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Krankheitsbedingte Kündigung – gleichgestellter Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 3 SGB IX

Beurteilung eines komplizierten Arbeitsrechtsfalls: Kündigung aufgrund von Krankheit unter Bezugnahme von § 2 Abs. 3 SGB IX

Der hier aufgeführte Fall befasst sich mit einer krankheitsbedingten Kündigung. Die Mitarbeiterin leidet unter gesundheitlichen Problemen, die sie daran hindern, ihre Aufgaben zu erfüllen, und wurde folglich nach intensiver Auseinandersetzung mit gesundheitlichen und rechtlichen Fragen entlassen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 8 Sa 60/23 >>>

Das Wichtigste in Kürze


  1. Negative Gesundheitsprognose: Laut dem Urteil ist eine negative Gesundheitsprognose gegeben, wenn der Arbeitnehmer künftig ausfällt und seine Arbeitsleistung nicht erbringen kann.
  2. Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen: Die prognostizierten Fehlzeiten müssen zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen.
  3. Fehlen angemessener milderer Mittel: Die Kündigung ist nur dann gerechtfertigt, wenn keine angemessenen milderer Mittel zur Vermeidung künftiger Fehlzeiten wie Umgestaltung des Arbeitsbereichs oder Weiterbeschäftigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz vorhanden sind.
  4. Verpflichtung des Arbeitgebers: Der Arbeitgeber ist verpflichtet, einen leidensgerechten Arbeitsplatz durch Ausübung seines Direktionsrechts „frei zu machen“.
  5. Freie Stelle zu besetzen: Der Arbeitgeber darf eine freie Stelle nicht erst besetzen und danach eine kündigungsbedingte Fehlzeit aussprechen.
  6. Milderung der Beendigungskündigung: Der Arbeitgeber ist verpflichtet, mildere Mittel vor dem Ausspruch einer Beendigungskündigung auszuschöpfen. Wenn eine solche Zuweisung nicht vom Direktionsrecht erfasst wird, wäre der Ausspruch einer Änderungskündigung ein vorrangiges milderes Mittel.

Krankheitsbedingte Einschränkungen und Arbeitsbelastung

Die Mitarbeiterin leidet unter erheblichen gesundheitlichen Problemen, einschließlich Arthrose in mehreren Bandscheiben und mehreren Bandscheibenvorfällen, die mit Depressionen einhergehen. Diese im Laufe der Zeit verschlechternden Beschwerden hatten dazu geführt, dass sie ihre Arbeit nicht mehr in vollem Umfang erfüllen konnte. Es wurde vorgeschlagen, dass nur noch sitzende Tätigkeiten für sie in Frage kommen, woraufhin ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) initiiert wurde.

Diskrepanz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Die Firma hielt die Kündigung für gerechtfertigt und hatte argumentiert, dass die Mitarbeiterin ihre vertraglichen Pflichten nicht mehr erfüllen könnte. Sie stellte fest, dass die von der Mitarbeiterin angeführten leichteren Tätigkeiten nur einen kleinen Teil des Arbeitstages ausmachen würden, weshalb sie sie nicht entlasten könnten. Darüber hinaus behauptete die Firma, dass eine Umorganisation unmöglich sei, da sie Bürokräfte ausschließlich am Hauptstandort beschäftigt und dass es zum Zeitpunkt der Kündigung keine freien Stellen gegeben habe.

Rechtliche Betrachtung und Folgen

Nach Beurteilung der Sachlage stellte das Gericht fest, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten der Mitarbeiterin zweifellos zu erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen geführt haben. Jedoch wurde auch bestätigt, dass der Arbeitgeber dazu verpflichtet ist, die Möglichkeit der Umgestaltung des Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers an einem anderen Arbeitsplatz, in Betracht zu ziehen. Das Gericht bemerkte, dass ein freier Arbeitsplatz im Bereich der Buchhaltung existierte, der jedoch von der Firma anderweitig besetzt wurde.

Im Schlussteil dieser Fallbeurteilung hat sich gezeigt, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, eine leidensgerechte Beschäftigung anzubieten und nicht einfach eine Kündigung auszusprechen, wenn alternative Beschäftigungsmöglichkeiten existieren. Das Gericht stellte fest, dass die Kündigung ungerechtfertigt war, da die Mitarbeiterin auf die freigewordene Stelle hätte versetzt werden können. Dies zeigt, dass das Arbeitsrecht den Schutz der Arbeitnehmer in den Vordergrund stellt und ernsthafte gesundheitliche Probleme als wichtige berücksichtigenswerte Faktoren in der Urteilsfindung zu sehen sind.

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Gleichgestellter Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 3 SGB IX – kurz erklärt


Gemäß § 2 Absatz 3 SGB IX können Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 30, aber weniger als 50 auf Antrag der Agentur für Arbeit schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden.

Durch die Gleichstellung erhalten diese Personen grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten wie schwerbehinderte Menschen, zum Beispiel:

  • Besonderer Kündigungsschutz
  • Bevorzugte Einstellung und Berufsförderung
  • Urlaubs- und Arbeitszeitregelungen
  • Betriebliche Zusatzleistungen

Ein wichtiger Unterschied ist allerdings, dass gleichgestellte Behinderte keinen Anspruch auf den Zusatzurlaub von 5 Tagen haben (§ 151 Abs. 3 SGB IX).


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 8 Sa 60/23 – Urteil vom 04.07.2023

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 02.03.2023, Az. 2 Ca 2174/22, wird zurückgewiesen.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 02.03.2023, Az. 2 Ca 2174/22, wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 40% und die Beklagte zu 60%.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung sowie Annahmeverzugslohnansprüche.

Die Klägerin wurde mit Arbeitsvertrag vom 30.10.1985 mit Wirkung ab 04.11.1985 von der C. Handelsgesellschaft L. oHG B. H. (einer Rechtsvorvorgängerin der Beklagten) als Verkäuferin/Kassiererin mit einfacher Tätigkeit in der Filiale H.-G. eingestellt. In diesem Arbeitsvertrag heißt es u. a.:

„8. Der Firma bleibt es vorbehalten, dem Mitarbeiter eine anderweitige, den Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende zumutbare Tätigkeit zuzuweisen. Darunter ist insbesondere auch die Versetzung in einen anderen Markt zu verstehen.

