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Arbeitsvertragsbefristung aufgrund von Personalengpässen wegen Jahresurlaub der übrigen Arbeitnehmer

Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven, Az.: 4 Ca 4196/11

Urteil vom 21.08.2012

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der am 20.06.2011 vereinbarten Befristung am 31.01.2012 beendet worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Paketzusteller weiter zu beschäftigen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf EUR 7.456,00 festgesetzt.

5. Die Berufung wird – soweit sie nicht bereits kraft Gesetzes statthaft ist – nicht zugelassen.

Tatbestand

Arbeitsvertragsbefristung aufgrund von Personalengpässen wegen Jahresurlaub der übrigen Arbeitnehmer
Symbolfoto: JLPfeifer/Bigstock

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Befristungsabrede.

Der Kläger ist seit dem 15.04.2009 bei der Beklagten als Paketzusteller auf Basis mehrerer befristeter Arbeitsverträge tätig. Die Parteien schlossen folgende befristete Arbeitsverträge ab:

15.04.2009 bis 11.07.2009

12.07.2009 bis 31.12.2009

22.01.2010 bis 31.03.2010

01.04.2010 bis 30.04.2010

01.05.2010 bis 31.08.2010

05.07.2010 bis 31.08.2010

01.09.2010 bis 31.01.2011

01.02.2011 bis 30.04.2011 und zuletzt

01.07.2011 bis 31.01.2012

Zuletzt erhielt der Kläger ein monatliches Bruttoentgelt von EUR 1.864,00 bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden.

Der letzte befristete Arbeitsvertrag der Parteien vom 20.06.2011 für den Zeitraum vom 01.07.2011 bis zum 31.01.2012 im Zustellbereich …… lautet auszugsweise wie folgt:

„kalendermäßig befristet für die Zeit bis zum 31.01.2012,

Grund: Vertretung wegen vorübergehender Abwesenheit der Mitarbeiter …, November/Dezember Starkverkehr“

Es wird für den weiteren Inhalt des Arbeitsvertrages auf Blatt 7 d. A. Bezug genommen.

Der Kläger vertrat die im Vertrag genannten Kollegen während deren Erholungsurlaub in der Zeit vom 01.07.2011 bis 30.10.2011 sowie in der Zeit vom 23.01.2012 bis 30.01.2012. Hinsichtlich der einzelnen Vertretungsabschnitte wird auf Bl. 17 und 18 d.A. Bezug genommen.

Die Beklagte richtet regelmäßig um die Weihnachtsmonate wegen Mehrbedarfs sog. Entlastungsbezirke ein, um das anlassbedingt vermehrte Postaufkommen zu bearbeiten.

Hierzu erfasst die Beklagte statistisch die jährlich anfallenden Postmengen. Weiterhin erfasst die Beklagte die Urlaubswünsche ihrer Mitarbeiter in Urlaubslisten. Für etwaige Mehrbedarfe an Personal für Vertretungsfälle, hält die Beklagte eine Personalreserve von 26 % der Beschäftigten bereit.

Der Kläger hat gegen die Befristung des Arbeitsverhältnisses am 29.12.2011 Klage erhoben.

Der Kläger behauptet, die Beklagte habe am 20.06.2011 nicht sicher prognostizieren können, dass ein Bedarf an seiner Arbeitskraft über den 31.01.2012 hinaus nicht mehr bestehe. Vielmehr habe sich auch durch den verstärkten Onlineversand ein Mehrbedarf an Personal ergeben. Bei der Beklagten sei zudem beabsichtigt, einen weiteren sog. Entlastungsbezirk einzurichten.

Die Befristung sei jedenfalls nicht durch einen Sachgrund hinreichend gerechtfertigt.

Der Kläger beantragt,

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht auf Grund der am 20.06.2011 vereinbarten Befristung am 31.01.2012 beendet worden ist.

2. Im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1.) wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Paketzusteller weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, der Kläger sei vom 01.07.2011 bis zum 30.10.2011 überwiegend als Vertretung für Urlaubszeiten der im Vertrag genannten Kollegen eingesetzt worden. Der Mehrbedarf für die Monate November und Dezember 2011 im Rahmen des sog. Starkverkehrs sei zuverlässig anhand der Vorjahresdaten prognostiziert worden. Weiter werde der Mehrbedarf durch den Onlineversand nicht durch zusätzliche Entlastungsbezirke aufgefangen, sondern durch Umbaumaßnahmen in den bereits bestehenden Filialen. Im Bereich der Niederlassung Bremen stünden diese jedoch nicht mehr im Jahre 2012 an.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien, deren Anlagen, sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist nicht durch die Befristung zum 31.01.2012 beendet worden, sondern besteht unbefristet fort.

