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Erschütterung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen angezweifelt werden kann, insbesondere wenn sie die Dauer der Kündigungsfrist exakt abdecken und der Arbeitnehmer unmittelbar nach deren Ende eine neue Beschäftigung aufnimmt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 5 AZR 137/23  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Liste der zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen: Kann infrage gestellt werden, wenn zeitliche Übereinstimmungen mit Kündigungsfristen bestehen.
  2. Fallbeispiel: Arbeitnehmer legt nach Kündigung Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, die bis zum Ende der Kündigungsfrist reichen.
  3. Neue Beschäftigung direkt nach Kündigungsfrist: Dies erhöht den Verdacht auf Unglaubwürdigkeit der Bescheinigungen.
  4. Erstbescheinigung: Ihr Beweiswert bleibt unangetastet, da keine zeitliche Koinzidenz mit der Kündigung vorlag.
  5. Folgebescheinigungen: Hier wird der Beweiswert angezweifelt.
  6. Beweislast: Verschiebt sich auf den Arbeitnehmer für die Dauer der Folgebescheinigungen.
  7. Rückverweisung: Das Landesarbeitsgericht muss den Fall erneut prüfen und entscheiden.
  8. Rechtsprechungsentwicklung: Bis 2021 lag die Beweislast überwiegend beim Arbeitgeber; das BAG hat diese Perspektive, insbesondere bei Kündigungen, weiterentwickelt.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was bestimmt den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?

Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) wird durch verschiedene Faktoren bestimmt. Grundsätzlich gilt eine AU-Bescheinigung als starkes Beweismittel für die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers. Sie basiert auf einer ärztlichen Untersuchung, bei der der körperliche, geistige und seelische Gesundheitszustand des Patienten berücksichtigt wird.

Ein Arbeitgeber kann den Beweiswert einer AU-Bescheinigung jedoch erschüttern, wenn er konkrete Tatsachen vorbringt, die ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründen. Solche Tatsachen können beispielsweise sein:

  • Mit einer Arbeitsunfähigkeit unvereinbare Freizeitaktivitäten des Arbeitnehmers,
  • Auffällig häufige oder kurzzeitige Arbeitsunfähigkeiten,
  • Beginn der Arbeitsunfähigkeit fällt regelmäßig auf bestimmte Wochentage,
  • Ausstellung der Bescheinigung durch einen Arzt, der durch häufige Krankschreibungen auffällig geworden ist.

Wenn der Arbeitgeber den Beweiswert der AU-Bescheinigung erfolgreich erschüttert, liegt die volle Beweispflicht für die Arbeitsunfähigkeit wieder beim Arbeitnehmer. Dieser muss dann detailliert zur Erkrankung, zur Medikation und zu den aus der Erkrankung folgenden Einschränkungen vortragen und gegebenenfalls beweisen.

Die Rechtsprechung sieht die AU-Bescheinigung als das gesetzlich vorgesehene und gewichtigste Beweismittel für die Arbeitsunfähigkeit an. Allerdings dürfen an die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Ein bloßes Bestreiten der Arbeitsunfähigkeit ohne Vorbringen konkreter Tatsachen ist nicht ausreichend, um den Beweiswert zu erschüttern.

In der Praxis ist es für Arbeitgeber oft schwierig, den Beweiswert einer AU-Bescheinigung zu erschüttern, da sie in der Regel keine Kenntnis über die Krankheitsursachen haben. Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und der Instanzgerichte sind daher von großer Bedeutung, um die Anforderungen an die Erschütterung des Beweiswertes zu konkretisieren.

Wie wirkt sich die unmittelbare Aufnahme einer neuen Beschäftigung nach einer Kündigung auf die Glaubwürdigkeit von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus?

Die unmittelbare Aufnahme einer neuen Beschäftigung nach einer Kündigung kann die Glaubwürdigkeit von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU-Bescheinigungen) beeinflussen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass der Beweiswert einer AU-Bescheinigung erschüttert sein kann, wenn ein Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die genau die Dauer der Kündigungsfrist abdecken, und unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt.