13.  Soweit in diesem Vertrag keine besonderen Vereinbarungen getroffen werden, gelten gesetzliche und die jeweils gültigen tarifvertraglichen Vorschriften … Der Mitarbeiter bestätigt, dass er die in der Anlage beigefügten Vereinbarungen des gültigen Manteltarifvertrages zur Kenntnis genommen hat.“

Das Arbeitsverhältnis wurde auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 02.04.1992 mit der C. und Co. oHG fortgeführt, wobei die Klägerin nunmehr ab 01.04.1991 in der Filiale H.-G. die Position der Marktleiter-Assistentin bekleidete. Die vorzitierten Regelungen zu Ziffer 8 und 13 des ersten Arbeitsvertrages finden sich im zweiten Arbeitsvertrag wortidentisch unter Ziffer 8 und 14. In der Folgezeit kam es zu einem Betriebsübergang auf die jetzige Beklagte, bei der die Klägerin ab 01.11.2021 wieder als Verkäuferin beschäftigt wurde, zuletzt zu einer Bruttomonatsvergütung von 1.952 Euro. Bei der Beklagten, die mehr als 10 Arbeitnehmer iSv § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt, sind weder ein Betriebsrat noch eine Schwerbehindertenvertretung gebildet. Die Klägerin ist seit dem Jahr 2017 mit einem Grad der Behinderung von 30 eingestuft und wurde mit Bescheid vom 03.07.2018 gem. § 2 Abs. 3 SGB IX einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Nachdem sie in den Jahren 2019 und 2020 jeweils an 13 Tagen arbeitsunfähig erkrankt war, fehlte sie vom 06.01.2021 bis 10.09.2022 durchgehend wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bzw. Kuraufenthalten (06. – 23.04.2021 und 27.07. – 17.08.2021). Im Februar 2021 führte der Personalleiter der Beklagten, Herr G., mit ihr ein Erstgespräch im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements. Darin gab die Klägerin an, sie habe bereits seit zwei Jahren Probleme mit mehreren Halswirbeln, dem Spinalkanal, einer Arthrose in den Bandscheiben und habe schon mehrere Bandscheibenvorfälle gehabt, zu denen dann noch eine Depression gekommen sei. Sie könne weder Schließ- noch ständigen Kassendienst – auch nicht an Stehkassen – leisten, ebensowenig Tätigkeiten in der Tiefkühl- und Molkereiabteilung, da ihr Kälte aufgrund einer Krankheit (Kälteurtikaria) sowie eines Schilddrüsenproblems nicht guttue. Sie äußerte den Wunsch nach einer Weiterbildung im Bürobereich, die die Rentenversicherung auch zahlen werde. Herr G. lehnte ab mit der Begründung, dies gebe es im Unternehmen nicht.

In der sozialmedizinischen Beurteilung der Klägerin durch die Kurparkklinik Dr. L. GmbH vom 12.08.2021 (Anlage B3, Bl. 58 d.A.) heißt es, die Klägerin werde arbeitsunfähig entlassen, ihre bisherige Arbeitsstelle sei ihr nicht mehr zumutbar, sondern eine berufliche Umorientierung zwingend erforderlich. Ihre Belastbarkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt wird für leichte körperliche Tätigkeiten und unter Berücksichtigung im einzelnen aufgeführter Einschränkungen mit über 6 Stunden angegeben. Im Anschluss an diesen Kuraufenthalt kam es zu einem weiteren Gespräch der Klägerin mit Herrn G., in dem sie ihm die vorgenannte sozialmedizinische Beurteilung übergab und erklärte, sie stelle sich vor, künftig leichte Tätigkeiten im Markt durchzuführen wie Obst- und Gemüse-Convenience, SB Brot, Donuts, Bio Barth oder Etikettenstecken. Herr G. erklärte, er glaube nicht, dass der Markt so umorganisiert werden könne, zumal die genannten Arbeiten häufig parallel zu erledigen seien und nicht in Reihe geschaltet werden könnten. Auf seine Anregung stellte sich die Klägerin am 13.09.2021 dem Betriebsarzt Dr. H. vor, der am 16.09.2021 u. a. folgendes bescheinigte:

„Derzeit ist Frau A. noch arbeitsunfähig erkrankt. Wenn eine Stabilisierung des Gesundheitszustandes eintritt, ist eine Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell zu empfehlen, wobei an den Arbeitsplatz folgende Anforderungen zu stellen sind:

  • Kein Heben über 10 kg
  • Kein Arbeiten mit Zwangshaltung
  • Keine gebückte Haltung
  • Keine Überkopfarbeiten
  • Keine größeren Gehstrecken
  • Keine einseitigen Haltungen bei der Arbeit
  • Keine Erschütterungen bei der Arbeit

Ich halte es für schwierig, einen Arbeitsplatz in einem C. Markt im Verkauf zu finden, der diese Anforderungen erfüllt, sodass nur eine sitzende Tätigkeit (Bürotätigkeit) in Frage kommt. Aus diesem Grunde sollte man, wenn die Wiedereingliederung geplant ist, ein BEM … durchführen, um die Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell an einem Arbeitsplatz durchzuführen, an dem diese Wiedereingliederung erfolgsversprechend ist.“

Am 21.09.2021 wurde von “ C.“ eine Stelle als kaufmännischer Sachbearbeiter Schwerpunkt Buchhaltung für K. ausgeschrieben. Am 29.09.2021 schrieb die Beklagte eine Stelle als Bürokauffrau/-mann für ihre Verwaltung in C-Stadt aus. Auf diese zweite Anzeige sprach die Klägerin Herrn G. Ende September oder Anfang Oktober an, worauf Herr G. ihr erklärte, sie könne sich auf die Stelle bewerben, wenn sie wolle, die Stelle sei allerdings zeitlich nur begrenzt, womit ihr nicht geholfen sei. Auf ihre Nachfrage eröffnete er ihr auch das Ergebnis der Begutachtung durch Herrn Dr. H., indem er ihr dessen Schreiben vom 16.09.2021 vorlas. Die Stelle in C-Stadt wurde von der Beklagten im Oktober 2021 mit einer anderen Arbeitskraft besetzt. Am 01.07.2022 kam es zu einem weiteren BEM-Gespräch zwischen der Klägerin und Herrn G. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Klägerin in der Schlussphase einer neunmonatigen, über die Rentenkasse finanzierten Maßnahme, in deren Rahmen sie mehrere Praktika erfolglos absolviert bzw. abgebrochen hatte. Ihre gesundheitliche Situation stellte sich im Vergleich zur betriebsärztlichen Diagnose und dem ersten BEM-Gespräch unverändert dar. Daraufhin beantragte die Beklagte am 11.07.2022 die Zustimmung des Integrationsamts zur ordentlichen Kündigung der Klägerin. Diese Zustimmung erteilte das Integrationsamt mit Bescheid vom 11.08.2022 (der hiergegen von der Klägerin am 12.09.2022 eingelegte Widerspruch wurde mit Bescheid vom 28.03.2023 zurückgewiesen). Mit Schreiben vom 30.08.2022 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.03.2023. Am 12.09.2022 erschien die Klägerin wieder im Betrieb der Beklagten, gab dort eine ärztliche Bescheinigung der Hausarztpraxis F. aus R.-B. vom selben Tage ab, in der festgestellt wird, aufgrund der Vorerkrankungen der Klägerin seien „folgende Anforderungen an den Arbeitsplatz zu stellen“ (es folgen die in der betriebsärztlichen Bescheinigung genannten Einschränkungen zuzüglich „Keine Arbeiten bei kalten Temperaturen“), und bot gleichzeitig ihre Arbeitskraft an. Nachdem sie vom Assistenten L. angewiesen worden war, Ware auszupacken, wurde sie ca. zwei Stunden später zu Herrn G. gerufen, an den ihre ärztliche Bescheinigung zwischenzeitlich weitergereicht worden war. Dieser erklärte ihr, auf Grundlage der Bescheinigung müsse er sie nach Hause schicken, da er ihr keine leidensgerechte Arbeit anbieten könne. Vor dem Hintergrund, dass sich die Klägerin im September 2022 neun Tage außerhalb der Entgeltfortzahlung befand, rechnete die Beklagte für diesen Monat lediglich einen anteiligen Bruttolohn von 1.358,73 € ab und zahlte den sich daraus ergebenden Nettobetrag von 929,80 € an sie aus. Für Oktober und November erhielt sie keine Vergütung.

