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Fristlose Arbeitnehmerkündigung – fehlende Personalratsanhörung – Whistleblowing

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 5 Sa 466/21 – Urteil vom 07.07.2022

I. Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 17. August 2021, Az. 6 Ca 4127/20, unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose Kündigung des beklagten Landes vom 9. Dezember 2020 aufgelöst worden ist.

2. Das beklagte Land wird verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.

3. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

II. Die Anschlussberufung des Klägers wird bezüglich des Antrags Ziff. 3a) als unzulässig verworfen, im Übrigen zurückgewiesen.

III. Die Kosten erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger 7/10 und das beklagte Land 3/10 zu tragen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Der im September 1963 geborene Kläger ist Diplom-Prähistoriker, er hat im Fach Ur- und Frühgeschichte promoviert. Am 1. Mai 2013 wurde er vom beklagten Land in der C. (S. N.) als Tarifbeschäftigter in Teilzeit (65% einer Vollzeitkraft) eingestellt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung Anwendung. Der Kläger erhielt Vergütung nach Entgeltgruppe 14 TV-L; sein durchschnittlicher Teilzeitverdienst betrug € 3.887,00 brutto.

Zum Geschäftsbereich der S. N. gehören neben der Hauptdienststelle in C-Stadt auch mehrere Regionalstellen, deren Beschäftigte nach Maßgabe von § 5 Abs. 3 LPersVG Verselbständigungsbeschlüsse gefasst haben. Örtliche Personalräte sind in der Hauptdienststelle und den Regionalstellen T., M., O. gewählt worden; ferner wurde nach § 56 Abs. 1 LPersVG ein Gesamtpersonalrat gebildet.

Dr. K., der frühere Präsident, leitete die S. N. von Oktober 2012 bis zum Jahresende 2020. Er ist – wie der Kläger – Mitglied der politischen Partei Bündnis90/Die Grünen. Der Kläger ist Mitglied der Stadtratsfraktion A-Stadt, Dr. K. der Stadtratsfraktion C-Stadt von Bündnis90/Die Grünen. Der Kläger wurde ursprünglich als persönlicher Referent des Präsidenten beschäftigt. Zwischen dem Kläger und dem Präsidenten kam es im Anschluss an eine Sitzung des Preisgerichts im Planungswettbewerb zur Neugestaltung des Loreley-Plateaus im UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal, die am 10. Dezember 2014 stattfand, zu einem Konflikt. Im Anschluss an einen Disput wurde der Kläger am 5. Januar 2015 als persönlicher Referent des Präsidenten beurlaubt; ab März 2015 wurden ihm andere Tätigkeiten zugewiesen.

Mit Schreiben vom 12. Januar 2015 (Bl. 62 ff. d.A.) ordnete der Präsident gegenüber dem Kläger gem. § 3 Abs. 2 TV-L ausdrücklich an, dass Angelegenheiten, die ihm im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit als persönlicher Referent des Behördenleiters bekannt wurden, der Geheimhaltung unterliegen.

Am 29. Februar 2016 erteilte der Präsident dem Kläger eine schriftliche Ermahnung (Bl. 323-333 d.A.) wegen „Illoyalität und abfälligen Äußerungen gegenüber dem Vorgesetzten“. Er tadelte das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit dem Wettbewerb zur Neugestaltung des Loreley-Plateaus im Zeitraum von Dezember 2014 bis Januar 2015. Mit Schreiben vom 22. Januar 2018 informierte die S. N. den Kläger darüber, dass nach üblicher Verwaltungspraxis beabsichtigt sei, die Ermahnung aus seiner Personalakte zu entfernen. Der Kläger widersprach dem. Er erhob am 15. September 2018 beim Ministerium des Innern und für Sport (MdI) eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Präsidenten der S. N. und den Leiter der Abteilung 1 (Zentrale Aufgaben), Abteilungsdirektor N. (Bl. 283-311 d.A.). Der Kläger rügte vermeintliche Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit Vorgängen, die Gegenstand der Ermahnung vom 29. Februar 2016 waren. Mit Schreiben vom 17. Januar 2019 (Bl. 259-262 d.A.) teilte das MdI dem Kläger mit, dass nach eingehender Prüfung des Sachverhalts kein persönliches Fehlverhalten des Präsidenten oder des Abteilungsdirektors N. festzustellen sei.

Am 5. Januar 2020 erhob der Kläger vor dem Arbeitsgericht Koblenz eine Klage (5 Ca 1921/20) auf vertragsgerechte Beschäftigung. In der Klageschrift führte er unter anderem aus, dass er von seinem Widerspruch gegen die Entfernung der Ermahnung vom 29. Februar 2016 aus seiner Personalakte nunmehr Abstand nehme. Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2020 nahm er die Klage zurück.

Am 27. November 2020 wurde der Presse bekannt gegeben, dass der Präsident der S. N. mit Wirkung ab 1. Januar 2021 auf Vorschlag des Koalitionspartners Bündnis 90/Die Grünen als Staatssekretär ins Ministerium für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten Rheinland-Pfalz (MUEEF) berufen werden soll. Es wurde außerdem bekannt, dass Staatsministerin L. ab 1. Januar 2021 den Geschäftsbereich des MUEEF bis zum Ende der Legislaturperiode zusätzlich übernehmen sollte. Nachdem er diese Personalien aus der Presse erfahren hatte, wandte sich der Kläger mit E-Mails vom 28. November 2020 (Bl. 44-59 d.A.) unter dem Absender „Stadtverordneter für den Wahlkreis … in der Fraktion Bündnis90/Die Grünen im Rat der Bundesstadt A-Stadt“, an folgenden Verteilerkreis:

  • Bündnis90/Die Grünen Landesverband Rheinland-Pfalz
  • Fraktion Bündnis90/Die Grünen im Landtag Rheinland-Pfalz
  • Fraktion Bündnis90/Die Grünen im Deutschen Bundestag
  • Ministerium für Familien, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz Rheinland-Pfalz, zu Händen von Staatsministerin Spiegel

Den E-Mails fügte der Kläger als Anlagen ein Anschreiben an den Abteilungsdirektor N. (Bl. 47-49 d.A.), einen von ihm gefertigten Vermerk vom 1. Dezember 2014 (Bl. 50-51 d.A.), ein Schreiben mit Datum vom 8. Dezember 2014 von ihm an den Präsidenten (Bl. 52 d.A.) sowie den Entwurf eines Anschreibens an die Personalvertretung der S. N. (Bl. 53-59 d.A.) bei. Er behauptete ua., dass ihn der Präsident der S. N. im Jahr 2014 angewiesen habe, gegen einen politischen Konkurrenten vorzugehen, indem er die Dissertation des CDU-Politikers Dr. Z. auf Plagiate untersuchen sollte. Seine dagegen von Anfang an geäußerten Bedenken und seine Remonstration vom 8. Dezember 2014 seien der wahre Hintergrund der „Vergeltungsmaßnahmen“. Er fühle sich auch heute noch an die als „Waterkantgate“ in die politische Geschichte der Bundesrepublik eingegangene Barschel-Pfeiffer-Affäre von 1987 erinnert, hier nun an Rhein und Mosel.

Mit Schreiben vom 7. Dezember 2020 (Bl. 65-73 d.A.) hörte der Präsident der S. N. den Personalrat der Hauptdienststelle C-Stadt zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers wegen „massiver Verletzung der arbeits- und tarifvertraglichen Verschwiegenheitspflicht“ an. Das Schreiben lautet auszugsweise:

„… Mir ist am 01.12.2020 zur Kenntnis gelangt, dass [der Kläger] in ganz erheblicher Form gegen seine arbeits- und tarifvertragliche Verschwiegenheitspflicht (§ 3 Absatz 2 TV-L) verstoßen hat, als er ein Schreiben/Mail vom 28.11.2020 an einen Verteiler gerichtet hat, in dem sich der Landesverband von Bündnis 90/Die Grünen, Frau Staatsministerin L., die Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen sowie die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen befinden, jeweils gerichtet an die dort verantwortlichen Personen.

In diesem Schreiben greift er meine Person persönlich und massiv an, stellt haltlose Behauptungen auf („Einforderung bedingungsloser Loyalität“), zieht Vergleiche zur Barschel-Pfeiffer-Affäre („Waterkantgate“) des Jahres 1987 und definiert die korrekte Anwendung des Personalaktenrechts als rechtswidrige Vergeltungsmaßnahme des Unterzeichners als Behördenleiter ihm gegenüber.

[Der Kläger] sieht sich dauerhaft in seiner Ehre und in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt und daher von seinen Verschwiegenheitspflichten befreit. Er nimmt unter Beifügung von zwei Gesprächsvermerken vom Dezember 2014, die keine Unterschrift und keinerlei Gegenzeichnung oder Kenntnisnahme meiner Person aufweisen, Bezug auf einen angeblichen Ausforschungsauftrag im kommunalpolitischen Raum und eine Dissertation betreffend. Er hat weder Beweise für diese Behauptung noch hatte der Unterzeichner bisher Kenntnis von der Existenz der genannten Schriftstücke.

