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Arbeitgeberseitige Kündigung in Unkenntnis der Schwangerschaft der Arbeitnehmerin

Kündigung in Unkenntnis der Schwangerschaft: Arbeitgeberin haftet

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz beschäftigt sich mit der Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung während der Unkenntnis der Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin. Es beleuchtet die rechtlichen Aspekte einer solchen Kündigung und die darauffolgenden Pflichten beider Parteien. Das Gericht entschied, dass die Kündigung unter diesen Umständen unwirksam ist und beschäftigte sich auch mit der Verteilung der Verfahrenskosten zwischen den Parteien.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 8 Ta 105/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Unwirksamkeit der Kündigung: Die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin, von der der Arbeitgeber keine Kenntnis hatte, ist rechtlich unwirksam.
  2. Klärung der Schwangerschaft: Die Arbeitnehmerin informierte den Arbeitgeber nach der Kündigung über ihre Schwangerschaft.
  3. Fehlende Bescheinigung: Anfangs fehlte eine ärztliche Bescheinigung über die Schwangerschaft.
  4. Nachreichung der Bescheinigung: Die Bescheinigung wurde später nachgereicht und die Schwangerschaft bestätigt.
  5. Kündigungsschutzklage: Die Arbeitnehmerin reichte eine Kündigungsschutzklage ein, um die Unwirksamkeit der Kündigung feststellen zu lassen.
  6. Anerkenntnis des Arbeitgebers: Der Arbeitgeber erkannte die Forderungen der Arbeitnehmerin an.
  7. Kostenentscheidung: Es gab eine Diskussion über die Aufteilung der Verfahrenskosten, wobei die Klägerin und die Beklagte jeweils einen Teil der Kosten tragen.
  8. Keine Revision zugelassen: Das Gericht ließ keine Rechtsbeschwerde gegen das Urteil zu.

Arbeitgeberseitige Kündigung bei Schwangerschaft: Rechtliche Herausforderungen und Urteile

Arbeitgeberseitige Kündigung bei Schwangerschaft
(Symbolfoto: Krakenimages.com /Shutterstock.com)

Im Arbeitsrecht spielen Kündigungsschutz und der besondere Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen eine zentrale Rolle. Besonders heikel wird es, wenn eine arbeitgeberseitige Kündigung ausgesprochen wird, ohne dass der Arbeitgeber von der Schwangerschaft der Arbeitnehmerin Kenntnis hat. Dies stellt eine rechtliche Grauzone dar, die sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmerinnen mit Unsicherheiten verbunden ist. Entscheidungen von Arbeitsgerichten, insbesondere des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz, bieten Orientierung in solchen Fällen. Sie legen nicht nur die Rechtslage klar dar, sondern handeln auch von den komplizierten Umständen, unter denen solche Entscheidungen zustande kommen. Dabei sind sowohl die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung als auch die damit verbundene Kostenentscheidung und das Anerkenntnisurteil von Bedeutung.

Diese Thematik wirft wichtige Fragen auf: Wie wird der Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen rechtlich gehandhabt? Welche Rolle spielt das Wissen des Arbeitgebers über die Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Kündigung? Und wie werden solche Fälle vor Gericht entschieden? Der folgende Beitrag beleuchtet einen konkreten Fall, in dem diese Fragen eine entscheidende Rolle spielen und gibt Einblick in die rechtlichen Feinheiten, die solche Fälle mit sich bringen. Lassen Sie uns gemeinsam in die Tiefen dieses spannenden und wichtigen Rechtsthemas eintauchen.

Schwangerschaft und Arbeitgeberseitige Kündigung: Ein Fall vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Im Mittelpunkt dieses Falles steht eine arbeitgeberseitige Kündigung, die in Unkenntnis der Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin ausgesprochen wurde. Die Klägerin, eine Elektrotechnikerin, war seit Juni 2021 bei der Beklagten beschäftigt und erhielt ein monatliches Bruttogehalt von 3.250 Euro. Am 8. Dezember 2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. März 2022. Daraufhin informierte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Beklagte am 14. Dezember, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kündigung schwanger war und forderte die Rücknahme der Kündigung. Zunächst fehlte eine ärztliche Bescheinigung der Schwangerschaft, die jedoch später nachgereicht wurde.

