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Fristlose Kündigung eines Betriebsratsvorsitzenden bei Selbstbeurlaubung

Eigene Befreiung als Kündigungsgrund: Das Dilemma des selbstbeurlaubten Betriebsratsvorsitzenden

Im vorliegenden Fall ging es um die fristlose Entlassung eines Betriebsratsvorsitzenden, der sich selbst Urlaub gewährte, als seine Urlaubsanfrage vom Arbeitgeber nicht rechtzeitig genehmigt wurde. Das zentrale Problem war die Frage, ob die Eigenmacht, sich selbst zu beurlauben, im Kontext der betrieblichen Verantwortung und der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen des Betriebsratsvorsitzenden eine ausreichende Grundlage für eine fristlose Kündigung darstellt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 15 BV 197/19 >>>

Die Selbstbeurlaubung als Pflichtverletzung

Im Rahmen des Arbeitsrechts stellt das eigenmächtige Inanspruchnehmen von Urlaub durch den Arbeitnehmer in der Regel eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten dar. Diese Handlung könnte daher grundsätzlich einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen. Dennoch gibt es Fälle, in denen ein Arbeitgeber aufgrund fehlender Reaktion auf den Urlaubsantrag oder mangelnder Gründe für die Ablehnung des Urlaubsantrags dazu gezwungen sein könnte, den Arbeitnehmer trotzdem zu beurlauben. Ein Recht des Arbeitnehmers, sich selbst zu beurlauben, wird jedoch aufgrund des umfangreichen Systems gerichtlichen Rechtsschutzes im Allgemeinen abgelehnt.

Der Kontext der Selbstbeurlaubung

In diesem speziellen Fall wurde der Arbeitnehmer trotz seiner Anfrage nicht rechtzeitig über die Entscheidung zu seinem Urlaub informiert, und der Arbeitgeber hat nicht angemessen auf den Urlaubsantrag reagiert. Darüber hinaus berücksichtigte das Gericht auch die konkrete Situation, in der die Selbstbeurlaubung stattfand. Die Tatsache, dass der Arbeitnehmer trotz Kenntnis der betrieblichen Notlage und ausreichender betrieblicher Gründe, die einer Urlaubserteilung entgegenstanden, unberechtigt der Arbeit ferngeblieben ist, wurde als ein zu seinen Lasten fallender Faktor berücksichtigt.

Die Rolle des Arbeitgebers in der Angelegenheit

Das Gericht betonte jedoch, dass der Arbeitgeber in dieser Situation ebenfalls eine Verantwortung hatte. Es wurde bemerkt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer weder darauf hingewiesen hatte, dass er eine Gegenzeichnung durch einen Verantwortlichen abwarten musste, noch hatte er den Antrag umgehend weitergeleitet. Diese Versäumnisse wurden besonders hervorgehoben, da der Antrag am Freitag für den kommenden Montag gestellt wurde und es daher besonders wichtig war, den Antrag schnell zu bearbeiten.

Der wirkliche Grund für die Auseinandersetzung

Interessanterweise wurde festgestellt, dass die eigentliche Ursache für die Ablehnung des Urlaubs und den anschließenden Streit nicht die Selbstbeurlaubung, sondern eine Kontroverse über eine geplante Betriebsversammlung war. Insbesondere war der betroffene Arbeitnehmer, der Betriebsratsvorsitzende, nicht für eine Besprechung bezüglich der Betriebsversammlung verfügbar, was letztendlich zum Auslöser des gesamten Vorfalls wurde.


Das vorliegende Urteil

ArbG Köln – Az.: 15 BV 197/19 – Teilbeschluss vom 10.06.2020

Der Antrag der Beteiligten zu 1) auf Zustimmungsersetzung des Beteiligten zu 2) zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3) wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Zustimmung des Beteiligten zu 2)/Betriebsrates zur außerordentlich fristlosen Kündigung des Beteiligten zu 3), dem Vorsitzenden des Betriebsrates. Über diesen Streitpunkt ergeht der Teil-Beschluss.

Darüber hinaus streiten die Beteiligten in diesem Verfahren noch über die Auflösung des Betriebsrates, hilfsweise um den Ausschluss des Beteiligten zu 3) aus dem Betriebsrat sowie widerklagend um die Pflicht der Beteiligten zu 1)/Arbeitgeberin, bestimmte Äußerungen zu unterlassen.

