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Verschwiegenheitspflicht Arbeitnehmer – Weiterleitung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 5 Sa 267/17 – Urteil vom 24.05.2018

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 15. Februar 2017, Az. 1 Ca 1078/15, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten – zweitinstanzlich noch – über Schadensersatzansprüche der Klägerin, weil der Beklagte nach Ausspruch einer Eigenkündigung mehrere Dateien vom Firmenserver an seinen privaten E-Mail Account übermittelt hat.

Die Klägerin erbringt über den zwischengeschalteten Provider H. für ihre Kunden IT-Dienstleistungen. Der 1981 geborene Beklagte war bei ihr seit dem 01.08.2012 als „Junior Consultant“ angestellt. Er bezog ein Monatsgehalt von ca. € 3.750,00 brutto; der geldwerte Vorteil der privaten Pkw-Nutzung wurde zusätzlich mit € 358,00 brutto bewertet. Im schriftlichen Arbeitsvertrag war ua. folgendes geregelt:

㤠8 Geheimhaltung, Verpflichtung auf das Datengeheimnis

Verschwiegenheitspflicht Arbeitnehmer - Weiterleitung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen
(Symbolfoto: Reshetnikov_art/Shutterstock.com)

Der AN verpflichtet sich ferner, über alle zu seiner Kenntnis gekommenen Mitteilungen über betriebliche Vorgänge, technische Einrichtungen, kaufmännische Angelegenheiten sowie über alle sonstigen Informationen, die der AN anlässlich seiner Tätigkeit erhält, gegenüber jedem, der mit dem Vorgang dienstlich nichts zu tun hat, strengstes Stillschweigen zu bewahren.

Die Wahrung des Geschäftsgeheimnisses bezieht sich sowohl auf alle Geschäftsvorgänge [der Klägerin] als auch auf die Geschäftsvorgänge, die [der Klägerin] aus Anlass von Aufträgen aus dem Kundenkreis zur Kenntnis gebracht worden sind.

Der AN verpflichtet sich darüber hinaus, von Software [der Klägerin] bzw. Software, die [der Klägerin] von Dritten überlassen wurde oder die [die Klägerin] in Miete oder Lizenz einsetzt, keine Kopien anzufertigen oder Dritten zu gestatten, Kopien anzufertigen. Der AN erkennt an, dass er/sie zur Sicherstellung des Kopierschutzes auch dazu verpflichtet ist, Dritten den Zugang zu allen Speicher- und Kopiermedien zu verweigern.

Die Geheimhaltungspflicht gilt auch über die Dauer des Vertrages hinaus. Handelt der AN dieser Verpflichtung zuwider, ist er/sie verpflichtet, eine Vertragsstrafe in Höhe bis zu einem Monatsgehalt (brutto) zu zahlen. Darüber hinaus ist er/sie verpflichtet, [der Klägerin] sowie den Kunden den aus diesem Verhalten entstandenen Schaden voll zu ersetzen.

Die Schweigepflicht erstreckt sich auch auf Angelegenheiten anderer Firmen, mit denen [die Klägerin] wirtschaftlich oder organisatorisch verbunden ist.

§ 9 Arbeitsmaterial, Geschäftsunterlagen

1. Bei Beendigung des Vertrages ist der AN verpflichtet, sämtliche Gegenstände, Software, Schriftstücke, Briefe oder sonstige Unterlagen einschließlich Kopien (auch solche auf Datenträgern), welche die Gesellschaft und den Gegenstand seiner dienstlichen Tätigkeit betreffen, unverzüglich und unaufgefordert herauszugeben. Hierzu gehören auch selbst angefertigte Aufzeichnungen.

2. Ein Zurückbehaltungsrecht besteht nicht.

§ 10 Wettbewerbsverbot

Dem AN sind während der Dauer des AV jegliche Tätigkeiten, insbesondere für Unternehmen, die zu [der Klägerin] im Wettbewerb stehen, nur mit Zustimmung [der Klägerin] gestattet. Die Annahme von Aufträgen durch den Arbeitnehmer erfolgt nur nach vorheriger Absprache mit [der Klägerin].

§ 15 Verfallfristen

Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.

Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärte sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von drei weiteren Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. …

§ 21 Nutzung des Internet, e-Mailsystems

Die Nutzung des betrieblichen E-Mail-Accounts durch den AN darf ausschließlich zu dienstlichen Zwecken erfolgen. Der AN ist verpflichtet, auf seinem dienstlichen Account eingehende private Nachrichten unverzüglich zu löschen oder in einen ausdrücklich als privat gekennzeichneten Ordner zu verschieben. [Die Klägerin] ist berechtigt, jede Nutzung von E-Mail und Internet unter Beachtung der Bestimmungen des Datenschutzrechts zu speichern und zu protokollieren. Nach Vertragsende ist [die Klägerin] ferner berechtigt, den Account des AN zu sperren und einzusehen.

…“

Der Beklagte wurde auf eigenen Wunsch von der Klägerin ausschließlich bei zwei Großbanken (Deutsche Bank und Postbank) eingesetzt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete durch eine ordentliche Kündigung des Beklagten vom 20.11. zum 31.12.2014. Nach Ausspruch der Eigenkündigung versandte der Beklagte am 06.12.2014 eine E-Mail mit diversen Anhängen vom Server der Klägerin an seinen privaten E-Mail-Account. Seit dem 05.01.2015 arbeitet der Beklagte auf der Grundlage eines sog. Rahmenvertrags für Subunternehmerleistungen mit dem Provider H., mit dem auch die Klägerin Verträge schließt, weiterhin – nunmehr als Selbständiger – bei den zwei Großbanken als IT-Experte.

Die Klägerin hat erstinstanzlich nach vergeblicher außergerichtlicher Geltendmachung mit Schreiben vom 30.03.2015 mit ihrer am 30.06.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage vom Beklagten Schadensersatz in einer Gesamthöhe von € 540.967,35 begehrt. Zum einen verlangte sie Schadensersatz iHv. € 140.967,35, weil der Beklagte noch während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses gegen das in § 10 des Arbeitsvertrags vereinbarte Wettbewerbsverbot verstoßen haben soll. Diese Schadensforderung (Ziff. I) verfolgt sie zweitinstanzlich nicht mehr weiter.