Der Weg zur Klage und das Anerkenntnisurteil

Nachdem die Bescheinigung nachgereicht wurde, reichte die Klägerin am 21. Dezember eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein ein. In dieser Klage forderte sie die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden sei, sowie die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen und die Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Die Beklagte erkannte mit Schriftsatz vom 19. Januar 2022 die Klageforderungen sofort an, woraufhin das Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein am 1. April 2022 ein Anerkenntnisurteil erließ. Interessanterweise wurde der Klägerin gemäß § 93 ZPO die Kosten des Verfahrens auferlegt, da das Gericht der Ansicht war, die Beklagte habe keinen Anlass zur Klage gegeben.

Streitpunkt Kostenentscheidung: Beschwerde und Urteilsbegründung

Die Beklagte legte gegen die Kostenentscheidung sofortige Beschwerde ein, da sie die Ansicht vertrat, sie sei zu dem Aufforderungsschreiben vom 14. Dezember nicht verpflichtet gewesen und das Arbeitsgericht habe die Auslegung von § 93 ZPO missverstanden. Die Beklagte argumentierte, dass die Klägerin keine Veranlassung zur Klageerhebung gegeben habe, da sie nicht mit der Erhebung der Kündigungsschutzklage hätte warten müssen. In ihrer abschließenden Beschwerdebegründung führte die Klägerin aus, dass sie nicht verpflichtet gewesen sei, auf eine Antwort der Beklagten zu warten, und dass es keine Selbstbindung zur Verzögerung der Klageerhebung gegeben habe.

Das abschließende Urteil des Landesarbeitsgerichts

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz entschied, dass die sofortige Beschwerde der Klägerin teilweise begründet sei. Es wurde festgestellt, dass die Klägerin 2/5 der Kosten des Hauptsacheverfahrens zu tragen habe, da die Voraussetzungen des § 93 ZPO vorlagen. Das Gericht befand, dass die Beklagte durch ihr Verhalten Anlass zur Klageerhebung gegeben habe, insbesondere weil die Kündigung als rechtsgestaltende Willenserklärung zu betrachten sei. Das Gericht stellte klar, dass das Verhalten der Beklagten maßgeblich war und die Klägerin aufgrund der fehlenden Fristsetzung im Schreiben vom 14. Dezember nicht mit der Klageerhebung hätte warten müssen.

In diesem komplexen Fall zeigt sich, wie das Arbeitsrecht schwangere Arbeitnehmerinnen schützt und wie wichtig die Rolle der Gerichte bei der Klärung arbeitsrechtlicher Streitigkeiten ist. Das Urteil verdeutlicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abwägung aller Faktoren, insbesondere wenn es um die Kündigung schwangerer Arbeitnehemerinnen geht.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Wie beeinflusst die Schwangerschaft der Arbeitnehmerin die rechtliche Bewertung einer arbeitgeberseitigen Kündigung?

Die Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin hat erhebliche Auswirkungen auf die rechtliche Bewertung einer arbeitgeberseitigen Kündigung. Gemäß § 17 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) ist die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin unzulässig. Dieser besondere Kündigungsschutz gilt ab Beginn der Schwangerschaft bis vier Monate nach der Geburt.

Wenn die Arbeitnehmerin nach der Geburt in Elternzeit geht, verlängert sich der Kündigungsschutz bis zum Ende der Elternzeit. Bei einer Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche greift der Kündigungsschutz ebenfalls bis vier Monate nach der Fehlgeburt.

Der Kündigungsschutz gilt auch, wenn die Arbeitnehmerin zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht wusste, dass sie schwanger ist. Allerdings muss sie bereits schwanger gewesen sein, als sie die Kündigung erhalten hat. Wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung nicht über die Schwangerschaft informiert war, kann die Arbeitnehmerin ihm dies innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt der Kündigung mitteilen, um den Kündigungsschutz in Anspruch zu nehmen.