Die Beteiligte zu 1) (im Folgenden: die Arbeitgeberin) ist ein Zuliefererbetrieb für den Autobauer ….. in …… Sie beschäftigt ca. 450 Arbeitnehmer. Der Beteiligte zu 2) (im Folgenden: Betriebsrat) besteht aus elf Betriebsräten. Ihr Vorsitzender ist der Beteiligte zu 3).

Der Beteiligte zu 3) steht seit dem 12.09.2016 in einem Arbeitsverhältnis mit der Arbeitgeberin und ist als Betriebsratsvorsitzender freigestellt. Sein Gehalt liegt bei 6.016,82 EUR brutto pro Monat. Geboren ist er ….. und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet.

In dem Zeitraum 22.07. bis zum 23.08.2019 waren im Betrieb der Arbeitgeberin Betriebsferien angeordnet. Der Betrieb arbeitet just in time mit den …… zusammen und organisiert unter anderem Betriebsferien gemäß den Ferien beim ….. Der Beteiligte zu 3) war sodann vom 12.08. bis einschließlich 25.08.2019 (Sonntag) krankgeschrieben. Am 23.08.2019, dem Freitag, zwischen 13:00 und 14:00 Uhr wollte der Beteiligte zu 3) im Büro der Personalleiterin ….. einen Urlaubsantrag für den Zeitraum 26.08. (Montag) bis 28.08. (Mittwoch) reinreichen. Das Büro war allerdings nicht besetzt, so dass der Kläger dann zur Junior HR Spezialistin ….. ging. Dort reichte er den Urlaubsantrag ein. Der Beteiligte zu 3) erschien dann ab Montag nicht zum Dienst und war erst wieder nach seinem Urlaub in den Betrieb zurückgekehrt.

Nach Einreichung des Urlaubsantrags an dem Freitag informierte der stellvertretende Vorsitzende des Betriebsrats, dies ist der Beteiligte zu 4), ….. um 14:20 Uhr per E-Mail von einer ordentlich vierteljährlichen Betriebsversammlung am 04.09.2019 um 12:45 Uhr. Die voraussichtliche Dauer der Betriebsversammlung wurde nicht mitgeteilt. Bei den …… selbst sollte die vierteljährliche Betriebsversammlung am 23.09.2019 stattfinden. Mit E-Mail vom Freitag den 23.08.2019 um 19:19 Uhr wendete sich …… sodann an die Beteiligten zu 3), 4) und 5) und bat um Rücksichtnahme und darum, dass die Betriebsversammlung mit den …… zusammen auf einen Tag fällt.

Am Montag, den 26.08.2019 rief ….. den Beteiligten zu 3) an und wies ihn darauf hin, dass er bis dahin weder Kenntnis von dem Urlaubsantrag gehabt, noch diesen genehmigt habe und dass er diesen auch nicht genehmigen könne, nachdem der Beteiligte zu 3) gerade erst fünf Wochen abwesend gewesen ist. Darüber hinaus müsse er mit ihm dringend über den Termin zur Betriebsversammlung am 04.09.2019 sprechen. Im Nachgang zu dem Telefonat forderte ….. mit E-Mail vom selben Tag (20:34 Uhr) den Beteiligten zu 3) noch einmal auf, seine Arbeit wieder aufzunehmen (vgl. Bl. 28 d.A.). Die E-Mail erfolgte an die dienstliche Adresse des Beteiligten zu 3). Dieser beantwortete sie nach seiner Urlaubsrückkehr.

Die Arbeitgeberin ging sodann im Folgenden gegen die Anberaumung der Betriebsversammlung im Wege der einstweiligen Verfügung vor dem Arbeitsgericht Köln gegen den Betriebsrat vor. Das Verfahren wurde zum Aktenzeichen 12 BVGa 15/19 geführt.

Dem Beteiligten zu 3) wurden in der Vergangenheit drei Abmahnungen erteilt. Die erste stammt vom 26.11.2018 wegen unentschuldigten Fehlens bzw. nicht ordnungsgemäßer Krankmeldung. Die zweite Abmahnung ist vom 05.12.2018 auf Grund eines vergleichbaren Verstoßes und die dritte Abmahnung vom 06.12.2018. Bei der letzten Abmahnung wird ihm vorgeworfen, dass er erst um 11:00 Uhr zum Dienst erschienen ist, weil er einen angeblichen Arzttermin gehabt habe, dann im Nachhinein aber angab, sich auf einem Dienstgang befunden zu haben. Hinsichtlich der Einzelheiten der Abmahnung wird auf Bl. 53 ff. d.A. verwiesen.

