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Krankheitsbedingte Kündigung wegen dauerhafter Arbeitsunfähigkeit

Durchführung eines BEM – Alternative Weiterbeschäftigungsmöglichkeit

LAG Rheinland-Pfalz – Az.: 10 Sa 685/11 – Urteil vom 05.07.2012 

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 25. Oktober 2011, Az.: 12 Ca 1297/11, abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung des Beklagten vom 29.03.2011 zum 30.09.2011.

Der Kläger (geb. am 20.01.1975, verheiratet, ein Kind) war seit 1996 bei dem Beklagten zunächst im Rahmen einer dreijährigen Berufsausbildung und anschließend ab 01.07.1999 als Heilerziehungspfleger in Teilzeit (32,5 Wochenstunden) beschäftigt. Sein Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt ca. € 3.300,00. Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft einzelvertraglicher Vereinbarung die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) Anwendung. Nach § 14 Abs. 2e AVR beträgt die Kündigungsfrist nach einer Beschäftigungszeit von mindestens 12 Jahren sechs Monate zum Schluss des Kalendervierteljahres. Der beklagte Orden betreibt in A-Stadt eine Einrichtung zur Betreuung und Pflege von rund 300 Menschen mit geistiger Behinderung. Er beschäftigt dort ca. 180 Arbeitnehmer. Es besteht eine Mitarbeitervertretung.

Der Kläger erlitt am 16.09.2007 einen epileptischen Anfall. Er ist seither arbeitsunfähig krankgeschrieben. Vom 03.11.2008 bis zum 18.02.2009 fand eine Maßnahme zur stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben statt. Der Wiedereingliederungsplan des behandelnden Arztes Dr. med. Z. (Bl. 31 d.A.) sah folgendes vor:

Am 10.02.2009 erstellte die Betriebsärztin des Beklagten Dr. med. Y. folgende Bescheinigung (Bl. 27 d.A.):

…………………

„BEM betriebliches Eingliederungsmanagement

am 10.02.2009: Nachuntersuchung

Ergebnis: gesundheitliche Bedenken

Bemerkungen: Es wurde ein BEM Gespräch mit PDL, Personal, MAV, BA und Herrn E. geführt. Dem vorgelegten Attest des behandelnden Arztes Dr. Z. kann meinerseits entsprochen werden (ggf. könnte Herr E. aus meiner Sicht auch bis 22.00 h arbeiten). Mit diesem Leistungsprofil kann Herr E. jedoch nicht mehr seine vor der Erkrankung ausgeübte Tätigkeit als HEP ausüben. Demnach ist Herr E. weiterhin arbeitsunfähig erkrankt, sofern kein entsprechender Einsatzbereich im Haus gefunden werden kann.

Herrn E. werden persönlich verschiedene Bescheinigungen zugeschickt, die er bei der DRV, bei der KK, beim Amt für soziale Angelegenheiten und bei der BU-Versicherung vorlegen kann.“

Vom 04.10.2010 bis zum 30.09.2011 nahm der Kläger erfolgreich an einer von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) finanzierten Umschulungsmaßnahme zum Sozial- und Pflegeberater teil.

Mit Schreiben vom 17.03.2011 (Bl. 42-43 d. A.) hörte der Beklagte die Mitarbeitervertretung (MAV) zu einer beabsichtigten krankheitsbedingten Kündigung an. Diese erhob keinen Einspruch. Daraufhin kündigte der Beklagte mit Schreiben vom 29.03.2011 das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.09.2011. Es ist streitig, ob dem Kläger das Schreiben am 30./31.03.2011 oder erst am 01.04.2011 zugegangen ist. Er wehrt sich gegen die Kündigung mit seiner am 11.04.2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 25.10.2011 (dort Seite 3-5 = Bl. 51 -53 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 29.03.2011 nicht aufgelöst worden ist.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat der Klage mit Urteil vom 25.10.2011 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei unwirksam, weil der Beklagte kein ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) i.S.d. § 84 Abs. 2 SGB IX durchgeführt habe. Der Beklagte habe nicht konkret vorgetragen, aus welchen Gründen ihm eine leidensgerechte Beschäftigung des Klägers nicht möglich sei. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 6 bis 10 des erstinstanzlichen Urteils vom 25.10.2011 (Bl. 54-58 d.A.) Bezug genommen.

