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Fristlose Kündigung bei Besuchs- und Betretungsverbot während Corona-Pandemie

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg – Az.: 10 Sa 69/20 – Urteil vom 19.05.2021

I. Das Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 7. Oktober 2020 – 4 Ca 622/19 – wird auf die Berufungen der Parteien unter Zurückweisung der jeweils weitergehenden Berufungen teilweise abgeändert und Tenor zu 3. – nachfolgend 2. – zur Klarstellung vollständig neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen an der Pforte/Telefonzentrale vollschichtig weiter zu beschäftigen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Vergütung zu bezahlen in Höhe von

  • 2.484,25 Euro brutto abzüglich 1.109,25 Euro netto für Dezember 2019 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. Januar 2020;
  • 3.023,02 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für März 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. April 2020;
  • 3.023,02 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für April 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. Mai 2020;
  • 3.023,02 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Mai 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. Juni 2020;
  • 3.023,02 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Juni 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. Juli 2020;
  • 3.453,05 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Juli 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. August 2020;
  • 3.023,02 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für August 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. September 2020;
  • 3.023,02 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für September 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. Oktober 2020;
  • 3.023,02 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Oktober 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 3. November 2020;
  • 5.497,76 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für November 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. Dezember 2020 aus 3.023,02 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto sowie aus weiteren 2.474,74 Euro seit 2. Dezember 2020;
  • 3.023,02 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Dezember 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. Januar 2021,

wobei der Zinssatz jeweils 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz beträgt.

3. Die weitergehende Klage auf Zahlung von Annahmeverzugsvergütung wird abgewiesen.

II. Die Beklagte trägt von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz 49%, der Kläger 51%. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte 56%, der Kläger 44%.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Wirksamkeit von zwei außerordentlichen Kündigungen vom 5. Dezember 2019 und vom 29. April 2020 sowie über Ansprüche auf Weiterbeschäftigung und Annahmeverzugslohn.

Der am 0.0.1976 geborene Kläger ist seit dem 1. November 2002 als Pförtner bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft vertraglicher Verweisung in § 2 des Dienstvertrags vom 7. November 2002 die „Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes“ – nachfolgend: AVR – in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung (Anlage B7, Bl. 30 f. der erstinstanzlichen Akte). Die Tätigkeitsbeschreibung des Klägers lautet auf „Mitarbeiter der Kaufm. Abteilung /Pforte/Telefonzentrale“. Der Kläger erhält Vergütung nach den AVR-Bestimmungen gemäß der Entgeltgruppe 7 Stufe 10. Die monatliche Regelvergütung betrug 2.980,99 Euro brutto bis Februar 2020 und 3.023,02 Euro brutto ab März 2020. Hinzu kommen weitere Vergütungsbestandteile (vgl. die Abrechnung für Februar 2019, Anlage K9, Bl. 83 f. der erstinstanzlichen Akte). Unbestritten trug der Kläger vor, durchschnittlich habe er 3.220,63 Euro brutto monatlich verdient. Der Kläger ist nach § 14 Abs. 5 AVR ordentlich nicht kündbar.

Die Beklagte betreibt in R. eine Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Abhängigkeitserkrankungen, Gerontopsychiatrie und Neurologie auf dem Gelände des ehemaligen Klosters und Reichsstifts R1. Sie beschäftigt dort mehr als zehn Arbeitnehmer. Eine Mitarbeitervertretung – nachfolgend: MAV – ist gewählt.

Unter dem Aktenzeichen 12 Ca 22/17 führten die Parteien vor dem Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen – nachfolgend: Arbeitsgericht – einen Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung vom 29. Dezember 2016. Die Beklagte warf dem Kläger vor, gegen verschiedene arbeitsvertraglichen Verpflichtungen an seinem Arbeitsplatz an der Pforte verstoßen zu haben. Mit rechtskräftigem Urteil vom 31. Mai 2017 entschied das Arbeitsgericht, dass die ordentliche Kündigung sozial ungerechtfertigt war. In einem zweiten Rechtsstreit unter dem Aktenzeichen 3 Ca 65/19 stritten die Parteien um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 8. März 2019 im Zusammenhang mit einer Parkerlaubnis. Mit Urteil vom 8. Oktober 2019 entschied das Arbeitsgericht, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam war. Zugleich hat es die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Pförtner vollschichtig weiter zu beschäftigen. In der Berufungsverhandlung am 20. April 2020 erklärten die Parteien den Weiterbeschäftigungsantrag übereinstimmend für erledigt. Im Übrigen wies das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg – Kammern Freiburg – nachfolgend: Landesarbeitsgericht – die von der Beklagte eingelegte Berufung unter dem Aktenzeichen 9 Sa 68/19 mit Urteil vom 20. April 2020 zurück. Am 18. August 2020 stellte das Bundesarbeitsgericht fest, dass die Beklagte des Rechtsbehelfs der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision verlustig ist (Anlage BK6, Bl. 58 f. der Berufungsakte).

Am 28. November 2019 trafen sich die Parteien bei der Beklagten, nachdem der Kläger die Beklagte unter Androhung der Zwangsvollstreckung aufgefordert hatte, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits 3 Ca 65/19 weiter zu beschäftigen. Welche Tätigkeit der Personalleiter dem Kläger mitteilte, ist zwischen den Parteien streitig. Anwesend war jedenfalls auch der Leiter der Gärtnerei. Der Kläger erlitt daraufhin einen Schwächeanfall, sodass der notärztliche Dienst gerufen wurde. Eine internistische Untersuchung lehnte der Kläger ab. Am selben Tag teilte der Kläger der Beklagten über seinen Prozessbevollmächtigten mit, dass eine Beschäftigung in der Gärtnerei den Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers nicht erfüllen könne. Am 29. November 2019 bot der Kläger seine Arbeitskraft nicht an. Er wurde mit Schreiben vom selben Tag abgemahnt und zugleich aufgefordert, am 2. Dezember 2019 pünktlich zu seinem Dienst zu erscheinen. Er erschien nicht. Die Beklagte mahnte ihn mit Schreiben vom 2. Dezember 2019 erneut ab. Auch bis einschließlich 5. Dezember 2019 erschien er nicht. Mit Schreiben vom 5. Dezember 2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Die Kündigung ging dem Kläger am selben Tag zu.

Am 13. Dezember 2019 erteilte die Beklagte dem Kläger ein Hausverbot für das gesamte Gelände der Klinik mit der Formulierung: „Hiermit sprechen wir Ihnen ein „vorläufiges“ Hausverbot – unter Vorbehalt des aktuellen arbeitsgerichtlichen Verfahrens – aus. Das Hausverbot gilt für das Gelände der Klinik (also Parkplatz oder Zugangsverkehr).“ Unter dem 29. April 2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut fristlos. Das Schreiben ging dem Kläger am selben Tag zu. Die Beklagte erstattete Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch wegen behaupteter Verstöße gegen das Hausverbot, welcher die Staatsanwaltschaft keine Folge leistete.

Für den Zeitraum Mai 2019 bis Juli 2020 zahlte die Beklagte dem Kläger zunächst keine Vergütung, für März und April 2019 nur geringe Anteile. Dem Kläger wurde in diesem Zeitraum Arbeitslosengeld in Höhe von 44,37 Euro täglich gewährt. Mittlerweile sind die Vergütungsansprüche bis einschließlich 5. Dezember 2019 erfüllt.

Der Kläger hat – soweit für das Berufungsverfahren von Belang – vorgetragen, die Kündigung vom 5. Dezember 2019 sei unwirksam. Ihm sei am 28. November 2019 eine Tätigkeit in der Gärtnerei zugewiesen worden. Sein Dienstvertrag beschränke seine Tätigkeit aber auf die Pforte/Telefonzentrale. Beides sei Teilmenge der kaufmännischen Abteilung. Dazu gehöre die Gärtnerei nicht. Er sei deshalb nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet gewesen. Die Anhörung der MAV zur Kündigung vom 5. Dezember 2019 sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Auch die Kündigung vom 29. April 2020 beende das Arbeitsverhältnis nicht. Das Hausverbot sei unwirksam. Das Gelände des Klinikums sei für den öffentlichen Fußgänger- und Fahrradverkehr ausdrücklich freigegeben. Es habe keine Veranlassung gegeben, ihn von der allgemeinen Nutzung des Geländes auszuschließen. Das Hausverbot sei nur „vorläufig“ und sinnvollerweise wohl nur für den Fall ausgesprochen worden, dass die Beklagte im Berufungsverfahren hinsichtlich der Kündigung vom 8. März 2019 obsiege. Darüber hinaus habe der Kläger das Hausverbot nicht verletzt. Auch die Anhörung der MAV zur Kündigung vom 29. April 2020 sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Für die Zeit ab dem 8. März 2019 befinde sich die Beklagte in Annahmeverzug.

Der Kläger hat – soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung – beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten durch die Kündigung der Beklagten vom 5. Dezember 2019 nicht beendet wird.

3. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten durch die Kündigung der Beklagten vom 29. April 2020 nicht beendet wurde.

4. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Pförtner vollschichtig weiter zu beschäftigen.

5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Arbeitsvergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu bezahlen in Höhe von

a) 2.980,99 Euro brutto abzüglich 1.669,67 Euro netto für März 2019 nebst Zinsen hieraus seit 1. April 2019;

b) 2.980,99 Euro brutto abzüglich 1.367,67 Euro netto für April 2019 nebst Zinsen hieraus seit 1. Mai 2019;

c) 2.980,99 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Mai 2019 nebst Zinsen hieraus seit 1. Juni 2019;

d) 2.980,99 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Juni 2019 nebst Zinsen hieraus seit 1. Juli 2019

e) 3.393,76 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Juli 2019 nebst Zinsen hieraus seit 1. August 2019;

f) 2.980,99 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für August 2019 nebst Zinsen hieraus seit 1. September 2019;

g) 2.980,99 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für September 2019 nebst Zinsen hieraus seit 1. Oktober 2019;

h) 2.980,99 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Oktober 2019 nebst Zinsen hieraus seit 1. November 2019;

i) 5.455,73 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für November 2019 nebst Zinsen hieraus seit 1. Dezember 2019

j) 2.980,99 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Dezember 2019 nebst Zinsen hieraus seit 1. Januar 2020;

k) 2.980,99 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Januar 2020 nebst Zinsen hieraus seit 1. Februar 2020;

l) 2.980,99 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Februar 2020 nebst Zinsen hieraus seit 1. März 2020;

m) 2.980,99 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für März 2020 nebst Zinsen hieraus seit 1. April 2020;

n) 2.980,99 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für April 2020 nebst Zinsen hieraus seit 1. Mai 2020;

o) 2.980,99 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Mai 2020 nebst Zinsen hieraus seit 1. Juni 2020;

p) 2.980,99 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Juni 2020 nebst Zinsen hieraus seit 1. Juli 2020;

q) 3.393,76 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Juli 2020 nebst Zinsen hieraus seit 1. August 2020

wobei der Zinssatz jeweils 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz beträgt, abzüglich

  • jeweils 40,00 Euro netto abzuführender vermögenswirksamer Leistungen,
  • jeweils 0,55 % aus dem jeweiligen Bruttogehalt, netto abzuführender Zusatzversorgung KVBW

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, dem Kläger sei am 28. November 2019 eine Tätigkeit für die „kaufmännischen Abteilung betreffend die Gärtnerei“ angekündigt worden. Diese Tätigkeit sei vom Arbeitsvertrag erfasst. Am 5. Dezember 2019 sei die MAV hinsichtlich der auf den gleichen Tag datierten außerordentlichen Kündigung angehört worden. Gegen das am 13. Dezember 2019 ausgesprochene Hausverbot habe der Kläger am 3. April 2020 um ca. 20:30 Uhr verstoßen. Er habe sich an der Hauptwegkreuzung Gebäude 22 und 24 auf dem Gelände der Beklagten aufgehalten. Am 15. April 2020 um ca. 16:00 Uhr habe er sich am Gebäude W. (Gebäude sechs) aufgehalten. Über beide Vorfälle habe ein Arbeitnehmer den Personalleiter am 17. April 2020 informiert. Das Verhalten des Klägers stelle auch einen Hausfriedensbruch dar. Der Personalleiter habe am 24. April 2020 die MAV-Vorsitzende schriftlich informiert.

