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Fristlose Kündigung wegen tätlichem Angriff auf Arbeitgeber – Interessenabwägung

Analyse eines Arbeitsrechtsfalles: Kündigung nach Tätlichkeit

Der vorliegende Fall beleuchtet die rechtlichen Facetten einer außerordentlichen Kündigung, die im Kontext eines tätlichen Angriffs am Arbeitsplatz ausgesprochen wurde. Der Kläger, ein 1981 geborener Maler und Lackierer, war seit Januar 2019 im Malerbetrieb der Beklagten beschäftigt. Nach einem Streit, der in Handgreiflichkeiten mündete, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich und hilfsweise ordentlich.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 5 Sa 241/22 >>>

Das Wichtigste in Kürze


  • Fristlose Kündigung des Klägers durch den Arbeitgeber aufgrund eines tätlichen Angriffs auf einen Gesellschafter des Unternehmens.
  • Der Kläger übergab einen Kinderkrankenschein und es entwickelte sich ein Streit mit dem Gesellschafter, der in Tätlichkeiten eskalierte.
  • Das Arbeitsgericht Ludwigshafen wies die Klage des Klägers ab, der sich gegen die Kündigung wehrte.
  • Der Kläger argumentierte, die Kündigung sei eine Maßregelung, da er Anspruch auf Freistellung zur Betreuung seines kranken Kindes geltend machte.
  • Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz bestätigte das erstinstanzliche Urteil und wies die Berufung des Klägers zurück.
  • Das Gericht führte eine Interessenabwägung durch und entschied, dass das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Wahrung des Betriebsfriedens überwiegt.

Eskalation am Arbeitsplatz

Kündigung wegen Tätlichkeit
Eskalation im Betrieb: Analyse eines Falls von außerordentlicher Kündigung nach tätlichem Angriff am Arbeitsplatz. (Symbolfoto: Kamil Zajaczkowski /Shutterstock.com)

Am 18. November 2021 überreichte der Kläger dem Gesellschafter Z. eine ärztliche Bescheinigung für den Bezug von Krankengeld wegen Erkrankung eines Kindes. Dies führte zu einem Wortwechsel, der in Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen eskalierte. Die genauen Umstände des Streits sind umstritten. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich und zusätzlich ordentlich zum 31. Dezember 2021.

Divergierende Darstellungen

Der Kläger behauptete, dass der Gesellschafter ihn nach Übergabe des Kinderkrankenscheins aggressiv konfrontiert habe. Der Gesellschafter soll gefordert haben, dass der Kläger die Kinderbetreuung anders organisieren solle. Nach Darstellung des Klägers trat der Gesellschafter ihm bedrohlich nahe und hob die Arme. Der Kläger behauptet, er habe sich lediglich verteidigt. Der von der Beklagten benannte Zeuge konnte den Vorfall nicht beobachten.

Rechtliche Würdigung und Folgen

Die fristlose Kündigung wurde aufgrund des tätlichen Angriffs ausgesprochen, den der Kläger gegen den Gesellschafter geführt haben soll. Der Kläger wehrte sich gegen die Kündigung mit der Begründung, dass die ordentliche Kündigung gegen das Maßregelungsverbot verstoße. Er argumentierte, die Kündigung sei erfolgt, weil er seinen Anspruch auf Freistellung wegen der Betreuung seines erkrankten Sohnes geltend gemacht habe.

Fazit des Falls

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Schwierigkeiten und rechtlichen Herausforderungen, die mit Kündigungen wegen Tätlichkeiten am Arbeitsplatz verbunden sind. Die unterschiedlichen Darstellungen der beteiligten Parteien und die daraus resultierenden rechtlichen Fragen unterstreichen die Komplexität solcher Fälle im Arbeitsrecht. Die Entscheidung des Gerichts in diesem Fall wird zweifellos als Referenz für ähnliche künftige Fälle dienen, in denen Arbeitgeber mit Tätlichkeiten unter Angestellten konfrontiert sind und entsprechende arbeitsrechtliche Maßnahmen ergreifen müssen.

