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Fristlose Verdachtskündigung – dringender Verdacht einer Vorteilsnahme durch Arbeitnehmer

Kläger bei Bundesagentur für Arbeit beschäftigt und betreute u.a. Dachdeckerfirma

Der Kläger war bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit beschäftigt. Im Rahmen seiner Tätigkeit betreute er unter anderem die Firma eines Dachdeckers, für die er mehrere Mitarbeiter vermittelte. Für die Einstellung dieser Mitarbeiter wurden Eingliederungszuschüsse gewährt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 4 Sa 5/20 >>>

Sanierung des Daches der Lebensgefährtin durch Dachdecker

Der Dachdecker führte später Sanierungsarbeiten am Flachdach des Hauses der Lebensgefährtin des Klägers durch. Hierfür soll der Kläger einen deutlich reduzierten Preis von 5.000 Euro netto gezahlt haben, während ein vorheriges Angebot einen Betrag von über 10.000 Euro netto ausgewiesen hatte.

Beklagte kündigt fristlos wegen Verdachts auf Vorteilsnahme

Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis fristlos, da sie den Verdacht einer Vorteilsnahme durch Gewährung der Eingliederungszuschüsse als Gegenleistung für die Vergünstigung hatte.

Gericht sieht keinen hinreichend dringenden Tatverdacht

Das Gericht entschied, dass kein hinreichend dringender Tatverdacht vorlag. Weder der Erhalt des höheren Angebots noch die tatsächlich durchgeführten Arbeiten und der angemessene Preis hierfür waren von der Beklagten vor der Kündigung geklärt worden. Der anfängliche Verdacht hatte sich damit wesentlich abgeschwächt. Allein die Differenz zwischen Angebotspreis und gezahltem Preis begründe keinen Verdacht, wenn Art und Umfang der Leistungen unklar seien.

Kündigung unwirksam – Anspruch auf Weiterbeschäftigung und Annahmeverzugslohn

Das Gericht erklärte die Kündigung für unwirksam. Der Kläger hat Anspruch auf Weiterbeschäftigung und Annahmeverzugslohn. Die Revision wurde nicht zugelassen.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 4 Sa 5/20 – Urteil vom 22.05.2020

1.)  Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen (1 Ca 1229/19) vom 11.11.2019, verkündet am 05.12.2019, wird zurückgewiesen.

2.)  Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

3.)  Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen (Verdachts-)Kündigung, einen Weiterbeschäftigungsanspruch sowie über Annahmeverzugslohnansprüche des Klägers.

Die Beklagte ist die für Region A -D zuständige Agentur für Arbeit. Bei ihr ist ein Personalrat nach dem BPersVG gebildet.

Der Kläger, geb. am 19 , ist bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, seit dem 1. Januar 2007 als „Vollzeitbeschäftigter“ beschäftigt. Er ist mittlerweile 52 Jahre alt und hat vier Kinder, deren Geburtsdaten der 1997, 1999 (Zwillinge) und der 2015 sind. Der ursprüngliche Arbeitsvertrag zwischen den Parteien datiert auf den 20. Dezember 2006. Bezüglich des zuletzt gültigen Arbeitsvertrags vom 9. März 2009 wird auf Bl. 70-71 der Akte Bezug genommen. Der Kläger ist der Tätigkeitsebene (TE) IV zugeordnet. Seit dem 1. Januar 2009 wurde der Kläger als Arbeitsvermittler mit Beratungsaufgaben im Bereich Arbeitgeberservice eingesetzt. Er war hierbei unter anderem für Eingliederungszuschüsse zuständig. Er erhielt zuletzt ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 4.673,11 Euro, bestehend aus einem Festgehalt in Höhe von 4.488,01 Euro (Stufe 6) sowie einer weiteren Funktionsstufe 1 in Höhe von 185,10 Euro.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestimmt sich aufgrund einer Bezugnahmeklausel in § 2 Abs. 1 des Arbeitsvertrages nach dem Tarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit (im Folgenden: TV-BA). Die Regelung in § 3 Abs. 3 TV-BA lautet wie folgt:

„Beschäftigte dürfen von Dritten Belohnungen, Geschenke, Provisionen oder sonstige Vergünstigungen in Bezug auf ihre Tätigkeit nicht annehmen. Ausnahmen sind nur mit Zustimmung der BA [= der Beklagten] möglich. Werden den Beschäftigten derartige Vergünstigungen angeboten, haben sie dies ihrer/ihrem Dienststellenleiter unverzüglich anzuzeigen.“

Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – auch der Kläger – wurden sowohl bei der Einstellung als auch in der Regel jährlich über Korruptionsgefahren sowie die Problematik der Annahme von Belohnungen und Geschenken informiert. In einem diesbezüglichen Rundschreiben des BMI vom 8. November 2004, das ebenfalls regelmäßig per E-Mail verschickt wurde, heißt es diesbezüglich unter anderem:

„Beschäftigte des öffentlichen Dienstes müssen bereits jeden Anschein vermeiden, im Rahmen ihrer Amtsführung für persönliche Vorteile empfänglich zu sein. (…)

Belohnungen oder Geschenke sind alle Zuwendungen, auf die Beschäftigte keinen Rechtsanspruch haben und die sie materiell oder auch immateriell objektiv besser stellen (Vorteil). (…) Das sind beispielsweise Vergünstigungen bei Privatgeschäften. In Bezug auf das Amt ist der Vorteil gewährt, wenn nach den Umständen des Falles die Vorteilsgeberin oder der Vorteilsgeber sich davon leiten lässt, dass die Beschäftigten ein bestimmtes Amt bekleiden oder bekleidet haben…“

Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Rundschreibens wird auf Bl. 88-92 der Akte Bezug genommen.

Der Kläger war im Rahmen seiner Tätigkeit für die Beklagte unter anderem für die Betreuung der Firma L -Bedachungen e.K. (Amtsgericht A , HRA  ) zuständig, deren Inhaber seit Juli 2017 M B l, ein Dachdeckermeister, ist. Zuvor war Herr B bei der Firma J GmbH angestellt, wo der Kläger ihn bereits kennengelernt hatte. Der Kläger vermittelte der Firma L -Bedachungen e.K. verschiedene Arbeitnehmer und veranlasste die Gewährung von Eingliederungszuschüssen. Im Zeitraum vom 23. Oktober 2017 bis zum 2. März 2019 wurden für die Einstellung von sieben Mitarbeitern Eingliederungszuschüsse in Höhe von 56.498,78 Euro bewilligt. Die letzte Förderung wurde für die Zeit vom 3. September 2018 bis zum 2. März 2019 bewilligt. Sämtliche Förderungsbewilligungen sind nach Auffassung der Beklagten rechtlich einwandfrei bzw. nicht zu beanstanden.

Zwischen Herrn B und dem Kläger kam es zu Verhandlungen über die Sanierung des Flachdaches des Hauses der Lebensgefährtin des Klägers (Frau A I ), deren Einzelheiten streitig sind. Unstreitig bot Herr B dem Kläger an, das Dach für 7.500,- Euro zu sanieren, was der Kläger ablehnte. Das Gegenangebot des Klägers über 5.000,- Euro nahm Herr B an.

Daneben existiert ein schriftliches und neun Seiten umfassendes Angebot der Firma L -Bedachungen e.K., das auf den 13. Juni 2018 datiert und an den Kläger gerichtet ist, für eine „Flachdachsanierung“, bestehend aus zwei Positionen (Projektnummer P2 ). Position 1 sind Abbrucharbeiten mit einem Nettopreis iHv. 462,46 Euro und Position 2 sind die Abdichtungsarbeiten mit einem Nettowert iHv. 10.330,82 Euro. Die Position 2 besteht aus 23 Unterpositionen, angefangen bei einem Voranstrich, Dämmungsarbeiten, Abschlussprofile, Arbeiten an der Attika, Abdichtungen, Wandanschluss und Regen- und Dachrinnen. Das Angebot bezieht sich auf ein Dach mit einer Größe von 69 qm. Insgesamt hat das Angebot einen Umfang von 10.793,28 Euro netto bzw. 12.844,- Euro brutto. Bezüglich dieses Angebots wird auf Bl. 105-113 der Akte Bezug genommen. Der Kläger bestreitet, dass er und/oder seine Lebensgefährtin dieses Angebot erhalten hätten.

Im Anschluss wurden an dem Flachdach Dachdeckerarbeiten durchgeführt und im Oktober 2018 beendet. Die an den Kläger adressierte A-Conto Rechnung (RE18-0187) vom 13. Oktober 2018 zur Projektnummer P2 weist ausschließlich den Nettopreis von 5.000,- Euro und endete mit einer Gesamtsumme (inkl. MWSt.) von 5.950,- Euro brutto. Einzelne Positionen wurden nicht aufgeführt, insbesondere keine Lohnkosten. Wegen der weiteren Einzelheiten der Rechnung vom 13. Oktober 2018 wird auf Bl. 117, 191 der Akte Bezug genommen.

Der Kläger monierte mit privater E-Mail ( ) vom 15. Oktober 2018 gegenüber Herrn B , dass wegen der Absetzbarkeit beim Finanzamt seine Lebensgefährtin als Hauseigentümerin ebenfalls auf der Rechnung erscheinen müsse und dass die Arbeitskosten getrennt vom Material ausgewiesen werden sollten. Herr B antwortete mit E-Mail vom 24. Oktober 2018 um 11:48 Uhr und teilte mit, dass die Rechnung geändert und auf dem Weg zu ihm sei. Ferner teilte er mit, dass auf der Schlussrechnung dann auch die Arbeitsstunden ausgewiesen seien. Bezüglich dieser E-Mail wird auf Bl. 192 der Akte Bezug genommen. Am 24. Oktober 2018 überwies der Kläger sodann den Rechnungsbetrag.

Im Anschluss wurden noch weitere Zusatzarbeiten ausgeführt, über die am 17. Dezember 2018 und am 18. Dezember 2018 schriftliche Arbeitsnachweise erstellt wurden (Bl. 125-126 der Akte). In der diesbezüglichen Rechnung der Firma L -Bedachungen e.K. – ebenfalls zur Projektnummer P2 – vom 18. Dezember 2018 über weitere 1.833,97 Euro brutto sind verschiedene Positionen jeweils mit Leistungsbeschreibung, Menge, Einheit, E-Preis und Gesamtpreis enthalten, wobei die vorherige Summe von 5.000,- Euro netto unter der Position 1 „Flachdachabdichtung incl. Gefälledämmung“ aufgeführt ist. Die Position 2 (Zusatzarbeiten Nachbardach) enthält dann 35 detaillierte Einzelpositionen. Auch diesen Rechnungsbetrag überwies der Kläger. Wegen der weiteren Einzelheiten der Rechnung vom 18. Dezember 2018, Bl. 120-124 der Akte Bezug genommen.

Mit E-Mail vom 5. Januar 2019 bat der Kläger Herrn B um kostenlosen Austausch der von seinem Mitarbeiter beschädigten Doppelstegplatte oder um einen Alternativvorschlag. Mit dem Austausch der Platte sei der Auftrag abgeschlossen.

Herr B reagierte mit E-Mail vom 15. Januar 2019, 18:10 Uhr, wegen deren Einzelheiten auf Bl. 128 der Akte Bezug genommen wird. Die E-Mail lautet auszugsweise – wörtlich (einschließlich der Orthografiefehler) – wie folgt:

„(…)

nachdem jetzt etwas Zeit vergangen ist und ich Ihre Vorwürfe verarbeitet habe, würde ich Ihnen gerne kurz erklären was ich von der Sache halte.

(…)

Da Sie schon bei J ihr Anbaudach sanieren wollten und das noch nicht getan hatten, bat ich mich an. Ich erstellte Ihnen ein Angebot (sehr Spitz gerechnet) für 12.000,- Euro plus Steuer. Da ich dankbar war das Sie mir bei der Mitarbeitersuche geholfen haben bat ich Ihnen alles zum Festpreis von 7.500,- an, was Sie aber ablehnten und nur 5.000,- plus Steuer zahlen wollten. Ich ging auf den Handel ein und bekam den Auftrag.

(…)

Während der Dachsanierungsphase baute Ihr Nachbar seine Terrassenüberdachung um und es wurden Zusätzliche arbeiten nötig (…)

Wegen unserer Auslastung mussten Sie lange auf die Instandsetzungsarbeiten warten, nach der Ausführung stellte ich eine Rechnung nach Stundenaufwand auf und für uns war der Auftrag abgeschlossen.

Sie riefen mich nach Rechnungserhalt und Mail vom 5.1.2019 an und erklärten mir sehr ausführlich das ich ja Förderungen in Höhe von mehr als 30.000,- durch Sie erhalten habe und Sie eine Win Win Situation bevorzugten. Da ich frage was das heißen solle sagten Sie das Ihnen ja mindestens die Hälfte zustehen würde und das ich die Förderungen ohne Sie nicht erhalten hätte. In dem gleichen Telefonat sagte ich Ihnen das ich Ihnen die Angebotene Dachrinnensanierung zusätzlich kostenlos übernehmen würde, um keinen Streit zu haben.

Ganz ehrlich Herr Sch weiß ich wirklich nicht was ich dazu sagen/tun soll. Ich sehe das als massive Erpressung, hätten Sie mir von Anfang an gesagt das das so abläuft hatte ich meine Mitarbeiter selber gesucht. Zwischen frage: Wenn Sie die 15.000,- erhalten hätten, hätten Sie sich auch an den Verlusten und Schäden der geförderten Mitarbeiter beteiligt?

Ich würde das mal gerne prüfen lassen ob die geförderten Mitarbeiten wirklich zu Unrecht gefördert wurden oder nicht.

(…)“

Einige Wochen später, am 2. April 2019, rief Herr B. bei der Arbeitgeberhotline der Beklagten an. In dem Telefonat teilte Herr B. der dortigen Mitarbeiterin N. S. unter anderem mit, dass er von einem Mitarbeiter der Beklagten die Zusicherung erhalten habe, einen Eingliederungszuschuss zu erhalten, wenn er selbst im Gegenzug auch etwas für den Mitarbeiter täte. Es sei die Formulierung „Win-Win-Situation“ gefallen. Der Eingliederungszuschuss sei im Anschluss gewährt und im Gegenzug seien durch ihn selbst handwerkliche Arbeiten am Dach des Mitarbeiters vergünstigt ausgeführt worden. Auf Rückfrage nannte Herr B. den Namen des Klägers und bat um Zuweisung eines neuen Ansprechpartners.