Es gibt jedoch Ausnahmen, in denen eine Kündigung trotz Schwangerschaft zulässig sein kann. Dazu gehören Fälle, in denen das Unternehmen insolvent ist, der Betrieb teilweise stillgelegt wird, der Betrieb ohne qualifizierte Ersatzkraft nicht fortgeführt werden kann oder die Arbeitnehmerin eine besonders schwere Pflichtverletzung begangen hat. In diesen Fällen muss der Arbeitgeber einen schriftlichen Antrag bei der zuständigen Aufsichtsbehörde stellen. Nur wenn die Aufsichtsbehörde zustimmt, darf der Arbeitgeber der schwangeren Arbeitnehmerin kündigen.

Es ist auch wichtig zu beachten, dass der besondere Kündigungsschutz nicht für befristete Arbeitsverträge gilt. Ein befristeter Vertrag endet also auch bei Vorliegen einer Schwangerschaft zum vereinbarten Zeitpunkt.

Welche rechtlichen Konsequenzen ergeben sich aus dem Nichtvorlegen einer Schwangerschaftsbescheinigung zum Zeitpunkt der Kündigung?

Die rechtlichen Konsequenzen des Nichtvorlegens einer Schwangerschaftsbescheinigung zum Zeitpunkt der Kündigung können erheblich sein. Nach deutschem Arbeitsrecht ist eine Kündigung während der Schwangerschaft grundsätzlich unzulässig, sofern der Arbeitgeber von der Schwangerschaft weiß oder innerhalb einer bestimmten Frist davon in Kenntnis gesetzt wird.

Wenn eine Arbeitnehmerin zum Zeitpunkt der Kündigung bereits schwanger ist, aber keine Schwangerschaftsbescheinigung vorlegt, hat sie nach Erhalt der Kündigung zwei Wochen Zeit, um den Arbeitgeber über ihre Schwangerschaft zu informieren und somit den besonderen Kündigungsschutz des Mutterschutzgesetzes in Anspruch zu nehmen. Versäumt die Arbeitnehmerin diese Frist, wird die Kündigung wirksam, es sei denn, sie konnte die Frist aus einem triftigen Grund, wie beispielsweise Unkenntnis der Schwangerschaft, nicht einhalten. In diesem Fall muss sie die Mitteilung unverzüglich nach Bekanntwerden der Schwangerschaft nachholen.

Es ist zu betonen, dass die Arbeitnehmerin nicht für das Verschulden eines von ihr beauftragten Boten haftet, wenn dieser die Mitteilung verspätet überbringt. Das Landesarbeitsgericht ist in solchen Fällen angehalten, Feststellungen zur Frage der unverschuldeten Versäumung der Frist nach § 17 Abs. 1 S. 2 MuSchG zu treffen.

Zusammenfassend ist die Vorlage einer Schwangerschaftsbescheinigung zum Zeitpunkt der Kündigung nicht zwingend erforderlich, um den Kündigungsschutz zu aktivieren. Entscheidend ist, dass die Arbeitnehmerin den Arbeitgeber innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen nach Erhalt der Kündigung über ihre Schwangerschaft informiert, es sei denn, sie war dazu aus einem unverschuldeten Grund nicht in der Lage. Versäumt sie diese Mitteilung ohne triftigen Grund, kann die Kündigung rechtswirksam sein.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 8 Ta 105/22 – Beschluss vom 12.08.2022

1. Das Anerkenntnisurteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 1. April 2022 – 1 Ca 1653/21 – wird auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 25. April 2022 unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen in der Kostenentscheidung wie folgt abgeändert:

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu 3/5 und die Klägerin zu 2/5 zu tragen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu 3/5 und die Klägerin zu 2/5 zu tragen.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Gegenstand des Hauptsacheverfahrens war die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, ein Weiterbeschäftigungsantrag und die Erteilung eines Zwischenzeugnisses.

