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Absonderungsanordnung des Gesundheitsamtes während Urlaub – Anwendung von § 9 BUrlG  

Landesarbeitsgericht Niedersachsen – Az.: 2 Sa 93/22 – Urteil vom 23.11.2022

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts B-Stadt vom 12. Januar 2022 – 3 Ca 430/21 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 865,08 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Gutschrift von sechs Urlaubstagen.

Der Kläger ist seit dem 1. Januar 2013 bei der Beklagten als Schlosser beschäftigt. Er erzielt bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden ein durchschnittliches Bruttomonatseinkommen in Höhe von 3.124,00 €. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge der niedersächsischen Metall- und Elektroindustrie Anwendung.

Der Kläger hat gemäß Ziffer 5 seines Arbeitsvertrages einen Jahresurlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen auf Basis einer 5-Tage-Woche. Der Kläger beantragte für den Zeitraum vom 25. Mai 2021 bis 1. Juni 2021 6 Tage Tarifurlaub, der ihm bewilligt wurde.

Während der Nachtschicht vom 21. Mai 2021 auf den 22. Mai 2021 arbeitete der Kläger mit dem Mitarbeiter Herrn X zusammen, wobei der Mindestabstand von 1,5 Metern aufgrund der Arbeitsabläufe nicht durchgängig eingehalten werden konnte. Herr X hatte trotz Erkältungssymptomen seine Arbeit aufgenommen. Bei ihm wurde eine Covid-19-Erkrankung festgestellt.

Mit Schreiben vom 27. Mai 2021 ordnete der Landkreis Helmstedt gegenüber dem Kläger für die Zeit vom 22. Mai 2021 bis einschließlich 5. Juni 2021 die häusliche Absonderung gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG als Kontaktperson der Kategorie I an.

Der Kläger war während der Zeit, für die ihm Urlaub gewährt wurde, nicht arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte rechnete die sechs Tage als genommenen Urlaub an. Der Kläger forderte die Beklagte erfolglos auf, ihm die Urlaubstage während der Quarantänezeit gutzuschreiben.

Mit seiner am 22. September 2021 beim Arbeitsgericht B-Stadt eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er hat die die Ansicht vertreten, § 9 BUrlG sei bei einer Absonderung nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG analog anzuwenden. Die häusliche Absonderung stelle eine mit der Arbeitsunfähigkeit vergleichbare Beeinträchtigung dar.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die von ihm in dem Zeitraum vom 25. Mai 2021 bis zum 1. Juni 2021 genommenen Urlaubstage nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 12. Januar 2022 hat das Arbeitsgericht B-Stadt die Klage abgewiesen. § 9 BUrlG sei eng auszulegen und könne nicht analog auf den Streitfall angewendet werden. Es fehle an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Regelungswille des Gesetzgebers des Bundesurlaubsgesetzes gehe dahin, dass alle nach Festlegung des Urlaubszeitraums (und der vorbehaltlosen Zusage des Urlaubsentgelts) eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse entsprechend § 275 Abs. 1 BGB als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers fielen. Der Arbeitgeber sei grundsätzlich nicht verpflichtet, die Gefährdung oder Vereitelung des Urlaubszweckes infolge urlaubsstörender Ereignisse durch Nachgewährung von zusätzlichen Urlaubstagen auszugleichen. Nur soweit der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien besondere Regelungen zur Nichtanrechnung von Urlaub getroffen hätten, finde eine Umverteilung des Risikos zugunsten des Arbeitnehmers statt. Solche Ausnahmen habe der Gesetzgeber in §§ 9, 10 BUrlG ausdrücklich formuliert. Ihre entsprechende Anwendung auf andere urlaubsstörende Ereignisse oder Tatbestände, aus denen sich eine Beseitigung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ergebe, komme grundsätzlich nicht in Betracht. Eine unbeabsichtigte Lücke im gesetzgeberischen Plan liege nicht vor. Es fehle auch an einer vergleichbaren Interessenlage. Die Quarantäne führe nicht typischerweise zu einer Beeinträchtigung wie eine Arbeitsunfähigkeit. Es müsse zwischen Arbeitsunfähigkeit und Erkrankung unterschieden werden. Bei einer Quarantäneanordnung gemäß § 30 IfSG sei Ursache der Nichtarbeit nicht eine Arbeitsunfähigkeit, sondern die behördliche Verfügung, die den Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG nach sich ziehe. Mangels typischer Vergleichbarkeit scheide eine analoge Anwendung auch unter dem Gesichtspunkt aus, dass der Arbeitnehmer während einer Absonderung nach § 30 IfSG den Erholungsurlaub nicht „genießen“ könne, der Erholungszweck also nicht erreicht werde. Zwar hinderten ihn die äußeren Umstände der Quarantäne daran, den Urlaub wie gewünscht zu verbringen. Er sei aber nicht typischerweise in der Erholung und Auffrischung der Arbeitsfähigkeit gehindert. Auch während der Quarantäne könne sich der Arbeitnehmer von der Arbeit erholen.