Daraufhin führten zwei Mitarbeiterinnen der Beklagten, die beiden Zeuginnen Frau M. (Teamleiterin) und Frau H. (stellvertr. Teamleiterin), am 5. April 2019 ein Gespräch mit Herrn B. in dessen Firma. Dieser berichtete zunächst von der Zusammenarbeit mit dem Kläger. Im Rahmen der Außendienstbesuche habe der Kläger immer wieder auf den desolaten Zustand seines Hausdachs hingewiesen. Er (Herr B.) habe sich bereit erklärt, das Dach anzusehen, und mit Datum vom 13. Juni 2018 ein offizielles Angebot für die Sanierung in Höhe von 12.844,- Euro abgegeben. Weil er durch die Unterstützung des Klägers selbst Arbeit gespart hätte, habe er sich erkenntlich zeigen wollen und dem Kläger angeboten, das Dach für 7.500,- Euro zzgl. MWSt. zu erneuern. Dies habe der Kläger abgelehnt und ausgeführt, er (Herr B.) habe seit der Zusammenarbeit mit ihm (dem Kläger) Förderungen in Form von Eingliederungszuschüssen in Höhe von rund 30.000,- Euro erhalten. Er erwarte eine „Win-Win-Situation“. Wenn man den Betrag von 30.000,- Euro teile, blieben für jeden ca. 15.000,- Euro übrig. Er (Herr B.) sei schockiert gewesen, zumal der Kläger in dem Gespräch den Eindruck vermittelt habe, dass er erhaltene Fördergelder zurückzahlen müsse, wenn er sich nicht auf dieses Angebot einlasse. Er habe den Kläger darauf hingewiesen, dass das für ihn die Insolvenz bedeuten würde. Daraufhin habe der Kläger den Vorschlag unterbreitet, 5.000,- Euro für die Dachsanierung zahlen zu wollen. Er selbst (Herr B.) habe darauf bestanden, dass dies der Betrag vor Steuern sein müsse. Herr B. berichtete weiter vom Abschluss der Arbeiten im Oktober 2018, den erforderlichen Nacharbeiten und den beiden Rechnungen. Er habe sich im Nachhinein so sehr über das aus seiner Sicht erpresserische Verhalten des Klägers geärgert, dass er die E-Mail vom 15. Januar 2019 geschrieben habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gesprächsprotokoll vom 5. April 2019, Bl. 103-104 der Akte, Bezug genommen, das von allen Gesprächsteilnehmern unterzeichnet wurde. Herr B. stellte der Beklagten verschiedene Dokumente zur Verfügung – unter anderem das Angebot vom 13. Juni 2018, die Rechnungen vom 13. Oktober sowie 18. Dezember 2018 und verschiedene E-Mails, insbesondere seine E-Mail vom 15. Januar 2019, 18:10 Uhr. Wegen deren Einzelheiten wird auf die übergebenen Unterlagen, Anlage 12, Bl. 105-129 der Akte, Bezug genommen.

Die Beklagte prüfte sodann die auf Veranlassung des Klägers an Herrn B. erbrachten Förderleistungen. Diese waren aus fachlicher Sicht nicht zu beanstanden. Daraufhin wurden der Personalleiter, der Abwesenheitsvertreter der Geschäftsführerin und schließlich die Geschäftsführerin des Internen Service der Agentur für Arbeit A.-D. über den Sachverhalt informiert.

Der Kläger wurde am 8. April 2019 zu einem Personalgespräch nachmittags geladen. Im Vorfeld wurde dem Kläger nicht mitgeteilt, worum es gehen sollte. In dem Gespräch, an dem auf Beklagtenseite Herr H. (Leiter Personal) und Herr M. (Leiter Controlling und Finanzen) sowie der Personalratsvorsitzende Herr R. teilnahmen, wurde ihm die mehrfach von Herrn B. geäußerte Beschwerde vorgehalten, er (der Kläger) habe seine Stellung bei der Beklagten ausgenutzt und private Vorteile bei der Sanierung seines Daches mit der Gewährung von Eingliederungszuschüssen verwoben und eine Gegenleistung eingefordert. Dieses Verhalten entspreche dem Straftatbestand der Vorteilsnahme und werde zur Anzeige gebracht. Der Kläger bestätigte die Vereinbarung eines Festpreises von 5.000,- Euro. Der weitere Inhalt des Gesprächs ist streitig. Das Angebot vom 13. Juni 2018 sowie alle weiteren Unterlagen hatten die Mitarbeiter der Beklagten bei dem Gespräch vor sich liegen. Sie wurden dem Kläger weder vorgelegt noch ausgehändigt. Die Herren H. und M. erstellen einen Gesprächsvermerk, bzgl. dessen Inhalt auf Bl. 130 der Akte Bezug genommen wird und der auszugsweise wie folgt lautet:

„(…)Den Zusammenhang der Vergünstigung des Preises als Gegenleistung für gewährte Eingliederungszuschüsse bestritt Herr S. deutlich. Es habe sich um einen marktüblichen Preis gehandelt. Mit dem Angebot über 12.000,- Euro konfrontiert erklärte Herr S., dass nicht alle Arbeiten wie im Angebot dargelegt, ausgeführt worden wären.

(…)“

Im Anschluss an das Gespräch am 8. April 2019 wurde der Kläger schriftlich mit sofortiger Wirkung unter Fortzahlung des Gehalts freigestellt. Bezüglich des Freistellungsschreibens wird Bezug genommen auf Bl. 11 der Akte.

Ergänzend wurde einen Tag später ein Gespräch mit der Lebensgefährtin des Klägers (Frau I…) geführt, die Eigentümerin des Hauses mit dem sanierten Flachdach ist und die ebenfalls bei der Beklagten beschäftigt ist. Der Inhalt dieses Gespräches ist ebenfalls streitig zwischen den Parteien. In der von Frau I… unterzeichneten Stellungnahme führt diese aus, dass sie kein schriftliches Angebot von Herrn B. oder einer anderen Firma kennen würde. Sie bestätigt, dass zwischen dem Kläger und Herrn B. über eine große und kleine Sanierungslösung gesprochen worden sei. Insofern wird Bezug genommen auf Bl. 136-137 der Akte.

Im Anschluss wurde mit Schreiben vom 12. April 2019 der bei der Beklagten gebildete Personalrat zur beabsichtigten fristlosen Verdachtskündigung des Klägers gem. § 79 Abs. 3 BPersVG angehört. Bezüglich des Anhörungsschreibens wird auf Bl. 131 der Akte Bezug genommen. Dem Formular-Anschreiben waren verschiedene Anlagen beigefügt, wie sich aus einer handschriftlich ergänzten Liste ergibt, ua. das Angebot vom 13. Juni 2018, die Rechnungen der Firma L.-B. e.K. und der E-Mail-Verkehr zwischen dem Kläger und Herrn B. sowie verschiedene Vermerke. Hierzu gehört auch der „Vermerk zur arbeitsrechtlichen Würdigung des Fehlverhaltens von Herrn K. S.“, verfasst durch den Leiter Personal Herrn H., vom 12. April 2019, bzgl. dessen Inhalt auf Bl. 132-133 der Akte Bezug genommen wird und der auszugsweise wie folgt lautet:

„(…)Auch Herr B. ist bereit, seine Aussage vor Gericht zu bezeugen. Es ist zu unterstellen, dass Herr S. dies ebenfalls tun wird, so dass beide Aussagen einander entgegenstehen.

Folglich kommt den übrigen Dokumenten bei der Bewertung eine besondere Bedeutung zu:

Aufgrund der teilweisen Pauschalierung von Positionen in der Rechnung wird ein genauer Abgleich mit den Einzelpositionen des Angebots erschwert, so dass nicht einschätzbar ist, ob wesentlich andere Leistungen erbracht oder aber deutlich geringwertigere Materialien verwandt wurden.

Festzuhalten bleibt, dass – bezogen auf das Angebot – der Preis letztlich auf etwas mehr als die Hälfe reduziert wurde.

(…)

Welchen Grund sollte ein Handwerksbetrieb haben, eine Leistung, die auf 10.000,- Euro beziffert wurde, auf 5.000,- Euro zu reduzieren. Die Schlussfolgerung, dass hier – entweder im Rahmen der langjährigen guten Zusammenarbeit – eine Gefälligkeit erbracht wurde oder aber – wie von Herrn B. dargestellt, ein Vorteil eingefordert wurde, liegt nahe.

(…)“

Ergänzend fand in der Sitzung des Personalrates am 16. April 2019 eine Erörterung der aus Sicht der Beklagten maßgeblichen Kündigungsgründe statt. Mit Schreiben vom gleichen Tag, das bei der Beklagten ebenfalls noch am 16. April 2019 einging, teilte der Personalrat mit, dass er die beabsichtigte Verdachtskündigung nicht für angemessen halte. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten dieses Schreibens wird auf Bl. 151-152 der Akte Bezug genommen.

Hiernach kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 18. April 2019, wegen dessen Einzelheiten auf Bl. 8-10 der Akte Bezug genommen wird, „außerordentlich und fristlos“ wegen des Verdachts der Vorteilsnahme. Die Kündigung, die mit „Verdachtskündigung“ überschrieben ist, ging dem Kläger am selben Tag zu.

Zudem erstattete die Beklagte mit Schreiben vom 30. April 2019 Strafanzeige (Bl. 154-157 der Akte). Das diesbezügliche Ermittlungsverfahren (StA Aachen – 2 Js 966/19) ist im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 22. Mai 2020 noch anhängig. Die Strafanzeige richtet sich sowohl gegen den hiesigen Kläger als auch gegen Herrn B..

Für April 2019 zahlte die Beklagte an den Kläger 2.692,81 Euro brutto Festgehalt und 111,06 Euro brutto anteilige Funktionsstufe 1, dh. zusammen 2.803,87 Euro brutto. Sie zahlte des Weiteren 2.124,10 Euro brutto an Urlaubsabgeltung. Das auf den 18.04.2019 datierende Arbeitszeugnis (Bl. 172-173 der Akte) übersandte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Mai 2019 (Bl. 171 der Akte).

Der Kläger beantragte Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 13. Mai 2019 ordnete die Beklagte eine Sperrzeit vom 19. April 2019 bis zum 11. Juli 2019 an. Ab dem 12. Juli 2019 bezog der Kläger Arbeitslosengeld iHv. kalendertäglich 64,91 Euro netto. Für Juli 2019 wurden (anteilig) 1.298,20 Euro netto gezahlt, seit August 2019 jeweils 1.947,30 Euro netto. Bezüglich des einschlägigen Bescheids der Beklagten vom 23. Mai 2019 wird auf Bl. 245-246 der Akte Bezug genommen.

Mit seiner Klage vom 29. April 2019, die der Beklagten am 6. Mai 2019 zugestellt wurde, hat sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung gewehrt. Klageerweiternd hat er darüber hinaus hilfsweise für den Fall des Obsiegens die Zahlung von Annahmeverzugslohn für den Zeitraum April bis einschließlich September 2019 unter Anrechnung der erhaltenen Leistungen begehrt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die streitgegenständliche Kündigung sei unwirksam. Dringende Verdachtsmomente lägen nicht vor. Der Kläger hat behauptet, Herr B. habe bereits während seiner Tätigkeit für die Firma J. GmbH ein Angebot für eine Flachdachsanierung erstellen sollen. Er habe damals mitgeteilt, ein Flachdach müsse alle zehn bis zwanzig Jahre gewartet werden. Das Dach sei noch in Ordnung, es gäbe keinen aktuellen Handlungsbedarf. Bei einer Flachdachsanierung gäbe es eine sog. „kleine Lösung“, bei der die Bitumenabdichtung bleibe und eine Dämmung plus Folie darüber aufgebracht werde, und eine sog. „große Lösung“, bei der das Bitumendach komplett abgetragen und entsorgt werde, bevor eine neue Dämmung plus Folie auf den Beton aufgebracht werde. Es habe wegen erheblicher Preisunterschiede für beide Varianten eine Kalkulation erstellt werden sollen, was Herr B. vor seiner Kündigung durch die Firma J. tatsächlich nicht mehr gemacht habe. Ein Angebot sei nicht übermittelt worden. Der Kläger hat weiter behauptet, etwa im Frühjahr 2018 habe Herr B. ihn (den Kläger) auf eine mögliche Dachsanierung angesprochen – was sich auch aus der Mail von Herrn B. vom 15. Januar 2019 ergebe. Im Frühsommer sei er an einem Samstag vorbeigekommen, um sich das Dach noch einmal anzusehen. Dabei habe er (der Kläger) mitgeteilt, dass man aus Kostengründen den geringsten Sanierungsaufwand wolle. Bei dem Dach des Hauses seiner Lebensgefährtin, das nur 56,7036 qm groß sei, handele es sich, soweit er (der Kläger) das beurteilen könne, um ein sog. Warmdach, bei dem die Dachhaut direkt auf die Dämmschicht aufgebracht werde. Die Preise im Internet für die Sanierung eines solchen Daches in Form der „kleinen Lösung“ lägen bei etwa 45,- Euro bis höchstens 75,- Euro pro qm. Selbst bei einem sog. Kalt- oder Umkehrdach lägen die Kosten im Mittel bei 100,- Euro pro qm. Mit 75,- Euro bei 56 qm ergäbe sich ein Preis von 4.200,- Euro. Als Herr B. bei einem späteren Termin bezüglich der Preisabsprache erklärte, die Sanierung würde eigentlich 10.000,- Euro kosten, er würde das aber entgegenkommend für 7.500,- Euro anbieten, sei er über diesen nach seiner eigenen Recherche viel zu hohen Preis regelrecht erschrocken gewesen, so dass er den Gegenvorschlag mit 5.000,- Euro gemacht habe. Hiermit sei Herr B. nach einigem Überlegen einverstanden gewesen. Dieser Preis sei für das, was gemacht worden sei, üblich und angemessen. Der Kläger behauptet weiter, das Angebot vom 13. Juni 2018 habe er nie erhalten. Die dort aufgeführten Arbeiten gingen über die tatsächlich erbrachten Leistungen deutlich hinaus. Es sei somit nicht erkennbar, warum bzw. wodurch er sich einen Vorteil verschafft haben sollte. Auch ein entsprechender Verdacht ergebe sich nicht. Eine Verpflichtung zur Zurückweisung des Angebots von Herrn B. wegen des Anscheins der Vorteilsnahme ergebe sich nicht. Es gebe kein Verbot, mit Kunden Geschäfte zu machen. Seiner Meinung nach sei die Kündigung zudem mangels Ausspruchs einer vorherigen Abmahnung unverhältnismäßig. Es hätte die Möglichkeit bestanden, ihn in einem nicht kundenbezogenen Aufgabenbereich weiter zu beschäftigen.

Der Kläger hat weiter die Ansicht vertreten, weder er selbst noch der Personalrat seien ordnungsgemäß angehört worden. Die Beklagte sei voreingenommen gewesen und sie hätten ihm keine Unterlagen zur Verfügung gestellt. Insbesondere bezüglich des Angebots vom 13. Juni 2018 hätte er dann gesagt, dass er dieses nicht kenne.

Soweit der Kläger ursprünglich hilfsweise für den Fall des Unterliegens die Zahlung von Urlaubsabgeltung für weitere 13 Urlaubstage beantragt hat, haben die Parteien diesen Antrag nach Zahlung im Termin zur mündlichen Verhandlung beim Arbeitsgericht am 25. Juli 2019 übereinstimmend für erledigt erklärt. Zudem hatte der Kläger bereits in seiner Klageschrift die Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses beantragt, das die Beklagte jedoch mit Schreiben vom 23. Mai 2019 übersandt hat. Auch diesen Antrag haben die Parteien übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Beklagte hat jeweils beantragt, dem Kläger die diesbezüglichen Kosten aufzuerlegen. Den allgemeinen Feststellungsantrag hat der Kläger zurückgenommen.