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Kündigung wegen Tätlichkeit – kurz erklärt


Tätlichkeiten am Arbeitsplatz, insbesondere gegenüber Arbeitskollegen, können einen Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung darstellen. Ein tätlicher Angriff oder eine Verletzung eines Arbeitskollegen kann zur Kündigung führen. Dabei ist es wichtig, dass Arbeitgeber vor einer Kündigung in der Regel das falsche Verhalten abmahnen, es sei denn, es handelt sich um einen schwerwiegenden Vorfall, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt.

Die fristlose Kündigung wegen Tätlichkeit ist möglich, wenn ein Arbeitnehmer nach einem tätlichen Angriff oder einer erheblichen Gefährdung eines Kollegen eine erhebliche Störung des Betriebsfriedens verursacht. In solchen Fällen kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist beenden.

Ein tätlicher Angriff auf Vorgesetzte kann ebenfalls einen Kündigungsgrund darstellen, selbst wenn dieser außerhalb des Arbeitsplatzes und der Arbeitszeit erfolgt. Die Intensität der Tätlichkeit spielt dabei eine Rolle bei der Rechtfertigung einer fristlosen Kündigung.

Tätlichkeiten, die mit sexueller Belästigung verbunden sind, rechtfertigen ebenfalls eine verhaltensbedingte Kündigung. In solchen Fällen ist es nicht erforderlich, dass zuvor eine Abmahnung ausgesprochen wurde, da das Verhalten bereits eine erhebliche Pflichtverletzung darstellt.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 5 Sa 241/22 – Urteil vom 02.03.2023

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 29. Juni 2022, Az. 3 Ca 1543/21, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten zweitinstanzlich über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Der 1981 geborene Kläger (verheiratet, ein Kind) war seit dem 7. Januar 2019 im Malerbetrieb der Beklagten als Maler und Lackierer zu einem monatlichen Bruttolohn von durchschnittlich € 3.053,00 beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt nicht mehr als zehn Arbeitnehmer iSv. § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG.

Am 18. November 2021 erschien der Kläger morgens im Betrieb und übergab dem Gesellschafter Z. eine ärztliche Bescheinigung für den Bezug von Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes für die Zeit vom 16. bis 17. November 2021. Es kam zu einem Wortwechsel, der in Handgreiflichkeiten ausartete; die Einzelheiten sind streitig. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 18. November 2021, zugegangen am 20. November 2021, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 31. Dezember 2021. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage. Im Kündigungsschreiben heißt es auszugsweise:

Sie sind heute morgen gegen 7:15 Uhr im Betrieb meiner Mandantin erschienen und haben eine Krankmeldung (hinsichtlich der Erkrankung Ihres Sohnes) für den 17.11.2021 übergeben. Gerade nachdem es bereits in der Vergangenheit zu höchst fraglichen krankheitsbedingten Fehlzeiten gekommen ist, tat Herr Z. seinen Unmut hierüber kund.

Hierauf begannen Sie ein Wortgefecht und haben in einer völlig ungebührlichen Art und Weise Herrn Z. angeschrien. Die gesamte Situation gipfelte schließlich darin, dass Sie Herrn Z. körperlich attackiert und diesem einen Schlag auf dessen Brust verpasst haben.“

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, der Gesellschafter habe ihn nach Übergabe des sog. Kinderkrankenscheins in einem unangemessenen, lautstarken Ton gefragt, weshalb er die Kinderbetreuung nicht anders regeln könne. Um die Kinder sollten sich seine Eltern oder seine Schwiegermutter kümmern, ansonsten müsse er eine andere Betreuung organisieren. Er habe geantwortet, dass er zu seiner Mutter keinen Kontakt mehr habe und auch seine Schwiegermutter zeitlich nicht so eingesetzt werden könne. Der Gesellschafter sei bedrohlich nah auf ihn zugetreten und habe die Arme gegen ihn erhoben. Um den tätlichen Angriff abzuwehren, habe er die erhobenen Unterarme des Gesellschafters von sich weg nach unten gedrückt. Der von der Beklagten benannte Zeuge N. habe das Geschehen von seinem Standort aus nicht wahrnehmen können. Nach dem Wortgefecht habe der Gesellschafter den Werkzeugkoffer auf die Einfahrt geschleudert und ihn des Anwesens verwiesen. Die ordentliche Kündigung verstoße gegen das Maßregelungsverbot; sie sei erfolgt, weil er seinen Freistellungsanspruch wegen der Betreuung seines erkrankten Sohnes geltend gemacht habe.