Einen Tag vor dem Kammertermin vor dem Arbeitsgericht am 7. Oktober 2020 hat die Beklagte die „sachliche Zuständigkeit“ des Arbeitsgerichts gerügt.

Mit Urteil vom 7. Oktober 2020 hat das Arbeitsgericht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen bejaht und der Klage überwiegend stattgegeben. Lediglich den allgemeinen Feststellungsantrag sowie den Weiterbeschäftigungsantrag hat es neben der Vergütungsklage für einige Tage im November und Dezember 2019 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein wichtiger Grund liege nicht vor, um die außerordentliche Kündigung vom 5. Dezember 2019 zu rechtfertigen. Der Kläger sei wegen der außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 8. März 2019 nicht zur Arbeit verpflichtet gewesen. Die Weiterbeschäftigung habe die Beklagte nur zur Abwendung der Zwangsvollstreckung angeboten. Auch die außerordentliche Kündigung vom 29. April 2020 beende das Arbeitsverhältnis nicht. Ein Hausfriedensbruch liege nicht vor. Bei dem Gelände der Beklagten handele es sich nicht um eine nach § 123 StGB geschützte Örtlichkeit. Das – wirksam – erteilte Hausverbot rechtfertige die Kündigung nicht. Auch wenn unterstellt werde, dass ein Verstoß gegen das Hausverbot einen an sich wichtigen Grund darstelle, sei der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar. Als milderes taugliches Mittel habe die Beklagte den Kläger zunächst abmahnen müssen. Der Vorwurf der Beklagten, der Kläger habe auf dem offen zugänglichen Gelände gegen das Hausverbot verstoßen, stelle keine schwerwiegende Pflichtverletzung dar. Die Wiederholungsgefahr sei gering. Das Hausverbot sei „vorläufig unter Vorbehalt des aktuellen arbeitsgerichtlichen Verfahrens“ ausgesprochen worden. Dieses sei aber rechtskräftig erledigt. Das Hausverbot entfalte keine Wirkung mehr. Aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses resultierten die vom Kläger geltend gemachten Vergütungsansprüche für März 2019 bis Juli 2020 aus Annahmeverzug. Die Beklagte habe sich aufgrund der unwirksamen Kündigungen vom 8. März 2019, 5. Dezember 2019 sowie 29. April 2020 seit dem 9. März 2019 in Annahmeverzug befunden. Der Annahmeverzug habe nicht dadurch geendet, dass die Beklagte den Kläger am 28. November 2019 aufgefordert habe, wieder zur Arbeit zu erscheinen. Die Leistung des Klägers habe sie nicht als Erfüllung des bestehenden Arbeitsvertrages annehmen wollen. Dem Kläger sei es jedoch zumutbar gewesen, in der Gärtnerei der Beklagten zu arbeiten. Den hierdurch möglichen Verdienst im Zeitraum vom 28. November bis 4.Dezember 2019 habe er böswillig unterlassen. Das kürze den Vergütungsanspruch. Im Übrigen stehe dem Kläger der monatliche Grundlohn nach der Gruppe 7 Stufe 10 der AVR Caritas i.H.v. 2980,99 Euro brutto zu. Dem Kläger stehe für die Jahre 2019 und 2020 auch jeweils Urlaubsgeld zumindest in der geltend gemachten Höhe zu. Die Berechnung der Jahressonderzahlung nach § 16 Abs. 2 der Anlage 31 AVR-Caritas habe die Beklagte nicht bestritten. Die Ausschlussfristen habe der Kläger gewahrt. Dem Kläger stehe jedoch kein Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu. Entgegen der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts gebe es keine Rechtsgrundlage für einen solchen allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch außerhalb der gesetzlichen Regelungen der §§ 102 Abs. 5 BetrVG, 79 Abs. 2 BPersVG.

Gegen das dem Kläger am 12. Oktober 2020 zugestellte Urteil hat er am 11. November 2020 Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist am letzten Tag der auf den Verlängerungsantrag vom 10. Dezember 2020 bis 14. Januar 2021 verlängerten Frist eingegangen. Die Beklagte hat gegen das ihr am 13. Oktober 2020 zugestellte Urteil am 5. November 2020 Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist am letzten Tag der am 14. Dezember 2020, einem Montag, bis 14. Januar 2021 verlängerten Frist eingegangen.

Die von der Beklagten im Wege der Widerklage erhobene Auskunftsklage, welche Arbeitsplatzangebote die Bundesagentur für Arbeit dem Kläger ab dem 8. März 2019 unterbreitet hat, haben beide Parteien im Berufungstermin übereinstimmend für erledigt erklärt, nachdem der Kläger Auskunft dahin erteilt hat, dass ihm solche Angebote nicht unterbreitet worden sind und zwei Initiativbewerbungen keinen Erfolg gehabt hätten. Der Kläger hat zudem den in der Berufung als Antrag zu 2 klageerweiternd eingeführten Feststellungsantrag, dass er nicht in der Gärtnerei arbeiten müsse, zurückgenommen. Die zu 3. j) bis l) angekündigten Berufungsanträge bezüglich der Vergütungsansprüche für Dezember 2019 bis Februar 2020 hat der Kläger für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen. Nachdem sie im Berufungstermin erklärt hat, dass sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmeranteile zur Zusatzversorgungskasse im Falle der Verurteilung zur Zahlung von Vergütung ordnungsgemäß abgeführt würden und dasselbe für die vermögenswirksamen Leistungen auf das Konto des Klägers bei der Bausparkasse S. gelte, hat der Kläger die weiteren Zahlungsanträge ohne die hierauf bezogenen Antragsbestandteile gestellt.

Der Kläger rügt, das Arbeitsgericht habe den Weiterbeschäftigungsantrag aus unzutreffenden Rechtsgründen verneint. Soweit es entscheidend darauf abstelle, dass die erfolgte Weiterbeschäftigung Fakten schaffe, die nicht rückgängig gemacht werden könnten, übersehe es, dass die Nichtbeschäftigung ebenfalls unumkehrbare Fakten schaffe. Das Arbeitsgericht lege den Dienstvertrag auch fehlerhaft aus, wenn es die Beschreibung der Tätigkeit dahin verstehe, der Kläger könne in der kaufmännischen Abteilung oder der Pforte oder der Telefonzentrale beschäftigt werden. Die Pforte hätte nicht aufgeführt werden müssen, wenn sie ohnehin von der kaufmännischen Abteilung erfasst wäre. Telefonzentrale und Pforte seien verbunden und schränkten die kaufmännische Abteilung ein. Die Beklagte habe seinerzeit einen Pförtner gesucht, der Kläger habe sich auf diese Stelle beworben und seit Vertragsbeginn ausschließlich an der Pforte gearbeitet. Im November 2019 sei ihm gesagt worden, er solle in der Gärtnerei unter dem Kommando des bei der Besprechung anwesenden Gärtnereileiters arbeiten. Es sei auch vom Rasenmähen die Rede gewesen. Ob am 3. und 15. April 2020 die von der Beklagten behaupteten Verbotsschilder auf dem Gelände gestanden hätten, wisse er nicht. Für Fußgänger und Radfahrer sei das Außengelände an vier Stellen offen zugänglich und sogar als öffentlicher Wanderweg gekennzeichnet. Es gebe sogar einen Steg über den N.. Zum 1. März 2020 habe sich das Grundentgelt erhöht. Urlaubsgeld stehe ihm nicht nur i.H.v. 412,99 Euro, sondern i.H.v. 430,02 Euro zu. Die Zahlungsansprüche erhöhten sich daher.

Der Kläger beantragt zuletzt: Das Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 7. Oktober 2020 – 4 Ca 622/19 wird abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen an der Pforte/Telefonzentrale vollschichtig weiter zu beschäftigen.

2. In Abänderung von Ziffer 3 des Urteilstenors des Arbeitsgerichtes Villingen-Schwenningen wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger Arbeitsvergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu bezahlen in Höhe von

m) 3.023,02 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für März 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. April 2020;

n) 3.023,02 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für April 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. Mai 2020;

o) 3.023,02 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Mai 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. Juni 2020;

p) 3.023,02 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Juni 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. Juli 2020;

q) 3.453,05 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Juli 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. August 2020;

r) 3.023,02 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für August 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. September 2020;

s) 3.023,02 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für September 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. Oktober 2020;

t) 3.023,02 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Oktober 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 3. November 2020;

u) 5.497,76 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für November 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. Dezember 2020;

v) 3.023,02 Euro brutto abzüglich 1.331,10 Euro netto für Dezember 2020 nebst Zinsen aus dem jeweils offenen Saldo seit 1. Januar 2021,

wobei der Zinssatz jeweils 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz beträgt.

Die Beklagte beantragt: Die Berufung des Klägers zurückzuweisen und das Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 7. Oktober 2020 – 4 Ca 622/19 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt: Die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, das Arbeitsgericht habe vorab über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs entscheiden müssen. Im Übrigen ist sie weiterhin der Auffassung, dem Kläger sei wirksam eine kaufmännische Tätigkeit betreffend die Gärtnerei zugewiesen worden, die der Kläger trotz Abmahnung beharrlich verweigert habe. Die Kündigung vom Dezember 2019 beende das Arbeitsverhältnis deshalb. Auch die Kündigung vom April 2020 sei wirksam. Der Kläger habe gegen ein wirksam ausgesprochenes Hausverbot verstoßen. Das Hausverbot sei erteilt worden, weil der Kläger am 3. Dezember 2019 um ca. 19:40 Uhr neben seinem Auto das Gelände der Beklagten überwacht habe. Das Hausverbot habe sich auch auf die weitere Kündigungsschutzklage, die der Kläger am 6. Dezember 2019 eingereicht habe, bezogen. Das Gelände sei auch nicht für den öffentlichen Fußgänger- und Fahrradverkehr freigegeben. Es liege vielmehr ein Besitztum im Sinne des §§ 123 StGB vor, da das gesamte Gelände durch Zäune, Mauern und Hecken gesichert sei. Es gebe eine Zufahrt, die durch eine Schranke abgetrennt sei. Hinzu komme, dass seit dem 26. März 2020 ein generelles Besuchs- und Betretungsverbot auf dem Gelände der Beklagten gelte. Zudem gelte ein Besuchsverbot nach § 6 Corona-Verordnung. Einer vorherigen Abmahnung habe es nicht bedurft. Dem Kläger stehe nicht nur für den Zeitraum vom 28. November bis 4. Dezember 2019 keine Vergütung zu, sondern auch darüber hinaus. Er habe es weiterhin böswillig unterlassen, zumutbaren Verdienst zu erzielen. Ihm habe auch die Leistungsbereitschaft gefehlt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen in erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 16. April 2021 festgestellt, dass der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen zulässig ist. Die Rechtsbeschwerde ist nicht zugelassen worden.