Der Kläger hat daher erstinstanzlich zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 18. April 2019 beendet worden ist;

2. hilfsweise für den Fall des Obsiegens die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag zu Ziffer 1. als Vollzeitbeschäftigten weiter zu beschäftigen;

3. hilfsweise für den Fall des Obsiegens die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.673,11 Euro brutto abzüglich gezahlter 2.692,81 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 1. Mai 2019 zu zahlen;

4. hilfsweise für den Fall des Obsiegens die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.673,11 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 1. Juni 2019 zu zahlen;

5. hilfsweise für den Fall des Obsiegens die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.673,11 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 1. Juli 2019 zu zahlen;

6. hilfsweise für den Fall des Obsiegens die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.673,11 Euro brutto abzüglich bezogenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 1.298,20 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 1. August 2019 zu zahlen;

7. hilfsweise für den Fall des Obsiegens die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.673,11 Euro brutto abzüglich bezogenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 1.947,30 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 1. September 2019 zu zahlen;

8. hilfsweise für den Fall des Obsiegens die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.673,11 Euro brutto abzüglich bezogenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 1.947,30 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 1. Oktober 2019 zu zahlen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,  die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei wegen des dringenden Verdachts der Straftat der Vorteilsnahme sowie des Verstoßes gegen die Verpflichtungen aus dem TV-BA, insbesondere § 3 Abs. 3 TV-BA, wirksam. Ergänzend bestehe der Verdacht der Nötigung und Erpressung des Herrn B.. Ihrer Meinung nach ergebe sich der Verdacht bereits daraus, dass nach den übergebenen Dokumenten die Dachsanierung für weniger als die Hälfte des ursprünglichen schriftlichen Angebots erbracht worden sei. Dass sowohl das Angebot vom 13. Juni 2018 als auch die Ergänzungsrechnung vom 18. Dezember 2018 im Gegensatz zur A-Conto Rechnung vom 13. Oktober 2018 äußerst differenziert und detailliert seien, lasse darauf schließen, dass tatsächlich dieselben Leistungen für noch nicht einmal den halben Preis erbracht worden seien. Unabhängig davon, ob ein Zusammenhang des ersichtlich unangemessen niedrigen Preises mit der letzten gewährten Förderung bestehe, würde schon die Akzeptanz eines solchen „Freundschaftspreises“ durch den Kläger für den Ausspruch der Kündigung reichen. Darüber hinaus sei die Aussage von Herrn B. äußerst glaubhaft und stimme mit den übergebenen Dokumenten überein. Seine Schilderungen würden ferner gestützt durch die Chronologie bezüglich der letzten gewährten Förderung an die Firma L.-B. e.K. Die Daten der Förderung dieses Mitarbeiters passten chronologisch zu den Abläufen um die Dachsanierung und die Vorwürfe des Herrn B.. Herr B. sei ihrer Auffassung nach auch glaubwürdig. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb er die Unwahrheit sagen solle. Vielmehr habe sich Herr B. durch seine Aussage sogar selbst belastet. Die Preisverhandlungen seien zudem unstreitig. Die Behauptungen des Klägers zu einer „kleinen“ und „großen Lösung“ hat die Beklagte mit Nichtwissen bestritten, ebenso wie die Angaben zur Größe und Beschaffenheit des Daches. Weiter hat die Beklagte bestritten, der Kläger habe Herrn B. aus Kostengründen gesagt, er wolle die „kleine Lösung“. Denn das Angebot vom 13. Juni 2018 basiere erkennbar auf der „großen Lösung“. Selbst wenn Herr B. selbst – wie vom Kläger behauptet – auf die Dachsanierung zu sprechen gekommen sei und geringere Preise benannt hätte, hätte der Kläger diesen Anschein, im Rahmen der Amtsführung für persönliche Vorteile empfänglich zu sein, vermeiden müssen. Vor diesem Hintergrund sei auch unerheblich, ob die gezahlten 5.000,- Euro angemessen seien oder nicht. Aufgrund der Vorgänge sei ihr Vertrauen in den Kläger unwiederbringlich zerstört. Sein Verhalten sei geeignet, ihr Ansehen in der Öffentlichkeit massiv und nachhaltig zu schädigen. Ihr Interesse an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiege.

Nach Ansicht der Beklagten seien sowohl der Kläger als auch der Personalrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden.

Hinsichtlich der geltend gemachten Annahmeverzugslöhne hat die Beklagte vorsorglich die Aktivlegitimation des Klägers bestritten.

Soweit der Kläger ursprünglich ein Zeugnis eingeklagt hatte, hat die Beklagte die Auffassung vertreten, der Kläger habe die diesbezüglichen Kosten zu tragen. Aufgrund der Ostertage, Urlaubs sowie Freizeitausgleichs und Dienstreisen der zuständigen Mitarbeiterin sei eine frühere Erteilung nicht möglich gewesen. Der Kläger habe aufgrund der bekannten administrativen Abläufe mit diesen Verzögerungen rechnen müssen. Sie habe keine Veranlassung zur Klageerhebung gegeben.

Das Arbeitsgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2019 Beweis erhoben über die Preisverhandlungen für die Sanierung des Flachdachs durch informatorische Anhörung des Klägers und Vernehmung des Zeugen Michael B.. In seiner informatorischen Befragung hat der Kläger ua. ausgeführt: „Herr B. hatte ursprünglich 10.000,- Euro gesagt und er sagt dann: `Für Sie, weil sie mit bei der Personalsuche so geholfen haben, 7.500,- Euro`“ (Bl. 256 RS der Akte). Der Zeuge B. hat in dieser Sitzung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht wegen des laufenden Strafverfahrens Gebrauch gemacht. Wegen des Verlaufs und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 11. November 2019 auf Bl. 255-257 der Akte.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 11. November 2019, das am 5. Dezember 2019 verkündet wurde, der zulässigen Klage weit überwiegend stattgegeben. Es hat festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die (Verdachts-)Kündigung vom 18. April 2019 beendet worden ist. Es hat die Beklagte ferner verurteilt, den Kläger bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag zu Ziffer 1. als Vollzeitbeschäftigten weiter zu beschäftigen. Schließlich wurde die Beklagte verurteilt, an den Kläger für die Monate April bis September 2019 (= sechs Monate) jeweils 4.673,11 Euro brutto zu zahlen, wobei für den April 2019 die gezahlten 2.803,87 Euro brutto und für die Monate Juli, August und September 2019 jeweils das gezahlte Arbeitslosengeld in Abzug gebracht wurden, dh. 1.298,20 Euro netto (für Juli 2019) und jeweils 1.947,30 Euro netto (für August und September 2019). Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.

Der Kündigungsschutzantrag (Antrag zu 1.) sei begründet, denn die Kündigung der Beklagten vom 18. April 2019 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es läge kein hinreichender Verdacht für eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung vor, der eine außerordentlich fristlose Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB rechtfertigen könnte. Aus den unstreitigen Tatsachen ergäbe sich – entgegen der Auffassung der Beklagten -nicht der dringende Verdacht, dass sich der Kläger bei der Sanierung des Daches des Hauses seiner Lebensgefährtin einen Vorteil verschafft, einen solchen ausdrücklich eingefordert oder angenommen hätte. Ein ganz maßgeblicher Verdachtsmoment für eine solche Tat des Klägers sei die Aussage des Herrn B., der Kläger habe die Gewährung der Eingliederungszuschüsse aus der Vergangenheit in die Preisverhandlungen einfließen lassen und eine „Win-Win Situation“ gefordert. Diese Äußerung habe der Kläger bestritten und die Beklagte sei hierfür beweisfällig gebelieben. So habe der Zeuge Michael B. sich bei der gerichtlichen Vernehmung am 11. November 2019 berechtigt auf sein Aussageverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO berufen. Der Widerspruch zwischen den Äußerungen des Herrn B. und den Behauptungen des Klägers ließe sich aufgrund der Aussageverweigerung des Zeugen nicht zur Überzeugung des Arbeitsgerichts auflösen, denn ohne die Aussage des Zeugen sei es nicht möglich, besondere Realkennzeichen für eine höhere Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit des Zeugen gegenüber denjenigen des Klägers festzustellen. Auch die übrigen unstreitigen Tatsachen führen nicht zu einer Überzeugung der Kammer, es bestehe der dringende Verdacht, der Kläger habe eine Vorteilsnahme begangen und gegen § 3 Abs. 3 TV-BA verstoßen. Denn aus Sicht der Kammer ist für einen solchen Vorwurf entscheidend, ob der vom Kläger gezahlte Preis von 5.000,00 Euro netto für die durch die Firma L.-B. erbrachten Leistungen angemessen war oder nicht. Anderenfalls lässt sich die Gewährung eines Vorteils gerade nicht feststellen. Feststellungen hierzu fehlen hingegen vollständig. Es ist weder ermittelt, welche Arbeiten am Dach überhaupt durchgeführt worden, noch, welche Preise hierfür in der hiesigen Region üblich sind. Ohne diesbezügliche Angaben sprächen die vorliegenden, von der Beklagten herangezogenen Indizien nicht überwiegend für eine solche Pflichtverletzung des Klägers. Es sei ebenso wahrscheinlich, dass die vorliegenden Dokumente das Ergebnis üblicher Preisverhandlungen sind. Die Preisdifferenz zwischen dem Angebot über 12.844,- Euro im Angebot vom 13. Juni 2018 und den tatsächlich gezahlten 5.950,- Euro brutto sagt für sich genommen nichts darüber aus, ob der letztendlich vereinbarte Festpreis als Gegenleistung für die erbrachten Arbeiten einen Vorteil beinhaltet oder nicht. Denn es ist offen, welche Dachdeckerleistungen tatsächlich ausgeführt wurden.  Auch die Tatsache, dass Herr B. – nach den Behauptungen des Klägers selbst – statt kalkulierter 10.000,00 Euro ein Angebot über 7.500,00 Euro gemacht haben soll, dem der Kläger mit dem Gegenangebot über 5.000,00 Euro begegnet ist, führt nicht zum Vorliegen eines „an sich“ geeigneten Kündigungsgrundes. Auch hier ist entscheidend, welcher Preis für die vereinbarten und erbrachten Leistungen als Gegenleistung angemessen gewesen wäre. Der Rückschluss der Beklagten, der Kläger habe einen „Freundschaftspreis“ akzeptiert, ließe sich mangels diesbezüglicher Tatsachen nicht feststellen. Aufgrund des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag sei die Bedingung für eine Entscheidung über den Weiterbeschäftigungsantrag (Antrag zu 2.) eingetreten, so dass dieser Antrag auch begründet sei. Schließlich seien die Anträge auf Zahlung von Annahmeverzugslohn (Anträge zu 3. bis 8.) aus §§ 615 S. 1, 611a Abs. 2, 293 ff. BGB iVm. dem Arbeitsvertrag aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugslohns begründet. Es seien jedoch Abzüge vorzunehmen. Der Anspruch sei im Monat April 2019 in Höhe von insgesamt 2.803,87 Euro brutto erfüllt gemäß § 362 Abs. 1 BGB. Unbestritten zahlte die Beklagte an den Kläger für diesen Monat bereits 2.692,81 Euro brutto Festgehalt und 111,06 Euro brutto anteilige Funktionsstufe 1. Soweit der Kläger die Zahlung der anteiligen Funktionsstufe nicht abgezogen hat, war die Klage demnach abzuweisen. Ab Juli 2019 sei dann der Bezug des Arbeitslosengelds iHv. 64,91 Euro kalendertäglich gemäß § 115 Abs. 1 SGB X zu berücksichtigen. Wegen des weiteren unstreitigen und streitigen Sachvortrages sowie wegen der weiteren Entscheidungsgründe wird Bezug genommen auf das erstinstanzliche Urteil auf Bl. 268-277 der Akte.

Gegen dieses ihr am 16. Dezember 2019 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 6. Januar 2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und hat diese – nach fristgemäß beantragter und gewährter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 16. April 2020 – mit am 26. Februar 2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte wiederholt und vertieft ihren Sachvortrag. Sie verteidigt ihre außerordentliche Verdachtskündigung und ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe das Beweismaß für eine Verdachtskündigung verkannt. Sie stützt diese maßgeblich auf die E-Mail vom Herrn B. an den Kläger vom 15. Januar 2019 sowie auf den von Herrn B. und den beiden Zeuginnen Frau M. und Frau H. unterschriebenen Vermerk vom 5. April 2019, woraus sich der dringende Verdacht der Vorteilsnahme ergeben würde. Bestätigt würde dies durch die – knappe – Aussage des Zeugen B. im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht, worin er – bevor er sich auf sein Aussageverweigerungsrecht gestützt hat – bestätigt hat, dass er dazu steht, wie er es damals bei der Frau M. gesagt und unterschrieben hat, womit der 5. April 2019 gemeint ist. Insofern sei die Beklagte ihrer Ansicht nach nicht beweisfällig geblieben für die vom Kläger geforderte Win-Win-Situation. Die Beklagte beruft sich daher ausdrücklich auf das Zeugnis der Zeuginnen Frau M. und Frau H. zu den damaligen Äußerungen von Herrn B.. Es bliebe dabei, dass eine erhebliche Diskrepanz gäbe zwischen dem vom Kläger gezahlten Preis von 5.000,- Euro netto bzw. 5.950,- Euro brutto zu dem Preis im Angebot vom 13. Juni 2018 iHv. 12.844,- Euro brutto. Es sei davon auszugehen, dass das Angebot vom 13. Juni 2018 dem Kläger auch zugestellt worden sei. Die Beklagte behauptet ferner, dass an dem Flachdach auch die Arbeiten gemäß dem Angebot vom 13. Juni 2018 durchgeführt worden seien. Sie bietet hierfür Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens an. Zudem habe der Kläger im Rahmen seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 11. November 2019 selbst den Verdacht bestätigt, denn er hat ausgesagt, dass Herr B. ursprünglich einen Preis von 10.000,- Euro genannt und dann gesagt habe, dass er es auch 7.500,- Euro machen würde, weil er (dh. der Kläger) ihm bei der Personalsuche so geholfen habe. Indem der Kläger dieses Ansinnen des Zeugen B. nicht zurückgewiesen habe, ergäbe sich bereits der hinreichende Verdacht der Vorteilsnahme.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen (1 Ca 1229/19) vom 11. November 2019, verkündet am 5. Dezember 2019, abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und behauptet, dass er nicht genau wissen würde, welche Arbeiten am Flachdach des Hauses seiner Lebensgefährtin durchgeführt worden seien. Das alte Bitumendach sei wohl nicht demontiert worden. Es seien nur die Arbeiten durchgeführt worden, die sich aus der Rechnung vom 18. Dezember 2018 ergeben. Jedenfalls bestreitet er mit Nichtwissen, dass die Arbeiten in dem Umfang durchgeführt wurden, wie sich aus dem Angebot über 12.844,- Euro brutto ergeben. Er bestreitet weiterhin, dass er und/oder seine Lebensgefährtin dieses Angebot erhalten hätten. Er verweist erneut darauf, dass dieses Angebot von einem Flachdach mit 69 qm ausgeht, während das Flachdach des Hauses seiner Lebensgefährtin nur 56,7036 qm hat. Es wird Bezug genommen auf die Architektenunterlagen auf Bl. 351-353 der Akte. Soweit es die Aussagen und Behauptungen von Herrn B. betrifft, verweist der Kläger darauf, dass diese drei unterschiedliche Versionen und damit Widersprüche enthielten, die die Beklagte sich weigern würde aufzuklären. Vor allem, weil Herr B. mal einen Konnex zu einer Diensthandlung zieht und mal nicht. Im Rahmen der Anhörung durch die Beklagte habe der Kläger wahrheitsgemäß erklärt, dass er die Rechnung für 5.000,- Euro netto erhalten habe. Dafür, dass den Arbeiten nur die kleine und keine große Lösung zugrunde gelegt hätte, hätte die Beklagte sich nicht interessiert. Die 5.000,- Euro seien für die durchgeführten Arbeiten auch angemessen. Die Versionen von Herrn B. seien erfunden, weil dieser keine Lust gehabt habe, auch noch die Schäden auszugleichen, die dessen Mitarbeiter bei der Durchführung der Arbeiten gemacht haben.