Es ist auch nicht erforderlich, dieser Vorlage die beschriebenen Anlagen beizufügen, weil dem genannten Schreiben vom 28.11.2020 als weitere Anlage ein noch nicht datiertes siebenseitiges Schreiben an Ihr Gremium beigefügt ist, welches Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit in Kürze erreichen wird. In diesem Schreiben, das keinerlei Angaben über den hier aufgeführten größeren Verteilerkreis enthält, wiederholt und vertieft [der Kläger] seine unhaltbaren Vorwürfe und Vorhaltungen und verletzt damit permanent seine Verschwiegenheitspflicht. Darüber hinaus beinhaltet auch dieses Schreiben denunziatorische Züge.

Es bleibt Ihrer Wertung überlassen, wie Sie die Weitergabe eines Ihrem Gremium vorbehaltenen Schreibens, das Sie im Original möglicherweise noch nicht einmal erreicht hat, an einen größeren und im politischen Bereich beheimateten Verteilerkreis einordnen.

Eine Ausfertigung dieses an Sie gerichteten und sicherlich diesem Verfahren zugrunde liegenden Schreibens hat [der Personalratsvorsitzende] vorab im Wege der vertrauensvollen Zusammenarbeit erhalten.

Weiterhin hat [der Kläger] seinem Schreiben/seiner Mail vom 28.11.2020 an den genannten größeren Verteilerkreis ein Schreiben ebenfalls vom 28.11.2020 beigefügt, welches im Original an [Abteilungsdirektor B] und in Kopie an den Unterzeichner gerichtet war. Es ist diesem Schreiben nicht zu entnehmen, dass es bereits Aufnahme in den genannten größeren Verteilungskreis gefunden hat.

In diesem Schreiben jedenfalls muss sich [Abteilungsdirektor B] – in etwa vergleichbar mit der früheren und abschlägig beschiedenen Dienstaufsichtsbeschwerde gegen ihn – sinngemäß als „zur bedingungslosen Loyalität verpflichteter Handlanger“ der Person des Unterzeichners bezeichnen lassen. Die Ausführungen [des Klägers] rücken ihn in die Nähe von Beamten im Dritten Reich, die unkritisch zur Gefolgschaft rechtsnationaler Ideologie gehörten und diese letztlich ermöglicht haben. Das Schreiben ist eine einzige Diffamierung und Beleidigung der Person von [Abteilungsdirektor B], darüber hinaus enthält es unwahre Behauptungen.

Auszugsweise nachfolgende wörtliche Wiedergabe:

„Tatsache ist und bleibt aber, dass Sie wiederholt angegeben haben dem Präsidenten [..] zu „bedingungsloser Loyalität verpflichtet zu sein“.

(Anmerkung: Eine solche Aussage hat [Abteilungsdirektor B] zu keinem Zeitpunkt getätigt, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass er in seiner Funktion als Leiter der Abteilung 1 schlecht mit dem Präsidenten zusammenarbeiten könne, ohne auch die hierfür erforderliche Loyalität ihm gegenüber an den Tag zu legen. Von bedingungsloser Loyalität war zu keinem Zeitpunkt die Rede).

„Dies irritiert. Denn nach 1945 haben sich alle Täter in Militär und Verwaltung, gleich ob überzeugter Nazi, Mitläufer oder nur unpolitischer Profiteur der Umstände, auf eine solche unbedingte Loyalitätspflicht berufen, um von Verantwortung befreit zu sein. Kennedy hatte folgerichtig erkannt, dass der bedingungslose Gehorsam der deutschen Beamten die Diktatur in ihrer Entstehung und Existenz begünstigt, wenn nicht sogar erst ermöglicht hatte. Jedenfalls ich begreife das nationalsozialistische Berufsbeamtentum, das unbedingten Gehorsam forderte (§ 1 Absatz 3 Deutsches Beamtengesetz v. 26. Januar 1937), als entscheidendes Gegenbild für unsere Arbeit. Der Beamteneid beachtet dem entsprechend die historischen Erfahrungen und die Verletzung der Menschenwürde durch den Staat, er fordert ausschließlich „Gehorsam den Gesetzen und gewisser gewissenhafte Erfüllung der Amtspflichten (§ 51 LBG)

Sie erlauben mir bitte, den Blick etwas zu weiten: Im Landtag von Rheinland-Pfalz ist mit der AfD bereits eine rechte, in Teilen faschistische Partei vertreten. Im Deutschen Bundestag hat sie jüngst mit Methoden der Nazis ihre Verachtung gegenüber demokratischen Institutionen demonstriert, als Abgeordnete von „Besuchern“ der AfD bedrängt und beleidigt wurden. Weder Sie noch ich können ausschließen, dass Vertreter einer solchen Partei in Zukunft Teil der Landesregierung in I. werden, ein solcher dann Präsident der S. N. wird. Hier drängt sich die Frage auf, ob Sie sich dann weiterhin zu „bedingungsloser persönlicher Loyalität“ verpflichtet sehen werden? Diese Frage besorgt mich zutiefst“.

Die Ausführungen sprechen für sich und bedürfen keiner weiteren Kommentierung. Wenn – derzeit noch – davon abgesehen wird, hiergegen zivil- und strafrechtlich vorzugehen, so geschieht dies ausschließlich vor dem Hintergrund der jetzt ohnehin beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses und der Vermeidung eines weiteren Forums für den Tarifbeschäftigten, sich dementsprechend weiter äußern zu können.

Tatsache ist jedenfalls, dass die seitens [des Klägers] gegenüber [Abteilungsdirektor B] und der Person des Unterzeichners nicht kenntlich gemachte Weitergabe dieses Schreibens an den genannten Verteiler dazu dienen soll, seine Verächtlichmachen einem größeren Publikum zu präsentieren, ohne dass die Chance bestand, hierauf vor Weiterleitung zeitnah reagieren zu können. Der Tarifbeschäftigte hat vor dem Hintergrund der Gesamtheit dieser Ausführungen und Darstellung ganz erheblich gegen seine Verschwiegenheitspflicht nach § 3 Absatz 2 TV-L verstoßen.

Zur Rechtfertigung seines Verhaltens beruft sich [der Kläger] auf § 34 StGB, den rechtfertigenden Notstand, verkennt hierbei aber völlig, dass es sich nicht um eine strafrechtliche Relevanz seines Verhaltens geht, sondern um eine arbeitsrechtliche Würdigung. …“

Der Vorsitzende des örtlichen Personalrats am Standort C-Stadt teilte mit Schreiben 8. Dezember 2020 mit, gegen die beabsichtigte Kündigung bestünden keine Einwände. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2020, dem Kläger zugegangen am 12. Dezember 2020, kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 31. März 2021. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die fristlose Kündigung vom 9. Dezember 2020, zugegangen am 12. Dezember 2020 nicht aufgelöst wurde,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch die gleichzeitig hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 9. Dezember 2020 zum 31. März 2021 endet,

3. das beklagte Land zu verurteilen, ihm ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt,

hilfsweise, ihm ein qualifiziertes Endzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 17. August 2021 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage mit dem genannten Urteil stattgegeben und das beklagte Land verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes Zeugnis zu erteilen. Zur Begründung hat es – zusammengefasst – ausgeführt, sowohl die außerordentliche als auch die hilfsweise ordentliche Kündigung seien nach § 83 Abs. 4 LPersVG mangels ordnungsgemäßer Beteilung des Personalrats unwirksam. Der Präsident der S. N. hätte nicht den örtlichen Personalrat am Hauptstandort C-Stadt, sondern gem. § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 53 Abs. 1 LPersVG den zuständigen Gesamtpersonalrat beteiligen müssen. Dies folge aus dem Umstand, dass der Kläger Aufgaben aus der Regionalstelle T. ausgeübt, dem Direktionsrecht des Referatsleiters U. der Abteilung 00 in T. unterstellt und damit in die Arbeitsorganisation des Referats in T. eingegliedert gewesen sei. Wenn man dies anders sehen wollte, wäre die Anhörung inhaltlich ungenügend, denn dem Personalrat sei nicht mitgeteilt worden, dass die Behauptung des Klägers, er sei vom Präsidenten im Herbst 2014 angewiesen worden, die Dissertation des CDU-Politikers Dr. Z. auf Plagiate zu überprüfen, zutreffe. Das beklagte Land habe den diesbezüglichen Vortrag des Klägers prozessual unzureichend bestritten, § 138 Abs. 3 ZPO. Die außerordentliche Kündigung des beklagten Landes sei aber auch nach § 626 Abs. 1 BGB unwirksam, die hilfsweise ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial nicht gerechtfertigt. Zwar liege eine Pflichtverletzung des Klägers vor, weil seine E-Mails vom 28. November 2020 nicht die Anforderungen an ein rechtmäßiges „Whistleblowing“ erfüllten. Allerdings hätte eine Abmahnung genügt, um auf das Fehlverhalten zu reagieren. Da das beklagte Land einen Beendigungstatbestand gesetzt habe, könne der Kläger die Erteilung eines Arbeitszwischenzeugnisses qualifizierter Art verlangen. Wegen weiterer Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 17. August 2021 Bezug genommen.