Entscheidungsgründe

A.

Die Berufungen der Parteien sind statthaft (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b und c ArbGG). Sie sind auch frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 66 Abs. 1 S. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO). Die Berufungsbegründungen lassen zudem noch ausreichend i.S.d. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO die Umstände erkennen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben soll. Insofern sind nur folgende Ausführungen veranlasst:

I.

Der Kläger hat sich auch insofern ausreichend mit dem Urteil des Arbeitsgerichts beschäftigt, soweit dieses das generelle Bestehen eines allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs verneint hat.

1. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung jede tragende Erwägung angreifen, andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr., vgl. nur BGH 27. Januar 2015 – VI ZB 40/14 – Rn. 8 m.w.N.).

2. Der Kläger hat sich in der Berufungsbegründung zwar nicht mit allen Argumenten auseinandergesetzt, mit denen das Arbeitsgericht das Bestehen eines allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs verneint hat. Das war aber auch nicht nötig. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, zur Vermeidung unumkehrbarer Nachteile für einen in erster Instanz obsiegenden Arbeitnehmer sei der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1987 zu folgen. Das genügt. Auch wenn das Arbeitsgericht den Anspruch wegen fehlender gesetzlicher Regelung und unzulässiger richterlicher Rechtsfortbildung mit weiteren Argumenten in Abrede gestellt wird, handelt es sich nicht um eine mehrfache Begründung, mit der der Kläger sich jeweils hätte auseinandersetzen müssen. Das Arbeitsgericht hat vielmehr mit mehreren nicht selbständig tragenden Gründen das Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke, die es durch den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch zu schließen gölte, verneint. Hiermit hat sich der Kläger auseinandergesetzt, indem er die planwidrige Regelungslücke aufgezeigt hat. Ob seine Begründung schlüssig ist oder rechtlich haltbar ist, ist für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung. Dies ist erst in der Begründetheit zu prüfen (BGH 10. März 2015 – VI ZB 28/14 – Rn. 8).

II.

Der Kläger hat mit der Berufungsbegründung weitere Ansprüche geltend gemacht. Zum Teil handelt es sich um Differenzen zu den bereits ausgeurteilten Monaten, zum Teil um Vergütung für neue Monate (August bis Dezember 2020), die erstinstanzlich noch nicht geltend gemacht waren. Soweit er die Zahlung von Arbeitgeberbeiträgen zur Zusatzversicherung und das Abführen der vermögenswirksamen Leistungen verlangt hat, hat er diese Ansprüche zuletzt nicht mehr zur Entscheidung gestellt.

1. Für die Zulässigkeit einer Klageerweiterung im Berufungsverfahren gelten aufgrund des Verweises in § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG im arbeitsgerichtlichen Verfahren die Grundsätze des § 533 ZPO. Danach ist eine Klageerweiterung in der Berufungsinstanz zulässig, wenn entweder der Gegner einwilligt oder das Gericht die Klageerweiterung für sachdienlich hält und diese auf Tatsachen gestützt ist, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin zugrunde zu legen hat.

Danach ist die Erweiterung der Klage im zuletzt zur Entscheidung gestellten Umfang zulässig. Sie ist sachdienlich, weil sie den Streit der Parteien weiter klärt. Zudem sind die Anspruchsvoraussetzungen weitgehend identisch mit den bereits erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüchen. Soweit der Kläger auch Erhöhungen nach den Anlagen zu den AVR geltend macht, beruht dies nicht auf grundsätzlich neuen Tatsachen. Die AVR sowie deren Anlagen finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien unstreitig Anwendung. Aus ihnen folgen die geltend gemachten Erhöhungen.

2. Die Zahlung von Arbeitgeberbeiträgen zur Zusatzversicherung und das Abführen der vermögenswirksamen Leistungen hat der Kläger nicht mehr zur Entscheidung gestellt. Hintergrund sind die diesbezüglich geführten Erörterungen im Berufungstermin sowie die daraufhin abgegebene Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, diese werde bei Verurteilung zur Vergütungszahlung auch diesen Pflichten nachkommen. Deshalb ist von der Rücknahme der Berufung bzgl. dieser Antragsbestandteile auszugehen.

B.

Die Berufung der Beklagten ist teilweise begründet, die Berufung des Klägers ist in dem zuletzt zur Entscheidung gestellten Umfang ganz überwiegend begründet.

I.

Die Kündigungen der Beklagten vom 5. Dezember 2019 und 29. April 2020 beenden das Arbeitsverhältnis nicht.

1. Die außerordentliche Kündigung vom 5. Dezember 2019 ist unwirksam. Es fehlt am wichtigen Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB.

a) Das Arbeitsgericht hat mit durchweg zutreffenden Erwägungen unter III. 1. der Gründe angenommen, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam ist. Das Berufungsgericht folgt diesen Erwägungen und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

b) Die Berufung der Beklagten bringt hiergegen im Kern vor, die gerichtliche Verurteilung zur vorläufigen Weiterbeschäftigung schaffe ein besonderes, nicht vertraglich begründetes Rechtsverhältnis. Daher sei es sachgerecht, dieses als dieselben Rechte und Pflichten begründend anzusehen wie bei der gesetzlichen Weiterbeschäftigung nach § 102 Abs. 5 BetrVG. Das bisherige Arbeitsverhältnis bestehe fort, der Beklagten stehe das in einem Arbeitsverhältnis bestehende Direktionsrecht zu. Dem folgt das Berufungsgericht nicht. Selbst wenn der Arbeitnehmer die Arbeit i.R.d. erstrittenen Weiterbeschäftigungstitels aufgenommen hat, kann er sie wiedereinstellen. Objektiv hat für ihn keine Hauptpflicht zur Arbeitsleistung bestanden (BAG 27.Mai 2020 – 5 AZR 247/19 – Rn. 50). Das folgt aus dem Charakter des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs (vgl. dazu auch nachfolgend II. der Gründe), der nur dem Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers Rechnung trägt und außerhalb des bestehenden Arbeitsverhältnisses vollzogen wird. Eine Vergleichbarkeit mit dem Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG besteht gerade nicht.

2. Die außerordentliche Kündigung vom 29. April 2020 ist ebenfalls unwirksam.

a) Selbst, wenn es sich – was erstinstanzlich von der Beklagten noch nicht bestritten worden war – bei dem Klinikgelände um ein befriedetes Besitztum i.S.d. § 123 StGB handeln sollte, und über die Kündigung vom 8. März 2019 am 3. und 15. April 2020 noch nicht rechtskräftig zugunsten des Klägers entschieden war, fällt jedenfalls die Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers aus. Die von der Beklagten aufgeführte Entscheidung des LAG Hamm vom 30. Oktober 2009 – 10 Sa 803/09 – ist ebenso wie z.B. die Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz vom 14. September 2016 – 7 Sa 575/15 – nicht vergleichbar. Die Renitenz sowie Beharrlichkeit der dortigen Kläger überschreitet das Verhalten des Klägers bei weitem. Die zur Interessenabwägung anzustellenden Erwägungen hat das Arbeitsgericht unter III. 2. b) bb) der Gründe (S. 18 bis 20 des Urteils) erschöpfend und umfassend dargestellt. Das Berufungsgericht folgt auch diesen Erwägungen und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Allein aus der Tatsache, dass sie zur Frage des Verstoßes gegen ein Hausverbot ergangen sind und nicht zum Besuchs- und Betretungsverbot vor dem Hintergrund der CoronaVO Baden-Württemberg, ergibt sich nichts Anderes. Mit der Interessenabwägung hat sich die Beklagte in der Berufung nicht auseinandergesetzt. Insofern bedarf es keiner weiteren Ausführungen.

b) Dasselbe gilt bzgl. des Hausverbots. Selbst wenn der Anlass der Verhängung nicht zu prüfen wäre und keines sachlichen Grundes bedurfte, so treffen die Erwägungen des Arbeitsgerichts zur Interessenabwägung zu. Auf vorstehend a) wird verwiesen. Etwas Anderes gilt auch nicht deshalb, weil das Kündigungsschutzverfahren bzgl. der Kündigung vom 8. März 2019 erst mit dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 18. August 2020 rechtskräftig beendet gewesen ist. Das Hausverbot stammt vom 13. Dezember 2019, der Kläger soll am 3. und 15. April 2020 dagegen verstoßen haben, also nach knapp vier Monaten. Allein dieser zeitliche Abstand zeigt, dass der Kläger nicht grundsätzlich und damit beharrlich gegen das Hausverbot verstößt. Nur dann wäre eine Abmahnung nicht nötig. Es trifft auch nicht zu, dass sich das Hausverbot nicht nur auf das Kündigungsschutzverfahren bzgl. der Kündigung vom 8. März 2019 bezogen hat, sondern auch auf den vorliegenden Rechtsstreit, der mit Klageerhebung gegen die Kündigung vom 5. Dezember 2019 eingeleitet worden ist. Die Klage ging zwar am 6. Dezember 2019 beim Arbeitsgericht ein, wurde der Beklagten jedoch erst am 18. Dezember 2019 zugestellt (vgl. Zustellungsurkunde, Bl. 5 f. der erstinstanzlichen Akte). Das Hausverbot datiert vom 13. Dezember 2019. Die Beklagte mag geahnt haben, dass der Kläger sich auch gegen die Kündigung vom 5. Dezember 2019 wehren wird. Wissen konnte sie es jedoch am 13. Dezember 2019 noch nicht. Wenn sie deshalb von einem „aktuellen arbeitsgerichtlichen Verfahren“ spricht, kann damit nur dasjenige unter dem Aktenzeichen 3 Ca 65/19 (9 Sa 68/19) gemeint gewesen sein. Eine weitergehende Bedeutung hätte ausdrücklich erfolgen müssen. Jedenfalls ist auch diese Unklarheit Anlass, dem Kläger im Rahmen einer Abmahnung zu verdeutlichen, was von ihm bis zu welchem Zeitpunkt erwartet wird.