Der Kläger hat erstinstanzlich – soweit noch von Interesse – beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 18. November 2021, noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 18. November 2021 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, ihr Gesellschafter habe gegenüber dem Kläger am 18. November 2021 seinen Unmut bekundet und erklärt, dass er nicht gewillt sei, künftig derartige Fehlzeiten zu akzeptieren. Der Kläger sei förmlich „explodiert“ und habe den Gesellschafter angeschrien. Es sei zunächst zu einem recht hitzigen Wortgefecht gekommen. Plötzlich und unvermittelt habe der Kläger den Gesellschafter körperlich attackiert, indem er diesem unter anderem einen Schlag auf dessen Brust verpasst habe. Der Kläger sei bereits zuvor gegenüber einem Auszubildenden handgreiflich geworden und deshalb mündlich ermahnt worden.

Das Arbeitsgericht hat nach Anhörung des Klägers und des Gesellschafters sowie nach Vernehmung des Zeugen N. mit Urteil vom 29. Juni 2022 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht – zusammengefasst – ausgeführt, für die außerordentliche Kündigung bestehe ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB, weil der Kläger den Gesellschafter der Beklagten am 18. November 2021 körperlich angegriffen habe. Die Kammer sei nach dem Inhalt der mündlichen Verhandlung und dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Kläger den Gesellschafter im Rahmen einer zunächst verbalen Auseinandersetzung bedrohlich an der Schulter bzw. dem Kragen gepackt habe. Auch wenn ihm der Gesellschafter den Freistellungsanspruch auf Kinderbetreuung zu Unrecht abgesprochen und der Kläger sich hierdurch provoziert gefühlt habe, hätte er die Grenze zu einem körperlichen Angriff nicht überschreiten dürfen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 29. Juni 2022 verwiesen.

Gegen das am 11. August 2022 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 8. September 2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 11. November 2022 verlängerten Begründungsfrist mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2022 begründet.

Er macht geltend, das erstinstanzliche Urteil beruhe auf einer fehlerhaften Tatsachenfeststellung und auf Rechtsfehlern. Die Feststellung des Arbeitsgerichts, er habe den Gesellschafter tätlich angegriffen, könne nicht auf die Aussage des Zeugen N. gestützt werden. Ausgangspunkt sei sowohl der vorgerichtliche Vortrag der Parteien sowie der Inhalt der informatorischen Anhörung des Gesellschafters. Danach soll er den Gesellschafter körperlich attackiert und ihm einen Schlag auf die Brust verpasst haben. Der Zeuge N. habe jedoch ausgesagt, dass er das Hemd des Gesellschafters angefasst habe, und zwar an der Schulter des Hemdes. Der Zeuge habe den Vortrag der Beklagten – Schlag auf die Brust – nicht bestätigt. Nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts soll er den Gesellschafter bedrohlich an der Schulter bzw. dem Kragen gepackt habe. Das Arbeitsgericht habe jedoch nicht festgestellt, wo genau – an Schulter oder Kragen – der angebliche Griff erfolgt sein soll. Dies sei entscheidungserheblich, denn nach der Aussage des Zeugen N. habe sich dieser direkt in einer Linie hinter ihm (dem Kläger) befunden. Er sei größer als der Gesellschafter, so dass er dem Zeugen durch seinen Körper den Blick verstellt habe. Vor diesem Hintergrund hätte der Zeuge bereits physikalisch nicht sehen können, wenn er den Gesellschafter am Kragen gepackt hätte. Das Arbeitsgericht habe ferner keine Feststellungen zur Kleidung des Gesellschafters getroffen. Dieser habe erklärt, er (der Kläger) habe ihn am „Hemdkragen“ gepackt. Der Zeuge N. hingegen habe zunächst ausgesagt, dass er den Gesellschafter am „T-Shirt“ gepackt habe. Später wolle er gesehen haben, dass er den Gesellschafter am „Trikot“ genommen habe. Die Bezeichnung „Trikot“ habe der Zeuge im Verlauf seiner Vernehmung wiederholt. Zuletzt habe der Zeuge von einem „Hemd“ gesprochen. Feststellungen über die getragene Kleidung wären erforderlich gewesen, denn von einem Schlag auf die Brust (ursprüngliche Version der Beklagten) sei in der Zeugenaussage keine Rede. Er rüge die unrichtige Anwendung materiellen Rechts. Das Arbeitsgericht sei davon ausgegangen, dass er den Gesellschafter tätlich angegriffen habe. Es sei jedoch unstreitig, dass der Gesellschafter auf ihn zugegangen sei, nicht umgekehrt. Von einem Angriff könne schon denklogisch keine Rede sein, wenn sich der Angegriffene auf den Angreifer zubewege. Diese Tatsache sei unstreitig, denn die Beklagte habe seinem Vortrag nicht widersprochen. Pauschales Bestreiten sei prozessual unzulässig. Es sei jedenfalls ein Subsumtionsfehler, wenn von einem Angriff der stehenden Person auf die sich nähernde ausgegangen werde. Die Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage seien denkunlogisch. Das Arbeitsgericht habe zunächst die Aussage des Zeugen wiedergegeben, er habe vor der Tür gestanden und sei eingetreten, als er gesehen habe, dass es Streit gegeben habe. Beide hätten laut diskutiert, er habe allerdings nicht verstanden, um was es gegangen sei. Das bedeute, dass der Zeuge zunächst außerhalb der Garage/Werkstatt gestanden, den verbalen Streit mitbekommen und daraufhin den Raum betreten habe. Das Arbeitsgericht führe dann jedoch aus, der Zeuge habe gesehen, dass er den Gesellschafter am Trikot gepackt habe, er sei dann reingegangen, habe ihn gepackt und rausgezerrt. Der Zeuge habe offensichtlich zwei sich widersprechende Geschehensabläufe präsentiert.

