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Fristlose verhaltensbedingte Kündigung wegen Arbeitszeitbetrug

Fristlose Kündigung: Arbeitszeitbetrug im Fokus

Ein kürzlich ergangenes Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm (Az.: 6 Sa 523/20) vom 08.07.2020 befasst sich mit der fristlosen verhaltensbedingten Kündigung eines Arbeitnehmers aufgrund von Arbeitszeitbetrug. Im Mittelpunkt des Falles steht der Vorwurf, dass der betroffene Mitarbeiter seine Arbeitszeiten nicht korrekt dokumentiert und somit gegen seine vertraglichen Pflichten verstoßen habe.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 6 Sa 523/20 >>>

Verdachtsmomente und ihre Relevanz

Der Arbeitgeber stützte seine Kündigung nicht nur auf den Nachweis einer tatsächlichen Vertragsverletzung, sondern auch auf den bloßen Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung. Ein solcher Verdacht kann bereits ausreichen, um das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören. Allerdings muss dieser Verdacht auf objektiven Tatsachen basieren und darf nicht lediglich auf Vermutungen gründen.

Die Bedeutung korrekter Arbeitszeitaufzeichnungen

Ein zentrales Element des Falles war die Frage, inwieweit Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern vertrauen können, wenn es um die korrekte Dokumentation der Arbeitszeit geht. Wenn ein Arbeitnehmer die ihm zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch ausfüllt, kann dies als schwerer Vertrauensmissbrauch gewertet werden. Im vorliegenden Fall waren die Angaben des Arbeitnehmers bezüglich seiner Arbeitszeit jedoch nicht eindeutig als falsch zu identifizieren.

Betriebsbegriff und Kündigungsschutz

Ein weiterer Aspekt des Urteils betraf den arbeitsrechtlichen Betriebsbegriff. Ein Betrieb im arbeitsrechtlichen Sinne ist die organisatorische Einheit, in der der Arbeitgeber mit seinen Mitarbeitern arbeitstechnische Zwecke verfolgt. Dies hat direkte Auswirkungen auf den Kündigungsschutz, da nur in bestimmten Betriebsstrukturen das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Anwendung findet.

Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers

Abschließend wurde festgestellt, dass dem Arbeitnehmer aufgrund des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag ein Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung zusteht. Das Interesse des Arbeitnehmers an einer Weiterbeschäftigung überwog, da das Gericht die Unwirksamkeit der Kündigung feststellte.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Hamm – Az.: 6 Sa 523/20 – Urteil vom 08.07.2020

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 12.03.2020 – 4 Ca 1794/19 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung.

fristlose verhaltensbedingte Kündigung wegen Arbeitszeitbetrug
Fristlose Kündigung aufgrund von Arbeitszeitbetrug: Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm unterstreicht die Bedeutung objektiver Verdachtsmomente und korrekter Arbeitszeitaufzeichnungen für die Vertrauensbasis im Arbeitsverhältnis. (Symbolfoto: fizkes /Shutterstock.com)

Der Kläger ist am 17.05.1970 geboren und seit dem 01.09.2001 bei der Beklagten bei einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden und einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 2.924,53 EUR als Zerspannungsmechaniker am Standort A beschäftigt.

Das Gehalt des Klägers ist verstetigt und wird unabhängig von den geleisteten Arbeitsstunden gezahlt. Es ist jedoch ein Arbeitszeitkonto gebildet.

Dem Kläger wurden unter dem 25.11.2013 (Bl. 48f. d.A.), 10.08.2015 (Bl. 50f. d.A.), 20.08.2015 (Bl. 54f. d.A.) sowie 02.02.2017 (Bl. 58f. d.A.) Abmahnungen, auf die verwiesen wird, von seinen jeweiligen Vorgesetzten am Standort A auf entsprechendem Briefkopf erteilt.

Mit Wirkung vom 01.10.2017 übertrug die Beklagte den dortigen Geschäftsbereich „B“ nach § 613a BGB auf die C GmbH. Der Kläger widersprach – wie sieben weitere Mitarbeiter – dem Betriebsübergang und wurde von der Beklagten fortan beim „D“ am Standort A eingesetzt. Ein Betriebsrat für diesen Standort ist nicht gegründet. Auch ein Übergangsmandat nach § 21a BetrVG oder ein Restmandat i.S.v. § 21b BetrVG sind nicht (mehr) gegeben. Im Unternehmen der Beklagten gibt es ca. 10 derartige Restbetriebe mit ca. 140 Mitarbeitern. Im Großraum A unterhält die Beklagte keinen weiteren Standort. Der räumlich nächste Standort befindet sich in F. Dort ist ein Betriebsrat eingerichtet.

Seit dem Widerspruch gegen den Betriebsübergang wurde der Kläger bis Juni 2019 an verschiedenen Standorten der Beklagten eingesetzt. Sofern ein solcher Einsatz nicht möglich war, hatte er am Standort A über das Intranet Tätigkeiten zu suchen, die er für die Beklage verrichten konnte und sich dort zu bewerben. Daneben waren auch Bewerbungen für andere intern ausgeschriebene geeignete feste Stellen von ihm vorzunehmen. Disziplinarisch war der Kläger seit dem Widerspruch gegen den Betriebsübergang dem Mitarbeiter E. unterstellt, der am Standort G tätig wird. Die fachliche Weisungsbefugnis variierte entsprechend den Einsatzorten des Klägers. Der Kläger zeichnete seine Arbeitszeiten in dieser Zeit durch Betätigen der Stempeluhren am jeweiligen Standort oder vor Ort in A auf.

Mit Schreiben vom 25.06.2019 (Bl. 34f. d.A.), auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, wies die Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.07.2019 bis zum 29.09.2019 eine Tätigkeit im Rahmen eines Projekteinsatzes bei einer anderen Einheit der Beklagten als Installateur von Löschanlagen unter der fachlichen Aufsicht des Mitarbeiters H. zu. In dem Schreiben heißt es auszugsweise:

„Während ihres Einsatzes unterstehen Sie disziplinarisch weiterhin den Weisungen Ihrer Führungskraft bei D. Sie bleiben organisatorisch dem D zugeordnet.

Sie sind verpflichtet, ihre Arbeitszeiten während des Einsatzes gemäß der für Sie im aufnehmenden Betrieb geltenden Verfahren und Vereinbarungen zu erfassen. Sollte Ihnen dieses nicht möglich sein, verwenden Sie bitte einen Tätigkeitsnachweis. Bitte wenden Sie sich hierzu an Ihre disziplinarische Führungskraft bei dem D .“

Gleichwohl erfasste der Kläger die von ihm abgeleisteten Arbeitszeiten im Zeitraum vom 01.07.2019 bis einschließlich des 29.08.2019 nicht.