Das genannte Urteil ist dem Beklagten am 22.11.2011 zugestellt worden. Er hat mit am 09.12.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am Montag, dem 23.01.2012 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Er trägt vor, er habe vor Ausspruch der Kündigung ein ordnungsgemäßes BEM durchgeführt. Dies werde durch den Inhalt der ärztlichen Bescheinigung seiner Betriebsärztin vom 10.02.2009 belegt. Es sei übereinstimmend festgestellt worden, dass der Kläger seine Tätigkeit als Heilerziehungspfleger aufgrund seiner Epilepsieerkrankung nicht mehr ausüben könne. Nachfolgend seien mit dem Kläger regelmäßig weitere Gespräche geführt worden. So habe der Kläger in einem Gespräch vom 23.02.2010 erklärt, dass er weiterhin arbeitsunfähig sei und seinen Beruf als Heilerziehungspfleger nicht mehr ausüben könne. Er habe außerdem mitgeteilt, dass er über den Rentenversicherungsträger an einer Berufsfindungsmaßnahme teilnehme. In einem weiteren Gespräch am 18.08.2010 habe der Kläger mitgeteilt, dass eine Umschulung erforderlich sei, die auf Kosten der Rentenversicherung durchgeführt werde. Der Kläger habe sich dann zur Durchführung der Umschulungsmaßnahme entschlossen, die am 04.10.2010 begonnen habe. Am 28.02.2011 sei nochmals ein Gespräch mit dem Kläger geführt worden. Der Kläger habe auf Befragen mitgeteilt, dass er auf unabsehbare Zeit arbeitsunfähig sei und eine Tätigkeit als Heilerziehungspfleger in keiner Weise mehr ausüben könne. In Anbetracht der Umschulung des Klägers zum Sozial- und Pflegeberater sei er nicht gehalten gewesen, nochmals ein BEM durchzuführen. In seiner Einrichtung falle keine Tätigkeit für einen Sozial- und Pflegeberater an. Die Sozial- und Pflegeberatung für die Bewohner der Einrichtung finde durch Dritte, in der Regel durch die zuständige Krankenkasse, statt. Auch weitere Einsatzmöglichkeiten existierten nicht. Der Kläger könne keine Tätigkeiten ausüben, die mit körperlichen Belastungen in Form von Heben und Tragen oder mit psychischen Belastungen in Form von Lärm und Stress verbunden seien. Diese Belastungen seien für Menschen mit Epilepsie in hohem Maße anfallsauslösend. Eine leidensgerechte Umgestaltung eines Arbeitsplatzes sei nicht möglich. Die Bewohner der Einrichtung seien in erheblichem Umfang geistig beeinträchtigt. Dies habe zur Folge, dass die Erforderlichkeit des Handels der Arbeitnehmer nicht im Voraus planbar sei. Sofortiger Handlungsbedarf bestehe zum Beispiel bei akut erforderlichen Toilettengängen oder bei akutem aggressivem Verhalten des Bewohners. Dieser Handlungsbedarf kündige sich vorher in keiner Weise an, so dass das Herbeirufen einer Vertretung nicht möglich sei. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt der Schriftsätze des Beklagten vom 23.01.2012 (Bl. 82-85 d.A.) und vom 12.03.2012 (Bl. 96-97 d.A.) nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt zweitinstanzlich, das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 25.10.2011, Az. 12 Ca 1297/11, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Schriftsätze vom 15.02.2012 (Bl. 90-92 d.A.) und vom 20.03.2012 (Bl. 98-99 d.A.), auf die Bezug genommen wird, als zutreffend. Er sei anfallsfrei und deshalb spätestens 1 ½ Jahre nach der im September 2007 durchgeführten Operation, also ab Anfang 2009, arbeitsfähig. Seine Arbeitsfähigkeit sei dahingehend eingeschränkt, dass ihm verschiedene Tätigkeiten nicht mehr möglich seien. Hierzu gehörten schweres Heben und Tragen, die Fahrgastbeförderung sowie ein Einsatz in Wechsel- und Nachtschicht. Weitergehende Einschränkungen (z.B. Arbeiten unter Stress) seien nicht belegt. Damit sei allein unstreitig, dass er im bisherigen Umfang nicht mehr als Heilerziehungspfleger eingesetzt werden könne. Der Beklagte habe keinerlei Überlegungen und Anstrengungen angestellt, um ihn anderweitig zu beschäftigen, insbesondere nachdem er sich um eine Weiterbildung bemüht habe. Die Tätigkeit in der Sozial- und Pflegeberatung sei mit seinem bisherigen Einsatz zumindest verwandt. Er sei im Rahmen seiner Umschulung auf eine verwaltende Tätigkeit ausgebildet worden. Der Beklagte könne seine Umschulung nicht vollständig ignorieren.