Zum anderen verlangte sie – als Teilklage – Schadensersatz iHv. € 400.000,00, weil der Beklagte am 06.12.2014 wichtige und schützenswerte Firmeninterna, wie Verfahrensweisen, Strategiepapiere, Zugangsdaten, Fundstellen, Programmkomponenten, Produktionsinformationen, IT-Architekturdarstellungen, Software, etc, von ihrem geschützten Server per E-Mail an seinen privaten Account versandt habe. In den vom Beklagten transferierten Dateien befinde sich ein wesentlicher Teil ihrer Geschäftsidee, das Know-how, das es ihr ermögliche, gerade für Großkunden im Banken-, Pharma-, Börsen- und IT-Bereich effizient zu arbeiten. Der wirtschaftliche Wert des unbefugt transferierten Materials betrage nach näherer Maßgabe ihrer Berechnung im Schriftsatz vom 05.02.2016 mindestens € 400.000,00 (Schadensforderung Ziff. II). Dies sei ein Bruchteil dessen, was der „Datenklau“ an Wert habe. Erstmals am 06.03.2015 habe sie konkrete und belastbare Hinweise zu einem Verstoß des Beklagten gefunden.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie € 540.967,35 nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.04.2015 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Von einer weiteren Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des am 15.02.2017 verkündeten erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Mainz hat die Klage abgewiesen und zur Begründung der Entscheidung – zur hier noch interessierenden Schadensforderung Ziff. II – zusammengefasst ausgeführt, der Beklagte sei der Klägerin zwar dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet, weil er arbeitsvertragswidrig und schuldhaft am 06.12.2014 Dateien kopiert und an seinen privaten E-Mail-Account transferiert habe. Auf die strafrechtliche Bewertung seines Verhaltens komme es nicht an. Der Klägerin sei es jedoch nicht gelungen, die Schadenshöhe nachvollziehbar oder auch nur in einer Schätzung zugänglichen Weise darzulegen. Zum einen sei nicht nachvollziehbar, welche der in Rede stehenden Daten warum genau das „wesentliche“ (welches) Know-how der Klägerin darstellten. Entsprechendes gelte für die pauschale Behauptung, gerade diese Daten ermöglichten es Aufträge von Großkunden zu akquirieren und zu bearbeiten. Das Verbot der Erhebung eines Ausforschungsbeweises gelte auch für die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Im Übrigen habe die Klägerin, den begehrten Schadenersatz anhand des sog. Ertragswerts ermittelt, der angeben soll, welchen Ertrag sie durchschnittlich in den Jahren 2009 bis 2014 im Geschäftsbereich „BladeLogic“-Consulting erzielt habe. Abgesehen davon, dass es auch insoweit an einem substantiierten Vortrag fehle, entspreche diese Berechnung nicht dem zivilrechtlichen Schadensbegriff. Es sei weder konkret dargetan noch ersichtlich, dass die Klägerin, die noch andere Kunden habe und – unstreitig – auch noch einen Mitarbeiter bei der Deutschen Bank beschäftige, um diesen Ertragswert insgesamt geschädigt sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen das am 26.04.2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 24.05.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz teilweise – wegen der Abweisung der Schadensforderung Ziff. II – Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 28.08.2017 verlängerten Begründungsfrist mit einem am 28.08.2017 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Klägerin beanstandet, dass das Arbeitsgericht die Relevanz der Daten, die der Beklagte am 06.12.2014 an seinen privaten E-Mail-Account versandt habe, nicht geprüft habe. Deshalb gebe sie nochmals den Inhalt der 64-seitigen Analyse wieder, die sie bereits als Anlage zur Klageschrift vorgelegt haben. Zusammenfassend könne die E-Mail als eine Sammlung von intern genutzten Arbeitsanleitungen, Hinweisen, Skripten und Datensammlungen bezeichnet werden, die ihre Mitarbeiter in die Lage versetzten, dauerhaft und erfolgreich mit der Software „BladeLogic“ zu arbeiten. Es handele sich daher um typisches Firmen-Know-how, das von ihren Geschäftsführern über mehrere Jahre hinweg gesammelt und selbst entwickelt worden sei. Sie sei seit März 2009 operativ tätig. Zuvor habe ihr Mitgeschäftsführer R. seit Anfang 2008 mit der Software „BladeLogic“ als Freiberufler für verschiedene Konzernkunden gearbeitet und Wissen aufgebaut. Dieses Wissen sei später in die internen Arbeitsanleitungen und Ausbildungsdokumente eingeflossen. Die Software „BladeLogic“ des Herstellers BMC sei sehr speziell. Die Kernaufgabe eines IT-Beraters bestehe darin, die Kunden bei der Standardisierung und Automatisierung ihres IT-Betriebs unter Einsatz dieser Software zu unterstützen, nachdem er diese zuvor implementiert habe. Die vom Beklagten weitergeleiteten Dateien enthielten die bis dato zu Papier gebrachten technischen Dokumente, mit denen er und andere Mitarbeiter für diese Aufgabe ausgebildet worden seien. Ohne diese Daten seien weder der Beklagte noch ihre anderen Mitarbeiter in der Lage, die ihnen zugedachte Beratertätigkeit bei ihren exklusiven Kunden zu übernehmen. Aufgrund des schmalen Marktsegments für die Software BladeLogic und ihrer exklusive Tätigkeit in diesem Beratungsfeld erwürben die von ihr eingesetzten IT-Berater durch das Anlernen und Schulen und aufgrund der Arbeitsanleitungen, Hilfestellungen, Hinweisen etc., insbesondere in Form von E-Mails, wie der streitgegenständlichen Sammel-E-Mail, spezielles Wissen, das sie bei anderen Arbeitgebern kaum, durch reines Selbststudium gar nicht, jedenfalls nicht in einem überschaubaren Zeitraum von zwei Jahren erwerben könnten. Neben ihr böten nur wenige IT-Dienstleister eine Beratungstätigkeit in Kombination mit der Software „BladeLogic“ an; dies sei jedenfalls zu Beginn des Jahres 2015 der Fall gewesen. Der Haupteinwand des Beklagten, es handele sich nicht um eine Eigenleistung ihres Mitgeschäftsführers, sondern um allgemein zugängliches Wissen, überzeuge nicht. Ihre Geschäftsführer hätten mehrere Jahre benötigt, um das Wissen anzusammeln und auch komprimierte Darstellungen/Übersichten zu erarbeiten. Dies sei gerade der Wert der Dateninhalte. Da der Sachverhalt hinsichtlich der Relevanz der Daten für ihren Geschäftsbetrieb erstinstanzlich streitig gewesen sei, hätte das Arbeitsgericht Beweis erheben müssen. Sie habe erstinstanzlich einen Sachverständigen zu der Thematik benannt, die Beweisaufnahme sei nunmehr nachzuholen. Der Beklagte habe zu Beginn seiner Tätigkeit in ihrem Betrieb im August 2012 keinerlei Vorkenntnisse zu der Software BladeLogic gehabt. Er habe sich also durch die Übersendung der E-Mail am 06.12.2014 das von ihr gesammelte Wissen in Gestalt von Arbeitsanleitungen, Hinweisen, Erläuterungen, Grafiken, Zusammenstellungen, etc. gesichert. Der Beklagte habe dies in der Absicht getan, ihre Kunden für sich selbst zu gewinnen und den mit ihr (über den Provider) geschlossenen Vertrag zu ersetzen. Diesen Entschluss habe er auch umgesetzt, weil er selbst (über den Provider) exakt die IT-Beraterposition eingenommen habe, die er zuvor über die Festanstellung bei ihr innegehabt habe. Ohne ihr komprimiertes Wissen, das er sich dauerhaft gesichert habe, hätte er die Beraterposition nicht ausüben können. Nach ihrer Kenntnis habe der Beklagte die Beraterposition für den Provider H. durchgängig bei ihren früheren Kunden, den zwei Großbanken, innegehabt und immer noch inne. Dies führe weiter dazu, dass die rechtswidrige Aneignung ihres Firmen-Know-hows als Voraussetzung für den Auftragsverlust anzusehen und damit deckungsgleich mit ihrem Schaden sei.