Mit E-Mail vom 29.08.2019 sowie telefonisch forderte die Beklagte den Kläger auf, die angeordneten Arbeitszeitnachweise beizubringen.

Unter dem 18.09.2019 (Bl. 39f. d.A.) erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung wegen vorzeitigen Verlassens der Arbeitsstelle am 29.08.2019. Die Abmahnung ist „i.V.“ von den Mitarbeitern E. und I. auf Geschäftspapier der Beklagten vom Standort J im Namen der Mitarbeiterin K. unterschrieben ist. Wegen der Einzelheiten wird auf die Abmahnung Bezug genommen.

Am 19.09.2019 fand ein persönliches Gespräch zwischen dem Mitarbeiter E. und dem Kläger statt. In diesem Rahmen füllte der Kläger vor Ort Arbeitszeitnachweise für die Monate Juli sowie August 2019 in Gestalt zweier Arbeitszeiterfassungsbögen aus, welche er jeweils mit „Gedächtnisprotokoll“ überschrieb. Dort trug er für die überwiegende Zahl der Arbeitstage jeweils eine Arbeitszeit von „ca.“ 7:00 bis 17:00 Uhr ein. Für den 01.07.2019 vermerkte er eine Arbeitszeit von „ca.“ 10:00 bis 17:00 Uhr und für den 29.08.2019 von „ca.“ 7:00 bis 7:30 Uhr. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die entsprechenden Aufzeichnungen (Bl. 41f. d.A.) verwiesen.

Der Mitarbeiter E. teilte dem Kläger daraufhin im Gespräch mit, dass er „ca.“-Angaben nicht akzeptiere. Hierauf erwiderte der Kläger, dass er sich an die konkreten Arbeitszeiten nicht mehr erinnern könne. Auf Nachfrage, was die „ca.“- Angaben bedeuten sollten, gab der Kläger an, dass es auch schon mal eine Stunde mehr oder weniger sein könnte. Der Mitarbeiter E. wies den Kläger sodann an, auf 15 Minuten genau zu definieren, wann die Arbeitszeiten erbracht worden seien. Mit Schreiben vom 23.09.2019 (Bl. 38 d.A.) wurde diese Aufforderung schriftlich wiederholt.

Dem kam der Kläger nicht nach, woraufhin die Beklagte ihm unter dem 09.10.2019 (Bl. 46f. d.A.) eine weitere Abmahnung erteilte, die „i.V.“ von den Mitarbeitern E. und M. erneut auf Geschäftspapier der Beklagten vom Standort J im Namen der Mitarbeiterin K. unterschrieben ist. Wegen der Einzelheiten wird auf die Abmahnung Bezug genommen.

Daraufhin übergab der Kläger am 09.10.2019 korrigierte Arbeitszeitnachweise (Bl. 36f. d.A.) für die Monate Juli und August 2019. Die Zeiten deckten sich insoweit weit überwiegend mit den vorher abgegebenen Zeiten, mit dem Unterschied, dass die jeweiligen „ca.“-Zusätze nicht mehr vorhanden waren. Auch diese Arbeitszeitnachweise waren indes – nach wie vor – mit „Gedächtnisprotokoll“ überschrieben.

Am 17.10.2019 fand sodann ein Gespräch mit dem Kläger bezogen auf die angegebenen Arbeitszeiten statt. Im Rahmen dieses Gespräches wies der Kläger nochmalig und mehrmals darauf hin, dass er lediglich sagen könne, dass er regelmäßig mit dem Team begonnen habe, häufiger aber auch vor den Kollegen auf der Baustelle war und sie typischerweise gemeinsam aufgehört hätten. Auf das entsprechende Gesprächsprotokoll (Bl. 44f. d.A.) wird im Übrigen verwiesen.

Unter dem 23.10.2019 (Bl. 24ff. d.A.) hörte die Beklagte durch die Mitarbeiterin K. vom Standort J den Betriebsrat am Standort F vorsorglich zur beabsichtigten Kündigung des Klägers an.

Mit Schreiben vom 29.10.2019 (Bl. 10 d.A.), dem Kläger zugegangen am 30.10.2019, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos sowie hilfsweise ordentlich aufgrund des Verdachts des Arbeitszeitbetrugs. Die Kündigung ist auf Geschäftspapier des Standortes J erstellt und von den Prokuristen N. und O. unterschrieben. Zum Zugangszeitpunkt waren am Standort A neben dem Kläger noch drei weitere Mitarbeiter beschäftigt.

Mit seiner am 08.11.2019 beim Arbeitsgericht Bocholt eingegangener Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt.

Er hat – erstinstanzlich unbestritten – vorgetragen, die Beklagte beschäftige mehr als zehn Arbeitnehmer.

Weiter hat er behauptet, er habe nicht gewusst, wie die Arbeitszeiten zu erfassen gewesen seien und auf den unstreitigen Umstand verwiesen, dass die Beklagte ihm vor der Aufnahme der Tätigkeit ab dem 01.07.2019 kein entsprechendes Arbeitszeiterfassungsformular übergeben hatte.

Soweit die Beklagte sich auf von seinen Zeiten abweichende Arbeitszeiten berufe, handele es sich sinngemäß ebenfalls um Erinnerungsprotokolle der mit ihm eingesetzten Mitarbeiter. Dass diese Arbeitszeiten unzutreffend seien, zeige sich bereits daran, dass die Beklagte am 01.07.2019 von einem Arbeitszeitbeginn des Klägers von 7:00 Uhr ausgehe, er aber tatsächlich erst um 10:00 Uhr auf der Baustelle gewesen sei. Darüber hinaus könnten die übrigen Mitarbeiter gar keine verlässlichen Angaben zu seinen Arbeitszeiten machen, da diese ab dem 15.07.2019 unstreitig nicht mehr gemeinsam im Hotel untergebracht waren. Im Übrigen habe er die Baustellen häufig vor den Mitarbeitern aufgesucht und Vorbereitungstätigkeiten ausgeübt.

Mit Blick auf den 08.08.2019 habe im Nachgang eine Durchsicht seines Kalenders ergeben, dass er sich tatsächlich nicht auf der Baustelle befunden habe. Er sei stattdessen zurück nach A gereist. Hintergrund sei die Frage nach der Verlängerung des Projekteinsatzes gewesen. Die Heimreise sei auf ausdrücklichen Wunsch des Vorgesetzten erfolgt. Im Übrigen sei eine Kommunikation diesbezüglich per Mail nur mit dem in A vorgehaltenen PC möglich.