Die Klägerin ist seit dem 16. Juni 2021 als Elektrotechnikerin zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von 3.250 Euro bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 8. Dezember 2021 zum 31. März 2022. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin teilte der Beklagten daraufhin mit Schreiben vom 14. Dezember 2021 (Bl. 19 dA), zugegangen am 17. Dezember 2021, mit, dass die Klägerin bei Ausspruch der Kündigung schwanger und die Kündigung deshalb unwirksam sei. Das Schreiben lautet auszugsweise:

„… Unsere Mandantin befindet sich in der 13. Schwangerschaftswoche. Diesbezüglich übersenden wir Ihnen in der Anlage die Bescheinigung über die Schwangerschaft. … Wir fordern Sie daher auf, die Kündigung zurückzunehmen.“

Der Beklagten war die Schwangerschaft der Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Entgegen der Angaben in dem Schreiben vom 14. Dezember 2021 war eine Bescheinigung über das Vorliegen einer Schwangerschaft nicht beigefügt. Am Montag dem 20. Dezember 2021 wies der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf hin, dass die Bescheinigung über die Schwangerschaft dem Schreiben vom 14. Dezember 2021 nicht beigelegen hatte. Am 21. Dezember 2021 übersandte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin der Beklagten den Nachweis über das Bestehen einer Schwangerschaft per Post und per Fax. Am gleichen Tag ging um 11:02 Uhr die vorliegende Klage beim Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein ein. Dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten ist die Klageschrift am 28. Dezember 2021 per beA übersandt worden. Die Klägerin hat darin die nachfolgenden Anträge angekündigt:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 08.12.2021 nicht aufgelöst worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern über den Tag der letzten mündlichen Verhandlung hinaus fortbesteht.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin über den Ablauf der in der Kündigung genannten Frist und bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreits zu unveränderten Bedingungen als Elektrotechnikerin am Standort E. zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt in Höhe von EUR 3.250,00 weiter zu beschäftigen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein Zwischenzeugnis zu erteilen, welches sich auf Art, Dauer, Leistung und Führung im Arbeitsverhältnis erstreckt.

Mit Schriftsatz vom 19. Januar 2022 hat die Beklagte das „sofortige Anerkenntnis“ der Klageforderungen erklärt und beantragt, der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Das Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein hat der Klage durch Anerkenntnisurteil vom 1. April 2022, der Klägerin zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten zugestellt am 13. April 2022, stattgegeben und der Klägerin gem. § 93 ZPO die Kosten des Verfahrens auferlegt. Zur Begründung der Kostenentscheidung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, das Verhalten der Beklagten vor dem Prozess habe für die Klägerin nicht dessen Notwendigkeit rechtfertigt. Die Beklagte habe auf Grund des Schreibens vom 14. Dezember 2021 davon ausgehen dürfen, dass die Klägerin von einer Klageerhebung absehen würde, wenn die Beklagte erklären würde, aus der Kündigung keine Rechte mehr herleiten zu wollen. Mit dem Hinweis auf das Fehlen der ärztlichen Bescheinigung habe die Beklagte zum Ausdruck gebracht, das Vorliegen einer Schwangerschaft anhand der Vorlage eines ärztlichen Attests überprüfen zu wollen. Gleichzeitig habe sie damit der Klägerin zu verstehen gegeben, gegebenenfalls entsprechende kündigungsrechtliche Konsequenzen zu ziehen. Die Klägerin habe gewusst, dass die anwaltlich vertretene Beklagte die Unwirksamkeit der Kündigung nach Vorlage des Attests feststellen würde. Die Erhebung einer Kündigungsschutzklage hätte deswegen im Streitfall unterbleiben können. Die Beklagte hätte nach Vorlage des Attests am 21. Dezember 2021 der Klägerin das Angebot unterbreiten können, das Arbeitsverhältnis weiterzuführen. Dieses Angebot hätte die Klägerin gemäß § 145 ff. BGB annehmen können. Die Drei- Wochen-Frist des § 4 S. 1 KSchG habe mit Ablauf des 29.Dezember 2021 geendet. Mithin hätte bis zu diesem Zeitpunkt eine Vereinbarung der Parteien über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses geschlossen werden können, ohne dass eine vorherige Klageerhebung erforderlich gewesen wäre. Sofern eine derartige Vereinbarung bis zum 29. Dezember 2021 nicht zustande gekommen wäre, hätte die Klägerin fristwahrend noch bis zum 29. Dezember 2021 Kündigungsschutzklage erheben können. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Urteils wird auf die Begründung des Kostenausspruchs im Urteil verwiesen (Bl. 59 ff. dA).