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, die Kündigung sei unwirksam, da die Beklagte sie mit leidensgerechten Arbeiten hätte betrauen können und müssen. Bereits im Februar 2021 sei Ergebnis des BEM-Gesprächs gewesen, dass eine Bürotätigkeit für sie ohne weiteres in Frage komme. Gleiches ergebe sich aus der betriebsärztlichen Beurteilung von Herrn Dr. H.. Die Beklagte habe am 21. und 29.09.2021 zwei Stellen für den Bürobereich ausgeschrieben, ihr diese jedoch nicht angeboten. Unabhängig hiervon sei sie in der Lage, in der Filiale leichte Tätigkeiten (Obst- und Gemüse-Convenience, SB Brot, Donuts, Bio Barth, Etikettenstecken) auszuüben, worauf sie Herrn G. in dem BEM-Gespräch im August 2021 hingewiesen habe. Da die Beklagte das von Herrn Dr. H. bescheinigte Ergebnis – ihre Arbeitsfähigkeit für den Bürobereich – nicht umgesetzt habe, müsse sie umfassend vortragen, aus welchen Gründen ihre Weiterbeschäftigung unmöglich oder unzumutbar sein solle. Entsprechenden Vortrag habe die Beklagte indes nicht gehalten. Für die Monate September bis November 2021 begehrt die Klägerin Vergütung (nicht Annahmeverzugslohn), da sie der Beklagten ihre Arbeitskraft angeboten habe, von ihr jedoch nach Hause geschickt worden sei.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 30.08.2022 zum 31.03.2023 aufgelöst wird;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis über den 31.03.2023 hinaus ungekündigt fortbesteht;

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat September 2022 einen Betrag in Höhe von 1.952,00 EUR brutto abzüglich eines gezahlten Nettobetrags von 929,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.10.2022 zu zahlen;

4. die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat Oktober 2022 einen Betrag von brutto 1.952,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.11.2022 zu zahlen;

5. die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat November 2022 einen Betrag von brutto 1.952,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.12.2022 zu zahlen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält die Kündigung für wirksam und hat hierzu vorgetragen, die Klägerin sei unstreitig und durch betriebsärztliche Bescheinigung belegtermaßen außer Stande, ihre vertraglich geschuldete Tätigkeit noch zu erbringen. Die von der Klägerin angeführten leichteren Tätigkeiten seien Hilfskraftarbeiten, die zum einen jedenfalls teilweise parallel ausgeübt werden müssten, also nicht nacheinander geschaltet werden könnten, und zum anderen insgesamt lediglich einen Umfang von 1 – 1,5 Stunden pro Tag erreichten. Auf die beiden Stellenanzeigen vom 21. und 29.09.2021 habe sich die Klägerin nicht beworben. Hinsichtlich der Stelle in K. habe sie sogar ausdrücklich erklärt, wegen der weiten Anfahrt dort nicht arbeiten zu wollen. Im Oktober 2021 sei die Stelle besetzt worden und daher im Kündigungszeitpunkt nicht mehr frei gewesen, weshalb sie sie der Klägerin nicht mehr habe anbieten müssen. Bürokräfte würden von ihr ausschließlich in C-Stadt beschäftigt, eine Umorganisation sei nicht möglich, da die Bürokräfte ihrer Tätigkeit vertraglich zugeordnet seien und nicht in den Verkauf versetzt werden könnten. Weder zum Zeitpunkt der Kündigung noch in der Folgezeit habe es dort freie Arbeitsplätze gegeben. Zur Freikündigung eines solchen Arbeitsplatzes sei sie nicht verpflichtet, ebenso wenig zur Schaffung eines entsprechenden neuen Arbeitsplatzes. Vergütungsansprüche stünden der Klägerin nicht zu, da sie mit ihrer vertraglich geschuldeten Tätigkeit dauerhaft arbeitsunfähig sei. Vor diesem Hintergrund habe sie den Betrieb am 12.09.2022, nachdem man ihr keine leidensgerechte Tätigkeit habe anbieten können, auch umgehend wieder verlassen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 02.03.2023 dem Kündigungsschutzantrag stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es spreche viel dafür, dass die Klägerin bereits nach § 15 Abs. 5 MTV Einzelhandel Rheinland-Pfalz ordentlich unkündbar sei, da sie die Tatbestandsvoraussetzungen der genannten Norm iVm Protokollnotiz Nr. 2 erfülle, die einschlägigen Tarifregelungen im örtlichen Einzelhandel arbeitsvertraglich in Bezug genommen seien und der MTV Einzelhandel Rheinland-Pfalz in seiner Fassung bis zum 31.12.1999 für allgemeinverbindlich erklärt worden sei, was wenigstens günstigkeitsgemäß auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nachgewirkt habe.

Jedenfalls sei die ordentliche Kündigung nicht sozial gerechtfertigt gewesen. Die Klägerin habe bereits im Februar 2021 im Erstgespräch zum betrieblichen Eingliederungsmanagement ihren Wunsch für eine perspektivische Bürotätigkeit eingebracht. Die Beklagte habe nicht plausibel begründet, warum sie dieses Interesse nicht aufgegriffen habe. Unmissverständliches Ergebnis spätestens der betriebsärztlichen Empfehlung sei gewesen, der Klägerin baldmöglichst eine Wiedereingliederung im Bürotätigkeitsumfeld nach dem Hamburger Modell einzuräumen. Zu dieser Zeit habe die Beklagte unstreitig über wenigstens zwei mittelfristig freie Bürostellen verfügt. Da die Klägerin im Rahmen der Rentenkassenmaßnahmen mehrere Büropraktika absolviert habe, könne unterstellt werden, dass sie einer Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell körperlich gewachsen gewesen wäre. Aufgrund ihrer langjährigen Betriebszugehörigkeit habe sie von der Beklagten eine gesteigerte Rücksichtnahme auf ihre Befindlichkeit erwarten dürfen. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, in der Zwischenzeit bis zur Kündigung im Bürobereich vorhandene Arbeitskapazitäten anderweitig an weniger schutzwürdiges Personal vergeben zu haben (§ 162 BGB), insbesondere, da sie im Rahmen des letzten BEM-Gesprächs vom 01.07.2022 nochmals von den absolvierten Büropraktika der Klägerin erfahren habe. Daher habe sie das Verfahren nach § 167 Abs. 2 SGB IX nicht einseitig abschließen können, ohne die betriebsärztliche Empfehlung zur wiedereingliederungsgemäßen Bürotätigkeit im Einvernehmen mit der Klägerin auszuloten.

