung ausgesprochen worden ist, war also das Geltendmachen von dreierlei Rechten, das mit der Kündigung gemaßregelt wurde.

Das Geltendmachen dieser drei Rechte war der tragende Grund für die Kündigung. Soweit muss sich die Beklagte an ihrer schriftlich fixierten und von ihr selbst formulierten Kündigungserklärung festhalten lassen.

3. Weder der beträchtliche Zeitraum seit der Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts noch das weitere Motiv „Lüge“ sind geeignet, diese Erkenntnis in Frage zu stellen.

a. Der beträchtliche Zeitraum zwischen der erstmaligen Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts im September 2020 und der von der Klägerin behaupteten Maßregelung ein halbes Jahr später hindert die Erkenntnis nicht, dass die Kündigung ausgesprochen worden ist, weil die Klägerin das Zurückbehaltungsrecht ausgeübt hat. Denn das Zurückbehaltungsrecht wirkt fort durch die Klage auf Entgelt aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges.

b. Das im Kündigungsschreiben genannte weitere – vierte – Motiv „in der Verhandlung haben Sie wahrheitswidrig behauptet, dass Sie Ihre Arbeitskraft im September 2020 angeboten hätten“ ist ebenso wenig geeignet, der Kündigung den Charakter der Maßregelung zu nehmen, denn eine solche Behauptung stand nach den protokollierten Erklärungen gar nicht im Raum. Im Übrigen gilt: Ob bei einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen die Klägerin – wie die Beklagte meint – „kackendreist gelogen“ hat, ist zunächst eine Frage der subjektiven Bewertung und der Erinnerung der Beklagten; es ist eine relationstechnische Frage der Darlegungslast und der prozessualen Wahrheit im Sinne des § 138 ZPO; die Tatsache, dass der Geschäftsführer der Beklagten nicht nur im hiesigen Berufungsverfahren, sondern auch im Parallelverfahren, Fristen versäumt und in Verhandlungsterminen nicht erschienen ist, spricht gegen die Verlässlichkeit seines Erinnerungsvermögens; außer dem schlichten – durch einen Kraftausdruck garnierten – Bestreiten der prozessualen Behauptungen der Klägerin, sind keine Tatsachen ersichtlich, aus denen eine (vorsätzliche) Straftat gefolgert werden könnte. Vielmehr vertieft sich durch die derbe und unspezifische Ausdrucksweise des Geschäftsführers der Eindruck, dass auch insofern die Verärgerung über die Inanspruchnahme des Arbeitsgerichts zur Durchsetzung von Rechten das Hauptmotiv für die Kündigung war.

Insgesamt muss sich die Beklagte an dem Wortlaut ihrer eigenen Kündigungserklärung festhalten lassen, der explizit verdeutlicht, dass die Kündigung ausgesprochen wurde, weil die Klägerin ihre Rechte aus dem Arbeitsverhältnis gerichtlich geltend gemacht hat. Die Kündigung stellt sich somit als Maßregelung dar und ihre Unwirksamkeit folgt aus §§ 612 a, 134 BGB.

III. Nach allem bleibt es somit bei dem Versäumnisurteil, mit dem die erstinstanzliche Entscheidung zu Gunsten der Klägerin abgeändert worden war. Als unterliegende Partei hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.

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