Die Beklagte hat mit am 25. April 2022 beim Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des Arbeitsgerichts eingelegt. Sie trägt zur Begründung der Beschwerde – zusammengefasst – vor, das Arbeitsgericht verkenne, dass § 93 ZPO eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift darstelle. Sie – die Klägerin – sei zu dem Aufforderungsschreiben vom 14. Dezember 2021 nicht verpflichtet gewesen. Das Attest sei rechtzeitig vorgelegt worden – obwohl die Mitteilung der Schwangerschaft zunächst ausreiche. Es erschließe sich nicht, warum das Arbeitsgericht davon ausgehe, die Beklagte hätte automatisch nach Erhalt des Attests die geforderte Erklärung abgegeben. Es hätte genauso gut sein können, dass die Beklagte zunächst zuwartet, ob die 3-Wochen-Frist eingehalten wird. Tatsächlich habe die Beklagte bis zum 29. Dezember 2021 die geforderte Erklärung nicht abgegeben, obwohl sie bis dahin keine Kenntnis von der Erhebung der Kündigungsschutzklage gehabt habe. Dieses Verhalten der Beklagten nach Klageerhebung sei bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Der Prozessbevollmächtigten der Klägerin habe es schon aus anwaltlicher Vorsicht oblegen, rechtzeitig Klage einzureichen und nicht die 3-Wochen-Frist auszureizen. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass Arbeitnehmer nicht verpflichtet seien, Kündigungsschutzklagen zurückzunehmen, wenn der Arbeitgeber die Kündigung zurückgenommen habe und dass die meisten Rechtsschutzversicherungen verlangen würden, dass die Kündigungsschutzklagen unverzüglich eingereicht werde – ohne vorheriges Anschreiben der Gegenseite.

Die Beklagte beantragt, in Abänderung des Kostenausspruchs werden die Kosten des Verfahrens der Beklagten auferlegt.

Die Beklagte beantragt, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung – zusammengefasst – wie folgt: Die Klägerin übersehe, dass es für die Kostenfolge des § 93 ZPO auf das Verhalten der Beklagten vor Klageerhebung ankomme. Bei Klageerhebung am 21. Dezember 2020 um 11:02 Uhr habe sie noch keine Kenntnis von der Bescheinigung der Schwangerschaft gehabt. Die Klage sei in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 28. Dezember 2021 in dessen Urlaubsabwesenheit eingegangen, wovon er telefonisch unterrichtet worden sei. Diese Information sei ausreichend gewesen, um nicht mehr mit Blick auf eine „Rücknahme“ der Kündigung tätig zu werden.

Das Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein hat der sofortigen Beschwerde der Beklagten durch Beschluss vom 14. Juni 2022 nicht abgeholfen und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, es sei zutreffend, dass die Klägerin die Drei-Wochen-Frist des § 4 S. 1 KSchG nicht ausreizen musste. Wenn sie jedoch mit Schreiben vom 14. Dezember 2021 die Beklagte aufforderte, die Kündigung zurückzunehmen, bringe sie zum Ausdruck, ggf. von einer Klageerhebung absehen zu wollen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf Bl. 90 f. dA Bezug genommen.

