LAG Frankfurt – Az.: 7 Sa 984/11 – Urteil vom 19.04.2012
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg vom 17. Juni 2011 – Az. 2 Ca 371/10 – wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.
Die Beklagte betreibt mit ca. 3.000 Arbeitnehmern eine Eisengießerei, bei der der am xxx geborene, einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger seit dem 29. April 2001 gegen Zahlung einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von 3.000,00 € als Betriebsschlosser beschäftigt war.
Nach Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 30. August 2010 (Bl. 62f d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger durch Schreiben vom 02. September 2010 außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 31. Dezember 2010.

Der Kündigung war ein Vorfall am Ende der Spätschicht vom 19. August 2010 vorausgegangen, bei dem der Arbeitnehmer M der Beklagten im Waschraum verletzt worden war. Während dieser der Beklagten schilderte, der Kläger habe ihn angegriffen und vorsätzlich verletzt, machte der Kläger vorprozessual geltend, er sei auf den nassen Fliesen ausgerutscht, habe versucht, durch Rudern mit den Armen das Gleichgewicht zu halten und dabei unabsichtlich seinen Kollegen mit der Hand am Kopf getroffen.
Bei den danach durchgeführten ärztlichen Untersuchungen stellte die Unfallchirurgie des Universitätsklinikums G „oberflächliche Gesichtsprellung“ sowie „Prellung Hinterkopf mit kleinem Hämatom“ fest. Bei einer weiteren Untersuchung in der „Klinik bei der Ledermühle“ hat Herr Dr. med. R. folgende Diagnose gestellt: „Kontusion Kopf/Gesichtsschädel; Orbitabodenfraktur li., V.a.; Hämatom Oberarm li. u. Oberschenkel re.“ Wegen der weiteren Feststellungen wird auf die ärztlichen Bescheinigungen vom 19. August 2010 (Bl. 59f d.A.) bzw. 23.August 2010 (Bl. 61 d.A.) verwiesen.
Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhalts im Übrigen, des Vorbringens der Parteien und ihrer Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 77 – 81 d.A.) verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat zunächst Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Herren M, H und N als Zeugen. Wegen deren Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 17. Juni 2011 (Bl. 71 – 74 d.A.) verwiesen. Sodann hat es die Klage abgewiesen und dies – kurz zusammengefasst – damit begründet, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon ausgegangen werden müsse, dass der Kläger den als Zeugen vernommenen Herrn M vorsätzlich erheblich verletzt habe. Hierfür spreche nicht nur dessen Aussage, vielmehr sei die Darstellung des Klägers mit den bekundeten Wahrnehmungen des Zeugen N, der nacheinander zwei Schläge und zwei Schmerzensschreie gehört hatte, nicht vereinbar. Darüber hinaus sprächen auch die weiteren Umstände, insbesondere das Verhalten des Klägers selbst nach dem Vorfall gegen seine Darstellung. Nach diesem tätlichen Angriff auf einen Arbeitskollegen sei der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht einmal bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar.
Gegen dieses Urteil vom 17. Juni 2011, auf dessen Inhalt zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung des Klägers.
Der Kläger äußert die Auffassung, das Arbeitsgericht habe die erhobenen Beweise fehlerhaft zu Lasten des Klägers gewürdigt. Er bezweifelt die Aussagekraft des zweiten ärztlichen Attests vom 23. August 2010. Die vier Tage nach dem Vorfall darin getroffenen Feststellungen hätten offensichtlich mit den Feststellungen am Tatabend nichts zu tun. Es entziehe sich seiner Kenntnis, wo und wie sich der Zeuge diese Verletzungen zugezogen habe. Jedenfalls bestünden erhebliche Zweifel an der Kausalität zwischen der Handlung des Klägers und den Befunden.