Gegen das am 19. November 2021 zugestellte Urteil hat das beklagte Land mit einem am 15. Dezember 2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und mit einem am 14. Januar 2022 eingegangenen Schriftsatz begründet. Die Berufungsbegründung wurde dem Kläger am 18. Januar 2022 zugestellt. Er hat innerhalb der bis zum 18. März 2022 verlängerten Erwiderungsfrist mit Schriftsatz vom 16. Februar 2022, der am 16. März 2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist, Anschlussberufung eingelegt und die Klage erweitert. Das beklagte Land hat der Klageerweiterung ausdrücklich widersprochen.

Zur Begründung der Berufung und des zweitinstanzlichen Auflösungsantrags macht das beklagte Land nach Maßgabe der Berufungsbegründung vom 14. Januar 2022 (Bl. 548 ff d.A.) sowie der Schriftsätze vom 19. Mai 2022 (Bl. 733 ff d.A.) und vom 6. Juli 2022 (Bl. 836 ff d.A.), auf die ergänzend Bezug genommen wird, zusammengefasst geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei nach § 83 LPersVG der örtliche Personalrat C-Stadt und nicht der Gesamtpersonalrat vor Ausspruch der Kündigung zu beteiligen gewesen. Der Kläger sei nicht in die Regionaldienststelle T. eingegliedert worden, sondern in die Hauptdienststelle C-Stadt. Er sei nach seiner Demission aus dem Aufgabenbereich des persönlichen Referenten des Präsidenten unmittelbar und fachlich ausschließlich dem Abteilungsdirektor R. unterstellt worden. Hieran habe sich bis zur streitgegenständlichen Kündigung nichts geändert. Abteilungsdirektor R. habe dem Kläger die Mitwirkung an der wasserrechtlichen Bescheidbearbeitung für das Referat 00 zugeordnet, ohne dass dies zu einer weisungsrechtlichen oder räumlichen Zuordnung des Klägers zur Regionalstelle T. (Referat 00) geführt habe. Der Kläger sei formal nicht umgesetzt worden. Ihm sei auch kein nachrangiges Dienstzimmer in T. zur Verfügung gestellt worden. Berührungspunkte mit den Beschäftigten der Regionalstelle T. habe er allenfalls mittelbar gehabt. Das genüge selbst unter Zugrundelegung der vom Arbeitsgericht zitierten Rechtsprechung (OVG Rheinland-Pfalz 08.04.2005 – 5 A 10100/05) nicht, um eine Mitbetroffenheit der Regionalstelle T. anzunehmen.

Die Personalratsanhörung sei auch inhaltlich nicht fehlerhaft. Der Präsident habe den Kläger nicht mit der Überprüfung der Dissertation des CDU-Politikers Dr. Z. auf mögliche Plagiate beauftragt. Dem Präsidenten seien vor der E-Mail des Klägers vom 28. November 2020 an den benannten Verteilerkreis dessen Vermerke vom Dezember 2014 nie vorgelegt worden. Weder der Präsident persönlich noch dessen Sekretärin hätten dem Kläger zur besseren Recherche Seiten der Dissertation in der Ansicht gedreht, diese im PDF-Format aufbereitet oder auf einem Laufwerk der Dienststelle gespeichert. Diese Behauptung habe der Kläger erst nach Anhörung des Personalrats im vorliegenden Kündigungsschutzprozess aufgestellt. Die Behauptung des Klägers sei unwahr; sie gelte auch nicht nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Zutreffend sei, dass der Kläger Abteilungsdirektor N. in einem Gespräch von dem angeblichen Auftrag berichtet habe. Er habe N. die Vermerke nicht vorgelegt, zudem habe er ihn gebeten, den angeblichen Auftrag „äußerst vertraulich“ zu behandeln. N. habe den Präsidenten zweimal auf die Vorhaltungen des Klägers angesprochen, der sie jeweils zurückgewiesen habe.

Dem Personalrat seien die tragenden Gründe für die Kündigung dargelegt worden. Zudem sei dem Personalratsvorsitzenden Einsicht in sämtliche vom Kläger verfassten Schreiben gewährt worden. Dessen Kenntnis müsse sich der Personalrat zurechnen lassen. Der Personalrat habe den Inhalt des Schreibens seinen Beratungen zugrunde legen können, was er auch getan habe. Der Personalratsvorsitzende habe mit E-Mail vom 7. Dezember 2020 um 11:33 Uhr das Schreiben des Klägers an den Personalrat, dass der E-Mail vom 28. November 2020 beigefügt war, allen Mitgliedern des Personalrats in Vorbereitung der Sitzung zur Kenntnis gebracht. Dies habe das Arbeitsgericht in seinem Urteil übersehen. Es sei unerheblich, dass das Schreiben des Klägers im Original erst am 10. Dezember 2020 beim Personalrat eingegangen sei.

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts liege für die außerordentliche Kündigung ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vor. Die Äußerungen des Klägers, mit denen er in seiner E-Mail vom 28. November 2020 nebst den dort beigefügten drei Anlagen den Präsidenten und den Abteilungsdirektor N. diffamiert habe, stellten einen schwerwiegenden Verstoß gegen seine arbeits- und tarifvertraglichen Verschwiegenheits- und Rücksichtnahmepflichten dar. Der Kläger habe den Präsidenten zu Unrecht einer Straftat nach § 357 StGB bezichtigt. Er habe den unwahren Vorwurf erhoben, der Präsident habe ihm im Jahr 2014 einen Ausforschungsauftrag erteilt, aus dem ausschließlichen Grund diesen zu diskreditieren und dessen bevorstehende Ernennung zum Umweltstaatssekretär möglichst noch zu verhindern. Dies habe der Kläger in seinen E-Mails vom 26. April 2021 (Bl. 767 ff d.A.) bestätigt, die er einen Tag vor dem erstinstanzlichen Kammertermin vom 27. April 2021 an C-Städter und E. Mitglieder der Stadtratsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, an Beschäftigte der S. N., an diverse Personalratsmitglieder sowie an Abteilungsdirektor N. versandt habe. Ferner habe der Kläger dem Präsidenten „Vergeltungsmaßnahmen“ gegen seine Person vorgeworfen und behauptet, er habe ihn – wenn auch scherzhaft und ironisch – als „Leibeigenen“ bezeichnet.

Auch die vom Arbeitsgericht durchgeführte Verhältnismäßigkeitsprüfung könne keinen Bestand haben. Der Vorwurf des Klägers hinsichtlich des vom Präsidenten angeblich erteilten Ausforschungsauftrags stelle eine falsche Anschuldigung dar. Es entspreche nicht den Tatsachen, dass der Kläger zunächst den betrieblichen Beschwerdeweg beschritten habe. Die Dienstaufsichtsbeschwerde des Klägers vom 15. September 2018 habe sich in keiner Weise mit den erhobenen Vorwürfen befasst. Dem Kläger sei es darauf angekommen, die Ernennung des Präsidenten zum Staatssekretär zu verhindern. Das Arbeitsgericht habe auf die „Whistleblowing“-Rechtsprechung zur Erstattung einer Strafanzeige abgestellt. Eine Strafanzeige habe der Kläger nicht gestellt, sondern seine Vorwürfe gegenüber Dritten, politischen Parteien und Funktionären erhoben. Eine vorherige Abmahnung sei entbehrlich gewesen.

Der Auflösungsantrag vom 19. Mai 2022 werde darauf gestützt, dass der Kläger auch nach Ausspruch der Kündigung und Klageerhebung seine haltlosen Anschuldigungen, Mobbing- und Schikanevorwürfe wiederhole, insbesondere in seinen E-Mails vom 26. April 2021 an Stadtratsmitglieder sowie Beschäftigte und Personalratsmitglieder der S. N.. Außerdem habe er sich mit einem Schreiben vom 2. August 2021 (Bl. 684 ff d.A.) erneut an die damalige Landesministerin L. gewendet. Er habe den unbegründeten Vorwurf erhoben, der Präsident habe Dienstvergehen begangen und gehe mit „Vergeltungssucht“ gegen ihn vor. In einer E-Mail vom 19. Dezember 2021 an sieben Beschäftigte der S. N. habe der Kläger den angeblichen „Ausforschungsauftrag“ als „klar versuchten Angriff auf die Demokratie“ bezeichnet und ausgeführt, er erwarte, dass man ihn bei Wiederaufnahme seiner Arbeit als „Nestbeschmutzer“ betrachte; aus seiner Sicht sei das besagte Nest „schon lange nicht mehr sauber“, das Arbeitsgericht habe im angefochtenen Urteil eine „Fehlsteuerung der Verwaltung“ festgestellt. Der Kläger habe auch im E. Stadtrat die Vorwürfe gegen den Präsidenten wiederholt. Ferner habe er in einem Schreiben an die Oberbürgermeisterin der Stadt A-Stadt vom 8. Januar 2022 (Bl. 712 ff d.A.) den Verdacht einer „versuchten Erpressung (§ 253 StGB) oder Nötigung in besonders schwerem Fall (§ 240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 StGB)“ geäußert. Zudem habe er geschrieben, er befürchte, dass hinter den Kulissen auch in Zukunft versucht werde, Druck auf ihn auszuüben. Am 19. März 2022 habe er mit dem Betreff „K.-Affaire“ ein Schreiben (Bl. 778 ff d.A.) an die damalige Bundesministerin L. gerichtet. Er habe seine Verdächtigungen und Beschuldigungen wiederholt und den Vorwurf erhoben, der Präsident habe nicht nur seine zivilprozessualen, sondern auch seine beamtenrechtlichen Wahrheits- und Offenbarungspflichten schuldhaft und vorsätzlich verletzt. Er habe ausgeführt, dass die mit „alternativen Fakten“ angereichte Berufungsbegründung erneut den „Versuch des Prozessbetrugs“ bestätige.