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich, das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 29. Juni 2022, Az. 3 Ca 1543/21, abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 18. November 2021 noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 18. November 2021 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Wegen des Inhalts der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 29. Juni 2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie genügt den gesetzlichen Begründungsanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO und erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 18. November 2022 mit ihrem Zugang am 20. November 2022 aufgelöst worden ist.

Die Berufungskammer folgt den ausführlichen und sorgfältig dargestellten Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils, macht sich diese zur Vermeidung von Wiederholungen zu eigen und stellt dies ausdrücklich fest, § 69 Abs. 2 ArbGG. Die Berufungsangriffe des Klägers bleiben erfolglos.

1. Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegt.

a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG 23.08.2018 – 2 AZR 235/18 – Rn. 12 mwN). Tätlichkeiten im Betrieb sind grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund „an sich“ zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB zu bilden (vgl. ErfK/Niemann 23. Aufl. BGB § 626 Rn. 106, 135 mwN; KR/Fischermeier/Krumbiegel 13. Aufl. BGB § 626 Rn. 468 mwN).

b) Hiervon ausgehend hat das Arbeitsgericht zu Recht angenommen, dass ein „an sich“ zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung geeigneter Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vorlag, weil der Kläger den Gesellschafter der Beklagten am 18. November 2021 tätlich angegriffen hat. Dies wurde durch das Arbeitsgericht zutreffend erkannt und auch gewürdigt. Entgegen der Ansicht der Berufung ist die erstinstanzliche Beweiswürdigung nicht zu beanstanden.

aa) Nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden. Diese Bindung entfällt aber, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 07.12.2022 – 6 Sa 47/22 – Rn. 39 mwN). Konkrete Anhaltspunkte, welche die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich unter anderem aus Fehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind. Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinn sind alle objektivierbaren rechtlichen oder tatsächlichen Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Sie können sich auch aus Vortrag der Parteien, vorbehaltlich der Anwendung von Präklusionsvorschriften auch aus Vortrag der Parteien in der Berufungsinstanz ergeben (BGH 21.03.2018 – VII ZR 170/17 – Rn. 15). Zweifel im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegen schon dann vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (vgl. BGH 04.09.2019 – VII ZR 69/17 – Rn. 11 mwN)

bb) Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs besteht im Streitfall keine „gewisse Wahrscheinlichkeit“, dass eine erneute Feststellung zu einem anderen Ergebnis führt. Zu einer Wiederholung der Beweisaufnahme besteht daher keine Veranlassung.

