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Kündigung wegen Nichtvorlage einer betriebsärztlichen Bescheinigung über Arbeitsfähigkeit

Kündigung aufgrund Nichtvorlage Betriebsärztlicher Bescheinigungen

Der vorliegende Fall dreht sich um eine Kündigung, die aufgrund der Nichtvorlage einer betriebsärztlichen Bescheinigung über die Arbeitsfähigkeit ausgesprochen wurde. Die Klägerin, deren medizinische Vorgeschichte, ärztliche Befunde und Schweigepflichtentbindung nicht diskutiert wurden, hat sich gegen die Abmahnung und die Kündigung gewehrt. Sie argumentierte, dass die Nichterstellung der betriebsärztlichen Bescheinigung nicht auf ihrer mangelnden Mitwirkung, sondern auf Versäumnissen der Beklagtenseite beruht.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 Sa 419/22 >>>

Das Wichtigste in Kürze


  • Kündigung wegen Nichtvorlage: Eine Kündigung wurde ausgesprochen, weil keine betriebsärztliche Bescheinigung über die Arbeitsfähigkeit vorgelegt wurde.
  • Datenschutzbedenken: Die betroffene Mitarbeiterin, Frau T., widersprach der Weitergabe vollständiger Patientenakten aus Datenschutzgründen.
  • Unwirksame Abmahnung: Eine Abmahnung vom 15.10.2021 wurde als unwirksam betrachtet, da keine Pflichtverletzung der Klägerin vorlag.
  • Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst: Die Klägerin beantragte festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst wird.
  • Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten: Es wurde behauptet, dass die Klägerin ihre arbeitsvertraglichen Pflichten und Rücksichtnahmepflichten verletzt habe.
  • Interessenabwägung: Die Interessen des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegen die Interessen der Klägerin an dessen Fortbestand.
  • Rechtswidrige Abmahnungen: Abmahnungen wurden als rechtswidrig eingestuft, wenn sie unverhältnismäßig, unbestimmt, oder auf unrichtigen Tatsachen oder rechtlichen Bewertungen basieren.

Unwirksame Abmahnung und Kündigung

Betriebsärztliche Bescheinigung
Kündigung wegen fehlender betriebsärztlicher Bescheinigung: Klägerin wehrt sich gegen Vorwürfe und Abmahnung. (Symbolfoto: Bacho /Shutterstock.com)

Die Abmahnung vom 15.10.2021 wurde als unwirksam erachtet, da die Klägerin keinen Pflichtenverstoß begangen hatte. Die Klägerin wurde beschuldigt, beharrlich gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen und ihre Rücksichtnahmepflicht schwerwiegend verletzt zu haben. Es wurde festgestellt, dass Arbeitsunfähigkeit nicht der Teilnahme an einer ärztlichen Untersuchung entgegensteht. Die Anordnung der Beklagten wurde als im Rahmen des billigen Ermessens betrachtet, und es wurde festgestellt, dass die Klägerin weder transportunfähig noch an einer ansteckenden Krankheit litt.

Rechtswidrige Tarifverletzung und Abmahnung

Es wurde argumentiert, dass die Klägerin nicht wegen Nichtvorlage einer Arbeitsfähigkeitsbescheinigung abgemahnt werden sollte, sondern dass die Beklagte den Beweis für die Richtigkeit ihrer Behauptung führen sollte. Die Abmahnung vom 23.04.2021 wurde als rechtswidrig erachtet, und es wurde festgestellt, dass das Vorgehen der Beklagten unverhältnismäßig war. Die Klägerin hätte nicht sofort abgemahnt werden sollen, und es hätte ihr die gegensätzliche Rechtsansicht der Arbeitgeberseite verdeutlicht werden müssen.

Interessenabwägung und Urteilsbegründung

Die Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung des Arbeitsplatzes und dem Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wurde durchgeführt. Es wurde festgestellt, dass die Verletzung einer tarif- oder einzelvertraglich geregelten Nebenpflicht des Arbeitnehmers, bei gegebener Veranlassung auf Wunsch des Arbeitgebers an einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit mitzuwirken, grundsätzlich einen wichtigen Grund für eine Kündigung darstellen kann.

Schlussbetrachtungen zum Fall

Die Klägerin hat sich gegen die Abmahnung und Kündigung gewehrt, indem sie argumentierte, dass die Nichterstellung der betriebsärztlichen Bescheinigung nicht auf ihrer mangelnden Mitwirkung, sondern auf Versäumnissen der Beklagtenseite beruht. Die Abmahnung vom 15.10.2021 wurde als unwirksam erachtet, und es wurde festgestellt, dass die Klägerin keinen Pflichtenverstoß begangen hatte. Die Anordnung der Beklagten wurde als im Rahmen des billigen Ermessens betrachtet, und es wurde festgestellt, dass die Klägerin weder transportunfähig noch an einer ansteckenden Krankheit litt. Die Abmahnung vom 23.04.2021 wurde als rechtswidrig erachtet, und es wurde festgestellt, dass das Vorgehen der Beklagten unverhältnismäßig war. Die Interessenabwägung wurde durchgeführt, und es wurde festgestellt, dass die Verletzung einer tarif- oder einzelvertraglich geregelten Nebenpflicht grundsätzlich einen wichtigen Grund für eine Kündigung darstellen kann.

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✔ Betriebsärztliche Bescheinigung – kurz erklärt


Eine betriebsärztliche Bescheinigung ist ein Dokument, das nach einer arbeitsmedizinischen Untersuchung durch einen Betriebsarzt ausgestellt wird. Diese Untersuchung dient der Vorbeugung von arbeitsbedingten Erkrankungen oder der Früherkennung von Berufskrankheiten. In bestimmten Kontexten, wie beispielsweise im Studium an der Universität Düsseldorf, ist eine gültige betriebsärztliche Bescheinigung erforderlich, um an bestimmten Aktivitäten oder Prozessen teilzunehmen.

Die betriebsärztliche Untersuchung kann verschiedene Aspekte abdecken, darunter die körperliche Untersuchung von Herz, Lunge und Leber, Blutdruck- und Pulsmessung sowie Laboruntersuchungen von Blut und Urin. Diese Untersuchungen zielen darauf ab, mögliche Erkrankungen oder Zustände zu identifizieren, die die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen könnten.

Es gibt bestimmte Situationen, in denen eine betriebsärztliche Untersuchung vorgeschrieben ist. Beispielsweise gilt eine Pflichtvorsorge für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen, insbesondere wenn der Arbeitsplatzgrenzwert des jeweiligen Gefahrstoffes nach der Gefahrstoffverordnung nicht eingehalten wird oder bei direktem Hautkontakt mit hautresorptiven Gefahrstoffen eine Gesundheitsgefährdung besteht.

Arbeitgeber können auch aus Sicherheitsbedenken eine betriebsärztliche Untersuchung anordnen, insbesondere wenn sie vermuten, dass ein Mitarbeiter möglicherweise nicht mehr arbeitsfähig ist. In solchen Fällen kann der Arbeitnehmer ein ärztliches Attest vorlegen, um seinen Gesundheitszustand zu bestätigen.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht München – Az.: 3 Sa 419/22 – Urteil vom 23.02.2023

Abmahnung – Entbehrlichkeit

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 28.06.2022 – 26 Ca 6617/21 – abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, folgende Dokumente aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen:

  • Abmahnung vom 13.12.2019 (Anlage B11 = Bl. 155 d. A.)
  • sämtliche Abmahnungen vom 01.10.2020 (Anlagen B16 bis B20 = Bl. 163 ff. d. A.)
  • Abmahnung vom 01.04.2021 (Anlage B32 = Bl. 181 d. A. und Anlage B24 = Bl. 172 d. A.)
  • Abmahnung vom 23.04.2021 (Anlage B34 = Bl. 292 d. A.)
  • Abmahnung vom 11.05.2021 (Anlage B36 = Bl. 294 d. A.)
  • Schreiben vom 23.02.2021 (Anlage B10 = Bl. 154 d. A.)

2. Im Übrigen wird die Klage zu 1., 13. und 14. abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu 6/10 und die Klägerin zu 4/10 zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier ordentlicher Arbeitgeberkündigungen, die Entfernung mehrerer Abmahnungen aus der Personalakte und die gerichtliche Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin war seit dem 01.05.2011 als Z. in der Abteilung Y. in dem seitens der Beklagten betriebenen X. zu 38,5 Wochenstunden und einer monatlichen Bruttovergütung von durchschnittlich 3.563,69 € beschäftigt. Die Beklagte unterhält in B-Stadt noch weitere W. und beschäftigt ca. 7.000 Mitarbeiter. Ein Betriebsrat ist gebildet. Nach § 2 des Arbeitsvertrags vom 12.07.2012 (Anlage K2, Bl. 31 f. d. A.) bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung. Die insoweit in Bezug genommene durchgeschriebene Fassung des TVöD für den Dienstleistungsbereich W. im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (im Folgenden: TVöD-K) lautet auszugsweise wie folgt:

㤠3 Allgemeine Arbeitsbedingungen

(4) Der Arbeitgeber ist bei begründeter Veranlassung berechtigt, die/den Beschäftigte/n zu verpflichten, durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, dass sie/er zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist. Bei der beauftragten Ärztin/dem beauftragten Arzt kann es sich um eine Betriebsärztin/einen Betriebsarzt, eine Personalärztin/einen Personalarzt oder eine Amtsärztin/einen Amtsarzt handeln, soweit sich die Betriebsparteien nicht auf eine andere Ärztin/einen anderen Arzt geeinigt haben. Die Kosten dieser Untersuchung trägt der Arbeitgeber.

…“

Am 08.08.2019 fand ein Personalgespräch der Parteien zu den Themen Arbeitsleistung, Verhalten im Krankheitsfalle sowie Urlaubsplanung statt, worüber die Beklagten ein Protokoll (Anlage B8, Bl. 140 f. d. A.) fertigte.

Am 09.12.2019 kam es zu einem weiteren Personalgespräch mit der Klägerin (Anl. B21 = Bl. 168 d. A.), in dem die Probleme zwischen der Klägerin und ihrem Kollegen Herrn K. sowie mit ihrer Arbeitszeiterfassung an bestimmten Tagen erörtert wurde.

Mit Datum vom 13.12.2019 erteilte die Beklagte der Klägerin eine schriftliche Abmahnung (Anlage B11, Bl. 155 d. A.) wegen falscher Aktensortierung.

Wegen hoher Fehlzeiten in den Vorjahren forderte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 12.02.2020 (Anl. B27 = Bl. 175 d. A.) auf, einen Termin beim betriebsärztlichen Dienst in der B-Stadt Klinik B. wahrzunehmen. Im Nachgang erhielt die Beklagte ein Schreiben von der Betriebsärztin Frau Dr. V. mit folgender Information:

„…Frau A. ist am 05.03.2020 zum Termin der betriebsärztlichen Untersuchung erschienen. Es wurden keine ärztlichen Unterlagen oder fachärztliche Untersuchungsbefunde mitgebracht. Anamnestisch wurde keine krankheitsbezogene Auskunft erteilt. Einer Schweigepflichtentbindung für den Hausarzt wurde nicht zugestimmt.

