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Einseitige Lohnanpassung durch Arbeitgeber – Vereinbarung einer Arbeitszeit von bis zu 260 Stunden

ArbG Essen – Az.: 6 Ca 2751/10 – Urteil vom 19.01.2011

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 335,89 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2010 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab September 2010 eine monatliche Bruttovergütung von 2.767,13 € zu zahlen.

3. Die Kosten werden der Beklagten auferlegt.

4. Streitwert: 10.009,52 €.

5. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Entgeltansprüche des Klägers vor dem Hintergrund einer Lohnanpassung.

Der Kläger ist seit dem 02.12.1999 bei der Beklagten, die ein Speditionsunternehmen betreibt, beschäftigt. Der Arbeitsvertrag enthält unter anderem die folgenden Regelungen:

„1. Vertragsgrundlagen sind die jeweils zwischen den Arbeitgeber- und Arbeitnehmer- Organisationen gültigen Lohn- und Manteltarifverträge. […]

7. Arbeitsentgelt

a) für eine monatliche Arbeitszeit bis zu 260 Stunden, exklusive gesetzlicher Pause

b) der monatliche Brutto-Lohn beträgt DM 5.000,00

c) Einsatzstunden (ab 261) werden mit gesetzlichen und/oder tariflichen Zuschlägen vergütet. […]“

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 5-8 d. A. Bezug genommen. Zuletzt erhielt der Kläger einen monatlichen Bruttolohn von 2767,13 €. Die Arbeitszeit des Klägers schwankte regelmäßig unterhalb von 260 Stunden.

Die Beklagte hat dem Kläger im Juli 2010 einen Entwurf für einen neuen Arbeitsvertrag über 1866,97 € brutto pro Monat bei der tariflichen Arbeitszeit von 174 Stunden pro Monat vorgelegt, diesen hat der Kläger nicht angenommen. Wegen der Einzelheiten des Arbeitsvertragsentwurfes wird auf Bl. 9-14 d. A. Bezug genommen.

Im Monat August 2010 hat die Beklagte nicht mehr ein Festgehalt von 2767,13 € brutto gezahlt, sondern ein Grundgehalt von 1830,08 € brutto sowie die Vergütung für die tatsächlich geleisteten Überstunden nebst Zuschlägen in Höhe von 601,16 € ausbezahlt.

Der Kläger begehrt die Auszahlung der Differenz zum bisherigen Festgehalt in unstreitiger Höhe, sowie die Feststellung, dass die Beklagte zur Zahlung der bisherigen Vergütung verpflichtet ist. Er ist der Meinung, die Beklagte habe nicht einseitig die Vergütung verändern dürfen.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 335,89 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.09.2010 zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab September 2010 eine monatliche Bruttovergütung von 2.767,13 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Meinung, der nunmehrige Auszahlungsmodus stelle letztlich keine Abweichung von den bisherigen Vereinbarungen dar. Die Regelung zur Arbeitszeit verstoße gegen das Arbeitszeitgesetz und sei daher nach §§ 134, 139 BGB teilnichtig. Demgegenüber könne die Beklagte nicht zur Zahlung des vollen Lohnes verpflichtet bleiben. Es sei im Wege ergänzender Vertragsauslegung ein Verhältnis zwischen dem fiktiven Stundenlohn aus brutto 2767,13 €/m geteilt durch 260h/m zu bilden. Die sich so ergebenden brutto 10,64 €/h führten sodann bei der tariflichen Grundarbeitszeit von 40 Stunden pro Woche zu einem Monatslohn von 1830,08 € brutto. Mehrarbeitsstunden über die 40h/w hinaus seien insofern entsprechend dem Stundenlohn zuzüglich tariflicher Zuschläge zu vergüten.

Es sei allgemein anerkannt, dass bei einer Arbeitszeitänderung aufgrund gesetzlicher Vorschriften die Vergütung proportional anzupassen sei. Dies müsse schon deshalb gelten, weil sich die Beklagte ihrerseits ebenfalls nicht auf eine Änderungskündigung berufen könne.

