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Verhaltensbedingte Kündigung – Kündigungszurückweisung mangels Vollmachtsvorlage

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 9 Sa 85/12 – Urteil vom 17.08.2012

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 06.12.2011, Az.: 5 Ca 1162/11 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung vom 15. März 2011.

Der am 20. Januar 1965 geborene, ledige und keiner Person zum Unterhalt verpflichtete Kläger war bei der Beklagten auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags seit dem 01. August 1982 als Angestellter in der Abteilung Buchhaltung/EDV zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt in Höhe von zuletzt EUR 3.356,60 beschäftigt. Die Beklagte betreibt ein Autohaus mit Sitz in A-Stadt. Sie beschäftigt in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten; ein aus drei Mitgliedern bestehender Betriebsrat ist eingerichtet.

Die Betriebsparteien schlossen mit Datum vom 17. Dezember 2001 eine „Betriebsvereinbarung über die Festlegung der Arbeitszeit ab 01. Januar 2002“ (künftig BV Arbeitszeit) ab. In Ziffer 7 der BV Arbeitszeit wurde folgendes vereinbart:

„7. Die tägliche Regelarbeitszeit von Montag bis Freitag wird wie folgt festgelegt:

Montag bis Donnerstag 8.00 Uhr – 17.00 Uhr

Freitag 8.00 Uhr – 15.15 Uhr

In dieser täglichen Regelarbeitszeit sind folgende Pausenzeiten enthalten:

Frühstückspause 15 Minuten, individuelle variabel zwischen 8.00 Uhr und 12.00 Uhr

Mittagspause 12.00 Uhr – 12.45 Uhr

Die tatsächlichen Arbeits- und Pausenzeiten werden am Terminal des installierten EDV-gestützten Zeiterfassungssystem (Fa. Z. Elektronik) erfasst.“

Darüber hinaus wurde im Rahmen der BV Arbeitszeit nach Ziffer 2 eine individuelle wöchentliche Arbeitszeit von 38,25 Stunden sowie die Führung von individuellen Arbeitszeitkonten vereinbart. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die BV Arbeitszeit Bezug genommen (Bl. 75ff. d. A.).

Mit Schreiben vom 02. April 2004 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, u. a. wegen der Privatnutzung des Internets am Arbeitsplatz. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Abmahnung verwiesen (Bl. 85 d. A.).

Am 02. September 2009 informierte die Beklagte die Arbeitnehmer durch einen Aushang am Schwarzen Brett in Bezug auf die Nutzung des Internets am Arbeitsplatz wie folgt:

„Hiermit machen wir erneut aufmerksam, dass eine private Internetnutzung während der Arbeitszeit ausnahmslos untersagt ist.“

Auf den Aushang der Beklagten wird Bezug genommen (Bl. 84 d. A.).

Mit weiterem Schreiben vom 20. Oktober 2010 erteilte die Beklagte dem Kläger eine weitere Abmahnung, die auszugsweise wie folgt lautete:

„Abmahnung

Sehr geehrter Herr C.,

wie der Unterzeichner erst am 18.10.2010 nach seiner Urlaubsrückkehr erfahren hat, haben Sie während der Urlaubsabwesenheit des Geschäftsführers gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten in den nachbeschriebenen beiden Fällen verstoßen.

1. …

2. Trotz vorheriger entsprechender Hinwiese durch den Unterzeichner haben Sie im gleichen Zeitraum die arbeitsvertraglichen Kernzeiten nicht eingehalten. Sie sind zu früh in der Firma erscheinen und haben diese Zeit dann „verrechnet“ mit einem zu frühen Arbeitsende. Sie haben die Mittagspause nicht eingehalten und auch diese mit dem Arbeitsende „verrechnet.“ Wir weisen darauf hin, dass die Kernzeiten von 07.15 Uhr bis 17.00 Uhr täglich einzuhalten sind. Darüber hinaus ist die Mittagspause einzuhalten.

Beide Fehlverhalten werden von uns gerügt. Wir weisen darauf hin, dass im Falle einer Wiederholung der gerügten Vorfälle Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung rechnen müssen. …“

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Abmahnung der Beklagten verwiesen (Bl. 82f. d. A.).

