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Krankheitsbedingte Arbeitnehmerkündigung – negative Gesundheitsprognose

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 11 Sa 1072/15 – Urteil vom 04.05.2016

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 08.10.2015 – 2 Ca 788/14 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Der am 1969 geborene Kläger, verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet, ist seit dem September 1985 bei der Beklagten, die eine Stahlgießerei mit etwa 220 Arbeitnehmern betreibt, beschäftigt.

Der Kläger fehlte krankheitsbedingt im Jahre 2010 an 38 Arbeitstagen, 2011 an 37 Arbeitstagen, 2012 und 2013 an jeweils 62 Arbeitstagen. Die Beklagte leistete 2010 2011 für alle krankheitsbedingten Fehltage, 2012 für 53 Arbeitstage und im Jahre 2013 für 27 Arbeitstage Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Hinsichtlich der Art und Dauer der einzelnen Erkrankungen im Zeitraum 12.01.2010 bis 02.08.2013 wird auf die zu den Akten eingereichte Auskunft der Krankenversicherung (Bl. 76 f. d. A.) verwiesen.

Nach Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 04.02.2014 (Bl. 48 ff. d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis unter dem „12.02.2013“ schriftlich zum 30.09.2014 (Bl. 9 d. A.). Die Kündigung ist dem Kläger am 12.02.2014 zugegangen. Für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist haben die Parteien schriftlich (Bl. 312 f. d. A.) eine Prozessbeschäftigung vereinbart.

Die Kündigungsschutzklage des Klägers war vor dem Arbeitsgericht erfolgreich. Nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens, erstellt von Prof. Dr. med. K und Dr. med. C. E (Bl. 134 ff. d. A.), ist das Arbeitsgericht mit Urteil vom 08.10.2015 (Bl. 201 ff. d. A.) zu der Einschätzung gelangt, dass unter Zugrundelegung der Feststellungen des Sachverständigen eine negative Gesundheitsprognose nicht begründet sei. Rücken- und Ellenbogenerkrankung seien ausgeheilt. Dies gelte auch für die Erkrankung anlässlich eines häuslichen Unfalls, die zudem nur ein einmaliges Ereignis darstelle. Die übrigen Erkrankungszeiten aufgrund „Erkältung etc.“ lägen unterhalb der relevanten „6-Wochen-Marke“. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens sowie der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das ihr am 05.11.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13.11.2015 Berufung eingelegt und diese am 05.01.2016 begründet.

Die Beklagte meint, aufgrund des Umfangs, der Häufigkeit, der Stetigkeit sowie der Erkrankungsursachen sei von einem allgemein schlechten Gesundheitszustand des Klägers auszugehen. Der Kläger sei aufgrund der diagnostizierten chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) wiederholt an den Atemwegen arbeitsunfähig erkrankt, seine Erkrankungen an der Wirbelsäule seien gehäuft aufgetreten. Das arbeitsmedizinische Gutachten habe lediglich festgestellt, dass sämtliche akuten Erkrankungszustände ausgeheilt seien.

Die Beklagte beantragt, auf die eingelegte Berufung hin, für Recht zu erkennen: Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 08.10.2015, gerichtliches Aktenzeichen: 2 Ca 788/14, kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung des Arbeitsgerichts. Die Annahme einer negativen Gesundheitsprognose werde auch durch die Fehlzeitenentwicklung seit August 2014 widerlegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 05.01.2016 und 10.02.2016, die Sitzungsniederschrift vom 04.05.2016 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG ordnungsgemäß eingelegt und begründet.

II. Die Berufung ist unbegründet, denn das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung, auf die Bezug genommen wird, festgestellt, dass eine negative Gesundheitsprognose für künftige krankheitsbedingte Fehlzeiten in relevantem Umfang nicht gestellt werden kann. Die am 12.02.2014 zugestellte Kündigung zum 30.09.2014 erweist sich daher als nicht sozial gerechtfertigt, denn es liegen keine hinreichende Gründe in der Person des Klägers vor, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb der beklagten entgegen stehen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG). Die Berufungsbegründung rechtfertigt keine Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts.