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat in einem Urteil festgestellt, dass der Beweiswert einer AU-Bescheinigung erschüttert werden kann, insbesondere wenn der gesamte Zeitraum der Kündigungsfrist lückenlos durch mehrere AU-Bescheinigungen abgedeckt wird und der Arbeitnehmer am unmittelbar darauffolgenden Tag gesund ist und bei einem anderen Arbeitgeber zu arbeiten beginnt.

Allerdings ist allein die Tatsache, dass eine Erkrankung innerhalb der Kündigungsfrist liegt, kein ausreichender Grund, um die Glaubwürdigkeit der AU-Bescheinigung anzuzweifeln. Krankheiten können auch in einem gekündigten Arbeitsverhältnis auftreten, und eine AU-Bescheinigung verliert nicht automatisch ihren Beweiswert, wenn der Arbeitnehmer innerhalb der Kündigungsfrist erkrankt.

In der Praxis bedeutet dies, dass Arbeitgeber bei Krankmeldungen im Zusammenhang mit Kündigungen genau hinsehen sollten, insbesondere wenn der Arbeitnehmer direkt nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses eine neue Tätigkeit aufnimmt. Es müssen jedoch konkrete Tatsachen vorliegen, die erhebliche Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen, um den Beweiswert einer AU-Bescheinigung zu erschüttern.

In welchen Fällen liegt die Beweislast für Arbeitsunfähigkeit beim Arbeitnehmer?

Die Beweislast für Arbeitsunfähigkeit liegt in der Regel beim Arbeitnehmer, der eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) vorlegen muss. Diese Bescheinigung hat einen hohen Beweiswert. Es gibt jedoch Situationen, in denen die Beweislast auf den Arbeitnehmer zurückfallen kann:

  • Erschütterung des Beweiswerts der AU-Bescheinigung: Wenn der Arbeitgeber konkrete Tatsachen vorbringt, die ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründen, kann der Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttert werden. In diesem Fall liegt die volle Beweispflicht wieder beim Arbeitnehmer.
  • Neue Beschäftigung nach Kündigung: Wenn ein Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die genau die Dauer der Kündigungsfrist abdecken, und unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt, kann dies den Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttern.
  • Neue Krankheit nach Ablauf der Entgeltfortzahlung: Wenn ein Arbeitnehmer nach Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlung erneut krank wird und der Arbeitgeber dies bestreitet, muss der Arbeitnehmer beweisen, dass die neue Krankheit zu einer erneuten Arbeitsunfähigkeit geführt hat.

Es ist wichtig zu beachten, dass der Arbeitgeber den Beweiswert der AU-Bescheinigung nur erschüttern kann, indem er konkrete Tatsachen darlegt und beweist, die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründen.

Wie hat sich die Rechtsprechung bezüglich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und Kündigungen verändert?

Die Rechtsprechung bezüglich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU-Bescheinigungen) und Kündigungen hat sich dahingehend entwickelt, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) den Beweiswert von AU-Bescheinigungen in bestimmten Konstellationen als erschütterbar ansieht. Insbesondere wenn die Krankschreibung zeitlich mit der Kündigung zusammenfällt und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit exakt die Kündigungsfrist umfasst, kann dies den Beweiswert der AU-Bescheinigung in Frage stellen.

Das BAG hat in einem vorherigen Urteil vom 08.09.2021 (5 AZR 149/21) entschieden, dass eine zeitliche Koinzidenz zwischen der Kündigung und der Krankschreibung, insbesondere wenn die Arbeitsunfähigkeit die gesamte Kündigungsfrist abdeckt, den Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttern kann. Dies gilt auch, wenn der Arbeitnehmer unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt.

Die Rechtsprechung betont, dass nicht allein die Tatsache, dass eine Erkrankung innerhalb der Kündigungsfrist liegt, ausreicht, um die Glaubwürdigkeit der AU-Bescheinigung anzuzweifeln. Krankheiten können auch in einem gekündigten Arbeitsverhältnis auftreten. Allerdings müssen Arbeitgeber, die den Beweiswert einer AU-Bescheinigung anzweifeln möchten, konkrete Tatsachen vorbringen, die ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründen.