Am 04. März 2011 fand zwischen dem Kläger und der Tochter des Geschäftsführers der Beklagten, Frau E. S., ein Gespräch statt. Im Rahmen einer von beiden unterzeichneten Gesprächsnotiz wurde folgendes festgehalten:

„Es ist aufgefallen das Herr C. wiederholt die Kernarbeitszeit missachtet hat und wiederholt seine Pausenzeiten nicht gestempelt hat.

E. S. hat Herrn C. damit konfrontiert und ihn darauf aufmerksam gemacht, dass die genannten Vorfälle geprüft werden und ggfs. arbeitsrechtliche Konsequenzen folgen werden.“

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gesprächsnotiz vom 04. März 2011 Bezug genommen (Bl. 49 d. A.).

Die Beklagte erteilte dem Kläger sodann mit Schreiben vom 10. März 2011, dem Kläger am 11. März 2011 übergeben, eine Abmahnung wegen Nichteinhaltung der Kernzeiten und Mittagspausen und führte aus, dass die Überprüfung der Stempelkarte ergeben habe, dass der Kläger „bspw. in der Zeit vom 22.02.2011 bis zum 25.02.2011 zwischen 5.33 Uhr und 5.42 Uhr sich jeweils bereits in der Firma befunden und diese Zeit als Arbeitszeit abgerechnet habe und die Firma jeweils um ca. 13.00 Uhr wieder verlassen habe. Ähnliches gelte für den Zeitraum vom 01.03.2011 bis zum 04.03.2011.“ Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Abmahnung der Beklagten verwiesen (Bl. 50f. d. A.). Die Abmahnung war von der Tochter des Geschäftsführers der Beklagten mit dem Zusatz „kraft besonderer Vollmacht“ unterzeichnet.

Am Freitag, den 11. März 2011 fand zwischen dem Kläger und der Tochter des Geschäftsführers der Beklagten ein weiteres Gespräch statt. Im Rahmen einer von beiden unterzeichneten Gesprächsnotiz wurde u. a. folgendes festgehalten:

„Wie bereits am 10.03.2011 besprochen, und in der Abmahnung vom 10.03.2011 angekündigt, fordert Frau E. S. Herrn C. heute erneut auf, die Arbeitszeiten von Februar und März rückwirkend zu korrigieren. Diese Korrektur muss bis spätestens 14.03.2011 erfolgen. Tatsächlicher Arbeitsbeginn 7:15h und täglich eine Pause von 0:30h sind dabei zu berücksichtigten.

Die Nacharbeit der dadurch entstehenden Minusstunden muss bis zum 30.04.2011 erfolgen.“

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gesprächsnotiz Bezug genommen (Bl. 52 d. A.).

Mit Schreiben ohne Datum hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat am Montag, den 14. März 2011 zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers an. Zur Begründung führt die Beklagte u. a. folgendes aus:

„…

Die Kündigung ist erforderlich, weil Herr C. trotz zweier Abmahnungen die gerügten Verhaltensweisen nicht änderte und weiterhin gegen die Betriebsvereinbarung über die Festlegung der Arbeitszeit ab dem 01.01.2002, vereinbart am 17.12.2001 verstieß. Darüber hinaus korrigierte Herr C., entgegen der Vereinbarung 11.03.2011, nicht seine Arbeitszeiten in der Zeiterfassung zu dem vereinbarten Termin (14.03.2011).

Des Weiteren nutzte Herr C. den Server der Firma zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit. Hierbei rief Herr C. einschlägige pornografische Internetseite auf.

Herr C. wurde bereits am 20.10.2010 und am 04.03.2011 abgemahnt. …“

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Anhörungsschreiben der Beklagten verwiesen (Bl. 17f. d. A.).

Ein von dem Betriebsratsvorsitzenden, Herrn W. D., unterzeichnetes und an die Beklagte gerichtetes Schreiben vom 14. März 2011 lautete sodann wie folgt:

„Hiermit bestätige ich, dass ich Ihr Schreiben an den Betriebsrat bezüglich der geplanten Kündigung von Herrn C. erhalten und zur Kenntnis genommen habe.