Die Vergütungsklagen seien unzulässig, da unerfindlich sei, was an Entgelttatbeständen hätte geprüft und ggf. zugesprochen werden sollen. In Bezug auf September 2022 habe bis zum Monatszehnten Arbeitsunfähigkeit bestanden, Leistungen nach §§ 3, 4 EFZG hätten im einheitlichen Verhinderungszusammenhang nicht anfallen können. Bei Leistungsklagen auf Zahlung zeitabschnittsweiser Vergütung sei zu erläutern, für welche Zeitabschnitte Vergütung in welchem Umfang weshalb verlangt werde. Annahmeverzugslohn beanspruche die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag ausdrücklich nicht, lege zur Begründung eines Vergütungsanspruchs allerdings lediglich dar, nach einem unergiebigen Arbeitsantritt im September 2022 wieder nach Hause geschickt worden zu sein und keine Arbeit mehr erbracht zu haben. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils (Bl. 148 ff. d.A.) Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 08.03.2023 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit beim Landarbeitsgericht am Dienstag, den 11.04.2023, eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage (der 10.04. war Ostermontag) Berufung eingelegt und diese mit beim Landesarbeitsgericht am 22.05.2023 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage innerhalb verlängerter Frist begründet. Zur Begründung führt sie nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 22.05.2023 (Bl. 263 ff. d.A.), auf den ergänzend Bezug genommen wird, aus, in Anbetracht dessen, dass sie sich im September 2022 neun Tage außerhalb der Lohnfortzahlung befunden habe, habe die Beklagte die anteilige Vergütung zutreffend berechnet und an sie ausgezahlt, weshalb sie für diesen Monat keine Vergütungsansprüche mehr geltend mache und das Urteil des Arbeitsgerichts insoweit nicht angreife. Für Oktober und November 2022 schulde die Beklagte jedoch Arbeitsvergütung, da sie in dieser Zeit nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und der Beklagten ihre Arbeitskraft bereits am 12.09.2022 angeboten habe. Hätte die Beklagte ihr einen leidensgerechten Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt, wäre ihr Arbeitsantritt nicht unergiebig gewesen. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts sei widersprüchlich, da es einerseits ausführe, ihr sei ein leidensgerechter Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen, andererseits aber Vergütungsansprüche mit dem Argument abweise, sie sei nach einem unergiebigen Arbeitsantritt nach Hause geschickt worden und habe keine Arbeit mehr erbracht.

Die Beklagte hat ihrerseits gegen das ihr am 08.03.2023 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts mit beim Landesarbeitsgericht am 15.03.2023 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage Berufung eingelegt und diese mit beim Landesarbeitsgericht am 21.03.2023 eingegangenem Schriftsatz vom 20.03.2023 begründet. Zur Begründung ihrer Berufung führt sie nach Maßgabe ihrer Schriftsätze vom 20.03.2023 (Bl. 176 ff. d.A), 12.04.2023 (Bl. 222 f. d.A.), 10.05.2023 (Bl. 251 f. d.A.) und 01.06.2023 (Bl. 278 ff. d.A.), auf die ergänzend Bezug genommen wird, aus, die Klägerin könne sich nicht auf eine ordentliche Unkündbarkeit nach dem MTV Einzelhandel Rheinland-Pfalz berufen. Dieser habe lediglich bis 1999 per Allgemeinverbindlichkeit gegolten. Zu dieser Zeit habe die Klägerin die Voraussetzungen für eine ordentliche Unkündbarkeit noch nicht erlangt gehabt. Damit habe sie keinen Bestandsschutz erworben, der in eine Nachwirkung hätte übergehen können. Sie (die Beklagte) sei weder Verbandsmitglied noch tarifgebunden, ihre Rechtsvorgängerin habe ebenfalls keine Tarifverträge angewendet und spätestens seit dem Betriebsübergang zum 01.12.2018 sei klargestellt, dass keine Tarifbindung bestehe. Die Kündigung sei auch nicht sozial ungerechtfertigt. Die Stellenausschreibung vom 21.09.2021 stamme nicht von ihr, sondern von der C.-Zentrale als einem anderen Unternehmen, mit dessen Stellen sie nichts zu tun und auf die sie auch keinen Zugriff habe. Die ihr durch Herrn G. im August 2021 angebotene Bürostelle in C-Stadt habe die Klägerin abgelehnt, da ihr die Fahrtstrecke zu weit sei. In den Märkten gebe es keine Bürostellen, diese stünden nur in C-Stadt zentral zur Verfügung. Das Arbeitsgericht habe ihr daher hinsichtlich der Stellenausschreibung der C.-Zentrale eine Aufgabe angetragen, die sie objektiv nicht erfüllen könne, und sich in Bezug auf die der Klägerin anzubietende Stelle in C-Stadt über die Entscheidung der Klägerin, dort nicht arbeiten zu wollen, hinweggesetzt. Sie sei auch nicht verpflichtet, der Klägerin ggf. durch Versetzung eine Bürostelle zu beschaffen, da sie dann einen der Büroangestellten hätte (änderungs-/)kündigen müssen, weil die Verträge der Büroangestellten keine Versetzungsmöglichkeit in eine Verkaufstätigkeit eröffneten. Darauf habe die Klägerin keinen Anspruch. Da zum Zeitpunkt der Kündigung keine Bürostelle frei gewesen sei, habe es die Möglichkeit einer Änderungskündigung gegenüber der Klägerin nicht gegeben.

Zur Berufung der Klägerin trägt die Beklagte nach Maßgabe ihres Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 01.06.2023 (Bl. 278 ff. d.A.), auf den ergänzend Bezug genommen wird, vor, es gebe keinen Grund, die Monate Oktober und November 2022 zu vergüten, da die Klägerin ihre Arbeit nicht ordnungsgemäß angeboten, sondern die ihr angebotene Arbeit im Markt abgelehnt habe und nach Hause gegangen sei.

Die Klägerin trägt ihrerseits zur Berufung der Beklagten nach Maßgabe ihres Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 22.05.2023 (Bl. 255 ff. d.A.), auf den ergänzend Bezug genommen wird, vor, sie sei gem. § 15 Abs. 5 MTV Einzelhandel Rheinland-Pfalz nicht mehr ordentlich kündbar gewesen, da der vorgenannte Manteltarifvertrag bis 31.12.1999 allgemeinverbindlich gewesen sei und aus Günstigkeitsgründen in ihrem Arbeitsverhältnis nachwirke. Ziffer 13 ihres ersten sowie Ziffer 14 ihres zweiten Arbeitsvertrages verwiesen auf die jeweils gültigen tarifvertraglichen Bestimmungen. Die jedenfalls statische Fortwirkung des Manteltarifvertrages sei in der Folgezeit durch die Beklagte nicht in für sie nachteiliger Weise geändert worden. Unabhängig hiervon sei die Kündigung sozial ungerechtfertigt. Die Beklagte habe ihr im August 2021 mitgeteilt, den Markt nicht so umorganisieren zu können, dass es zu ihren gesundheitlichen Einschränkungen passe. Eine Bürotätigkeit in K. sei ihr nicht angeboten worden, daher habe sie eine solche auch nicht abgelehnt. Im Hinblick auf die von ihr im Markt bei der Beklagten ausführbaren Tätigkeiten wie etwa das Pflegen der Obst-/Gemüse-Convenienceabteilung, SB Brot, Donuts, Bio Barth oder das Ettikettenstecken in den Regalen habe die Beklagte nicht geprüft, ob ihr diesbezüglich ein leidensgerechter Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

I.