Der Kläger hat unter Klagerücknahme im Übrigen beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.10.2019 beendet werden wird;

2. die Beklagten im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Zerspannungsmechaniker weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei als Verdachtskündigungen vor dem Hintergrund eines Arbeitszeitbetrugs gerechtfertigt.

In diesem Zusammenhang hat sie behauptet, eine Überprüfung der Arbeitszeiten des Klägers im Zeitraum vom 08.10.2019 bis zum 14.10.2019 durch die Kollegen des Klägers auf der Baustelle P und R hätte ergeben, dass der Kläger seine Arbeitszeit vom 15.-18.07.2019 sowie vom 29.07.-07.08.2019 und vom 12.-14.08.2019, 19.-22.02.2019 und 26.-28.08.2019 seine Arbeit erst um 8:00 Uhr aufgenommen habe. Der Kläger habe damit stets einen falschen Beginn seiner Arbeitszeit angegeben. Mit Blick auf den 08.08.2019 habe der Kläger völlig falsche Arbeitszeiten angegeben, da er an diesem Tag nicht einmal auf der Baustelle gewesen sei.

Der Kläger habe sein Frühstück im Hotel erst um 7:00 Uhr einnehmen können und somit nicht um 7:00 Uhr auf der Baustelle sein können. Aus den Reisekostenabrechnungen ergebe sich, dass der Kläger das Frühstück auch tatsächlich eingenommen habe, da dieses auch berechnet worden sei. Weiterhin sei er von den übrigen Mitarbeitern nie um 7:00 Uhr an der Baustelle angetroffen worden.

Dem Kläger sei nicht aufgegeben worden, am 08.08.2019 nach A zu reisen, die Weisung habe sich vielmehr auf den 09.08.2019 bezogen.

Mit Urteil vom 12.03.2020 (Bl. 11ff. d.A.) hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben.

Zur Begründung hat es ausgeführt, es fehle sowohl an einem wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB als auch an einem verhaltensbedingten Kündigungsgrund i.S.d. §1 Abs. 2 S. 1 KSchG, denn die von der Beklagten vorgetragenen Umstände erreichen nicht die Schwelle eines dringenden Verdachts der Tat oder gar des Tatnachweises.

Die Beklagte sei beweisfällig dafür geblieben, dass der Kläger entgegen seiner Angaben an bestimmten Tagen die Arbeit auf der Baustelle erst um 8:00 Uhr aufgenommen habe. Für den 08.08.2019 habe der Kläger als Rechtfertigungsgrund vorgetragen, dass er tatsächlich nach A beordert worden sei. Der Vortrag der Beklagten, die Weisung habe sich auf den 09.08.2019 bezogen, ergebe nicht, wann diese erfolgt sein soll. Zudem fehle ein Beweisantritt dafür, dass der Kläger am 08.08.2019 nicht gearbeitet habe.

Aus dem Vortrag zum Frühstück würden sich keine hinreichenden Indizien für einen Arbeitszeitbetrug ergeben. Der übrige Vortrag der Beklagten zu den tatsächlichen Arbeitszeiten des Klägers sei pauschal und widersprüchlich.

Darüber hinaus fehle es an einer vorsätzlichen Handlung des Klägers bzw. an einem entsprechenden dringenden Verdacht. Die Arbeitszeitaufzeichnungen seien allenfalls fahrlässig falsch erfolgt. Der Kläger habe bereits am 19.09.2019 klargestellt, dass er sich an die Arbeitszeiten nicht mehr erinnern könne. Der Beklagten habe aus dem Umstand, dass der Kläger seine Aufzeichnungen unter der Überschrift „Gedächtnisprotokoll“ und mit dem Zusatz „ca.“ versah, klar sein müssen, dass die angegebenen Zeiten nicht exakt zutreffen konnten und aus Sicht des Klägers auch nicht sollten. Nichts anderes folge aus den zweiten Aufzeichnungen die ebenfalls mit „Gedächtnisprotokoll“ überschrieben waren. Der Beklagten sei trotz Entfernung der Angabe „ca.“ klar gewesen, dass sich an dem Erkenntnisgrad des Klägers in der Zwischenzeit nichts geändert habe. Zudem habe der Kläger im Gespräch am 17.10.2019 nochmalig daraufhin gewiesen, dass er sich an Einzelheiten nicht erinnern könne.

Auch wenn der Kläger für den 08.08.2019 zunächst spontan angegeben habe, auf der Baustelle gewesen zu sein, sei dies nicht als vorsätzliche Falschangabe zu werten. Der Kläger habe sich nach einem Monat schlicht nicht mehr an den konkreten Tag der später behaupteten Reise nach A erinnern können. Auch aus dem unter Zuhilfenahme des Smartphones getätigten Äußerung des Klägers, es habe sich wohl um einen Feiertag gehandelt, folge nichts anderes. Es habe sich erneut und für die Beklagte offensichtlich um eine spontane Reaktion und nicht um eine belastbare Aussage gehandelt.

Da die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst habe, stehe dem Kläger ein Weiterbeschäftigungsanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens nach den Grundsätzen der Rechtssprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts zu.

Gegen das der Beklagten am 18.03.2020 zugestellte Urteil richtet sich deren am 14.04.2020 eingegangene und am 07.05.2020 wie folgt begründete Berufung:

Sie behauptet, der Vorarbeiter H. sei vom 15.07.-18.07.2019 jeweils um 7:00 Uhr auf der Baustelle gewesen und habe feststellen können, dass der Kläger an den vier Tagen nicht um 7:00 Uhr anwesend war. Nach seiner konkreten Erinnerung sei der Kläger jeweils um 8:00 Uhr, mit einem Zeitfenster von ca. +/- 5 Minuten, erschienen. In der Zeit vom 29.07.-01.08.2019 habe der Vorarbeiter P. festgestellt, dass der Kläger an den vier Tagen nicht um 7:00 Uhr auf der Baustelle anwesend war. Auch er sei sich sicher, dass der Kläger mit einem Zeitfenster von +/- 5 Minuten um 8:00 Uhr erschienen sei. Im Übrigen lägen ihr keine belastbaren Zeugenaussagen vor.

Beide Vorarbeiter hätten den Kläger auf seinen späteren Beginn angesprochen, woraus sich eine Diskussion entwickelt habe. Beide seien jedoch davon ausgegangen, dass es ihnen im Rahmen des ausschließlich fachlichen Direktionsrechts nicht zugestanden hätte, dem Kläger eine verbindliche Anweisung zum Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme zu erteilen.

Das Frühstück im klägerischen Hotel werde – was eine Nachfrage ergeben habe – erst um 7:20 Uhr gereicht.