Das Urteil ist dem Kläger am 27. Januar 2022 zugestellt worden. Hiergegen hat er mit einem am 4. Februar 2022 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am Montag, den 28. März 2022 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Ziele weiter. Er wiederholt und vertieft seine Ausführungen. Er vertritt die Ansicht, § 9 BUrlG sei im vorliegenden Fall analog anwendbar. Beim Zusammentreffen von Urlaubsgewährung und nachträglicher Anordnung einer Quarantäne liege eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes vor. Mit der Urlaubsgewährung durch den Arbeitgeber sei der Anspruch des Arbeitnehmers auf Freistellung von der Arbeitspflicht für den vereinbarten Urlaubszeitraum gerichtet. Werde gegenüber dem Arbeitnehmer durch die zuständige Behörde eine häusliche Quarantäne angeordnet, werde es ihm für die Zeit der Quarantäne in der Regel aus rechtlichen Gründen unmöglich, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Folge hiervon sei nach § 275 Abs. 1 BGB, dass für den Quarantänezeitraum seine Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung entfalle. Sofern für den Zeitraum, in dem der Arbeitnehmer in häuslicher Quarantäne sei, zuvor Urlaub festgelegt worden, werde die Erfüllung der vom Arbeitgeber geschuldeten Leistung, die Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht, für den Urlaubszeitraum nachträglich unmöglich. Dies beruhe darauf, dass die Arbeitspflicht wegen der Quarantäne nicht mehr bestehe und der Arbeitnehmer von dieser nicht freigestellt werden könne. Während der angeordneten Quarantäne habe er seine Arbeitsleistung nicht erbringen können, weil er seinen Arbeitsplatz nicht habe aufsuchen dürfen. Er könne als Schlosser seine Tätigkeit ausschließlich im Betrieb der Beklagten erbringen. Für Fallgestaltungen, in denen die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers wegen Arbeitsunfähigkeit nachträglich unmöglich werde, mache § 9 BUrlG eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass hiermit auch ein Untergang des Urlaubsanspruches im Umfang der unmöglich gewordenen Freistellung einhergehe. Im Falle einer angeordneten Quarantäne sei eine Vergleichbarkeit mit der Situation eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers gegeben. § 9 BUrlG sei deshalb analog auf Fälle der Quarantäne anzuwenden.

Im Fall der Quarantäneanordnung komme es nicht darauf an, wie der Einzelne die Quarantäne empfinde oder ob er in der Lage sei, dieser positive Aspekte abzugewinnen und welche Beeinträchtigung sich für ihn angesichts der bei ihm bestehenden Vorstellung von Erholung bestünden. Eine Quarantäneanordnung stehe immer einem wesentlichen Aspekt der Urlaubsgewährung entgegen, die darin bestehe, die Urlaubsgestaltung frei zu bestimmen. Die Folgen einer Quarantäneanordnung bestünden stets in einer sehr strengen räumlichen Beschränkung, einem intensiven Kontaktverbot zu anderen Menschen und den Vorgaben, ob der Betroffene sich gegebenenfalls Untersuchungen unterziehen müsse. Diese Beeinträchtigungen durch die Quarantäneanordnungen seien mit den bei einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit einhergehenden Beeinträchtigungen in ihrer Intensität mindestens gleichwertig.