Die nach § 64 Abs. 1 u. 2 lit. c) ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gem. § 66 Abs. 1, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

Die Berufung ist jedoch in der Sache nicht erfolgreich. Das Arbeitsgericht hat die streitgegenständliche Kündigung zurecht als unwirksam erachtet.

1. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt iSv § 1 Abs. 2 KSchG und damit nach § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam.

a) Die Beklagte stützt ihre Kündigung auf personenbedingte Gründe, nämlich eine seit dem 06.01.2021 bestehende dauerhafte krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit der Klägerin. Die materiell-rechtliche Überprüfung einer krankheitsbedingten Kündigung erfolgt bei Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in drei Stufen (vgl. BAG 30.09.2010 – 2 AZR 88/09 – Rn. 11; 20.11.2014 – 2 AZR 664/13 – Rn. 13; 13.05.2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 12; 22.10.2015 – 2 AZR 550/14 – Rn. 24, juris): Auf der ersten Stufe bedarf es einer negativen Gesundheitsprognose. Diese liegt vor, wenn im Kündigungszeitpunkt aufgrund objektiver Tatsachen zu befürchten steht, dass der Arbeitnehmer auch künftig im bisherigen Umfang krankheitsbedingt ausfällt und seine geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringen kann. Sodann müssen die prognostizierten Fehlzeiten auf der zweiten Stufe zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Liegt eine solche Beeinträchtigung vor, ist auf der dritten Stufe im Rahmen einer abschließenden Interessenabwägung zu prüfen, ob die Beeinträchtigung vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden muss. Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die die Kündigung bedingen, trägt gem. § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG der Arbeitgeber.

Kann der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung wegen Krankheit auf Dauer nicht mehr erbringen, ist eine Kündigung nach dem das gesamte Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur gerechtfertigt, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung erforderlich ist (hierzu und zum Folgenden BAG 20.11.2014 – 2 AZR 664/13 – Rn. 15 mwN, juris). Zu den die Kündigung bedingenden Tatsachen gehört daher das Fehlen angemessener milderer Mittel zur Vermeidung künftiger Fehlzeiten wie insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen – leidensgerechten – Arbeitsplatz. Dies schließt die Verpflichtung des Arbeitgebers ein, einen leidensgerechten Arbeitsplatz durch Ausübung seines Direktionsrechts „frei zu machen“. Scheidet eine Umsetzungsmöglichkeit aus, kann sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch eine Änderungskündigung – und sei es mit dem Ziel einer Weiterbeschäftigung zu schlechteren Arbeitsbedingungen – als vorrangig erweisen (BAG 21.04.2005 – 2 AZR 132/04 – Rn. 28, 32; 23.04.2008 – 2 AZR 1012/06 – Rn. 28; 05.06.2008 – 2 AZR 107/07 – Rn. 15; 09.09.2010 – 2 AZR 937/08 – Rn. 39; 08.05.2014 – 2 AZR 1001/12 – Rn. 12; 13.05.2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 34, juris). Dabei ist ggf. die Pflicht des Arbeitgebers zu berücksichtigen, einem schwerbehinderten Arbeitnehmer gem. § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX eine seinen Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechende – jenachdem auch vertragsfremde – Tätigkeit zuzuweisen (BAG 22.09.2005 – 2 AZR 519/04 – Rn. 31; 15.10.2013 – 1 ABR 25/12 – Rn. 24; 20.11.2014 – 2 AZR 664/13 – Rn. 15, juris).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich die Kündigung der Beklagten als unwirksam. Die Klägerin macht zu Recht geltend, ihre leidensgerechte Weiterbeschäftigung sei der Beklagten als milderes Mittel im Vergleich zu der ausgesprochenen Beendigungskündigung möglich und zumutbar gewesen.

aa) Ihre ursprünglich und jedenfalls ab 01.11.2021 wieder vertraglich geschuldete Tätigkeit als Verkäuferin/Kassiererin mit einfacher Tätigkeit vermochte die Klägerin krankheitsbedingt nicht mehr zu erbringen. Dies ergibt sich sowohl aus ihrer sozialmedizinischen Beurteilung durch die Kurparkklinik Dr. L. GmbH vom 12.08.2021, in der es heißt, die bisherige Arbeitsstelle sei „nicht mehr zumutbar“ und eine berufliche Umorientierung „zwingend erforderlich“ (Anlage B3, Bl. 58 d.A.), wie auch aus der betriebsärztlichen Begutachtung vom 16.09.2021, in der es heißt, für die Klägerin komme „nur eine sitzende Tätigkeit (Bürotätigkeit) in Frage“ und eine Wiedereingliederung solle nach dem Hamburger Modell an einem solchen Arbeitsplatz durchgeführt werden (Anlage B2, Bl. 57 d.A.). Sämtliche in der vorgenannten Bescheinigung enthaltenen Einschränkungen für eine der Klägerin mögliche Tätigkeit ergeben sich in gleicher – sogar noch ergänzter – Weise aus der ärztlichen Bescheinigung der Hausarztpraxis F. vom 12.09.2022. Die danach für sie in Frage kommende Bürotätigkeit war unstreitig bereits im Erstgespräch des BEM-Verfahrens mit der Beklagten im Februar 2021 Thema, als die Klägerin – von der Beklagten im Rahmen des Verfahrens vor dem Integrationsamt ausdrücklich bestätigt (Bl. 108 d.A.) – den Wunsch äußerte, eine von der Rentenversicherung finanzierte Weiterbildung im Bürobereich durchzuführen. Dies griff die Beklagte insoweit sogar auf, als sie der Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag im August 2021 – im Nachgang zum Kuraufenthalt der Klägerin und in Ansehung der sozialmedizinischen Beurteilung – eine freie Bürostelle in C-Stadt anbot, wenngleich verbunden mit dem Hinweis, die Stelle sei zeitlich begrenzt, da dort eine Mitarbeiterin für längere Zeit ausfalle. Für diese Tätigkeit sah die Beklagte weder eine vorherige weitere Ausbildung noch eine sonstige Schulung oder Qualifikationsmaßnahme als erforderlich an. Dies wird dadurch bestätigt, dass sie der Klägerin die Bürotätigkeit auch im Rahmen einer Prozessbeschäftigung angeboten und noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erklärt hat, diese Tätigkeit könne die Klägerin ohne weiteres ausüben.

