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Verhaltensbedingte Kündigung – nicht ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 7 Sa 813/15 – Urteil vom 21.07.2016

Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 18.06.2015 in Sachen11 Ca 1884/14 teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 20.02.2014, zugestellt beim Kläger am 21.02.2014, weder fristlos noch fristgerecht zum nächst zulässigen Termin aufgelöst worden ist.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch durch die Kündigung der Beklagten vom 18.12.2014 weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst worden ist.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 28.10.2014 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 58.656, – EUR brutto abzüglich geleisteter Zahlungen in Höhe von insgesamt 16.614,90 EUR netto zu zahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz

  • aus 6.706,00 EUR brutto abzüglich 2.730,19 EUR netto seit dem 01.03.2014;
  • aus 6.706,00 EUR brutto abzüglich 176,47 EUR netto seit dem 01.04.2014;
  • aus 6.706,00 EUR brutto abzüglich 529,42 EUR netto seit dem 01.05.2014;
  • aus 6.706,00 EUR brutto abzüglich 1.438,72 EUR netto seit dem 01.06.2014;
  • aus 6.706,00 EUR brutto abzüglich 2.348,02 EUR netto seit dem 01.07.2014;
  • aus 6.706,00 EUR brutto abzüglich 2.348,02 EUR netto seit dem 01.08.2014;
  • aus 6.706,00 EUR brutto abzüglich 2.348,02 EUR netto seit dem 01.09.2014;
  • aus 6.706,00 EUR brutto abzüglich 2.348,02 EUR netto seit dem 01.10.2014 und
  • aus 6.706,00 EUR brutto abzüglich 2.348,02 EUR netto seit dem 01.11.2014.

Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, an den Kläger 11.865,93 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2015 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger16,5 % und die Beklagte 83,5 % zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 20.02.2014, um die Wirksamkeit einer aus denselben Gründen vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 28.10.2014 zum 30.04.2015 sowie um die Wirksamkeit einer weiteren außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 18.12.2014, die hilfsweise ordentlich zum 31.07.2015 ausgestellt wurde. Darüber hinaus streiten die Parteien um Annahmeverzugsansprüche des Klägers für den Zeitraum Februar 2014 bis April 2015.

Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz und wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 18.06.2015 Bezug genommen. Zu ergänzen ist, dass die Beklagte dem Kläger während des von ihr als „Anhörung“ bezeichneten Gesprächs vom 07.02.2014 ein Angebot zum Abschluss eines ausformulierten Altersteilzeitvertrages im Blockmodell unterbreitete. Das Angebot sah eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2019, eine Arbeitsphase vom 01.02.2014 bis 31.08.2016 und eine Freistellungsphase vom 01.09.2016 bis 31.03.2019 vor. Zur Art der Tätigkeit heißt es in § 2 Ziffer 1 S. 1:

„Der Arbeitnehmer übt seine bisherige Tätigkeit weiter aus, soweit die Umwandlung in ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis keine Veränderungen notwendig macht.“

Auf den vollständigen Inhalt der angebotenen Altersteilzeitvereinbarung (Bl. 104 ff. d. A.) wird Bezug genommen. Der Kläger nahm das ATZ-Angebot während der ihm eingeräumten einwöchigen Überlegungsphase nicht an.

In seinem Urteil vom 18.06.2015 hat das Arbeitsgericht die fristlose Kündigung der Beklagten vom 20.02.2014 für unwirksam, diejenige vom 18.12.2014 hingegen für wirksam gehalten. Den Zahlungsforderungen des Klägers unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges hat das Arbeitsgericht demzufolge nur teilweise stattgegeben. Auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils wird ebenfalls Bezug genommen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 04.08.2015 zugestellt. Die Beklagte hat hiergegen am 06.08.2015 Berufung eingelegt und diese – nach entsprechender Verlängerung der Frist – am 05.11.2015 begründet.

Das arbeitsgerichtliche Urteil wurde dem Kläger ebenfalls am 04.08.2015 zugestellt. Der Kläger hat am 04.09.2015 seinerseits gegen das Urteil Berufung eingelegt und diese – ebenfalls nach Verlängerung der Frist bis zum 05.11.2015 – am 04.11.2015 begründet.

Die Beklagte rügt in der Berufungsinstanz, soweit das Arbeitsgericht die Kündigung vom 20.02.2014 für unwirksam erklärt hat, die Verletzung des § 102 BetrVG. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Anhörungsschreiben an den Betriebsrat bzw. den Sprecherausschuss Fehlinformationen enthielten, die zur Unwirksamkeit der Anhörung führen müssten. Einzuräumen sei, dass die vom Arbeitsgericht beanstandete Darstellung des Sachverhalts in den Anhörungsschreiben teilweise missverständlich formuliert worden sei. Keineswegs habe jedoch die Absicht bestanden, den Betriebsrat bzw. den Sprecherausschuss bewusst in die Irre zu führen. Dies sei aber erforderlich, um eine Verletzung des § 102 BetrVG annehmen zu können.