Das Arbeitsgericht B-Stadt habe zudem unberücksichtigt gelassen, dass die Quarantäneanordnung nicht seinem privaten Bereich zuzuordnen gewesen sei. Die Anordnung sei deswegen erfolgt, weil der Kläger seine ihm obliegenden arbeitsrechtlichen Pflichten erfüllt habe. Er habe mit einem Arbeitskollegen zusammenarbeiten müssen, der bereits Erkältungssymptome aufgewiesen habe, obwohl die zu bewältigenden Arbeitsläufe die Einhaltung der vorgegebenen Mindestabstände nicht ermöglicht hätten. Es hätte seitens der Beklagten Anweisungen an die Arbeitnehmer bedurft, dass diese mit Erkältungssymptomen den Arbeitsplatz nicht aufsuchen dürften oder zumindest verpflichtet seien, den Vorgesetzten vor Arbeitsantritt darüber zu informieren, damit dieser entscheiden könne, ob die Arbeit angetreten bzw. fortgesetzt werde. Damit habe die Beklagte den Maßnahmen zum Schutz der Mitarbeiter und Verhinderung der weiteren Ausbreitung des Corona-Virus nicht hinreichend Rechnung getragen und somit dazu beigetragen, dass er in einer Weise Kontakt mit einer an Covid-19 erkrankten Person gehabt habe, die eine Quarantäneanordnung zur Folge gehabt habe. Die dadurch nachträglich eingetretene Unmöglichkeit der Freistellung habe die Beklagte zu vertreten, sodass sie gemäß § 275 Abs. 1 BGB nicht von der Freistellungspflicht befreit sei.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts B-Stadt vom 12. Januar 2022 – 3 Ca 430/21 – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die von dem Kläger im Zeitraum vom 25. Mai 2021 bis 1. Juni 2021 genommenen sechs Urlaubstage nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen, sondern dem Urlaubskonto des Klägers gutzuschreiben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung als zutreffend nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 2. Juni 2022 (Bl. 121 ff. d. A.).

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der Kammerverhandlung vom 23. November 2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit zulässig (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO). Die Berufungsbegründung genügt den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 – 4 ZPO. Sie lässt erkennen, in welchen Punkten tatsächlicher und rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Klägers unrichtig ist und worauf dies im Einzelfall beruht.

B.

Die Berufung ist unbegründet.

Der Kläger kann von der Beklagten nicht verlangen, die in dem Zeitraum vom 25. Mai 2021 bis 1. Juni 2021 genommenen sechs Urlaubstage nicht auf seinen Jahresurlaub anzurechnen, sondern seinem Urlaubskonto gutzuschreiben.

I.

Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums (und der vorbehaltlosen Zusage des Urlaubsentgelts) hat der Arbeitgeber als Schuldner das nach § 7 Abs. 1 BUrlG Erforderliche getan (§ 243 Abs. 2 BGB). Alle danach eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse fallen entsprechend § 275 Abs. 1 BGB als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers. Nur soweit der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien – wie in §§ 9, 10 BUrlG – besondere Regelungen zur Nichtanrechnung von Urlaub treffen, findet eine Umverteilung des Risikos zu Gunsten des Arbeitnehmers statt. Die Bestimmungen des §§ 9, 10 BUrlG sind nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmevorschriften. Ihre entsprechende Anwendung auf andere urlaubsstörende Ereignisse oder Tatbestände, aus denen sich eine Beseitigung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ergibt, kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Somit trägt regelmäßig der Arbeitnehmer das Risiko, dass sich der Urlaubszweck nach der Urlaubsgewährung durch den Arbeitgeber nicht (vollständig) realisiert. Dieses Risiko wird regelmäßig durch innere und äußere Umstände beeinflusst, die dem persönlichen Lebensbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen sind (BAG, 25. August 2020 – 9 AZR 612/19 – Rn. 29).