Am 04.09.2019 hörte sodann die Arbeitgeberin den Betriebsrat zur außerordentlich fristlosen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden/des Beteiligten zu 3) an und bat um die Zustimmung zur Kündigung. Sie stützt ihren Kündigungsvorwurf auf eine eigenmächtige Urlaubsnahme/Selbstbeurlaubung. Der Betriebsrat lehnte den Antrag am 06.09.2019 ab, so dass die Arbeitgeberin unter dem 11.09.2019 das Verfahren vor dem Arbeitsgericht Köln auf Zustimmungsersetzung einleitete.

Im Folgenden erweiterte sie ihre Anträge mit Schriftsatz vom 26.09.2019 um die Auflösung des gesamten Betriebsrates, hilfsweise um den Ausschluss des Beteiligten zu 3) aus dem Betriebsrat und stützt dieses auf diverse Gründe (Anstiftung zum kollektiven Krankmelden, nicht ordnungsgemäßes Beschlussverhalten des Betriebsrats etc.). Widerklagend beantragt sodann der Betriebsrat mit Antrag vom 27.01.2020, das Unterlassen bestimmter Äußerungen.

Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden, dem Beteiligten zu 3), sei nach § 103 BetrVG zu ersetzen. Nach ihrer Auffassung habe sich der Betriebsratsvorsitzende eigenmächtig selbst beurlaubt und dies stelle einen fristlosen Kündigungsgrund dar. Zum Urlaubsantrag behauptet sie, dass eigentlich ….. für den Urlaub freigestellter Betriebsratsmitglieder zuständig sei. Da diese allerdings selber im Urlaub gewesen sei, sei ….. der zuständige Ansprechpartner und für die Genehmigung des Urlaubs zuständig gewesen. ….. habe den Urlaubsantrag entgegengenommen, allerdings sich nicht gegenüber dem Beteiligten zu 3) hierzu geäußert. Da ….. sodann selbst in den Urlaub gegangen sei, habe sie den Antrag weitergeleitet an ….. mit der Anmerkung, dass die Unterschrift von …… noch fehle. Erst am Montag habe ….. den Urlaubsantrag dann ….. gegeben. Dieser habe dann die Genehmigung verweigert. Im Telefonat am Montag zwischen ….. und dem Beteiligten zu 3) habe der Beteiligte zu 3) sinngemäß geäußert, „wir müssen über nichts sprechen, ich muss niemanden fragen, ich habe keinen Vorgesetzten, da kannst du deinen Rechtsbeistand fragen, wenn du Spielchen spielen willst, solltest du aufpassen, ich habe Urlaub, also lass mich in Ruhe, am Donnerstag bin ich wieder da“.

Die Situation sei umso misslicher gewesen, als dass die übrigen Mitglieder des Betriebsrates betreffend der angesetzten Betriebsversammlung keine Entscheidung treffen wollten ohne den Beteiligten zu 3). Weitere Besprechungstermine seien abgelehnt worden.

Hinsichtlich der anberaumten Betriebsversammlung habe die Arbeitgeberin einen Schaden von rund 361.200,00 EUR und vor allem einen Reputationsverlust befürchtet.

Betreffend das Urlaubsverfahren im Betrieb behauptet die Arbeitgeberin, es gebe ein genaues Verfahren. Die betreffenden Arbeitnehmer bekommen auch eine Kopie des genehmigten Antrags und insbesondere dem Beteiligten zu 3) sei dieses Verfahren auch bekannt. Es sei ausnahmslos durchgeführt worden. Auf Nachfrage der Kammervorsitzenden in der mündlichen Verhandlung vom 10.06.2019 konnte die Arbeitgeberin dies allerdings nicht näher dahingehend spezifizieren, auf welche Art und Weise das genaue Verfahren den Arbeitnehmern bekannt gemacht wurde und wie dieses überhaupt aussieht (z.B. Zuständigkeiten, Fristen, einzuhaltende Formvorschriften).

Die Arbeitgeberin beantragt,

1.  die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur außerordentlich fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3) zu ersetzen;

2.  den Beteiligten zu 2) aufzulösen, hilfsweise

3.  den Beteiligten zu 3) aus dem Beteiligten zu 2) auszuschließen.

Die Beteiligten zu 2) bis 13) beantragen,  die Anträge abzuweisen.