Folglich sei als Schaden der aus dem Auftragsverlust resultierende entgangene Gewinn zu sehen. Dabei sei der entgangene Gewinn zu errechnen, der nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge ohne die Schädigungshandlung im Allgemeinen von ihr erzielt worden wäre. Da sie bereits seit 2011 den Kunden Deutsche Bank und seit 2013 den Kunden Postbank betreue, sowohl durch den Einsatz des Beklagten, aber auch weiterer Mitarbeiter, inklusive ihrer Geschäftsführer, sich also ein stabiles und vertrauensvolles Beratungsverhältnis entwickelt habe, und auch immer noch dort ihre Berater eingesetzt seien, sei davon auszugehen, dass sie ohne die Intervention des Beklagten immer noch den vormaligen Auftrag inne hätte. Sie bemesse somit den Schaden für die Entwendung ihres Firmen-Know-hows nach dem entgangenen Gewinn seit dem 01.01.2015 für drei Jahre bis 31.12.2017. Zur Schadensberechnung beziehe sie sich auf den Schriftsatz ihres erstinstanzlichen Bevollmächtigten vom 05.02.2016 (ab Seite 2) nebst Anlagen. Sie habe erstinstanzlich vorgetragen, dass sie im Jahr 2014 Bruttoeinnahmen iHv. € 208.700,42 bei den zwei Bankkunden generiert habe. Abzüglich der Kosten, die durch den Beklagten selbst verursacht worden seien, namentlich Lohn-, Hotel- und Mobilfunkkosten iHv. insgesamt € 64.389,77 ergebe sich ein Reingewinn iHv. € 144.310,65. Hierauf beziehe sie sich auch in zweiter Instanz. Dies sei der ihr durch den Auftragsverlust der zwei Bankkunden entgangene Gewinn, unmittelbar verursacht durch den „Weggang“ des Beklagten, abzüglich der von diesem verursachten Kosten. Für sie seien, weil es sich um einen Einsatz beim Kunden gehandelt habe, dagegen weder Kosten für anteilige Raummiete noch Büroeinrichtung angefallen. Bezogen auf drei Jahre errechne sich ein entgangener Gewinn iHv. € 432.930,00. Hiervon verlange sie einen Teilbetrag iHv. € 400.000,00. Hilfsweise mache sie – anstelle des entgangenen Gewinns – die Kosten für die Wiederbeschaffung (Selbstkosten) als Schaden geltend (vgl. Tabelle Anlage 6 zum Schriftsatz vom 05.02.2016, Bl. 246 d.A.). Sie habe einerseits im Wege einer Schätzung ermittelt, dass 2.660 Arbeitstage zur Erstellung der Dokumente aus der E-Mail vom 06.12.2014 nebst diversen Anhängen angefallen seien; andererseits habe sie den „Selbstkosten“-Tagessatz auf € 500,00 beschränkt. Ihr Gesamtschaden belaufe sich danach auf € 1.33 Mio., wovon sie einen Teilbetrag von € 400.000,00 verlange. Hilfsweise lasse sich ihr Schaden auch nach dem sog. Verletzergewinn berechnen. Der Beklagte habe den Auftrag bei den zwei Großbanken lediglich aufgrund der entwendeten Daten mit E-Mail vom 06.12.2014 akquirieren können. Er habe erklärt, dass er für seine Tätigkeit bei diesen Bankkunden einen Tagessatz von € 750,00 erhalte. Bei durchschnittlich 200 Arbeitstagen im Kalenderjahr erziele er jährliche Einnahmen von € 150.000,00, in den drei Jahren von 2015 bis 2017 mithin insgesamt € 450.000,00. Als Verletzergewinn sei somit € 450.000,00 in Ansatz zu bringen, wovon sie einen Teilbetrag von € 400.000,00 verlange. Etwaige Kosten des Beklagten seien nicht abzusetzen.