In einem weiteren Gespräch Ende September/Anfang Oktober 2021 sprach die Klägerin den Personalleiter der Beklagten, Herrn G., unstreitig auf die Stellenausschreibung der Beklagten vom 29.09.2021 an, mit der die Beklagte seinerzeit für ihre Verwaltung in C-Stadt eine Bürokraft suchte. In diesem Gespräch war Herrn G. die betriebsärztliche Begutachtung durch Herrn Dr. H. bereits bekannt, da er sie der Klägerin auf deren Nachfrage, was Ergebnis der Begutachtung sei, nach deren unwidersprochenem Vortrag vorgelesen hat. Aus diesem Schreiben geht unmissverständlich hervor, dass Herr Dr. H. für die Klägerin ausschließlich eine Bürotätigkeit als leidensgerecht ansah und ihre Wiedereingliederung auf einem entsprechenden (also Büro-) Arbeitsplatz empfahl. Ebenso unstreitig unterblieb eine Beschäftigung der Klägerin in C-Stadt, die Beklagte besetzte die Stelle im Oktober 2021 vielmehr mit einer anderen Arbeitskraft. Obwohl der Beklagten also bereits zu diesem Zeitpunkt durch zwei ärztliche Bescheinigungen hinreichend klar sein musste, dass die Klägerin nur noch Bürotätigkeiten erbringen konnte, wies sie ihr weder im Wege ihres arbeitgeberseitigen Direktionsrechts eine Tätigkeit in C-Stadt zu noch sprach sie ihr eine Änderungskündigung aus. Anhaltspunkte für eine zu erwartende Besserung des gesundheitlichen Zustands waren weder ersichtlich noch hätte die Beklagte solche vorgetragen. Stattdessen besetzte sie die Stelle anderweitig und kündigte der Klägerin beinahe ein Jahr später, am 30.08.2022, krankheitsbedingt. Den Ausführungen des Arbeitsgerichts, dass die Klägerin angesichts zwischenzeitlich absolvierter Praktika einer solchen Tätigkeit jedenfalls im Rahmen einer Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell körperlich gewachsen gewesen sein dürfte, ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Vielmehr hat sie noch in der Berufungsverhandlung erklärt, eine Beschäftigung der Klägerin in C-Stadt sei lediglich an deren fehlender Bereitschaft, dorthin zu fahren, gescheitert. Eine Bürotätigkeit in C-Stadt war der Beklagten daher als milderes Mittel im Vergleich zur Beendigungskündigung der Klägerin möglich und zumutbar.

bb) Dem steht nicht entgegen, dass im Zeitpunkt der Kündigung in C-Stadt keine Stelle für eine Bürokauffrau vakant war, wie die Beklagte – von der Klägerin bestritten – vorträgt.

aaa) Dieser Vortrag kann zugunsten der Beklagten als wahr unterstellt werden, denn auch in diesem Fall könnte sie sich nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB nicht darauf berufen, es habe keinen freien Büroarbeitsplatz für die Klägerin gegeben. Darauf hat das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen.

(1) Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BAG 25.04.2002 – 2 AZR 260/01 – Rn. 33; 15.08.2002 – 2 AZR 195/01 – Rn. 20; 12.02.2004 – 2 AZR 307/03 – Rn. 21; 24.11.2005 – 2 AZR 514/04 – Rn. 39, juris) ist es dem Arbeitgeber nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB verwehrt, sich darauf zu berufen, im Kündigungszeitpunkt sei eine Beschäftigungsmöglichkeit nicht mehr vorhanden, wenn er diesen Wegfall selbst treuwidrig herbeigeführt hat. Besteht in dem Zeitpunkt, in dem er mit dem Wegfall des bisherigen Beschäftigungsbedürfnisses rechnen muss, eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zu gleichen oder zumutbaren geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen Arbeitsplatz, kann der Arbeitgeber diese nicht dadurch zunichtemachen und den Kündigungsschutz des Arbeitnehmers dadurch leerlaufen lassen, dass er erst die freie Stelle besetzt und danach eine Beendigungskündigung wegen fehlender Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ausspricht (BAG 10.11.1994 – 2 AZR 242/94 – Rn. 27 f.; 25.04.2002 – 2 AZR 260/01 – Rn. 33; 15.08.2002 – 2 AZR 195/01 – Rn. 20; 12.02.2004 – 2 AZR 307/03 – Rn. 21, juris). Ein treuwidriges Verhalten liegt dabei insbesondere dann vor, wenn für den Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Stellenbesetzung das Auslaufen der Beschäftigungsmöglichkeiten für den später gekündigten Arbeitnehmer bereits absehbar war (BAG 25.04.2002 – 2 AZR 260/01 – Rn. 33; 24.11.2005 – 2 AZR 514/04 – Rn. 39, juris).

(2) Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Bei der Besetzung der am 29.09.2021 für C-Stadt ausgeschriebenen Stelle als Bürokauffrau/-mann war der Beklagten sowohl durch die Gespräche mit der Klägerin wie auch durch die sozialmedizinische Beurteilung der Kurparkklinik vom 12.08.2021 wie auch durch die betriebsärztliche Begutachtung von Herrn Dr. H. vom 16.09.2021 deutlich vor Augen geführt worden, dass die Klägerin in ihrem bisherigen Arbeitsprofil krankheitsbedingt nicht mehr würde arbeiten können und insbesondere Herr Dr. H. ausschließlich eine Bürotätigkeit für sie als leistbar bezeichnete. Daher war der Beklagten klar, dass die Klägerin als Verkäuferin/Kassiererin mit einfacher Tätigkeit dauerhaft arbeitsunfähig wäre und irgendwann eine krankheitsbedingte Kündigung im Raum stünde. In deren Vorfeld hatte sie der Klägerin jedoch geeignete Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten, notfalls im Wege der Änderungskündigung, anzubieten. All dies musste ihr im Oktober 2021 bewusst sein, als sie die Stelle in K. anderweitig neu besetzte, ohne die Klägerin trotz deren ausdrücklicher Erkundigung nach besagter Stelle im Gespräch mit Herrn G. Ende September/Anfang Oktober 2021 zu berücksichtigen. Dass die Kündigung tatsächlich erst Ende August 2022 und damit 11 Monate später erfolgte, spielt keine Rolle, da sich an der Sachlage und dem diesbezüglichen Horizont der Beklagten weder etwas geändert hat noch irgendwelche Anhaltspunkte ersichtlich oder vorgetragen wären, die sie darauf hätten schließen lassen können, die Arbeitsfähigkeit der Klägerin würde in ihrem geschuldeten Arbeitsprofil (Verkäuferin/Kassiererin) wieder hergestellt (vgl. hierzu BAG 25.04.2002 – 2 AZR 260/01 – Rn. 32, das eine im Kündigungszeitpunkt bereits seit einem Jahr besetzte Stelle unter Berufung auf § 162 BGB immer noch als „frei“ iSv § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2b KSchG wertete).

Sofern das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 24.11.2005 (2 AZR 514/04 – Rn. 43) für eine Treuwidrigkeit iSv § 162 BGB verlangt, dass sich die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung dem Arbeitgeber „aufdrängen“ müsse, so ist auch diese Voraussetzung gegeben. Die Möglichkeit, die Klägerin als Bürokraft in K. zu beschäftigen, musste sich der Beklagten nach der Begutachtung durch den Betriebsarzt Dr. H. im unmittelbaren zeitlichen Vorausgang (2 Wochen), verbunden mit dem bereits im Februar seitens der Klägerin geäußerten Wunsch nach einer Bürotätigkeit nicht nur aufdrängen, sie war ihr sogar tatsächlich gewärtig. Nach ihrem eigenen Vortrag (Schriftsatz vom 20.03.2023, S. 4 letzter Abschnitt) bot sie der Klägerin eine Weiterbeschäftigung in C-Stadt ausdrücklich an.