Die Klägerin hat in ihrer abschließenden Beschwerdebegründung ausgeführt, wenn es keine Pflicht gebe, den Arbeitgeber außergerichtlich aufzufordern und sie die 3- Wochen-Frist auch nicht ausreizen müsse, könne durch eine freiwillig vorgenommene Aufforderung des Arbeitgebers keine Selbstbindung entstehen, bis zum Tag des Fristablaufes mit einer Klageerhebung zuzuwarten; zumal die Beklagte gerade nicht innerhalb der 3-Wochen-Frist an die Klägerin herangetreten sei, um eine entsprechende Vereinbarung zu treffen. Darüber hinaus habe das Gericht auch nicht gewürdigt, dass die Klage im arbeitsgerichtlichen Verfahren gerichtskostenfrei zurückgenommen werden könne. Wäre die Beklagte also innerhalb der Frist oder auch danach an die Klägerin herangetreten, hätte die Klage zurückgenommen werden können.

II.

1.

Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zulässig und teilweise begründet.

a)

Die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde ergibt sich aus § 78 Satz 1 ArbGG iVm. § 99 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Die nach §§ 99 Abs. 2 Satz 2, 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Beschwer in der Hauptsache von mehr als 600,00 EUR ist gegeben und der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt 200,00 EUR, § 567 Abs. 2 ZPO. Die Form- und Fristerfordernisse des § 569 ZPO sind ebenfalls erfüllt.

b)

Die Beschwerde ist teilweise begründet.

aa)

Gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen; dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die beklagte Partei aufgrund eines Anerkenntnisses unterliegt. Hiervon macht § 93 ZPO eine Ausnahme zugunsten der Beklagten, wenn diese keine Veranlassung zur Klage gegeben und den geltend gemachten Anspruch sofort anerkannt hat. In diesem Fall sind der Klagepartei die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, obwohl sie in der Hauptsache obsiegt hat. Ist nach einem sofortigen Anerkenntnis der Beklagten streitig, ob sie Veranlassung zur Erhebung der Klage gegeben hat, so trifft die Darlegungs- und Beweislast für die fehlende Klageveranlassung die Beklagte (vgl. BGH 21. Dezember 2006 – I ZB 17/06 – Rn. 11 mwN). Eine Partei gibt Veranlassung zur Klageerhebung, wenn ihr Verhalten vor dem Prozess aus der Sicht der Klagepartei bei vernünftiger Betrachtung hinreichenden Anlass für die Annahme bot, sie werde ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht zu seinem Recht kommen (vgl. BGH 16. Januar 2020 – V ZB 93/18 – Rn. 8 mwN). Für die Frage, ob die Beklagte Anlass zur Klage gegeben hat, kommt es auf ihr Verhalten vor dem Prozess an, zu dessen Beurteilung allerdings auch das Verhalten der Beklagten nach Klageerhebung herangezogen werden kann (vgl. dazu grundlegend BGH 27. Juni 1979 – VIII ZR 233/78 -, Rn. 21 – 22 mwN; LAG Köln 24. August 2010 – 11 Ta 32/10 – Rn. 10;

Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken 2. Februar 2021 – 5 W 55/20 – Rn. 9; Herget in: Zöller ZPO § 93 Rn. 3; MüKoZPO/Schulz 6. Aufl. § 93 Rn. 7).

bb)

Die Klägerin hat 2/5 der Kosten des Hauptsacheverfahrens zu tragen. Insoweit liegen die Voraussetzungen des § 93 ZPO vor. Die Klägerin hat diesbezüglich im Beschwerdeverfahren auch keine Einwände vorgebracht.

Das Arbeitsgericht ist zutreffend vom Vorliegen eines sofortigen Anerkenntnisses hinsichtlich aller angekündigten Anträge ausgegangen.

Hinsichtlich des Anspruchs auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses ist weder ersichtlich, noch vorgetragen, durch welches Verhalten die Beklagte der Klägerin Anlass für die Vermutung gegeben haben soll, sie werde ohne Prozess nicht zu ihrem Recht kommen. Gleiches gilt für den hier schon vor der Güteverhandlung angekündigten Weiterbeschäftigungsantrag (vgl. LAG Hamm (Westfalen) 30. Januar 2002 – 4 Ta 286/01 – Rn. 14). Da für den Streitwert sowohl der anerkannte und ausgeurteilte Weiterbeschäftigungsantrag als auch der Antrag auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses mit einem Bruttomonatsgehalt anzusetzen sind, während für den Kündigungsschutzantrag drei Bruttomonatsgehälter einzustellen sind, hat die Klägerin 2/5 der Kosten des Hauptsacheverfahrens zu tragen.

cc)

Die übrigen Verfahrenskosten hat die Beklagte zu tragen, §§ 92 Abs. 1, 91 Abs. 1 ZPO. Insoweit liegen die Voraussetzungen des § 93 ZPO nicht vor.