1. Das Arbeitsgericht ist zutreffend von den Grundsätzen ausgegangen, die das Bundesarbeitsgericht zur Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen entwickelt hat. Bei häufigen (Kurz-)Erkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst auf der ersten Stufe eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes – zweite Stufe – festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen. Im Rahmen der auf der dritten Stufe vorzunehmenden Interessenabwägung ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt (BAG, Urteil vom 20.11.2014- 2 AZR 755/13 – m.w.N.).

2. Einer negativen Prognose steht nicht zwingend entgegen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhen. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch aufgrund der Häufigkeit auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert. Das gilt auch dann, wenn einzelne Erkrankungen – etwa Erkältungen – ausgeheilt sind. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stellt die generelle Anfälligkeit nicht infrage. Anders verhält es sich mit Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen. Sie lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung ebenso wenig zu wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (z.B. eine Operation) ergriffen wurden (BAG, Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 -, BAG, Urteil vom 20.11.2005 – 2 AZR 44/05 -).

3. Nach den überzeugenden, in dem arbeitsmedizinischen Gutachten vom 04.05.2015 niedergelegten Feststellungen der Sachverständigen Prof. Dr. med. K und Dr. med. C. E , deren Fach- und Sachkunde nicht zweifelhaft ist, scheidet die Erkrankung am Ellenbogengelenk als Anhaltspunkt für eine besondere Krankheitsanfälligkeit des Klägers aus, weil sie nach einer operativen Therapie folgenlos ausgeheilt ist. Auch seine wiederholten Rückenbeschwerden der Vergangenheit können entgegen der Argumentation der Beklagten nicht für die Annahme einer generellen Anfälligkeit für Erkrankungen im Bewegungsapparat herangezogen werden, denn die Sachverständigen haben ausdrücklich festgestellt, dass sich in Bezug auf den Bewegungsapparat keine anhaltenden funktionellen Beeinträchtigungen oder Schmerzsyndrome erkennen lassen, vielmehr von einer folgenlosen Ausheilung der bisherigen Beschwerden auszugehen sei. Geeignet für eine negative Gesundheitsprognose ist hingegen dem Grunde nach die chronische COPD. Funktionsanalytisch ergeben sich Hinweise auf ein leichtgradiges Lungenemphysem. Allerdings besteht insoweit seit dem Oktober 2013 eine bronchienwirksame Medikation. Seit Beginn der Medikation sind krankheitsbedingte Fehlzeiten, die auf Erkrankungen der Atemwege beruhen, nicht feststellbar, was für eine erfolgreiche Behandlung spricht. Anhaltspunkte für eine weiter bestehende besondere Krankheitsanfälligkeit im Bereich der Atemwege trotz Medikation bestehen nicht. Hinsichtlich der weiteren Krankheitsbilder seit dem Jahre 2010 hat die Beklagte keine besondere Anfälligkeit des Klägers dargetan, eine solche ist auch nicht ersichtlich. Die Verletzung in der Zeit vom 12.01.2010 bis 23.01.2010 basiert auf einem einmaligen Ereignis, einem Arbeitsunfall. Eine Erkrankung des Darmtraktes lässt sich lediglich für das Jahre 2010 (März 2010 und August 2010) für insgesamt 5 Arbeitstage feststellen. Psychologische Beeinträchtigungen mit Krankheitswert traten auch nicht besonders häufig auf, sondern lediglich zweimal (August 2010 und 23.08.2011 bis 02.09.2011) im Umfang von insgesamt 19 Arbeitstagen. Die Fehlzeiten im Mai und Juni 2012 basierten auf einem unfallbedingten Rippenbruch. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Annahme des Arbeitsgerichts über die fehlende negative Gesundheitsprognose auch durch den weiteren Krankheitsverlauf nach Beginn des Prozessarbeitsverhältnisses bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht bestätigt wird. Der Kläger war in den1 ½ Jahren nach Bekunden des Geschäftsführers der Beklagten im Termin lediglich ein Woche wegen eines Infekts arbeitsunfähig erkrankt.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

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