Der Kläger muss sich allerdings darüber im Klaren sein – und hierauf weist das Berufungsgericht zur Verdeutlichung hin, auch wenn es für die Entscheidung nicht darauf ankommt -, dass ein Aufenthalt – d.h. jedenfalls ein Verweilen – auf dem Klinikgelände, nicht dem bestimmungsgemäßen Zweck dient, solange er nicht wieder zur Arbeit eingeteilt ist. Auch nach seinem Vortrag ist das Klinikgelände durch das Ausweisen von Wanderwegen Fußgängern und ggf. Fahrradfahrern nur frei gegeben, weil sie dieses Überqueren, um an eine andere Stelle zu gelangen. Bestimmungsgemäß ist es dagegen nicht, wenn er sich ohne dieses Ziel auf dem Gelände aufhält. Zur Frage, ob das Überqueren des Geländes außerhalb von Betretungsverboten nach der CoronaVO dem bestimmungsgemäßen Gebrauch dient, braucht das Berufungsgericht keine Stellung zu nehmen, da es hierauf nicht entscheidungserheblich ankommt.

c) Neu hat die Beklagte im Berufungsverfahren vorgebracht, seit dem 26. März 2020 habe sie ein Besuchs- und Betretungsverbot, auch für das Parkgelände und die Außenanlagen, verhängt. War die Beschilderung aufgestellt, so musste auch der Kläger sich daranhalten. Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 CoronaVO Baden-Württemberg vom 17. März 2020 entschied u.a. über den Zugang zu Fachkrankenhäusern für Psychiatrie mit Ausnahme der Fachkrankenhäuser für Gerontopsychiatrie, einschließlich der zugehörigen Tageskliniken die Leitung der jeweiligen Einrichtung. Ausnahmen hiervon standen unter dem Vorbehalt, dass geeignete Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen getroffen werden (vgl. § 6 Abs. 6 CoronaVO Baden-Württemberg vom 17. März 2020). Die Entscheidung oblag damit allein der Klinikleitung. Der Kläger mag eine solche Entscheidung mittragen oder nicht – er muss sich unter allen Umständen daranhalten.

Der Kläger hat bestritten, dass die Beschilderung angebracht gewesen ist. Bestritten hat er auch, dass er überhaupt auf dem Gelände gewesen ist. Selbst wenn der Aufenthalt des Klägers zu Gunsten der Beklagten unterstellt wird, hält es das Berufungsgericht nach reiflicher Überlegung für ausreichend, dass der Kläger abgemahnt wird. Die bereits in Bezug genommenen Erwägungen des Arbeitsgerichts zur Interessenabwägung bzgl. eines unterstellten Verstoßes gegen das Hausverbot treffen auch hier zu. Hinzukommt, dass der Kläger nicht in einem Gebäude der Beklagten angetroffen worden ist, in dem er die Patienten in einem erheblich höheren Maße gefährden konnte, sondern außerhalb. Am 3. April 2020 hat er sich außerdem erst um 20.30 Uhr auf einer Wegkreuzung aufgehalten. Anders als bei einem Aufenthalt um 16.00 Uhr am 15. April 2020 besteht zu so später Stunde nicht die Gefahr, dass der Kläger Patienten oder Beschäftigten in erheblichem Umfang begegnet. Wie bei jeder Klinik ist der Tagesbetrieb um diese Uhrzeit erledigt. Die Gefahr, die durch den Kläger ausgegangen ist, ist daher auf den 15. April 2020 zu beschränken. Wie lange sich der Kläger aufgehalten hat, ob er überhaupt stehen geblieben ist oder das Gelände nur überquert hat – dann angesichts der Lage der eingezeichneten Orte auf Anlage B2 (Bl. 24 der erstinstanzlichen Akte) allerdings nur unter Inkaufnahme von Umwegen -, ist nicht vorgetragen. Selbst wenn die Informationen aus der Anhörung der MAV (Anlage B3, Bl. 26 f. der erstinstanzlichen Akte) noch herangezogen werden, hellt sich der Sachverhalt nicht dahin auf, dass der Vorwurf zur außerordentlichen Kündigung berechtigte. Am 3. April 2020 hätte sich der Kläger danach in Richtung des Gebäudes 22 bewegt. Mehr ist nicht bekannt. Diese Richtung kann auch dem – weitschweifig – geplanten Verlassen des Geländes gedient haben. Am 15. April 2020 soll der Kläger zwar mit einer anderen Person gesprochen und noch dazu den Mindestabstand nicht eingehalten haben. Insofern hätte es aber – noch – genügt, dem Kläger die Ernsthaftigkeit der Situation aufgrund des Corona-Virus durch eine Abmahnung vor Augen zu führen. Die durch den Corona-Virus verursachten Beschränkungen waren im April 2020 noch frisch. Ein hartnäckiges sich Widersetzen ohne Hoffnung auf Besserung kann das Berufungsgericht deshalb in den vorgetragenen Verstößen – sofern sie zutreffen – (noch) nicht erkennen.

II.

Da der Kläger mit seinen Kündigungsschutzanträgen obsiegt, ist er an der Pforte weiter zu beschäftigen. Die Bedenken des Arbeitsgerichts gegen die Herleitung des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs teilt das Berufungsgericht nicht. Wird der Beschäftigungsanspruch im ungekündigten Arbeitsverhältnis bejaht, so besteht der Unterschied zum gekündigten Arbeitsverhältnis letztendlich nur in einer geänderten Interessenlage, die i.R.d. der § 242 BGB neu zu bewerten ist (vgl. auch BAG Großer Senat 27. Februar 1987 – GS 1/84 – Rn. 76, zitiert nach juris). Dogmatische Unterschiede sind dagegen nicht ausschlaggebend.

1. Die Beklagte ist zwar schon mit Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 8. Oktober 2019 – 3 Ca 65/19 – zur Weiterbeschäftigung verurteilt worden. Das Weiterbeschäftigungsverhältnis endete aber, weil die Beklagte eine erneute Kündigung am 5. Dezember 2019 ausgesprochen hat (vgl. nur BAG 17. März 2005 – 2 AZR 245/04 – zu C. der Gründe; Linck/Krause/Bayreuther/Linck KSchG 16. Aufl. § 4 KSchG Rn. 168; SPV/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 11. Aufl. § 6 Rn. 2264 ff.). Die neuerliche Kündigung vom 5. Dezember 2019 beschränkt sich auch nicht in der Wiederholung der Vorwürfe, die Anlass für die Kündigung vom 8. März 2019 waren und somit im Urteil vom 8. Oktober 2019 beurteilt werden mussten. Die Kündigung ist auch nicht „offensichtlich“ unwirksam. Entsprechend mussten die Parteien den Weiterbeschäftigungsanspruch im Berufungsverfahren unter dem Aktenzeichen 9 Sa 68/19 für erledigt erklären, weil die weitere Kündigung vom 5. Dezember 2019 erklärt worden ist. Hätte es sich nur um eine Wiederholungskündigung gehandelt, hätte die Verurteilung zur Weiterbeschäftigung weiterhin Bestand gehabt.

2. Der Antrag ist ausreichend bestimmt. Der Kläger ist an der Pforte/Telefonzentrale zu beschäftigen. Das war die ihm zuletzt rechtswirksam zugewiesene Tätigkeit.

a) Die Tätigkeit ist ausreichend bestimmt i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Darunter kann sich jedermann – nicht nur im konkreten Arbeitsverhältnis der Parteien – etwas vorstellen. Die Tätigkeit an der Pforte beinhaltet schon nach dem Arbeitsvertrag auch die Bedienung der Telefonzentrale. Ob diese in der Pforte oder anderweitig – so der Prozessbevollmächtigte der Beklagten im Berufungstermin – untergebracht ist, kann dahinstehen. Die zuletzt zugewiesene Tätigkeit war diejenige in der Pforte, in der – auch – Telefonanrufe entgegen zu nehmen sind. Diese Tätigkeit ist mit der Verurteilung gemeint. Konkrete Feststellungen zum Charakter der Telefonanlage in der Pforte und/oder in einem Sekretariat oder wo auch immer, sind daher nicht nötig.

b) Die Beklagte hat dem Kläger zwar am 28. November 2019 nach ihrem Vortrag eine „kaufmännische Tätigkeit betreffend die Gärtnerei“ zugewiesen. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine Zuweisung i.R.d. Arbeitsverhältnisses, sondern um die Zuweisung einer Tätigkeit zur Abwendung der angedrohten Zwangsvollstreckung. Diese steht außerhalb des Arbeitsverhältnisses. Beim Weiterbeschäftigungsverhältnis nach den Grundsätzen der Entscheidung des Großen Senats vom 27. Februar 1985 – GS 1/84 – handelt es sich gerade nicht um die Fortführung des Arbeitsverhältnisses. Es wird nicht einmal ein faktisches oder fehlerhaftes Arbeitsverhältnis begründet. Deshalb erfolgt auch die Rückabwicklung einer zu Unrecht erfolgten Weiterbeschäftigung nach Bereicherungsrecht (BAG 27. Mai 2020 – 5 AZR 247/19 – Rn. 27 ff., 51). Hinzu kommt, dass das vormalige Weiterbeschäftigungsverhältnis, das auf dem seit dem 18. August 2020 rechtskräftigen Urteil vom 8. Oktober 2019 beruht hat, durch die erneute Kündigung vom 5. Dezember 2019, spätestens jedoch durch die Kündigung vom 29. April 2020 geendet hat. Auch deshalb kommt den Erklärungen der Beklagten in diesem Beschäftigungsverhältnis keine Bedeutung mehr zu. Die Parteien befinden sich seither wieder auf dem letzten Stand des Arbeitsverhältnisses. In diesem war dem Kläger aber die Tätigkeit an der Pforte zugewiesen. Eine anderweitige, wirksame Ausübung des Direktionsrechts im Rahmen des Arbeitsverhältnisses hat auch die Beklagte nicht vorgetragen.

c) Ob die Beklagte dem Kläger eine andere Tätigkeit i.R.d. Direktionsrechts – insbesondere eine „kaufmännische Tätigkeit betreffend die Gärtnerei“ – zuweisen kann, braucht das Berufungsgericht aus den vorgenannten Gründen nicht zu entscheiden. Für die Auffassung des Arbeitsgerichts, wonach auch kaufmännische Tätigkeiten außerhalb der Pforte geschuldet sind, lassen sich ebenso Argumente finden wie für diejenige des Klägers, wonach die „Pforte/Telefonzentrale“ ein Teil der kaufmännischen Abteilung ist und damit die vertragliche Tätigkeit hierauf eingeschränkt ist. Insofern wäre eine Aufklärung dahin, welche Abteilungen es bei der Beklagten gibt und wo die Pforte organisatorisch aufgehängt ist, von Bedeutung.