Die Beklagte und Berufungsklägerin zu 1) beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Köln, vom 18.06.2015,11 Ca 1884/14, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger und Berufungskläger zu 2) beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger und Berufungskläger zu 2) verteidigt die Ausführungen des Arbeitsgerichts zur fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats bzw. Sprecherausschusses vor der Kündigung vom 20.02.2014. Darüber hinaus vertritt der Kläger die Auffassung, dass hinsichtlich dieser Kündigung auch kein ausreichender Kündigungsgrund vorgelegen habe. Vorrangig wäre zunächst eine Abmahnung zu erteilen gewesen. Aus diesem Grunde habe das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die auf dieselben Kündigungsgründe gestützte ordentliche Kündigung vom 28.10.2014 aufgelöst werden können.

Im Wege seiner eigenen Berufung macht der Kläger und Berufungskläger zu 2) geltend, dass das Arbeitsgericht die außerordentliche Kündigung vom 18.12.2014 zu Unrecht für rechtswirksam erklärt habe. Dem Arbeitsgericht sei hierbei eine fehlerhafte Interessenabwägung vorzuwerfen.

Dementsprechend, so der Kläger, habe auch seinem Zahlungsantrag in voller Höhe stattgegeben werden müssen.

Der Kläger und Berufungskläger zu 2) beantragt, das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 18.06.2015 teilweise abzuändern und wie folgt zu erkennen:

1.)  Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose und nicht durch die hilfsweise ordentlich und fristgerecht ausgesprochene Kündigung der Beklagten vom 20.02.2014, zugestellt beim Kläger am 21.02.2014, beendet wurde und nicht beendet werden wird, sondern über den 20.02.2014 hinaus unverändert weiter fortbesteht.

2.)  Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die ordentliche schriftliche Kündigung der Beklagten vom 28.10.2014 beendet wurde, sondern auch über den 30.04.2015 hinaus fortbesteht.

3.)  Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die mit undatiertem Schreiben der Beklagten ausgesprochene und dem Kläger am 18.12.2014 zugestellte fristlose und hilfsweise ordentlich und fristgerecht erklärte Kündigung beendet wurde, sondern auch über den 31.07.2015 hinaus unverändert fortbesteht.

4.)  Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger116.411,28 EUR brutto abzüglich

  • am 28.02.2014 netto gezahlter 2.730,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 01.03.2014,
  • am 31.03.2014 netto gezahlter 176,47 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 01.04.2014,
  • am 30.04.2014 netto gezahlter 529,42 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 01.05.2014,
  • am 30.05.2014 netto gezahlter 1.438,72 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 01.06.2014,
  • am 30.06.2014 netto gezahlter 2.348,02 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 01.07.2014,
  • am 31.07.2014 netto gezahlter 2.348,02 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 01.08.2014,
  • am 29.08.2014 netto gezahlter 2.348,02 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 01.09.2014,
  • am 30.09.2014 netto gezahlter 2.348,02 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 01.10.2014,
  • am 31.10.2014 netto gezahlter 2.348,02 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 01.11.2014,
  • am 26.11.2014 netto gezahlter 4.022,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 01.12.2014,
  • am 23.12.2014 netto gezahlter 3.161,75 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 01.01.2015,
  • am 28.01.2015 netto gezahlter 4.028,46 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 01.02.2015,
  • am 28.02.2015 netto gezahlter 4.033,24 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 01.03.2015,
  • am 28.03.2015 netto gezahlter 4.030,85 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 01.04.2015,
  • am 28.04.2015 netto gezahlter 4.030,85 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 01.05.2015,

zu zahlen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte zu 2) beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte zu 2) ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe hinsichtlich der Kündigung vom 18.12.2014 die Umstände des Einzelfalls zutreffend abgewogen und eine im Ergebnis richtige Interessenabwägung vorgenommen. Allerdings sei richtigerweise davon auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits durch die Kündigung vom 20.02.2014 im Zeitpunkt ihres Zugangs am 21.02.2014 sein Ende gefunden habe. Ein ausreichender Kündigungsgrund habe vorgelegen. Deswegen wäre auch, wenn es auf sie noch angekommen wäre, auch die ordentliche Kündigung vom 28.10.2014 als rechtswirksam anzusehen gewesen.