Das beklagte Land beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 17. August 2021, Az. 6 Ca 4127/20, abzuändern und die Klage abzuweisen,

2. hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1) das Arbeits-verhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zum Ablauf des 31. März 2021 aufzulösen,

3. die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,

1. die Berufung zurückzuweisen,

2. den Auflösungsantrag zurückzuweisen,

3. auf seine Anschlussberufung

a) das beklagte Land zu verurteilen, die ihm mit Schreiben vom 29. Februar 2016 erteilte Ermahnung zurückzunehmen und aus der Personalhauptakte zu entfernen, einschließlich sämtlicher damit im Zusammenhang stehender Schreiben, insbesondere der Dienstaufsichtsbeschwerde vom 15. September 2018 zu der die vorgenannte Ermahnung als Anlage geführt wird,

b) festzustellen, dass sein Schreiben vom 28. November 2020 an den Landesverband Bündnis90/Die Grünen, die Fraktionen Bündnis90/Die Grünen in Landtag und Bundestag sowie das Ministerium für Familien, Frauen, Jugend und Integration unter Beifügung der Anlagen keinen Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten, insbesondere seine Rücksichtnahmepflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB, sondern im Gegenteil ein im öffentlichen Interesse liegendes rechtmäßiges „Whistleblowing“ darstellt.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens nach Maßgabe seiner Schriftsätze nebst Anlagen vom 16. Februar 2022, eingegangen am 16. März 2022 (Bl. 599 ff d.A.), vom 27. Juni 2022 (Bl. 789 ff d.A.) und vom 1. Juli 2022 (Bl. 830 ff d.A.), auf die vollumfänglich Bezug genommen wird. Er meint, ein Erfolg der Berufung gegen das im Kern vollkommen zutreffende Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz wäre ein schwerwiegender Schaden für die Integrität der Verwaltung und die Demokratie in Rheinland-Pfalz, die mit einem „Waterkantgate am Rhein“ angegriffen worden sei. Zur Anschlussberufung macht er geltend, er habe einen Anspruch auf Entfernung der Dienstaufsichtsbeschwerde vom 15. September 2018 mitsamt der darin auch als Anlage enthaltenen Ermahnung vom 29. Februar 2016 sowie der schriftlichen Antwort des MdI vom 17. Januar 2019 aus seiner Personalakte. Ferner habe er ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass seine E-Mail vom 28. November 2020 an den Verteilerkreis ein gerechtfertigtes „Whistleblowing“ darstelle. Die Feststellung, dass er mit dieser E-Mail nicht gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten, insbesondere seine Rücksichtnahmepflichten, verstoßen habe, sei aus dem Gesichtspunkt der Rehabilitation geboten. Es bestehe die Gefahr, dass er intern „gebrandmarkt“ sei, obwohl er im öffentlichen Interesse gehandelt habe. Der hilfsweise gestellte Auflösungsantrag sei unbegründet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen. Außerdem wird auf die zur Information des Gerichts beigezogene Akte 5 Ca 1921/20 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des beklagten Landes hat zum Teil Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist zwar nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 9. Dezember 2020, aber durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 9. Dezember 2020 mit Ablauf des 31. März 2021 aufgelöst worden. Der hilfsweise gestellte Auflösungsantrag fällt nicht zur Entscheidung an. Das beklagte Land ist verpflichtet, dem Kläger ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen. Die Anschlussberufung des Klägers bleibt erfolglos.

A. Die Berufung des beklagten Landes ist teilweise unzulässig, teilweise unbegründet und im Übrigen begründet.

I. Die Berufung des beklagten Landes ist in Bezug auf das vom Kläger geforderte qualifizierte Arbeitszeugnis unzulässig. Es verbleibt daher beim Tenor des Arbeitsgerichts.

1. Bei mehreren Streitgegenständen muss der Berufungsführer für jeden eine Begründung geben. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig (st. Rspr., zB BAG 30. Januar 2019 – 5 AZR 450/17 – Rn. 20). Bei dem Anspruch auf Erteilung eines Arbeitszeugnisses, dem das Arbeitsgericht stattgegeben hat, handelt es sich um einen von der Kündigungsschutzklage zu trennenden, weiteren Streitgegenstand. Damit hat sich die Berufungsbegründung nicht auseinandergesetzt. Der Zeugnisanspruch hing nicht von der Wirksamkeit der Kündigungen ab. Streiten die Parteien gerichtlich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, kann der Arbeitnehmer nach § 35 TV-L ein qualifiziertes Arbeitszeugnis (Zwischen- oder Endzeugnis) fordern, auch wenn über die Wirksamkeit der Kündigung noch nicht rechtskräftig entschieden ist.

2. Im Übrigen ist die Berufung zulässig. Insoweit genügt die Berufungsbegründung den gesetzlichen Anforderungen (§ 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis Nr. 4 ZPO), weil sich das beklagte Land mit der Begründung des Arbeitsgerichts insoweit auseinandergesetzt hat, als dieses sowohl die außerordentliche als auch die hilfsweise ordentliche Kündigung für unwirksam angesehen hat.

II. Soweit die Berufung des beklagten Landes zulässig ist, hat sie teilweise Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist zwar nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 9. Dezember 2020, aber durch die hilfsweise ordentliche Kündigung mit Ablauf des 31. März 2021 beendet worden. Der hilfsweise gestellte Auflösungsantrag fällt nicht zur Entscheidung an.

1. Die außerordentliche Kündigung des beklagten Landes ist nicht wegen fehlerhafter Personalratsbeteiligung unwirksam. Nach § 83 Abs. 4 LPersVG ist eine Kündigung unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Der unterbliebenen Beteiligung steht – wie bei § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG – eine fehlerhafte Beteiligung gleich. Auch die Beteiligung einer unzuständigen Personalvertretung hat die Unwirksamkeit einer gleichwohl erklärten Kündigung zur Folge.

a) Im Streitfall war, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts, vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung – wie geschehen – der bei der Hauptdienststelle C-Stadt der S. N. gebildete örtliche Personalrat nach § 83 Abs. 3 LPersVG anzuhören. Der Gesamtpersonalrat war nicht zu beteiligen.

aa) Wenn – wie hier – Nebenstellen einer Dienststelle nach Maßgabe von § 5 Abs. 3 LPersVG verselbständigt werden, so wird neben den einzelnen Personalräten in der Hauptdienststelle und den Nebenstellen ein Gesamtpersonalrat gebildet (§ 56 Abs. 1 LPersVG). Für die Verteilung der Zuständigkeit zwischen dem Personalrat der Hauptdienststelle und dem Gesamtpersonalrat erklärt § 56 Abs. 2 Satz 1 LPersVG die Regelungen in § 53 Abs. 1 und 7 LPersVG für entsprechend anwendbar. Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, der auch die Berufungskammer folgt, hat die Zuständigkeitsabgrenzung danach zu erfolgen, welche Beschäftigten von der mitbestimmungspflichtigen Maßnahme betroffen werden. Der Gesamtpersonalrat ist beteiligt, wenn der Leiter der Hauptdienststelle eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit regelt, die Beschäftigte einer verselbständigten Dienststelle oder mehrerer verselbständigten Dienststellen oder den gesamten Geschäftsbereich der Dienststelle betrifft. Umgekehrt ist der örtliche Personalrat bei der Hauptdienststelle zur Mitbestimmung berufen, wenn die von dem Leiter dieser Dienststelle verfügte beteiligungspflichtige Angelegenheit ausschließlich die Beschäftigten der Hauptdienststelle betrifft (vgl. OVG Rheinland-Pfalz 08.04.2005 – 5 A 10100/05 – Rn. 32 mwN; BVerwG 29.08.2005 – 6 PB 6/05 – Rn. 5 mwN).