bbb) Ihr Einwand, die Klägerin könne sich nicht auf § 162 BGB berufen, da sie die Stelle im August 2021 abgelehnt habe – was die Klägerin bestritten hat –, verfängt nicht. Auch dieser Vortrag kann zugunsten der Beklagten als wahr unterstellt werden. Gleichwohl führt er zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Bietet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vor Ausspruch einer Kündigung an, seinen Vertrag der noch bestehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit anzupassen, und lehnt der Arbeitnehmer dies ab, bleibt der Arbeitgeber gleichwohl regelmäßig dazu verpflichtet, das abgelehnte Angebot erneut im Wege der Änderungskündigung anzubieten. Eine Beendigungskündigung ist nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, er werde die geänderten Arbeitsbedingungen im Fall des Ausspruchs einer Änderungskündigung nicht, auch nicht unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung, annehmen (BAG 21.04.2005 – 2 AZR 132/04 – Rn. 34; 23.04.2008 – 2 AZR 1012/06 – Rn. 28; LAG Rheinland-Pfalz 02.04.2009 – 10 Sa 495/08 – Rn. 28, juris). Diese für Fälle betriebsbedingter Kündigungen entwickelten Grundsätze finden nach der vorzitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung in gleicher Weise bei krankheitsbedingten Kündigungen Anwendung. Stellt die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gegenüber einer Beendigungskündigung die einzige Alternative dar, so hat der Arbeitgeber sie dem Arbeitnehmer regelmäßig anzubieten, ohne dass es seine Sache wäre, sich über die Zumutbarkeit der neuen Arbeitsbedingungen für den Arbeitnehmer Gedanken zu machen (BAG 21.04.2005 – 2 AZR 132/04 – Rn. 32; LAG Rheinland-Pfalz 02.04.2009 – 10 Sa 495/08 – Rn. 29 f., juris). Es war daher Sache der Klägerin zu entscheiden, ob sie für den Fall einer Änderungskündigung zu den angebotenen neuen Arbeitsbedingungen tätig werden oder die Änderungskündigung zumindest unter Vorbehalt annehmen wollte.

ccc) Sofern man eine Bürotätigkeit in C-Stadt schon als vom Direktionsrecht der Beklagten umfasst sieht, hätte diese der Klägerin eine solche Tätigkeit zuweisen müssen, um dem Ultima-Ratio-Grundsatz zu genügen und zur Verfügung stehende mildere Mittel vor dem Ausspruch einer Beendigungskündigung auszuschöpfen. Eine solche Zuweisung ist unstreitig nicht erfolgt. Sofern man eine solche Weisung nicht als vom Direktionsrecht erfasst sieht, wäre der Ausspruch einer Änderungskündigung vorrangiges milderes Mittel gewesen. Auch eine solche hat die Beklagte unstreitig nicht ausgesprochen.

ddd) Der Vorwurf der Beklagten, das Arbeitsgericht hätte mit seiner Berufung auf § 162 BGB die Klägerin entmündigt und ihren ablehnenden Willen, in C-Stadt zu arbeiten, nicht respektiert, geht daher nicht nur ins Leere, sondern steht der vorgenannten eindeutigen höchstrichterlichen Rechtsprechung klar entgegen.

cc) Ob der Klägerin die von ihr benannten leichteren Tätigkeiten in der Filiale der Beklagten in H.-G. (Obst- und Gemüse-Convenience, SB Brot, Donuts, Bio Barth, Etikettenstecken) ebenfalls hätten angeboten werden müssen, konnte daher offenbleiben.

dd) Ebenso wenig kam es auf die Frage an, ob die Stellenausschreibung vom 21.09.2021 von der Beklagten oder der C.-Zentrale stammt, die Beklagte insoweit irgendeine Einflussnahmemöglichkeit gehabt hätte, die Klägerin auf der Stelle zu beschäftigen, und ob es sich dabei überhaupt noch um den Betrieb der Beklagten oder möglicherweise die Weiterbeschäftigung in einem anderen Unternehmen gehandelt hätte.

2. Schließlich konnte dahinstehen, ob die Klägerin nach § 15 Abs. 5 MTV Einzelhandel Rheinland-Pfalz ordentlich unkündbar ist, wofür nach der Begründung des Arbeitsgerichts „vieles spricht“. Ob die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für eine solche ordentliche Unkündbarkeit unter Berufung auf die Nachwirkung des bis 1999 für allgemeinverbindlich erklärten MTV Einzelhandel Rheinland-Pfalz vorliegen oder nicht, hängt von verschiedenen Fragen ab, die in der Berufungsverhandlung von keiner der Parteien aufgeklärt werden konnten (etwa ob eine Nachwirkung tarifrechtlich ausgeschlossen wurde, zu welchen Zeiten die Klägerin und die Rechtsvorgänger der Beklagten tarifgebunden waren oder ob der seinerzeit für allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertrag in der Folgezeit in seinem Nachwirkungsstadium für die Klägerin durch eine auf ihr Arbeitsverhältnis anwendbare andere Abmachung iSv § 4 Abs. 5 TVG beendet wurde, vgl. insoweit BAG 27.11.1991 – 4 AZR 211/91 – Rn. 35 ff.; 25.10.2000 – 4 AZR 212/00 – Rn. 28 ff., juris).

3. Die Berufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.

II.

Die nach § 64 Abs. 1 u. 2 lit. b) ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist gem. § 66 Abs. 1, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

Die Berufung ist jedoch in der Sache nicht erfolgreich. Die von der Klägerin zweitinstanzlich weiter verfolgten Vergütungsansprüche für Oktober und November 2021 sind unbegründet.

1. Zunächst blieb der Kammer unerfindlich, auf welcher rechtlichen Grundlage die Klägerin, die unstreitig lediglich am 12.09.2022 für eine kurze Zeitspanne bei der Beklagten arbeitete, dann den Betrieb verließ und in der Folgezeit keine weiteren Arbeitsleistungen erbrachte, für Oktober und November ihre vertragliche Vergütung und ausdrücklich keinen Annahmeverzugslohn geltend macht (Schriftsatz vom 22.05.2023 S. 11 am Ende, Schriftsatz vom 07.02.2023 S. 1 am Ende). Insoweit gilt angesichts des Umstandes, dass sie in beiden Monaten keinerlei Arbeitsleistung erbracht hat, zunächst einmal der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“. Originäre Vergütungsansprüche iSv § 611a Abs. 2 BGB sind daher nicht ersichtlich.