Somit ist eine Beurteilung aus betriebsärztlicher Sicht nicht möglich…“

Am 15.05.2020 fertigte die Beklagte eine schriftliche Dienstanweisung „Arbeitsaufgaben Schreibbüro“ (Anlage B13, Bl. 158 ff. d. A.), deren Inhalt sie mit der Klägerin am 17.06.2020 besprach.

Die Klägerin erkrankte am 24.09.2020 arbeitsunfähig. Auf den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen war „Arbeitsunfall“ angekreuzt.

Am 01.10.2020 erteilte die Beklagte der Klägerin fünf schriftliche Abmahnungen wegen verschiedener Verstößen gegen die Dienstanweisung vom 15.05.2020 (Anlagen B16 bis B20, Bl.163 ff. d. A.).

Nachdem die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ununterbrochen andauerte, hielt die Beklagte mit Schreiben vom 16.02.2023 (Anlage B28, Bl. 177 d. A.). gegenüber der Klägerin fest, dass sie mit Schreiben vom 10.02.2021 das Angebot zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements bis auf Weiteres abgelehnt habe und forderte sie auf, sich gemäß § 3 Abs. 4 TVöD-K beim betriebsärztlichen Dienst zu melden und aussagekräftige Befunde etc. mitzubringen (Anlage B28, Bl. 177 d. A.). Die Klägerin sei zur Wahrnehmung des Termins verpflichtet und müsse mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen rechnen, falls sie den Termin nicht wahrnehmen würde. Auf die E-Mail der Klägerin vom 02.03.2021, dass sie einen Termin beim Betriebsarzt vereinbart habe, wies die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 02.03.2021 (Anlage B29, Bl. 178 d. A.) erneut darauf hin, dass sie zur Wahrnehmung des Termins verpflichtet sei und mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen rechnen müsse, falls sie den Termin nicht wahrnehmen würde. Auch sei sie verpflichtet, nach der Vorstellung beim betriebsärztlichen Dienst eine entsprechende Bescheinigung unverzüglich, spätestens bis zum 14.03.2021 vorzulegen. Die Klägerin stellte sich am 11.03.2021 bei Herrn Dr. U. vom Betriebsärztlichen Dienst vor. Mit E-Mail vom selben Tag (Anlage B30, Bl. 179 d. A.) teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie wunschgemäß den Termin beim Betriebsarzt absolviert habe. Mit Schreiben vom 22.03.2021 (Anl. B31 = Bl. 180 d. A.) teilte der Betriebsarzt Dr. U. der Beklagten mit, dass die Klägerin nicht in der Lage gewesen sei, an der personalärztlichen Untersuchung am 11.03.2021 teilzunehmen. Sie habe mitgeteilt, dass sie derzeit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ihres behandelnden Arztes bekommen habe und es sich um einen Arbeitsunfall handele. Sie hätte keine Angaben darüber machen können, wann dieser Arbeitsunfall passiert sei, was bei diesem Arbeitsunfall passiert sei und wo dieser Arbeitsunfall passiert sei. Da die Klägerin keine ärztlichen / fachärztlichen Befunde vorgelegt habe und auch keine weiteren Angaben habe machen können, habe er die Bestätigung über die personalärztliche Vorstellung verweigert.

Mit Schreiben vom 23.02.2021 übersandte die Beklagte der Klägerin ein Schreiben wegen fehlerhafter Krankmeldung (Anlage B10, Bl. 154 d. A.).

Mit Schreiben vom 01.04.2021 erhielt die Klägerin eine schriftliche Abmahnung vom 01.04.2021 wegen Versäumung der Frist zur Vorlage einer Arbeitsfähigkeitsbescheinigung bis 14.03.2021 (Anlage B32, Bl. 181 d. A.). Mit einem weiteren Schreiben vom 01.04.2021 forderte die Beklagte die Klägerin erneut auf, eine ärztliche Bescheinigung i. S. d. § 3 Abs. 4 Satz 1 TVöD-K vorzulegen und setzte hierfür eine Frist bis 12.04.2021 (Anlage 33 zur Betriebsratsanhörung, Bl. 289 d. A.).

Ebenfalls unter dem 01.04.2021 erteilte die Beklagte der Klägerin eine schriftliche Abmahnung wegen unterlassener Angaben zum behaupteten Arbeitsunfall (Anlage B24, Bl. 172 d. A.) und forderte sie in einem weiteren Schreiben vom 01.04.2021 letztmalig auf, Angaben über den angeblichen Arbeitsunfall zu machen (Anlage B23, Bl. 171 d. A.).

Mit E-Mail vom 12.04.2021, 21:39 Uhr (Anlage B25, Bl. 173 d. A.) teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie bereits Angaben zu ihrem Unfall gemacht habe und nochmals in der Anlage ihre Unfallanzeige zusende. Bei der Berufsgenossenschaft bestehe zudem bereits auch ein Aktenzeichen. Ein Formular „Unfallanzeige“ habe sie bis dato nicht erhalten. Die beigefügte Unfallanzeige, die mit der Anlage B26 (= Bl. 174 d. A.) vorgelegt wurde, enthielt weder Anschrift noch Datum. Nach den dortigen Angaben will die Klägerin am 17.09.2020 gegen 12:15 Uhr auf dem Weg zum Mittagessen ca. acht Meter vor dem Haupteingang des Krankenhauses gestolpert sein und sich am rechten Knie eine große, tiefe Platzwunde zugezogen haben. Die Klägerin habe sich auf ihrer Station von einer Schwester Kühlpacks geben lassen, mit denen sie ihre hochgelagerten Beine gekühlt habe. Am frühen Nachmittag sei sie nach Hause gegangen. Die Beklagte hat bestritten, den Unfallbericht erhalten zu haben. Im hiesigen Verfahren hat die Klägerin mit der Anl. K22 (= Bl. 58 d. A.) ein Schreiben vom 18.09.2020 vorgelegt, das an das Sekretariat Y. adressiert ist und mit dem die Klägerin in der Anlage die Angaben zu ihrem Unfall am 16.09.2020 (nicht 17.09.2020) übermittelt. Diese Anlage (Bl. 59 d. A.) entspricht inhaltlich der Anl. B26 (= Bl. 174 d. A.). Die Beklagte hat bestritten, ein Schreiben der Klägerin vom 18.09.2020 betreffend die Unfallanzeige erhalten zu haben. Hinsichtlich der betriebsärztlichen Bescheinigung erklärte die Klägerin in der E-Mail vom 12.04.2021, dass sie noch krankgeschrieben sei und deshalb keine Arbeitsfähigkeitsbescheinigung abgeben könne. Den diesbezüglichen Abmahnungen widerspreche sie.

Mit Schreiben vom 23.04.2021 (Anlage B34, Bl. 183 d. A.) sprach die Beklagte eine erneute Abmahnung wegen fehlenden Nachweises der betriebsärztlichen Bescheinigung bis zum 12.04.2021 nach § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K aus.

Mit weiterem Schreiben vom 23.04.2021 (Anlage B33, Bl. 182 d. A.) forderte die Beklagte die Klägerin erneut auf, die Bescheinigung nach § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K vorzulegen, und zwar bis zum 07.05.2021. Auch während einer Arbeitsunfähigkeitsphase könne die Feststellung erfolgen. Die Beklagte müsse wissen, ob die Klägerin generell wieder an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren könne. Sollte die Klägerin bis dahin erneut nichts vorlegen können, müsse sie mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen rechnen. Darauf teilte die Klägerin mit dem als Einschreiben/Einwurf übersandten Schreiben vom 03.05.2021 (Anlage B35, Bl. 184 d. A.) mit, dass sie bereit sei, zum Betriebsarzt zu gehen, aber die Entbindung von der Schweigepflicht verweigere, da § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K eine solche Verpflichtung nicht vorsehe. Der Betriebsarzt habe die Erteilung der entsprechenden Bescheinigung verweigert, weil sie die Schweigepflichtentbindung nicht unterschrieben habe.

Mit Schreiben vom 11.05.2021 (Anlage B37, Bl. 186 d. A.) mahnte die Beklagte die Klägerin wegen Nichtvorlage der Bescheinigung i. S. d. § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K bis zum 07.05.2021 ab. Mit einem weiteren Schreiben vom 11.05.2021 (Anlage B36, Bl. 185 d. A.) erklärte die Beklagte, dass es zutreffend sei, dass § 3 Abs. 4 TVöD-K keine Verpflichtung zur Schweigepflichtentbindung vorsehe und dies von ihr zu keinem Zeitpunkt eingefordert worden sei. Zugleich wurde die Klägerin aufgefordert, eine Bescheinigung bis zum 31.05.2021 vorzulegen.

Am 28.05.2021 war der Termin zur betriebsärztlichen Untersuchung der Klägerin.

Mit E-Mail vom 30.05.2021 (Anlage B37 zur Betriebsratsanhörung, Bl. 297 d. A.) teilte die Klägerin der Beklagten mit:

„Sehr geehrte Frau …,

wunschgemäß habe ich am Freitag, den 28.05.2021 um 13:00 Uhr einen Termin beim BÄD B., Frau Dr. V., wahrgenommen und mich zur Untersuchung zur Verfügung gestellt. Eine Bescheinigung steht noch aus.“

Die Klägerin legte eine Bescheinigung i. S. d. § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K bis zum 31.05.2021 nicht vor und nahm am 01.06.2021 ihre Tätigkeit im Rahmen einer Wiedereingliederung wieder auf.

Am 02.06.2021 erhielt die Beklagte ein per Einschreiben/Einwurf versandtes Schreiben der Klägerin mit Datum des 24.05.2021 (Anlage 37 zur Betriebsratsanhörung, Bl. 298 d. A.), mit dem sie der Beklagten u.a. erklärte, dass ihr der Betriebsarzt eine Schweigepflichtentbindung vorgelegt und ausdrücklich gesagt habe, sie müsse diese unterschrieben, sonst könne er nicht beginnen. Sie habe ihm ihre Krankschreibung wegen des Unfalls und die Behandlung durch ihren behandelnden Arzt mitgeteilt.