Der Betriebsrat stimmt der Kündigung zu.“

Auf das Schreiben wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen (Bl. 16 d. A.).

Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 15. März 2011, dem Kläger an demselben Tag zugegangen, das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich, vorsorglich ordentlich zum 31. Oktober 2011 oder zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Auf das Kündigungsschreiben der Beklagten wird wegen der Einzelheiten verwiesen (Bl. 13f d. A.). Das Kündigungsschreiben war von der Tochter des Geschäftsführers mit dem Zusatz „kraft besonderer Vollmacht“ unterzeichnet. Eine Vollmachtsurkunde war dem Schreiben nicht beigefügt.

Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 16. März 2011 bestritt der Kläger die Berechtigung der Tochter des Geschäftsführers zur Unterzeichnung der Kündigung und rügte, dass eine besondere Vollmacht dem Kündigungsschreiben nicht beigefügt war. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben verwiesen (Bl. 15 d. A.). Das Schreiben ging der Beklagten per Fax und Einwurf-Einschreiben zu.

Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 22. März 2011 übersandte die Beklagte dem Kläger eine Kopie der Vollmacht zum Nachweis der Kündigungsberechtigung der Tochter des Geschäftsführers der Beklagten. Auf das Schreiben wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen (Bl. 117 f. d. A.).

Wegen der Einzelheiten des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 06.12.2011, Az: 5 Ca 1162/11 (Bl. 142 ff. d. A.).

Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche fristlose Kündigung noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 15.03.2011, zugegangen am 15.03.2011, aufgelöst worden ist.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht – zusammengefasst – ausgeführt:

Die Kündigungen seien zum einen bereits nach § 174 BGB unwirksam. Der Kläger habe die von der Tochter des Geschäftsführers erklärte streitgegenständliche Kündigung zu Recht wegen fehlender Vorlage einer zum Ausspruch der Kündigung des Arbeitsverhältnisses ermächtigenden Originalvollmacht mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 16.03.2011 zurückgewiesen. Das Zurückweisungsrecht sei auch nicht nach § 174 Satz 2 BGB ausgeschlossen, da die Beklagte nicht hinreichend substantiiert dargelegt und unter Beweis gestellt habe, dass sie den Kläger vor Ausspruch der Kündigung von der Bevollmächtigung der Tochter des Geschäftsführers zur Abgabe einer Kündigungserklärung auf andere Weise in Kenntnis gesetzt hatte bzw. die Tochter eine Stellung im Betrieb der Beklagten bekleidet habe, die üblicherweise mit einer Berechtigung zur Kündigung eines Arbeitsverhältnisses verbunden sei. Dem Kläger sei es auch nicht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt gewesen, die Kündigung zurückzuweisen. Dieser habe nicht über einen längeren Zeitraum ein Handeln der Tochter des Geschäftsführers in arbeitsrechtlich relevanten Dingen hingenommen, ohne deren ordnungsgemäße Bevollmächtigung in Frage zu stellen.

Die Kündigungen seien ferner wegen eines Verstoßes gegen § 102 Abs. 1 BetrVG rechtsunwirksam. Die Beklagte habe dem Betriebsrat den Kündigungssachverhalt nicht ausreichend mitgeteilt. Sie habe die von ihr herangezogenen Gründe der beabsichtigten Kündigungen nur pauschal und schlagwortartig geschildert. Aus dem Anhörungsschreiben ergebe sich nicht, welches Fehlverhalten die Beklagte dem Kläger über die bereits abgemahnten Sachverhalte hinausgehend im Einzelnen konkret unter Angabe von Inhalt, Zeitpunkten, Umfang/und Häufigkeit zum Vorwurf mache. Ohne diese Angaben sei der Betriebsrat nicht in der Lage, die Stichhaltigkeit der angeführten Kündigungsgründe zu überprüfen.

Schließlich bestehe für die außerordentliche Kündigung auch kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Die ordentliche Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt.

Das genannte Urteil ist der Beklagten am 23.01.2012 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am 15.02.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der mit Beschluss vom 08.03.2012 bis zum 23.04.2012 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 23.04.2012, beim Landesarbeitsgericht am gleichen Tag eingegangen, begründet.