3. Die Bedenken des Arbeitsgerichts an der Rechtsprechung des Großen Senats sind nachvollziehbar, verfangen im Ergebnis jedoch nicht. Der Große Senat hat mit dem allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch nicht gegen den in Art. 20 Abs. 3 GG normierten Verfassungsgrundsatz der Bindung der Gerichte an Gesetz und Recht verstoßen.

a) Soweit auch das Arbeitsgericht im ungekündigten Arbeitsverhältnis einen Beschäftigungsanspruch annimmt, ist festzustellen, dass selbst dieser sich nicht ausdrücklich im Gesetz wiederfindet. Noch heute ist nach dem Wortlaut des geänderten § 611a BGB das Arbeitsverhältnis als schuldrechtliches Austauschverhältnis konzipiert: Der Arbeitgeber erscheint als Gläubiger der vertraglichen Arbeitsleistung, der Arbeitnehmer als Gläubiger der vereinbarten Vergütung. Ein Anspruch auf Beschäftigung findet sich nicht. Konsequenterweise müsste deshalb bereits der Beschäftigungsanspruch im ungekündigten Arbeitsverhältnis in Abrede gestellt werden. Diese nach Auffassung des historischen Gesetzgebers möglicherweise richtige Sichtweise spiegelt sich in der weitgehend identischen Regelung von Arbeits- und Dienstvertrag. Dieser Blick auf zwei mittlerweile als grundlegend unterschiedlich zu differenzierende Rechtsverhältnisse ist im Laufe der Zeit in Bezug auf das Arbeitsverhältnis lückenhaft geworden. Das hat das Bundesarbeitsgericht zutreffend erkannt (BAG Großer Senat 27. Februar 1985 – GS 1/84 – Rn. 43, 48, zitiert nach juris). Diese Entwicklung hat sich seither noch verfestigt. Arbeits- und Dienstverhältnisse unterscheiden sich ganz grundsätzlich in Bezug auf die Weisungsbefugnisse und sind deshalb regelmäßig Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten.

b) Ein Beschäftigungsanspruch lässt sich auch im ungekündigten Arbeitsverhältnis mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nur aus dem Arbeitsvertrag herleiten. Der Anspruch ergibt sich aus § 611a, 613 BGB i.V.m. § 242 BGB, der durch die Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG ausgefüllt wird (vgl. ausführlich BAG Großer Senat 27. Februar 1985 – GS 1/84 – Rn. 38 ff., zitiert nach juris). Das Bundesarbeitsgericht hat insofern von der „Treupflicht des Arbeitgebers“ gesprochen. Diesem Begründungsansatz ist uneingeschränkt zuzustimmen. Die §§ 102 Abs. 5 BetrVG, 79 Abs. 2 BetrVG bauen dann nur auf etwas auf, was zuvor schon gegeben war: Die Pflicht der Arbeitgeberin, den Vertragspartner tatsächlich zu beschäftigen und nicht nur die Vergütung weiter zu bezahlen. Auf § 102 Abs. 5 BetrVG hat der Große Senat in diesem Zusammenhang deshalb nur rekurriert, um darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber dieser Regelung davon ausgegangen sein muss, dass ein Beschäftigungsanspruch im ungekündigten Arbeitsverhältnis besteht: „Es ist kaum anzunehmen, dass der Gesetzgeber dem gekündigten Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses mehr Rechte einräumen wollte, als der Arbeitnehmer vorher im ungekündigten Arbeitsverhältnis hatte“ (BAG Großer Senat 27. Februar 1985 – GS 1/84 – Rn. 52, zitiert nach juris). Dagegen hat auch der Große Senat keine Analogie zu § 102 Abs. 5 BetrVG vorgenommen.

Bestätigt wird dieser Begründungsansatz – heutzutage – durch § 241 Abs. 2 BGB. Danach hat jeder Teil eines Schuldverhältnisses auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils Rücksicht zu nehmen. Die Bedeutung der Arbeit erschöpft sich nicht darin, den Lebensunterhalt finanziell zu sichern, sondern ist vielmehr Ort der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, ist Möglichkeit, sich nützlich zu fühlen und – bestenfalls – selbst zu verwirklichen (vgl. auch BAG Großer Senat 27. Februar 1985 – GS 1/84 – Rn. 47, zitiert nach juris), und damit ganz wesentlicher Bestandteil des Lebens, jedenfalls in Gesellschaften, die – wie die Bundesrepublik Deutschland – darauf aufbauen, dass überwiegende Teile der Bevölkerung auf dem Arbeitsmarkt oder selbständig tätig sind. Das Interesse von Arbeitnehmern besteht deshalb neben der Erfüllung der Hauptleistungspflicht durch die Arbeitgeber – der Zahlung der Vergütung – gerade auch darin, tatsächlich beschäftigt zu werden. Ausnahmen gibt es, sie bestätigen aber – wie häufig – nur die Regel.

c) Dieser Beschäftigungsanspruch im ungekündigten Arbeitsverhältnis erfährt eine Gefährdung, wenn ein Arbeitnehmer gekündigt worden ist und Streit über die Wirksamkeit der Kündigung entsteht. Der Arbeitgeber beruft sich in diesem Fall darauf, den Arbeitnehmer nicht beschäftigen zu müssen, weil das Arbeitsverhältnis ja – wirksam – beendet sei, der Arbeitnehmer darauf, beschäftigt werden zu müssen, weil die Kündigung unwirksam sei und das Arbeitsverhältnis gerade fortbestehe. Sicher ist – von Ausnahmefällen abgesehen, die jedoch nicht Grundlage der Überlegungen sein können – beides nicht. Wie diese unklare Situation zu behandeln ist, kann jedoch nicht unentschieden bleiben. Ein Gericht kann die Rechtssuchenden nicht mit dem Hinweis nach Hause schicken, das Gesetz enthalte für ihren Fall keine Lösung (zutreffend Linsenmaier RdA 2019 157). Fehlt es an einem eindeutigen, geschlossenen System wie dies im Arbeitsvertragsrecht der Fall ist, so müssen die zur Entscheidung berufenen Gerichte das Gesetzesrecht ergänzend fortentwickeln.

d) Der Große Senat hat auch nicht die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung überschritten und eine nichtvorhandene planwidrige Regelungslücke gefüllt, indem er den eingeschränkten Anwendungsbereich der §§ 102 Abs. 5, 79 Abs. 2 BetrVG auf alle gekündigten Arbeitsverhältnisse ausgedehnt hat. Umgekehrt: Die Einführung des § 102 Abs. 5 BetrVG steht dem Fortbestehen des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs auch im gekündigten Arbeitsverhältnis nur nicht entgegen.

aa) Gerichte sind nach dem Grundgesetz nicht darauf verwiesen, gesetzgeberische Weisungen in den Grenzen des möglichen Wortsinns auf den Einzelfall anzuwenden. Das Recht ist nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch. Die Aufgabe der Rechtsprechung kann es insbesondere erfordern, Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, in einem Akt bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen, ans Licht zu bringen und in Entscheidungen zu verwirklichen. Das sieht auch das BVerfG so: „Schöpferische Rechtsfindung durch gerichtliche Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung ist“ – so stellt es lapidar fest – „praktisch unentbehrlich und wird vom BVerfG seit jeher anerkannt“ (BVerfG 24. Februar 2015 – 1 BvR 472/14 – Rn. 39).

bb) Die Unterschiede der beiden Weiterbeschäftigungsansprüche liegen auf der Hand: Der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch nach dem Beschluss des Großen Senats gilt in allen Betrieben, der Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG nur in Betrieben, in denen ein Betriebsrat gewählt ist. Der vom Arbeitsgericht angenommene Bedeutungsverlust des betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruchs kann sich deshalb von vornherein nur in den Betrieben auswirken, in denen überhaupt ein Betriebsrat gewählt ist. Zum einen sind auch in solchen Betrieben die Unterschiede immer noch groß: Die (Un-)Wirksamkeit der Kündigung und die hierzu im Instanzenzug ergehenden Entscheidungen sind für den betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch unerheblich, für den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch dagegen substantiell. Die überwiegende Zahl an Kündigungsschutzverfahren wird in erster Instanz abschließend geregelt. Gerade in diesem Zeitraum kann einem Arbeitnehmer aber nur der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch helfen. Die Bedeutung eines wirksamen Widerspruchs ergibt sich hieraus mehr als deutlich. Der kollektivrechtliche Bedeutungszuwachs für den Betriebsrat folgt aus dem individualrechtlichen Zuwachs an Rechten für einzelne Arbeitnehmer. Wenn der Arbeitgeber weiß, dass sich die Folgen einer beabsichtigten Kündigung umso länger hinauszögern, je streitiger sich der Betriebsrat hierzu stellt, wird er bemüht sein, einen Widerspruch des Betriebsrats zu vermeiden und Widerspruchsgründe im Sinne des §§ 102 Abs. 3 BetrVG möglichst nicht zu schaffen. Es ist deshalb ein nicht gering zu achtender Unterschied, dass der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch ein der Kündigungsschutzklage stattgebendes Urteil zur Voraussetzung hat, während der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch stets nach einem form- und fristgerechten Widerspruch des Betriebsrats gegen die Kündigung gegeben ist.

cc) Wie sehr sich der Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG und der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch unterscheiden, zeigt sich immer dann, wenn eine Arbeitnehmerin nur aufgrund des titulierten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs tätig geworden ist und diese Beschäftigung abgewickelt werden muss. Jede Analogie zu § 102 Abs. 5 BetrVG ist abzulehnen, was sich insbesondere für Zeiten der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen zeigt (BAG 27. Mai 2020 – 5 AZR 247/19 – Rn. 38 ff.). Insofern ist den Erwägungen des Arbeitsgerichts unter bb) auf S. 25 f. des Urteils uneingeschränkt zuzustimmen. Zeiten im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes wirken sich deshalb zulasten des Arbeitnehmers bei der Beschäftigung im Rahmen des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs aus (BAG 27. Mai 2020 – 5 AZR 247/19 – Rn. 41, 47 ff.) – aber eben nicht i.R.d. Weiterbeschäftigung nach § 102 Abs. 5 BetrVG.

dd) Nach Auffassung des Berufungsgerichtes ist es auch nicht erheblich, dass ein Vorschlag der Bundesländer Hessen und Hamburg, den kollektivrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch auszudehnen, im Bundesrat im Jahr 1983 als zu weitgehend abgelehnt worden ist. Bereits der Große Senat hat sich in dem Beschluss vom 27. Februar 1985 mit der Auffassung des Senators Professor Dr. Scholz, die diejenige der Bundesratsmehrheit wiedergeben soll, befasst (GS 1/84 – Rn. 106, zitiert nach Juris). Es verkürzt zudem die Auffassung des Bundesrats, wenn aus der Anlage 7, die Dr. Scholz am Ende seiner mündlichen Ausführungen in der 527. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 1983 zu Protokoll gegeben hat, nur ein kurzer Teil herausgegriffen wird.

(1) Unberücksichtigt bleibt zunächst, dass der allgemeine Weiterbeschäftigungsantrag des Großen Senats hinter dem Antrag der Länder Hessen und Hamburg zurückbleibt. Ihnen ging es um „einen Weiterbeschäftigungsanspruch von Arbeitnehmern während des Kündigungsschutzprozesses“. Der „gegenwärtige Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung nach ausgesprochener Kündigung sei unzulänglich“ (vgl. Frau Ministerin Dr. Rüdiger (Hessen), BR-Drucks. 273/83 S. 358). Entsprechend hat sich Professor Dr. Scholz gegen einen „derart umfassenden Weiterbeschäftigungsanspruch“ gewandt. Seine Kritik ist dahin gegangen, dass „jede Form von Kündigung, die ordentliche wie die außerordentliche, unter den uneinschränkbaren materiell-rechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch gestellt werde“ (BR-Drucks. 273/83 S. 359). In diesem Zusammenhang hat er darauf hingewiesen, dass § 102 Abs. 5 BetrVG „dem Arbeitgeber kompensatorisch das Recht zur Verfügung stellt, seinerseits auch gegenüber diesem Weiterbeschäftigungsanspruch eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Es handelt sich mit anderen Worten bei diesem Weiterbeschäftigungsanspruch um eine verfahrensrechtliche Regelung, die einen sozial gerechten Interessenausgleich gewährleisten soll, die wirksam vor übereilten Entscheidungen dieser Art schützen soll. Diese Regelung wahrt aber zugleich das Erfordernis einer sozial ausgewogenen Regelung – ein Erfordernis, das für die hier angestrebte bzw. entschließungsmäßig vertretene Regelung eines materiell-rechtlichen, generellen Weiterbeschäftigungsanspruchs nicht zutrifft“ (BR-Drucks. 273/83 S. 368). Der Große Senat hat dagegen zum einen das Bestehen eines materiell-rechtlichen allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruches unter den Vorbehalt einer für den Arbeitnehmer positiven erstinstanzlichen Entscheidung über seinen Kündigungsschutzantrag gestellt. Zum anderen sind auch in diesem Fall – vom Arbeitgeber vorzutragende – Umstände möglich, die zur Verneinung eines Weiterbeschäftigungsanspruchs führen. Der von Professor Dr. Scholz verlangte sozial gerechte Interessenausgleich wird mit diesen Voraussetzungen gerade gewahrt.