Mit dem am selben Tag zugegangenen Schreiben vom 22.06.2021 (Anlage B40, Bl. 191 ff. d. A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten verhaltensbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin wegen der Nichtvorlage einer Bescheinigung i. S. d. § 3 Abs. 4 Satz 1 TVöD-K an. Der Betriebsrat widersprach dieser Kündigungsabsicht mit Schreiben vom 29.06.2021 (Anlage K5, Bl. 35 ff. d. A.) und begründete dies u.a. damit, dass nach Angaben der Klägerin der Betriebsarzt die Bescheinigung verweigert habe, weil sie die Schweigepflichtentbindung nicht unterschrieben habe. Bei der vorgelegten Schweigepflichtentbindungserklärung handele es sich nicht um ein Formular, das den Standards der Beklagten entspreche. Bei jedem offiziellen Formular sei erkennbar, wer es erstellt, geprüft und freigegeben habe. Da diese Angaben auf der Schweigepflichtentbindung fehlten, sei die Klägerin verunsichert und habe diese vorerst nicht unterzeichnen wollen. Im Übrigen führe der Betriebsrat die Kündigungsabsicht auf die zwischenmenschlichen Probleme der Klägerin mit dem neuen Chefarzt zurück.

Mit Schreiben vom 30.06.2021 (Anlage K4, Bl. 34 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.12.2021.

Am 09.09.2021 ging der Klägerin ein Schreiben der INTER Versicherung zur Bearbeitung zu, mit dem der OP-Bericht, das OP-Protokoll, Labor und mikrobiologische Befunde sowie Dokumentation, die die Kodierung der in Rechnung gestellten Entgelte rechtfertigte, angefordert wurden. Die Klägerin meinte gegenüber der Mitarbeiterin der Beklagten, Frau T., dass es einfacher wäre, die gesamte Patientenakte auf CD-Rom brennen zu lassen und der Versicherung zu übersenden. Dem widersprach Frau T. aus datenschutzrechtlichen Gründen und wies die Klägerin darauf hin, dass es nicht erlaubt sei, die komplette Patientenakten der Versicherung zur Verfügung zu stellen, insbesondere, wenn diese nach spezifischen Unterlagen gefragt hätte. Mit E-Mail vom 10.09.2021 (Anlage B39, Bl. 190 d. A.) bat die Klägerin den Mitarbeiter Herrn S., die Patientenakte auf CD zu brennen. Diese wurde am 13.09.2021 per Hauspost vom Archiv in die Abteilung geschickt. Eine Versendung der CD-Rom mit der Patientenakte an die INTER Versicherung durch die Klägerin erfolgte nicht.

Mit Schreiben vom 15.10.2021 (Anlage K29, Bl. 94 f. d. A.) mahnte die Beklagte die Klägerin wegen des Vorfalls mit der CD-Rom bezüglich der INTER Versicherung ab. in der Abmahnung heißt es u.a.:

„Bei ordnungsgemäßem Verhalten hätten sie nur die von der Versicherung geforderten Unterlagen…zur Weitergabe an die externe Versicherung vorbereiten dürfen.“

Mit Schreiben vom 22.12.2021 (Anlage B44, Bl. 384 ff. d. A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten verhaltensbedingten Kündigung wegen Verstoßes gegen die Dienstanweisung sowie Datenschutzverstoß im Hinblick auf einen Entlassbrief an. Mit Schreiben vom 28.12.2021 widersprach der Betriebsrat der Kündigung. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 31.12.2021 (Anlage K31, Bl. 318 d. A.) ordentlich zum 30.06.2022.

Mit ihrer am 19.07.2021 beim Arbeitsgericht München eingegangenen Klage hat die Klägerin Feststellung begehrt, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 30.06.2021 aufgelöst worden sei, und die Entfernung der ihr bis zur Kündigung erteilten Abmahnungen aus ihrer Personalakte verlangt. Klageerweiternd hat die Klägerin Kündigungsschutz gegen die Kündigung vom 31.12.2021 und die Entfernung der Abmahnung vom 15.10.2021 aus ihrer Personalakte geltend gemacht.

Die Klägerin hat erstinstanzlich bestritten, dass die Kündigung vom 30.06.2021 sozial gerechtfertigt sei. Sie habe ihre arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzt. Während einer Arbeitsunfähigkeit sei die Klägerin nicht verpflichtet, sich einer betriebsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Darüber hinaus sei sie nicht verpflichtet, eine Entbindung von der Schweigepflicht zu erklären. Mangels Vertragspflichtverletzungen seien auch die in diesem Zusammenhang ausgesprochenen Abmahnungen vom 01.04.2021, 23.04.2021 und 11.05.2021 unwirksam.

Mit erstinstanzlichem Schriftsatz vom 13.05.2022 nimmt die Klägerin weiter Stellung zu diesen Abmahnungen und bestreitet, gegen ihre Mitwirkungspflichten verstoßen zu haben. Sie habe sich am 28.05.2021 pflichtgemäß bei der Betriebsärztin Frau Dr. V. zur Verfügung gestellt. Auch hier sei es nicht zu einer Untersuchung gekommen, weil Frau Dr. V. aufgrund der Aktenlage davon ausgegangen sei, dass die Klägerin bereits betriebsärztlich untersucht worden sei. Frau Dr. V. habe der Klägerin daher mitgeteilt, dass sie noch mit dem Betriebsratsmitglied Frau R. über diese Untersuchung sprechen müsse und die Klägerin weggeschickt. Über die medizinische Vorgeschichte der Klägerin, ärztliche Befunde oder gar eine Schweigepflichtentbindung sei mit Frau Dr. V. überhaupt nicht gesprochen worden. Dass bisher keine betriebsärztliche Bescheinigung erstellt worden sei, liege nicht an einer fehlenden Mitwirkung der Klägerin an den Untersuchungen, sondern an den Versäumnissen aus der Sphäre der Beklagten.

Die Abmahnung vom 15.10.2021 sei unwirksam. Die Klägerin habe keinen Pflichtenverstoß begangen. Sie habe keine CD mit einer kompletten Patientenakte gegen die Anweisung an eine externe Versicherung weitergegeben. Sie habe vielmehr den OP-Bericht, das OP-Protokoll sowie Labor- und mikrobiologische Befunde im Umfang von 47 Kopien auf dem Postweg versandt. Ausweislich der mit der Anlage K30 vorgelegten E-Mail-Korrespondenz habe die Klägerin eine Kollegin aus einem anderen Sachgebiet darüber informiert, dass diese die 47 Kopien durch Unterlagen ihres Sachgebiets ergänzen solle.

Mit erstinstanzlichem Schriftsatz vom 13.05.2022 hat die Klägerin in diesem Zusammenhang vorgetragen, dass sie nach Anforderung der Patientenakte auf CD diese in analoger Form erhalten und auszugsweise Kopien gemacht habe. Dies sei durch die Anlage K30 bewiesen worden. Des Weiteren heißt es dort, dass sich die Klägerin die CD auch habe zukommen lassen können, um die angeforderten Unterlagen dann von der CD auszudrucken. Es stelle keine Pflichtverletzung dar, dass sich die Klägerin für interne arbeitstechnische Zwecke eine Patientenakte auf CD zukommen lasse. Weder die gesamte Patientenakte noch eine CD sei an die Versicherung gesandt worden.

Nach teilweiser Klagerücknahme hat die Klägerin zuletzt erstinstanzlich beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 30.06.2021 aufgelöst wird.

2. Die Beklagte wird verpflichtet, die Abmahnung vom 13.12.2019 betreffend falscher Aktensortierung aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

3. Die Beklagte wird verpflichtet, die Abmahnung vom 01.10.2020 betreffend Punkt 5 der „Dienstanweisung Arbeitsaufgaben Schreibbüro“ im Zusammenhang mit dem Urlaub eines Kollegen aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

4. Die Beklagte wird verpflichtet, die Abmahnung vom 01.10.2020 betreffend Punkt 5 der „Dienstanweisung Arbeitsaufgaben Schreibbüro“ bezüglich gerader Kalenderwochen aus der

5. Die Beklagte wird verpflichtet, die Abmahnung vom 01.10.2020 betreffend Punkt 5.1 der „Dienstanweisung Arbeitsaufgaben Schreibbüro“ aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

6. Die Beklagte wird verpflichtet, die Abmahnung vom 01.10.2020 betreffend Punkt 5.2 der „Dienstanweisung Arbeitsaufgaben Schreibbüro“ aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

7. Die Beklagte wird verpflichtet, die Abmahnung vom 01.10.2020 betreffend Punkt 6 der „Dienstanweisung Arbeitsaufgaben Schreibbüro“ aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

8. Die Beklagte wird verpflichtet, das Schreiben vom 23.02.2021 betreffend das Verfahren der Krankmeldung aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

9. Die Beklagte wird verpflichtet, die Abmahnung vom 01.04.2021 betreffend die Angaben zum Arbeitsunfall aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

10. Die Beklagte wird verpflichtet, die Abmahnung vom 01.04.2021 betreffend die Vorlage einer Betriebsärztlichen Bescheinigung aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

11. Die Beklagte wird verpflichtet, die Abmahnung vom 23.04.2021 betreffend die Vorlage einer Betriebsärztlichen Bescheinigung aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

12. Die Beklagte wird verpflichtet, die Abmahnung vom 11.05.2021 betreffend die Vorlage einer Betriebsärztlichen Bescheinigung aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

13. Die Beklagte wird verpflichtet, die Abmahnung vom 15.10.2021 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

14. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die Kündigung vom 30.12.2021 aufgelöst wird.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt, die Klage abzuweisen,

und zur Begründung ausgeführt: Die Kündigung vom 30.06.2021 sei sozial gerechtfertigt. Die Klägerin sei nicht bereit, ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen einzuhalten. Dies zeige sich insbesondere an der Weigerung der Klägerin, ihre Verpflichtung nach § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K zu erfüllen. Trotz wiederholter Abmahnungen und Fristsetzung bis zum 31.05.2021 habe die Klägerin keine Bescheinigung nach § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K vorgelegt. Hierin liege ein beharrlicher Verstoß gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten und eine schwerwiegende Verletzung ihrer arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht. Eine Arbeitsunfähigkeit stehe einer ärztlichen Untersuchung nicht entgegen. § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K setze nach Sinn und Zweck gerade nicht voraus, dass der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Untersuchung arbeitsfähig sein müsse. Die Untersuchung solle vielmehr dazu dienen festzustellen, ob der Arbeitnehmer körperlich zur vertraglich vereinbarten Leistung im Stande sei oder nicht. Mit der Untersuchung könne generell auch nicht abgewartet werden, bis der Arbeitnehmer zu einem unabsehbaren Zeitpunkt die Arbeitsfähigkeit wiedererlange. Darüber hinaus habe die Anordnung der Beklagten die Grenzen billigen Ermessens gemäß § 106 GewO gewahrt. Aus dem eigenen Vortrag der Klägerin sowie aus der Tatsache, dass sie zur Untersuchung erschienen sei, lasse sich erkennen, dass sie weder in ihrer Transportfähigkeit eingeschränkt gewesen noch an einer ansteckenden Erkrankung gelitten habe, die einer Untersuchung der Arbeitsfähigkeit entgegengestanden hätte. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die Erfüllung der Fürsorgepflicht der Beklagten gegenüber der Klägerin, der die Tarifvorschrift ebenfalls diene. Soweit die Klägerin eingewandt habe, dass sie den Nachweis nach § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K nicht habe erbringen können, da sie gezwungen gewesen sei, eine Entbindung von der Schweigepflicht zu unterzeichnen, treffe dies nicht zu. Die Beklagte habe die Klägerin schriftlich darauf hingewiesen, dass eine solche Entbindung keine zwingende Voraussetzung für die betriebsärztliche Untersuchung sei. Ausweislich der ärztlichen Stellungnahmen hätten die Untersuchungen nicht erfolgen können, da sich die Klägerin geweigert habe mitzuwirken. Sie habe weder über ihre Erkrankungen noch über Vorkommnisse im Zusammenhang mit dem angeblichen Arbeitsunfall berichtet. Insoweit seien bereits die Abmahnungen vom 01.04.2021, 23.04.2021 sowie 11.05.2021 rechtmäßig.