Die Klage ist am 27.09.2010 beim Arbeitsgericht F. eingegangen und der Beklagten am 05.10.2010 zugestellt worden.

Wegen des umfangreichen weiteren Vorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen, sowie die Terminsprotokolle ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig. Insbesondere besteht ein Feststellungsinteresse für den Antrag zu 2. nach § 256 ZPO, da die Beklagte sich gegenüber dem Kläger auf die Möglichkeit zur Anpassung der Vergütung beruft.

Die Klage ist auch begründet.

A. Der Kläger kann die Nachzahlung von Lohn für die streitgegenständlichen Monate in der beantragten, unstreitigen Höhe verlangen. Ein diesbezüglicher Anspruch folgt aus § 611 BGB i.V.m. dem geschlossenen Arbeitsvertrag. Hiernach steht dem Kläger die Zahlung einer Vergütung in Höhe von 2767,13 € brutto pro Monat zu.

I. Die Parteien haben nicht einvernehmlich den Vertrag abgeändert. Der Entwurf der Beklagten für einen neuen Arbeitsvertrag ist vom Kläger unstreitig nicht angenommen worden.

II. Die Beklagte konnte die Vergütung nicht einseitig anpassen.

1. Hierzu ist sie nicht durch Ausübung des Direktionsrechtes berechtigt. Das Direktionsrecht gestattet Art, Zeit und Ort der Arbeitsleistung näher zu bestimmen, nicht aber, die vertraglichen Festlegungen einseitig zu ändern (§ 106 GewO; vgl. BAG vom 23.09.04; Künzel, in APS, 3. Auflage 2007 m.w.N.). Der Arbeitsvertrag normiert dabei eine feste monatliche Vergütung von zuletzt 2767,13 € brutto, so dass für eine Anwendung des Direktionsrechts kein Raum bleibt.

2. Die Beklagte kann auch nicht hiervon abweichend nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung die tarifliche Grundarbeitszeit von 174 Stunden zu Grunde legen. Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt in Betracht, wenn auch nach Auslegung eines Rechtsgeschäfts eine planwidrige Regelungslücke verbleibt, die ausfüllungsbedürftig ist (vgl. Busche, in MüKo, § 157 BGB Rn. 26 ff.).

a. Dabei ist die ergänzende Vertragsauslegung hier schon deshalb ausgeschlossen, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Die im Arbeitsvertrag getroffene Arbeitszeitregelung ist nicht nach §§ 134, 139 BGB teilnichtig. Die Vereinbarung einer monatlichen Arbeitszeit von „bis zu 260 Stunden“ verstößt insbesondere nicht gegen das Arbeitszeitgesetz.

aa. Nach § 3 S. 2 ArbZG kann die tägliche Arbeitszeit ausnahmsweise zehn Stunden betragen, so dass bei sechs Arbeitstagen pro Woche (vgl. Wank, in EK, 11. Auflage 2011, § 3 ArbZG Rn. 2) sich eine wöchentlich grundsätzlich zulässige Arbeitszeit von 60 Stunden ergibt. Bei 52 Wochen pro Jahr folgt hieraus pro Monat eine grundsätzliche zulässige Stundenzahl von 260. Der Arbeitgeber kann diese Arbeitszeit nur nicht dauerhaft abrufen, da § 3 S. 2 ArbZG gerade einen Durchschnitt von acht Arbeitsstunden pro Tag innerhalb des Ausgleichszeitraumes vorsieht.

bb. Nichts anderes ergibt sich aus Sicht der Kammer aus der zwischen den Parteien vereinbarten Regelung. Der Kläger ist zwar – gesetzeskonform – verpflichtet, 260 Stunden zu arbeiten, aber eben nicht in jedem Monat („bis zu 260 Stunden“). Damit bildet die Regelung letztlich nichts anderes ab, als das Arbeitszeitgesetz selbst vorsieht, nämlich, dass durchaus in einem Monat 260 Stunden zu arbeiten seien können, sofern der sechs-Monats-Durchschnitt bei acht Stunden liegt.

b. Darüber hinaus stellt sich die Bildung eines Verhältnisses der höchstzulässigen monatlichen Stundenzahl zum Fixgehalt aus Sicht der Kammer nicht als zulässige Ausfüllung einer Regelungslücke zur Arbeitszeit dar.