Zur Begründung ihrer Berufung macht die Beklagte nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des weiteren Schriftsatzes vom 12.07.2012, auf die jeweils ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 202 ff., 270 f. d. A.), im Wesentlichen geltend:

Tatsächlich sei die Tochter des Geschäftsführers der Beklagten ausweislich der Vollmachtsurkunde mit Datum vom 03.03.2011 (Bl. 214 d. A.) bevollmächtigt gewesen. Der Kläger habe die ihm übergebene Kündigung auch nicht wegen fehlender Bevollmächtigung beanstandet, sondern vielmehr versucht, die Tochter des Geschäftsführers dazu zu bewegen, von der Kündigung Abstand zu nehmen. Der Kläger habe die Bevollmächtigung der Tochter des Geschäftsführers auch gekannt, was sich bereits daraus ergebe, dass er am 15.03.2011 ohne jeden Vorbehalt die Kündigungserklärung entgegen genommen und mit der Tochter des Geschäftsführers über eine evtl. bestehende Möglichkeit der Rücknahme dieser Kündigung verhandelt habe. Auch habe er mit dieser das Kritikgespräch geführt und Abmahnungen akzeptiert.

Auch eine Zurückweisung nach § 174 Satz 1 BGB wegen Nichtvorlage einer Vollmachtsurkunde scheide aus. Die Vollmachtsurkunde sei dem Kläger bekannt gewesen. Die Tochter des Geschäftsführers habe unmittelbar nachdem ihr Vater die Vollmachtsurkunde unterzeichnet habe, diese Urkunde im Original und in Kopie in der Buchhaltung des Betriebes hinterlegt. Die Urkunde sei den in der Buchhaltung tätigen Mitarbeitern, so auch dem Kläger übergeben und mit diesem kurz besprochen worden. Auch der Geschäftsführer habe den Kläger vorab über die bestehende Bevollmächtigung informiert. Zudem habe der Kläger selbst ein Schreiben des Geschäftsführers vom 28.02.2011 (Bl. 215 d. A.) vervielfältigt und an alle Mitarbeiter verteilt. Aus diesem ergebe sich die Tatsache der Bevollmächtigung.

Soweit das Arbeitsgericht davon ausgegangen sei, der Betriebsrat sei über die tragenden Gründe der beabsichtigten Kündigung nicht ausreichend informiert gewesen, sei dies falsch und überspanne die Anforderungen, die an ein Anhörungsschreiben an den Betriebsrat zu stellen seien. Ebenso habe die Beklagte sich im Gegensatz zur Auffassung des Arbeitsgerichts zulässigerweise auf eine ergänzende mündliche Information des Betriebsrats berufen. Es seien die Informationen des Betriebsratsvorsitzenden selbst gewesen, die die Beklagte dazu veranlasst hätten, die unerlaubte Internetnutzung des Klägers zu überprüfen. Der Betriebsrat sei am 14. und 15.03.2011 auch vollständig im Betrieb anwesend gewesen.

Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht auch das Vorliegen ausreichender Kündigungsgründe verneint (wird ausgeführt).

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 06.12.2011, Az: 5 Ca 1162/11, wird teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung mit Schriftsatz vom 25.05.2012 und 10.08.2012, auf die Bezug genommen wird (Bl. 260 ff., 273 f. d. A.), als zutreffend.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Das Rechtsmittel ist an sich statthaft. Die Berufung wurde auch form- und fristgerecht eingelegt und – auch inhaltlich ausreichend – begründet.

II. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat sowohl im Ergebnis, als auch in der Begründung zutreffend erkannt, dass die streitgegenständlichen Kündigungen bereits nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG und nach § 174 Satz 1 BGB rechtsunwirksam sind. Die Berufungskammer folgt den diesbezüglichen Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs.2 ArbGG fest. Das Vorbringen im Berufungsverfahren rechtfertigt keine hiervon abweichende Beurteilung, veranlasst aber die folgenden Ausführungen:

1. Zu Recht ist das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kündigung bereits in Anwendung des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG rechtsunwirksam ist. Es hat hierbei die an die Darlegungslast des Arbeitgebers zu stellenden Anforderungen nicht überspannt.