Auch für den Zeitraum vom 05.08-07.08.2019 habe der Vorarbeiter P. entsprechendes festgestellt. Der Kläger habe darüber hinaus keine Anweisung zur Rückkehr nach A für den 08.08.2019 erhalten. Sie verweist zudem auf den unstreitigen Zustand, dass der Kläger – obwohl er unstreitig nicht auf der Baustelle, sondern am Wechselarbeitsplatz war – in der Reisekostenabrechnung vom 04.09.2019 (Bl. 144 d.A) eine unter dem 06.08.2019 (Bl. 143 d.A.) in Rechnung gestellte Übernachtung auch vom 08. auf den 09.08.2019 sowie die steuerliche Tagespauschale unberechtigt angegeben hat, was sie auch ausgeglichen habe.

Zur Überprüfung seiner Angaben zum 08.08.2019 habe der Kläger sich im Personalgespräch eine Pause genommen, um in seinen Kalender zu schauen. Nachdem der Mitarbeiter H dem Kläger entgegnet habe, dass der 08.08.2019 nur in R ein Feiertag gewesen sei, habe der Kläger nochmal in seiner Hotelrechnung nachgeschaut und sei dann bei seiner Erklärung geblieben, dass er am 08.08.2019 auf der Baustelle gewesen sei. Der Kläger habe jedoch unentschuldigt auf der Baustelle gefehlt. Was der Kläger am 08.08.2019 an seinem Wechselarbeitsplatz in A gemacht hat, entziehe sich ihrer Kenntnis.

Dem Arbeitsgericht sei nicht in seinen Ausführungen zur Täuschungsabsicht zu folgen. Es sei ein entscheidender Unterschied, ob man sich bei der Angabe des Tätigkeitsbeginns um einige Minuten, möglicherweise auch um ¼ Stunde irre oder – wie vorliegend- durchgehend um eine Stunde.

Weiter ist die Beklagte der Ansicht, das KSchG fände auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung. Der D sei selbständiger Betrieb mit lediglich vier Mitarbeitern und insbesondere kein gemeinsamer Betrieb mit dem Betrieb in G. Zweck des D sei die Vermittlung der dort geführten Mitarbeiter bzw. die Auslösung aus dem Restbetrieb durch Versetzung, Änderungskündigung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die vorübergehende Zuweisung von Tätigkeiten in anderen Abteilungen sei keine Lösung und damit unmittelbar nicht dem Geschäftszweck dienlich.

Der Betrieb in G übe gänzlich andere Tätigkeiten aus. Der Bereich sei eine betriebsübergreifende Abteilung der Beklagten, die deutschlandweit Dienste erbringe. Der Bereich, in dem der Vorgesetzte des Klägers E. tätig ist, betreue lediglich ganz generell als zentrale Organisationseinheit die einem Betriebsübergang widersprechenden Arbeitnehmer, die einem der Restbetriebe der Beklagten zugeordnet sind.

Ebenso wenig bestünde eine funktionale Verbindung zwischen dem Kläger und dem Betrieb in G.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholts vom 12.03.2020 – 4 Ca 1794/19 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Verbringens. Er beruft sich darauf, dass die Beklagte zu keinem Zeitpunkt behauptet hat, dass er – der Kläger seine Arbeitszeit von 35 Wochenstunden nicht eingehalten habe und auch keine entsprechenden Angaben zu seinem Arbeitsende im streitgegenständlichen Zeitraum gemacht hat. Es sei möglich, dass er, wenn er erst um 8:00 Uhr auf am Einsatzort erschienen sei, tatsächlich bis 18:00 Uhr gearbeitet habe. Allenfalls hätte er dann über die Lage der Arbeitszeit getäuscht.

Da das Frühstück auch für den 08. und 09.08.2019 in Rechnung gestellt wurde, sei belegt, dass die Abrechnung des Frühstücks nicht mit dessen tatsächlicher Einnahme einhergehe. Das Frühstück sei grundsätzlich verbindlich mit dem Zimmer zu buchen.

Weiter ist der Kläger der Ansicht, der D sei Bestandteil des Betriebs in G, was sich insbesondere aus dem Umstand ergebe, dass sein disziplinarischer Vorgesetzter dort tätig werde. Nach seiner Kenntnis seien in G mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt. Als Adresse des D gebe die Beklagte in mehreren Schreiben die des Betriebs in G an. Der D werde darüber hinaus bei der Beklagten als „Abteilung“ geführt.

Der Mitarbeiter E. sei grundsätzlich einstellungs- und kündigungsbefugt. Er sei völlig zufällig in G angesiedelt. Allein dort unterhalte sie – die Beklagte – vier selbständige Betriebe.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird ergänzend auf den vorgetragen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist zulässig.

Sie ist nach § 64 Abs. 2 c) ArbGG zulässig, da es sich um eine Rechtsstreitigkeit über die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses handelt. Die Beklagte hat die Berufung im Übrigen nach den §§ 519 ZPO, 64 Abs. 6 S. 1, 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG am 14.04.2020 rechtzeitig gegen das am 18.03.2020 zugestellte Urteil sowie innerhalb der Berufungsbegründungsfrist am 07.05.2020 form- und fristgerecht i.S.d. §§ 520 Abs. 3 ZPO, 64 Abs. 6 S. 1, 66 Abs. 1 S. 3,5 ArbGG begründet.

II. Die Berufung ist auch begründet.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage und dem Weiterbeschäftigungsanspruch zu Recht stattgegeben.

1. Die Kündigung der Beklagten vom 29.10.2019 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht fristlos aufgelöst.

a) Der Kläger hat rechtszeitig i.S.v. §§ 4, 7 KSchG innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erhoben.

b) Zu Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass es der Beklagten an einem wichtigen Grund zur Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB mangelt.

aa) Hiernach kann ein Dienst- und Arbeitsverhältnis außerordentlich ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist nur aus wichtigem Grunde gekündigt werden. Ein solcher ist gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die Rechtsprechung nimmt insofern eine zweistufige Prüfung vor. Der Sachverhalt muss sich zunächst als an sich geeignet erweisen, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu liefern. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Kündigenden unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht. Ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB ist nur gegeben, wenn das Ergebnis dieser Gesamtwürdigung die Feststellung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ist (vgl. BAG vom 24.05.2012 – 2 AZR 206/11; BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09; BAG vom 27.04.2006 – 2 AZR 386/05).

bb) Dabei kann nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch schon der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung einen wichtigen Grund zur Kündigung bilden. Eine Verdachtskündigung liegt aber nur dann vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört (vgl. BAG vom 26.03.1992 – 2 AZR 519/51; BAG vom 03.04.1986 – 2 AZR 324/85). Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (vgl. BAG vom 24.05.2012 – 2 AZR 206/11; BAG vom 26.03.1992 – 2 AZR 519/91).

Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen und die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören (vgl. BAG vom 24.05.2012 – 2 AZR 206/11; BAG vom 25.11.2010 – 2 AZR 801/09; BAG vom 23.06.2009- 2 AZR 474/07).

Der Verdacht muss auf konkrete – vom Kündigenden ggf. zu beweisende – Tatsachen gestützt sein. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der dahinterstehende Vorwurf zutrifft (vgl. BAG vom 24.05.2012 – 2 AZR 206/11; BAG 25.11.2010 – 2 AZR 801/09; BAG vom 12.05.2010- 2 AZR 587/08). Die Umstände, die den Verdacht begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (vgl. BAG vom 24.05.2012 – 2 AZR 206/11; BAG vom 29.11.2007 – 2 AZR 724/06; BAG vom 10.02.2005 – 2 AZR 189/04). Schließlich muss der Arbeitgeber alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben (vgl. BAG vom 24.05.2012 – 2 AZR 206/11; BAG vom 23.06.2009 – 2 AZR 474/07; BAG vom 10.02.2005 – 2 AZR 189/04).

cc) Nach den vorgenannten Grundsätzen stand der Beklagten schon kein wichtiger Grund zur Seite, der an sich als wichtiger Grund i.S.v. § 626 BGB geeignet ist. Die Beklagte hat es nicht vermocht, den dringenden Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung oder gar einen Tatnachweis schlüssig darzulegen.

(1) Die Beklagte begründet die ausgesprochene Kündigung zunächst mit dem Verdacht, der Kläger habe vorsätzlich einen Arbeitszeitbetrug begangen.

(a) Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies gilt für den vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise seine Pflicht zur Rücksichtnahme i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB gegenüber dem Arbeitgeber (vgl. BAG vom 13.12.2018 – 2 AZR 370/18; BAG vom 26.09.2013 – 2 AZR 682/12; BAG vom 09.06.2011 – 2 AZR 381/10; BAG vom 21.04.2005 – 2 AZR 255/04). Demgegenüber reicht die bloß fahrlässig falsche Ausfüllung eines Formulars nicht für einen an sich geeigneten wichtigen Grund aus (LAG Köln 11.06.2015 – 7 Sa 1205/14).

(b) Nach den vorgenannten Grundsätzen hat es die Beklagte nicht vermocht, eine entsprechende Pflichtverletzung des Klägers hinreichend darzulegen.

Dabei kann zunächst unterstellt werden, dass der Kläger tatsächlich an den von der Beklagten benannten Tagen entgegen seiner Aufzeichnungen nicht um 7:00 Uhr, sondern erst um 8:00 Uhr auf der Baustelle erschienen ist.

Gleichwohl ist der Verdacht eines Arbeitszeitbetruges nicht gerechtfertigt.

(aa) Zunächst ist festzuhalten, dass der Kläger unbestritten vorgetragen hat, dass er ein festes Gehalt unabhängig von den tatsächlich geleisteten Stunden erhält. Die Beklagte hat jedoch ebenso unbestritten vorgetragen, dass Plus- und Minusstunden in einem Arbeitszeitkonto verbucht werden, so dass jede geleistete Stunde des Klägers sehr wohl lohnrelevant ist.

Im Übrigen hat der Arbeitgeber selbst dann ein grundsätzliches Interesse an der Feststellung der Arbeitszeiten, wenn diese sich nicht unmittelbar auf das Gehalt auswirken. Auch in einem derartigen Fall ist grundsätzlich eine arbeitnehmerseitige Pflichtverletzung anzunehmen, wenn vorsätzlich falsche Angaben gemacht werden.

(bb) Daneben weist der Kläger jedoch zu Recht darauf hin, dass für einen Arbeitszeitbetrug der Blick nicht allein auf den Zeitpunkt des Arbeitsbeginns gerichtet werden kann. Die Angaben der Beklagten zur Arbeitszeit sind per se nicht geeignet, einen Verstoß des Klägers gegen seine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden festzustellen.

Die Kammer ist jedoch davon ausgegangen, dass die Beklagte sich die vom Kläger gemachten Angaben zum Arbeitsende zu eigen machen will und hat entsprechend berücksichtigt, dass sich bei einem verspäteten Arbeitsende auch die Arbeitszeit entsprechend verringert.

(cc) Weder die vom Kläger gefertigten ursprünglichen, noch die korrigierten Aufzeichnungen stellen jedoch nach Auffassung der Kammer Aufzeichnungen dar, auf deren Korrektheit die Beklagte vertrauen konnte.

Hintergrund des schweren Vertrauensbruchs bei der Falschangabe der Arbeitszeiten ist nach den oben genannten Grundsätzen nämlich eine Täuschungshandlung des Arbeitnehmer zu Lasten des Arbeitgebers (vgl. BAG vom 13.12.2018 – 370/18; BAG vom 24.11.2005 – 2 AZR 39/05).

Unstreitig hat der Kläger seine Arbeitszeiten für den Zeitraum vom 01.07.2019 bis zum 29.08.2019 zunächst gar nicht aufgezeichnet. Soweit sich hieraus etwaig eine selbständige Pflichtverletzung ergibt, hat die Beklagte sich zur Begründung der Kündigung hierauf nicht berufen. Insoweit hätte sie auch die Frist des § 626 II BGB nicht eingehalten, da ihr das Unterlassen ausweislich der E-Mail vom 29.08.2019 jedenfalls seit diesem Tag, spätestens jedoch seit dem Personalgespräch vom 19.09.2019 bekannt gewesen ist.

Erst an diesem Tag hat der Kläger die streitgegenständlichen Angaben gemacht. Dabei hat er ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er sich an die konkreten Arbeitszeiten nicht erinnern könne. Folgerichtig hat er seine Angaben mit dem Zusatz „ca.“ versehen und die Zeiterfassungsprotokolle handschriftlich mit „Gedächtnisprotokoll“ überschrieben. Damit hat der Kläger von vornherein offen gelegt, dass er nicht in der Lage ist, konkrete Angaben zu seinen Arbeitszeiten zu machen. Für die Beklagte war also zu jeder Zeit zweifelsfrei klar, dass der Kläger in Ermangelung konkreter Erinnerungen keine korrekten Angaben zu seinen Arbeitszeiten machen konnte und die gleichwohl von ihm geforderten Angaben den mit großer Wahrscheinlichkeit nicht korrekt sind. Vor diesem Hintergrund konnte sie zu keinem Zeitpunkt Vertrauen in die vom Kläger getätigten Angaben haben.