Die Klägerin beantragt zweitinstanzlich, das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 15.02.2017, Az. 1 Ca 1078/15, teilweise abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie € 400.000,00 nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.04.2015 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und macht geltend, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Schadensersatz. Es fehle bereits an der Kausalität zwischen der behaupteten Pflichtverletzung und dem behaupteten Schaden. Die Klägerin habe den Auftrag allein deswegen verloren, weil sich der Provider H. für eine Zusammenarbeit mit ihm hinsichtlich der zwei Großbanken entschieden habe. Er habe sich durch seine Bewerbung bei H. nicht rechtswidrig verhalten. Auftragsverlust und entgangener Gewinn der Klägerin resultierten allein aus seinem rechtmäßigen Verhalten. Die Weiterleitung der Dateien mit E-Mail vom 06.12.2014 sei nicht Ursache für die Gewinneinbußen der Klägerin. Er habe bereits in einem Gespräch vom 12.11.2014 den Geschäftsführern der Klägerin mitgeteilt, dass er die Arbeit bei ihr nicht fortsetzen und seine Tätigkeit für die zwei Großbanken in Zukunft auf selbständiger Basis erbringen wolle. Die Eigenkündigung sei sodann am 20.11. zum 31.12.2014 erfolgt. Damit habe er schon weit vor der Weiterleitung der E-Mail am 06.12.2014 vollendete Tatsachen geschaffen. Wäre der Inhalt der E-Mail zwingende Voraussetzung für die Ausübung der Beratertätigkeit gewesen, wie dies die Klägerin behaupte, hätte er sich schon vor der Eigenkündigung um eine Sicherung bemühen müssen, weil die Klägerin berechtigt gewesen sei, ihn bis zum Beendigungszeitpunkt freizustellen. Der von der Klägerin behauptete Schaden wäre auch entstanden, wenn er sich die E-Mail nicht weitergeleitet hätte. Das rechtmäßige Alternativverhalten sei grundsätzlich beachtlich. Er hätte auch ohne die Weiterleitung der Dateien den Auftrag erhalten und durchführen können. Die weitergeleiteten Dateien hätten kein zwingend notwendiges Wissen enthalten, dass ihn in die Lage versetzt hätte, den Auftrag auszuführen. Der Hersteller BMC sei ein weltweit agierender Softwarekonzern, der sich auf die Automatisierungssparte in der IT spezialisiert habe. Alle angesprochenen Inhalte der am 06.12.2014 weitergeleiteten Dateien könnten auf der Website des Herstellers BMC recherchiert werden. Er habe sich die E-Mail nur deswegen versandt, weil die Dateien Übersichten in komprimierter Form enthielten, die er als Gedächtnisstütze habe nutzen wollen. Aus der Tatsache, dass er sich die Dateien auf diesem Weg beschafft habe, statt über die Website des Herstellers könne nicht der Schluss gezogen werden, dass die Dateien die von der Klägerin behauptete Wichtigkeit und Wertigkeit hätten. Er verfüge über einen Hochschulabschluss B.A. in Informatik. Eine zweijährige praktische Tätigkeit mit „BladeLogic“ sei für einen Anwender mit seiner Qualifikation völlig ausreichend, um sicher mit den Anwendungen umzugehen. Hierfür bedürfe es keiner weiteren Unterstützung durch die weitergeleiteten Dateien.

Die Klägerin könne nicht damit durchdringen, dass ihr – bezogen auf drei Jahre – ein Gewinn iHv. € 432.930,00 entgangen sei. Sie habe nicht davon ausgehen können, auch von Anfang 2015 bis Ende 2017 wie im vorherigen Umfang mit der IT-Beratung der zwei Großbanken beauftragt zu werden. Die Verträge mit dem Provider würden nur quartalsweise abgeschlossen. Die Beauftragung von Subunternehmern durch H. erfolge ebenfalls nur quartalsweise. Es bestehe keine mittel- oder gar langfristige Umsatz- oder Gewinnerwartung für die beauftragten Subunternehmer. Daher könne die von § 252 BGB geforderte Wahrscheinlichkeit nicht gegeben sein. Die Klägerin könne auch keine „Wiederbeschaffungskosten“ verlangen. Die Dateien seien nach wie vor in ihrem Bestand vorhanden, er habe sie weder gelöscht noch unbrauchbar gemacht oder den Gebrauchswert in sonstiger Weise beeinträchtigt. Die Klägerin könne ihren Schaden auch nicht nach dem sog. Verletzergewinn berechnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat das gegen den Beklagten geführte Ermittlungsverfahren (2050 Js 59736/15) wegen Verrats von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen iSv. § 17 UWG am 09.03.2018 eingestellt.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und auch ordnungsgemäß begründet worden.

II.

In der Sache hat die Berufung der Klägerin keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Beklagte nicht verpflichtet ist, der Klägerin auf die Teilklage (Schadensforderung Ziff. II) Schadensersatz iHv. € 400.000,00 zu leisten.

1. Der zweitinstanzlich allein gestellte Klageantrag zur Schadensforderung Ziff. II ist zulässig. Der Antrag ist hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin begehrt – für das Gericht und den Beklagten erkennbar – den Ersatz eines Teils des von ihr behaupteten Schadens, der ihr durch die Weiterleitung von Dateien mit E-Mail am 06.12.2014 entstanden sein soll. Diese offene Teilklage begegnet keinen Bedenken (vgl. BAG 21.03.2017 – 3 AZR 464/15 – Rn. 19 mwN).

Den Schaden berechnet die Klägerin unterschiedlich: Die Hauptforderung ist auf Ersatz des entgangenen Gewinns gerichtet, die erste Hilfsforderung auf Ersatz der Selbstkosten, die zweite Hilfsforderung auf Herausgabe des Verletzergewinns. Es handelt sich nicht um eine unzulässige Verquickung von drei unterschiedlichen Schadensberechnungsarten. Vielmehr handelt es sich um Variationen bei der Ermittlung des gleichen einheitlichen Schadens und nicht um verschiedene Ansprüche mit unterschiedlichen Rechtsgrundlagen, so dass kein Wahlschuldverhältnis vorliegt (vgl. BGH 25.09.2007 – X ZR 60/06 – Rn. 7 ff. mwN).