a) Nach ständiger, von der Berufungskammer geteilter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht nur dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt zu beteiligen, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat, vor allem seine Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs.1 BetrVG nicht ausreichend nachgekommen ist. An die Mitteilungspflicht im Anhörungsverfahren sind dabei nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungen des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess. Der Betriebsrat ist immer dann ordnungsgemäß angehört worden, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat. Der aus Sicht des Arbeitgebers für die Kündigung maßgebende Sachverhalt muss dabei so genau und umfassend beschrieben werden, dass der Betriebsrat oder zusätzliche eigene Nachforschungen in der Lage ist, selbst die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich ein Bild zu machen (vgl. etwa BAG 22.04.2010 – 2 AZR 991/08 -, EzA § 102 BetrVG 2001 Nr. 26).

b) Die Beklagte ist dieser Darlegungslast nicht gerecht geworden. Das Anhörungsschreiben an den Betriebsrat, welches diesem am 14. März 2011 übergeben wurde, schildert zwar detailliert den Inhalt der Abmahnungen vom 20.10.2010 und 04.03.2011, beschränkt sich aber hinsichtlich der Kündigungsgründe, also der Tatsachen, die nach Zugang der letzten Abmahnung vom 10.03.2011 die Kündigung rechtfertigen sollen, auf nur sehr pauschale Beschreibungen. Dem Anhörungsschreiben lässt sich nicht entnehmen, wann genau und in welchem Umfang der Kläger gegen die Betriebsvereinbarung gegen die Festlegung der Arbeitszeit weiterhin verstoßen haben soll. Ebenso wenig teilt die Beklagte dem Betriebsrat mit, in welchem zeitlichen Maß der Kläger während der Arbeitszeit zu privaten Zwecken Internetseiten aufgerufen haben soll. Für eine Prüfung der Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe durch den Betriebsrat ist aber eine derartige Mitteilung erforderlich. Dies gilt zunächst für eine Prüfung der Stichhaltigkeit der geltend gemachten Gründe in tatsächlicher Hinsicht. Gemäß § 102 Abs. 2 Satz 4 BetrVG soll der Betriebsrat, soweit dies erforderlich erscheint, vor einer evtl. Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. Dies kann in der Regel nur dann sinnvoll erfolgen, wenn der Betriebsrat den Arbeitnehmer zu ausreichend konkreten Vorwürfen anhören kann. Auch für die Überprüfung der Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe in rechtlicher Hinsicht ist es erforderlich, dass dem Betriebsrat mitgeteilt wird, wodurch genau, wie oft und in welchem Umfang der Arbeitnehmer gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen haben soll. Diese Informationen sind auch wesentlich für die vom Betriebsrat zu treffende Entscheidung, ob er gegen die Kündigung Bedenken im Sinne des § 102 Abs. 2 Satz 1, Satz 3 BetrVG erheben will.

c) Soweit die Beklagte sich auf eine bereits unabhängig von der schriftlichen Anhörung bestehende Kenntnis des Betriebsrats bzw. auf ergänzende mündliche Informationen berufen will, ist zutreffend, dass die Information des Betriebsrats nicht schriftlich erfolgen muss und eine Information hinsichtlich solcher Tatsachen entbehrlich ist, die dem Betriebsrat ohnehin bekannt sind. Für beides trägt allerdings der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast. Der Arbeitgeber muss substantiiert darlegen, wann der Betriebsrat worüber genau ggf. ergänzend mündlich unterrichtet wurde bzw. aufgrund welcher konkreter Tatsachen der Betriebsrat welche anhörungsrelevanten Vorkenntnisse hatte. Die Beklagte hatte erstinstanzlich hierzu lediglich behauptet, der Vorsitzende des Betriebsrats sei im Vorfeld der schriftlichen Information bereits umfangreich und ausführlich über die beabsichtigte Kündigung des Klägers mündlich durch die Tochter des Geschäftsführers anlässlich mehrerer Gespräche und Besprechungen informiert worden. Die Beklagte hat hierbei nicht näher dargelegt, welche genauen ergänzenden Informationen dem Betriebsrat auf diese Weise vermittelt worden sein sollen.

