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Arbeitsverhältnis – Vertretungsbefristung

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 11 Sa 155/16 – Urteil vom 09.11.2016

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 01.12.2015 – 7 Ca 1590/15 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund Befristung zum 30.06.2015 beendet worden ist.

Der Kläger war in der Zeit vom 01.07.2008 bis zum 29.09.2008 befristet als Aushilfe in der Abteilung Archive-Bibliothek-Dokumentation wegen eines personellen Engpasses aufgrund der Erkrankung der Stelleninhaberin P bei der Beklagten, einer Rundfunkanstalt, beschäftigt. Dem befristeten Arbeitsverhältnis lagen für diesen Zeitraum sieben Befristungsvereinbarungen (Bl. 18 ff. d. A.) zugrunde. Nach einer etwas mehr als zweimonatigen Unterbrechung erfolgte aufgrund Arbeitsvertrag vom 26.11.2008 eine befristete Anstellung als Archivar für die Zeit vom 08.12.2008 bis 07.06.2009 wegen eines personellen Engpasses sowie der teilweisen Erwerbsminderungsrente der Stelleninhaberin. Mit gleichem Befristungsrund erfolgte mit Vertrag vom 02.06.2009 eine weitere Befristung für die Zeit vom 08.06.2009 bis 30.09.2010. Sodann schlossen die Parteien am 09.09.2010 einen befristeten Anstellungsvertrag für die Zeit vom 01.10.2010 bis 30.09.2012 mit dem Sachgrund der Vertretung. In dem Folgenden unter dem 23.08.2012 abgeschlossenen Vertrag ist als Sachgrund der Befristung für den Zeitraum 01.10.2012 bis 30.09.2014 ein vorübergehender betrieblicher Bedarf als Sachgrund benannt. Schließlich vereinbarten die Parteien unter dem 17.09.2014 schriftlich ein befristetes Anstellungsverhältnis für die Zeit vom 01.10.2014 bis 30.06.2015 unter Angabe eines vorübergehenden betrieblichen Bedarfs im Sinne von § 1 Abs. 1 Ziffer des Tarifvertrages über befristete Arbeitsverhältnisse bei der D W vom 17.06.2009 im Umfang einer Tätigkeit von 80 % einer Vollzeittätigkeit. Aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme in § 2 des Arbeitsvertrages vom 17.09.2014 finden neben dem bereits genannten Tarifvertrag über befristete Arbeitsverhältnisse auch der hauseigene Manteltarifvertrag der Beklagten vom 06.12.1979 auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Wegen der weiteren Einzelheiten der seit dem November 2008 abgeschlossenen fünf befristeten Arbeitsverträge wird auf Bl. 5 ff. d. A. Bezug genommen.

Der Einsatz des Klägers erfolgte im Ressort Information der Abteilung Information & Archive B als wissenschaftlicher Dokumentar in der tariflichen Funktion eines Archivars. Ressortleiterin ist Frau M , Herr N und Frau W sind Ressortkollegen. Die Kernaufgaben des Ressorts (Lektorat, Erschließung und Recherche) sind auf sämtliche Mitarbeiter des Ressorts verteilt. Die Arbeitsverteilung variiert und wird u.a. durch das aktuelle Rechercheaufkommen, Fremdsprachenkenntnisse, anstehende Informationsdienste, Teilzeit, Abwesenheiten sowie neu erscheinende oder eingestellte Publikationen beeinflusst.

Die Beklagte war neben sechs weiteren Rundfunkanstalten an dem Projekt Textmining beteiligt. Es handelt sich um die Entwicklung eines Verfahrens, welches die Möglichkeit bietet, zu archivierende Texte nach Schlagworte zu scannen und dann einer bestimmten Kategorie zuzuordnen. Durch dieses Verfahren kann der Nutzer den Aussagegehalt des jeweiligen Artikels ermitteln und das Auffinden des relevanten Informationsgehalts wird erleichtert.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 01.12.2015 (Bl. 75 ff. d. A.) festgestellt, dass die Befristungsabrede vom 17.09.2014 unwirksam ist. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte nicht hinreichend dargelegt habe, dass der Kläger mittelbar mit Vertretungsaufgaben, die durch das Projekt Textmining entstanden seien, betraut gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Gegen das ihr am 30.12.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 01.02.2016 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 31.03.2016 begründet.