Wegen der vollständigen Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründungsschrift der Beklagten vom 05.11.2015, ihre Berufungserwiderungsschrift vom 13.01.2016 sowie ihren weiteren Schriftsatz vom 05.02.2016 Bezug genommen, ferner auf die Berufungsbegründungsschrift des Klägers vom 04.11.2015, seine Berufungserwiderungsschrift vom 18.01.2016 sowie seinen weiteren Schriftsatz vom 14.03.2016.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufungen beider Parteien gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 18.06.2015 in Sachen 11 Ca 1884/14 sind zulässig. Beide Berufungen sind gemäß § 64 Abs. 2 Buchstaben b) und c) ArbGG statthaft. Sie wurden auch nach Maßgabe des § 66 Abs. 1 ArbGG form- und fristgerecht eingelegt und begründet.

II. Die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin zu 1) konnte keinen Erfolg haben. Sie war zurückzuweisen. Die Berufung des Klägers und Berufungsklägers zu 2) war hingegen überwiegend erfolgreich. Auf seine Berufung hin musste das Urteil des Arbeitsgerichts vom 18.06.2015 teilweise abgeändert werden. Das Berufungsgericht hat den Urteilstenor im Interesse der Rechtsklarheit vollständig neu formuliert.

Im Einzelnen gilt aus der Sicht des Sach- und Streitstandes im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht das Folgende:

A. Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin zu 1)

Die Beklagte und Berufungsklägerin zu 1) wendet sich mit ihrer Berufung zu Unrecht dagegen, dass das Arbeitsgericht die außerordentliche fristlose Kündigung vom 20.02.2014 für rechtsunwirksam erklärt hat. Die Ausführungen der Beklagten in der Berufungsinstanz sind nicht geeignet, das Ergebnis des arbeitsgerichtlichen Urteils insoweit in Zweifel zu ziehen.

1. Es spricht bereits viel dafür, dass die Rechtsunwirksamkeit der außerordentlichen und hilfsweise ordentlich ausgesprochenen Kündigung der Beklagten vom 20.02.2014, wie vom Arbeitsgericht  angenommen, bereits daraus folgt, dass die Beklagte bei der Anhörung des Betriebsrats bzw. des Sprecherausschusses vor Ausspruch der Kündigung die Arbeitnehmergremien nicht ordnungsgemäß informiert und dadurch die Regeln des § 102 BetrVG verletzt hat.

a. Das Berufungsgericht nimmt zunächst auf die diesbezüglichen Ausführungen des Arbeitsgerichts unter Abschnitt I, Seite 9 bis 11 der arbeitsgerichtlichen Entscheidungsgründe, Bezug.

b. Die Beklagte räumt ein, dass die Anhörungsschreiben „missverständliche“ Formulierungen enthalten. Diese erscheinen geeignet, den Kläger beim unbefangenen Leser wesentlich näher an die kriminellen Machenschaften anderer Mitarbeiter, gegen die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren laufen, heranzurücken, und erwecken den Eindruck, dass der Kläger in einer Vielzahl von Einzelfällen, nämlich denjenigen, die in der dem Anhörungsschreiben beigefügten Liste zusammengestellt waren, konkret und detailliert eingeräumt hätte, Rechnungen freigegeben zu haben, denen nicht die Leistungen zugrunde lagen, die in ihnen aufgeführt waren. Auch die Wortwahl, der Kläger habe „sich geständig gezeigt“ wird umgangssprachlich typischerweise mit kriminellen Sachverhalten in Verbindung gebracht.

c. Es überzeugt wenig, wenn die Beklagte dem entgegenhält, dass das Anhörungsschreiben von dem späteren Prozessbevollmächtigten als einem Dritten vorformuliert gewesen sei und es diesem gegenüber im Vorfeld Informations- bzw. Kommunikationsdefizite gegeben habe. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass der Personalleiter, der über den Stand der internen Erkenntnisse bei der Beklagten und insbesondere auch über den Ablauf der „Anhörung“ des Klägers am 07.02.2014 informiert war, den ihm unterbreiteten Entwurf des Anhörungsschreibens sorgfältig gelesen hat, bevor er ihn unterzeichnete. Wenn er sich sodann den teilweise missverständlich formulierten Entwurf des Anhörungsschreibens durch seine Unterschrift  zu eigen gemacht hat, so hat er billigend in Kauf genommen, dass bei den Adressaten des Schreibens ein für den Kläger negativer falscher Eindruck über den der Kündigungsentscheidung zugrundeliegenden Erkenntnisstand der Beklagten entstehen konnte. Eine solche bedingt vorsätzliche Fehlinformation des Betriebsrats bzw. Sprecherausschusses reicht nach Auffassung des Berufungsgerichts aus, um wegen Verletzung von § 102 BetrVG zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung zu führen, zu welcher angehört wurde.