Auch die unter dem 09.10.2019 eingereichten korrigierten Arbeitszeitnachweise ändern an diesem Umstand nichts. Zu Recht hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass es keine Umstände gab, die auf einen zwischenzeitlichen Erkenntnisgewinn des Klägers hingedeutet hätten. Im Gegenteil dürfte sich die Lage durch den weiteren Zeitablauf allenfalls verschlechtert haben.

Der Beklagten war es völlig klar, dass die neuen Aufzeichnungen des Klägers nicht dazu dienen konnten oder sollten, die bereits getätigten Angaben inhaltlich zu korrigieren. Es ist allein aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs offensichtlich, dass der Kläger die neuerlichen Aufzeichnungen nur im Lichte der ihm unter dem 09.10.2019 erteilte Abmahnung bei der Beklagten eingereicht hat. Verlangt die Beklagte jedoch vom Kläger – unter Androhung von arbeitsrechtlichen Konsequenzen – konkrete Aufzeichnungen ohne „ca.“-Angaben mit 15minütiger Genauigkeit, obwohl der Kläger von Beginn an mitgeteilt hat, derartiges nicht leisten zu können, kann sie auf die Korrektheit der dann gleichwohl getätigten Angaben nicht vertrauen.

Dies gilt bezogen auf den Kündigungszeitpunkt umso mehr, als der Kläger im weiteren Personalgespräch vom 17.10.2019 nochmalig und mehrmals darauf hingewiesen hat, dass er lediglich pauschale Aussagen zu seinen Arbeitszeiten treffen könne.

Selbst unter den Annahme, der Kläger habe an den von der Beklagten benannten Tagen falsche Angaben zum Arbeitsbeginn in die Zeiterfassung eingetragen, hat er die Beklagte vor diesem Hintergrund gleichwohl zu keinem Zeitpunkt über seine Arbeitszeiten getäuscht, was für einen schweren Vertrauensbruch notwendig gewesen wäre.

(dd) Zwar ist der Beklagten in diesem Zusammenhang zuzugestehen, dass es einen qualitativen Unterschied macht, ob ein Arbeitnehmer sich um wenige Minuten bis hin zu einer Viertelstunde oder um (annähernd) eine Stunde „irrt“.

Der Kläger hatte jedoch bereits im Gespräch vom 19.09.2019 ausdrücklich mitgeteilt, dass es „auch schon mal eine Stunde mehr oder weniger sein könne“. Der Beklagten war damit ohne weiteres ersichtlich, dass die vom Kläger angegebenen Zeiten genau um diese ein Stunde abweichen können, die sie nunmehr moniert.

Nach dem objektiven Erklärungsinhalt liegt der Beginn der Arbeitszeiten des Klägers für die streitgegenständlichen Tage auch für die Beklagte erkennbar über den Wortlaut der „Gedächtnisprotokolle“ hinaus zwischen 6:00 Uhr und 8:00 Uhr. Wenn der Kläger also, wie die Beklagte behauptet, erst um 8:00 Uhr auf der Baustelle erschien, ist dies vom Erklärungsinhalt der Arbeitszeitnachweise gedeckt.

(ee) Für die klägerischen Angaben zum 08.08.2019 gilt entsprechendes.

Auch aus den Personalgesprächen vom 19.09.2019 und 17.10.2019 ergibt sich keine konkrete Täuschung der Beklagten durch den Kläger. Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung festgestellt, dass die Aussagen des Klägers zu seinem Einsatz am 08.08.2019 auch aus Sicht der Beklagten an keinem der beiden Tage belastbar waren.

Hinzu kommt der Umstand, dass der Kläger vorgetragen hat, sich tatsächlich am 08.08.2019 in A am Wechselarbeitsplatz befunden zu haben, was die Beklagte ausdrücklich nicht in Abrede gestellt hat. Damit hat sie aber auch nicht in Abrede gestellt, dass der Kläger keine entsprechende Arbeitstätigkeit vorgenommen hat. Auch vor diesem Hintergrund bleibt kein Raum für den Verdacht eines Arbeitszeitbetrugs.

(2) Im Berufungsverfahren hat die Beklagte sich zudem darauf berufen, dass der Kläger eine fehlerhafte Reisekostenabrechnung erstellt hat, die sie – die Beklagte – auch ausgeglichen habe.

(a) Spesenbetrug kann grundsätzlich geeignet sein, einen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen (vgl. BAG vom 02.06.1960 – 2 AZR 91/58; LAG Rheinland Pfalz vom 14.03.2013 – 5 Sa 385/12). Ein Arbeitnehmer hat die angefallenen Spesen grundsätzlich korrekt abzurechnen. Unkorrektheiten in diesem Zusammenhang berechtigen regelmäßig zur fristlosen Kündigung (vgl. LAG Niedersachsen vom 15.06.2004 – 13Sa 1681/03; LAG Nürnberg vom 28.03.2003 – 4 Sa 136/02; LAG Niedersachsen 04.06.2004 – 10 Sa 198/04;LAG Rheinland Pfalz vom 14.03.2013 – 5 Sa 385/12).

(b) Die Beklagte beruft sich zum einen darauf, dass der Kläger auch die Übernachtung vom 08.08.2019 auf den 09.08.2019 in seiner Spesenabrechnung eingetragen hat, obwohl er diese nicht wahrgenommen hat. Dies ist jedoch vor dem Hintergrund korrekt, als ausweislich der von der Beklagten selbst eingereichten Hotelrechnung vom 06.08.2019 diese Übernachtung berechnet und vom Kläger auch bezahlt wurde. Allenfalls kann dem Kläger damit der Vorwurf gemacht werden, er habe die (zunächst gebuchte) Überachtung zu Lasten der Beklagten nicht storniert und so unnötige Kosten verursacht. Ein derartiger Vorwurf wird seitens der Beklagten zur Begründung der Kündigung nicht herangezogen und wäre ohne weiteren Vortrag, etwa zur Stornierungsmöglichkeit, auch nicht zur Begründung einer verhaltensbedingten Kündigung geeignet.

(c) Der Beklagten ist zuzugestehen, dass der Kläger die Tagesgeldpauschale in Höhe von 7,20 EUR für den 09.08.2019 zu Unrecht geltend gemacht hat.

Dieser Umstand ist jedoch nicht geeignet auch nur den dringenden Verdacht zu rechtfertigen, der Kläger habe sich durch fehlerhafte Angaben in der Reisekostenabrechnung bereichern wollen. Hier ist nämlich zu berücksichtigen, dass der Kläger neben der Tagesgeldpauschale auch die Hotelkosten in Rechnung gestellt hat und dabei die Rechnung vom 06.08.2019 einreichte, die eine Übernachtung vom 08.08. auf den 09.08.2019 ausweist. Vor diesem Hintergrund ist ein Versehen des Klägers nicht nur nicht auszuschließen, sondern wahrscheinlich.