2. Die Klage ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend einen Schadensersatzanspruch der Klägerin verneint. Es bestehen – nach jeder Berechnungsart – weder vertragliche noch deliktische Schadensersatzansprüche aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB oder aus § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB iVm. § 17 Abs. 2 UWG oder aus § 826 BGB.

a) Zwar ist dem Beklagten eine schuldhafte Pflichtverletzung vorzuwerfen, weil er am 06.12.2014 eine E-Mail mit einer Vielzahl angehängter Dateien aus dem Bestand der Klägerin an seinen privaten E-Mail-Account transferiert hat. Der Beklagte war nicht berechtigt, die ihm von der Klägerin zum Zwecke der Durchführung des Arbeitsverhältnisses zur Verfügung gestellten Geschäftsunterlagen in Dateiform am 06.12.2014 an seinen privaten E-Mail-Account zu senden, um sie auch nach Beendigung des von ihm bereits am 20.11. zum 31.12.2014 gekündigten Arbeitsverhältnisses aus Eigennutz zu behalten. Dabei ist unerheblich, ob der Beklagte die Unterlagen – wie von ihm behauptet – nur als Gedächtnisstütze verwenden wollte. Entgegen seiner Ansicht entlastet es den Beklagten ebenfalls nicht, dass die Dateien nach wie vor im Bestand der Klägerin vorhanden sind, denn er durfte sie nicht vervielfältigen.

Dem Arbeitnehmer ist es aufgrund der dem Arbeitsvertrag immanenten Pflicht zur Rücksichtnahme verwehrt, sich ohne Einverständnis des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen. Genau dies ist hier geschehen. Betreffen die Unterlagen ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, ist die Herstellung einer verkörperten Wiedergabe gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 lit. b UWG sogar strafbewehrt, wenn dies zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht geschieht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen (vgl. BAG 08.05.2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 32).

b) Die Klägerin kann den Ersatz des durch die Weiterleitung der Dateien auf den privaten E-Mail-Account möglicherweise entstandenen Schadens dennoch nicht beanspruchen, weil es an der erforderlichen Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem von ihr geltend gemachten Schaden fehlt. Der Klägerin ist es auch zweitinstanzlich nicht gelungen, die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung des Beklagten – Weiterleitung der Dateien – für den Verlust der Aufträge der zwei Großbanken (über den Provider H.) hinreichend darzulegen. Dabei kann unterstellt werden, dass die Klägerin die Aufträge verloren hat, weil der Beklagte nach Ausspruch der ordentlichen Kündigung zum 31.12.2014 ab dem 05.01.2015 – nunmehr als Selbständiger – bei den zwei Großbanken (über denselben Provider) als IT-Experte arbeitet.

aa) Eine Schadensersatzpflicht setzt voraus, dass der Schaden ohne das pflichtwidrige Verhalten des in Anspruch Genommenen nicht eingetreten wäre: Das Verhalten muss für den Schaden kausal geworden sein. Ausgangspunkt jeder Schadensberechnung bildet die Differenzhypothese. Ob und inwieweit ein nach §§ 249 ff. BGB zu ersetzender Vermögensschaden vorliegt, beurteilt sich nach einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre. Die Differenzhypothese umfasst zugleich das Erfordernis der Kausalität zwischen dem haftungsbegründenden Ereignis und einer dadurch eingetretenen Vermögensminderung. Nur eine Vermögensminderung, die durch das haftungsbegründende Ereignis verursacht ist, dh. ohne dieses nicht eingetreten wäre, ist als ersatzfähiger Schaden anzuerkennen. Nach der Äquivalenztheorie ist jede Bedingung kausal, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Dabei ist zu beachten, dass zur Feststellung des Ursachenzusammenhangs nur die pflichtwidrige Handlung hinweggedacht, nicht aber weitere Umstände hinzugedacht werden dürfen. Die sich aus der Äquivalenz ergebende weite Haftung für Schadensfolgen grenzt die Rechtsprechung durch die weiteren Zurechnungskriterien der Adäquanz des Kausalverlaufs und des Schutzzwecks der Norm ein (für die einhM zB BGH 06.06.2013 – IX ZR 204/12 – Rn. 20 mwN; Palandt/Grüneberg 77. Aufl. BGB Vor § 249 Rn. 25).

bb) Nach diesen Maßstäben ist das Erfordernis eines Ursachenzusammenhangs zwischen der Pflichtverletzung des Beklagten und dem von der Klägerin behaupteten Schaden nicht erfüllt.

(1) Dabei ist entscheidend zu berücksichtigen, dass mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.12.2014 gleichzeitig die Pflicht des Beklagten zur Wettbewerbsenthaltung endete. Der Arbeitgeber kann sich vor einer nachvertraglichen konkurrierenden Tätigkeit des Arbeitnehmers nur durch die Vereinbarung eines bezahlten und auf höchstens zwei Jahre befristeten Wettbewerbsverbots nach §§ 74 ff. HGB schützen. Fehlt es – wie hier – an einer Wettbewerbsabrede, kann der Arbeitnehmer wie jeder Dritte zu seinem ehemaligen Arbeitgeber in Wettbewerb treten. Hierbei kann er sein im Arbeitsverhältnis erworbenes Erfahrungswissen einschließlich der Kenntnis von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen einsetzen und in den Kundenkreis des Arbeitgebers eindringen. Regelmäßig begründen weder eine nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht noch eine allgemeine nachvertragliche Treuepflicht für den Arbeitgeber einen Anspruch gegen den ehemaligen Arbeitnehmer auf Unterlassung von Wettbewerbshandlungen. Ein solcher Anspruch ergibt sich wegen der dem Arbeitnehmer gesetzlich gewährleisteten Wettbewerbsfreiheit – vom Fall des wirksamen Wettbewerbsverbots abgesehen – nur nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz vor unlauterem Wettbewerb, § 3 UWG (früher: § 1 UWG), §§ 823, 826 BGB (vgl. BAG 19.05.1998 – 9 AZR 394/97 – Rn. 51, 52 mwN – AP BGB § 611 Treuepflicht Nr. 11 mit Anm. Diller).