2. Letztlich kann zur Überzeugung des Berufungsgerichts die Frage, ob die Kündigung der Beklagten vom 20.02.2014 bereits wegen nicht ordnungsgemäßer Beteiligung des Betriebsrats bzw. Sprecherausschusses rechtsunwirksam war, dahingestellt bleiben; denn es fehlt als unabdingbare Voraussetzung der Kündigung vom 20.02.2014 bereits an einem wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB. Dies belegt das eigene Verhalten der Beklagten vor Ausspruch der Kündigung; denn hätte der Kläger das Angebot der Beklagten vom 07.02.2014 zum Abschluss eines Altersteilzeitvertrages angenommen, wäre es ungeachtet desselben Geschehens, welches die Beklagte nun als wichtigen Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen Kündigung anführt, nicht zu einer Kündigung gekommen.

a. Bei der Prüfung, ob ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für den Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen Kündigung vorliegt, ist nach ständiger Rechtsprechung auf einer ersten, abstrakten Untersuchungsstufe zunächst zu fragen, ob der Vorwurf, der der auszusprechenden Kündigung zugrunde gelegt werden soll, „an sich geeignet“ erscheint, die sofortige Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Der Vorwurf an den Kläger, es in seinem Verantwortungsbereich geduldet zu haben, dass auf Weisung eines höheren Vorgesetzten Rechnungen ausgestellt wurden, die unwahre Angaben über die der Rechnung angeblich zugrundeliegende Leistungen enthielten, übergeordnete Gremien der Beklagten hierüber nicht informiert zu haben und zumindest teilweise – in einem einzelnen Fall nachgewiesen – derartige Rechnungen zur Auszahlung freigegeben zu haben, stellt ein Geschehen dar, das auf der ersten Prüfungsstufe ohne weiteres als wichtiger Kündigungsgrund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB in Frage kommt.

b.  Sodann gewinnt jedoch auf der zweiten Prüfungsstufe eine umfassende Würdigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls eine entscheidende Bedeutung.

aa.  Vorliegend ist dabei zunächst zu konstatieren, dass der Kläger nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Weisung seines Vorgesetzten handelte, dass er, wie die Beklagte ihm ausdrücklich zugutegehalten hat, offenkundig keine persönlichen Vorteile im Sinn hatte und sich auch nicht bereichern wollte, dass er sich – zumindest subjektiv – unter dem Druck eines Vorgesetzten fügte, den er als in den Führungsgremien der Beklagten gut vernetzt ansah, dass es sich bei dem Kläger um einen Arbeitnehmer handelte, der im Zeitpunkt, als die Kündigungsentscheidung anstand, bereits seit knapp 27 Jahren in den Diensten der Beklagten stand, ohne bis dahin in irgendeiner Weise negativ aufgefallen zu sein, und dass er sich mit knapp 58 Lebensjahren in einem auf dem Arbeitsmarkt als kritisch geltenden Alter befand.

bb. In Anbetracht dieser von Gesetzes wegen zwingend zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalls hatte sich die Beklagte die Frage zu stellen, ob es ihr auch bei Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Anbetracht des von ihr erkannten Kündigungsvorwurfes tatsächlich nicht zugemutet werden konnte, das Arbeitsverhältnis  mit dem Kläger nicht einmal bis zum Ablauf der für ihn geltenden Kündigungsfrist fortzusetzen.

cc. Diese Frage hat die Beklagte am 07.02.2014 in vollem Bewusstsein der von ihr gesehenen Kündigungsvorwürfe eindeutig und unmissverständlich beantwortet, in dem sie dem Kläger einen Altersteilzeitvertrag angeboten hat. Der Altersteilzeitvertrag sah eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses der Parteien bis zum 31.03.2019 vor. Dabei sollte der Kläger weitere zwei Jahre und sieben Monate, nämlich vom 01.02.2014 bis 31.08.2016, seine bisherige Tätigkeit (!) weiter ausüben. Klarer konnte die Beklagte zur Überzeugung des Berufungsgerichts nicht zum Ausdruck bringen, dass es ihr auch nach ihrer eigenen Einschätzung ungeachtet der später zur Kündigungsrechtfertigung herangezogenen Gründe sehr wohl zumutbar erschien, nicht nur das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger für mehr als fünf Jahre fortzusetzen, sondern auch für weitere zwei Jahre und sieben Monate seine aktive Arbeitsleistung entgegenzunehmen, und zwar in derselben Tätigkeit wie bisher.

dd. Nachdem der Kläger das Angebot des ATZ-Vertrages ausgeschlagen hatte, hätte die Beklagte ihre berechtigten Eigeninteressen unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nunmehr auch z. B. durch Ausspruch einer deutlichen Abmahnung wahren können. Mit dem Begehren, ihr sei in Anbetracht des Fehlverhaltens des Klägers in der Vergangenheit ein Festhalten am Arbeitsverhältnis nicht mehr zumutbar, setzt sich die Beklagte jedoch mit ihrem eigenen Verhalten in Widerspruch, so dass sie damit nicht gehört werden kann.