Der Beteiligte zu 2) beantragt ferner widerbeantragend,

1.  der Beteiligten zu 1) aufzugeben, es zu unterlassen, in Bezug auf den Beteiligten zu 2) und/oder die Mitglieder des Beteiligten zu 2) zu behaupten, diese gehörten rumänisch- und türkisch-/arabisch stämmigen Großfamilien bzw. Clans an;

2.  der Beteiligten zu 2) aufzugeben, es zu unterlassen, in Bezug auf den Beteiligten zu 2) und/oder die Mitglieder des Beteiligten zu 2) zu behaupten, diese seien in Drogengeschäfte oder andere kriminelle Aktivitäten verwickelt.

Die Beteiligte zu 1) beantragt, die Widerklageanträge abzuweisen.

Die Beteiligten zu 2) und 3) behaupten, sie hätten keine Kenntnis von der Aufgabenverteilung betreffend den Urlaub zwischen …. und …… Die Weiterleitung des Antrags von …. an ….. mit der Anmerkung, die Unterschrift von ….. fehle, bestreiten sie mit Nichtwissen. Ebenso bestreiten sie mit Nichtwissen, dass ….. erst am Montag den Antrag an ….. weitergegeben habe. Der Beteiligte zu 3) habe bei Übergabe des Urlaubsantrags an …… noch mit dieser 15 Minuten über den Urlaub geplaudert und sie habe einen schönen Urlaub gewünscht. Betreffend das Verfahren bei Urlaubsgewährung behaupten sie, dass es auch früher keine schriftliche Urlaubsgenehmigung bei freigestellten Mitarbeitern gegeben habe. Die Anträge seien nur in der Personalabteilung abgegeben worden. Eine Gegenzeichnung sei nicht üblich gewesen. Zudem stellen sie sich die Frage, warum ….. den Urlaubsantrag nicht unverzüglich weitergegeben habe. Der Arbeitgeberin sei jedenfalls ein Organisationsverschulden anzulasten.

Die dem Beteiligten zu 3) erteilten Abmahnungen seien nach der Auffassung der Beteiligten zu 2) und 3) nicht einschlägig. Darüber hinaus auch nicht berechtigt, weil der Beteiligte zu 3) keine Anfangs- und Endzeiten bezüglich seiner Arbeitszeit habe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

II.

Die Kammer hat zunächst in einem Teil-Beschluss nur über den Antrag auf Zustimmungsersetzung zur außerordentlich fristlosen Kündigung des Beteiligten zu 3) entschieden. Im Übrigen wurde das Verfahren mangels Entscheidungsreife vertagt.

Der Antrag der Arbeitgeberin nach § 103 Abs. 2 BetrVG auf Zustimmungsersetzung zu außerordentlichen fristlosen Kündigung ist allerdings unbegründet.

1. Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats der Zustimmung des Betriebsrates. Nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG in Verbindung mit § 15 Abs. 1 KSchG hat die Arbeitgeberin einen Anspruch auf Ersetzung der Zustimmung, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls aus wichtigem Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt ist und die Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten wurde.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus einem wichtigen Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine absoluten Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – Juris Rn. 16; BAG 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 – Juris Rn. 12). Eine außerordentliche Kündigung muss zudem aber erforderlich sein. Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 323 Abs. 2 BGB seine gesetzgeberische Bestätigung erfahren (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – Juris, Rn. 37). Nach § 314 Abs. 2 BGB ist eine Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach einer erfolglosen Abmahnung zulässig. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann ausnahmsweise nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so  schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich auch für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – Juris, Rn. 37). Der Arbeitgeber als Kündigender ist darlegungs- und beweispflichtig für die Umstände, die als wichtige Gründe geeignet sein können. Dem Kündigenden trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die ein vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen, allerdings unter Berücksichtigung einer abgestuften Darlegungslast (BAG 18.09.2008 – 2 AZR 1039/06 – Juris, Rn. 29 ff. m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur).

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt ein außerordentlicher Kündigungsgrund nicht vor. Selbst unterstellt die Ausführungen der Arbeitgeberin zur Selbstbeurlaubung des Betriebsratsvorsitzenden seien zutreffend, ist diese unverhältnismäßig.