(2) Aus den Äußerungen von Professor Dr. Scholz ergibt sich, dass er gegenüber einer flexiblen Regelung des Weiterbeschäftigungsanspruches offen ist. Er hat lediglich die Zementierung eines Arbeitsverhältnisses trotz ausgesprochener Kündigung befürchtet, zumal dann, wenn der Arbeitnehmer sich eines erheblichen Fehlverhaltens schuldig gemacht hat. So hat er ausgeführt:

„Die antragstellenden Länder unterscheiden nicht zwischen der ordentlichen und außerordentlichen Kündigung. Dies bedeutet nichts anderes, als dass auch in den Fällen der außerordentlichen Kündigung, d. h. der Kündigung aus wichtigem Grund, die Interessen des Arbeitgebers gegenüber einem Weiterbeschäftigungsanspruch des aus wichtigem Grund gekündigten Arbeitnehmers zurücktreten sollen. Es soll mit anderen Worten einem Arbeitgeber zugemutet werden, einen Arbeitnehmer, der die Rechte oder die Schutzsphäre des Arbeitgebers und seines Betriebes in unzumutbarer Weise beeinträchtigt hat, bis zum Ende eines Kündigungsschutzprozesses weiter zu beschäftigen, dessen Länge auch die antragstellenden Länder – bei voller Ausschöpfung aller möglichen Instanzen – auf bis zu vier Jahre kalkulieren“ (BR-Drucks. 273/83 S. 367).

„So ließe sich, wie ich gerne einräume, daran denken, in das Kündigungsschutzrecht, z.B. eine Bestimmung aufzunehmen, die dem gekündigten Arbeitnehmer auch das Recht einräumt, eine gerichtliche Entscheidung darüber herbeizuführen, ob angesichts einer offensichtlich unbegründeten Kündigung in einem konkreten Einzelfall dem Arbeitgeber nicht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses eine Weiterbeschäftigung vorzuschreiben ist. Eine solche Regelung wäre aber einzelfallbezogen, sie wäre in sachgerechter Weise prozessrechtsbezogen, und sie würde nicht die Grenzen der Arbeitsvertragsfreiheit und ihre privatautonomen, ordnungspolitisch zwingenden Grundstrukturen sprengen“ (BR-Drucks. 273/83 S. 369).

Die nicht nur vom Arbeitsgericht geäußerte Kritik, der Große Senat habe sich über den klar erkennbaren gesetzgeberischen Willen hinweggesetzt, ist deshalb nicht berechtigt. Es trifft nicht zu, dass „Worte auch hier ihren Sinn verloren haben“ (Schwerdtner ZIP 1985, 1361, 1367). Es greift vielmehr zu kurz, die zusammenfassende Kritik von Prof. Dr. Scholz am Vorschlag der Länder Hessen und Hamburg in den Vordergrund zu stellen, ohne sich den Vorschlag genauer anzusehen sowie die ausführlichen Überlegungen von Prof. Dr. Scholz in den Blick zu nehmen.

(3) Der Große Senat hat die Notwendigkeit des Ausgleichs widerstreitender Interessen erkannt und sie einer – nach Auffassung des Berufungsgerichts auch den Bedenken des Bundesrats Rechnung tragenden Weise – in einen flexiblen und angemessenen Ausgleich gebracht. Bereits im ungekündigten Arbeitsverhältnis kann eine Interessenabwägung, die dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB geschuldet ist, ergeben, dass der Beschäftigungsanspruch eines Arbeitnehmers nicht besteht (vgl. die Beispiele in BAG Großer Senat 27. Februar 1985 – GS 1/84 – Rn. 55 zitiert nach juris). Umso dringlicher wird diese Interessenabwägung, wenn mangels rechtskräftiger gerichtlicher Entscheidung nicht feststeht, ob das Arbeitsverhältnis überhaupt noch besteht (ähnlich BAG Großer Senat 27. Februar 1985 – GS 1/84 – Rn. 71 ff. zitiert nach juris). Der Große Senat hat die in die Abwägung einzustellenden Interessen aufgeführt (vgl. BAG Großer Senat 27. Februar 1985 – GS 1/84 – Rn. 88 ff. zitiert nach juris). Das Abwarten bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung im Kündigungsschutzrechtsstreit stellt eine sachdienliche Zäsur dar, die den widerstreitenden Interessen in aller Regel zutreffend Rechnung trägt. Es ist zudem jeder Arbeitgeberin möglich, Umstände vorzutragen, die es ihr selbst im Fall der erstinstanzlichen Stattgabe der Kündigungsschutzklage unzumutbar machen, dem Weiterbeschäftigungsverlangen nachzukommen. Sie muss aber davon Gebrauch machen und zudem muss es sich um Gründe handeln, die dem Gewicht einer der Kündigungsschutzklage stattgebenden gerichtlichen Entscheidung standhalten bzw. sie überwiegen. Neben der puren Interessenabwägung kommt insofern z.B. bei der betriebsbedingten Kündigung in Betracht, dass zwar die Kündigung unwirksam ist, der Arbeitsplatz aber tatsächlich entfallen ist. Auch in diesem Fall wird dem allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrag nicht stattgegeben werden können. Der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch ist daher flexibel genug, um auf die unterschiedlichsten Sachverhaltskonstellationen angewendet werden zu können.

e) Soweit das Arbeitsgericht schließlich eine planwidrige Regelungslücke mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes verneint, ist es zutreffend, dass eine Rechtsfortbildung nur dann in Betracht kommt, wenn nicht schon aufgrund der bestehenden Regelungen eine angemessene Lösung möglich ist. Das ist allein durch den Verweis auf den einstweiligen Rechtsschutz nicht gewährleistet.

Allein die Berufung auf das Bestehen eines streitigen Rechtsverhältnisses genügt nicht, um eine einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung zu erwirken. Der Antragsteller hat vielmehr schlüssig Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen, aus denen sich das Rechtsverhältnis und sein möglicher Anspruch ergibt (Zöller/Vollkommer ZPO 33. Aufl. § 940 Rn. 3). Es müssen zwar noch keine Ansprüche entstanden sein, sie müssen jedoch entstehen können (Musielak/Voit/Huber ZPO 18. Aufl. § 940 Rn. 3). Allein der Streit um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer vor Gericht angegriffenen Kündigung führt also nur dann zur Notwendigkeit, über die Beschäftigung des Arbeitnehmers im Wege einer Regelungsverfügung eine Entscheidung zu treffen, wenn dem Arbeitnehmer ein (Weiter-)Beschäftigungsanspruch überhaupt zustehen kann. Das bloße Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, dessen Fortbestand im Streit steht, genügt daher nicht für den Erlass einer Regelungsverfügung, die auf Beschäftigung lautet. Auch bei der einstweiligen Verfügung nach § 940 ZPO geht es um nichts anderes als um die Sicherung der Ansprüche des Antragstellers, die aus dem streitigen Rechtsverhältnis entstehen können und deren Realisierung durch die regelnde, einstweilige Verfügung gerade sichergestellt werden soll (MünchKommZPO/Drescher 6. Aufl. § 940 ZPO Rn. 3). Es bleibt also dabei, dass allein das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses noch nicht dazu führt, dass im Wege der einstweiligen Verfügung eine Weiterbeschäftigung geltend gemacht werden könnte.

f) Auf die Frage, ob der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch mittlerweile als Gewohnheitsrecht anerkannt ist, auch wenn er sich – vereinzelt – immer wieder Kritik ausgesetzt sieht, kommt es daher nicht an.

g) Die Beklagte hat vorliegend keine Gründe vorgetragen, die ein überwiegendes Interesse ihrerseits begründen könnten, den Kläger nicht zu beschäftigen. Der Umstand, dass der Kläger laut einer Mitarbeiterin im Dezember 2019 das Gelände der Beklagten beobachtet haben soll, genügt dafür nicht. Auch aus seinen streitigen Aufenthalten im April 2020 auf dem Klinikgelände ergibt sich nicht, dass er andere Beschäftigte belästigt hätte. Ein sonstiges, strafbares oder schädigendes Verhalten des Klägers ist nicht ersichtlich. Unzumutbare wirtschaftliche Belastungen hat die Beklagte nicht vorgetragen. Beide Parteien sind dennoch gut beraten, endlich die nötige Kommunikation aufzubauen und auf die Vorwürfe der jeweils anderen Seite einzugehen und sei es mit Hilfe Dritter. Arbeitszeitfragen können dabei ebenso wenig außen vor bleiben wie die bislang nicht konkretisierte Behauptung der Beklagten, Arbeitnehmer würden sich weigern, mit dem Kläger zusammenzuarbeiten.

III.

Die Beklagte befand sich in Folge der unwirksamen Kündigung vom 8. März 2019 ab dem 9. März 2019 sowie ab dem 6. Dezember 2019 infolge der unwirksamen Kündigung vom 5. Dezember in Annahmeverzug, ohne dass es eines Angebots der Arbeitsleistung durch den Kläger bedurft hätte. Der Kläger war ab dem 6. Dezember 2019 auch nicht leistungsunwillig noch musste er sich böswillig unterlassenen Zwischenverdienst anrechnen lassen, weil er die am 28. November 2019 angebotene Arbeit nicht aufgenommen hat. Allerdings hat die Beklagte die Forderungen bis einschließlich 5. Dezember 2019 mittlerweile erfüllt. Soweit der Kläger die Klage nicht für erledigt erklärt hat, ist auf die Berufung der Beklagten insofern die Klage wegen Erfüllung der Forderung abzuweisen.