II.

Der Urlaubsanspruch des Klägers im Umfang von sechs Urlaubstagen ist erfüllt und damit gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist in der vorbehaltlosen Erteilung des Urlaubs zugleich auch die konkludente Zusage der Zahlung des Urlaubsentgelts zu sehen.

Die gewährten Urlaubstage bleiben dem Kläger nicht gemäß § 9 BUrlG erhalten. Danach werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet, wenn der Arbeitnehmer während des Urlaubes erkrankt.

Bei dem Kläger lag während des streitbefangenen Zeitraums keine nachgewiesene Arbeitsunfähigkeit vor.

III.

Der Anspruch des Klägers ergibt sich nicht aus einer analogen Anwendung des § 9 BUrlG.

1.

Die analoge Anwendung einer Norm setzt voraus, dass eine vom Gesetzgeber unbeabsichtigt gelassene Lücke vorliegt und diese Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann. Anderenfalls könnte jedes Schweigen des Gesetzgebers – also der Normalfall, wenn er etwas nicht regeln will – als planwidrige Lücke aufgefasst und diese im Wege der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden. Analoge Gesetzesanwendung erfordert darüber hinaus, dass der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle. Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass ein Gericht seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt (BAG, 10. Dezember 2013 – 9 AZR 51/13 – Rn. 23).

2.

Danach kommt eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG nicht in Betracht. Es fehlt sowohl an einer planwidrigen Lücke als auch an einer vergleichbaren Interessenlage.

a.

Für den Fall der Anordnung einer Absonderung nach § 30 IfSG, die nicht mit einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers verbunden ist, ist nicht geregelt, was mit dem einem Arbeitnehmer bereits bewilligten Urlaub geschieht. Das IfSG sieht für diesen Fall keine Rechtsfolgen vor, das Bundesurlaubsgesetz ebenfalls nicht. Diese Lücke in den gesetzlichen Regelungen ist aber nicht planwidrig.

b.

Die Begriffe „Krankheitsverdächtiger“, „Ausscheider“ und – auf den Kläger zutreffend – „Ansteckungsverdächtiger“ sind als gesetzliche Kategorien seit langem bekannt. Sie wurden bereits im Bundesseuchengesetz verwendet und sind unverändert in § 2 Nr. 5, 6, 7 IfSG übernommen worden. Seit mehr als 25 Jahren vertritt das Bundesarbeitsgericht durchgehend die Auffassung, eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG auf andere ähnlich gelagerte Sachverhalte komme wegen des Ausnahmecharakters der Norm nicht in Betracht (vgl. BAG, 9. August 1994 – 9 AZR 384/92 -; BAG – 10. Mai 2005 – 9 AZR 251/04 -, BAG, 25. August 2020 – 9 AZR 612/19). Der Gesetzgeber hat die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichtes auch zur Kenntnis genommen. Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 9. August 1984 hat er mit der Einführung von (jetzt) § 24 Satz 2 MuSchG reagiert, um sicherzustellen, dass der Anspruch auf Urlaub, den eine Arbeitnehmerin gewährt bekommen (erhalten im Sinne von § 24 Satz 2 MuSchG) hat, der aber wegen eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes nicht genommen werden kann, nicht erlischt. Hätte der Gesetzgeber auch für den Fall einer Absonderung nach § 30 IfSG, sei es bereits nach der Verkündung der entsprechenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes, sei es im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, das Erlöschen des Urlaubsanspruches verhindern wollen, hätte es nahegelegen, zeitnah entsprechendes im IfSG zu regeln (vgl. LAG Schleswig-Holstein, 10. Februar 2022 – 1 Sa 208/21 – Rn. 30 bis 35). Der Gesetzgeber hat erst mit der Neufassung von § 59 Abs. 1 IfSG mit Wirkung zum 17. September 2022 geregelt, dass die Tage der Absonderung nicht mehr auf den gewährten Erholungsurlaub angerechnet werden.

c.