Die Behauptung, Frau Dr. V. habe die Klägerin weggeschickt, um mit dem Betriebsratsmitglied Frau R. zu sprechen, sei zu bestreiten. Frau Dr. V. unterliege gegenüber dem Betriebsrat der gleichen Schweigepflicht wie gegenüber der Beklagten.

Die Interessen der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwägen die Interessen der Klägerin an dessen Fortbestand. Zwar sei zu Gunsten der Klägerin ihre Beschäftigungsdauer von ca. 10 Jahren zu berücksichtigen, allerdings gebe es keinen Bereich des Arbeitsverhältnisses, der nicht von einem Fehlverhalten der Klägerin betroffen sei. Im Zusammenhang mit der Vorlage der betriebsärztlichen Bescheinigung nach § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K habe sich die Klägerin nicht ansatzweise vertragskonform gezeigt und die Beklagte immer wieder unzutreffend und irreführend informiert. Sie habe der Beklagten mitgeteilt, dass sie Termine wahrgenommen habe, obwohl klar gewesen sei, dass die Untersuchung wegen ihrer fehlenden Mitwirkung gescheitert sei. Dies habe sie beim letzten Besuch der Betriebsärztin wiederholt. Die neuerliche Abmahnung vom 15.10.2021 bestätige die Prognose der Beklagten. Die Klägerin habe gegen datenschutzrechtliche Anforderungen verstoßen. Eine Datenverarbeitung umfasse jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten. Da der externe Versicherer die notwendigen Daten spezifiziert hätte, hätte kein Grund für die Verarbeitung der gesamten personenbezogenen Daten des Patienten bestanden. Das datenschutzrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot sei auch von der Klägerin zu beachten. Bereits die Kopie der gesamten Akte stelle eine unzulässige Datenverarbeitung und einen Verstoß gegen das datenschutzrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot dar.

Der Betriebsrat sei mit Schreiben vom 22.06.2021 ordnungsgemäß angehört worden. Nach dessen Zugang am selben Tage habe der Betriebsrat am 29.06.2021 widersprochen. Die Kündigung vom 30.06.2021 sei der Klägerin an diesem Tage, also nach Ablauf der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zugestellt worden.

Die Abmahnung vom 15.10.2021 sei wirksam. Die Klägerin habe gegen eine konkrete Anweisung der Mitarbeiterin Frau T. verstoßen, indem sie mit E-Mail vom 10.09.2021 an Herrn S. gebeten habe, die komplette Patientenakte auf CD zu brennen. Diese sei am 13.09.2021 per Hauspost vom Archiv in die Abteilung geschickt worden und habe im Chefarzt-Sekretariat vorgelegen. Die Ausführungen der Klägerin seien in Anbetracht ihrer E-Mail an Herrn S. vom 10.09.2021 nicht nachvollziehbar. Soweit die Klägerin behaupte, schriftliche Unterlagen angefordert zu haben und hierfür eine E-Mail-Korrespondenz vom 09.09. bis 13.09.2021 (Anl. K30) vorlege, betreffe dieser eine andere Patientennummer.

Das Arbeitsgericht München hat durch Urteil vom 28.06.2022 – 26 Ca 6617/21 – festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die Kündigung vom 30.06.2021 noch durch die Kündigung vom 30.12.2021 aufgelöst werde, und die Beklagte verurteilt, die Abmahnung vom 13.12.2019, sämtliche Abmahnungen vom 01.10.2020, das Schreiben vom 23.02.2021, sämtliche Abmahnungen vom 01.04.2021 sowie die Abmahnungen vom 23.04.2021, 11.05.2021 und 15.10.2021 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen. Soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung hat es zur Begründung Folgendes ausgeführt:

Die Kündigung vom 30.06.2021 sei unwirksam, weil sie nicht sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sei. Der Verstoß gegen eine tarif- oder einzelvertraglich geregelte Pflicht des Arbeitnehmers, bei gegebener Veranlassung auf Wunsch des Arbeitgebers an einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Arbeitsfähigkeit mitzuwirken, könne je nach den Umständen geeignet sein, eine Kündigung zu rechtfertigen. Im vorliegenden Fall fehle es aber – unabhängig von der streitigen Frage der Rechtmäßigkeit der einschlägigen Abmahnungen vom 01.04., 23.04. und 11.05.2021 – schon an einer nach Ausspruch der Abmahnungen weiteren Nebenpflichtverletzung der Klägerin in Form der fehlenden Mitwirkung. Dass die Klägerin innerhalb der ihr zuletzt gesetzten Frist bis 31.05.2021 keine Arbeitsfähigkeitsbescheinigung vorgelegt habe, sei ihr nicht vorzuwerfen. Sie habe unstreitig am 28.05.2021 einen Termin bei der Betriebsärztin Frau Dr. V. wahrgenommen. Laut Klägerin sei sie aber durch die Betriebsärztin ohne Untersuchung weggeschickt worden, da diese davon ausgegangen sei, dass die Klägerin schon mal betriebsärztlich untersucht worden sei und die Ärztin zunächst noch Rücksprache mit einer Betriebsrätin habe nehmen wollen. Unterstelle man diesen Vortrag als wahr, wäre die Nichtvorlage einer Bescheinigung i.S.d. § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K bis zum Fristende nicht der Klägerin anzulasten, sondern dieser Umstand wäre der Sphäre der Betriebsärztin und damit der Beklagten zuzurechnen. Nachdem die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast auch die für das Nichtvorliegen von derartigen Rechtsfertigungs- bzw. Entschuldigungsgründe trage, wäre es an ihr gewesen, sich mit dem Vortrag der Klägerin durch konkreten Gegenvortrag substantiiert auseinanderzusetzen und diesen zu widerlegen. Dies sei nicht erfolgt. Die Beklagte habe den rechtserheblichen Einwand der Klägerin lediglich bestritten, sich pauschal auf fehlende Mitwirkung der Klägerin berufen und die Einvernahme von Frau Dr. V. als Beweismittel angeboten. Dem Zeugenbeweisangebot sei nicht zu entsprechen gewesen, da dies auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausgelaufen wäre.

Die Anträge auf Entfernung der Abmahnungen aus der Personalakte der Klägerin seien in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB begründet. Die Abmahnung vom 01.04.2021 wegen Nichtvorlage einer Bescheinigung i. S. d. § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K sei rechtswidrig. Für die Frage des Vorliegens einer Pflichtverletzung sei nicht entscheidend, ob die Klägerin innerhalb der ihr gesetzten Frist eine Arbeitsfähigkeitsbescheinigung vorgelegt habe, sondern ob dies auf einer fehlenden Mitwirkung der Klägerin beruhe. Der Stellungnahme des Betriebsarztes, Dr. U., vom 22.03.2021 (Anlage B31), wonach die Klägerin im Untersuchungstermin keine Angaben zu ihrer Erkrankung gemacht habe, sei die Klägerin entgegengetreten und habe als alleinigen Grund für die Nichtausstellung der Bescheinigung ihre Weigerung zu der geforderten Schweigepflichtentbindungserklärung benannt, deren Abgabe selbst die Beklagte als nicht erforderlich erachte. Es wäre nunmehr an der Beklagten gewesen, den Beweis für die Richtigkeit ihrer Behauptung zu führen. Dies sei jedoch nicht erfolgt, insbesondere habe die Beklagte den genannten Betriebsarzt nicht als Zeuge benannt. Ferner sei die Abmahnung vom 23.04.2021 wegen Nichtvorlage einer Bescheinigung i. S. d. § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K aus der Personalakte zu entfernen. Das Vorgehen der Beklagten stelle sich als unverhältnismäßig dar. Angesichts der unsicheren Rechtslage, ob sich die Klägerin auf ihre Arbeitsunfähigkeit habe berufen dürfen, um nicht an einer amtsärztlichen Untersuchung teilnehmen zu müssen, sei sie auf ihren entsprechenden Einwand nicht sofort abzumahnen gewesen, sondern es hätte ihr zunächst die gegensätzliche Rechtsansicht der Arbeitgeberseite verdeutlicht werden müssen, wie dies die Beklagte zeitgleich mit dem weiteren Schreiben vom 01.04.2021 getan habe. Gleiches gelte für die Abmahnung vom 11.05.2021 wegen Nichtvorlage einer Bescheinigung i. S. d. § 3 Abs. 4 TVöD-K. Auf das Aufforderungsschreiben der Beklagten vom 23.04.2021 habe die Klägerin mit Schriftsatz vom 03.05.2021 innerhalb der gesetzten Frist bis 07.05.201 eingewandt, dass sie sich weigere, eine Entbindung von der Schweigepflicht zu unterzeichnen. Mit Schreiben vom 11.05.2021 hat die Beklagte klargestellt, dass eine Schweigepflichtentbindung auch aus ihrer Sicht nicht erforderlich sei und der Klägerin erneut eine Frist zur Vorlage einer Arbeitsfähigkeitsbescheinigung gesetzt, und zwar bis zum 31.05.2021. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Beklagte trotz dieses offensichtlichen Klarstellungsbedarfs die Klägerin ohne Abwarten der gesetzten Frist noch am 11.05.2021 abgemahnt habe. Damit habe die Beklagte der Klägerin keine Möglichkeit gegeben, auf die Antwort der Beklagten zu reagieren und ihr Verhalten danach auszurichten. Schließlich sei die Abmahnung vom 15.10.2021 betreffend die Anfertigung der CD-Rom mit Patientendaten im Zusammenhang mit der INTER Versicherung-Anfrage rechtswidrig. Nach dem unstreitigen Sachverhalt habe die Klägerin die CD-Rom zwar erstellen lassen, diese aber nicht an die Versicherung verschickt. Nach der Weisung von Frau T. sei der Klägerin nur der Versand an die Versicherung untersagt worden, woran diese sich gehalten habe. Ob die Anfertigung der CD-Rom als solche eine Pflichtverletzung etwa in Gestalt des Datenschutzverstoßes darstelle oder nicht, bedürfe keiner Entscheidung, da dieser Vorwurf nicht Inhalt der hier allein im Streit stehenden Abmahnung vom 15.10.2021 sei.