3. Aus denselben Gründen kann auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 20.02.2014 nicht zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2014 führen.

Die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung setzte voraus, dass es der Beklagten nicht hätte zugemutet werden können, den Kläger länger als bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 30.09.2014 weiter zu beschäftigen. In dem ATZ-Vertragsangebot vom 07.02.2014 hat es die Beklagte aber offenkundig ohne weiteres für möglich gehalten, das Arbeitsverhältnis erst zum 31.03.2019 zu beenden, dem Zeitpunkt,  zu welchem der Kläger das 63.Lebensjahr vollendet haben wird, und bis zum 31.08.2016 die Arbeitsleistung des Klägers entgegenzunehmen.

B. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil vom 18.06.2015 ist dagegen überwiegend erfolgreich.

1. Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts hat nach Auffassung des Berufungsgerichts auch die arbeitgeberseitige Kündigung vom 18.12.2014 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht rechtswirksam außerordentlich und fristlos auflösen können. Es fehlt auch insoweit an einem wichtigen Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB.

a. Allerdings ist auch hier im ersten Prüfschritt festzustellen, dass ein Verhalten wie dasjenige des Klägers grundsätzlich „an sich“ als wichtiger Grund für den Ausspruch einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen Kündigung geeignet ist. Entsprechend § 60 HGB ist es dem Arbeitnehmer grundsätzlich verboten, während des bestehenden Arbeitsverhältnisses für einen Wettbewerbskonkurrenten des Arbeitgebers tätig zu werden und diesem somit in seinem eigenen Geschäftsfeld Konkurrenz zu machen. Unstreitig hat der Kläger ungeachtet des von ihm gegen die Beklagte betriebenen Kündigungsschutzprozesses am 01.11.2011 ein Arbeitsverhältnis bei der Firma M aufgenommen, welche im selben Geschäftsfeld wie die Beklagte tätig ist und somit grundsätzlich als deren Konkurrentin betrachtet werden kann. Der Kläger wurde bei der Firma M auch in gleicher Funktion tätig, wie er sie bei der Beklagten eingenommen hatte.

b. Auf der zweiten Stufe der Wirksamkeitsprüfung ist bei Berücksichtigung der besonderen Umstände des konkreten Einzelfalls jedoch festzustellen, dass hier eine Fallkonstellation gegeben ist, in welcher sich grundsätzlich beide Arbeitsvertragsparteien widersprüchlich verhalten ( vgl. BAG, vom 23.10.2014, 2 AZR 644/13, NZA 2015, 429 ff.):

aa. Die Beklagte verhält sich widersprüchlich, weil sie am 20.02.2014 eine außerordentliche, fristlose Kündigung ausgesprochen hat und bis zuletzt davon ausgegangen ist, dass diese Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits am 21.02.2014, spätestens aber mit Ablauf der Kündigungsfrist am 30.09.2014 aufgelöst hat. Träfe dies zu, wäre es dem Kläger unbenommen gewesen, am 01.11.2014 in das Arbeitsverhältnis zur Firma M zu wechseln, ohne dabei gegen das gesetzliche Wettbewerbsverbot nach § 60 HGB zu verstoßen. Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot haben die Parteien unstreitig nicht vereinbart.

bb. Andererseits verhält sich auch der Kläger widersprüchlich, weil er durch die Erhebung seiner Kündigungsschutzklage die Unwirksamkeit der arbeitgeberseitigen Kündigung vom 20.02.2014 reklamiert und den Anspruch geltend macht, das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 21.02. bzw. 30.09.2014 ungekündigt fortsetzen zu können. Gemessen an dieser Rechtsauffassung wäre es dem Kläger wiederum entsprechend § 60 HGB untersagt, eine fremdnützige Tätigkeit zugunsten eines Dritten aufzunehmen, die zu der Beklagten als seiner Arbeitgeberin im Wettbewerb steht.