Gegen die Analogiefähigkeit von § 9 BUrlG sprechen auch Sinn und Zweck der Vorschrift. Mit ihr hat der Gesetzgeber bei Inkrafttreten des Bundesurlaubsgesetzes 1963 einen hergebrachten Grundsatz des Urlaubsrechtes kodifiziert. Dieser Grundsatz geht dahin, dass eine eintretende Arbeitsunfähigkeit den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers nicht mindern soll. Es handele sich um einen Sonderfall als Ausnahme von den allgemeinen Regeln des Zivilrechts. Über andere Sachverhalte – insbesondere den hier beim Kläger bestehenden Ansteckungsverdacht – ist damit nichts gesagt.

III.

Soweit der Kläger geltend macht, die Beklagte habe den Maßnahmen zum Schutz der Mitarbeiter und Verhinderung der weiteren Ausbreitung des Corona-Virus entsprechend der Corona-ArbSchV des BMAS nicht hinreichend Rechnung getragen und damit nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass er in einer Weise Kontakt mit einer an Covid-19 erkrankten Person gehabt habe, die eine Quarantäne-Anordnung zur Folge gehabt habe, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis.

Der Kläger meint, es hätte seitens der Beklagten Anweisungen bedurft, dass Arbeitnehmer mit Erkältungssymptomen den Arbeitsplatz nicht aufsuchen dürfen oder verpflichtet sind, den Vorgesetzten vor Arbeitsantritt darüber zu informieren, damit dieser entscheiden könne, ob die Arbeit angetreten bzw. fortgesetzt werde. Dem ist entgegenzuhalten, dass nicht jede Person mit Erkältungssymptomen auch an einer Covid-19-Erkrankung leidet. Eine Verhinderung der Arbeitsaufnahme eines Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bei der bloßen Möglichkeit, dass der betreffende Arbeitnehmer an Covid-19 erkrankt ist, ist nicht zulässig. Die Feststellung, ob eine Person an Covid-19 erkrankt ist, kann nicht durch einen Vorgesetzten, sondern nur durch einen entsprechenden Test geklärt werden.

Unabhängig davon ist tragend auszuführen, dass die Quarantäneanordnung nicht durch die Beklagte, sondern durch den Landkreis Helmstedt erfolgte. Die Beklagte hat mit der Festlegung des Urlaubszeitraumes gemäß § 7 BUrlG alles zur Gewährung des Urlaubs Erforderliche getan. Die danach erfolgte Anordnung der Quarantäne durch den Landkreis Helmstedt ist eine Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos, welches als urlaubstörendes Ereignis in den Risikobereich des Klägers fällt. Angesichts des engen Anwendungsbereichs von § 9 BUrlG ist es nicht gerechtfertigt, aufgrund allgemeiner Billigkeitsgesichtspunkte der Klage stattzugeben.

IV.

Der europarechtliche Mindesturlaub des Klägers wird durch die vorstehende Entscheidung nicht betroffen. Für den tariflichen Mehrurlaub gelten Artikel 7 RL 2003/88/EG und Artikel 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht. Dem Kläger stehen bei einer 5-Tage-Woche 30 Urlaubstage zu. Bei den hier in Rede stehenden sechs Arbeitstagen bleibt damit der Mindesturlaubsanspruch von 4 Wochen unberührt.

V.

Auch das weitere Vorbringen des Klägers, auf das in diesem Urteil nicht mehr eingegangen wird, weil die Entscheidungsgründe gemäß § 313 Abs. 3 ZPO lediglich eine kurze Zusammenfassung der tragenden Erwägungen enthalten sollen, führt nicht zu einem abweichenden Ergebnis.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert war gemäß § 3 ff. in Höhe des Urlaubsentgeltes für die streitbefangenen sechs Urlaubstage festzusetzen.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier in Rede stehenden Rechtsfrage nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen worden.

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