Das Landesarbeitsgericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 22. Mai 2020 Beweis durch Vernehmung der Zeugin Frau M. erhoben. Auf das Zeugnis von Frau H. haben die Beklagte und der Kläger verzichtet. Bzgl. des Verlaufs und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 376-384 der Akte Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, ihre Beweisantritte und die von ihnen eingereichten Unterlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen (§ 64 Abs. 7 ArbGG iVm. § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist aber unbegründet, so dass sie zurückzuweisen ist.

A.  Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b. und lit. c. ArbGG) und ist frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO).

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts ist auch ausreichend begründet, soweit es die Klageanträge zu Ziff. 2 bis Ziff. 8 betrifft. Bezieht sich ein Rechtsmittel auf mehrere Ansprüche im prozessualen Sinn, ist grundsätzlich zu jedem Anspruch eine ausreichende Begründung zu geben. Fehlen Ausführungen zu einem Anspruch, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig. Eine eigenständige Begründung der Berufung ist jedoch entbehrlich, wenn mit der Begründung der Berufung über den einen Streitgegenstand zugleich dargelegt ist, dass die Entscheidung über den anderen unrichtig ist. Das ist etwa der Fall, wenn die Begründetheit des einen Anspruchs denknotwendig von der des anderen abhängt, so dass mit der Begründung des Rechtsmittels über den einen Streitgegenstand gleichzeitig auch dargelegt ist, worin die Entscheidung über den anderen Streitgegenstand unrichtig sein soll (BAG, Urteil vom 24. Oktober 2019 – 8 AZR 528/18, Rn. 18 mwN, NZA 2020, 469 [471]; BAG, Urteil vom 16. März 2004 – 9 AZR 323/03, NZA 2004, 1047 ff.). So verhält es sich hier. Die Begründetheit des vom Kläger geltend gemachten Weiterbeschäftigungsanspruchs sowie die Begründetheit der Annahmeverzugslohnansprüche für den Zeitraum nach Zugang einer fristlosen Kündigung steht in Abhängigkeit von dem Erfolg der Kündigungsschutzklage (Klageantrag zu Ziff. 1). Da sich die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung hinreichend iSv. § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO mit dem Urteil des Arbeitsgerichts auseinandergesetzt hat, soweit es den Kündigungsschutzantrag betrifft, ist die Berufung auch zulässig, soweit sie die weiteren – hilfsweise – geltend gemachten Ansprüche betrifft.

B.  Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die zulässige Klage ist begründet, so dass das Arbeitsgericht der Klage zurecht, soweit im Berufungsrechtszug angegriffen, stattgegeben hat.

I.  Die Klage ist zulässig.

1.  Für den punktuellen Feststellungsantrag besteht insbesondere das gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG iVm. § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Es besteht darin, dass es dem Kläger unabhängig von den Bestimmungen der §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG gemäß §§ 4, 7, 13 KSchG obliegt, die Unwirksamkeit einer außerordentlichen (Verdachts-)Kündigung binnen der Präklusionsfrist von drei Wochen ab Zugang der Kündigung gerichtlich geltend zu machen.

2.  Soweit es die weiteren Leistungsanträge betrifft, besteht das Rechtsschutzbedürfnis für den Kläger bereits darin, dass die Beklagte sich bislang geweigert hat, diese Ansprüche zu erfüllen, zumal diese vom weiteren Bestand des Arbeitsverhältnisses abhängen, der gerade zwischen den Parteien umstritten ist.

3.  Der Weiterbeschäftigungsantrag (Klageantrag zu Ziff. 2) ist schließlich hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

a)  Eine Klageschrift muss die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs, sowie einen bestimmten Antrag enthalten (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO iVm. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG). Die im Erkenntnisverfahren zu prüfende Bestimmtheit des Antrages steht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem sich ggf. anschließenden Vollstreckungsverfahren. Bei der Titulierung des dem Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen zustehenden Anspruchs auf Weiterbeschäftigung muss der Vollstreckungstitel verdeutlichen, um welche Art von Beschäftigung es geht.

Für den Schuldner muss aus rechtsstaatlichen Gründen erkennbar sein, in welchen Fällen er mit einem Zwangsmittel zu rechnen hat. Andererseits erfordern das Rechtsstaatsprinzip und das daraus folgende Gebot effektiven Rechtsschutzes, dass materiell-rechtliche Ansprüche effektiv durchgesetzt werden können. Bei im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebener Arbeitspflicht kann der Titel aus materiell-rechtlichen Gründen nicht so genau sein, dass er auf eine ganz bestimmte im Einzelnen beschriebene Tätigkeit oder Stelle zugeschnitten ist. Darauf hat der Arbeitnehmer regelmäßig keinen Anspruch, weil das Weisungsrecht nach § 106 GewO dem Arbeitgeber zusteht. Um diesen Gesichtspunkten gerecht zu werden, ist es jedenfalls erforderlich, dass die Art der ausgeurteilten (Weiter-)Beschäftigung des Arbeitnehmers aus dem Titel ersichtlich ist. Einzelheiten hinsichtlich der Art der Beschäftigung oder sonstigen Arbeitsbedingungen muss der Titel demgegenüber nicht enthalten. Dafür reicht es aus, wenn sich aus dem Titel das Berufsbild, mit dem der Arbeitnehmer beschäftigt werden soll, ergibt oder diesem zu entnehmen ist, worin die ihm zuzuweisende Tätigkeit bestehen soll (BAG, Urteil vom 27. Mai 2015 – 5 AZR 88/14, Rn. 44, juris; BAG, Beschluss vom 15. April 2009 – 3 AZB 93/08, Rn. 19, juris).

b)  Hieran gemessen genügt der Antrag auf Weiterbeschäftigung als „Vollzeitbeschäftigter“ den og. Anforderungen. Zwar enthält der vorliegende Weiterbeschäftigungsantrag weder die Art der Beschäftigung des Klägers noch ein unmittelbares Berufsbild noch ist ihm zu entnehmen, worin die dem Kläger zuzuweisende Tätigkeit konkret bestehen soll. Allerdings ist eine Konkretisierung des Weiterbeschäftigungsantrags in eine dieser drei Richtungen dem Kläger nicht möglich, weil er damit notwendig eine nicht gerechtfertigte Einschränkung des Weisungsrechts der Beklagten (§ 106 GewO) herbeiführte, die wiederum die Abweisung des Weiterbeschäftigungsantrags als unbegründet nach sich zöge. Denn eine Konkretisierung der Arbeitspflicht des Klägers ausschließlich auf eine bestimmte Tätigkeit, bspw. die zuletzt ausgeübte Tätigkeit, und eine entsprechende Einschränkung des Weisungsrechts der Beklagten hat nicht stattgefunden. Damit ist auf den letzten Anstellungsvertrag zwischen den Parteien zurückzugreifen, wonach der Kläger als „Vollzeitbeschäftigter“ bei der Beklagten im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses angestellt worden ist.

Zwischen den Parteien steht in diesem Zusammenhang nicht im Streit, dass der Kläger mit Tätigkeiten der tariflichen Tätigkeitsebene (TE) IV zu beschäftigen ist und hierfür eine tarifliche Vergütung nach der Stufe 6 nebst der sog. Funktionszulage 1 erhält, so dass diese Arbeitsbedingungen auch nicht im Klageantrag aufzunehmen sind, da es dem Kläger anderenfalls am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis mangeln würde.

II.  Der Klageantrag zu Ziff. 1 ist begründet. Die außerordentliche und fristlose (Verdachts-)Kündigung der Beklagten vom 18. April 2019 ist gemäß § 626 Abs. 1 BGB unwirksam und hat damit das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst.

1.  Die Kündigung der Beklagten vom 18. April 2019 wahrt zunächst das Schriftformerfordernis des § 623 BGB und ist dem Kläger zugegangen.

2.  Der Kläger hat des Weiteren innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG iVm. § 13 Satz 2 KSchG Kündigungsschutzklage erhoben, da er gegen die Kündigung vom 18. April 2019 am 29. April 2019 Klage erhoben hat, die beim Arbeitsgericht am selben Tag eingegangen ist und demnächst (§ 167 ZPO) zugestellt wurde.

3.  Die außerordentliche und fristlose (Verdachts-)Kündigung der Beklagten vom 18. April 2019 ist nicht deshalb unwirksam, weil der bei der Beklagten gebildete Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden wäre (§ 79 Abs. 4 BPersVG).

Nach § 79 Abs. 3 BPersVG ist der Personalrat vor außerordentlichen Kündigungen anzuhören. Der Dienststellenleiter hat die beabsichtigte Maßnahme zu begründen. Hat der Personalrat Bedenken, so hat er sie unter Angabe der Gründe dem Dienstellenleiter unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Arbeitstagen, schriftlich mitzuteilen. Nach § 79 Abs. 4 BPersVG ist eine Kündigung unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Diese Rechtsfolge tritt auch bei nicht ordnungsgemäßer Beteiligung des Personalrats ein (vgl. BAG, Urteil vom 9. Juni 2011 – 2 AZR 284/10, Rn. 45, juris; BAG, Urteil vom 12. März 2009 – 2 AZR 251/07, Rn. 36, juris). Zu dieser Beteiligung gehört insbesondere die hinreichende Unterrichtung des Gremiums. Der Personalrat ist ordnungsgemäß unterrichtet worden, wenn der Arbeitgeber die für ihn subjektiv tragenden Gründe, auf denen sein Kündigungsentschluss beruht, mitgeteilt hat (BAG, Urteil vom 13. März 2008 – 2 AZR 88/07, Rn. 57, juris). Darauf, ob diese Umstände auch objektiv geeignet und ausreichend sind, die Kündigung zu stützen, kommt es für die Ordnungsgemäßheit der Unterrichtung nicht an (BAG, Urteil vom 10. April 2014 – 2 AZR 684/13, Rn. 22, juris; BAG, Urteil vom 9. Juni 2011 – 2 AZR 284/10, Rn. 46, juris). Fehlerhaft ist die Unterrichtung, wenn der Dienstherr dem Personalrat bewusst und gewollt unrichtige oder unvollständige Sachverhalte unterbreitet hat (BAG, Urteil vom 31. Juli 2014 – 2 AZR 407/13, Rn. 46, juris).

Die Beklagte hat vorliegend den bei ihr gebildeten Personalrat ordnungsgemäß nach § 79 Abs. 3 BPersVG angehört. Sie hat durch Vorlage des Schreibens vom 12. April 2019 nebst Anlagen eine Anhörung des Personalrats zu der beabsichtigten außerordentlichen Verdachtskündigung schlüssig aufgezeigt. Es war daher Aufgabe des Klägers, im Einzelnen darzulegen, in welchen Punkten er die Anhörung gleichwohl als fehlerhaft erachtet (vgl. zur Darlegungslast für die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebs- oder Personalrats: BAG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18, Rn. 42, juris; BAG, Urteil vom 22. November 2012 – 2 AZR 673/11, Rn. 31, juris; BAG, Urteil vom 24. Mai 2012 – 2 AZR 206/11, Rn. 49, juris). Daran fehlt es vorliegend.

4.  Die außerordentliche und fristlose (Verdachts-)Kündigung der Beklagten vom 18. April 2019 ist vorliegend allerdings nicht gemäß § 626 BGB wirksam, da kein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, der die Beklagte zum Ausspruch einer derartigen Kündigung berechtigen würde.

a)  Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

Das Vorliegen eines wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB ist in zwei Stufen zu prüfen (ständige Rechtsprechung, vgl. bspw. BAG, Urteil vom 29. Juni 2017 – 2 AZR 597/16, Rn. 13, NZA 2017, 1179 [1180]; BAG, Urteil vom 7. Juli 2005 – 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98 ff.). Im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist (1. Stufe). Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (2. Stufe) (ständige Rechtsprechung, siehe bspw. BAG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18, Rn. 15, juris; BAG, Urteil vom 25. Januar 2018 – 2 AZR 382/17, Rn. 26, juris; BAG, Urteil vom 14. Dezember 2017 – 2 AZR 86/17, Rn. 27, juris; BAG, Urteil vom 16. Juli 2015 – 2 AZR 85/15, Rn. 21 mwN, juris; BAG, Urteil vom 19. April 2012 – 2 AZR 186/11, Rn. 20 mwN, NJW 2013, 104 ff.).

b)  Als wichtiger Grund „an sich“ (1. Stufe) iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet sind nicht nur erhebliche Pflichtverletzungen im Sinne von nachgewiesenen Taten. Auch der dringende, auf objektive Tatsachen gestützte Verdacht einer schwerwiegenden (arbeitsvertraglichen) Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (BAG, Urteil vom 21. November 2013 – 2 AZR 797/11, Rn. 16, NZA 2014, 243 ff. = ZD 2014, 371 ff.).

Eine solche Verdachtskündigung liegt vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines – nicht erwiesenen – strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. § 626 Abs. 1 BGB lässt eine sog. Verdachtskündigung dann zu, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG, Urteil vom 6. November 2003 – 2 AZR 631/02, AP Nr. 39 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG, Urteil vom 29. September 2002 – 2 AZR 424/01, AP Nr. 37 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG, Urteil vom 6. Dezember 2001 – 2 AZR 496/00, AP Nr. 36 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung).

Der Verdacht muss auf konkrete – vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende – Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Auf die subjektive Wertung des konkret kündigenden Arbeitgebers kommt es nicht an. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (ständige Rechtsprechung, etwa BAG, Urteil vom 17. März 2016 – 2 AZR 110/15, Rn. 39, juris; BAG, Urteil vom 2. März 2017 – 2 AZR 698/15, Rn. 22, juris; BAG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 AZR 700/11, Rn. 13, 14, juris; siehe auch Linck, in: Schaub, ArbR-HdB, 18. Aufl. 2018, § 127 Rn. 137 ff. mit umfangreichen Nachweisen zur einschlägigen BAG-Rechtsprechung).

Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Verdachtskündigung ist zu berücksichtigen, dass der ursprüngliche Verdacht durch später bekannt gewordene Umstände, jedenfalls soweit sie bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen, abgeschwächt oder verstärkt werden kann (BAG, Urteil vom 12. Mai 2010 – 2 AZR 587/08, Rn. 28, juris). Eine Differenzierung danach, ob der Arbeitgeber objektiv die Möglichkeit hatte, von den betreffenden Tatsachen bis zum Kündigungsausspruch Kenntnis zu erlangen, ist nicht gerechtfertigt (BAG, Urteil vom 24. Mai 2012 – 2 AZR 206/11, Rn. 41, juris).