Die Berufungskammer hat Beweis erhoben über die Behauptung des Beklagten, das Kündigungsschreiben vom 29.03.2011 sei am 30.03.2011, um 17:22 Uhr in den Hausbriefkasten des Klägers geworfen worden, durch Vernehmung der Zeugen A. und B.. Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die zur Sitzungsniederschrift vom 05.07.2012 getroffenen Feststellungen (Bl. 117-122 d.A.). Ergänzend wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.  Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und in ausreichender Weise begründet worden. Sie ist somit zulässig.

II.  Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Die Kündigungsschutzklage ist unbegründet. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist deshalb abzuändern und die Klage abzuweisen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die krankheitsbedingte Kündigung des Beklagten vom 29.03.2011 mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zum 30.09.2011 aufgelöst worden.

1. Die Kündigung des Beklagten ist wegen dauerhafter Arbeitsunfähigkeit sozial gerechtfertigt i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG. Der Kläger war seit dem 16.09.2007 bis zum Ausspruch der ordentlichen Kündigung am 29.03.2011 rund 3 ½ Jahre ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Er ist nach seinem Vorbringen auf Dauer nicht mehr in der Lage, Arbeiten auszuüben, die mit schwerem Heben und Tragen, dem Personentransport, sowie einem Einsatz in Wechsel- und Nachtschicht verbunden ist. Mit diesen körperlichen Leistungseinschränkungen kann der Kläger seine bisher ausgeübte Tätigkeit als Heilerziehungspfleger in der Einrichtung des Beklagten auf Dauer nicht mehr ausüben. Damit ist auch eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen gegeben.

Soweit der Kläger behauptet, er sei seit Anfang 2009 (ca. 1 ½ Jahre nach seinem epileptischen Anfall vom 16.09.2007) wieder arbeitsfähig, verkennt er, dass Arbeitsunfähigkeit vorliegt, wenn ein Arbeitnehmer krankheitsbedingt nicht seine volle, vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung erbringen kann. Ein Heilerziehungspfleger in der Einrichtung des Beklagten ist arbeitsvertraglich auch verpflichtet, den Bewohnern beim Verrichten der täglichen Körperhygiene und beim Toilettengang zu helfen. Diese Hilfestellung erfordert schweres Heben und Tragen, wozu der Kläger nach seinem eigenen Vorbringen nicht mehr in der Lage ist. Eine „Teilarbeitsunfähigkeit“ ist dem geltenden Arbeitsrecht unbekannt; der Arbeitgeber ist nach § 266 BGB grundsätzlich nicht verpflichtet, eine nur eingeschränkt angebotene Arbeitsleistung anzunehmen.

Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts ist die Kündigung nicht deshalb unwirksam, weil der Beklagte kein ordnungsgemäßes BEM i.S.d. § 84 Abs. 2 SGB IX durchgeführt hätte. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Urteil v. 12.07.2007 – 2 AZR 716/06 – NZA 2008, 173; Urteil v. 23.04.2008 – 2 AZR 1012/06 – NZA-RR 2008, 515) ist die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung. Vielmehr stellt die Regelung des § 84 Abs. 2 SGB IX eine Konkretisierung des dem gesamten Kündigungsschutzrecht innewohnenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Eine Kündigung kann nicht allein deshalb als sozial ungerechtfertigt qualifiziert werden, weil das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht bzw. nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Es müssen vielmehr auch bei gehöriger Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements überhaupt Möglichkeiten einer alternativen (Weiter-) Beschäftigung bestanden haben, die eine Kündigung vermieden hätten (BAG Urteil v. 24.03.2011 – 2 AZR 170/10 – NZA 2011, 992).

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts genügt der Vortrag des Beklagten den vorstehenden Anforderungen. Der Beklagte hat umfassend und konkret vorgetragen, warum weder der weitere Einsatz des Klägers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung und Veränderung möglich war und der Kläger auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können.