Für die Zuständigkeitsabgrenzung ist nur auf die konkret beabsichtigte mitbestimmungspflichtige Maßnahme abzustellen. Eine Personalmaßnahme betrifft in aller Regel diejenige Dienststelle ausschließlich, bei der der Adressat der Maßnahme seinen Dienstposten hat. Mittelbare Betroffenheiten oder abstrakte Auswirkungen der mitbestimmungspflichtigen Maßnahme auf die Beschäftigten einer anderen Dienststelle reichen zur Begründung einer mehrere Dienststellen umgreifenden Mitbestimmungsbefugnis nicht aus (vgl. OVG Rheinland-Pfalz 08.04.2005 – 5 A 10100/05 – Rn. 35, 36 mwN).

bb) Nach diesen Grundsätzen ist zunächst festzuhalten, dass von der beabsichtigten Kündigung ausschließlich der Kläger betroffen war. Wie oben ausgeführt, reicht für die Betroffenheit als Maßstab der Zuständigkeitsverteilung nicht aus, dass sich das Ausscheiden des Klägers auf die Beschäftigten der Regionalstelle T. auswirken kann. Der Kläger war Beschäftigter der Hauptdienststelle in C-Stadt. Er ist organisationsrechtlich innerhalb der S. N. nicht – auch nicht teilweise – der Regionalstelle T. zugeordnet worden. Ihm wurde im Organisations- und Geschäftsverteilungsplan der S. N. kein spezieller Aufgabenkreis in der Regionalstelle T. zugewiesen. Der Kläger wurde nicht nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TV-L aus dienstlichen oder betrieblichen Gründen nach T. versetzt oder abgeordnet. Es ist auch keine Teilabordnung nach T. erfolgt (vgl. zur Teilabordnung BAG 11.06.1992 – 6 AZR 218/91). Ein förmliches Verfahren zur Zuweisung einer Stelle am Dienstort T., einschließlich des erforderlichen Mitbestimmungsverfahrens wurde nicht durchgeführt. Für die Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Personalrat der Hauptdienststelle C-Stadt und dem Gesamtpersonalrat ist unerheblich, dass der Kläger seit dem Jahr 2016 an der Erstellung wasserrechtlicher Bescheide mitgewirkt hat, die dem Referat 34 (Regionalstelle Wasserwirtschaft in T.) zugewiesen sind. Der Dienstort des Klägers war die Hauptdienststelle in C-Stadt. Dienstrechtlicher Vorgesetzter des Klägers war Abteilungsleiter R. der Abteilung 3. Für das Tätigwerden des Gesamtpersonalrats bestand damit kein Anlass.

b) Die mit Schreiben vom 7. Dezember 2020 erfolgte Beteiligung des Personalrats ist inhaltlich nicht zu beanstanden.

aa) Der Inhalt der Unterrichtung gemäß § 83 Abs. 3 LPersVG ist – wie nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG – nach ihrem Sinn und Zweck grundsätzlich subjektiv determiniert. Der Arbeitgeber muss dem Personalrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er dem Personalrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet. Schildert er dem Personalrat bewusst einen solchen irreführenden Kündigungssachverhalt, der sich bei der Würdigung durch den Personalrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung unwirksam (vgl. BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 44 mwN).

bb) Gemessen hieran ist die mit Schreiben vom 7. Dezember 2020 erfolgte Beteiligung des Personalrats inhaltlich nicht zu beanstanden. Der Präsident der S. N. hat den Personalrat in diesem Schreiben umfassend über die aus seiner Sicht tragenden Umstände informiert. Obwohl grundsätzlich keine Verpflichtung besteht, dem Personalrat vorhandene schriftliche Unterlagen auszuhändigen (st. Rspr., vgl. etwa BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 43 mwN), wurde dem Personalratsvorsitzenden die E-Mail des Klägers vom 28. November 2020 an den im Tatbestand aufgeführten Verteilerkreis mit sämtlichen Anlagen am 7. Dezember 2020 übermittelt.

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts war der Präsident der S. N. nicht verpflichtet, dem Personalrat mitzuteilen, dass die Behauptung des Klägers, er habe ihn im Jahr 2014 damit beauftragt, die Dissertation des CDU-Politikers Dr. Z. auf Plagiate zu überprüfen, zutreffe. Der Präsident bestreitet dies. Er musste bei der Anhörung des Personalrats mit Schreiben vom 7. Dezember 2020 nicht damit rechnen, dass das Arbeitsgericht im Kündigungsschutzprozess sein Bestreiten iSv. § 138 Abs. 3 ZPO als prozessual unzureichend betrachtet. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Personalrat reicht – wie im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG – nicht so weit wie seine Darlegungslast im Prozess (vgl. BAG 07.05.2020 – 2 AZR 678/19 – Rn. 15 mwN). Die Berufung weist zutreffend darauf hin, dass mit der richterlichen Wertung, das beklagte Land habe den prozessualen Erklärungspflichten nach § 138 ZPO nicht genügt, der Umfang der Unterrichtungspflicht gegenüber dem Personalrat nicht definiert werden kann.

Im Anhörungsschreiben vom 7. Dezember 2020 wurde formuliert, dass der Kläger in seiner E-Mail vom 28. November 2020 „unter Beifügung von zwei Gesprächsvermerken vom Dezember 2014, die keine Unterschrift und keinerlei Gegenzeichnung oder Kenntnisnahme meiner Person aufweisen, Bezug auf einen angeblichen Ausforschungsauftrag im kommunalpolitischen Raum und eine Dissertation betreffend“ genommen habe. Der Kläger habe „weder Beweise für diese Behauptung“ noch habe „der Unterzeichner bisher Kenntnis von der Existenz der genannten Schriftstücke“ gehabt. Damit hat der Präsident gegenüber dem Personalrat die Vorwürfe gegen den Kläger aus seiner subjektiven Sicht geschildert. Eine bewusste Irreführung des Personalrats liegt nicht vor.

2. Das Schreiben des Klägers vom 28. November 2020 (nebst Anlagen) an den im Tatbestand aufgeführten Verteilerkreis war „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben.

a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG 23.08.2018 – 2 AZR 235/18 – Rn. 12 mwN).

Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (vgl. BAG 31.07.2014 – 2 AZR 505/13 – Rn. 40 mwN).

Nach § 3 Abs. 2 TV-L, der kraft einzelvertraglicher Vereinbarung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung fand, haben die Beschäftigten des beklagten Landes über Angelegenheiten, deren Geheimhaltung durch gesetzliche Vorschriften vorgesehen oder vom Arbeitgeber angeordnet ist, Verschwiegenheit zu wahren. Nach § 37 Abs. 1 BeamtStG besteht für Beamte die Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit. Auch nicht beamtete Beschäftigte des beklagten Landes unterliegen der Verschwiegenheitspflicht und werden – wie der Kläger – bei ihrer Einstellung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses auf die gewissenhafte Erfüllung dieser Obliegenheit förmlich verpflichtet. Die schuldhafte Verletzung dieser Pflicht kann eine Kündigung rechtfertigen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 02.06.2016 – 5 Sa 354/15 – Rn. 43 mwN).

b) Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Kläger mit der E-Mail vom 28. November 2020 (nebst den beigefügten Anlagen) an den im Tatbestand aufgeführten Verteilerkreis die ihm arbeitsvertraglich obliegende Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des beklagten Landes gemäß § 241 Abs. 2 BGB erheblich verletzt hat und darin „an sich“ ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung liegt.

Ferner hat der Kläger seine Verpflichtung zur Verschwiegenheit aus § 3 Abs. 2 TV-L verletzt. Der Präsident der S. N. hat mit Schreiben vom 12. Januar 2015 anlässlich der Beendigung der Tätigkeit des Klägers als persönlicher Referent des Behördenleiters ausdrücklich angeordnet, dass Angelegenheiten, die dem Kläger im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit in diesem Aufgabenbereich bekannt wurden, der Geheimhaltung unterliegen. Diese Anordnung wurde dem Kläger am 21. Januar 2015 förmlich zugestellt.

aa) Gleichwohl hat sich der Kläger in seiner E-Mail (nebst Anlagen) über interne dienstliche Angelegenheiten geäußert, dabei hat er sowohl den Präsidenten als auch den Abteilungsleiter N. in Parteikreisen von Bündnis90/Die Grünen diskreditiert.

In seinem Schreiben vom 28. November 2020 heißt es ua.:

„Bedauerlicherweise hat sich … die Zusammenarbeit mit dem Grünen Präsidenten der S. N. nicht erfolgreich entwickelt. Im Gegenteil, es kam zu einem Zerwürfnis. … Vordergründig geht es bei der Auseinandersetzung um meine Kritik an dem Projekt zur Neugestaltung des Loreley-Plateaus. …

Den tieferen, eigentlichen Grund der S.-N.-internen Auseinandersetzungen muss man in meiner Verweigerung gegenüber der von H. K. eingeforderten Loyalität erkennen. K. erwartet selbstverständlich Loyalität, das ist völlig legitim. Vor allem aber braucht K. Loyalität bedingungslos (vgl. Anlage 1). Ein solcher Anspruch geht weit über dienstliche Erfordernisse und Pflichten hinaus, er ist vor allem hoch problematisch.

… Es sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass aus einer Behörde heraus nicht gegen politische Konkurrenten des Behördenleiters vorgegangen werden kann und darf (Anlage 2). Der hier in Rede stehende Vorgang wird in dem anliegenden Entwurf eines Schreibens an den Personalrat der Behörde näher beschrieben (Anlage 3, Ziff. III.) Ich fühle mich auch heute noch an die als „Waterkantgate“ in die politische Geschichte der Bundesrepublik eingegangene Barschel-Pfeiffer-Affaire von 1987 erinnert, hier nun an Rhein und Mosel.