Gegen dieses, ihren Prozessbevollmächtigten am 01.08.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17.08.2022 Berufung beim Landesarbeitsgericht München eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 17.10.2022 am 17.10.2022 begründet.

Die ordentliche Kündigung vom 30.06.2021 sei sozial gerechtfertigt. Die Klägerin habe erheblich und wiederholt gegen ihre arbeitsvertragliche Nebenpflicht aus § 241 BGB i.V.m. § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K verstoßen, indem sie sich mehrfach geweigert habe, einen Arbeitsfähigkeitsnachweis vorzulegen. Es habe keinen Grund für die Klägerin gegeben, ihren vertraglichen Verpflichtungen nicht nachzukommen. Die Beklagte habe sich mit dem Vortrag der Klägerin – diese sei durch die Betriebsärztin am 28.05.2021 ohne Untersuchung weggeschickt worden, da die Ärztin davon ausgegangen sei, dass die Klägerin schon einmal betriebsärztlich untersucht worden sei und diese daher noch Rücksprache mit einer Betriebsrätin habe nehmen wollen – substanziiert auseinandergesetzt und widerlegt. In der E-Mail der Klägerin vom 30.05.2021 seien Anzeichen dafür, dass eine Untersuchung am 28.05.2021 nicht stattgefunden habe, nicht genannt. In dem am 02.06.2021 postalisch eingegangenen Schreiben vom 24.05.2021 habe die Klägerin auf die angeblich notwendige Rücksprache mit Frau Dr. V. keinen Bezug genommen. Die Begründung im Schreiben vom 24.05.2021 sei unzutreffend, da Frau Dr. V. keine Entbindung von der Schweigepflicht gefordert bzw. die Untersuchung hiervon auch nicht abhängig gemacht habe. Der erstmals im Schriftsatz vom 13.05.2022 vorgebrachte Einwand verfange nicht. Frau Dr. V. unterliege gegenüber dem Betriebsrat der gleichen Schweigepflicht, die sie auch gegenüber der Beklagten einzuhalten habe. Die betriebsärztliche Untersuchung sei gescheitert, weil die Klägerin bei der Betriebsärztin lediglich erschienen sei und nicht mitgewirkt habe. Der Sachvortrag der Klägerin sei auch widersprüchlich. Zudem könne die Beklagte den Sachverhalt nicht aufklären, da sie gegen die Betriebsärztin keinen Anspruch habe, Details über die Untersuchung und deren Abläufe zu erfahren. Schließlich sei es Sache der Arbeitnehmerin, sich um einen neuen Termin zu kümmern oder die Arbeitgeberin aufzufordern, ihr einen neuen Termin zu vermitteln.

Die Abmahnung vom 01.04.2021 (Anl. B32, bl. 181 d. A.) hinsichtlich der Nichtvorlage der Bescheinigung nach § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K sei rechtmäßig. Die Beklagte habe ihrer Darlegungs- und Beweislast genügt. Sie habe vorgetragen, dass die Klägerin in der E-Mail vom 11.03.2021 mitgeteilt habe, dass sie wunschgemäß den Termin beim Betriebsarzt absolviert habe. Die angebliche Notwendigkeit der Unterzeichnung einer Entbindung von der Schweigepflicht habe die Klägerin nicht mit einem Wort thematisiert. Auch Herr Dr. U. habe dies in seinem Schreiben vom 22.03.2021 nicht getan. Die Beklagte sei bei der Untersuchung nicht anwesend gewesen. Sie habe nur auf das Schreiben des Betriebsarztes vom 22.03.2021 bzw. auf die Zeugeneinvernahme des Herrn Dr. U. zurückgreifen können. Weitere Beweismittel hätten ihr nicht zur Verfügung gestanden.

Die Abmahnung vom 23.04.2021 sei nicht unverhältnismäßig und rechtswidrig. Die Arbeitsunfähigkeit stehe einer ärztlichen Untersuchung im Sinne des § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K nach der Entscheidung des LAG Nürnberg vom 19.05.2020 – 7 Sa 304/19 – nicht entgegen. Im Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 12.06.2014 – 10 Sa 212/14 – würden ganz andere Aspekte im Zusammenhang mit einer Arbeitsunfähigkeit thematisiert werden. Es habe nach allem keine unsichere Rechtslage bestanden.

Auch die Abmahnung vom 11.05.2021 sei nicht unverhältnismäßig gewesen. Die Klägerin sei im Vorfeld bereits mehrfach aufgefordert worden, eine Feststellung ihrer Arbeitsfähigkeit nach § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K vornehmen zu lassen. Nichtsdestotrotz habe die Klägerin beharrlich gegen ihre arbeitsvertragliche Nebenpflicht aus § 241 BGB i.V.m. § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K verstoßen. Das klägerische Verhalten habe dazu geführt, dass es der Beklagten unmöglich gewesen sei, ihre arbeitsvertraglichen Fürsorgepflichten gegenüber der Klägerin zu erfüllen.

Die Abmahnung vom 15.10.2021 sei rechtmäßig. Der Klägerin sei nicht lediglich der Versand der CD-Rom untersagt worden. Die Mitarbeiterin Frau T. habe der Klägerin ausdrücklich untersagt, eine CD zu erstellen. Dies ergebe sich auch aus dem Wortlaut der Abmahnung. Die Kopie der gesamten Patientenakte ohne rechtfertigenden Zweck stelle eine unzulässige Datenverarbeitung und einen Verstoß gegen das datenschutzrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot dar. Da der externe Versicherer die notwendigen Unterlagen spezifiziert habe, hätte kein Grund für die Verarbeitung der gesamten personenbezogenen Daten des Patienten bestanden.

Die Beklagte beantragt sinngemäß – unter teilweiser Rücknahme der Berufung –

I. das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 28.06.2022 – Az: 26 Ca 6617/21 – teilweise abzuändern.

II. die Klage in Bezug auf die Anträge zu 1., 10., 11., 12., 13. und 14. abzuweisen.

III. hilfsweise, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 15.000 EUR nicht überschreiten sollte, zum 31.12.2021 aufzulösen.

IV. hilfsweise, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 15.000 EUR nicht überschreiten sollte, zum 30.06.2022 aufzulösen

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die ordentliche Kündigung vom 30.06.2021 sei mangels Pflichtverletzung rechtswidrig. Die Klägerin habe am 28.05.2021 keine betriebsärztliche Untersuchung verweigert. Ihr könne auch kein Vorwurf dahingehend gemacht werden, sie sei ihrer Mitwirkungsobliegenheit nicht nachgekommen. Sie habe sich sowohl am 22.03.2021 (richtig: 11.03.2021) und am 28.05.2021 zu einer betriebsärztlichen Untersuchung eingefunden. Beide Male sei aus von ihr nicht zu vertretenden Gründen keine Untersuchung vorgenommen worden. Bei dem ersten Untersuchungstermin sei rechtswidriger Weise eine Schweigepflichtentbindung verlangt und hiervon die weitere Untersuchung abhängig gemacht worden. Am 28.05.2021 sei die Nichtvornahme der Untersuchung durch die Betriebsärztin Frau Dr. V. verursacht worden. Das Vorbringen der Beklagten sei unsubstanziiert, wenn sie behaupte, dass sich die Klägerin am 28.05.2021 einer Untersuchung verweigert habe, ohne hierfür einen konkreten Sachverhalt vorzutragen. Es bestünden keine Widersprüchlichkeiten im diesbezüglichen klägerischen Vortrag. Das Schreiben der Klägerin vom 24.05.2021 habe sich auf die Weigerung der Untersuchung durch den Betriebsarzt Dr. U. wegen der fehlenden Schweigepflichtentbindung am 11.03.2021, nicht auf den Untersuchungstermin am 28.05.2021 bezogen. Dies sei vor dem Hintergrund des Erstelldatums 24.05.2021 auch logisch. Es sei kein Grund erkennbar, warum die Klägerin der Beklagten in der E-Mail vom 30.05.2021 hätte mitteilen müssen, dass eine Untersuchung nicht stattgefunden habe, weil die Klägerin von der Betriebsärztin mit der Begründung weggeschickt worden sei, dass eine Rücksprache mit dem Betriebsrat notwendig sei. Etwaige Beweisschwierigkeiten der Beklagten wegen der bestehenden Schweigepflicht der Betriebsärzte ihr gegenüber seien nicht das Problem der Klägerin.

Die Abmahnung vom 01.04.2021 wegen Nichtvorlage der Bescheinigung im Sinne des § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K sei rechtswidrig. Der klägerische Vortrag, dass eine Mitwirkung der Klägerin in der Schweigepflichtentbindung als Voraussetzung für die Untersuchung nicht möglich und ihr auch nicht zumutbar gewesen sei, sei nicht substanziiert bestritten worden. Die Klägerin habe das Formular zur Schweigepflichtentbindung als Anl. K33 in den Prozess eingeführt und auf das Schreiben der Beklagten vom 11.05.2021 (Anl. K26) verwiesen, in dem diese explizit klargestellt habe, dass eine Schweigepflichtentbindung nicht erforderlich sei.

Die Abmahnung vom 23.04.2021 (Anl. B34) wegen Nichtvorlage der Bescheinigung im Sinne des § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K sei unverhältnismäßig. Es habe eine unsichere Rechtslage bestanden, wie sich aus dem Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 12.06.2014 – 10 Sa 212/14 – Rn. 77 ergebe. Danach müsse während einer Arbeitsunfähigkeit in aller Regel kein Arbeitnehmer arbeitsvertragliche Pflichten wahrnehmen, auch nicht die aus § 3 Abs. 4 TVöD-K.

Die Abmahnung vom 11.05.2021 wegen Nichtvorlage der Bescheinigung im Sinne des § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K sei gleichfalls rechtswidrig. Auch sie sei unverhältnismäßig. Die Beklagte habe sich nicht an die von ihr selbst gesetzte Frist bis zum 31.05.2021 gehalten. Etwaige vorangegangene Aufforderungen an die Klägerin könnten nicht isoliert von der Problematik der Schweigepflichtentbindung betrachtet werden.

Die Abmahnung vom 15.10.2021 sei rechtswidrig. Der Klägerin sei weder verboten worden, für interne Zwecke eine CD anzufordern noch habe sie eine ganze Patientenakte (egal in welcher Form) an die Versicherung versandt. Aus der in der Abmahnung zitierten Passage gehe kein Verbot für die Klägerin, eine CD zu erstellen, hervor. Sie sei von der Mitarbeiterin lediglich darauf hingewiesen worden, dass das Brennen einer CD, um diese zu versenden, keine Lösung sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist teilweise unzulässig. Soweit sie zulässig ist, ist sie nur teilweise begründet.