1. Die Beklagte hat für März 2019 bis 5. Dezember 2019 Abrechnung erteilt und nach dem Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung „entsprechende“ Zahlungen an ihn geleistet. Außerdem hat er ausgeführt, laut Abrechnung seien auch ZVK-Beiträge berechnet und abgeführt worden.

a) Für März 2019 bis November 2019 ist damit nicht mehr ersichtlich, dass Brutto-Vergütungsforderungen, wie sie im Urteil des Arbeitsgerichts im Tenor zu 3. bis einschließlich des 9. Unterpunktes (Vergütung für November 2019) aufgeführt sind, noch offen sind. Insofern ist das Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen (vgl. Tenor zu I. 3. dieses Urteils).

b) Für Dezember 2019 steht dem Kläger Vergütung ab dem 6. Dezember 2019 zu. Böswillig unterlassener Verdienst ist nicht anzurechnen. Er hat sich nur das bezogene Arbeitslosengeld abziehen zu lassen.

aa) Bis einschließlich 5. Dezember 2019 hat die Beklagte bezahlt. Entsprechend hat der Kläger die Klage insofern für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich der Erledigung angeschlossen. Deshalb war einerseits nur über die Bruttoforderung ab 6. Dezember 2019 zu entscheiden, andererseits aber auch nur das Arbeitslosengeld ab diesem Zeitpunkt in Abzug zu bringen (siehe nachfolgend ee). Soweit der Kläger ursprünglich 333,05 Euro netto zusätzlich zum Arbeitslosengeld abgezogen hat, hat sich dies auf die Zeit bis 5. Dezember 2019 bezogen. Insofern ist über seine Forderung aber wegen der beiderseitigen Erledigungserklärung aber ohnehin nicht mehr zu entscheiden.

bb) Das Arbeitsgericht hatte dem Kläger bis zum 4. Dezember 2019 keine Vergütung zugesprochen, weil es davon ausgegangen ist, der Kläger müsse sich böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienst anrechnen lassen (§ 11 Nr. 2 KSchG). Ab dem 5. Dezember 2019 hat es dem Kläger Vergütung in Höhe von 2.583,51 Euro brutto abzüglich 1.153,66 Euro netto zugesprochen. Wegen der Zahlung der Beklagten kann dahinstehen, ob dieser Auffassung zu folgen ist. Da der Kläger nach seinem Vortrag für die Tage 1-5 im Dezember 2019 Vergütung erhalten hat, stehen nur noch 25 Tage zur Bezahlung offen. Das Arbeitsgericht ist insofern zutreffend von einer pauschalierenden Berechnungsweise auf der Grundlage von 30 Tagen pro Kalendermonat ausgegangen, da weder der Arbeitsvertrag noch die AVR eine andere Berechnung vorsehen (BAG 16. Mai 2021 – 5 AZR 251/11 – Rn. 24). Da allerdings das Arbeitsgericht nur vier Tage abgezogen hat, die Beklagte aber die ersten fünf Tage bezahlt hat, verringert sich der auszuurteilende Betrag auf 2.484,33 Euro brutto (2.980,99 Euro : 30 Tage = 99,37 Euro x 25 Tage = 2.484,25 Euro).

cc) Der Kläger muss sich jedenfalls für die Zeit ab dem 6. Dezember 2019 keinen böswillig unterlassenen Verdienst anrechnen lassen. Die Auskunftsklage der Beklagten haben beide Parteien für erledigt erklärt, nachdem der Kläger Auskunft erteilt hat und keine Anhaltspunkte ersichtlich geworden sind, dass ihm von der Agentur für Arbeit Angebote unterbreitet worden sind, die ihm einen anrechnungsfähigen Zwischenverdienst i.S.d. § 11 Nr. 2 KSchG ermöglicht hätten. Mit Zugang der außerordentlichen Kündigung vom 5. Dezember 2019 hat die Beklagte erneut deutlich gemacht, dass sie die Arbeitskraft des Klägers nicht mehr annimmt. Dass sie ihm wenige Tage zuvor ein Arbeitsangebot gemacht hat, ändert daran nichts. Sie hat dieses Angebot zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem Weiterbeschäftigungstitel gemacht. Das daraus resultierende Weiterbeschäftigungsverhältnis war aber aufgrund der weiteren Kündigung vom 5. Dezember 2019 beendet (vgl. hierzu bereits B. II. 1. der Gründe). Ein erneutes Angebot hat die Beklagte nicht gemacht. Das Berufungsgericht muss deshalb nicht darüber entscheiden, ob das von der Beklagten dahin formulierte Angebot einer „kaufmännischen Tätigkeit betreffend die Gärtnerei“ zumutbar ist. Der Kläger ist aber darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich auch die Ablehnung einer anderen als der vertraglich zugewiesenen Tätigkeit ein böswilliges Unterlassen i.S.d. § 11 Nr. 2 KSchG sein kann.

dd) Der Kläger war ab dem 6. Dezember 2019 auch nicht leistungsunwillig (§ 297 BGB). Die Beklagte hat nicht klargestellt, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht und sie nicht mehr an den Kündigungen festhält. Erst dann wäre ihr Arbeitsplatzangebot überhaupt als Angebot einer vertragsgemäßen Beschäftigung anzusehen. Das Angebot ist nur erfolgt, um die Zwangsvollstreckung aus dem im Urteil vom 8. Oktober 2019 titulierten Weiterbeschäftigungsanspruch abzuwehren. Das hat mit vertraglicher Beschäftigung nichts zu tun. Die Beklagte ist Ende November 2019 nach wie vor davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis beendet worden ist.

ee) Ab dem 6. Dezember 2019 muss sich der Kläger das tägliche Arbeitslosengeld von 44,37 Euro netto abziehen lassen. Das ergibt für 25 Kalendertage 1.109,25 Euro. Die vom Arbeitsgericht auf S. 28 f. des Urteils vorgenommene prozentuale Berechnung ist nur erforderlich, wenn Arbeitslosengeld bezogen worden ist und zeitgleich der Arbeitnehmer sich böswillig unterlassenen Verdienst anrechnen lassen muss (BAG 11. Januar 2006 – 5 AZR 125/05 – zu III. 2. b) der Gründe; Linck/Krause/Bayreuther KSchG 16. Aufl. § 11 Rn. 40). Das ist vorliegend nicht der Fall. Es bleibt deshalb bei der tageweisen Berechnung.

2. Dem Kläger steht aufgrund fortbestehenden Annahmeverzugs der Beklagten auch für die Monate Januar 2020 bis Dezember 2020 Vergütung zu. Die gegen die entsprechende Verurteilung im Urteil des Arbeitsgerichts im Tenor zu 3. gerichtete Berufung der Beklagten ist deshalb zurückzuweisen. Soweit der Kläger im Rahmen seiner Berufung die Klage erweitert hat, ist die Berufung im zuletzt zur Entscheidung gestellten Umfang begründet. Im Einzelnen gilt Folgendes:

a) Das Arbeitsgericht hat die Vergütungen für Januar 2020 bis Juli 2020 zutreffend ausgehend von den erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Anträgen tituliert. Das Berufungsgericht folgt den Gründen unter III. 4. d) bis f) des Urteils und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer erneuten Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

b) Soweit der Kläger von März 2020 bis Juli 2020 in der Berufungsbegründung höhere Beträge geltend gemacht hat, ist seine Berufung begründet.

aa) Die Anträge sind dahin auszulegen, dass der Kläger nicht erneut die volle Summe einklagt, sondern nur aus Gründen der besseren Verständlichkeit den gesamten Betrag noch einmal aufgenommen hat, obwohl bereits das erstinstanzliche Urteil den überwiegenden Anteil des Betrags ausgeurteilt hat. Die Klageerweiterung bezieht sich insofern nur auf die Differenz zwischen dem im Antrag aufgenommenen Betrag und dem vom Arbeitsgericht ausgeurteilten Betrag. Das hat der Prozessbevollmächtigte im Berufungstermin erläutert.

bb) Nach der am 1. Januar 2020 geltenden Fassung der Anlage 3 i.V.m. der Anlage 2 zu den AVR steht dem Kläger eine monatliche Regelvergütung in Höhe von 3.023,02 Euro brutto zu.

cc) Im Juli 2020 hat ihm zusätzlich ein Urlaubsgeld (§ 9 Abs. 1 Satz 1 der Anlage 14 zu den AVR) in Höhe von 430,03 Euro brutto zugestanden (§ 7 Abs. 1 Buchst. b) der Anlage 14 zu den AVR). Die Beklagte schuldet daher im Juli 2020 insgesamt 3.453,05 Euro brutto.

dd) Soweit der Kläger für November 2020 weitere 2.474,74 Euro brutto geltend gemacht hat, beschränkt sich sein klagebegründendes Vorbringen in dem Begriff „Zulage“ in einer Tabelle. Das Arbeitsgericht hat einen Anspruch aus § 16 Abs. 2 der Anlage 31 zu den AVR zu Grunde gelegt. Diese Anlage gilt nur für Mitarbeiter im Pflegedienst. Dazu gehört der Kläger – dies jedenfalls dürfte unstreitig sein – nicht. Die Beklagte hat einen Anspruch des Klägers auf Jahressonderzahlung jedoch dem Grunde nach nicht bestritten, insbesondere auch nicht, nachdem das Arbeitsgericht sie für das Jahr 2019 verurteilt hatte. Dem Kläger steht richtigerweise nicht eine Jahressonderzahlung nach der Anlage 31 zu den AVR zu, sondern eine Weihnachtszuwendung. Die Anspruchsgrundlage für den Kläger, der nach der Anlage 2 zu den AVR eingruppiert ist, ist im Abschnitt XIV der Anlage 1 zu den AVR geregelt. Die Voraussetzungen sind gegeben: Der Kläger hat gemäß Abschnitt XIV Buchstabe (a) am 1. Dezember 2020 in einem Dienstverhältnis gestanden, wie durch das vorliegende Urteil festgestellt wird, das Dienstverhältnis hat seit dem 1. Oktober des Jahre 2020 bestanden und er ist auch nicht vor dem 31. März 2021 ausgeschieden.

Die Berechnung folgt aus Abschnitt XIV Buchstabe (d) der Anlage 1: Nach Satz 1 beträgt sie 100 v.H. der dem Mitarbeiter nach § 2 der Anlage 14 zu den AVR während des Erholungsurlaubs zustehenden Bezüge, die diesem zugestanden hätten, wenn er während des ganzen Monats September Erholungsurlaub gehabt hätte. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 der Anlage 14 zu den AVR erhält der Mitarbeiter die Dienstbezüge nach Abschnitt II der Anlage 1 zu den AVR einschließlich der Zulagen. Nach Abschnitt II Satz 1 Nr. 1 zu den AVR gehört dazu die Regelvergütung. Selbst wenn nur von der Regelvergütung ausgegangen würde, die für Februar 2019 bei 2.980,99 Euro brutto gelegen hat, läge der tarifliche Anspruch über den geltend gemachten 2.474,74 Euro brutto. Wie schon das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, kann wegen § 308 ZPO nur der geltend gemachte Teilbetrag ausgeurteilt werden. Der Gesamtbetrag der Vergütung für November 2020 beläuft sich daher auf 5.497,76 Euro brutto (3.023,02 Euro Regelvergütung zuzüglich 2.474,74 Euro brutto Weihnachtszuwendung).

c) Dem Kläger stehen aufgrund des Verzugs der Beklagten mit den Vergütungen Zinsen zu. Hierzu gilt Folgendes:

aa) Die Fälligkeit ergibt sich aus Abschnitt X der Anlage 1 zu den AVR. In Buchstabe (a) Satz 1 ist geregelt, dass die in Monatsbeträgen festgelegten Bezüge – wie die hier geltend gemachten Regelvergütungen – dem Mitarbeiter so rechtzeitig zu zahlen sind, dass er am letzten Werktag des Kalendermonats über sie verfügen kann. Das Risiko, dass ein solcher Tag auf einen Samstag, Sonn- oder Feiertag fällt, trägt daher die Beklagte. Sie muss dann bereits vor dem letzten Kalendertag die Zahlung bewerkstelligen, wenn der letzte Kalendertag kein Werktag ist. Die Verzinsung tritt aus diesem Grunde spätestens ab dem 1. des Folgemonats ein. Soweit das Arbeitsgericht die Verzinsungspflicht zum Teil später angesetzt hat, war dies nur insofern zu korrigieren, als der Kläger in der Berufung einen entsprechend Antrag gestellt hat. Dies ist für die Vergütung für Mai 2020 der Fall. Die Verzinsungspflicht beginnt ab dem 1. Juni 2020, nicht erst ab dem 2. Juni 2020.

bb) Soweit die Klage im Berufungsverfahren erweitert worden ist, sind folgende Ausführungen veranlasst:

Die Verzinsung der Regelvergütungen ist jeweils ab dem 1. des Folgemonats geschuldet (vgl. vorstehend aa). Für Oktober verlangt der Kläger die Verzinsung erst ab dem 3. November 2020. Darüber hinaus können ihm deshalb wegen § 308 Abs. 1 ZPO keine Zinsen zugesprochen werden. Das Urlaubsgeld ist mit den Juli-Bezügen auszuzahlen und nimmt daher an der Fälligkeit zum letzten Werktag teil (§ 9 Abs. 1 Satz 1 der Anlage 14 zu den AVR). Die Jahressonderzahlung ist nach Abschnitt XIV Buchstabe (f) der Anlage 1 zu den AVR spätestens am 1. Dezember des laufenden Jahres fällig. Zinsen können daher auf den Betrag von 2.474,74 Euro erst ab dem 2. Dezember 2020 zugesprochen werden. Die Verzinsungspflicht war daher aufzuteilen. Da das Arbeitslosengeld auf die Regelvergütung anzurechnen ist, nicht jedoch auf die Weihnachtszuwendung, war dies entsprechend im Tenor klarzustellen.