cc. Nach der Rechtsprechung des BAG ist auf diese Besonderheiten bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz der Konkurrenztätigkeit des Arbeitnehmers zumutbar ist, Bedacht zu nehmen (BAG, a. a. O.). Es spricht dabei zugunsten des Arbeitnehmers, wenn die Wettbewerbstätigkeit erst durch die vorangegangene unwirksame Kündigung ausgelöst worden ist. Dann rechtfertigt die objektiv gegebene Pflichtverletzung des Arbeitnehmers für die Zeit nach Prozessende in der Regel keine negative Verhaltensprognose (BAG, a. a. O.). Ferner ist zu berücksichtigen, ob der Wettbewerb auf eine dauerhafte Konkurrenz zum bisherigen Arbeitgeber angelegt ist oder zunächst nur eine Übergangslösung für den Schwebezustand bis zur Klärung der Rechtslage darstellt (BAG, a. a. O.; BAG vom 25.04.1991,2 AZR 624/90). Von Bedeutung ist ferner, ob dem Arbeitgeber aufgrund der Art und der Auswirkungen der Konkurrenztätigkeit unmittelbar ein Schaden zugefügt worden ist oder nur eine abstrakte Gefährdung von dessen geschäftlichen Interessen vorliegt (BAG, a. a. O.).

c. Die Berücksichtigung dieser Kriterien und aller sonstigen Umstände des vorliegenden Einzelfalls spricht entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts dafür, dass es der Beklagten nicht unzumutbar geworden ist, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fortzusetzen, weil er am 01.11.2014 ein Arbeitsverhältnis mit der Firma M eingegangen ist.

aa. Dafür spricht in erster Linie der Umstand, dass die Beklagte den Kläger durch den Ausspruch ihrer rechtsunwirksamen Kündigung vom 20.02.2014 erst in die Verlegenheit gebracht hat, sich nach einer alternativen Erwerbsquelle umsehen zu müssen, um seinen Lebensunterhalt und seinen zuletzt erreichten Lebensstandard dauerhaft absichern zu können. Hätte die Beklagte die rechtsunwirksame Kündigung vom 20.02.2014 nicht ausgesprochen, so wäre es zur Aufnahme des – objektiv wettbewerbswidrigen – Arbeitsverhältnisses des Klägers zur Firma M zum 01.11.2014 nicht gekommen. Auch die Beklagte selbst behauptet nicht etwa, dass der Kläger bereits vor Ausspruch der Kündigung vom 20.02.2014 mit einem Wechsel zur Firma M geliebäugelt hätte. Dafür hätte aus Sicht des Klägers auch nicht der geringste Anlass bestanden, da er sich in einem seit 27 Jahren bestehenden und bis dahin beanstandungsfrei verlaufenden Arbeitsverhältnis zur Beklagten befand. Nach Ausspruch der arbeitgeberseitigen Kündigung vom 20.02.2014 musste der Kläger hingegen, auch wenn er von der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung überzeugt gewesen sein mag, Vorsorge für seine Zukunft und insbesondere für den Fall treffen, dass der Kündigungsschutzprozess nicht mit dem Ergebnis eines Fortbestands des Arbeitsverhältnisses zur Beklagten enden würden. Dies gilt umso mehr, als der Kläger kurz nach Zugang der Kündigung sein58. Lebensjahr vollendete und sich damit in einem Lebensalter befand, in dem die Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt im Allgemeinen bereits als eingeschränkt zu gelten haben. Dass für ihn dabei in erster Linie ein neues Arbeitsverhältnis in demjenigen Geschäftsfeld erreichbar sein würde, in welchem auch die Beklagte tätig ist, lag schon deshalb nahe, weil der Kläger seit 27 Jahren in keinem anderen Geschäftsfeld tätig gewesen war.

bb. Hinzukommt, dass nach Lage der Dinge der Beklagten aufgrund der Art und der Auswirkungen der Konkurrenztätigkeit des Klägers bei der Firma M auch kein unmittelbarer Schaden zugefügt worden ist, sondern nur eine abstrakte Gefährdung der geschäftlichen Interessen der Beklagten vorgelegen hat. Die Beklagte hat selbst nichts dazu vorgetragen, dass ihr aufgrund der Tätigkeit des Klägers für die Firma M irgendein unmittelbarer messbarer Schaden entstanden sei. Der Kläger war bei der Beklagten zuletzt schwerpunktmäßig als Key Account Manager mit der Betreuung des Großkunden F betraut gewesen. Insbesondere hat die Beklagte nicht vorgetragen, dass aufgrund der Aufnahme der Tätigkeit des Klägers für die Firma M etwa die ernsthafte Gefahr bestanden hätte, dass der Großkunde F von der Beklagten zu M wechseln würde.