Das BAG hat mit seiner Rechtsprechung klargestellt, dass es für die Erschütterung des Beweiswerts einer AU-Bescheinigung nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung durch den Arbeitnehmer oder den Arbeitgeber handelt. Entscheidend ist vielmehr, ob konkrete Umstände vorliegen, die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen.

Welche Bedeutung hat die zeitliche Übereinstimmung zwischen Kündigungsfrist und Dauer der Arbeitsunfähigkeit?

Die zeitliche Übereinstimmung zwischen der Dauer der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist kann den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) erschüttern. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in dem bereits erwähnten Urteil vom 08.09.2021 (Az. 5 AZR 149/21) festgestellt, dass eine AU-Bescheinigung, die genau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst, ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen kann.

In dem betreffenden Fall hatte eine Arbeitnehmerin ihr Arbeitsverhältnis gekündigt und gleichzeitig eine AU-Bescheinigung vorgelegt, die genau die Dauer der Kündigungsfrist umfasste. Das BAG stellte fest, dass der Beweiswert der AU-Bescheinigung in diesem Fall erheblich erschüttert wurde.

Wenn der Arbeitgeber tatsächliche Umstände oder Indizien vorbringen kann, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben, muss der Arbeitnehmer nachweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war. Dies kann beispielsweise durch die Vernehmung des behandelnden Arztes oder durch andere Beweismittel erfolgen.

Diese Rechtsprechung stärkt die Position der Arbeitgeber, da sie es ihnen ermöglicht, den Beweiswert einer AU-Bescheinigung in Frage zu stellen, wenn die Dauer der Arbeitsunfähigkeit genau mit der Kündigungsfrist übereinstimmt.


Das vorliegende Urteil

Bundesarbeitsgericht – Az.: 5 AZR 137/23 – Urteil vom 13.12.2023

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
(Symbolfoto: M. Schuppich /Shutterstock.com)

Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen: Diese können angezweifelt werden, wenn sie genau die Dauer der Kündigungsfrist abdecken und der Arbeitnehmer unmittelbar nach Ende des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung beginnt.

Der Fall betrifft die Frage des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Kontext einer Kündigung. Ein Arbeitnehmer (Kläger) war seit März 2021 bei einem Arbeitgeber (Beklagter) beschäftigt und legte im Mai 2022 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Nachdem ihm gekündigt wurde, reichte er weitere Bescheinigungen ein, die genau bis zum Ende der Kündigungsfrist reichten. Direkt nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses nahm er eine neue Stelle an. Der Arbeitgeber bezweifelte daraufhin die Glaubwürdigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und verweigerte die Entgeltfortzahlung.

Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass der Beweiswert der ersten Bescheinigung nicht erschüttert ist, da keine zeitliche Übereinstimmung mit der Kündigung bestand. Für die Folgebescheinigungen wurde der Beweiswert jedoch angezweifelt, da sie genau bis zum Ende der Kündigungsfrist reichten und der Kläger danach sofort eine neue Arbeit aufnahm. Für den Zeitraum der Folgebescheinigungen trägt nun der Kläger die volle Beweislast für seine Arbeitsunfähigkeit.

Da das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen zur Arbeitsunfähigkeit in diesem Zeitraum getroffen hatte, wurde der Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hinsichtlich der Beweislast von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in bestimmten Situationen weiterentwickelt, insbesondere im Kontext von Kündigungen. Bis 2021 galt grundsätzlich, dass eine vom Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen hohen Beweiswert hat. Der Arbeitgeber konnte diesen Beweiswert nur erschüttern, wenn er konkrete Anhaltspunkte für eine Simulation oder eine nicht bestehende Arbeitsunfähigkeit vorbringen konnte. Die Beweislast lag somit in der Regel beim Arbeitgeber. Im Jahre 2021 hat das BAG entschieden, dass wenn ein Arbeitnehmer, der sein Arbeitsverhältnis kündigt, am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben, dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern kann, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst (BAG, Urteil vom 08.09.2021, Az.: 5 AZR 149/21).

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