Die nach dem Dienstrecht unumgängliche Abweisung eines rechtswidrigen dienstlichen Auftrages – sog. Remonstration – hat allerdings bis heute schwerste Konsequenzen für meine berufliche Laufbahn. Diese entwickelte sich exakt nach dem „Drehbuch“ formeller und informeller Vergeltung innerhalb der S. N., wie sie unsere Bundestagsfraktion für solche Fälle schon 2011 problematisiert hatte (….): Ich wurde mit „an den Haaren herbeigezogenen“ Gründen um die Vorgänge zu dem Loreley-Projekt einem schikanösen Abmahnverfahren ausgesetzt, dienstrechtlich sanktioniert und in fachfremde und unterwertige Beschäftigung strafversetzt.

Gegenwärtig hat H. K. seine Vergeltungsmaßnahmen im Dienstverhältnis bis in alle Zukunft durch einen erneut rechtswidrigen Personalakteneintrag absichern lassen (vgl. Anlagen 1 und 3, Ziffer II.).

…Im Gegenteil nutzt der von euch in das Amt des Präsidenten der S.-N. gestellte Dr. K. seine Macht an der Spitze des ihm im Wortsinn zu bedingungsloser Loyalität unterworfenen Behördenapparates gegen mich als Einzelnen – als einem Grünen, der an anderer Stelle politische Verantwortung für unsere Partei trägt. Die in Maßnahmen der formellen und informellen Vergeltung zum Ausdruck kommende Verachtung unseres Grünen emanzipatorischen Anspruchs für die Gesellschaft, die ja auch unsere Bundestagsfraktion für die Verwaltung kritisiert (s. oben), ist an sich schon absurd. …

Einer anhaltenden Verletzung meiner Integrität und Persönlichkeitsrechte darf ich jedenfalls – auch mit Blick auf mein Mandat im Rat der Stadt A-Stadt – mit einer Flucht in die verwaltungsinterne Öffentlichkeit entgegentreten.

… Sollte der Präsident der S. N. meiner Darstellung widersprechen, so sei er auf den Rechtsweg hingewiesen.“

In der beigefügten Anlage 1 (Schreiben an Abteilungsdirektor N. vom 28. November 2020) führt der Kläger ua. aus:

„Sie erlauben mir unabhängig davon noch einige Anmerkungen zu dem Ihnen bereits bekannten Zitat von John F. Kennedy aus dem Tagebuch zu einer Deutschlandreise von 1945 („An der Fügsamkeit der deutschen Beamten zeigt sich, wie einfach es in Deutschland wäre, die Macht an sich zu reißen. Sie besitzen weder die Neugier der Amerikaner noch deren angeborene widerständige ‚Ich bin aus Missouri, erklärt mir das erst mal!‘-Haltung gegenüber der Obrigkeit“.

Tatsache ist und bleibt aber, dass Sie wiederholt angegeben haben, dem Präsidenten Dr. K. zu „bedingungsloser Loyalität verpflichtet“ zu sein. Dies irritiert. Denn nach 1945 haben sich alle Täter in Militär und Verwaltung, gleich ob überzeugter Nazi, Mitläufer oder nur unpolitischer Profiteur der Umstände, auf eine solche unbedingte Loyalitätspflicht berufen, um von der Verantwortung befreit zu sein. Kennedy hatte folgerichtig erkannt, dass der bedingungslose Gehorsam der deutschen Beamten die Diktatur in ihrer Entstehung und Existenz begünstigt, wenn nicht sogar erst ermöglicht hatte. Jedenfalls ich begreife das nationalsozialistische Berufsbeamtentum, das „unbedingten Gehorsam“ forderte (§ 1 Abs. 3 Deutsches Beamtengesetz v. 26. Januar 1937) als entscheidendes Gegenbild für unsere Arbeit. …

Sie erlauben mir bitte, den Blick etwas zu weiten: Im Landtag von Rheinland-Pfalz ist mit der AfD bereits eine rechte, in Teilen faschistische Partei vertreten. Im Deutschen Bundestag hat sie jüngst mit Methoden der Nazis ihre Verachtung gegenüber demokratischen Institutionen demonstriert, als Abgeordnete von „Besuchern“ der AfD bedrängt und beleidigt wurden. Weder Sie noch ich können ausschließen, dass Vertreter einer solchen Partei in Zukunft Teil der Landesregierung in I. werden, ein solcher dann Präsident der S. N. wird. Hier drängt sich die Frage auf, ob Sie sich dann weiterhin zu „bedingungsloser persönlicher Loyalität“ verpflichtet sehen werden? Diese Frage besorgt mich zutiefst. …“

Als Anlage 3 zum Schreiben vom 28. November 2020 fügte der Kläger den undatierten Entwurf eines Schreibens an die Personalvertretung bei. In dieser Anlage heißt es auszugsweise:

„… Mit juristisch fragwürdiger Argumentation in einem Schreiben vom 10.08.2020 umgeht die Behördenleitung ein unbedingtes gesetzliches Erfordernis zur Löschung einer auf die Maßregelung bezogenen Dienstaufsichtsbeschwerde vom 14.09.2018. Die absehbaren Konsequenzen aus einem negativen Personalakteneintrag für das berufliche Fortkommen bestätigen indes nur von Anfang an gehegte Befürchtungen zu Herrn Dr. K. Vergeltungsabsichten. ….

In der hier objektiv zu Tage tretenden Willkür ist das fortbestehende Ziel des Behördenleiters Dr. K. zur Durchführung formeller Vergeltungsmaßnahmen erkennbar, die von den ihm zu unbedingter persönlicher Loyalität verpflichteten Untergebenen treu und geflissentlich ausgeführt werden. ….

Persönlich fühlte ich mich an die als „Waterkantgate“ in die Geschichte eingegangene Barschel-Affaire des Jahres 1987 erinnert, als der damalige Schleswig-Holsteinische Ministerpräsident seinen Medienreferenten P. mit der Durchführung einer Schmutzkampagne gegen den Spitzenkandidaten der SPD Y. beauftragte. Mir ist dieser skandalöse und in der Geschichte der Bundesrepublik einmalige Fehltritt auch deshalb gut präsent, weil ich …. Y. … persönlich kennenlernen durfte. Herr Dr. K. wollte den politischen Irrweg entgegen aller Bedenken gehen, der sich mir bis heute auch als Angriff auf meine eigene Integrität darstellt.

Der erteilte Arbeitsauftrag war nicht nur moralisch fragwürdig und politisch brisant, sondern auch rechtswidrig. Der Tatbestand des § 357 StGB ist erfüllt, weil die Behörde nur rechtskonform im Rahmen ihres gesetzlich bestimmten Aufgabenbereichs handelt. …

Letztlich muss in der Verweigerung der Gefolgschaft in die Illegalität gegen einen als „Waterkantgate vom Rhein“ zu bezeichnenden Vorgang der eigentliche Auslöser und Grund für die bis heute durchgreifenden Folgen formeller und informeller Vergeltung erkannt werden. Da dieser wahre Grund offiziell nicht bezeichnet werden konnte, wurden bei nächst passender Gelegenheit schwerste Vorwürfe angeblicher Illoyalität „an den Haaren herbeigezogen“ oder anders gesagt erfunden. Diese Gelegenheit war der Architektenwettbewerb Loreley-Plateau ….“

Mit diesen Schreiben hat der Kläger, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts, ohne rechtfertigenden Grund seine Pflicht zur Rücksichtnahme und zur Verschwiegenheit verletzt.

Die Berufung weist zutreffend darauf hin, dass der Kläger den Abteilungsdirektor N. mit seinen Ausführungen zum „bedingungslosen“ Loyalitätsverhalten in seiner Ehre herabgesetzt hat. Die Äußerungen sind nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) gedeckt. Nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts (vgl. zuletzt BVerfG 09.02.2022 – 1 BvR 2588/20) ist zwischen Meinungsfreiheit und Ehrschutz bzw. der sie beschränkenden Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB eine Abwägung vorzunehmen. Dabei ist zu würdigen, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet. Freilich erlaubt auch eine Machtkritik nicht jede Herabwürdigung von Amtsträgern. Nicht nur das Zitat des Ausspruchs von John F. Kennedy, auch die Ausführungen des Klägers zum Obrigkeitsgehorsam von Tätern in der Verwaltung zur Zeit des Nationalsozialismus stellen eine erhebliche Ehrverletzung des Abteilungsdirektors dar. Die Meinungsäußerungsfreiheit des Klägers tritt bei einer wertenden Gegenüberstellung dahinter zurück. Seine Angriffe sind im groben Maße unsachlich. Es bestand kein nachvollziehbarer Anlass Abteilungsdirektor N. in die Nähe des Nationalsozialismus bzw. durch den Exkurs zu den Methoden der AfD „in die rechte Ecke“ zu rücken.