Im Kündigungsschutzprozess obliegt dem kündigenden Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Den Arbeitgeber trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen (vgl. BAG, Urteil vom 17. März 2016 – 2 AZR 110/15, Rn. 32, juris). Diese Grundsätze gelten auch bei der Verdachtskündigung (vgl. Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 4, 4. Aufl., 2018, § 390, Rn. 70).

c)  Für die kündigungsrechtliche Beurteilung der Pflichtverletzung, auf die sich der Verdacht bezieht, ist deren strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend. Entscheidend sind der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (BAG, Urteil vom 23. August 2018 – 2 AZR 235/18, Rn. 44, juris; BAG, Urteil vom 22. September 2016 – 2 AZR 848/15, Rn. 16, juris; BAG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 AZR 700/11, Rn. 15, juris; BAG, Urteil vom 24. Mai 2012 – 2 AZR 206/11, Rn. 18, juris; BAG, Urteil vom 25. November 2010 – 2 AZR 801/09, Rn. 17, juris; BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09, Rn. 30, juris). Auch der dringende Verdacht einer nicht strafbaren, gleichwohl erheblichen Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein (BAG, Urteil vom 24. Mai 2012 – 2 AZR 206/11, Rn. 18, juris; BAG, Urteil vom 25. November 2010 – 2 AZR 801/09, Rn. 17, juris).

d)  Wer als Arbeitnehmer bei der Ausführung von vertraglichen Aufgaben Vorteile, Belohnungen oder Geschenke für sich fordert, sich versprechen lässt oder entgegennimmt, verletzt zugleich – unabhängig von einer möglichen Strafbarkeit wegen Vorteilsannahme nach § 331 Abs. 1 StGB bzw. Bestechlichkeit nach § 332 Abs. 1 StGB – seine Pflicht, auf die berechtigten Interessen seines Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (§ 241 Abs. 2 BGB). Ein solches Verhalten ist „an sich“ geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dabei spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob es zu einer den Arbeitgeber schädigenden Handlung gekommen ist. Der ins Auge gefasste Vorteil begründet vielmehr allgemein die Gefahr, der Arbeitnehmer werde nicht mehr allein die Interessen des Geschäftsherrn wahrnehmen. Der wichtige Grund liegt in der zu Tage getretenen Einstellung des Arbeitnehmers, bei der Erfüllung von arbeitsvertraglich geschuldeten Aufgaben unberechtigte eigene Vorteile wahrzunehmen. Durch sein Verhalten zerstört der Arbeitnehmer regelmäßig das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit und Redlichkeit (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. September 2018 – 2 Sa 57/18, Rn. 72, juris). Die Bürger sollen nicht veranlasst werden, zusätzliche Leistungen für Dienste aufzubringen, auf die sie einen Rechtsanspruch haben. Außerdem sollen Bürger, die solche zusätzlichen Leistungen nicht aufbringen können oder wollen, keinen Grund zu der Befürchtung haben, benachteiligt zu werden. Beide Regelungsziele lassen sich nur erreichen, wenn Belohnungen und Geschenke jeder Art unterbleiben (BAG, Urteil vom 15. November 2001 – 2 AZR 605/00, AP BGB § 626 Nr. 175).

e)  Gemessen an den unter a) bis d) dargestellten materiell-rechtlichen Vorgaben bestehen vorliegend nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der Würdigung der weiteren tatsächlichen Umstände zur Überzeugung der Berufungskammer iSv. § 286 Abs. 1 ZPO keine hinreichenden Indiztatsachen, die einen ausreichend dringenden Tatverdacht zulasten des Klägers begründen könnten. Aus den streitigen und unstreitigen Umständen des konkreten Falles ergibt sich, wie das Arbeitsgericht im Ergebnis zurecht festgestellt hat, kein dringender Tatverdacht dahingehend, dass sich der Kläger bei der Sanierung des Flachdaches des Hauses seiner Lebensgefährtin einen (ungerechtfertigten) Vorteil verschafft, einen solchen ausdrücklich eingefordert oder angenommen hätte, dh. es besteht kein dringender Verdacht einer Vorteilsnahme und/oder eines Verstoßes gegen § 3 Abs. 3 TV-BA durch den Kläger. Dies ergibt sich für die Berufungskammer aus einer Gesamtwürdigung der für und wider den Kläger und den von der Beklagten geäußerten Tatverdacht sprechenden Umstände, wie sie die Beklagte zur Grundlage der von ihr ausgesprochenen Kündigung und der vorherigen Anhörung des Personalrates gemacht hat. Im Einzelnen:

aa)  Die Beklagte hat zunächst unter Bezugnahme auf die ihr vorliegende E-Mail des Herrn B. an den Kläger vom 15. Januar 2019, 18:10 Uhr und angesichts des Gesprächsprotokolls vom 5. April 2019, das von dem Zeugen Herrn B. und den Zeuginnen Frau M. und Frau H. unterzeichnet ist, im Ausgangspunkt einen hinreichenden Tatverdacht dahingehend dargelegt, dass sich der Kläger der Vorteilsnahme dahingehend verdächtigt gemacht haben könnte, dass er von Herrn B. Dachdeckerleistungen im Wert von rund 10.000,- Euro netto im Ergebnis für einen Nettopreis iHv. 5.000,- Euro erhalten und dies mit dienstlichen Handlungen durch ihn verknüpft haben könnte.

Die Berufungskammer erkennt insofern an, dass gerade das von Herrn B. vorgelegte Angebot vom 13. Juni 2018 über 12.844,- Euro brutto mehr als doppelt so hoch ist wie der anschließend vereinbarte und vom Kläger tatsächlich gezahlte Festpreis von 5.000,- Euro netto bzw. 5.950,- Euro brutto. Dass diese beiden unterschiedlichen Beträge – gerade vor dem Hintergrund der Behauptungen von Herrn B. – bei der Beklagten einen Tatverdacht erzeugt und diese zu Ermittlungen veranlasst haben, ist für die Berufungskammer nachvollziehbar.

(1)  Soweit es die E-Mail vom 15. Januar 2019, 18:10 Uhr betrifft, bestreitet der Kläger gar nicht, dass diese E-Mail von Herrn B. stammt und dass sie mit dem Inhalt an ihn verfasst und abgesandt wurde, wie sie die Beklagte vorliegend in den Prozess eingeführt hat. Aus der E-Mail ergibt sich die Behauptung des Herrn B., die sich die Beklagte zu Eigen gemacht hat, dass Herr B., weil er dem Kläger so dankbar war, ein Angebot für Dachdeckerleistungen bezüglich einer Dachsanierung, die eigentlich 12.000,- Euro plus Steuer kosten würden, für 7.500,- Euro angeboten hat und sich dann durch den Kläger auf 5.000,- Euro plus Steuer hat runterhandeln lassen. Erst im Nachgang hierzu hätte der Kläger erklärt, dass er eine „Win-Win“-Situation bevorzugen würde, weil Herr B. durch den Kläger immerhin Fördergelder iHv. 30.000,- Euro erhalten hat, so dass sich Herr B. darauf eingelassen hätte, die angebotene Dachrinnensanierung zusätzlich kostenlos zu übernehmen, um keinen Streit zu erhalten.

(2)  Soweit es die Angaben von Herrn B. aus dem – auch – von Herrn B. unterschriebene Gesprächsprotokoll vom 5. April 2019 betrifft, auf die die Beklagte ebenfalls ihren Tatverdacht stützt, hat der Kläger jedoch bestritten, dass die darin wiedergegeben Angaben tatsächlich von Herrn B. gegenüber den beiden Zeuginnen M. und H. genauso getätigt wurden, wie sie schriftlich niedergelegt wurden. Jedoch steht genau dies nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer nach § 286 Abs. 1 ZPO fest.

(a)  Die für den dringenden Tatverdacht darlegungs- und beweisbelastete Beklagte kann sich insofern zwar nicht auf das Zeugnis von Herrn B. gemäß §§ 373 ff. ZPO berufen. Zwar hat sie Herrn B. für die in dem Gesprächsprotokoll vom 5. April 2019 gemachten Angaben als Zeugen benannt und das Arbeitsgericht hat Herrn B. auch als Zeugen geladen und im erstinstanzlichen Termin zur mündlichen Verhandlung am 11. November 2019 auch vernommen (Bl. 257 ff. der Akte). Der Zeuge B. hat sich jedoch bei seiner Vernehmung beim Arbeitsgericht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO berufen, da die Beantwortung der Fragen ihn der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat verfolgt zu werden. Der Zeuge B. hat darauf hingewiesen, dass gegen ihn bereits ein Strafverfahren läuft und er dort als Beschuldigter geführt wird, weil er als Vorteilsgeber in Betracht komme. Insofern war die Aussage des Zeugen unergiebig und die Beklagte wurde als beweisfällig angesehen.

Das Berufungsgericht hat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen zu Grunde zu legen. Etwas anderes gilt, soweit konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. § 398 Abs. 1 ZPO stellt in diesem Zusammenhang die erneute Vernehmung eines bereits erstinstanzlich gehörten Zeugen in das Ermessen des Berufungsgerichts. Im Fall des Zeugenbeweises ist eine erneute Durchführung einer Beweisaufnahme nach § 398 ZPO geboten, was gleichzeitig im Falle des Unterlassens eine Ermessensüberschreitung des Berufungsgerichts darstellen würde, wenn das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit eines erstinstanzlichen Zeugen anders beurteilen will als das Erstgericht, wenn es also der Aussage eine andere Tragweite, ein anderes Gewicht oder eine vom Wortsinn abweichende Auslegung geben will oder wenn es die protokollierten Angaben des Zeugen für zu vage und präzisierungsbedürftig hält (vgl. BAG, Urteil vom 9. Oktober 2002 – 5 AZR 443/01, zu II 3 a der Gründe, juris: BAG, Beschluss vom 20. Mai 2008 – 9 AZN 1258/07, Rn. 9, juris; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. Juni 2018 – 26 Sa 1655/17, Rn. 27, juris), sprich wenn es die Aussage des Zeugen „anders würdigen“ bzw. „anders verstehen oder werten“ will als die Vorinstanz (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2009 – VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291; BVerfG, Beschluss vom 12. Juni 2003 – 1 BvR 2285/02, NJW 2003, 2524; Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Mai 2010 – 9 Sa 705/09, Rn. 21, juris). Eine erneute Vernehmung kann in diesen Fällen „allenfalls dann“ unterbleiben, wenn das Berufungsgericht seine abweichende Würdigung auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen. Auch im Hinblick auf objektive Umstände, die bei der Beweiswürdigung eine Rolle spielen können und von der ersten Instanz nicht beachtet worden sind, darf das Berufungsgericht nicht ohne erneute Vernehmung des Zeugen und abweichend von der Vorinstanz zu dem Ergebnis gelangen, dass der Zeuge in einem prozessentscheidenden Punkt mangels Urteilsfähigkeit, Erinnerungsvermögens oder Wahrheitsliebe objektiv die Unwahrheit gesagt hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. September 2010 – 2 BvR 2638/09, Rn. 14, juris). Die Wiederholung der Zeugenvernehmung ist demgegenüber nicht anzuordnen, wenn das Berufungsgericht trotz Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung allein aufgrund des in der Akte schriftlich fixierten Beweisergebnisses zum gleichen Ergebnis kommt wie das Erstgericht (BGH, Urteil vom 13. Januar 2005 – VII ZR 28/04, Rn. 37, juris).

Hieran gemessen hat die Berufungskammer keine Veranlassung gesehen, den Zeugen B. erneut zu vernehmen oder seine beim Arbeitsgericht gemachte Aussage anders zu würdigen. Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob der Zeuge B. sein Zeugnisverweigerungsrecht zutreffend ausgeübt und ob das Arbeitsgericht die Reichweite des § 384 ZPO ggfls. verkannt hat. In den in § 384 ZPO im Einzelnen aufgeführten Fällen kann das Zeugnis über bestimmte Fragen verweigert werden. Dieses auf solche Fragen gegenständlich (Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 384 Rn 1) beschränkte Aussageverweigerungsrecht ist nicht so umfassend wie in den Fällen § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ZPO. Zweck des § 384 ZPO ist es, den Zeugen vor nachteiligen Folgen seiner eigenen wahrheitsgemäßen Aussage zu schützen (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2006 – III ZB 2/06, NJW 2007, 155 f.). Dabei gibt § 384 ZPO dem Zeugen grundsätzlich nicht das Recht, die Aussage insgesamt zu verweigern; es gestattet ihm nur, solche Fragen nicht zu beantworten, die ihn in die vom Gesetz umschriebene Konfliktlage bringen können (BGH, Urteil vom 18. Oktober 1993 – II ZR 255/92, NJW 1994, 197 ff.). Ob dies vorliegend der Fall ist, lässt sich alleine aufgrund des Beweisbeschlusses des Arbeitsgerichts vom 11. November 2019 nicht beurteilen. Vielmehr müssen dem Zeugen zunächst einmal Fragen gestellt werden (Thomas/Putzo, ZPO, 40. Aufl. 2019, § 384 Rn. 1). Es liegt dann bei ihm, sich auf sein Recht, die Frage nicht zu beantworten, zu berufen (BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1974 – 2 BvR 747/73, BVerfGE 38, 105, 113). Es geht grundsätzlich nicht an, im Hinblick darauf, dass für einen Zeugen eine jener Konfliktlagen iSv. § 384 ZPO eintreten könnte, ihn erst gar nicht zu befragen. Dies gilt vorliegend umso mehr, da das Arbeitsgericht das Beweisthema im Beweisbeschluss vom 11. November 2019 recht offen formulier t hat. Zwar ist dem Arbeitsgericht zuzugeben, dass die Berufung auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 ZPO im Einzelfall ausnahmsweise dazu führen kann, dass ein Zeuge zur Sache überhaupt nicht aussagen braucht (BGH, Beschluss vom 8. April 2008 – VIII ZB 20/06, juris; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 384 Rn 1). Aber auch das setzt voraus, dass ihm zunächst einmal Fragen überhaupt gestellt werden (siehe auch Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 27. Juni 2007 – 11 Ta 83/07, Rn. 9, juris). Dies kann aber vorliegend dahinstehen, da die Beklagte von der Möglichkeit des § 387 ZPO keinen Gebrauch gemacht hat, womit die Rechtmäßigkeit der Weigerung eines Zeugen zur Aussage gerichtlich überprüft werden kann. Auch hat die Beklagte im Rahmen der Berufungsbegründung weder eine erneute bzw. wiederholte Vernehmung des Zeugen B. beantragt noch dargelegt, dass sich an den Umständen, die seiner erstinstanzlichen Zeugnisverweigerung zugrunde lagen, irgendetwas geändert hätte. Ferner hat die Beklagte auch die Würdigung des Arbeitsgerichts, dass die Aussage des Herrn B. im Ergebnis unergiebig war, mit der Berufungsbegründung nicht angegriffen. Soweit sich die Beklagte gegen die vom Arbeitsgericht angenommene Beweisfälligkeit bezüglich des dringenden Tatverdachts wendet, hat sie lediglich die vom Arbeitsgericht unterlassene Zeugeneinvernahme der Zeuginnen M. und H. in der Berufungsbegründung gerügt. Schließlich hat die Beklagte keine konkreten Anhaltspunkte benannt, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen bezüglich der Aussage des Zeugen B. und seiner Zeugnisverweigerung begründen könnten.

Soweit der Zeuge B. in dem Termin vor dem Arbeitsgericht am 11. November 2019 ausgesagt hat, dass er schon alles damals bei der Zeugin M. gesagt und es auch so unterschrieben hat und auch weiterhin dazu steht (Bl. 257 der Akte), hat das Arbeitsgericht diesen Aussage angesichts des nachfolgend ausgeübten Zeugnisverweigerungsrecht als unbeachtlich angesehen. Die Aussage ist allgemein gehalten und unkonkret. Die Beklagte hat sich im Rahmen der Berufungsbegründung nicht mit der Würdigung des Arbeitsgerichts auseinandergesetzt, dass die Aussage des Herrn B. im Ergebnis unergiebig ist. Die Beklagte hat im Rahmen ihrer Berufungsbegründung lediglich ihre anderweitige Bewertung dieser Aussage des Zeugen B. geäußert, hat sich aber nicht weiter mit der Würdigung des Arbeitsgerichts auseinandergesetzt. Im Ergebnis wurden von der Beklagten keine Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen bezüglich der Aussage des Zeugen B. gemacht, die zu einer anderen Bewertung dieser Aussage durch die Berufungskammer führen könnten.