Tritt ein Arbeitnehmer eigenmächtig einen vom Arbeitgeber nicht genehmigten Urlaub an, so verletzt er damit zwar seine arbeitsvertraglichen Pflichten und ein solches Verhalten ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darzustellen. Der Arbeitnehmer, der sich selbst beurlaubt, verletzt nicht eine bloße Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis, er verletzt vielmehr die Hauptpflicht zur Arbeitsleistung, von der er mangels einer Urlaubsbewilligung durch den Arbeitgeber nicht wirksam entbunden ist. Die Urlaubsgewährung erfolgt nach § 7 BUrlG durch den Arbeitgeber. Lehnt dieser die Urlaubserteilung ohne ausreichende Gründe ab oder nimmt in zumutbarer Zeit zu dem Urlaubsantrag keine Stellung, so kann der Arbeitnehmer durch eine Leistungsklage oder ggf. einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung seine Ansprüche durchsetzen. Ein Recht des Arbeitnehmers, sich selbst zu beurlauben, ist angesichts des umfassenden Systems gerichtlichen Rechtsschutzes grundsätzlich abzulehnen. Es stellt regelmäßig sogar eine beharrliche Arbeitsverweigerung dar, wenn der Arbeitnehmer trotz der Ablehnung seines Urlaubsantrags sich einfach selbst beurlaubt und damit beharrlich seiner Arbeitspflicht nicht nachkommt. Ob in derartigen Fällen vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung eine Abmahnung erforderlich ist, wird regelmäßig von dem konkreten Inhalt der Unterredung zwischen den Arbeitsvertragsparteien vor dem eigenmächtigen Urlaubsantritt abhängen. Hat der Arbeitgeber auf konkrete betriebliche Gründe hingewiesen, die einer Urlaubsgewährung entgegenstehen und dem Arbeitnehmer nachdrücklich klargemacht, im Fall eines unberechtigten Urlaubsantritts werde er arbeitsrechtliche Konsequenzen ergreifen, so muss dem Arbeitnehmer klar sein, dass er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt, wenn er trotzdem zu dem rechtswidrigen Mittel der Selbstbeurlaubung greift. Nimmt andererseits der Arbeitgeber die Ankündigung des Arbeitnehmers, er werde trotz Ablehnung des Urlaubsantrags in Urlaub gehen, einfach kommentarlos hin, so wird je nach den Umständen der Arbeitnehmer nicht damit rechnen müssen, dass der Arbeitgeber bereit ist, ohne weitere Abmahnung sofort zum äußersten Mittel der fristlosen Kündigung zu greifen. Bei der Interessenabwägung ist es zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, wenn der Arbeitgeber ohne ausreichende betriebliche Notwendigkeit den Betriebsablauf nicht so organisiert hat, dass über die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers rechtzeitig entschieden werden konnte. Andererseits ist zu Lasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, wenn ausreichende betriebliche Gründe vorlagen, die einer Urlaubserteilung entgegenstanden und der Arbeitnehmer in Kenntnis der betrieblichen Notsituation unberechtigt der Arbeit ferngeblieben ist (BAG 22.01.1998 – 2 ABR 19/97, Juris Rn. 21).

Die Selbstbeurlaubung ist damit immer eine Pflichtverletzung. Zu berücksichtigen ist hier allerdings, dass gerade zwischen den Parteien streitig ist, ob die Arbeitnehmer und speziell der freigestellte Beteiligte zu 3) immer auch eine positive Rückmeldung über die Gewährung von Urlaub abwarten müssen oder ob sich hier nicht eine gewisse Praxis im Umgang mit der Urlaubsgewährung gebildet hat. Die Arbeitgeberseite hat auch nicht substantiiert für alle zurückliegenden Urlaubszeiten die positive Rückmeldung an den Beteiligten zu 3) im Voraus dargelegt. Sie behauptet zwar ein Verfahren der Urlaubsgenehmigung und dass dieses den Arbeitnehmern und dem Beteiligten zu 3) bekannt gemacht worden seien. Genaueres hierzu konnte sie allerdings auf Nachfrage der Kammer nicht mitteilen. Dies gilt insbesondere betreffend die Zuständigkeiten/Ansprechpartner, etwaigen Fristen und die Unterrichtung der Mitarbeiter. Die Arbeitgeberin führt auch nicht substantiiert aus, dass dem Beteiligten zu 3) in der Vergangenheit die genehmigten Urlaubsanträge stets vor Urlaubsantritt zur Kenntnis gebracht wurden.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Beteiligte zu 3) nicht einfach ohne Mitteilung dem Betrieb fern geblieben ist. Er hat vielmehr bei …., einer Mitarbeiterin aus der Personalabteilung einen Urlaubsantrag abgegeben. Es ist zwar streitig, ob der Beteiligte zu 3) mit ihr noch über den Urlaub gesprochen hat, aber auch nach der Behauptung der Arbeitgeberin hat sie den Antrag ohne jede Anmerkung entgegen genommen. Sie hat den Beteiligten zu 3) weder darauf hingewiesen, dass er noch eine Gegenzeichnung durch einen Verantwortlichen abwarten muss, noch hat sie den Antrag umgehend weitergeleitet und dass obwohl sie an einem Freitagmittag einen Urlaubsantrag für einen Montagmorgen entgegennahm. In einer solchen Situation wäre ein kurzer Hinweis angezeigt gewesen oder zumindest die Weiterleitung am selben Tag, damit dieser noch bearbeitet werden konnte. Das Verschulden ist nicht alleine auf Seiten des Betriebsratsvorsitzenden zu sehen ist. Wann am Montag der Urlaubsantrag an ….. weitergeleitet worden ist, ist auch unklar. Substantiierte betriebliche Gründe in Bezug auf das Arbeitsverhalten, die einem Urlaub entgegenstehen, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Der Beteiligte zu 3) ist freigestellt.