Ein unveränderter Einsatz des Klägers als Heilerziehungspfleger – auch in der Tagesförderstätte – ist unstreitig aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich. Die Haupttätigkeit eines Heilerziehungspflegers in der Einrichtung des Beklagten ist untrennbar mit der Erbringung schwerer körperlicher Arbeit (z. B. Heben und Aufrichten der Bewohner) verbunden. Diese schwere körperliche Arbeit ist vielfach nicht planbar, sondern kann sich überraschend (z.B. Toilettengang) während einer leichteren Tätigkeit ergeben. Ein Heilerziehungspfleger kann seinen Beruf daher nur ausüben, wenn er jederzeit in der Lage ist, auch körperlich schwere Tätigkeiten vorzunehmen.

Es ist dem Beklagten nicht zumutbar, dem Kläger lediglich Arbeitsaufgaben zuzuweisen, die keine schweren körperlichen Arbeiten erfordern. Dies wäre mit der Schaffung eines völlig neuen Tätigkeitsbildes verbunden. Es ist dem Beklagten organisatorisch nicht zuzumuten, dass der Kläger jedes Mal, wenn er in der Pflege der Bewohner in eine Situation gerät, wo schwere körperliche Arbeit erforderlich ist (z.B. das Heben von gehbehinderten Personen beim Toilettengang), einen Kollegen ruft. Der Beklagte hat unwidersprochen dargelegt, dass die Bewohner der Einrichtung in erheblichem Umfang geistig beeinträchtigt seien. Dies habe zur Folge, dass die Erforderlichkeit des Handels der Arbeitnehmer nicht im Voraus planbar sei. Sofortiger Handlungsbedarf bestehe zum Beispiel bei akut erforderlichen Toilettengängen oder bei akutem aggressivem Verhalten des Bewohners.

Dieser Handlungsbedarf kündige sich vorher in keiner Weise an, so dass das Herbeirufen einer Vertretung nicht möglich sei. Es ist dem Beklagten auch nicht zuzumuten, dem Kläger einen Helfer zur Seite zu stellen, der ihn, wenn schwere körperliche Arbeiten anfallen, unterstützt.

Soweit der Kläger erstinstanzlich darauf hingewiesen hat, dass er in den X.-Werkstätten, einer Werkstatt für behinderte Menschen, als „pädagogische Fachkraft im Bereich Arbeit“ beschäftigt werden könnte, weil er vor seiner Ausbildung zum Heilerziehungspfleger, (d.h. vor 1996), eine Ausbildung zum Energieelektroniker absolviert habe, handelt es sich bei diesen Werkstätten um keinen Betrieb des Beklagten, sondern um eine gemeinnützige GmbH. Bei der Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit sind nur geeignete Arbeitsplätze im Betrieb oder im Unternehmen des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer in einem anderen Betrieb eines anderen Unternehmens unterzubringen. Die Weiterbeschäftigung in einem anderen Unternehmen führt in aller Regel zu einem Arbeitgeberwechsel und geht daher über das von den Parteien begründete Vertragsverhältnis hinaus.

Soweit der Kläger die Vorstellung entwickelt hat, der Beklagte könne ihn im Empfangsbereich der Einrichtung beschäftigen, verfügt er nicht über die erforderliche kaufmännische Ausbildung. Der Beklagte setzt für Arbeitnehmer im Empfangsbereich eine kaufmännische Ausbildung voraus, weil sie neben einer reinen Empfangstätigkeit zu einem wesentlichen Teil kaufmännische Verwaltungstätigkeiten zu verrichten haben. Die Umschulung des Klägers zum Sozial- und Pflegeberater steht einer kaufmännischen Ausbildung nicht gleich.

Der Beklagte war auch nicht verpflichtet, dem Kläger eine Stelle als Bereichsleiter im tagesstrukturierenden Dienst anzubieten. Ein Bereichsleiter wird nach der Entgeltgruppe S 11 vergütet, während ein Heilerziehungspfleger nach Entgeltgruppe S 8 vergütet wird. Zur Weiterbeschäftigung auf einer freien Beförderungsstelle ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet. Im Übrigen setzt die Tätigkeit als Bereichsleiter eine mehrjährige Leitungserfahrung sowie entsprechende Fortbildungen, u.a. im Bereich der Mitarbeiterführung, voraus. Der Kläger hat selbst nicht behauptet, dass er dieses Anforderungsprofil erfüllt.