(b)  Die Beklagte kann sich aber auf den Urkundsbeweis (§§ 415 ff. ZPO) berufen, da die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 22. Mai 2020 das unterschriebene Original des Gesprächsprotokolls vom 5. April 2019 vorgelegt hat (Bl. 385 der Akte).

Die Würdigung eines Urkundenbeweises bedarf keines förmlichen Beweisbeschlusses. Sind die Beweismittel bereits präsent, bedarf es (vom Fall des § 450 ZPO abgesehen) keiner förmlichen Anordnung der Beweiserhebung (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 358 Rn. 2; Musielak/Voit ZPO/Stadler, 16. Aufl. 2019, § 358 Rn. 1 f.). § 249 Abs. 1 StPO fordert beim Urkundenbeweis zwar grundsätzlich die Verlesung der Schriftstücke in der Hauptverhandlung. Die ZPO kennt eine solche Regelung aber nicht. Die Beweisaufnahme erfolgt durch Einsichtnahme in die Urkunde (MüKoZPO/Schreiber, 5. Aufl. 2018, § 420 Rn. 4; Zöller/Feskorn, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 420 Rn. 4; siehe zum Gesamten: BAG, Urteil vom 5. Dezember 2019 – 2 AZR 240/19, Rn. 63 f., NZA 2020, 646 [651]).

Vorliegend ergibt sich aus der von der Berufungskammer vorgenommenen Einsicht in die von der Beklagten vorgelegten Privaturkunde iSv. § 416 ZPO, das das Original des Gesprächsprotokolls vom 5. April 2019 mit der zur Akte gereichten Kopie (Bl. 103-104 der Akte) übereinstimmt, so dass sie vollen Beweis dafür bietet, dass die darin enthaltene Erklärung von den Ausstellern und damit auch von Herrn B. stammt.

(c)  Schließlich kann sich die Beklagte – sowohl isoliert als auch ergänzend – auf das Zeugnis von Frau C. M. gemäß §§ 373 ff. ZPO berufen, da diese – neben Herrn B. – das Gesprächsprotokoll vom 5. April 2019 unterschrieben hat. Nach der Aussage von Frau M. steht ebenfalls zur Überzeugung der Kammer fest, dass die in dem Gesprächsprotokoll niedergelegten Äußerungen von Herrn B. von diesem genauso getätigt wurden, wie sie schriftlich niedergelegt wurden.

Bei der Analyse der Glaubhaftigkeit einer spezifischen Aussage ist nach den allgemein anerkannten Grundsätzen der forensischen Aussagepsychologie von der sogenannten Nullhypothese auszugehen. Dies bedeutet, dass im Ansatz davon auszugehen ist, dass die Glaubhaftigkeit einer Aussage positiv begründet werden muss. Erforderlich ist deshalb eine Inhaltsanalyse, bei der die Aussagequalität zu prüfen ist. Es geht um die Ermittlung von Kriterien der Wahrhaftigkeit. Zur Durchführung der Analyse der Aussagequalität existieren Merkmale, die die Überprüfung ermöglichen, ob die Angaben auf tatsächliches Erleben beruhen, sog. „Realkennzeichen“ oder ob sie ergebnisbasiert sind. Das Vorhandensein dieser Real- oder Glaubwürdigkeitskennzeichen gilt als Hinweis für die Glaubhaftigkeit der Angaben (vgl. Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 12. April 2016 – 7 Sa 649/14, Rn. 67, juris; Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 27.11.2015 – 9 Sa 333/15, juris). Bei der Aussagebegutachtung sind im Wesentlichen die Elemente der Aussageanalyse (Qualität, Konstanz, Aussageverhalten), der Persönlichkeitsanalyse und der Fehlerquellen- bzw. der Motivationsanalyse zur Beurteilung der Zuverlässigkeit einer Aussage zu verwenden (BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 – 1 StR 582/99, Rn. 14 mwN, juris).

Vorliegend hat die Zeugin M. im Rahmen ihrer Aussage sehr detailreich und ausführlich geschildert, wie sie von den Vorwürfen des Herrn B. telefonisch erfahren und mit ihm einem Termin vereinbart hat und dann zu ihm hingefahren ist. Sie hat ausführlich die Gesprächssituation mit Herrn B. geschildert und auch, wie es zu dem unterschriebenen Gesprächsprotokoll gekommen ist. Am Ende des mehrstündigen Gesprächs hat die Zeugin nach ihrer Aussage den PC von Herrn B. verwendet und hat dort das Gesprächsprotokoll geschrieben. Sie hat sich mehrfach vergewissert und Satz für Satz nachgefragt, ob sie die Aussage von Herrn B. zutreffend wiedergegeben hat. Dementsprechend wurde das Gesprächsprotokoll noch bei Herrn B. ausgedruckt und von allen Anwesenden unterzeichnet. Die Aussage von Frau M., der Vorgesetzten des Klägers, erfolgte nach dem Eindruck der Berufungskammer ohne jegliche Belastungstendenz. Sie hatte – abgesehen von dem streitigen Vorfall – keinen Anlass zur Kritik an der bisherigen Arbeitsleistung des Klägers. Ihre Aussage selbst ist detailreich und mit Besonderheiten versehen, die die Glaubhaftigkeit verstärken, denn insbesondere der Umstand, dass die Zeugin M. bei Herrn B. mehrfach nachgefragt und dass das Gesprächsprotokoll noch vor Ort am PC erstellt und von allen Anwesenden unterzeichnet wurde, sind besondere und erinnerungswürdige Umstände, die selbst die Beklagte bislang nicht vorgetragen hatte.

(d)  Auf das Zeugnis von Frau A. H. gemäß §§ 373 ff. ZPO kam es daher nicht mehr an, denn die Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung auf die Zeugin iSv. § 399 Satz 1 ZPO verzichtet. Der Kläger seinerseits hat gemäß § 399 Satz 2 ZPO ebenfalls nicht auf der Vernehmung der Zeugin H. bestanden.

(e)   Aus dem Gesprächsprotokoll vom 5. April 2020 ergibt sich der Verdacht, dass Herr B. mit Datum vom 13. Juni 2018 ein offizielles Angebot für die Sanierung des Flachdachs in Höhe von 12.844,- Euro brutto abgegeben hat, und ihm, da er sich dem Kläger erkenntlich habe zeigen wollen, im Ergebnis angeboten hat, das Dach für 7.500,- Euro zzgl. MWSt. zu erneuern. Weil der Kläger zum einen eine „Win-Win“-Situation wegen der Eingliederungszuschüsse erwartet habe und Herrn B. zum anderen den Eindruck vermittelt hätte, dass er erhaltene Fördergelder zurückzahlen müsse, habe er im Ergebnis eingewilligt, die Dachsanierung für 5.000,- Euro (netto) durchzuführen.

bb)  Der sich aus der E-Mail von Herrn B. an den Kläger vom 15. Januar 2019, 18:10 Uhr und aus dem Gesprächsprotokoll vom 5. April 2019 ergebende Tatverdacht zulasten des Klägers wegen Vorteilsnahme und/oder eines Verstoßes gegen § 3 Abs. 3 TV-BA erweist jedoch nicht als dringend im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, da die Beklagte wesentliche relevante Tatumstände nicht weiter aufgeklärt hat, was im Hinblick auf die notwendige Anhörung des Personalrats zu ihren Lasten geht. Das bereits dargestellte Missverhältnis zwischen dem von Herrn B. vorgelegten Angebot über 12.844,- Euro brutto und dem anschließend vereinbarten und tatsächlich vom Kläger gezahlten Festpreis von 5.000,- Euro netto bzw. 5.950,- Euro brutto sagt für sich genommen nichts darüber aus, ob der letztendlich vereinbarte und gezahlte Festpreis einen (ungerechtfertigten) Vorteil beinhaltet, denn es ist offen, welche Dachdeckerarbeiten am Flachdach der Lebensgefährtin des Klägers tatsächlich von Herrn B. ausgeführt wurden. Der ursprüngliche Tatverdacht hat sich insofern erheblich abgeschwächt (vgl. BAG, Urteil vom 12. Mai 2010 – 2 AZR 587/08, Rn. 28, juris). Es verbleiben am Ende verschiedene Unstimmigkeiten und Widersprüche, die zulasten der für den dringenden Tatverdacht darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten gehen und den Tatverdacht entfallen lassen. Im Einzelnen:

(1)  Ein wesentlicher Umstand, auf den die Beklagte ihren Tatverdacht zulasten des Klägers stützt und der sich auch aus dem Gesprächsprotokoll vom 5. April 2019 ergibt, ist das Angebot des Herrn B., das auf den 13. Juni 2018 datiert, an den Kläger adressiert ist und das für ein Projekt „Fachdachsanierung“ insgesamt einen Umfang von 10.793,28 Euro netto bzw. 12.844,- Euro brutto ausweist (Bl. 105-113 der Akte). Nach Auffassung der Beklagten soll sich gerade aus der auffälligem Missverhältnis zwischen dem Angebotspreis und den unstreitig vom Kläger gezahlten 5.000,- Euro netto bzw. 5.950,- Euro brutto die Vorteilsnahme durch den Kläger ergeben. Vorliegend bestreitet der Kläger allerdings sowohl erst- als auch zweitinstanzlich, dass sowohl er als auch seine Lebensgefährtin (Frau A. I.) dieses Angebot jemals erhalten hätten. Frau I. hat zudem in ihrer Anhörung gegenüber der Beklagten ebenfalls mitgeteilt, dass sie kein schriftliches Angebot kenne. Herr B. wiederum hat der Beklagten zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt, wann und wie der Kläger und/oder dessen Lebensgefährtin das Angebot erhalten haben soll, bspw. ob per Briefpost oder per E-Mail. Auch die Beklagte hat derartige Umstände nicht benannt. Im Berufungsverfahren behauptet die Beklagte lediglich, ohne hierfür Beweismittel zu benennen, dass sie davon ausginge, dass „tatsächlich das Angebot vom 13. Juni 2018 erstellt und dem Kläger auch zugestellt wurde“ (Bl. 319 der Akte). Worauf sich diese Annahme stützt, legt die Beklagte jedoch nicht dar. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang behauptet, dass der Kläger dieses Angebot gekannt habe, da er in der Anhörung am 8. April 2019 nichts dazu gesagt hätte, als er mit dem Angebot konfrontiert wurde, ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Beklagte dem Kläger unstreitig weder vor noch in dem Gespräch am 8. April 2019 Unterlagen zur Verfügung gestellt hat. Aus dem behaupteten Umstand, dass der Kläger zu einem ihm nicht vorgelegten Schreiben nichts gesagt hat, zu schlussfolgern, dass demjenigen das Dokument bekannt sein müsste, ist für die Berufungskammer nicht nachvollziehbar. Im Ergebnis hat die Beklagte keine Umstände dargelegt und ist beweisfällig geblieben für ihre Behauptung, dass der Kläger und/oder die Lebensgefährtin des Klägers das Angebot des Herrn B. vom 13. Juni 2018 erhalten und gekannt hat.

(2)  Die Beklagte hat nicht weiter aufgeklärt, welche Dachdeckerarbeiten tatsächlich vom Kläger und/oder seiner Lebensgefährtin beauftragt wurden. Ein Angebot, wie das vorliegende Angebot des Herrn B. vom 13. Juni 2018, für eine Handwerkerleistung enthält als Grundlage für anschließende Verhandlungen üblicherweise detailliert die kalkulierten Arbeiten und Kosten für Materialen und Entsorgung etc. Es bildet seinem Wesen nach nur die Basis für die noch zu erfolgende Beauftragung. Im Anschluss kann es sowohl zu Abweichungen hinsichtlich der konkreten Leistungen als auch hinsichtlich des Preises kommen. Die Lebensgefährtin des Klägers hat im Rahmen ihrer Anhörung durch die Beklagte mitgeteilt, dass zwischen dem Kläger und Herrn B. über eine „große“ und eine „kleine Sanierungslösung“ gesprochen worden sei (Bl. 136-137 der Akte). Der Kläger seinerseits hat – nach den eigenen Angaben der Beklagten – in der ansonsten streitigen Anhörung vom 8. April 2019 ausgesagt, dass nicht „alle Arbeiten wie im Angebot dargelegt, ausgeführt worden“ wären (Bl. 130 der Akte), was zumindest auch bedeuten kann, dass geringere oder andere Leistungen beauftragt wurden, was erhebliche Auswirkungen auf das von der Beklagten angenommene Missverhältnis zwischen dem Angebotspreis von 12.844,- Euro brutto und dem tatsächlich gezahlten Rechnungsbetrag iHv. 5.950,- Euro haben kann. Weder Herr B. noch die Beklagte haben bislang vorgetragen, welche Leistungen denn vom Kläger und/oder der Lebensgefährtin beauftragt worden sein sollen. Damit ist die Beklagte dem grdsl. entlastenden Umstand, dass von dem Angebot des Herrn B. vom 13. Juni 2018 durch den Kläger abweichende und vor allem geringere Leistungen beauftragt worden sein könnten, vor Ausspruch der streitgegenständlichen Verdachtskündigung nicht weiter nachgegangen.

(3)  Die Beklagte hat ferner nicht dargelegt, welche Dachdeckerarbeiten am Flachdach des Hauses der Lebensgefährtin des Klägers – unabhängig von der Frage des erteilten Auftrages (siehe zuvor) – tatsächlich von Herrn B. durchgeführt wurden. Die Beklagte geht im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits davon aus, dass diejenigen Arbeiten ausgeführt wurden, wie sie im Angebot des Herrn B. vom 13. Juni 2018 niedergelegt sind. Allerdings besagt die reine Existenz des Angebots vom 13. Juni 2018 für sich genommen nichts darüber, ob alle dort enthaltenen Leistungen – neben ihre Beauftragung – auch tatsächlich durchgeführt wurden. Die Annahme der Beklagten, es seien auch alle Leistungen des Angebots erbracht worden, ist von ihr tatsächlich nicht verifiziert worden. Herr B. hat diesbezüglich – im Unterschied zu den nachträglichen Arbeiten, die am 17./18. Dezember 2018 durchgeführt wurden und wo Arbeitsnachnachweise vorliegen (Bl. 125-126 der Akte) – keine Arbeitsnachweise oder Ähnliches vorgelegt. Auch dieser Frage ist die Beklagte im Rahmen ihrer Ermittlungen nicht weiter nachgegangen.

Der Kläger hat in diesem Zusammenhang – nach den eigenen Angaben der Beklagten – in der ansonsten streitigen Anhörung vom 8. April 2019 ausgesagt, dass nicht „alle Arbeiten wie im Angebot dargelegt, ausgeführt worden“ wären (Bl. 130 der Akte). Wenn jedoch weniger oder andere Dachdeckerarbeiten ausgeführt worden wären, würde sich die preisliche Diskrepanz anders darstellen und könnte im Ergebnis sogar dazu führen, dass der Kläger mit den 5.000,- Euro netto einen marktüblichen Preis für Dachdeckerleistungen gezahlt hat. Diesem entlastenden und ihr seit der Anhörung bekannten Umstand hinsichtlich der tatsächlich durchgeführten Arbeiten ist die Beklagte jedoch vor Ausspruch der streitgegenständlichen Verdachtskündigung nicht weiter nachgegangen.