1. Der Klagantrag zu 1.) ist zunächst zulässig als Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO, da es sich hierbei um die nach § 17 S. 1 TzBfG statthafte Klageart handelt.

2. Der Klagantrag zu 1.) ist auch begründet.

Die Befristung des Klägers wegen eines Sachgrundes ist unwirksam, sodass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien gemäß § 16 S. 1 TzBfG als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt. Es liegt kein zulässiger Sachgrund im Sinne von § 14 Abs. 1 TzBfG vor, da mangels einer fundierten Zukunftsprognose nicht feststeht, dass über den 31.01.2012 hinaus kein Bedarf mehr an der Arbeitsleistung des Klägers besteht.

Zur Überprüfung stand hier nur der letzte Arbeitsvertrag vom 20.06.2011. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unterliegt bei mehreren aufeinander folgenden Befristungen grundsätzlich nur der letzte Vertrag der Befristungskontrolle (vgl. BAG 08.05.1985, 7 AZR 191/84). Die Rechtswirksamkeit der Befristung richtet sich nach den bei Vertragsschluss vorliegenden Umständen. Später eintretende Entwicklungen sind ohne Einfluss auf die Befristung, wenn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses sachliche Gründe für die Befristung vorlagen (vgl. BAG, 12.01.2000, 7 AZR 863/98).

Die Beklagte nennt als Grund für die Befristung einerseits die Vertretung von urlaubsbedingt abwesenden Mitarbeitern, andererseits den sog. Starkverkehr im November und Dezember 2011.

Es kann an dieser Stelle dahinstehen, ob der Starkverkehr für die Monate November und Dezember einen entsprechenden Sachgrund im Sinne von § 14 Abs. Nr. 1 TzBfG darstellt, da bereits die urlaubsbedingte Vertretung der im Vertrag genannten Kollegen keinen hinreichenden Sachgrund für die Befristung des Vertrages im Sinne von § 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG darstellt.

§ 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG erfasst die Befristung von Arbeitsverträgen zur Vertretung anderer Arbeitnehmer, die wegen Krankheit, Beurlaubung oder ähnlicher Gründe zeitweilig an der Arbeitsleistung verhindert sind. Der sachliche Grund für die Befristung liegt in Fällen der Vertretung darin, dass der Arbeitgeber bereits zu dem vorübergehend ausfallenden Mitarbeiter in einem Arbeitsverhältnis steht und mit dessen Rückkehr an den Arbeitsplatz rechnet. Deshalb besteht für die Wahrnehmung der an sich dem ausfallenden Arbeitnehmer obliegenden Tätigkeiten durch eine Vertretungskraft von vornherein nur ein zeitlich begrenztes Bedürfnis (vgl. BAG 05.06.2002, 7 AZR 201/01, BAG 02.07.2003, 7 AZR 523/02).

Der Arbeitgeber ist an dieser Stelle verpflichtet, anhand von Tatsachen eine Prognose anzustellen, aus der sich ergibt, dass über die Befristung hinaus kein Bedarf an der Arbeitsleistung des befristet beschäftigten Arbeitnehmers besteht (BAG, 07.04.2004, 7 AZR 441/03). Die Prognose hat sich darauf zu beziehen, ob im Zeitpunkt des Ablaufs der Befristung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit kein Bedarf mehr an der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers besteht. Wird erneut befristet beschäftigt, erweist sich die frühere Prognose zumeist als unzutreffend. Die Anforderungen an weitere Prognosen steigt mit jedem neuen Vertrag (BAG, 22.11.1995, 7 AZR 252/95).