cc. Dass durch die Konkurrenztätigkeit des Klägers kein konkreter Schaden für die Beklagte zu befürchten war, belegt auch die von beiden Parteien übereinstimmend vorgelegte Kurzmitteilungskorrespondenz zwischen den Managern T und H . Die Korrespondenz belegt, dass der bei der Beklagten immerhin in der herausgehobenen Position eines Regionalleiters tätige Manager H nicht einmal wusste, um wen es sich bei der Firma M überhaupt handelte („Wer ist M ?“) und dass das Vorstandsmitglied M mit der Aussage zitiert wird: „J sieht keine Gefahr!“. Auch wenn sich die Firma M somit im gleichen Geschäftsfeld wie die Beklagte betätigt, stellt dieses Unternehmen bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise offenbar keine ernsthafte Konkurrenz für die Beklagte dar, die sich selbst als eines der weltweit führenden internationalen Unternehmen der Logistikbranche bezeichnet.

dd. Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen ist ferner zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer, der sich gegen eine aus seiner Sicht rechtsunwirksame arbeitgeberseitige Kündigung im Wege eines Kündigungsschutzprozesses wehrt, gemäß § 615 Satz 2 BGB auch einer Schadensminderungspflicht unterliegt. Anders gewendet kommt die Aufnahme der Tätigkeit des Klägers für die Firma M der Beklagten auch unmittelbar dadurch zugute, dass sie geeignet ist, das Risiko des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess zu minimieren, welches darin besteht, im Falle des rechtskräftigen Unterliegens erhebliche Gehaltszahlungen unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges nachentrichten zu müssen. Auch dies verdeutlicht gerade der vorliegende Fall. Da der Kläger bei der Firma M ein annähernd gleiches, sogar geringfügig höheres Gehalt bezieht, als dies zuvor bei der Beklagten der Fall war, wird durch die Aufnahme der „Konkurrenztätigkeit“ zum 01.11.2014 jedwedes Annahmeverzugsrisiko der Beklagten im Kündigungsschutzprozess praktisch auf dieses Datum beschränkt. Die Annahme erscheint nicht fernliegend, dass die Beklagte durch die Begrenzung des Annahmeverzugsrisikos mehr einspart, als sie durch die Konkurrenztätigkeit des Klägers an finanziellen Einbußen zu befürchten gehabt hätte.

ee. In Anbetracht der geschilderten Umstände kann das dritte vom BAG in seiner Entscheidung vom 23.10.2014 genannte Abwägungskriterium, ob die Konkurrenztätigkeit des Arbeitnehmers auf Dauer angelegt war, keine entscheidende Rolle mehr spielen. Maßgebend erscheint vielmehr, dass der Kläger sich erst aufgrund der streitigen arbeitgeberseitigen Kündigung vom 20.02.2014 und auch erst geraume Zeit nach deren Ausspruch zur Aufnahme der Konkurrenztätigkeit bei der Firma M veranlasst gesehen hat. Zudem war das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Firma M zunächst auf ein Jahr befristet. Aber auch bei Aufnahme eines unbefristeten Anschlussarbeitsverhältnisses gewährt der Gesetzgeber dem im Kündigungsschutzprozess stehenden Arbeitnehmer die Wahlmöglichkeit des § 12 Satz 1 KSchG. Der Umstand, dass der Kläger sich nach gewonnenem Kündigungsschutzprozess möglicherweise dafür entscheiden wird, das Arbeitsverhältnis mit der Firma M dauerhaft fortzusetzen, stellt somit ebenfalls keinen ausschlaggebenden Gesichtspunkt dafür dar, in der Aufnahme der Tätigkeit bei der Firma M einen wichtigen Grund zur Kündigung des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses zu sehen.

2. Da somit bei zutreffender Würdigung weder die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 20.02.2014, noch die außerordentliche Kündigung vom 18.12.2014 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst haben, kommt es noch auf die zwischenzeitlich vorsorglich ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 28.10.2014 zum 30.04.2015 an. Diese Kündigung rechtfertigt die Beklagte bekanntlich mit denselben Erwägungen wie die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 20.02.2014. Wenn die Beklagte aber durch das Angebot eines Altersteilzeitvertrages mit einer Arbeitsphase von weiteren zwei Jahren und sieben Monaten zum Ausdruck gebracht hat, dass es ihr sehr wohl zumutbar erscheint, den Kläger ungeachtet der ihm vorzuwerfenden Arbeitsvertragsverletzungen geraume Zeit weiter zu beschäftigen, so kann ersichtlich auch die ordentliche Kündigung vom 28.10.2014 nicht wirksam und gerechtfertigt sein.