Bezüglich der Frage, welche Dachdeckerarbeiten von Herrn B. tatsächlich durchgeführt wurden, ist des Weiteren zum einen zu berücksichtigen, dass sich aus dem Angebot des Herrn B. vom 13. Juni 2018 ergibt, dass es von einer Dachfläche von 69 qm ausgeht, während der Kläger unter Vorlage von Architektenunterlagen (Bl. 351-353 der Akte) schlüssig dargelegt hat, dass das streitgegenständliche Flachdach des Hauses seiner Lebensgefährtin nur eine Grundfläche von 56,7036 qm hat. Auch insofern ergeben sich Zweifel daran, dass die Leistungen, die im Angebot vom 13. Juni 2018 aufgeführt sind, tatsächlich von Herrn B. erbracht wurden.

Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte ausweislich der Angaben in der Personalratsanhörung nicht weiter aufklären wollte, welche Dachdeckerarbeiten tatsächlich durchgeführt worden. So schreibt der Leiter Personal der Beklagten, Herr H., in dem „Vermerk zur arbeitsrechtlichen Würdigung des Fehlverhaltens von Herrn K. S.“ vom 12. April 2019(Bl. 132-133 der Akte) im Rahmen der Personalratsanhörung wörtlich: „Aufgrund der teilweisen Pauschalierung von Positionen in der Rechnung wird ein genauer Abgleich mit den Einzelpositionen des Angebots erschwert, so dass nicht einschätzbar ist, ob wesentlich andere Leistungen erbracht oder aber deutlich geringwertigere Materialien verwandt wurden.“ Mit diesem Satz bringt die Beklagte zum Ausdruck, dass es für sie irrelevant war, welche Dachdeckerarbeiten tatsächlich durchgeführt wurden, da die Beklagte für den Verdacht der Vorteilsnahme alleine auf das Missverhältnis zwischen dem Angebotspreis und den tatsächlich vom Kläger gezahlten Betrag abgestellt hat. Die Beklagte führt selbst aus, dass sie nicht einschätzen könne, welche Arbeiten tatsächlich durchgeführt worden seien. Wenn aber – verglichen mit dem Angebot des Herrn B. vom 13. Juni 2018 – wesentlich andere Leistungen, dh. bspw. auch geringere Leistungen, wie es der Kläger behauptet, erbracht wurden, oder aber wenn günstigere Materialien verwendet wurden, würde sich die Preisdifferenz – zumal unter Berücksichtigung der Diskrepanzen bei der Grundfläche des Flachdaches – anders darstellen. Den Umfang der genauen Arbeiten wollte die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung nicht weiter aufklären, so dass die Berufungskammer dem Beweisangebot der Beklagten durch Erstellung eines Sachverständigengutachtens (Schriftsatz vom 26. Februar 2020, Bl. 319 der Akte) nicht nachzugehen braucht. Andere Beweisangebote bzgl. der durchgeführten Dachdeckerarbeiten hat die Beklagte nicht gemacht. Würde im Übrigen ein solches Sachverständigengutachten die nunmehrige Behauptung der Beklagten bestätigen und in den Prozess eingeführt, mangelte es an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Personalrats der Beklagten. Waren dem Arbeitgeber bei Zugang der Kündigung bestimmte Tatsachen nicht bekannt, die aber objektiv im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung vorlagen (wie bspw. durchgeführte Dachdeckerarbeiten), darf er diese im Rechtsstreit zur Begründung der Kündigung zwar nachschieben, muss aber vorher den Personalrat zu ihnen – erneut – angehört haben. Einer weiteren Anhörung bedarf es nicht, wenn die neuen Tatsachen lediglich der Erläuterung und Konkretisierung der bisherigen, dem Personalrat bereits mitgeteilten Kündigungsgründe dienen (vgl. BAG, Urteil vom 16. Dezember 2010 – 2 AZR 576/09, Rn. 11, juris; BAG; Urteil vom 23. Juni 2009 – 2 AZR 474/07, Rn. 34, juris). Das ist regelmäßig nicht der Fall, wenn die neuen Tatsachen dem mitgeteilten Kündigungssachverhalt erstmals das Gewicht eines Kündigungsgrundes geben oder weitere, selbständig zu würdigende Kündigungssachverhalte betreffen. Das gilt auch dann, wenn der Personalrat der Kündigung zugestimmt hat (BAG, Urteil vom 10. April 2014 – 2 AZR 684/13, Rn. 23 mwN, juris). Hieran gemessen wäre die Beklagte gehindert, dass mögliche Ergebnis eines für sie günstigen Sachverständigengutachtens bezüglich der tatsächlich durchgeführten Dachdeckerarbeiten mangels Anhörung des Personalrates in den Prozess einzuführen, denn die Beklagte würde damit einen tatsächlichen Umstand in den Prozess einführen, den sie selbst zuvor nicht aufklären wollte und nicht aufgeklärt hat und zudem sie daher konsequent auch den Personalrat nicht angehört hat. Dem kann die Beklagte auch nicht entgegnen, dass sie keine Möglichkeit hatte, den Umfang der Dachdeckerleistungen zeitnah bzw. innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu ermitteln, denn nach der Rechtsprechung des BAG ist es unbeachtlich, wenn der Arbeitgeber objektiv keine Möglichkeit hatte, von den betreffenden Tatsachen bis zum Kündigungsausspruch Kenntnis zu erlangen (BAG, Urteil vom 24. Mai 2012 – 2 AZR 206/11, Rn. 41, juris).

cc)  Ferner hat die Beklagte, worauf der Kläger im Rahmen der Berufungsbeantwortung zurecht hingewiesen hat, die Unstimmigkeiten in den Behauptungen des Herrn B. nicht weiter aufgeklärt, soweit es die behauptete Verknüpfung der verbilligten Dachdeckerleistungen mit dienstlichen Handlungen des Klägers betreffen soll. In dem Telefonat mit der Mitarbeiterin N. S. am 2. April 2019 äußerte Herr B., dass er einen Eingliederungszuschuss vom Kläger zugesagt und nach Durchführung der vergünstigten Dachdeckerleistungen auch gewährt bekommen habe. Im Gespräch mit den Zeuginnen Frau M. und H. am 5. April 2019 äußerte Herr B. hingegen seine Befürchtung, dass er gewährte Eingliederungszuschüsse wieder zurückzahlen müsste, wenn er nicht auf die „Win-Win“-Situation des Klägers eingehen würde. In der E-Mail vom 15. Januar 2019 stellt Herr B. die Geschehensabfolge so dar, dass er zunächst von sich aus zum Dank dem Kläger die Dachdeckerleistungen betreffend die Sanierung des Fachdachs, die eigentlich 12.000,- Euro plus Steuer kosten würden, für 7.500,- Euro angeboten und sich dann auf 5.000,- Euro plus Steuer habe herunterhandeln lassen. Erst anschließend habe der Kläger bezüglich der gewährten Fördergelder eine „Win-Win“-Situation angesprochen, so dass sich Herr B. darauf eingelassen habe, eine Dachrinnensanierung zusätzlich kostenlos vorzunehmen. Herr B. berichtet insofern, ohne dass die Beklagte dies näher aufgeklärt hätte, drei verschiedene Versionen, wie der Kläger die behauptete Vorteilsnahme mit dienstlichen Handlungen verknüpft haben soll. Ferner hat die Beklagte nicht weiter aufgeklärt, was mit Dachrinnensanierung gemeint ist, denn nach ihren Behauptungen geht es im Hinblick auf den geäußerten Tatverdacht ausschließlich um die Sanierung des Flachdaches des Hauses der Lebensgefährtin des Klägers.

dd)   Bei einer Gesamtwürdigung der für und wider einen dringenden Tatverdacht sprechenden streitigen und unstreitigen Umstände ergibt sich für die Berufungskammer das folgende Gesamtbild:

Ein dringender Tatverdacht für eine verbotene Vorteilsnahme und/oder einen Verstoß gegen § 3 Abs. 3 TV-BA durch den Kläger ergäbe sich, wenn der vom Kläger tatsächlich gezahlte Preis von 5.000,- Euro netto bzw. 5.950,- Euro für die durch die Firma L.-B. e.K. erbrachten Dachdeckerarbeiten unangemessen und zu niedrig gewesen wäre, insbesondere wenn das Material und die Arbeiten tatsächlich einen Gesamtwert von rund 10.000,- Euro netto bzw. 12.844,- Euro brutto, wie im Angebot des Herrn B. vom 13. Juni 2018 angegeben, gehabt hätten. Anderenfalls lässt sich die Inanspruchnahme eines (ungerechtfertigten) Vorteils gerade nicht feststellen.

Es ist jedoch weder von der Beklagten ermittelt noch sonstwie festgestellt worden, ob und wann der Kläger und/oder seine Lebensgefährtin das Angebot des Herrn B. vom 13. Juni 2018, das sich zudem auf ein Flachdach mit einer Grundfläche von 69 qm bezieht, überhaupt erhalten haben. Dasselbe gilt bezüglich der Frage, welche Dachdeckerleistungen in der Folge beauftragt und tatsächlich durchgeführt worden sein sollen. Die Beklagte kann insofern, wie der Leiter Personal, Herr H., selbst im Rahmen der Personalratsanhörung ausführt, nicht ausschließen, dass tatsächlich wesentlich andere Leistungen beauftragt oder aber deutlich geringwertige Materialien verwandt wurden. Da diese Umstände, insbesondere welche Arbeiten tatsächlich durchgeführt worden, von der Beklagten nicht weiter aufgeklärt worden, hat sich der aus den Dokumenten des Herrn B. ergebende Tatverdacht nach Auffassung der Berufungskammer in so deutlichen Maße abgeschwächt, dass er für eine fristlose Verdachtskündigung nicht mehr ausreicht. Allein auf das auffällige Missverhältnis zwischen dem Preis im Angebot vom 13. Juni 2018 iHv. 12.844,- Euro brutto und dem tatsächlich gezahlten Preis iHv. 5.950,- Euro brutto kann die Verdachtskündigung nicht gestützt werden, wenn nicht zugleich auch bestimmt werden kann, welchen Gegenleistungen durch Herrn B. erbracht wurden.

Die weiteren Umstände und Indizien, auf die sich die Beklagte stützt bzw. die Gegenstand dieses Verfahrens sind, sind nach allgemeiner Lebenserfahrung genauso gut durch ein Geschehen zu erklären, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag (ständige Rechtsprechung, etwa BAG, Urteil vom 17. März 2016 – 2 AZR 110/15, Rn. 39, juris; BAG, Urteil vom 2. März 2017 – 2 AZR 698/15, Rn. 22, juris; BAG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 AZR 700/11, Rn. 13, 14, juris; siehe auch Linck, in: Schaub, ArbR-HdB, 18. Aufl. 2018, § 127 Rn. 137 ff. mit umfangreichen Nachweisen zur einschlägigen BAG-Rechtsprechung). Im Ausgangspunkt ist hierbei zu berücksichtigen, dass es dem Kläger nicht verwehrt ist, Handwerker zur Erbringung von Dienst- bzw. Werkleistungen zu kontaktieren, von ihnen diesbezügliche Angebote einzuholen und die Handwerker auf Basis von Angeboten zu beauftragen, wenn er mit ihnen dienstlichen Kontakt hatte. Denn ein Verbot gegenüber dem Kläger, überhaupt private Geschäfte mit dem von ihm im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses betreuten Arbeitgebern zu schließen, ergibt sich weder aus strafrechtlichen Normen der §§ 331 ff. StGB noch aus § 3 Abs. 3 TV-BA oder dem diesbezüglichen Rundschreiben des BMI. Bezüglich der streitigen Geschehensabfolge ist es nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand genauso wahrscheinlich, dass der Kläger bei Herrn B. lediglich die sog. „kleine Lösung“ beauftragt hat. Der Kläger hat in dem Rechtsstreit durchgehend dargelegt, dass er unter Bezugnahme auf Gespräche mit Herrn B. und eine von ihm zuvor durchgeführte Internetrecherche zwischen einer „kleinen“ oder einer „großen Lösung“ unterschieden hat. Dem Angebot des Herrn B. vom 13. Juni 2019, dessen Erhalt der Kläger bestreitet, liegt ausweislich der beiden Positionen (Position 1: Abbrucharbeiten; Position 2: Abdichtungsarbeiten) die sog. „große Lösung“ zugrunde, dh. der vollständige Austausch des vorhandenen Flachdachs. Hiervon geht auch die Beklagte aus. Der Kläger hat jedoch stets geäußert, dass er nur die sog. „kleine Lösung“ wollte, dh. die reine (Neu-)Dämmung des Flachdaches. Bei einer Dachfläche von 56,7036 qm und einer Preisspanne von 45,- Euro netto bis 75,- Euro netto ergäbe sich ein maximaler Gesamtbetrag von 4.327,77 Euro (= 56,7036 x 75,-) netto. Damit wäre der zwischen dem Kläger und Herrn B. vereinbarte Festpreis von 5.000,- Euro netto angemessen, wenn nicht sogar leicht überteuert, so das jedenfalls der Kläger im Ergebnis jedenfalls keinen (ungerechtfertigten) Vorteil erhalten hätte. Das Angebot des Herrn B. vom 13. Juni 2018, auf das sich die Beklagte aber maßgeblich für ihren Tatverdacht stützt, unbeachtlich, da es mit der sog. „großen Lösung“ eine andere Leistung zum Gegenstand hat.

Auch die unstreitige Vereinbarung eines Festpreises iHv. 5.000,- Euro netto zwischen dem Kläger und Herrn B. führt nicht dazu, dass sich ein dringender Tatverdacht bezüglich einer Vorteilsnahme und/oder eines Verstoßes gegen § 3 TV-BA ergeben würde. Es ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht unüblich, dass nach einer Festlegung der durchzuführenden Arbeiten zur Vermeidung weiterer Kostenschwankungen, Preissteigerungen oder von unkalkulierbaren Sonderaufwand im Anschluss an die Angebotserstellung zwischen den Parteien eines Werkvertrages ein Fest- bzw. Pauschalpreis preis vereinbart wird. Allein die Vereinbarung eines Festpreises lässt keine Rückschlüsse darauf zu, ob derselbe angemessen ist oder einen unberechtigten Vorteil beinhaltet. Die Vereinbarung des Festpreises führt zugleich zwangsläufig dazu, dass bei der anschließenden Rechnung einzelne Positionen gerade nicht mehr aufgeführt werden können und müssen. Die unterschiedliche inhaltliche Gestaltung des Angebots des Herrn B. vom 13. Juni 2018, das auf insgesamt neun Seiten detailreich die Angebotspositionen darstellt, und der A-Conto Rechnung vom 13. Oktober 2018, die letztlich nur den Pauschalpreis beinhaltet, besagt nichts über das zugrunde liegende Rechtsgeschäft und dessen finanzielle Angemessenheit.

Auch die inhaltliche Gestaltung der Ergänzungsrechnung vom 18. Dezember 2018 im Vergleich zur A-Conto Rechnung vom 13. Oktober 2018 ergibt nichts anderes. Unstreitig handelte es sich hierbei um Zusatzarbeiten, die damit weder Gegenstand des Angebots des Herrn B. vom 13. Juni 2018 noch Gegenstand der ursprünglichen Beauftragung der Firma L.-B. e.K. zur Dachsanierung waren. Damit waren sie aber auch nicht Teil des kalkulierten Festpreises, so dass eine weitere Rechnung gestellt werden musste. Unstreitig wurde diesbezüglich nicht erneut ein Festpreis vereinbart, so dass hier die konkret geleisteten Arbeitsstunden und die konkret verbrauchten Arbeitsmaterialien anhand der Arbeitsnachweise detailliert in Rechnung gestellt wurden. Auch diese Vorgehensweise besagt nichts darüber, ob bei dem ursprünglichen Auftrag bzgl. der Sanierung des Flachdachs eine (unzulässige) Vorteilsnahme und/oder ein Verstoß gegen § 3 TV-BA erfolgte.