Der Beklagte war mangels Wettbewerbsverbots nicht gehindert, ab dem 05.01.2015 in den Kundenkreis der Klägerin einzudringen und die zwei Großbanken (wie die Klägerin über den Provider H.) als IT-Experte zu betreuen. Den Gewinn, der ihr durch den „Weggang“ des Beklagten entgangen ist, kann die Klägerin nicht ersetzt verlangen. Ein ausgeschiedener Arbeitnehmer darf die während der Beschäftigungszeit erworbenen Kenntnisse später unbeschränkt verwenden, wenn er keinem Wettbewerbsverbot unterliegt.

Allerdings darf der frühere Arbeitnehmer nur die Informationen verwenden, die er in seinem Gedächtnis bewahrt. Er ist nicht berechtigt, sein redlich erlangtes Wissen zusätzlich durch die Mitnahme von schriftlichen Unterlagen oder Dateien, in denen Know-how verkörpert ist, aufzufrischen und zu sichern (vgl. BGH 27.04.2006 – I ZR 126/03 – Rn. 13, 14 mwN; BGH 07.11.2002 – I ZR 64/00 – Rn. 30).

(2) Ein Schadensersatzanspruch könnte nur dann bestehen, wenn ihn die Klägerin nicht mit dem zulässigerweise betriebenen Wettbewerb ab Januar 2015, sondern mit einem verbotenen Geheimnisverrat nach § 17 UWG begründen könnte. Dies ist nicht der Fall.

(a) Unter den Begriff des Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses (§ 17 Abs. 2 UWG) fallen solche betriebsbezogene Tatsachen, die nach dem erkennbaren Willen des Betriebsinhabers geheim gehalten werden sollen, die ferner nur einem begrenzten Personenkreis bekannt und damit nicht offenkundig sind und hinsichtlich derer der Betriebsinhaber deshalb ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse hat, weil die Aufdeckung der Tatsache geeignet wäre, dem Geheimnisträger wirtschaftlichen Schaden zuzufügen (vgl. BGH 04.09.2013 – 5 StR 152/13 – Rn. 21 mwN). Anders als der Beklagte meint, kann auch die Auswahl und Zusammenstellung veröffentlichter Informationen als Betriebsgeheimnis schützenwert sein. Für die Qualität als Betriebsgeheimnis ist entscheidend, ob die Zusammenstellung der veröffentlichten Unterlagen einen großen Zeit- oder Kostenaufwand erfordert (vgl. BGH 23.02.2012 – I ZR 136/10 – Rn. 23 mwN).

(b) Zwar ist im vorliegenden Verfahren ohne Belang, dass das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten wegen Geheimnisverrats am 09.03.2018 eingestellt worden ist, weil die Arbeitsgerichte gem. § 14 Abs. 2 Nr. 1 EGZPO noch nicht einmal an die Feststellungen der Strafgerichte gebunden sind. Jedoch genügt der Verweis der Klägerin auf den Inhalt der 64-seitigen Analyse, die ihre Geschäftsführer über die vom Beklagten am 06.12.2014 per E-Mail weitergeleiteten Dateien verfasst haben, nicht, um die Schadensersatzforderung nicht mit dem zulässigerweise betriebenen Wettbewerb, sondern mit einem verbotenen Geheimnisverrat begründen zu können. Deshalb bedarf es auch nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens. Das Arbeitsgericht hat diesen Beweisantritt der Klägerin zutreffend als unzulässigen Ausforschungsbeweis gewertet. Auch zweitinstanzlich hat eine Beweiserhebung zu unterbleiben.