2. Auch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.10.2019 hat das Arbeitsverhältnis nicht beendet, da sie sozial ungerechtfertigt i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ist.

a) Eine Wirksamkeitsfiktion nach §§ 4, 7 KSchG ist nicht eingetreten (s.o.).

b) Das KSchG findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.

aa) Nach der Konzeption des § 1 Abs. 3 KSchG ist die Sozialauswahl betriebs- und nicht unternehmensbezogen durchzuführen (vgl. BAG vom 31.05.2007 – 2 AZR 276/).

Der Begriff des Betriebs in § 23 KSchG ist gesetzlich nicht definiert. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt § 23 KSchG der – allerdings im weitesten Sinne zu verstehende – allgemeine arbeitsrechtliche Betriebsbegriff zugrunde. Danach ist unter einem Betrieb die organisatorische Einheit zu verstehen, innerhalb derer der Arbeitgeber allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe von sächlichen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen (vgl. BAG vom 28.10.2010 – 2 AZR 392/08; BAG vom 17.01.2008 – 2 AZR 902/06; BAG vom 15.03.2001 – 2 AZR 151/00).

Ein Betrieb in diesem Sinne setzt einen einheitlichen organisatorischen Einsatz der Sachmittel und Personalressourcen voraus. Die einen Betrieb konstituierende Leitungsmacht wird dadurch bestimmt, dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung im Wesentlichen selbstständig ausgeübt wird. Entscheidend ist insoweit, wo schwerpunktmäßig über Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen entschieden wird und in welcher Weise Einstellungen, Entlassungen und Versetzungen vorgenommen werden (vgl. BAG vom 28.10.2010 – 2 AZR 392/08; BAG vom 03.06.2004 – 2 AZR 386/03).

Vom Betrieb als Ganzem zu unterscheiden sind Betriebsteile, die gegenüber dem Hauptbetrieb organisatorisch selbstständig sind und eine Teilfunktion von dessen arbeitstechnischem Zweck wahrnehmen (vgl. BAG vom 28.10.2010 – 2 AZR 392/08; BAG vom 15.03.2001 – 2 AZR 151/00).

bb) Unstreitig sind am Standort in A lediglich vier Mitarbeiter beschäftigt. Die Beklagte hat zwar das klägerische Vorbringen zur Anwendbarkeit des KSchG nicht bestritten, worauf das Arbeitsgericht folgerichtig die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung nach den Maßstäben des § 1 KSchG geprüft hat.

Anlässlich der Berufungsbegründung hat die Beklagte sich jedoch erstmals darauf berufen, dass am Standort A keine zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind und die Auffassung vertreten, der Standort stelle einen eigenständigen Betrieb dar.

Mit diesem Vorbringen ist die Beklagte auch nicht nach § 67 Abs. 2 ArbGG ausgeschlossen, da jedenfalls keine Verzögerung des Rechtsstreits vorliegt.

cc) Die Kammer konnte dem Kläger nach den vorgenannten Grundsätzen allerdings nicht darin folgen, dass der D am Standort in A Teil des Betriebs in G ist.

(1) Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass im Kündigungszeitpunkt ein gemeinsamer Betrieb bestanden hat, trägt grundsätzlich der Arbeitnehmer (vgl. BAG vom 24.10.2013 – 2 AZR 1057/12; BAG vom 24.05.2012 – 2 AZR 62/11; BAG vom 18.10.2006 – 2 AZR 434/05).

Mit Rücksicht auf seine typischerweise mangelnde Kenntnis von den tatsächlichen Organisationsstrukturen und Leitungsvereinbarungen kommen ihm dabei Erleichterungen zugute. Der Arbeitnehmer genügt seiner Darlegungslast in einem ersten Schritt, wenn er äußere Umstände aufzeigt, die für die Annahme sprechen, dass sich mehrere Einheiten über die gemeinsame Führung eines Betriebs unter einem einheitlichen Leitungsapparat geeinigt haben.

(2) Unstreitig ist der disziplinarische Vorgesetzte des Klägers Mitarbeiter am Standort in Erlangen. Aus dem Anweisungsschreiben vom 25.06.2019 ist zudem ersichtlich, dass der Standort A als „Abteilung D “ geführt wird. Dies allein reicht allerdings nicht aus, um einen gemeinsamen Betrieb zu begründen.

Von einem gemeinsamen Betrieb ist auszugehen, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird (vgl. BAG vom 09.06.2011 – 6 AZR 132/10; BAG vom 24.01.1996 – 7 ABR 10/95; BAG vom 14.12.1994 – 7 ABR 26/94). Dazu müssen sich die beteiligten Unternehmen zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben.

Diese einheitliche Leitung muss sich auf die wesentlichen Funktionen eines Arbeitgebers in sozialen und personellen Angelegenheiten erstrecken. Die den Betrieb konstituierende Leitungsmacht wird dadurch bestimmt, dass der E. der Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung im Wesentlichen selbständig ausgeübt wird, wo mithin über Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen entschieden wird und in welcher Weise Einstellungen, Entlassungen und Versetzungen vorgenommen werden (vgl. BAG vom 31.05.2007 – 2 AZR 276/06; BAG vom 03.06.2004 – 2 AZR 386/03) .

(3) Zwar war der Mitarbeiter E. aus G vorliegend disziplinarischer Vorgesetzter des Klägers und konnte auch über den Einsatz des Klägers bestimmen. Die weiteren Arbeitgeberfunktionen wurden jedoch nicht von ihm direkt ausgeübt. So hat er die Abmahnungen auf Geschäftspapier der Mitarbeiterin K. aus J (mit) unterschrieben und nicht wie üblich auf Geschäftspapier des Standortes G in eigenem Namen. Auch hat er nicht den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung angehört oder die Kündigung ausgesprochen. Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob er selbst (auch) kündigungsbefugt war. Die Beklagte hat vorgetragen, der Mitarbeiter E. sei völlig zufällig in G angesiedelt. Allein dort unterhalte sie – die Beklagte – vier selbständige Betriebe. Der Kläger hat dagegen keinerlei Sachvortrag zu äußeren Umständen eines einheitlichen Leitungsapparates in G im Sinne eines Betriebes vorgetragen.

dd) Daraus folgt jedoch nicht etwa, wie die Beklagte annimmt, dass das KSchG keine Anwendung findet. Denn aus den unstreitigen Darlegungen der Parteien stellt der D in A gerade keinen selbständigen Betrieb (mehr) da.