2. Der Klägerin stünde auch keine „Annahmeverzugsvergütung“ zu.

a) Die Beklagte hat es zurecht abgelehnt, die Klägerin mit ihrer vertraglich geschuldeten Tätigkeit als Kassiererin/Verkäuferin mit einfacher Tätigkeit zu beschäftigen, da sie zwei medizinische Beurteilungen erhalten hatte, ausweislich derer dies der Klägerin krankheitsbedingt nicht mehr möglich war. Daher geriet die Beklagte mit der Annahme der von der Klägerin geschuldeten Dienste nicht in Verzug.

b) Nichts anderes ergibt sich mit Blick auf die Regelung des § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX in Anbetracht der Gleichstellung der Klägerin mit einem schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 SGB IX.

aa) Zwar haben schwerbehinderte Arbeitnehmer und die ihnen Gleichgestellten gegenüber ihrem Arbeitgeber nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX einen Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung, damit sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Ist der schwerbehinderte Arbeitnehmer wegen seiner Behinderung nicht mehr in der Lage, die im Arbeitsvertrag vereinbarten Tätigkeiten wahrzunehmen, kann er die vertraglich geschuldete Arbeit also nicht mehr oder nur noch teilweise leisten, und steht dem Arbeitgeber ein freier Arbeitsplatz zur Verfügung, auf dem eine den Fähigkeiten und Kenntnissen des Arbeitnehmers entsprechende Beschäftigung möglich ist, kann sich ein Anspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers auf anderweitige Beschäftigung und – soweit der bisherige Arbeitsvertrag diese Beschäftigungsmöglichkeit nicht erfasst – auch auf entsprechende Vertragsänderung ergeben (BAG 28.04.1998 – 9 AZR 348/97 – Rn. 25; 10.05.2005 – 9 AZR 230/04 – Rn. 36; 13.06.2006 – 9 AZR 229/05 – Rn. 25 ff.; 15.10.2013 – 1 ABR 25/12 – Rn. 24; 20.11.2014 – 2 AZR 664/13 – Rn. 25; 03.12.2019 – 9 AZR 78/19 – Rn. 24 sowie EUGH 10.02.2022 – C-485/20 – Rn. 43, juris). Dabei ist er noch nicht einmal verpflichtet, den Arbeitgeber vorab auf Zustimmung zur Vertragsänderung zu verklagen, da dieser besondere Beschäftigungsanspruch unmittelbar kraft Gesetzes entsteht und auch ohne vorherige Vertragsänderung vom Arbeitnehmer geltend gemacht werden kann (BAG 10.05.2005 – 9 AZR 230/04 – Rn. 36; 13.06.2006 – 9 AZR 229/05 – Rn. 28).

bb) Unterbleibt eine solche Beschäftigung jedoch, da der Arbeitgeber dem schwerbehinderten Arbeitnehmer keine entsprechende Tätigkeit zuweist, vermag dies allenfalls Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers auszulösen, nicht aber Vergütungsansprüche und infolge dessen auch keine Ansprüche auf Annahmeverzugslohn nach § 615 Satz 1 iVm § 611a Abs. 2 BGB (so ausdr. BAG 22.08.2018 – 5 AZR 592/17 – Rn. 21, 26; 14.10.2020 – 5 AZR 649/19 – Rn. 27, 30 f., 41, juris). Bei diesen handelt es sich prozessual um einen anderen, eigenen Streitgegenstand (BAG 14.10.2020 – 5 AZR 649/19 – Rn. 41; 13.10.2021 – 5 AZR 211/21 – Rn. 14, juris), den die Klägerin weder in der ersten noch in der Berufungsinstanz zur gerichtlichen Entscheidung gestellt hat. Verletzt der Arbeitgeber seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf behinderungsbedingte Einschränkungen des Arbeitnehmers aus § 241 Abs. 2 BGB und § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Nr. 4 und Nr. 5 SGB IX, indem er seiner aus den genannten Bestimmungen resultierenden Pflicht, dem Arbeitnehmer eine Vertragsänderung anzubieten, schuldhaft nicht nachkommt, kann er dem Arbeitnehmer wegen der entgangenen Vergütungsansprüche nach § 280 Abs. 1 BGB oder wegen Verletzung eines Schutzrechts nach § 823 Abs. 2 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sein (BAG 04.10.2005 – 9 AZR 632/04 – Rn. 20, 22 f.; 22.08.2018 – 5 AZR 592/17 – Rn. 21; 14.10.2020 – 5 AZR 649/19 – Rn. 29 f.). In diesem Rahmen trägt der Arbeitnehmer nach den allgemeinen Regeln grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die insoweit anspruchsbegründenden Voraussetzungen (BAG 27.05.2015 – 5 AZR 88/14 – Rn. 28; 22.08.2018 – 5 AZR 592/17 – Rn. 26; 14.10.2020 – 5 AZR 649/19 – Rn. 35). Der Arbeitgeber trägt im Rahmen des Annahmeverzugs aber nicht das verschuldensunabhängige Risiko, seinen Verpflichtungen nach § 164 Abs. 4 SGB IX objektiv hinreichend nachgekommen zu sein (BAG 14.10.2020 – 5 AZR 649/19 – Rn. 30).

cc) Sofern man die Bürotätigkeit in C-Stadt als vom Direktionsrecht der Beklagten gedeckt ansähe, war dies gleichwohl nicht die im Sinne von § 294 BGB von der Klägerin zu bewirkende Arbeitsleistung, mit deren Annahme die Beklagte in Verzug hätte geraten können. Kann der Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts wirksam näher bestimmte Tätigkeit aus in seiner Person liegenden Gründen nicht mehr ausüben, aber eine andere im Rahmen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung liegende Tätigkeit verrichten, ist sein Angebot einer anderen Tätigkeit ohne Belang, solange der Arbeitgeber nicht durch eine Neuausübung seines Direktionsrechts diese Tätigkeit zu der iSv § 294 BGB zu bewirkenden Arbeitsleistung bestimmt hat. Andernfalls könnte der Arbeitnehmer den Inhalt der arbeitsvertraglich nur rahmenmäßig umschriebenen Arbeitsleistung selbst konkretisieren, was § 106 Satz 1 GewO widerspräche, da die Konkretisierung der Arbeitspflicht Sache des Arbeitgebers ist (BAG 14.10.2020 – 5 AZR 649/19 – Rn. 10, 28 mwN; 13.10.2021 – 5 AZR 211/21 – Rn. 14, juris). Die Klägerin schuldete nach ihren beiden Arbeitsverträgen und sodann wieder ab 01.11.2021 eine Tätigkeit als Verkäuferin/Kassiererin mit einfacher Tätigkeit. Dieses Arbeitsprofil war ihr zugewiesen, bei den sich hieraus ergebenden Tätigkeiten, die sie krankheitsbedingt nicht mehr erbringen konnte, handelte es sich um die von der Beklagten durch Ausübung ihres Direktionsrechts konkretisierte zu bewirkende Leistung iSv § 294 BGB. Eine dies ändernde Zuweisung einer anderen Tätigkeit erfolgte unstreitig nicht. Ein Selbstkonkretisierungsrecht stand der Klägerin nicht zu. Daher liegt kein Annahmeverzug der Beklagten vor.

dd) Entsprechendes gilt, wenn man die Bürotätigkeit nicht als vom Direktionsrecht der Beklagten umfasst sieht, sondern den Ausspruch einer Änderungskündigung für erforderlich hält. Eine solche Änderungskündigung hat die Beklagte nicht erklärt und der Klägerin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen – namentlich eine Bürotätigkeit in C-Stadt – nicht angeboten. Dass den Arbeitgeber die Pflicht zu einer behinderungsgerechten Beschäftigung des schwerbehinderten bzw. gleichgestellten Arbeitnehmers auch ohne vorherige Vertragsänderung trifft, ändert am Erfordernis der – hier unterbliebenen – Zuweisung einer behinderungsgerechten Beschäftigung nichts.

3. Aus den genannten Gründen hat das Arbeitsgericht die in der Berufung streitgegenständlichen Vergütungsansprüche der Klägerin für Oktober und November 2021 zu Recht abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin war dementsprechend zurückzuweisen.

B.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

C.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

 

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