In der Einleitung der Analyse stellt die Klägerin dar, dass der Beklagte eine Sammlung vieler einzelner E-Mails, die sich um das Thema „BladeLogic“ drehten, an seinen privaten E-Mail-Account weitergeleitet habe. Unter der Überschrift „Betrachtung des Inhalts“ führt sie aus, die Zeilen 6 und 36 zeigten auf, dass der Beklagte die Dateien „BL Einrichtung.pages“ sowie „BL Einrichtung.pdf“ versandt habe. Diese Dateien beinhalteten eine vollständige Schritt-für-Schritt-Anleitung wie „BladeLogic“ unter Anwendung der Best Practices installiert werde. Das Dokument aus dem Jahr 2011 basiere auf drei Jahren intensiver Erfahrung; das beschriebene Vorgehen könne auf eine Umgebung bei ihren Kunden angewandt werden. Mit diesem Dokument sei es auch für Neulinge einfach, eine solide und langjährig erprobte Installation bei einem Kunden durchzuführen. Zeile 37 deute auf das Dokument „BL-oracle-delete.pdf“ hin. Dieses Dokument sei enorm hilfreich, um beim Aufbau der Umgebung ohne Zeitverlust die Datenbank auf einen Stand von vor der Installation zu bringen. Das sei immer dann notwendig, wenn während der Installation ein unerwarteter Fehler aufgetreten sei und ein Reset erfolgen müsse. Es seien sehr viele Tests und Recherchen notwendig, um die in diesem Dokument aufgeführten Schritte auch für einen Anfänger leicht verständlich zusammenzutragen. Zeile 20 verweise auf eine Grafik vom 03.08.2012, die ein Mitgeschäftsführer zum Themenkomplex „Compliance“ erstellt habe; es handele sich um eine Zusammenfassung auf nur einer DIN-A4-Seite der für einen Berater relevanten Zusammenhänge in diesem Gebiet. Das Dokument mit dem Titel „BladeLogic Compliance Jobs Quickview“ biete somit eine wertvolle Visualisierung dessen, was in der Herstellerdokumentation in langen und über vielen Seiten verteilten Textpassagen stehe. Das Dokument gehe jedoch noch weiter und biete eine Gesamtsicht, die die Herstellerdokumentation nicht biete. Es habe Jahre in unterschiedlichen Kundenprojekten gebraucht, um diese auf das Notwendigste verdichtete und einfache Sicht auf diesen Themenkomplex zu haben. Entsprechend groß sei der Vorsprung, den ein Berater sowohl in der Einarbeitungszeit, als auch im Tagesgeschäft mit diesem Dokument habe. Die Zeile 35 nenne das Dokument „BMC_Products.docx“. In diesem Dokument würden insgesamt 13 Produkte von BMC, darunter auch „BladeLogic“, in Kontext zueinander gesetzt. Das helfe einem Berater enorm, dem Kunden gegenüber ein Bild über eine Lösung zu vermitteln, dass über den Kontext von „BladeLogic“ hinausgehe. Es gebe nur sehr wenige IT-Berater auf dem Markt, die diesen Überblick hätten und ihn auch noch auf nur vier Seiten Text, inklusive einer Übersichtsgrafik, dem Kunden präsentieren könnten. Es brauche Jahre an Erfahrung, um diesen Wissensstand zu erreichen. Die Zeile 18 verweise auf eine Datei, die den Gesamtkontext von „BladeLogic“ in der Landschaft eines Kunden aufzeige. Der zugehörige Text finde sich in den Zeilen 1060 bis 1065. An diese Information komme man erst heran, wenn man bereits einige Jahre im Geschäft sei; im konkreten Fall seien es vier Jahre gewesen. Habe man diese Projekterfahrung nicht, dann bekomme man nicht die notwendigen Kontakte, um solche Informationen zu erhalten. Die Zeilen 61 bis 71 beträfen das Thema „Rechtemanagement“ in „BladeLogic“. Dies sei ein kritisches Thema, weil es bei Fehlbedienung leicht dazu kommen könne, dass Benutzern der Software Rechte eingeräumt würden, die ihnen eigentlich verwehrt werden sollten. Weil dieses Thema so heikel sei, mieden Berater dieses Gebiet bei den Kunden gerne, wenn sie nicht ausdrücklich daran arbeiten sollen. Das habe allerdings auch zur Folge, dass bei den Beratern auf dem Markt kein tiefes Wissen über dieses Thema vorhanden sei. Der Beklagte zitiere eine Website auf der augenscheinlich einfach ein Bild beschrieben werde, wie man diese Einstellungen exportieren und in eine andere Installation importieren könne. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung habe ein Mitgeschäftsführer in diesem Bereich in kurzer Zeit alle Defizite des dort vorgestellten Verfahrens aufzeigen können. Das helfe einem Berater beim Verständnis über die Zusammenhänge in diesem Bereich. Die Zeilen 198 bis 226 handelten von einem Verständnisproblem, das sich nur durch genaue Kenntnis über den technischen Zusammenhang auflösen lasse. Es handele sich um ein elementares Konzept, das bei vielen Problemstellungen zu beachten sei. In Zeile 200 habe der Beklagte geschrieben, er habe sehr lange gedacht, dass „das nicht gehe“. Der folgende Satz löse das Problem jedoch auf. In Zeile 201 werde ein weiterer Aspekt erklärt, dessen eigenständige Erarbeitung ebenfalls Jahre an Projekterfahrung voraussetze. In der Zeile 1765 bestätige der Beklagte, dass er diese Ausführungen verstanden habe. Die Zeilen 672 bis 803 handelten von zwei umfangreichen Aufgabenstellungen, um einen Neuling schnell auf die Anforderungen in Projekten vorzubereiten. In diesen Passagen seien auch Schritt-für-Schritt-Anleitungen enthalten, um diese komplexe Aufgabe lösen zu können. Aufgabe und Lösung basierten auf langjährigen Projekterfahrungen und kürzten die viele Mühe des eigenständigen Erarbeitens dieser Thematik unter Projektdruck ab. Die Datei, die weiter oben in Zeile 20 genannt werde, sei ein Teil der Lösung dieser Aufgabenstellung. Es werde wiederum klar, welchen Wert die Daten hätten: Sowohl die Aufgabenstellung als auch die dem Beklagten an die Hand gegebenen Unterlagen eröffneten einem Berater einen sehr großen Wissensvorsprung vor Konkurrenten auf dem Markt; sie spiegelten jahrelang aufgebautes Kapital wieder, dass ihre Angestellten vor dem Aufholen durch die Konkurrenz schütze. Die Zeilen 1507 bis 1525 markierten eine E-Mail, die ausdrücklich nicht an jemanden außer der Firma weitergeleitet werden dürfe (Zeile 1508). Es handele sich um eine umfangreiche Materialsammlung, die dem Beklagten intern zur Einarbeitung zum dienstlichen Gebrauch zur Verfügung gestellt worden sei. Es handele sich dabei um neun Links zu einer Dateiablage, auf der sich die in der E-Mail genannten Dateien befänden. Auch hierbei handele sich um einige von einem Mitgeschäftsführer erstellten Dokumente, die sowohl für Neulinge als auch für bereits erfahrene Berater von großem Wert seien, da sie eine große Menge an Informationen in stark verdichteter Form beinhalteten. Grundlage dessen sei auch hier wieder über die Jahre angesammelte Erfahrung und Erkenntnisse, wie man bei Kundenprojekten typische Problemstellungen lösen könne.

(c) Dieser Vortrag genügt nicht, um den geltend gemachten Schadensersatzanspruch begründen zu können.

(aa) Die Klägerin macht mit ihrer Hauptforderung Schadensersatz in Form des entgangenen Gewinns iHv. € 400.000,00 als Teilklage geltend. Nach § 252 BGB umfasst der zu ersetzende Schaden auch den entgangenen Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Dabei kann zu Gunsten der Klägerin unterstellt werden, dass ihr ein Gewinn entgangen ist, weil der Beklagte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab dem 05.01.2015 in ihren Kundenkreis eingedrungen ist und als Selbständiger für die zwei Großbanken als IT-Berater tätig ist. Der geltend gemachte Schaden kann nach den konkreten Gegebenheiten des Streitfalls jedoch nicht dem pflichtwidrigen Weiterleiten der E-Mail am 06.12.2014 zugeordnet werden.