I.

Die nach § 64 Abs. 2 lit. b) und lit c) ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 519 ZPO. Allerdings genügt die Begründung der Berufung in Bezug auf die Abmahnungen vom 01.04.2021 und 11.05.2021, jeweils wegen Nichtvorlage einer betriebsärztlichen Bescheinigung (Anl. B32, Bl. 181 d. A. und Anl. B37, Bl. 186 d. A.), nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO.

1. Die Berufungsbegründung muss nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO die Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) und die neuen Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden im Einzelnen bezeichnen, auf die die Partei ihre Berufung stützen will. Die Berufung muss deshalb auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Sie muss sich mit den Argumenten des angegriffenen Urteils auseinandersetzen und im Einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art sowie aus welchen Gründen der Berufungskläger das Urteil für unrichtig hält. Es reicht nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen (vgl. etwa BAG, Urteil vom 16.05.2012 – 4 AZR 245/10 – Rn. 11; Urteil vom 14.05.2019 – 3 AZR 274/18 – Rn. 18 m. w. Nachw.).

Es muss dabei für jeden der Streitgegenstände eine den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO genügende Begründung gegeben werden. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig (vgl. BAG, Urteil vom 08.05.2008 – 6 AZR 517/07 – Rz. 28).

Ein erst nach der Berufungsbegründungsfrist erfolgtes Vorbringen ist nicht mehr berücksichtigungsfähig (vgl. BAG, Beschluss vom 06.01.2019 – 6 AZB 105/14 – Rn. 22; LAG München, Urteil vom 07.11.2019 – 3 Sa 234/19 – Rn. 28).

2. Danach ist die Berufung in Bezug auf die Abmahnungen vom 01.04.2021 und 11.05.2021 mangels ausreichender Begründung unzulässig.

a) Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung zur Rechtswidrigkeit der Abmahnung vom 01.04.2021 wegen Nichtvorlage der betriebsärztlichen Bescheinigung nach § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K u. a. damit begründet, dass es die Beklagte versäumt habe, Beweis für die Richtigkeit ihrer seitens der Klägerin bestrittenen Behauptung, die Bescheinigung sei durch den Betriebsarzt Herrn Dr. U. wegen fehlender Mitwirkung der Klägerin nicht ausgestellt worden, zu führen. Die Beklagte habe den genannten Betriebsarzt nicht als Zeugen benannt.

In ihrer Berufungsbegründung hat sich die Beklagte mit dieser Auffassung des Erstgerichts nicht ausreichend auseinandergesetzt. Sie hat weder dargelegt, dass eine solche Beweisführung nicht erforderlich gewesen sei, noch den Betriebsarzt als Zeugen für ihre Behauptung, er habe die Ausstellung der Bescheinigung nur wegen der in seinem Schreiben vom 22.03.2021 angegebenen Gründe verweigert, benannt.

b) Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung zur Rechtswidrigkeit der Abmahnung vom 11.05.2021 wegen Nichtvorlage der betriebsärztlichen Bescheinigung nach § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K damit begründet, dass sie unverhältnismäßig sei. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Beklagte der Klägerin trotz des offensichtlichen Klarstellungsbedarfs in Zusammenhang mit der Schweigepflichtentbindung keine Gelegenheit gegeben habe, auf die Antwort der Beklagten mit dem weiteren Schreiben vom 11.05.2021 zu reagieren und ihr Verhalten danach auszurichten.

In ihrer Berufungsbegründung hat sich die Beklagte mit dieser Auffassung des Erstgerichts nicht auseinandergesetzt, sondern geltend gemacht, die Klägerin sei im Vorfeld bereits mehrfach aufgefordert worden, eine Feststellung ihrer Arbeitsfähigkeit nach § 3 Abs. 4 TVöD-K vornehmen zu lassen. Warum die Beklagte ein etwa geändertes Verhalten der Klägerin nach dem weiteren Schreiben vom 11.05.2021, wonach eine Schweigepflichtentbindung nicht erforderlich sei, nicht abwarten konnte, wird damit nicht dargelegt.

c) Im Übrigen ist die Berufungsbegründung der Beklagten ausreichend. Auch die Klägerin hat insofern keine Bedenken aufgeführt.

II.

Soweit die Berufung zulässig ist, ist sie teilweise begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist aufgrund der ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 30.06.2021 zum 31.12.2021 aufgelöst worden, weil sie nicht rechtsunwirksam gem. § 1 Abs. 1 und 2 KSchG ist. Die Abmahnung vom 23.04.2021 ist aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen. Demgegenüber war Antrag auf Entfernung der Abmahnung vom 15.10.2021 aus der Personalakte unbegründet. Der Kündigungsschutzantrag bezüglich der Kündigung vom 31.12.2021 war unbegründet, da ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zum Kündigungstermin 30.06.2022 nicht mehr bestand. Der Auflösungsantrag fiel nicht zur Entscheidung an.

1. Die Kündigung der Beklagten vom 30.06.2021 ist nicht rechtsunwirksam, § 1 Abs. 1 KSchG.

a) Die Kündigung vom 30.06.2021 ist nicht sozial ungerechtfertigt i. S. d. § 1 Abs. 2 KSchG.

aa) Eine Kündigung ist i. S. v. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist (st.Rspr., vgl. etwa BAG, Urteil vom 07.05.2020 – 2 AZR 619/19 – Rn. 15 m. w. Nachw.).

Eine Kündigung scheidet dagegen aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers – wie etwa eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten ist, oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich (auch für den Arbeitnehmer erkennbar) ausgeschlossen ist (vgl. BAG, Urteil vom BAG, Urt. v. 5.12.2019 – 2 AZR 240/19 – Rn. 75 w. m. Nachw.).

Im Rahmen der nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts schließlich erforderlichen umfassenden Interessenabwägung ist das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung des Arbeitsplatzes bis zu dem Zeitpunkt, in dem es ohne Ausspruch der Kündigung enden würde (stufenweise bis 2029 das 67. Lebensjahr, § 235 SGB VI), dem Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist gegenüberzustellen (vgl. Ascheid/Preis/Schmidt/ Vossen, KSchG, 6. Auflage 2021, § 1 KSchG Rn. 432; BAG, Urteil vom 27.09. 2012 – 2 AZR 811/11 – Rn. 28). Deshalb ist eine verhaltensbedingte Kündigung nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sie bei vollständiger Würdigung und Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien billigenswert und angemessen erscheint (vgl. BAG, Urteil vom 10. 12. 2009 – 2 AZR 55/09 – Rn. 35).

bb) Danach ist die Kündigung vom 30.06.2021 sozial gerechtfertigt i.S. d. § 1 Abs. 2 KSchG.

(1) Die Verletzung einer tarif- oder einzelvertraglich geregelten Nebenpflicht des Arbeitnehmers, bei gegebener Veranlassung auf Wunsch des Arbeitgebers an einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit mitzuwirken, ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und Landesarbeitsgerichte und der Literatur „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen (vgl. BAG, Urteil vom 25.01.2018 – 2 AZR 382/17 – Rn. 27 m. w. Nachw.; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.02.2010 – 6 Sa 640/09 – unter III. 1 der Gründe; LAG Hamm, Urteil vom 09.06.2016 – 15 Sa 131/16 – Rn. 49; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.09.2018 – 4 Sa 129 öD/18 Rn. 55 (zit. nach juris); LAG Nürnberg 19.5.2020 – 7 Sa 304/19 – Rn. 31; Gerretz in Bredemeier/Neffke, TVöD/TV-L, 6. Auflage 2022, § 3 TVöD Rn. 54; Stier in BeckOK TVöD, Rinck/Böhle/Pieper/Geyer, 63. Edition Stand: 01.06.2020, § 3 TVöD-AT, Rn. 46; Wolfgang Howald in: Burger, TVöD – TV-L, 4. Auflage 2020, § 3 TVöD AT, Rn. 47). Sie begründet erst recht einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund i. S. d. § 1 Abs. 2 KSchG (vgl. BAG, Urteil vom 27.09.2012 – 2 AZR 811/11 – Rn. 17; Stier in BeckOK TVöD, a.a.O.; Karb in Conze/Karb/Wölk/Reidel, Personalbuch Arbeits- und Tarifrecht öffentlicher Dienst, 7. Auflage 2021, „Ärztliche Untersuchung“ Rn. 107). Ob diese Pflichtverletzung im Einzelfall einen Grund zur (außer-)ordentlichen Kündigung darstellen kann, hängt von einer Abwägung der Umstände und der beiderseitigen Interessen ab. Entscheidend kommt es dabei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts darauf an, ob die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers als schuldhaft anzusehen ist. Hatte der Arbeitnehmer etwa vertretbare Gründe für seine Weigerung, auf deren Richtigkeit er vertraut und die er dem Arbeitgeber vor oder bei der Weigerung mitgeteilt hat, so wird regelmäßig kein Grund zur (fristlosen) Kündigung vorliegen. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird im Regelfall eine Kündigung, erst recht eine außerordentliche Kündigung, nur in Betracht kommen, wenn dem Arbeitnehmer zuvor die Pflichtwidrigkeit seiner Weigerung durch eine Abmahnung mit entsprechender Kündigungsandrohung klargemacht worden ist (vgl. BAG, Urteil vom 06.11.1997 – 2 AZR 801/96 – II. 3. b) der Gründe).

(2) Die Klägerin hat vorsätzlich und rechtwidrig ihre arbeitsvertraglichen Nebenpflichten verletzt, indem sie nicht bis zum 31.05.2021 durch ärztliche Bescheinigung nachgewiesen hat, zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage zu sein, § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB.

(a) Die Klägerin war verpflichtet, sich vom betriebsärztlichen Dienst ihre Arbeitsfähigkeit bescheinigen zu lassen.

Nach § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K ist der Arbeitgeber bei begründeter Veranlassung berechtigt, die/den Beschäftigte/n zu verpflichten, durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, dass sie/er zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist. Dem Arbeitgeber wird durch diese tarifliche Regelung das Recht zugestanden, überprüfen zu lassen, ob der Arbeitnehmer gesundheitlich in der Lage ist, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachzukommen. Hat der Arbeitgeber aufgrund hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte daran Zweifel, soll er feststellen lassen dürfen, ob seine Zweifel begründet sind (vgl. LAG Nürnberg, Urteil vom 19.05.2020 – 7 Sa 304/19 – Rn. 31 zu dem gleichlautenden § 3 Abs. 5 TV-L; BAG, Urteil vom 25.01.2018 – 2 AZR 382/17 – Rn. 18 zu § 5 Abs. 2 BAT/AOK-Neu; Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck, TVöD, Bd. 1, § 3 Rn. 116).

Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K lagen im Frühjahr 2021 vor. Es bestand zum einen eine „begründete Veranlassung“ i. S. d. § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K. Bereits in den Vorjahren hatte die Klägerin erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten, die die Beklagte zu ihrer Aufforderung i. S. d. § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K mit Schreiben vom 16.02.2020 veranlasst hatten, ohne dass eine Klärung hatte herbeigeführt werden können. Die Klägerin war zudem seit dem 29.04.2020 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Aus einer langandauernden Arbeitsunfähigkeit können sich Zweifel ergeben, ob der Arbeitnehmer zu der vertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist (vgl. BAG, Urteil vom 27.09.2012 – 2 AZR 811/11 – Rn. 27). Die Annahme der Klägerin, bei Arbeitsunfähigkeit nicht zur Vorlage der Bescheinigung § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K verpflichtet zu sein, trifft deshalb nicht zu. Nach dem Wortlaut der tariflichen Vorschrift ist es nicht Voraussetzung der betriebsärztlichen Untersuchung, dass der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Untersuchung arbeitsfähig ist. Auch dient die Untersuchung gerade dem Zweck, festzustellen, ob der Arbeitnehmer zur Leistung der vertraglich geschuldeten Arbeit (noch) in der Lage ist, weshalb gerade während einer bestehenden langanhaltenden Arbeitsunfähigkeit die Untersuchung aus verschiedenen Gründen geboten sein kann. Darüber hinaus wird der Arbeitgeber mit der betriebsärztlichen Untersuchung in den Stand versetzt, ggf. vorab die aufgrund der Fürsorgepflicht gegenüber dem Arbeitnehmer gebotenen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit des Arbeitnehmers bei Wiederaufnahme der Tätigkeit zu ergreifen (ausführlich LAG Nürnberg, Urteil vom 19.05.2020 – 7 Sa 304/19 – Rn. 35). Zum anderen hat die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 16.02.2021, 01.04.2021, 23.04.2021 und zuletzt vom 11.05.2021 aufgefordert, durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, dass sie zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist.

Schließlich wahrt die Anordnung an die Klägerin mit Schreiben vom 11.05.2021, sich erneut zur betriebsärztlichen Untersuchung beim betriebsärztlichen Dienst einzufinden und eine Bescheinigung nach § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K vorzulegen, die Grenzen des billigen Ermessens nach § 106 GewO, § 315 Abs. 3 BGB. Eine bestehende Arbeitsunfähigkeit steht der Teilnahme an einem betriebsärztlichen Untersuchungstermin nicht grundsätzlich entgegen. Besondere Umstände, die die Anordnung des Beklagten ausnahmsweise unbillig und rechtswidrig erscheinen lassen, hat die Klägerin nicht vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich. Tatsächlich war die Klägerin auch in der Lage, den Untersuchungstermin am 28.05.2021 wahrzunehmen.

(b) Die Klägerin hat entgegen ihrer Pflicht aus § 3 Abs. 4 Satz 1 TVöD-VKA eine ärztliche Bescheinigung zum Nachweis ihrer Arbeitsfähigkeit nicht bis zum Ablauf der ihr zuletzt mit Schreiben vom 11.05.2021 gesetzten Frist bis zum 31.05.2021 vorgelegt. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig.

(c) Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, ihr sei die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 1 TVöD-VKA unmöglich gewesen, da es am 28.05.2021 nicht zu einer Untersuchung gekommen sei, weil die Betriebsärztin Frau Dr. V. aufgrund der Aktenlage davon ausgegangen sei, dass die Klägerin bereits betriebsärztlich untersucht worden sei und sie – Frau Dr. V. – noch mit der Betriebsrätin Frau R. über diese Untersuchung sprechen müsse.

Diese Behauptung ist als bloße Schutzbehauptung der Klägerin zu werten und deshalb als rechtfertigender Grund ihres Verhaltens nicht zu berücksichtigen. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten diese Begründung bis zum Ausspruch der ordentlichen Kündigung vom 30.06.2021 nie vorgebracht, sondern im Gegenteil mit der E-Mail vom 30.05.2021 den Eindruck erweckt, sie sei am 28.05.2021 betriebsärztlich untersucht worden. So teilt sie in der fraglichen E-Mail vom 30.05.2021 mit, dass sie „wunschgemäß…einen Termin beim BÄD Q., Frau Dr. V., wahrgenommen“ habe. Da es ausweislich des Schreibens vom 11.05.2021 Wunsch der Beklagten war, dass sich die Klägerin zur Feststellung ihrer Arbeitsfähigkeit untersuchen ließ, und nicht, dass die Klägerin lediglich einen Termin beim BÄD vereinbart und in den Räumlichkeiten erscheint, erweckt die Erklärung den Eindruck, eine betriebsärztliche Untersuchung habe am 28.05.2021 stattgefunden. Darüber hinaus erklärte die Klägerin in der E-Mail vom 30.05.2021: „Eine Bescheinigung steht noch aus“, was im Zusammenhang mit dem vorherigen Satz zu dem Verständnis führt, dass die Bescheinigung nur noch durch die Betriebsärztin gefertigt werden müsse und dann vorgelegt werden könne, was ebenfalls eine Untersuchung vorausgesetzt hätte. Denn wenn eine Untersuchung gar nicht stattgefunden hat, wie die Klägerin behauptet, konnte eine Bescheinigung absehbar nicht erteilt werden. Dass ihre im Verlaufe des Kündigungsrechtsstreits ein Jahr später geäußerte Behauptung eine Schutzbehauptung darstellt, lässt sich auch aus ihrem am 02.06.2021 eingegangenen Schreiben mit Datum des 24.05.2021 schließen. In diesem Schreiben thematisierte die Klägerin die Schweigepflichtentbindung und ihre Krankschreibung wegen des Unfalls, um zu begründen, warum es zu keiner betriebsärztlichen Untersuchung und keiner Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung über ihre Arbeitsfähigkeit gekommen ist. Dabei legt der erste Absatz nahe, dass sie sich damit auf den Termin vom 28.05.2021 bezieht, denn die Klägerin nimmt darauf Bezug, was sie der Beklagten „zuvor bereits mitgeteilt habe“ und wiederholt nahezu wortwörtlich den Text ihrer Email vom 30.05.2021 („… habe ich ordnungsgemäß den Termin beim Betriebsarzt wahrgenommen und mich zu einer Untersuchung zur Verfügung gestellt.“ zu (Email vom 30.05.2021: „…wunschgemäß habe ich …. einen Termin beim BÄD Q. wahrgenommen und mich zur Untersuchung zur Verfügung gestellt.“ Welchen Termin – den vom 11.03.2021 oder den vom 28.05.2021 sie nun meint, lässt sie indessen offen. Soweit sich die mitgeteilten Gründe auf die für den 11.03.2021 geplante Untersuchung bezogen haben, was sich nach Auffassung der Klägerin aus dem Erstelldatum des Schreibens „24.05.2021“ ergeben soll, waren sie seitens der Beklagten durch Schreiben vom 23.04.2021 und 11.05.2021 längst ausgeräumt worden; für ihre erneute Mitteilung bestand kein Anlass. Im Gegenteil hätte es nahegelegen, sich zum Termin am 28.05.2021 zu äußern, was die Klägerin aber nicht tut. Darüber hinaus zeigt dieses Schreiben vom 24.05.2021, dass der Klägerin bewusst war, die Beklagte über etwaige Hinderungsgründe für eine Untersuchung informieren zu müssen. Hiermit übereinstimmend erklärte sie In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht München zu ihrem Schreiben vom 24.05.2021: „Ich habe vielleicht gedacht, dass ich das mitteilen muss.“ Dies bestätigte der Klägervertreter mit der gegenüber der Klägerin ausgesprochenen Empfehlung, sich wegen des Betriebsarzttermins am 11.03.2021 an die Beklagte zu wenden. Warum es dann zu keiner zeitnahen Information der Beklagten über die Hinderungsgründe der für den 28.05.2021 geplanten Untersuchung gekommen ist, wird nicht erklärt und lässt den Schluss zu, solche haben tatsächlich nicht vorgelegen. Auch gegenüber dem Betriebsrat hat die Klägerin die fragliche Behauptung, es sei am 28.05.2021 nicht zu einer Untersuchung gekommen, weil die Betriebsärztin Frau Dr. V. aufgrund der Aktenlage davon ausgegangen sei, dass die Klägerin bereits betriebsärztlich untersucht worden sei, und sie – Frau Dr. V. – noch mit der Betriebsrätin Frau R. über diese Untersuchung sprechen müsse, nicht aufgestellt. Nach dem Widerspruchsschreiben des Betriebsrats, S. 4 (= Bl. 38 d. A.) soll die Klägerin dem Betriebsrat „die Situation folgendermaßen“ geschildert haben: „Der Betriebsarzt hat ihr die Bescheinigung mit folgenden Worten verweigert: „Wenn ich nichts bekomme, was ich möchte, dann bekommen Sie nicht, was ich möchte.“ Folglich befasst sich der Betriebsrat mit der Frage, ob die Klägerin die Schweigepflichtentbindung hätte unterzeichnen müssen. Hätte sich der Sachverhalt so zugetragen, wie die Klägerin erstmalig ein Jahr später mit Schriftsatz vom 13.05.2022 behauptet hat, hätte es nahegelegen, dass die Klägerin dies – in Kenntnis der beabsichtigten Kündigung – dem Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung am 30.06.2021 geschildert hätte. Des Weiteren hätte sie sich erkundigt, ob die Betriebsärztin Frau Dr. V. mit dem Betriebsratsmitglied Frau R. gesprochen habe, wie es angeblich angekündigt worden ist. Darüber hinaus hat die Klägerin diesen Rechtfertigungsgrund „Äußerungen der Frau Dr. V.“ weder in der Klageschrift vom 06.07.2021 noch in der Güteverhandlung am 21.09.2021 noch in ihren Schriftsätzen bis zum 13.05.2022 vorgetragen. Auch dies ist in keiner Weise nachvollziehbar und seitens der Klägerin nicht erklärt worden, insbesondere, da sie sich im Schriftsatz vom 21.02.2022, S. 14 f. (= Bl. 345 f. d.A.) mit dem Vortrag der Beklagten zum Kündigungsgrund auseinandergesetzt hat. Soweit der Klägervertreter erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 23.02.2023 einen Vermerk aus Mai/Juni 2022 über das Gespräch der Klägerin mit der Betriebsärztin Frau Dr. V. am 28.05.2021 vorliest, überrascht, dass dieser Vortrag nur mündlich und erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht erfolgt, nachdem die Beklagte bereits in ihrer Berufungsbegründung auf die widersprüchlichen Einlassungen der Klägerin hingewiesen hatte. Eine Erklärung, warum sie sich nicht früher erinnert hat, bleibt die Klägerin erneut schuldig. Im Übrigen konnte sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 23.02.2023 wiederholt nicht erinnern, weil „alles so lange her sei“. Es ist deshalb nicht plausibel, dass sie sich ein Jahr nach dem Untersuchungstermin am 28.05.2021 und nach Ausspruch der ordentlichen Kündigung am 30.06.2021 erstmals im Mai/Juni 2022 an den Inhalt des Gesprächs mit Frau Dr. V. erinnern will.