Dem Sachgrund der Vertretung eines vorübergehend an der Arbeitsleistung verhinderten Arbeitnehmers wohnt der Gedanke inne, dass es sich hierbei um eine Situation handeln muss, in der der Arbeitgeber eine unvorhergesehene Vertretungssituation wie eine längerfristige Erkrankung oder eine Beurlaubung wegen Elternzeit oder Ähnliches bewältigen muss. Die Gewährung des jährlichen Urlaubes stellt jedoch keine unvorhersehbare Vertretungssituation dar, sondern folgt Jahr für Jahr direkt aus § 1 BUrlG. Diese durch den normalen Jahresurlaub entstehenden Personalengpässe gilt es sodann durch eine entsprechende Planung zu organisieren (vgl. LAG Hamm, 21.04.2004, 11 Sa 688/04).

Der Beklagten ist bereits zu Beginn eines jeden Jahres bekannt, wie viel Urlaub einem jeden Arbeitnehmer zu gewähren ist. Die Situation des Urlaubes ist insoweit von anderen bezahlten Freistellungsansprüchen abzugrenzen und nicht mit diesen gleichzusetzen. Der reguläre Erholungsurlaub ist Teil des arbeitgeberseitigen Betriebsrisikos. Die hiermit zusammenhängende Organisationsverpflichtung, kann der Beklagten nicht dadurch genommen werden, dass diese den Kläger zur Lösung eines stets wiederkehrenden Personalbedarfes befristet beschäftigt. Der Beklagten gelingt insoweit keine hinreichend auf Tatsachen basierende Prognose hinsichtlich des zukünftigen Beschäftigungsbedarfes. Es ist nicht ersichtlich weshalb nicht auch über den 31.01.2012 hinaus Bedarf an der Arbeitsleistung des Klägers bestehen sollte.

Die Beklagte legte nicht dar, inwiefern es sich bei den Urlaubswünschen der weiteren Mitarbeiter während der befristeten Beschäftigung des Klägers um ungewöhnlich zahlreiche Urlaubszeiten gehandelt haben mag. Die seitens der beklagten mitgeteilten Urlaubszeiten der Kollegen des Klägers reihten sich vielmehr aneinander an, so dass nicht von einer ungewöhnlichen hohen Ansammlung urlaubsbedingter Abwesenheiten ausgegangen werden kann. Vielmehr obliegt es auch der Beklagten, Urlaub nur in einem solchen Umfang und in einer solchen zeitlichen Verteilung zu gewähren, dass die Betriebsabläufe gesichert sind. Es bleibt vielmehr unklar, ob der Beschäftigungsbedarf nicht Jahr für Jahr in gleicher Weise erneut entsteht.

Die Parteien schlossen bereits neun Mal aufeinander folgend – von einer Unterbrechung von lediglich drei Wochen abgesehen – seit dem 15.04.2009 befristete Arbeitsverträge ab. Dem von Befristung zu Befristung steigenden Maß an erforderlicher Sicherheit der Prognose, wird die Beklagte indes nicht durch die pauschale Begründung gerecht, nach Ablauf des 31.01.2012 bestehe kein Bedarf mehr an der Arbeitsleistung des Klägers.

II.

Der Klagantrag zu 2.) ist ebenfalls zulässig und begründet.

Dem Kläger steht auch ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen über der Ablauf Befristung hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu.

Ein solcher Beschäftigungsanspruch ergibt sich letztlich aus dem verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers gemäß Art. 1, 2 GG, das ihm im bestehenden Arbeitsverhältnis seine vertragsgemäße Betätigung sichert. Für den Fall des gekündigten Arbeitsverhältnisses überwiegt dieses Beschäftigungsinteresse jedenfalls dann das entgegenstehende Interesse des Arbeitgebers, wenn gleichzeitig ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes erstinstanzliches Urteil ergeht. Insoweit folgt die Kammer der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 27.02.1985 – GS 1/84).

Tatsachen, die ein besonderes Arbeitgeberinteresse an der Nichtbeschäftigung des Klägers begründen könnten, sind nicht vorgetragen worden.

Dieser Weiterbeschäftigungsanspruch ist auf den Zeitraum bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits beschränkt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Der Wert des Streitgegenstands war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen, seine Höhe folgt aus § 42 GKG und 3 ff ZPO. Für den Entfristungsantrag waren drei Bruttomonatsgehälter à EUR 1.864,00, für den Weiterbeschäftigungsantrag ein weiteres Bruttomonatsgehalt, anzusetzen.

Das Urteil ist gemäß § 62 Abs. 1 ArbGG vorläufig vollstreckbar.

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