Der Beklagte hat das Arbeitsverhältnis am 20.11. zum 31.12.2014 ordentlich gekündigt, um sich als IT-Berater selbständig zu machen. Die Annahme der Klägerin, sie hätte den Gewinn aus dem Jahr 2014 in angegebener Höhe von € 144.310,65 (Bruttoeinnahmen bei den zwei Bankkunden iHv. € 208.700,42 abzüglich Kosten iHv. € 64.389,77) auch in den folgenden drei Jahren von 2015 bis 2017 erzielt, wenn sie den Auftrag nicht an den Beklagten verloren hätte, mag zutreffen. Denn dieser so berechnete entgangene Gewinn beruht nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten des Beklagten. Der Beklagte durfte – wie bereits ausgeführt – nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in den Kundenkreis der Klägerin eindringen.

Der Klägerin ist es auch in zweiter Instanz nicht gelungen, den erforderlichen adäquaten Zusammenhang zwischen der pflichtwidrigen Weiterleitung der E-Mail vom 06.12.2014 (mit diversen Anhängen) an den privaten Mail-Account des Beklagten für den behaupteten Gewinnentgang darzulegen.

Der Beklagte verfügt über einen Hochschulabschluss B.A. in Informatik. Er war als Arbeitnehmer der Klägerin über zwei Jahre mit der Software „BladeLogic“ des Herstellers BMC tätig. An dieser Software hat die Klägerin keine Rechte. Es erschließt sich nicht, dass der Beklagte ohne die weitergeleiteten Dateien nicht in der Lage gewesen sein soll, den Auftrag bei den zwei Großbanken ab 05.01.2015 durchzuführen. Der Beklagte war kein „Neuling“ oder Anfänger mehr, als er am 05.01.2015 seine selbständige Tätigkeit aufnahm. Die Klägerin hat erstinstanzlich selbst vorgetragen (Blatt 4 des Schriftsatzes vom 01.12.2015), dass der Beklagte seine aktuelle Tätigkeit durchaus auch ohne die weitergeleiteten Dateien ausüben könne. Dann kann die Weiterleitung der Dateien keine Ursache (im Sinne einer „conditio sine qua non“) für den Verlust des Auftrags der zwei Großbanken sein. Die zweitinstanzliche Behauptung der Klägerin (Blatt 3 des Schriftsatzes vom 10.01.2018), dass sich der Beklagte ohne die weitergeleiteten Unterlagen nicht in die Geschäftsbeziehung hätte hineindrängen können, steht dazu in diametralem Widerspruch.

Auch eine Schadensschätzung gem. § 287 Abs. 1 ZPO ist nicht möglich. Diese hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend abgelehnt. Es fehlen greifbare Anknüpfungstatsachen, die es ermöglichen, den behaupteten Schaden dem pflichtwidrigen Verhalten des Beklagten – Weiterleitung der E-Mail vom 06.12.2014 mit diversen Anhängen – zumindest zum Teil zuzuordnen. Es steht dem Gericht nach § 287 ZPO nicht frei, das Vorliegen und die Höhe eines Schadens nach bloßer Billigkeit anzunehmen. § 287 BGB soll dem Geschädigten die Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs erleichtern, nicht aber den Rechtsschutz des Schädigers schmälern. Dieser muss die Möglichkeit haben, sich im Prozess mit den Schätzungsgrundlagen auseinanderzusetzen und Einwände geltend zu machen. Dies kann er nicht, wenn – wie vorliegend – ein Gewinnentgang einer Verletzungshandlung nicht ausreichend zugeordnet werden kann. Eine Schätzung des Schadens nach reiner Billigkeit ohne konkrete Zuordnung zum Verletzungserfolg gestattet die Norm nicht (vgl. BAG 26.09.2012 – 10 AZR 370/10 – Rn. 27, 29 mwN).

(bb) Soweit die Klägerin mit ihrem ersten Hilfsantrag anstelle des entgangenen Gewinns Wiederbeschaffungskosten iHv. € 400.000,00 als Teilklage geltend macht, indem sie die Selbstkosten für die Erstellung der am 06.12.2014 gemailten Geschäftsunterlagen schätzt (2.660 Arbeitstage x € 500,00 Tagessatz = € 1,33 Mio.), ist diese Art der Schadensberechnung nicht nachvollziehbar. Die Dateien sind nach wie vor im Besitz der Klägerin, weil sie vom Beklagten weder gelöscht noch sonst unbrauchbar gemacht worden sind. Im Übrigen hat die Klägerin bzw. ihre Geschäftsführer in den Jahren, die sie benötigt haben wollen, um die Unterlagen zu konzipieren, die der E-Mail vom 06.12.2014 angefügt waren, auch Einnahmen erzielt, die sie als Abzugsposten zu berücksichtigen hätte.

(cc) Schließlich kann die Klägerin mit ihrem zweiten Hilfsantrag anstelle des entgangenen Gewinns nicht die Herausgabe des Verletzergewinns iHv. € 400.000,00 als Teilklage beanspruchen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der die Berufungskammer folgt, dürfen unter Verstoß gegen § 17 UWG erlangte Kenntnisse von Betriebsgeheimnissen in keiner Weise verwendet werden, die dadurch erzielten Ergebnisse sind von Anfang an und – jedenfalls in der Regel – dauerhaft mit dem Makel der Wettbewerbswidrigkeit behaftet. Bei einer Verletzung von Betriebsgeheimnissen ist grundsätzlich der gesamte unter Einsatz des geheimen Know-hows erzielte Gewinn herauszugeben (vgl. BAG 19.08.2008 – I ZR 225/06 – Rn. 9 ff. mwN).

Eine solche Fallgestaltung ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Der Beklagte durfte ab 05.01.2015 mangels Wettbewerbsverbots in den Kundenkreis der Klägerin eindringen. Der Klägerin ist – wie oben ausgeführt – nicht gelungen, darzulegen, dass zwischen der pflichtwidrigen Übersendung der E-Mail vom 06.12.2014 nebst diversen Anhängen und der Konkurrenztätigkeit des Beklagten ein adäquater Kausalzusammenhang besteht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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