Das Arbeitsgericht ist unter Berücksichtigung des Vortrags der Parteien, der gesamten mündlichen Verhandlung einschließlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Rahmen der von ihm vorgenommenen Beweiswürdigung zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger am 18. November 2021 bei der zunächst verbal geführten Auseinandersetzung die Grenze zu einem körperlichen Übergriff überschritten habe. Er habe den Gesellschafter der Beklagten bedrohlich an der Schulter bzw. dem Kragen gepackt. Der Kläger habe ausgeführt, der Gesellschafter sei näher zu ihm gekommen und habe die Hände hochgehoben. Er habe dann aus Reflex die Hände an die Arme des Gesellschafters gelegt. Nach der überzeugenden Aussage des Zeugen N. habe der Kläger den Gesellschafter jedoch an der Schulter bzw. am Kragen gepackt, also deutlich höher. Die Erklärung des Klägers sei als Schutzbehauptung zu werten. Der Zeuge N. habe bekundet, er habe zunächst vor der Tür im Hof gestanden und sei in die Werkstatt eingetreten, als er gesehen habe, dass es Streit gegeben habe. Beide hätten laut diskutiert. Er habe nicht verstanden, um was es gegangen sei. Beide hätten lauter gesprochen, also ein bisschen aufgeregt. Dann habe er gesehen, dass der Kläger den Gesellschafter am Trikot gepackt habe. Er sei reingegangen, habe den Kläger am Arm gepackt und rausgezerrt. Er sei in dem Moment in den Raum gekommen, als sich die Szene abgespielt habe. Der Zeuge habe die Bewegung des Klägers durch einen Griff an der Schulter des Hemdes des Dolmetschers demonstriert. Die Örtlichkeit und die Positionen der Beteiligten seien vom Kläger, dem Gesellschafter und dem Zeugen übereinstimmend beschrieben worden. Z. habe sich in der Werkstatt befunden, der Kläger habe mit dem Rücken zur Tür vor ihm gestanden. N. habe sich zunächst im Hof aufgehalten, sei dann durch die Tür gegangen und habe den Kläger weggezogen. Bereits bei seiner Anhörung habe Z. klargestellt, dass ihn der Kläger nicht gegen die Brust geschlagen habe. Der Kläger habe seine Hände ausgestreckt und ihn am Kragen gepackt, so gesehen sei das ein Stoß gewesen. Dieses Bild habe auch der Zeuge N. anschaulich wiedergegeben, indem er ohne zu zögern die Bewegung des Klägers durch einen Griff an der Schulter des Hemdes des Dolmetschers demonstriert habe. Der Zeuge habe erklärt, dass er in einer Linie hinter dem Kläger gestanden habe. Aufgrund der Größe des Klägers wäre eine Sicht auf die Situation eigentlich erschwert gewesen. Allerdings habe es sich um ein dynamisches Geschehen gehandelt. Der Zeuge habe den Kläger unstreitig vom Gesellschafter weggezogen. Während der Zeuge sich den beiden genähert und in das Geschehen eingriffen habe, habe er die Situation im Blick gehabt. Er habe die vorgefundene Situation bei seinem Eingreifen mit einem Griff des Klägers an der Schulter des Hemdes des Gesellschafters beschrieben. N. habe auf weitere Nachfragen erklärt, dass er sich nicht genau an Einzelheiten erinnern könne. Dem Zeugen seien dieselben Fragen mehrfach gestellt worden. Er habe vermitteln wollen, dass er eigentlich nur eine Sache genau wisse und zwar das Anfassen des Hemdes durch den Kläger. Dies sei nachvollziehbar. Der Zeuge (für dessen Vernehmung ein Dolmetscher herangezogen wurde) habe bereits sprachlich nicht verstanden, um was es bei der Auseinandersetzung gegangen sei. Als es handgreiflich wurde, sei er dazwischengegangen. Maßgeblich sei dabei, dass er die dann aufgefundene Situation überzeugend als einen Angriff des Klägers geschildert habe.