Ausgangspunkt des Streites und Grund für die irgendwann in Laufe des Montages verweigerte Urlaubsgenehmigung ist vielmehr der Streit über die angesetzte Betriebsversammlung und dass der Beteiligte zu 3) diesbezüglich nicht für eine Besprechung zur Verfügung stand. Hier wäre allerdings der stellvertretende Vorsitzende in der Pflicht gewesen.

Unter Berücksichtigung der gesamten Situation wäre nach Auffassung der Kammer daher eine Abmahnung vollkommend ausreichend gewesen, maximal noch eine ordentliche Kündigung. Eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist unverhältnismäßig. Der Beteiligte zu 3) ist seit über 2,5 Jahren bei der Arbeitgeberin beschäftigt und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Das Problem mit der Betriebsversammlung ließ sich auch nach dem „Urlaub“ noch besprechend bzw. es wäre an dem stellvertretenden Vorsitzenden und dem übrigen Betriebsräten gewesen, ihre Pflichten zu erfüllen und der Arbeitgeberin zur Verfügung zu stehen. Jedenfalls leitete auch die Arbeitgeberin erst 30.08.2019 das diesbezügliche einstweilige Verfügungsverfahren ein.

In dieser Abmahnung hätte man insbesondere das genaue Verfahren zur Urlaubsnahme und die Zuständigkeiten / die Ansprechpartner klarstellen können. Auch nach dem Telefonat mit ….. konnte der Kläger nicht davon ausgehen, dass die Arbeitgeberin zum letzten Mittel greift. Ein Hinweis auf eine ansonsten erfolgende fristlose Kündigung erfolgte nicht. Selbiges gilt für die E-Mail vom Abend des 26.08.2019 an die Betriebsadresse des Beteiligten zu 3). Im Gegenteil, nachdem der Beteiligte zu 3) hierauf nach seiner Urlaubsrückkehr erwiderte, dass in der Vergangenheit das Prozedere anders gewesen sei, führt …….in der E-Mail vom 29.08.2019 (vgl. Bl. 26 ff. d.A.) kurz hierzu aus.

Der Beteiligte zu 3) war auch nicht einschlägig abgemahnt. Zwar mag es sich nach der Behauptung der Arbeitgeberin bei den Abmahnungen (deren Berechtigungen ist bestritten) um Arbeitszeitverstöße handeln bzw. um einen eigenmächtigen Umgang mit Arbeitszeiten und Verstöße betreffend die Mitteilung von Abwesenheitszeiten/Krankheitszeiten. Allerdings geht es in diesen Abmahnungen gerade nicht um Urlaub und es wird in diesen Abmahnungen damit auch nicht nochmal klargestellt, welche genauen Schritte der Beteiligte zu 3) einzuhalten hat, wenn es um seine Urlaubsgenehmigung geht.

Der Tonfall und die Wortwahl des Beteiligten zu 3) in dem Telefonat und auch der E-Mail mit ….. und insbesondere seine dortige Behauptung, er müsse niemanden fragen, sind dem Gericht dabei nicht entgangen. Allerdings rechtfertigt dieses Verhalten ebenfalls keine fristlose Kündigung. Hier wären deutliche und klarstellende Worte zum Arbeitsverhalten des Beteiligten zu 3) und gegenseitigen Umgang in Form einer Abmahnung angezeigt gewesen. Das ein solches Verhalten bereits Gegenstand einer Abmahnung war, wird nicht vorgetragen.

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