Schließlich ist der Beklagte nicht verpflichtet, in seiner Einrichtung für den Kläger einen zusätzlichen Arbeitsplatz für einen Sozial- und Pflegberater einzurichten. Der Beklagte muss sein Dienstleistungsangebot nicht auf die Sozial- und Pflegberatung ausdehnen, um dem Kläger nach seiner Umschulung, die mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 30.09.2011 endete, eine Beschäftigungsmöglichkeit zu schaffen.

Es besteht daher für den Beklagten keine Möglichkeit, dem Kläger eine leidensgerechte Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zu eröffnen.

Auch die Interessenabwägung führt nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Bei einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit ist in aller Regel davon auszugehen, dass der Arbeitgeber eine weitere unabsehbare Zeit billigerweise nicht hinzunehmen braucht.

2. Die Kündigung ist nicht wegen einer fehlerhaften Beteiligung der Mitarbeitervertretung unwirksam (§ 30 Abs. 5 MAVO). Der Beklagte hat das Beteiligungsverfahren bei der Mitarbeitervertretung ordnungsgemäß eingeleitet. Der Mitarbeitervertretung sind vor der beabsichtigten Kündigung des Klägers mit Schreiben vom 17.03.2011 die Kündigungsabsicht und die aus Sicht des Beklagten für den Kündigungsentschluss bestimmenden Kündigungsgründe hinreichend mitgeteilt worden. Hiergegen erhebt die Berufung auch keine Einwendungen. Die Mitarbeitervertretung hat dem Beklagten mit Schreiben vom 22.03.2011 mitgeteilt, dass sie beabsichtigt, gegen die Kündigung keinen Einspruch zu erheben. Damit hat der Beklagte das in § 30 Abs. 1 und Abs. 2 MAVO geregelte Verfahren zur Anhörung und Mitberatung eingehalten.

3. Der Beklagte hat die ordentliche Kündigungsfrist gewahrt. Nach § 14 Abs. 2 lit. e AVR, die aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden, beträgt die Kündigungsfrist sechs Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien mindestens zwölf Jahre bestanden hat.

Das Kündigungsschreiben vom 29.03.2011 ist von den Zeugen B. und A. am 30.03.2011 gegen 17:20 Uhr in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen worden. Dies steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest. Die Kammer geht davon aus, dass der Einwurf gegen 17:20 Uhr erst nach der üblichen Postzustellzeit erfolgt ist, so dass die Kündigung erst am nächsten Werktag – hier also am 31.03.2011 – zugegangen ist.

Beide Zeugen haben während ihrer Vernehmung bekundet, dass sie am 30.03.2011 in die Personalabteilung der Einrichtung gerufen und damit beauftragt worden sind, auf ihrem Heimweg dem Kläger ein Kündigungsschreiben zuzustellen. Das Kündigungsschreiben wurde den Zeugen von den Mitarbeitern der Personalabteilung gezeigt und von ihnen einkuvertiert. Die Zeugen sind nach Feierabend zum Wohnhaus des Klägers gefahren und haben zunächst geklingelt, weil sie ihm das Schreiben persönlich überreichen wollten. Nachdem ihnen niemand geöffnet hat, warfen sie das Kündigungsschreiben in den Hausbriefkasten des Klägers ein. Auf einer Kopie des Kündigungsschreibens vermerkten sie Datum und Uhrzeit des Einwurfs handschriftlich (Bl. 105 d.A.). Beide Zeugen erklärten auf Befragen des Klägervertreters, sie könnten definitiv ausschließen, dass sie sich im Datum geirrt oder den Brief in einen falschen Briefkasten geworfen hätten. Die Berufungskammer hat nach ihrem persönlichen Eindruck an der Glaubwürdigkeit der beiden Zeugen und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen keine Zweifel. Die Beklagte hat damit den Beweis geführt, dass das Kündigungsschreiben vom 29.03.2011 dem Kläger hoch im März 2011 zugegangen ist. Das Arbeitsverhältnis endete deshalb mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 30.09.2011.

III.  Der Kläger hat gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz zu tragen, weil er in vollem Umfang unterlegen ist.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des §72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

 

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