Ginge man mit der Beklagten von einem Grundsatz aus, dass sich bei Änderung der Arbeitszeit aufgrund gesetzlicher Grenzen automatisch auch die Vergütung ändern soll, würde dies nicht dem im Arbeitsvertrag niedergelegten Willen der Parteien entsprechen. Die Beklagte bezieht sich insofern auf die Entscheidung des BAG vom 28.01.2004, 5 AZR 530/02 wiedergegeben bei Bauer/Krieger in Betriebsberater 2004, 549, 550. Diese führen aus:

„Damit passen sich arbeitsvertragliche Vergütungsvereinbarungen automatisch an reduzierte Arbeitszeiten durch die arbeitszeitrechtliche Gleichstellung von Bereitschaftsdienst und Vollarbeit an. Einer Änderung des Arbeitsvertrages durch Änderungskündigung bedarf es in aller Regel nicht. Einzig in den praktisch kaum denkbaren Fällen, dass dem Arbeitsvertrag kein unmittelbares Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, also zwischen Arbeitszeit und Vergütung, zu entnehmen sein sollte, muss im Wege einer Änderungskündigung eine Anpassung des Vertrages an die aktuelle arbeitszeitrechtliche Rechtslage auch im Hinblick auf die Vergütung erreicht werden.“ (Bauer/Krieger, a.a.O.)

Ebenjene Ausnahme liegt jedoch vor. Die Parteien haben im Arbeitsvertrag eine fixe Monatsvergütung (2767,13 €) bei variabler Inanspruchnahme (bis zu 260 Stunden) vereinbart, so dass es gerade an einem festen Verhältnis zwischen Arbeitszeit und Vergütung fehlt. Dies zeigt sich umso mehr, als zwischen den Parteien unstreitig ist, dass vom Kläger jeweils unterschiedlich viele Stunden pro Monat geleistet wurden, indes aber die Vergütung stets 2767,13 € betrug.

Daran ändert auch nichts, dass ein Arbeitgeber grundsätzlich immer die Möglichkeit hat, weniger als die geschuldete Arbeitszeit abzurufen. In diesem Fall trifft ihn nämlich regelmäßig die Pflicht zur vollen Vergütungszahlung nach § 615 BGB.

 

c. Dies widerspricht auch nicht dem arbeitsrechtlichen Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“ (vgl. Preis, in EK, 11. Auflage 2011, § 614 BGB Rn. 4). Der Kläger erhält lediglich eine fixe Vergütung für die Leistung von „bis zu 260 Stunden“ im Monat, also je nachdem die tatsächliche Ableistung der Stunden oder die Bereitschaft, innerhalb der vom Arbeitszeitgesetz gesteckten Grenzen tätig zu sein.

3. Im Übrigen handelt es sich bei der getroffenen Vereinbarung um eine pauschalierte Überstundenabgeltung, da die Parteien mit der vereinbarten Vergütung auch die vom Kläger zu leistenden Überstunden abgelten wollten (vgl. BAG vom 01.09.2010 – 5 AZR 517/09). Dabei erfordert bereits das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB die arbeitsvertragliche Festlegung der danach zu leistenden Arbeitszeit (ebenda); nicht anders kann die getroffene arbeitsvertragliche Vereinbarung verstanden werden. Um von der vereinbarten Pauschalierung auf die „Spitzabrechnung“ umzustellen, ist der Arbeitgeber auf den Ausspruch einer Änderungskündigung – und nicht lediglich die Ausübung des Direktionsrechtes – verwiesen (vgl. BAG vom 23.11.2000 – 2 AZR 547/99).

B. Aus denselben Gründen kann der Kläger auch die begehrte Feststellung verlangen.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der Streitwert war nach §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 3 ff. ZPO im Urteil festzusetzen. Gründe im Sinne von § 64 Abs. 3 ArbGG für die Zulassung der Berufung, die nach § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG kraft Gesetzes zulässig ist, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

 

 

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