Die Beklagte hat hinsichtlich des Kündigungsschutzantrags durch ihr Verhalten Veranlassung zur Klageerhebung gegeben. Zwar setzt dies im Regelfall die Aufforderung der Klagepartei an die Beklagten voraus, den streitgegenständlichen Anspruch zu erfüllen, sofern sich die Beklagte nicht im Verzug befindet. Bei Kündigungsschutzanträgen ist aber zu berücksichtigen, dass es sich bei der Kündigungserklärung um eine rechtsgestaltende Willenserklärung handelt, deren „Rücknahme“ rechtlich nicht möglich ist und deren Rechtswirksamkeit bei Versäumung der aus den §§ 4,7 KSchG resultierenden 3-Wochen-Frist fingiert wird. Vor diesem Hintergrund gibt nach Ansicht der Kammer die Arbeitgeberin im Regelfall schon durch Ausspruch der Kündigung ausreichend Veranlassung zur Klageerhebung. Von diesem Grundsatz gehen vorliegend wohl auch das Arbeitsgericht und die Parteien aus.

Anders als das Arbeitsgericht, geht die Beschwerdekammer allerdings nicht davon aus, dass die Klägerin aufgrund ihres Schreibens vom 14. Dezember 2021 verpflichtet war, eine Antwort der Beklagten auf das darin liegende Angebot auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses abzuwarten. Maßgeblich ist im Rahmen des § 93 ZPO nicht, ob die Beklagte Anlass zu der Vermutung hatte, die Klägerin würde mit der Klageerhebung bis zum Ende der 3-Wochen-Frist abwarten oder gar in der Hoffnung auf eine einvernehmliche Fortführung des Arbeitsverhältnisses ganz von der Klageerhebung absehen, sondern das Verhalten der Beklagten und welche Schlüsse die Klägerin daraus ziehen durfte. Davon abgesehen hat schon die fehlende Fristsetzung im Schreiben der Klägerin vom 14. Dezember 2021 deutlich gemacht, dass von einem Zuwarten mit der Klageerhebung nicht ausgegangen werden konnte.

Die Veranlassung zur Klagerhebung ist nicht durch den Hinweis des Prozessbevollmächtigten der Beklagten auf das Fehlen der ärztlichen Bescheinigung weggefallen. Zwar konnte die Klägerin nach diesem Hinweis die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich die Beklagte auf eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses einlassen könnte. Die Klägerin musste aber weiterhin – besonders so kurz vor den Weihnachtsfeiertagen – befürchten, dass die Beklagte ihr Angebot nicht rechtzeitig vor Ablauf der 3-Wochen-Frist annehmen und sich im Anschluss auf die Rechtswirksamkeit der Kündigung berufen würde. An dieser Stelle kann, ohne ein „Nachwachsen“ der Veranlassung anzunehmen, auch Berücksichtigung finden, dass die Beklagte tatsächlich bis zur Kenntnis von der Klageerhebung am 28. Dezember 2021 – kurz vor Fristablauf – keine „Rücknahme“ der Kündigung oder eine sonstige auf Fortführung des Arbeitsverhältnisses gerichtete Willenserklärung abgegeben hat, obwohl ihr die Bescheinigung der Schwangerschaft seit dem 21. Dezember 2021 vorlag.

Auf die Frage, wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn die Beklagte erklärt hätte, bei Vorlage der Bescheinigung die Kündigung „zurückzunehmen“ muss hier nicht eingegangen werden, da die Beklagte eine solche Erklärung nicht abgegeben hat.

2.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens waren entsprechend des Obsiegens und Unterliegens im Beschwerdeverfahren aufzuteilen, §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

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