3. Auf die Berufung des Klägers hin waren diesem auch höhere Zahlungsansprüche unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges zuzubilligen, als ihm vom Arbeitsgericht zugebilligt wurden. Allerdings erweist sich die Berechnung des Zahlungsanspruchs des Klägers teilweise als unschlüssig. Insgesamt ergibt sich hierzu folgende Berechnung:

a. Der Kläger macht Zahlungsansprüche für die Zeit vom 01.02.2014 bis 30.04.2015 geltend.

b. Beanspruchen konnte er monatlich das Grundgehalt in Höhe von 6.300,00 EUR brutto sowie 406,00 EUR monatlich als geldwerten Vorteil für die ihm zustehende Privatnutzung eines Firmen-Pkws.

c. Dem Grunde nach bestand – soweit ersichtlich unstreitig – für den Fall der Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen Annahmeverzug der Beklagten seit Zugang der Kündigung vom 20.02.2014 am 21.02.2014.

d. Von dem Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf monatliche Zahlung von 6.706,00 EUR brutto waren zunächst die Nettozahlungen in Abzug zu bringen, die die Beklagte selbst erbracht hat, bzw. die aufgrund der Leistungen der Bundesagentur für Arbeit auf diese übergegangen sind. Es handelt sich insoweit um die erfolgte teilweise Erfüllung der Zahlungsansprüche des Klägers.

e. Ab dem 01.11.2014 hat der Kläger sodann anrechenbaren Zwischenverdienst bei der Firma M bezogen. Der anrechenbare Zwischenverdienst ist bezogen auf den Gesamtzeitraum des Annahmeverzuges als Bruttobetrag von dem Bruttoanspruch in Abzug zu bringen (BAG vom 24.02.2016, 5 AZR 425/15, NZA 2016, 656 f.; BAG vom 16.05.2012, 5 AZR 251/11; Erfurter Kommentar/Preis, § 615 BGB, Rdnr. 92). Bei der Firma M verdient der Kläger seit dem 01.11.2014 ein Grundgehalt in Höhe von 6.700,00 EUR sowie weitere 283,00 EUR brutto monatlich für die Privatnutzung eines Dienstwagens, insgesamt somit 6.983,00 EUR brutto monatlich. Die Differenz zwischen dem Gesamtanspruch des Klägers aus der Zeit vom 01.02.2014 bis 30.04.2015 (15 Monate x 6.704,00 EUR = 100.560,00 EUR) zu den bei der Firma M bezogenen Leistungen (sechs Monate x 6.984,00 EUR = 41.904,00 EUR brutto) ergibt den dem Kläger zustehenden Anspruch aus Annahmeverzug in Höhe von 58.656,00 EUR.

f. Weitergehende Annahmeverzugsansprüche des Klägers waren abzuweisen.

g. Darüber hinaus stand dem Kläger für das Jahr 2014 arbeitsvertraglich eine Tantieme zu.

aa. Die Basistantieme betrug 5.836,00 EUR brutto. Hinzukam eine leistungsabhängige Tantieme auf der Grundlage einer für das jeweilige Kalenderjahr getroffenen Zielvereinbarung bzw. einer Ermessensentscheidung des Vorstandes bzw. der Geschäftsführung der Beklagten für den Fall des Nichtzustandekommens einer Zielvereinbarung.

bb. Aufgrund der sich im Nachhinein als rechtsunwirksam erweisenden fristlosen Kündigung der Beklagten vom 20.02.2014 ist für das Jahr 2014 eine Zielvereinbarung oder eine Ermessensentscheidung der Beklagten über die Gewährung einer leistungsabhängigen Tantieme an den Kläger nicht zustande gekommen. Die Bestimmung des leistungsabhängigen Teils der Tantieme war somit gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 zweiter Halbsatz BGB durch das Gericht zu treffen (vgl. jetzt auch BAG vom 03.08.2016, 10 AZR 710/14).

cc. In Ermangelung gegenteiliger Anhaltspunkte schätzt das Gericht, dass dem Kläger für das Kalenderjahr 2014 unter Einschluss der Basistantieme eine Gesamttantieme zugestanden hätte, wie sie der Auszahlung für das Jahr 2013 entsprochen hat. Dies ergibt einen Anspruch auf Zahlung von insgesamt 11.865,93 EUR brutto, wie vom Kläger in seiner Klage in Ansatz gebracht. Die Fälligkeit der Zahlung trat zum 30.06. des Folgejahres ein, so dass die Verzinsung ab dem 01.07.2015 vorzunehmen ist.

III. Die Kostenentscheidung folgt dem Verhältnis des beiderseitigen Obsiegens und Unterliegens.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision ist nicht erkennbar. Die vorliegende Entscheidung folgt den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung und beruht im Übrigen auf den Besonderheiten der Umstände des Einzelfalls.

 

 

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