Die Beklagte rügt, dass das Arbeitsgericht die Anforderungen des Arbeitgebers an die Darlegungspflicht für eine befristete Beschäftigung wegen einer prognostizierten Mehrbelastung durch ein bestimmtes Projekt überzogen habe. Bei Abschluss des letzten befristeten Arbeitsvertrages sei geplant gewesen, das Projekt Textmining Phase 2 im Juli 2015 fertig zu stellen. Durch die Projektarbeit sei eine Mehrbelastung im Ressort des Klägers entstanden. Die Mehrbelastung sei vom Kläger kompensiert worden, indem dieser Arbeitszeitanteile der Mitarbeiter, die mit der Projektarbeit befasst gewesen seien, im Bereich der Dokumentation/Recherche übernommen habe. Frau W habe 50 % ihrer Arbeitszeit dem Projekt gewidmet, die Mitarbeiter M und N je 15 bis 20 %. Die bisherige Projektarbeit habe nach Projektbeendigung in produktive Regelarbeit umgewandelt werden sollen. Zudem habe festgestanden, dass ein erheblicher Teil der Tätigkeiten des Klägers aus dem gemeinsamen Aufgabenpool aufgrund von Angebotsreduzierung infolge von Budgetkürzungen entfallen würde.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichtes Bonn vom 01.12.2015,7 Ca 1590/15, aufzuheben und die Klage des Klägers abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 01.12.2015, Az.: 7 Ca 1590/15, zurückzuweisen.

Der Kläger rechtfertigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Weder sei die Kausalität zwischen erhöhtem Arbeitsanfall und befristeter Beschäftigung des Klägers erkennbar noch seien die von der Beklagten vorgetragenen Prozentsätze zur Mehrbelastung aufgrund der Projektarbeit nachvollziehbar. Die Tätigkeit des Klägers sei seit dem Ausscheiden der ursprünglich vertretenen Mitarbeiterin P unverändert geblieben. Eine konkrete Auswirkung der Aufgabenreduzierung auf die Prognoseentscheidung sei von der Beklagten nicht dargetan.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 29.03.2016 und 06.05.2016, die Sitzungsniederschriften vom 21.09.2016 und 09.11.2016 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und sie wurde form- und fristgerecht im Sinne des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt.

II. Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat mit überzeugenden Gründen, denen sich das Berufungsgericht anschließt und auf die zwecks Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, zutreffend festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund des befristeten Arbeitsvertrags vom 17.09.2014 mit Ablauf des 30.06.2015 beendet worden ist. Die Ausführungen in der Berufungsbegründung rechtfertigen keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

1. Ein sachlicher Grund für die Befristung eines Arbeitsvertrags liegt nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG vor, wenn der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht. Ein vorübergehender Beschäftigungsbedarf kann sowohl durch einen vorübergehenden Anstieg des Arbeitsvolumens im Bereich der Daueraufgaben des Arbeitgebers entstehen als auch durch die Übernahme eines Projekts oder einer Zusatzaufgabe, für deren Erledigung das vorhandene Stammpersonal nicht ausreicht. Der Sachgrund des vorübergehenden Mehrbedarfs setzt voraus, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, dass nach dem vorgesehenen Vertragsende für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers kein dauerhafter betrieblicher Bedarf mehr besteht. Hierüber hat der Arbeitgeber bei Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags eine Prognose zu erstellen, der konkrete Anhaltspunkte zugrunde liegen müssen. Die Prognose ist Teil des Sachgrunds für die Befristung. Die tatsächlichen Grundlagen für die Prognose hat der Arbeitgeber im Prozess darzulegen (BAG, Urt. v. 27.07.2016 – 7 AZR 545/14 – m. w. N.). Es muss mit hinreichender Sicherheit zu erwarten sein, dass nach dem vorgesehenen Vertragsende für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers kein dauerhafter betrieblicher Bedarf mehr besteht. Es reicht nicht aus, wenn sich lediglich unbestimmt abzeichnet, dass die Tätigkeit des Arbeitnehmers in Zukunft entbehrlich sein werde (BAG, Urt. v. 15.10.2014 – 7 AZR 893/12 – m. w. N.). Wird der vorübergehende Mehrbedarf (teilweise) auf Stammmitarbeiter verteilt entsteht dadurch ein vorübergehender Vertretungsbedarf (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG). Der Sachgrund der Vertretung kommt bei einem anderweitigen Einsatz eines Stammarbeitnehmers im Unternehmen allerdings nur in Betracht, wenn der Arbeitgeber die damit verbundene Umorganisation unmittelbar oder mittelbar mit einer befristeten Neueinstellung verknüpft, der befristet beschäftigte Arbeitnehmer also unmittelbar für die anderweitig eingesetzte Stammkraft beschäftigt wird oder sich die Verbindung zu diesem anderweitigen Einsatz durch eine Vertretungskette vermittelt. Es reicht hingegen nicht aus, wenn die Einstellung des befristet beschäftigten Arbeitnehmers lediglich wegen der „gedanklichen Zuordnung“ dem vorübergehend im Unternehmen anderweitig eingesetzten Beschäftigten zugeordnet werden kann (BAG, Urt. v. 10.07.2013 – 7 AZR 761/11 – m. w. N.). Die Vertretungsbefristung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG ist ein Unterfall des vorübergehenden betrieblichen Mehrbedarfs im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG. Die Sachgründe unterscheiden sich nur darin, dass bei der Vertretung der Bedarf an Arbeitskräften unverändert besteht, während im Fall des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG ein vorübergehender Arbeitskräftemehrbedarf besteht (BAG, Urt. v. 16.01.2013 – 7 AZR 661/11 – m. w. N.).

2. Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen ist zunächst festzustellen, dass die Beklagte sich auf die Rechtfertigung einer Vertretungsbefristung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG beruft. Durch den aufgrund des Projekts Textmining verursachten Zusatzbedarfs, welcher dem Umfang nach durch Mitarbeiter des Ressorts im Umfang der Arbeitszeit des Klägers abgedeckt worden sein soll, sei ein Vertretungsbedarf im originären Einsatzbereich der Abteilung Information & Archive Bonn entstanden. Eine unmittelbare Vertretung der Arbeitnehmer M , N und W durch den Kläger hat die Beklagte nicht konkret dargetan. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass der Kläger ausschließlich die Aufgaben zu übernehmen hatte, die die genannten Mitarbeiter ohne die Projektarbeit erledigt hätten. Hinsichtlich der Tätigkeit von Frau W wäre dies auch deshalb nicht möglich gewesen, weil diese – anders als der Kläger – über Kenntnisse der spanischen und der französischen Sprache verfügt, die sie zur ordnungsgemäßen Aufgabenerledigung einsetzen muss. Vielmehr handelt es sich unter Zugrundelegung des Beklagtenvortrags bei dem Einsatz des Klägers – nach den Darlegungen der Beklagten – um eine Mischform unmittelbarer und mittelbarere Vertretungstätigkeit aufgrund der spezifischen Arbeitsorganisation der Beklagten. Durch den gebildeten Aufgabenpool und den ständig wechselnden Arbeitsaufgaben können dem Kläger sowohl unmittelbar als auch mittelbar Tätigkeiten der Vertretenen zufallen. Welche Tätigkeiten der Vertretenen aus dem Aufgabenpool im Einzelnen unmittelbar oder mittelbar dem Kläger übertragen worden sind, bleibt jedoch unklar. Aufgrund der Poolorganisation der Beklagten ist die Zuordnung bestimmter Aufgaben als Vertretungsaufgaben nicht nachvollziehbar. Nicht einmal Inhalt und zeitlicher Umfang der Poolaufgaben der Vertretenen sind konkret bestimmbar. Es lässt sich daher auch nicht mit hinreichender Bestimmtheit sagen, dass die Aufgabenerledigung des Klägers ursächlich auf den Ausfall der Vertretenen im originären Arbeitsbereich zurückzuführen ist. Durch die Ungewissheit des Inhalts der Vertretungstätigkeiten lässt sich auch nicht nachvollziehen, ob der von der Beklagten dargelegte Zeitumfang der Vertretungstätigkeiten nebst Prognose des vorübergehenden Vertretungsbedarfs plausibel ist. Die bloße Übertragung von Arbeitszeitanteilen ohne Zuordnung zu bestimmten, gerichtlich überprüfbaren Tätigkeiten vermag die Annahme, der Arbeitnehmer sei gerade wegen des Vertretungsbedarfs eingestellt worden, nicht zu begründen. Soweit die Beklagte behauptet, bereits bei Abschluss des letzten befristeten Arbeitsvertrages sei eine Reduzierung der Tätigkeiten aus dem Aufgabenpools infolge von Budgetkürzungen zu erwarten gewesen, überzeugt dies nicht. Es bleibt offen, welche Änderung der Arbeitsorganisation zum 30.06.2015 von wem wann vor Abschluss des Anstellungsvertrages vom 17.09.2014 verbindlich getroffen wurde und wie sich dies im Einzelnen auf den Einsatzbedarf des Klägers auswirkt.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

 

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