Auch die Anwürfe gegenüber dem Präsidenten der S. N. sind nicht gerechtfertigt. Der Kläger ist im Januar 2015 ausdrücklich angewiesen worden, Angelegenheiten, die ihm im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit als persönlicher Referent des Behördenleiters bekannt wurden, geheim zu halten. Gegen diese Anweisung hat der Kläger bewusst und gewollt verstoßen, indem er sich mit seinem Schreiben vom 28. November 2020 an den im Tatbestand aufgeführten Verteilerkreis aus der Politik wandte. Er unterlag keinem unverschuldeten Rechtsirrtum, wenn er meint, sein Handeln sei nach der Notstandsregelung des § 34 StGB gerechtfertigt. Der Kläger hat einen sechs Jahre zurückliegenden Sachverhalt – den bestrittenen Auftrag, die Dissertation eines CDU-Politikers auf Plagiate zu untersuchen – zum Anlass genommen, die bevorstehende Ernennung des Präsidenten zum Umweltstaatssekretär zu verhindern. Er wirft dem Präsidenten „Vergeltungsmaßnahmen“ und eine Straftat (§ 357 StGB) vor, außerdem zieht er Vergleiche zur Barschel-Pfeiffer-Affäre.

bb) Der Kläger kann sich nicht damit entlasten, dass sein Verhalten ein im „öffentlichen Interesse liegendes rechtmäßiges Whistleblowing“ darstelle (vgl. EGMR 16.02.2021 – 23922/19 – [Gawlik] Rn. 64 ff). Er hätte sich mit seinen Anschuldigungen gegen den Präsidenten oder den Abteilungsleiter N. an das MdI, der zuständigen obersten Dienstbehörde, oder eine Strafverfolgungsbehörde (bspw. die Staatsanwaltschaft) wenden können. Den Vorwurf, er sei vom Präsidenten im Jahr 2014 beauftragt worden, die Dissertation des CDU-Politikers Dr. Z. auf Plagiate zu untersuchen, hat der Kläger in seiner (ersten) Dienstaufsichtsbeschwerde vom 15. September 2018 nicht erhoben. Der Versand der E-Mail vom 28. November 2020 an den im Tatbestand aufgeführten Verteilerkreis erfolgte nicht im „öffentlichen Interesse“, sondern aus Enttäuschung über die beabsichtigte Ernennung des Präsidenten der S. N. zum Umweltstaatssekretär.

Es ist unerheblich, ob die Behauptung des Klägers zutrifft, er sei als damaliger persönlicher Referent vom Präsidenten im Jahr 2014 angewiesen worden, die Dissertation des CDU-Politikers Dr. Z. auf Plagiate zu prüfen. Eine Verletzung der Rücksichtnahme- und Verschwiegenheitspflicht ist – entgegen der Ansicht des Klägers – nicht stets schon dann zu verneinen, wenn ein Beschäftigter des öffentlichen Dienstes Vorwürfe gegenüber seinem Arbeitgeber erhebt, ohne dabei wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben zu machen. Eine Anzeige kann unabhängig vom Nachweis der mitgeteilten Verfehlung und ihrer Strafbarkeit ein Grund zur Kündigung sein, wenn sie sich als eine unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten darstellt. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, nach der Strafanzeigen gegen den Arbeitgeber mit dem Ziel, Missstände in Unternehmen oder Institutionen offenzulegen, grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art. 10 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten fallen (EGMR 21.07.2011 – 28274/08 – [Heinisch] Rn. 63 ff.), schließt eine solche Bewertung nicht generell aus (vgl. BAG 27.09.2012 – 2 AZR 646/11 – Rn. 37).

Vorliegend fällt ins Gewicht, dass der Kläger keine Strafanzeige bei der zuständigen Strafverfolgungsbehörde erstattet oder eine weitere Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben, sondern versucht hat, über politische Kanäle bei Bündnis90/Die Grünen auf seinen Arbeitgeber einzuwirken. Zu einer derartigen Verletzung der Rücksichtnahme- und Verschwiegenheitspflicht bestand kein Grund. Die im Schreiben vom 28. November 2020 aufgeführten „Vergeltungsmaßnahmen“ sind vom zuständigen MdI aufgrund der Dienstaufsichtsbeschwerde des Klägers geprüft worden. Das MdI hat nach Prüfung weder ein persönliches Fehlverhalten des Präsidenten noch des Abteilungsleiters N. festgestellt. Dies wurde dem Kläger am 17. Januar 2019 schriftlich mitgeteilt. Dem Kläger wurde auch mitgeteilt, dass ihm der Rechtsweg freistehe, soweit er sich mit der Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Ermahnung wegen des Vorwurfs illoyalen Verhaltens vom 29. Februar 2019 richte. In seiner Dienstaufsichtsbeschwerde vom 15. September 2018 hat der Kläger den bestrittenen Auftrag zur Plagiatsprüfung aus dem Jahr 2014 noch nicht einmal erwähnt, der Anlass zu den „Vergeltungsmaßnahmen“ gewesen sein soll. Eine Klage auf Entfernung der Ermahnung vom 29. Februar 2016 hat er erstmals mit der Anschlussberufung im März 2022 erhoben.

3) Dem beklagten Land war es im Rahmen der nach § 626 BGB erforderlichen umfassenden Interessenabwägung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Streitfalls gleichwohl noch zumutbar, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger wenigstens bis zum Ablauf der tariflichen Kündigungsfrist am 31. März 2021 fortzusetzen. Dabei berücksichtigt die Berufungskammer zu Gunsten des Klägers die Dauer des am 1. Mai 2013 begründete Arbeitsverhältnisses und sein Lebensalter von 57 Jahren im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung. Der Kläger wird es voraussichtlich schwer haben, eine adäquate neue Stelle zu finden. Im Rechtsstreit auf vertragsgemäße Beschäftigung (5 Ca 1921/20) hat das beklagte Land im Schriftsatz vom 2. Juli 2020 ausgeführt, dass eine landesweite Abfrage, ob eine anderweitige Verwendungsmöglichkeit für den Kläger bestehe, ergebnislos verlaufen sei.

4. Allerdings ist die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 9. Dezember 2020 zum 31. März 2021 rechtswirksam.

a) Sie ist nicht nach § 44 Abs. 1 der Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (GO NRW) nichtig. Der Kläger ist zwar Stadtverordneter in der Fraktion Bündnis90/Die Grünen im Rat der Stadt A-Stadt. Nach § 44 Abs. 1 GO NRW sind Kündigungen oder Entlassungen aus Anlass der Bewerbung, Annahme oder Ausübung eines Mandats als Ratsmitglied unzulässig. Darum geht es hier nicht.

b) Die ordentliche Kündigung ist ferner nicht nach § 83 Abs. 4 LPersVG unwirksam. Der zuständige örtliche Personalrat der Hauptdienststelle C-Stadt (siehe unter A II 1 der Gründe) wurde mit Schreiben vom 7. Dezember 2020 ausdrücklich auch zu einer hilfsweise ordentlichen Kündigung angehört. Der Personalratsvorsitzende hat am 8. Dezember 2020 mitgeteilt, dass der Personalrat nach eingehender Beratung gegen die beabsichtige Maßnahme keine Einwendungen habe. Mit dieser abschließenden Stellungnahme war das Beteiligungsverfahren abgeschlossen.

c) Die ordentliche Kündigung ist sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG. Sie ist durch Gründe im Verhalten des Klägers bedingt.

aa) Eine Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist. Auch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers kann eine Kündigung rechtfertigen. Eine Kündigung scheidet dagegen aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers – wie etwa eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (vgl. BAG 16.12.2021 – 2 AZR 356/21 – Rn. 12 mwN).

bb) Der Versand der E-Mail vom 28. November 2020 (nebst den beigefügten Anlagen) an den im Tatbestand aufgeführten Verteilerkreis rechtfertigt die ordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung. Nach objektiven Maßstäben war für den Kläger erkennbar, dass das beklagte Land sein Verhalten nicht hinnehmen oder nur mit einer Abmahnung reagieren wird. Für eine verhaltensbedingte Kündigung gilt das sog. Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht Sanktion für die Vertragspflichtverletzung, sondern dient der Vermeidung des Risikos weiterer Pflichtverletzungen. Eine vorherige Abmahnung ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aber ausnahmsweise entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann. Davon ist nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falls auszugehen.

cc) Die abschließende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Klägers aus. Das beklagte Land muss einen derartigen Verlauf des Arbeitsverhältnisses – über die ordentliche Kündigungsfrist hinaus – nicht länger hinnehmen. Das Arbeitsverhältnis ist bereits seit Anfang 2015 erheblich gestört. Obwohl der Kläger von seinen Aufgaben als persönlicher Referent des Behördenleiters entbunden wurde, hat ihn die S. N. unter Fortzahlung einer Vergütung nach Entgeltgruppe 14 TV-L „ganz bewusst“ (Zitat aus der Klageerwiderung vom 2. Juli 2020 in 5 Ca 1921/20) weiterbeschäftigt, weil man ihm „nicht auch noch einen finanziellen Nachteil zufügen wollte“. Für den Kläger bestand innerhalb der S. N. – und auch landesweit – bereits seit Jahren keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr, die den tariflichen Anforderungen der Entgeltgruppe E 14 TV-L entsprach. Die ständigen Querelen, die der Kläger mit seiner E-Mail vom 28. November 2020 („Flucht in die Öffentlichkeit“) auch nach außen getragen hat, sind dem beklagten Land nicht länger zumutbar.