Entgegen der Auffassung der Berufung liegen konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachengrundlage des Arbeitsgerichts aufgrund einer fehlerhaften Beweiswürdigung oder in der Berufung neu vorgebrachter Umstände begründen könnten, nicht vor. Die Feststellung und Wertung des Arbeitsgerichts, der Kläger habe den Gesellschafter der Beklagten körperlich angegriffen, ist nicht zu beanstanden. Der Zeuge N. hat bei seiner Vernehmung klar und widerspruchsfrei bekundet, dass sich der Kläger am 18. November 2021 in der Werkstatt mit dem Gesellschafter gestritten habe. Er habe sich auf dem Hof aufgehalten und sei auf den Streit aufmerksam geworden, wegen seiner unzureichenden Sprachkenntnisse habe er den Inhalt des lautstark geführten Streitgesprächs allerdings nicht verstanden. Als er gesehen habe, dass der Kläger den Gesellschafter an der Schulter bzw. dem Kragen gepackt habe, sei er in die Werkstatt getreten und habe den Kläger „rausgezerrt“.

Entgegen der Ansicht der Berufung ist unerheblich, ob der Gesellschafter ein Herrenhemd, ein T-Shirt oder ein Trikot getragen hat. Die Kleidungsstücke unterscheiden sich vom Stoff. Anders als die Berufung meint, können auch Trikots einen Kragen haben. Der Zeuge hat mit den Begriffen „Hemd“, „T-Shirt“ bzw. „Trikot“ ein Kleidungstück für den Oberkörper bezeichnen wollen, er interessierte sich ersichtlich nicht für modische Feinheiten. Wichtig ist, dass er einen tätlichen Angriff des Klägers auf den Gesellschafter beobachtet hat. Der Zeuge hat den Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift aus der Werkstatt „rausgezerrt“, nachdem die verbale Auseinandersetzung in Handgreiflichkeiten ausartete. Auch auf mehrfache kritische Befragung betonte der Zeuge, der im Rahmen seiner erstinstanzlichen Vernehmung eine Skizze über die Örtlichkeiten anfertigte und die von ihm beobachtete Szene mit Hilfe des Dolmetschers nachstellte, dass der Kläger den Gesellschafter am Kragen gepackt hat. Sein Aussageverhalten war zum Kerngeschehen in sich konsistent und widerspruchsfrei.

Entgegen der Ansicht der Berufung spricht nicht gegen den Zeugen, dass er das Geschehen von seinem Standpunkt aus nicht hätte beobachten können. Die handelnden Personen (Gesellschafter, Kläger, Zeuge) verharrten nicht unbeweglich auf ihren Positionen, die sie vor dem Arbeitsgericht skizziert haben; vielmehr handelte es sich um einen dynamischen Ablauf. Der Zeuge sah sich zum Eingreifen veranlasst, nachdem der zunächst verbale Streit eskalierte. Hinweise für eine Notwehrlage des Klägers konnte der Zeuge nicht erkennen. Er hat gesehen, dass der Kläger gegenüber dem Gesellschafter der Beklagten handgreiflich geworden ist. Damit ist der Beklagten der ihr obliegende Beweis gelungen.

2. Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die stets vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Klägers ausgeht. Der Beklagten war nicht zuzumuten, den Kläger noch bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist, dh. bis zum 31. Dezember 2021, weiterzubeschäftigen.

Die Berufungskammer teilt die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass der körperliche Übergriff auf den Gesellschafter ein gravierendes Fehlverhalten des Klägers darstellt. Der Kläger konnte nicht davon ausgehen, dass die Beklagte eine Tätlichkeit gegen den Vorgesetzten auch nur einmalig hinnehmen oder nur mit einer Abmahnung reagieren würde. Auch die vom Arbeitsgericht im Übrigen vorgenommene Interessenabwägung ist nicht zu beanstanden. Zugunsten des Klägers streitet, dass der Gesellschafter der Beklagten auf seinen berechtigten Freistellungsanspruch zur Kinderbetreuung ungehalten reagiert hat. Dennoch überwiegt das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, weil sie Handgreiflichkeiten gegenüber ihrem Gesellschafter nicht hinnehmen muss und zudem ein berechtigtes Interesse an der Wahrung des Betriebsfriedens hat.

3. Die Beklagte hat die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat die Kündigung auf einen Vorfall vom 18. November 2021 gestützt. Die Kündigung ging dem Kläger bereits am 20. November 2021 und damit innerhalb von zwei Wochen zu.

4. Der auf die hilfsweise ordentliche Kündigung bezogene Kündigungsschutzantrag fällt nicht zur Entscheidung an, weil das Arbeitsverhältnis bereits durch die außerordentliche Kündigung aufgelöst worden ist.

III.

Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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