C.

I. Die Kosten verteilen sich gemäß §§ 91a Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO wie folgt:

1. In der ersten Instanz ist vom Streitwert gemäß dem Beschluss des Arbeitsgerichts vom 9. Oktober 2020 auszugehen. Dieser beläuft sich auf 34.480,05 Euro. Hierin sind 30.293,27 Euro für die Annahmeverzugsansprüche sowie – wegen wirtschaftlicher Identität allerdings nicht streitwerterhöhend – beide Kündigungen abgebildet. Die Beklagte unterliegt mit Ausnahme der Vergütungen für März 2019 bis 5. Dezember 2019. Denn insofern ist Erfüllung eingetreten und die Klage damit unbegründet. Hierauf entfällt ein Betrag in Höhe von 17.376,52 (Summe des Antrags zu 5 a) bis i) in erster Instanz abzüglich jeweils 40,00 Euro monatlich vermögenswirksame Leistungen). Für Antrag zu 5 j) – Dezember 2019 – sind 274,89 Euro in Ansatz zu bringen: Eingeklagt waren als Differenz zwischen Bruttovergütung abzüglich Arbeitslosengeld 1.649,89 Euro, zugesprochen werden nun 1.375,00 Euro (2.484,25 Euro abzüglich 1.109,25 Euro, vgl. III. 1. b) bb) und ee) der Gründe). In Summe unterliegt der Kläger daher mit 17.651,14 Euro brutto. Daran ändert auch nichts sein Obsiegen mit beiden Kündigungsschutzanträgen, die im Streitwert für die Annahmeverzugsvergütungen beinhaltet sind (vgl. zur Problematik der Quotelung bei wirtschaftlicher Identität Natter/Gross/Pfitzer/Augenschein ArbGG 2. Aufl. § 12a Rn. 24). Diese wären jeweils mit einem Quartalsentgelt (§ 42 Abs. 2 GKG) in Höhe von 9.661,89 Euro (3 x 3.220,63 Euro wie vom Arbeitsgericht anhand der Angaben des Klägers ermittelt), und damit insgesamt 19.323,78 Euro zu bewerten, wenn sie nicht in der Annahmeverzugsvergütung insgesamt aufgingen. Dies hat jedoch nicht zur Folgen, dass das Obsiegen des Klägers in dieser Höhe zu seinen Gunsten zu berücksichtigen wäre. Denn die Quartalsentgelte bilden immer die auf die Kündigung folgenden Monate ab. Die Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung vom 5. Dezember 2019 erfasst daher die Vergütungen ab dem 6. Dezember 2019. Der Kläger unterliegt jedoch bzgl. der Vergütungen bis 5. Dezember 2019. Deshalb bleibt es bei dem Unterliegen mit 17.651,14 Euro von 30.293,27 Euro bezogen auf Kündigungsschutz und Annahmeverzug. Der Kläger ist zudem in Bezug auf den Zahlungsantrag zu 6 in Höhe von 966,15 Euro unterlegen. Das Unterliegen mit dem allgemeinen Feststellungsantrag wirkt sich nicht aus. Das hat das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt. Mit dem Weiterbeschäftigungsantrag, der mit einem Gehalt von 3.220,63 Euro zu bewerten ist, hat er obsiegt. Die zweitinstanzliche Abänderung des Urteils führt auch zu einer entsprechenden Abänderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung. Das Unterliegen des Klägers im Umfang von 18.617,29 Euro (17.651,14 Euro zuzüglich 966,15 Euro) ergibt am Streitwert von 34.480,05 Euro eine Quote von 51%. In Höhe der verbleibenden 49 % trägt die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits.

2. Im Berufungsverfahren ist von folgendem Streitwert auszugehen:

a) Die Beschwer der Beklagten (§ 47 Abs. 1 GKG) ergibt sich aus zwei Quartalsentgelten für die Tenors zu 1 und 2 gemäß § 42 Abs. 2 GKG und damit 19.323,78 Euro. Wiederum besteht wirtschaftliche Identität mit den ausgeurteilten Annahmeverzugsansprüchen. Die Summe im Tenor zu 3 des Urteils des Arbeitsgerichts ergibt 29.908,23 Euro. Dieser Wert ist maßgeblich. Die Widerklage auf Auskunft erhöht den Streitwert nicht. Der Antrag diente der Vorbereitung von Einwendungen gegen die Vergütungsklage und ist daher wirtschaftlich identisch.

Die Beklagte gewinnt wegen Erfüllung der Forderung bzgl. der Monate März 2019 bis 5. Dezember 2019. Die Summe der Differenz zwischen Bruttovergütung und Arbeitslosengeld entsprechend dem Tenor zu 3 des Urteils des Arbeitsgerichts beträgt insgesamt 17.622,29 Euro. Auf die Zeit von März 2019 bis November 2019 entfallen 17.571,52 Euro. Für Dezember 2019 beläuft sich das Obsiegen auf die Differenz zwischen Bruttovergütung und Arbeitslosengeld in den Tenors der ersten (1.429,85 Euro) und zweiten Instanz (1.379,08 Euro) auf 50,77 Euro. Entsprechend obsiegt der Kläger in Höhe von 12.285,94 Euro (29.908,23 abzüglich 17.622,29 Euro).

b) Die Beschwer des Klägers inklusive der Erweiterung ist anhand der zunächst angekündigten, höheren Anträge zu ermitteln:

Antrag zu 1 (Weiterbeschäftigungsantrag): Ein durchschnittliches Gehalt in Höhe von 3.220,63 Euro gemäß § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO).

Antrag zu 2 (Feststellungsantrag bzgl. der Tätigkeit in der Gärtnerei): Es besteht wirtschaftliche Identität mit Antrag 1, auch wenn die Rechtsfolgen weitergehen. Es bleibt aber die Frage zentral, welche Beschäftigung dem Kläger i.R.d. Direktionsrechts zugewiesen werden kann. Der Streitwert erhöht sich nicht.

Antrag zu 3 i.d.F. vom 1. April 2021: In der Summe sind 14.848,50 festzusetzen:

  • die Differenzen zwischen den Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteilen der ZVK für alle Monate von März bis Dezember 2020 (= 3.686,75 Euro);
  • zusätzlich von März 2020 bis Juli 2020 die höhere tarifliche Vergütung und das höhere Urlaubsgeld (= 227,41 Euro);
  • zusätzlich ab August 2020 bis Dezember 2020 die Differenz zwischen Bruttovergütung und Arbeitslosengeld (= 10.934,34 Euro). Die vermögenswirksamen Leistungen wirken sich auf den Streitwert nicht aus. Sie dienten – anders als in der ersten Instanz – lediglich der Klarstellung, dass sie nicht an den Kläger auszuzahlen sind., sondern an einen Dritten.

In der Summe ergeben die in der Berufung vom Kläger verfolgten Anträge 18.069,13 Euro.

Der Kläger hat bzgl. des Weiterbeschäftigungsantrags obsiegt (= 3.220,63 Euro). Den Feststellungsantrag bzgl. der Tätigkeit in der Gärtnerei hat er zurückgenommen und hätte deshalb die Kosten zu tragen (§ 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Da dieser Antrag wegen wirtschaftlicher Identität keine gesonderten Kosten ausgelöst hat und der Kläger mit dem Weiterbeschäftigungsantrag obsiegt hat, hat sich dies auf die Kostenlast nicht ausgewirkt. Für erledigt erklärt haben die Parteien die Problematik um die ZVK-Beiträge. Insofern sind die Kosten nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO zu verteilen, da dieser Antragsbestandteil den Streitwert erhöht und deshalb Kosten verursacht hat. Der Kläger hat die Kosten zu tragen. Die Arbeitgeberbeiträge hätte der Kläger von vornherein nicht zur Auszahlung an sich verlangen können. Das von ihm angedeutete Sicherungsinteresse im Berufungstermin, weil die Zusatzversorgungskasse keinen eigenen vollstreckbaren Anspruch auf Beitreibung der Beiträge hat, ist jedenfalls deshalb nicht substantiiert, weil das Drohen einer Gefahr, dass die Beklagte ihrer Abführungspflicht nicht nachkommt, sofern sie zur Vergütungszahlung verurteilt wird, nicht vorgetragen ist. Bleibt das Obsiegen des Klägers mit den tariflichen Vergütungsdifferenzen, dem höheren Urlaubsgeld sowie den Vergütungen ab August 2020 inklusive des Weihnachtsgeldes für das Jahr 2020. Dies ergibt 11.161,75 Euro. Zuzüglich des Obsiegens mit dem Weiterbeschäftigungsantrag beträgt das Obsiegen 14.382,38 Euro. Umgekehrt unterliegt er mit 3.686,75 Euro.

c) Die Addition der Streitwerte beider Berufungen ergibt 47.977,36 Euro (29.908,23 Euro Berufung Beklagte zuzüglich 18.069,13 Euro Berufung Kläger). Die Beklagte gewinnt mit 17.622,29 Euro bzgl. der eigenen Berufung und 3.686,75 bzgl. der Berufung des Klägers, in Summe daher 21.309,04 Euro. Das ist eine Quote 44%. Insofern hat der Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, in Höhe von 56% die Beklagte.

II. Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, so dass die Revision nicht zuzulassen war. Allein der Umstand, dass der Kündigung vom 29. April 2020 ein hochaktueller Hintergrund – Betretungsverbot nach einer Corona-VO – zu Grunde gelegen hat, erfüllt nicht die Voraussetzungen der grundsätzlichen Bedeutung (§ 72 Abs. 2 Buchst. a ArbGG). Die Kündigung ist wegen der zugunsten des Klägers ausfallenden Interessenabwägung als unwirksam betrachtet worden. Hierbei handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung ohne weitergehende Bedeutung.

 

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