5. Der Auflösungsantrag des beklagten Landes fällt nicht zur Entscheidung an. Er wurde nur hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Klageabweisungsantrag gegen die hilfsweise ordentliche Kündigung gestellt.

B. Die zulässige Anschlussberufung des Klägers ist unbegründet.

I. Nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist eine Anschlussberufung bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung zulässig. Der Kläger hat fristgerecht Anschlussberufung eingelegt. Die Berufungserwiderungsfrist nach § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG wurde antragsgemäß bis zum 16. März 2022 verlängert. Die mit der Berufungserwiderung erfolgte Klageerweiterung vom 16. Februar 2022 ist am 16. März 2022, und damit innerhalb der Frist nach § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Sie ist auch innerhalb der Anschlussberufungsfrist begründet worden.

II. In der Sache hat die Anschlussberufung keinen Erfolg.

1. Mit der Klageerweiterung im Schriftsatz vom 16. Februar 2022, die am 16. März 2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist, hat der Kläger zwei neue Streitgegenstände in das Berufungsverfahren eingeführt. Es handelt sich um nachträgliche objektive Klagehäufungen, auf die § 263 ZPO entsprechend anwendbar ist. Über die Zulässigkeit der Klageänderung in der Berufungsinstanz ist nach dem Maßstab des § 533 ZPO zu entscheiden.

2. Für den Klageantrag zu Ziff. 3a) sind die Voraussetzungen einer Klageänderung in der Berufungsinstanz nicht erfüllt.

a) Nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 533 ZPO ist eine Klageänderung in der Berufungsinstanz nur zulässig, wenn die Gegenseite einwilligt oder das Gericht die Änderung für sachdienlich erachtet und wenn die Klageänderung auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat.

b) Eine Einwilligung des beklagten Landes iSd. § 533 Nr. 1 ZPO liegt nicht vor, das Land hat vielmehr der Einführung neuer Streitgegenstände in das Berufungsverfahren ausdrücklich widersprochen. Die nachträgliche objektive Klagehäufung ist nicht sachdienlich iSd. § 533 Nr. 1 ZPO.

aa) Maßgeblich für die nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilende Sachdienlichkeit ist der Gedanke der Prozesswirtschaftlichkeit, für den es entscheidend darauf ankommt, ob und inwieweit die Zulassung der Klageänderung zu einer sachgemäßen und endgültigen Beilegung des Streits zwischen den Parteien führt, der den Gegenstand des anhängigen Verfahrens bildet und einem anderenfalls zu erwartenden weiteren Rechtsstreit vorbeugt. Die Sachdienlichkeit kann im Allgemeinen nur dann verneint werden, wenn ein völlig neuer Streitstoff in den Rechtsstreit eingeführt werden soll, bei dessen Beurteilung das Ergebnis der bisherigen Prozessführung nicht verwertet werden kann (vgl. BAG 09.02.2022 – 5 AZR 347/21 – Rn. 21 mwN).

bb) Vorliegend ist die Einführung des neuen Streitgegenstandes unter Berücksichtigung und Bewertung der beiderseitigen Interessen nicht sachdienlich. Mit dem Klageantrag zu Ziff. 3a) verlangt der Kläger, die Verurteilung des beklagten Landes, die ihm mit Schreiben vom 29. Februar 2016 erteilte Ermahnung zurückzunehmen und aus der Personalhauptakte zu entfernen, einschließlich sämtlicher damit im Zusammenhang stehender Schreiben, insbesondere der Dienstaufsichtsbeschwerde vom 15. September 2018 zu der die vorgenannte Ermahnung als Anlage geführt wird. Es ist nicht prozesswirtschaftlich das Kündigungsschutzverfahren, für das der Beschleunigungsgrundsatz (§ 61a ArbGG) gilt, mit zusätzlichem Prozesstoff auf Entfernung von Unterlagen aus der Personalakte und damit mit Fragen des Personalaktenrechts zu überfrachten.

c) Selbst wenn man das anders sehen wollte, steht § 533 Nr. 2 ZPO der vorliegenden Klageänderung entgegen. Danach ist eine in der nachträglichen objektiven Klagehäufung liegende Klageänderung in der Berufungsinstanz nur zulässig, wenn sie auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat, die also entweder vom Arbeitsgericht festgestellt (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder als neue Tatsachen berücksichtigungsfähig (§ 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) sind (vgl. BAG 09.02.2022 – 5 AZR 347/21 – Rn. 23 mwN). Wie bereits ausgeführt, müsste die Berufungskammer bei der Entscheidungsfindung einen neuen Prozessstoff berücksichtigen, der in der ersten Instanz und im Berufungsverfahren bis zum Zeitpunkt der Berufungserwiderung keine Rolle gespielt hat.

3. Für den Klageantrag zu Ziff. 3b) sind zwar die oben genannten Voraussetzungen einer Klageänderung in der Berufungsinstanz nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 533 ZPO erfüllt. Die Klageerweiterung ist sachdienlich, sie kann auf Tatsachen gemäß § 533 Nr. 2 ZPO gestützt werden.

a) Der Feststellungsantrag ist gemäß § 256 Abs. 2 ZPO als Zwischenfeststellungsklage zulässig. Der Kläger will festgestellt haben, dass sein Schreiben (E-Mail) vom 28. November 2020 an den Landesverband Rheinland-Pfalz von Bündnis90/Die Grünen, die Fraktionen von Bündnis90/Die Grünen im rheinland-pfälzischen Landtag und im Deutschen Bundestag sowie an das Ministerium für Familien, Frauen, Jugend und Integration Rheinland-Pfalz unter Beifügung der Anlagen keinen Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten, insbesondere seine Rücksichtnahmepflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB, sondern im Gegenteil ein im öffentlichen Interesse liegendes rechtmäßiges „Whistleblowing“ darstellt.

aa) Nach § 256 Abs. 2 ZPO kann der Kläger zugleich mit der Hauptklage auf Feststellung eines die Entscheidung bedingenden, dh. vorgreiflichen Rechtsverhältnisses klagen. Damit wird ein Element aus der Gesamtentscheidung verselbständigt und mit eigener Rechtskraft versehen. Grund hierfür ist die Eignung dieses Elements, über den konkreten Einzelfall hinaus, der mit der Hauptklage entschieden wird, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für mögliche Folgestreitigkeiten herzustellen. Eine Zwischenfeststellungsklage bedingt daher, dass die Frage nach dem Bestehen des entsprechenden Rechtsverhältnisses notwendig auch bei der Entscheidung über den Hauptantrag beantwortet werden muss, aber darüber hinaus auch für andere denkbare Folgestreitigkeiten Bedeutung haben kann. Diese Vorgreiflichkeit ersetzt die ansonsten notwendige Voraussetzung eines Feststellungsinteresses (vgl. BAG 21.05.2019 – 9 AZR 260/18 – Rn. 20 mwN).

bb) Danach ist der Antrag des Klägers zu Ziff. 3b) als Zwischenfeststellungsantrag zulässig. Wenn sich das Gericht in einem bereits anhängigen Rechtsstreit (hier der Kündigungsschutzklage) ohnehin mit vorgreiflichen Rechtsverhältnissen zu befassen hat, ist es sinnvoll, alle zugrundeliegenden Rechte und Pflichten oder wenigstens einen Teil von ihnen rechtskräftig klären zu lassen. Auch wenn sich die Zwischenfeststellungsklage auf einen Teil der vorgreiflichen Rechte und Pflichten beschränkt, bedeutet dies weder für die Berufungskammer noch für das beklagte Land eine zusätzliche Belastung.

b) Der Klageantrag zu Ziff. 3b) ist aber unbegründet. Der Kläger hat gegen seine vertragliche Rücksichtnahmepflicht und seine Verschwiegenheitspflicht verstoßen. Hierfür gab es keinen rechtfertigenden Grund. Seine E-Mail vom 28. November 2020 an den im Tatbestand aufgeführten Verteilerkreis stellt kein im öffentlichen Interesse liegendes rechtmäßiges „Whistleblowing“ dar. Zur Begründung kann auf die obigen Ausführungen (unter A II 2) verwiesen werden.

C. Die Kostenentscheidung folgt für das Berufungsverfahren – bei einem Streitwert von € 23.322,00 – aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO und für das erstinstanzliche Verfahren – bei einem Streitwert von € 19.435,00 – aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 269 Abs. 3 ZPO. Die Kosten des Rechtsstreits waren für jede Instanz nach dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens zu quoteln. Den Weiterbeschäftigungsantrag hat der Kläger in erster Instanz zurückgenommen.

Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

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