Im Übrigen beruhe das Urteil ausschließlich auf Indizien, ein tatsächlicher Beweis sei auf Grund der Tatsache, dass die Zeugen H und N keine unmittelbaren Augenzeugen des Vorfalls selbst waren, nicht erbracht. Die Beweiswürdigung im Hinblick auf die wahrgenommenen Schreie des Zeugen M sei als abenteuerlich anzusehen, dabei handele es sich um eine Sachverhaltskonstruktion, die mit nichts zu beweisen sei.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Marburg vom 17. Juni 2011, Az. 2 Ca 371/10, abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 02. September 2010, zugegangen am 02. September 2010, nicht aufgelöst worden ist, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 02. September 2010 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Berufung und verteidigt das angegriffene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung vom 04. Oktober 2011 (Bl. 104 – 106 d.A.) und die Berufungsbeantwortung vom 24. Januar 2012 (Bl. 113 – 117 d.A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die nach der Art des Beschwerdegegenstandes statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers ist zulässig.
II.
Die Berufung ist jedoch in der Sache unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Das Berufungsgericht schließt sich dem angefochtenen Urteil im Ergebnis und in der Begründung an (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Der Inhalt der Berufungsbegründung gibt lediglich Anlass zu folgender Ergänzung:
1. Zu Recht ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass das Bestreiten der Verletzungen durch den Kläger angesichts der vorgelegten Atteste unsubstanziiert ist.
Daran ändert der erweiterte Vortrag des Klägers in der Berufungsinstanz nichts, denn er hat keinerlei Anhaltspunkte genannt, die dafür sprechen könnten, dass sich der Zeuge M die am 23. August 2010 von Dr. R. festgestellten Verletzungen zwischenzeitlich anderweitig zugefügt haben könnte. Vielmehr liegt es nahe, dass die Fraktur des Orbitabodens, d.h. der Bruch des Augenhöhlenbodens zur Kiefernhöhle hin, bei der ersten, möglicherweise oberflächlichen Untersuchung am 19. August 2010 nicht bemerkt wurde. Auch hier wurde bereits eine oberflächliche Gesichtsschädelprellung diagnostiziert, die keinesfalls ausschließt, dass durch die Wucht des Aufpralls der Augenhöhlenboden verletzt wurde, ohne dass dies sofort erkennbar war.
Eine ergänzende Vernehmung der den Kläger behandelnden Ärzte war danach nicht erforderlich, da der Kausalzusammenhang zwischen der Handlung des Klägers und allen festgestellten Diagnosen bei der unstreitig feststehenden Gesichtsverletzung des Zeugen M offensichtlich ist und nichts vorgetragen wurde, das für eine Unterbrechung oder einen Neubeginn der Kausalkette sprechen könnte.
2. Wegen der Würdigung der erhobenen Beweise folgt das Berufungsgericht ausdrücklich allen Argumenten in der Urteilsbegründung, die vom Kläger völlig zu Unrecht in der Berufungsbegründung als „abenteuerlich“ bezeichnet wurden. Sowohl die ausführlich gewürdigte Aussage des Zeugen N, der zwei Schläge gegen die Tür und insgesamt zwei Schmerzensschreie gehört hat, als auch das weitere, im Falle einer versehentlichen Verletzung völlig ungewöhnliche Verhalten des Klägers sprechen in eindeutiger Weise dafür, dass die vom Zeugen M sowohl vorprozessual als auch im Rahmen der Zeugenvernehmung abgegebene Erklärung, der Kläger habe ihn vorsätzlich zunächst auf die Wange unter dem linken Auge geschlagen, dann am Arm gepackt, gegen die Toilettentür gestoßen und einen Faustschlag auf den Hinterkopf versetzt, zutreffend ist.
Dieser durch entsprechende Zeugenaussagen bewiesene vorsätzliche Angriff des Klägers auf die körperliche Unversehrtheit seines Kollegen M berechtigte die Beklagte, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ohne Einhaltung der Kündigungsfrist sofort zu beenden. Auch insofern kann auf die vom Arbeitsgericht auf der zweiten Stufe der Überprüfung der außerordentlichen Kündigung durchgeführte Interessenabwägung verwiesen werden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Für die Zulassung des Rechtsmittels der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG bestand keine gesetzlich begründbare Veranlassung.