Schließlich kann die Beklagte den Tatvorwurf auch nicht damit begründen, dass der Kläger in seiner informatorischen Anhörung beim Arbeitsgericht am 11. November 2019 ua. ausgeführt hat, dass Herr B. ursprünglich 10.000,- Euro gesagt und anschließend gesagt hätte: „Für Sie, weil sie mit bei der Personalsuche so geholfen haben: 7.500,- Euro“ (Bl. 256 RS der Akte). Die Beklagte hat nicht hinreichend dargelegt, dass der Kläger dieses Angebot des Herrn B., das – wovon auch die Beklagte ausgeht – auf der sog. „großen Lösung“ basiert, angenommen hätte. Er wollte nach seinen Behauptungen nur die „kleine Lösung“, die lediglich 5.000,- Euro netto kostet, so dass er Herrn B. dann konsequent – auf Grundlage einer anderen zu erbringenden Dachdeckerleistung – und ausgehend von den von ihm im Internet ermittelten Preisen ein Gegenangebot über 5.000,- Euro unterbreitet hat, bei dem sich dann beide darauf verständigt haben, dass dieses netto sein soll. Allein aus dem Umstand, dass es zu einer Einigung zwischen Herrn B. und dem Kläger gekommen ist, kann wiederum nicht geschlossen werden, der Kläger habe den von Herrn B. genannten „Freundschafts- bzw. „Dankbarkeitspreis“ akzeptiert, wenn den beiden verschiedenen Preisvorstellungen unterschiedliche Leistungen zugrunde liegen, die die Beklagte gerade nicht weiter aufgeklärt hat.

5.  Da bereits kein Kündigungsgrund iSv. § 626 Abs. 1 BGB mangels eines hinreichend dringenden Tatverdachts vorliegt, kann es dahinstehen, ob der Kläger von der Beklagten vor Ausspruch der Kündigung in dem Gespräch am 8. April 2019 ordnungsgemäß zu dem – damals bestehenden – Tatverdacht angehört wurde, was zwischen den Parteien umstritten ist.

Die Anhörung des Arbeitnehmers hat im Zuge der gebotenen Aufklärung des Sachverhalts durch den Arbeitgeber zu erfolgen (BAG, Urteil vom 13. März 2008 – 2 AZR 961/06, Rn. 15 mwN, juris). Der erforderliche Umfang und damit auch ihre Ausgestaltung richten sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BAG, Urteil vom 12. Februar 2015 – 6 AZR 845/13, Rn. 56, juris, BAG, Urteil vom 20. März 2014 – 2 AZR 1037/12, Rn. 24, juris). Dabei ist ein objektiver Maßstab aus Sicht eines verständigen Arbeitnehmers zugrunde zu legen (vgl. BAG, Urteil vom 12. Februar 2015 – 6 AZR 845/13, Rn. 57, juris). Die Anhörung muss einerseits nicht in jeder Hinsicht den Anforderungen genügen, die an eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG gestellt werden. Andererseits reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer lediglich mit einer allgemein gehaltenen Wertung konfrontiert. Der Arbeitnehmer muss vielmehr erkennen können, zur Aufklärung welchen Sachverhalts ihm Gelegenheit gegeben werden soll. Er muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen. Um dieser Aufklärung willen wird dem Arbeitgeber die Anhörung abverlangt (BAG, Urteil vom 25. April 2018 – 2 AZR 611/17, Rn. 32, juris; BAG, Urteil vom 20. März 2014 – 2 AZR 1037/12, Rn. 24, juris).

6.  Die streitgegenständliche fristlose Verdachtskündigung ist auch nicht nach § 140 BGB in eine hilfsweise ordentliche Verdachtskündigung umzudeuten und als solche wirksam. Zum einen hat die Beklagte nur eine außerordentliche und fristlose Verdachtskündigung ausgesprochen und hat auch hierzu nur den Personalrat angehört. Eine ordentliche Verdachtskündigung wollte die Beklagte zu keinem Zeitpunkt erklären und sie hat sich im gerichtlichen Verfahren auch nicht darauf berufen. Zum anderen würde eine etwaige ordentliche Verdachtskündigung bereits deswegen unwirksam sein, weil es keine hinreichenden Tatverdacht zulasten des Klägers, wobei auf die obigen Ausführungen verwiesen wird. Auch wurde der bei der Beklagten gebildete Betriebsrat nur zu einer fristlosen Verdachtskündigung angehört.

III.  Der Klageantrag zu Ziff. 2 ist ebenfalls begründet. Aufgrund des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag (Klageantrag zu Ziff. 1) ist die innerprozessuale Bedingung für eine Entscheidung über den Antrag eingetreten. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch darauf, dass sie ihn bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag als Vollzeitbeschäftigten weiterbeschäftigt.

Außerhalb der Regelung der §§ 102 Abs. 5 BetrVG, 79 Abs. 2 BPersVG hat der gekündigte Arbeitnehmer einen arbeitsvertragsrechtlichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer ordentlichen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Außer im Falle einer offensichtlich unwirksamen Kündigung begründet die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsprozesses. Dieses überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsprozess ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht. Solange ein solches Urteil besteht, kann die Ungewissheit des Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründen. Hinzukommen müssen dann vielmehr zusätzliche Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen (BAG, Großer Senat, Beschluss vom 27. Februar 1985 – GS 1/84, AP Nr.14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht).

Nachdem der Kläger bereits erstinstanzlich mit seiner Klage gegen die fristlose Verdachtskündigung obsiegt hat, hätte die Beklagte demnach zusätzliche Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse ergibt, den Kläger nicht zu beschäftigen, darlegen müssen. Die Beklagte hat insofern keine Gründe genannt, die überwiegende Interessen auf Seiten der Beklagten begründen könnten. Damit ist sie letztlich ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen, so dass dem Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers – entsprechend der vertraglichen Vereinbarung zwischen den Parteien im Arbeitsvertrag vom 9. März 2009 als „Vollzeitbeschäftigter“ – stattzugeben ist.

IV.  Die Klageanträge zu Ziff. 3 bis Ziff. 8 sind ebenfalls in dem vom Arbeitsgericht zugesprochenen Umfang begründet. Aufgrund des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag (Klageantrag zu Ziff. 1) ist die innerprozessuale Bedingung für eine Entscheidung über diese Zahlungsanträge eingetreten. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung seiner monatlichen Bruttovergütung in Höhe von jeweils 4.673,11 Euro brutto (= Festgehalt der Stufe 6 iHv. 4.488,01 Euro zzgl. der Funktionsstufe 1 iHv. 185,10 Euro) abzüglich der erhaltenen Bruttozahlungen der Beklagten sowie abzüglich des netto erhaltenen Arbeitslosengeldes für den Zeitraum von April bis einschließlich September 2019 gemäß §§ 611, 611a Abs. 2 BGB iVm. § 615 Satz 1 BGB iVm. §§ 293 ff. BGB iVm. dem Arbeitsvertrag der Parteien. Die Beklagte hat sich durch die Nichtannahme der Arbeitsleistung des Klägers im genannten Zeitraum in Annahmeverzug befunden. Im Einzelnen:

1.  Nach § 615 BGB hat der Arbeitgeber die vereinbarte Vergütung weiterzuzahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste in Verzug kommt. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs richten sich auch für das Arbeitsverhältnis nach den §§ 293 ff. BGB. Danach muss der Schuldner in der Regel die geschuldete Leistung ordnungsgemäß anbieten (§§ 294-296 BGB), wobei im Falle einer arbeitgeberseitigen Kündigung nach Ablauf der Kündigungsfrist der Arbeitgeber nach der Rechtsprechung bereits automatisch in Annahmeverzug gerät, ohne dass es eines Arbeitsangebots des Arbeitnehmers bedarf, denn nach § 296 BGB ist ein wörtliches Angebot (§ 295 BGB) überflüssig, wenn für eine vom Gläubiger vorzunehmende Mitwirkungshandlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist und der Gläubiger die Handlung nicht rechtzeitig vornimmt. Letztes ist der Fall, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer keinen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt und ihm keine Arbeit zuweist. Dies ist vorliegend der Fall, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt:

2. Vorliegend hat die Beklagte mit Ausspruch und Zugang der fristlosen Kündigung vom 18. April 2019, zugegangen am selben Tag, gegenüber dem Kläger unmissverständlich erklärt, dass sie das Arbeitsverhältnis ab sofort als beendet ansieht. Sie hat damit zugleich erklärt, dass sie die Leistung des Klägers ab dem Zeitpunkt des Zugangs am gleichen Tag nicht mehr in Anspruch nehmen wird. Insofern ist die Beklagte unmittelbar ab dem 19. April 2019 in Annahmeverzug geraten. Sie hat dem Kläger hiernach zudem keinen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt. Der Kläger war nicht gehalten, der Beklagten seine Dienste erneut anzubieten (§§ 295, 296 Satz 1 BGB), sondern konnte eine Arbeitsaufforderung der Beklagten abwarten. Dem Arbeitgeber obliegt es als Gläubiger, dem Arbeitnehmer die Arbeitsleistung zu ermöglichen. Dazu muss er den Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers fortlaufend planen und durch Weisungen hinsichtlich Ort und Zeit der Arbeitsleistung näher konkretisieren. Kommt der Arbeitgeber dieser Obliegenheit nicht nach, gerät er in Annahmeverzug, ohne dass es eines Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer bedarf (st. Rspr., vgl. etwa BAG, Urteil vom 17. Juli 2012 – 1 AZR 563/11, Rn. 12, juris; BAG, Urteil vom 18. Januar 2000 – 9 AZR 932/98, BAGE 93, 179 ff.). Hinzu kommt, dass der Kläger fristgerecht am 29. April 2019 Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung vom 18. April 2019 erhoben hat, deren Erhebung ein ausreichend wörtliches Angebot im Sinne von § 295 BGB darstellt (vgl. BAG, Urteil vom 19. April 1990 – 2 AZR 591/89, AP Nr. 45 zu § 615 BGB), das die Beklagte nicht angenommen hat.

3.  Vorliegend war der Kläger auch leistungswillig und leistungsfähig (§ 297 BGB). Konkrete diesbezügliche Einwendungen hat die Beklagte weder vor dem Arbeitsgericht noch in der Berufungsbegründung vorgebracht.

4.  Damit bestehen die Annahmeverzugslohnansprüche für den Zeitraum vom 19. April 2019 bis einschl. September 2019 dem Grunde nach.

5.  Der Anspruch auf Annahmeverzugslohn für den Monat April 2019 besteht iHv. 1.869,24 Euro brutto ab dem 19. April 2019. Ausgehend von einem Bruttogehalt iHv. 4.673,11 Euro brutto hat die Beklagte an den Kläger bereits 2.692,81 Euro brutto an Festgehalt der Stufe und 111,06 Euro brutto an anteiliger Funktionsstufe 1, dh. zusammen 2.803,87 Euro brutto, gezahlt. In diesem Umfang ist auch Erfüllung iSv. § 362 Abs. 1 BGB eingetreten. Somit das Arbeitsgericht in diesem Zusammenhang den Zahlungsantrag des Klägers teilweise abgewiesen hat, ist dies rechtskräftig geworden, da der Kläger weder Berufung noch Anschlussberufung eingelegt hat.

6.  Der Anspruch auf Annahmeverzugslohn für den Monat Mai 2019 besteht iHv. 4.673,11 Euro brutto. Da der Kläger keine anderweitigen Zahlungen oder Leistungen erhalten hat, sind auch keine Abzüge vorzunehmen.

7.  Der Anspruch auf Annahmeverzugslohn für den Monat Juni 2019 besteht iHv. 4.673,11 Euro brutto. Da der Kläger keine anderweitigen Zahlungen oder Leistungen erhalten hat, sind auch keine Abzüge vorzunehmen.

8.  Der Anspruch auf Annahmeverzugslohn für den Monat Juli 2019 besteht iHv. 4.673,11 Euro brutto, wobei aufgrund des Bezuges von Arbeitslosengeld ab dem 12. Juli 2019 iHv. 64,91 Euro netto kalendertäglich und damit für 20 Kalendertage ein Abzug iHv. insgesamt 1.298,20 Euro netto gemäß § 115 Abs. 1 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit zu berücksichtigen ist, da die Beklagte insofern nicht mehr passivlegitimiert ist.

§ 115 Abs. 1 SGB X bestimmt, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt gegen den Arbeitgeber, soweit der Arbeitgeber diesen nicht erfüllt und deshalb ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen auf den Leistungsträger übergeht.

Die Voraussetzungen für einen solchen Anspruchsübergang liegen nach Ablauf der Sperrzeit des Klägers ab dem 12. Juli 2019 vor. Die Bundesagentur für Arbeit hat als Leistungsträgerin ab diesem Zeitpunkt gemäß ihres Bescheids vom 23. Mai 2019 Arbeitslosengeld an den Kläger gezahlt, nämlich im Monat Juli 2019 insgesamt 1.298,20 Euro netto. Insoweit sind die Ansprüche auf die Bundesagentur übergegangen und der Kläger ist nicht mehr aktivlegitimiert. Für den Zeitraum bis einschließlich 11. Juli 2019 ist der Kläger hingegen selbst aktivlegitimiert. Denn in diesem Zeitraum liegen die Voraussetzungen des Anspruchsübergangs nicht vor, da tatsächlich keine Leistungen seitens eines Sozialhilfeträgers erbracht worden sind. Unbestritten ist die im Bescheid vom 23. Mai 2019 verhängte Sperrzeit bislang nicht aufgehoben worden.

9.  Der Anspruch auf Annahmeverzugslohn für die Monat August und September 2019 besteht iHv. jeweils 4.673,11 Euro brutto, wobei aufgrund des Bezuges von Arbeitslosengeld iHv. 1.947,30 Euro netto (= 30 x 64,91 Euro netto) pro Monat ein entsprechender Abzug gemäß § 115 Abs. 1 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit zu berücksichtigen ist, da die Beklagte insofern nicht mehr passivlegitimiert ist. Auf die vorherigen weiteren Ausführungen zum Anspruchsübergang unter 8. wird Bezug genommen.

10.  Der Zinsanspruch ergibt sich jeweils aus §§ 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1, 247 BGB, da sich die Beklagte mit der Zahlung in Verzug befindet. Einer Vorherigen Mahnung bedurfte es gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht, da der Leistungszeitpunkt nach dem Kalender bestimmt ist. Die Fälligkeit des Lohnanspruchs des Klägers bestimmt sich nach § 614 Satz 2 BGB, wonach die Zahlung spätestens am Monatsletzten fällig ist, so dass sich die Beklagte ab dem 1. des jeweiligen Folgemonats in Verzug befindet.

C.  Die Kosten des erfolglosen Berufungsverfahrens trägt die Beklagte, § 97 Abs. 1 ZPO.

D.  Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG, weil sie auf den besonderen Umständen des Einzelfalles beruht. Auch weicht die Kammer nicht von anderen Entscheidungen im Sinne des § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG ab.

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