2. Die streitgegenständlichen Kündigungen sind weiter auch nach § 174 Satz 1 BGB unwirksam.

a) Ausweislich des Kündigungsschreibens wurden diese von der Tochter des Geschäftsführers der Beklagten „kraft besonderer Vollmacht“ unterzeichnet; unstreitig ist, dass diesem Kündigungsschreiben eine Vollmachtsurkunde nicht beilag. Der Kläger hat durch seinen Prozessbevollmächtigten mit dessen Schreiben vom 16.03.2011 die Berechtigung zur Unterzeichnung der Kündigung bestritten und darauf verwiesen, dass eine besondere Vollmacht dem Kündigungsschreiben nicht beigefügt war. Hierbei handelt es sich um eine Zurückweisung im Sinne des § 174 Satz 1 BGB. Diese erfolgte auch unverzüglich (§121 BGB) nur einen Tag nach Zugang der Kündigungserklärung. Die Zurückweisung muss nicht sofort erfolgen. Dem Erklärungsempfänger ist vielmehr eine gewisse Zeit zur Überlegung und Einholung eines Rats durch einen Rechtskundigen einzuräumen (BAG 08.12.2011 – 6 AZR 354/10 – EzA § 174 BGB 2002 Nr. 7).

b) Die Zurückweisung war vorliegend auch nicht nach § 174 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Danach scheidet eine Zurückweisung aus, wenn der Vollmachtgeber denjenigen Erklärungsempfänger von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte. Erforderlich hierfür ist grundsätzlich eine bewusste und zumindest auch an den Dritten gerichtete Mitteilung der Bevollmächtigung durch den Vollmachtgeber. Für eine Inkenntnissetzung reicht es auch, wenn der Vertreter eine Stellung bekleidet, mit der üblicherweise eine Vollmacht verbunden ist, die auch das konkrete Rechtsgeschäft umfasst (vgl. etwa DLW/Dörner/9. Auflage, Kap. 4 R, Rz. 144 ff., m. w. N.).

Soweit die Beklagte insbesondere erstinstanzlich geltend gemacht hat, die Tochter des Geschäftsführers der Beklagten habe unmittelbar, nachdem ihr Vater die Vollmachtsurkunde unterzeichnet habe, diese Urkunde im Original und in Kopie in der Buchhaltung des Betriebes hinterlegt und diese sei den in der Buchhaltung tätigen Mitarbeitern, so auch dem Kläger, übergeben und mit diesen kurz gesprochen worden, fehlt es bereits an einer Inkenntnissetzung durch den Vollmachtgeber selbst. Ausweislich des Schreibens des Geschäftsführers der Beklagten vom 28.02.2011 (Bl. 215 d. A.) hatte dieser sich die Inkenntnissetzung der Mitarbeiter zudem selbst vorbehalten.

Durch das genannte Schreiben vom 28.02.2011 hingegen wurden die Mitarbeiter von einer Bevollmächtigung der Tochter in Kenntnis gesetzt. Allerdings ergibt sich aus diesem Schreiben nicht mit hinreichender Klarheit, dass sich die Bevollmächtigung auch auf den Ausspruch von Kündigungen von Arbeitsverhältnissen erstreckt. In dem genannten Schreiben heißt es, dass (u. a.) die Tochter des Geschäftsführers der Beklagten bevollmächtigt wird, alle wichtigen Entscheidungen und Verhandlungen der Firma mit O., Banken, Finanzamt, usw. zu führen und zu entscheiden.

Die Inkenntnissetzung bezieht sich damit auf Verhandlungen/Entscheidungen nicht betriebsangehörigen Dritten gegenüber.

Die Beklagte hat auch nicht ausreichend dargelegt, dass die Tochter des Geschäftsführers der Beklagten erkennbar eine Position bekleidet hat, die üblicherweise mit der Berechtigung zum Ausspruch von Kündigungen verbunden war. Den diesbezüglichen Ausführungen in den Gründen des angefochtenen Urteils ist aus Sicht der Berufungskammer nichts hinzuzufügen.

III. Die Berufung der Beklagten war daher mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen. Ein Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG besteht nicht.

 

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