Es kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass bis Ende 2017 am Standort A ein derartiger Betrieb mit eigenständigem Leitungsapparat bestand. Hierfür spricht, dass der Kläger seine Abmahnungen in der Vergangenheit von A aus erhalten hat. Dieser Betrieb ist jedoch im Wege des § 613a BGB mit dem 01.10.2017 auf die C GmbH übergegangen. Der Kläger hat dem Betriebsübergang widersprochen und ist somit im Unternehmen der Beklagten – im D – verblieben. Die Kammer hatte bereits Zweifel daran, dass unmittelbar nach den Widersprüchen mit den insgesamt acht widersprechenden Arbeitnehmern noch eine rechtliche selbständige Einheit vorlag. Auf die rechtliche Stellung des D zu diesem Zeitpunkt kommt es jedoch auch nicht an. Vielmehr ist die Lage zum Zugangszeitpunkt der Kündigung zu beurteilen. Zu diesem Zeitpunkt bestand der „D“ noch aus vier einzelnen Mitarbeitern. Die Beklagte hatte sich nicht entschlossen, den D zeitnah stillzulegen. Sie hatte ihn vielmehr über Monate hinaus fortgeführt. Dies geschah – wie sich aus dem unstreitigen Sachvortrag der Parteien ergibt – jedoch nicht unter einer „eigenen“ Führung, sondern von J aus (s.o.).

Einzelne Standorte sind nur dann als vom KSchG ausgenommene Kleinbetriebe anzusehen, wenn sie selbständige Betriebe sind (vgl. BAG vom 26.08.1971 – 2 AZR 233/07). Die Einheit der Organisation im Sinne eines selbständigen Betriebes ist jedoch nur dann zu bejahen, wenn ein einheitlicher Leitungsapparat vorhanden ist, der die Gesamtheit der für die Erreichung des arbeitstechnischen Gesamtzweckes eingesetzten Mittel lenkt (vgl. BAG vom 31.05.2007 – 2 AZR 276/06; BAG vom 26.08.1971 – 2 AZR 233/70). Dies ist beim D unstreitig nicht der Fall.

Auch ein Hauptbetrieb und eine räumlich weit entfernte Betriebsstätte i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG können einen Betrieb i.S.d. § 23 KSchG bilden. Im Unterschied zu § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG differenziert § 23 KSchG nicht zwischen Betrieben und räumlich entfernten Betriebsteilen, die als selbstständige Betriebe im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes gelten. Die räumliche Einheit ist kündigungsschutzrechtlich kein entscheidendes Abgrenzungsmerkmal, weil es wesentlich auf die Leitung des Betriebs ankommt, der es obliegt, die Einzelheiten der arbeitstechnischen Zwecksetzung zu regeln (vgl. BAG vom 28.10.2010 – 2 AZR 392/08; BAG vom 03.06.2004 – 2 AZR 577/03).

So sind einheitlich und zentral gelenkte Verkaufsstellen, in denen jeweils nur wenige Arbeitnehmer beschäftigt sind, deshalb in ihrer Gesamtheit als ein „Betrieb“ im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes anzusehen (vgl. BAG vom 28.10.2010 – 2 AZR 392/08; BAG vom 26.08.1971 – 2 AZR 233/70).

Die Beklagte hat selbst vorgetragen, dass die unterschiedlichen D, die aus Widersprüchlern gegen einen Betriebsübergang bestehen, deutschlandweit einheitlich und zentral verwaltet werden. Selbst definiert sie auch den Betriebszweck, indem sie vorträgt, dies sei die Vermittlung der in den D geführten Mitarbeiter bzw. die Auslösung aus den D durch Versetzung, Änderungskündigung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dies ist allerdings nicht Betriebszweck eines jeden D, sondern vielmehr einheitlicher Zweck des von J aus geführten einheitlichen Betriebs.

Der Kläger hat unbestritten vorgetragen, dass die Beklagte ca. 10 D mit insgesamt ca. 140 Mitarbeitern unterhält.

Damit ist der Schwellenwert des § 23 KSchG überschritten.

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem von der Beklagten zitierten Urteil des BAG vom 21.03.1996 – 2 AZR 559/95. Zunächst ist festzuhalten, dass hier über die Frage der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates im Rahmen des § 102 BetrVG entschieden wurde. Der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff ist jedoch gerade nicht deckungsgleich mit dem kündigungsschutzrechtlichen (vgl. BAG vom 31.05.2007 – 2 AZR 276/06). Hinzu kommt, dass zwar ein Zustand eintreten kann, in dem für einen einem Betriebsübergang widersprechender Arbeitnehmer in Ermangelung einer arbeitgeberseitigen Zuordnung kein Betriebsrat zuständig ist. Der Arbeitnehmer kann jedoch durch den Widerspruch nicht „betriebslos“ werden. Stellt der D keinen eigenständigen Betrieb dar, ist er notwendigerweise dort zu verorten, wo die Leitungsbefugnis angelegt ist. Diese Ansicht teilt auch das BAG in der zitierten Entscheidung. Obwohl es den dortigen Kläger als „keinem der Betriebe des Unternehmens angehörig“ angesehen hat, hat es die dort streitgegenständliche Kündigung an den Maßstäben des § 1 KSchG bewertet. Damit hat es das KSchG für anwendbar erachtet und nicht etwa den Kläger in Ermangelung einer Zuordnung als Ein-Mann-D im Sinne eines selbständigen Kleinstbetriebs nach § 23 KSchG angesehen.

c) Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt, denn der Beklagten steht insbesondere kein verhaltensbedingter Kündigungsgrund i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG zur Seite.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass die streitgegenständlichen Umstände nicht ausreichen, die Schwelle eines dringenden Verdachts der Tat oder gar des Tatnachweises selbst zu überschreiten (vgl. o.).

3. Auch der Weiterbeschäftigungsantrag ist begründet. Aufgrund des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag steht dem Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gegen die Beklagte ein Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung zu den zuletzt gültigen Arbeitsbedingungen nach Maßgabe der Grundsätze der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG GS vom 27.02.1985 – GS 1/84) zu. Nach Erlass des vorliegenden Urteils, das mit dem Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der Kündigung feststellt, überwiegt das Beschäftigungsinteresse des Klägers. Entgegenstehende überwiegende Interessen wiederum hat die Beklagte nicht dargelegt.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, da sie mit dem Rechtsmittel unterlegen ist.

IV. Gründe für die Zulassung der Revision i.S.d. § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben. Keine der entscheidungserheblichen Rechtsfragen hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfragen berühren auch nicht wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit. Ferner lagen keine Gründe vor, die die Zulassung wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung eines der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG angesprochenen Gerichte rechtfertigen würde.

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