Weitere Gründe, warum eine betriebsärztliche Untersuchung am 28.05.2021 nicht durchgeführt worden ist und sie die Bescheinigung nach § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD-K nicht vorlegen konnte, hat die Klägerin nicht vorgebracht. Dies obliegt nach der vorstehend aufgezeigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aber der Klägerin, die etwa vertretbare Gründe für eine Weigerung, auf deren Richtigkeit sie vertraut, der Arbeitgeberin vor oder bei der Weigerung mitteilen muss (vgl. BAG, Urteil vom 06.11.1997 – 2 AZR 801/96 – II. 3. b) der Gründe). Im Übrigen folgt dies aus den Grundsätzen zur Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess. So obliegt im Kündigungsschutzprozess zwar dem Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Für Umstände, die das Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigen oder entschuldigen könnten, ist seine Darlegungslast allerdings abgestuft. Der Arbeitgeber darf sich zunächst darauf beschränken, den objektiven Tatbestand einer Pflichtverletzung vorzutragen. Er muss nicht jeden erdenklichen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund vorbeugend ausschließen. Es ist vielmehr Sache des Arbeitnehmers, für das Eingreifen solcher Gründe – soweit sie sich nicht unmittelbar aufdrängen – zumindest greifbare Anhaltspunkte zu benennen. (vgl. BAG Urteil vom 27.9.2022 – 2 AZR 508/21 – Rn. 17 f). Im Streitfall hat die Beklagte behauptet, die Klägerin habe die Bescheinigung über ihre Arbeitsfähigkeit im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 1 TVöD-K nicht innerhalb der gesetzten Frist bis zum 31.05.2021 vorgelegt, obwohl die Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 Satz 1 TVöD-K vorgelegen hätten und ein entsprechender Untersuchungstermin am 28.05.2021 zur Verfügung gestanden habe. Damit hat sie den objektiven Tatbestand der Pflichtverletzung nach § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD vorgetragen. Es wäre nunmehr Sache der Klägerin gewesen, rechtfertigende Gründe für die dennoch nicht bis zum 31.05.2021 erfolgte Vorlage der Bescheinigung vorzubringen.

(3) Zwar liegt eine regelmäßig erforderliche Abmahnung nicht vor; einer vorherigen Abmahnung bedurfte es im vorliegenden Fall ausnahmsweise nicht.

(a) Die Abmahnungen vom 01.04.2021, 23.04.2021 und 11.05.2021 wegen Nichtvorlage der Bescheinigung nach § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD sind unwirksam und aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

(aa) Für die Abmahnungen vom 01.04.2021 und 11.05.2021 ergibt sich dies schon daraus, dass die Berufung der Beklagten insoweit unzulässig ist und das Arbeitsgericht eine entsprechende Verpflichtung tenoriert hat.

(bb) Aber auch in Bezug auf die Abmahnung vom 23.04.2021 kann die Klägerin in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 S. 1 BGB die Entfernung aus der Personalakte verlangen. Die Abmahnung vom 23.04.2021 ist zu Unrecht erteilt worden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Abmahnung rechtswidrig, wenn sie inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Auch eine zu Recht erteilte Abmahnung ist aus der Personalakte zu entfernen, wenn kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (vgl. BAG, Urteil vom 02.11.2016 – 10 AZR 596/15 – Rn. 10).

Danach ist die Abmahnung vom 23.04.2021 zu Unrecht erteilt worden. Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass sie unverhältnismäßig ist. Zu Gunsten ihrer Rechtsauffassung, wonach eine Arbeitsunfähigkeit einer betriebsärztlichen Untersuchung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 TVöD-K entgegenstehe, konnte sich die Klägerin auf ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg stützen, dem in Rn. 59 (nicht Rn. 77) die Aussage zu entnehmen ist, dass während einer Arbeitsunfähigkeit in aller Regel kein Arbeitnehmer arbeitsvertragliche Pflichten wahrnehmen müsse, „auch nicht die aus § 3 Abs. 4 TVöD“ (vgl. Urteil vom 12.06.2014 – 10 Sa 212/14 -). Auch wenn es in diesem Urteil um Vergütungsansprüche aufgrund von Annahmeverzug ging, wurden die Pflichten des Arbeitnehmers aus § 3 Abs. 4 TVöD geprüft und verneint. Es bestand damit aufgrund zwei divergierender landesarbeitsgerichtlicher Urteile eine Rechtsunsicherheit, die die Beklagte unter Hinweis auf die Entscheidung des LAG Nürnberg vom 19.05.2020 – 7 Sa 304/19 – hätte ausräumen können. Warum es ihr nicht zumutbar gewesen sein sollte, ihre Rechtsauffassung zunächst klarzustellen und die Klägerin – wie sie es mit dem weiteren Schreiben vom 23.04.2021 getan hat – zeitnah zur erneuten Vorlage der Bescheinigung im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 1 TVöD-K aufzufordern, hat die Beklagte nicht dargelegt. Im Übrigen war der Beklagten seit dem Schreiben des Betriebsarztes Dr. U. vom 22.03.2021 bekannt, dass sich die Klägerin auf ihre Arbeitsunfähigkeit(-sbescheinigung) berief, um nicht an der Untersuchung mitzuwirken. Sie hätte der Klägerin ihre Rechtsauffassung bereits mit ihrem Aufforderungsschreiben vom 01.00.2021 mitteilen können.

(b) Eine vorherige Abmahnung war indessen entbehrlich.

Im Zeitpunkt der Kündigung vom 30.06.2021 war bereits ex ante erkennbar, dass eine Verhaltensänderung der Klägerin auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten war. Dies ergibt sich aus den Gesamtumständen des vorliegenden Sachverhalts.

Bereits im Vorfeld zu der betriebsärztlichen Untersuchung am 25.08.2021 war die Klägerin mehrfach außerhalb der unwirksamen Abmahnungen seitens der Beklagten darauf hingewiesen worden, dass sie mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen rechnen müsse, falls sie den Termin zur betriebsärztlichen Untersuchung nicht wahrnehmen und eine Bescheinigung nach § 3 Abs. 4 Satz 1 TVöD-K nicht vorlegen würde, nämlich mit Schreiben vom 16.02.2021, 02.03.2021, 23.04.2021 und 11.05.2021. Aufgrund dieser Schreiben war die Klägerin deshalb gewarnt, dass die Beklagte im Fall eines etwaigen Pflichtenverstoßes ggf. eine Kündigung erwägen würde (zur sog. vorweggenommenen Abmahnung vgl. BAG, Urteil vom 05.04.2001 – 2 AZR 580/99 – unter II. 3. b) der Gründe). Des Weiteren hat die Klägerin die Gründe, die sie bewogen, sich einer betriebsärztlichen Untersuchung nicht zu unterziehen, der Beklagten nicht „vor oder bei“ der Untersuchung am 11.03.2021 mitgeteilt. Sowohl die bestehende Arbeitsunfähigkeit als auch die verlangte Schweigepflichtentbindung waren Umstände, die der Klägerin bereits seit dem Untersuchungstermin am 11.03.2021 bekannt waren. Dennoch hat die Klägerin sie erst mit der E-Mail vom 12.04.2021 in Bezug auf die Arbeitsunfähigkeit und mit E-Mail vom 03.05.2021 in Bezug auf die Schweigepflichtentbindung mitgeteilt und damit ihre Untersuchung als solche verzögert. Zusätzlich hat die Klägerin hierdurch ihre Mitwirkungspflichten aus § 241 Abs. 2 BGB verletzt (vgl. BAG, Urteil vom 06.11.1997 – 2 AZR 801/96 – unter II. 2. a) der Gründe) und bewusst die Feststellung ihrer Arbeitsfähigkeit verzögert. Zudem hat die Klägerin im Mai 2021 zum wiederholten Mal nicht durch betriebsärztliche Bescheinigung nachgewiesen, dass sie zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist. Denn nach Aufforderung durch Schreiben der Beklagten vom 16.02.2020 ist die Klägerin zwar zum Untersuchungstermin am 05.03.2020 bei der Betriebsärztin erschienen, hat dann aber an der Untersuchung nicht mitgewirkt, so dass die Betriebsärztin Frau Dr. V. sich außerstande sah, die Bescheinigung im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 1 TVöD-K auszustellen. Vor allem aber hat die Klägerin durch ihre E-Mail vom 30.05.2021 gegenüber der Beklagten den falschen Eindruck erweckt, sie sei am 28.05.2021 untersucht worden. Denn sie hat in dieser E-Mail mitgeteilt, dass sie am 28.05.2021 „wunschgemäß“ einen Termin beim betriebsärztlichen Dienst wahrgenommen habe und eine Bescheinigung noch ausstehe. Dadurch hat sie ihren Pflichtenverstoß im Zusammenhang mit dem Nachweis ihrer Arbeitsfähigkeit aufgrund der Untersuchung am 28.05.2021 zu verschleiern und eine korrekte Pflichtenerfüllung vorzutäuschen versucht. Es ist der Beklagten objektiv nicht zuzumuten, eine Mitarbeiterin weiter zu beschäftigen, die statt ihrer Mitwirkungspflicht nachzukommen sie aktiv über ihre fehlende Mitwirkung in die Irre führt (vgl. BAG, Urteil vom 23.01.2014 – 2 AZR 638/13 – Rn. 18 ff.: kein Kündigungserfordernis bei Manipulation der Akten zwecks Verschleierung von Pflichtenverstößen).

(4) Die notwendige Interessenabwägung fiel zu Lasten der Klägerin aus. Auf Grund der Schwere der Pflichtverletzung und der gegebenen Umstände rechtfertigen es die persönlichen Lebensumstände der Klägerin nicht, das Arbeitsverhältnis dauerhaft fortzusetzen.

Zu Gunsten der Klägerin war ihr Lebensalter von 00 Jahren und die Beschäftigungsdauer von 10 Jahren im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zu berücksichtigen. Allerdings trafen sie keine Unterhaltspflichten. Auch war die Klägerin bereits soweit gesundet, dass sie im Rahmen einer Wiedereingliederung ihre Tätigkeit wiederaufgenommen hatte, so dass am 30.06.2021 die Aussicht bestand, die Klägerin würde auf dem für Arbeitskräfte sehr guten Arbeitsmarkt in B-Stadt wieder eine Anstellung finden. Der Klägerin standen hierfür aufgrund der tarifvertraglich Kündigungsfrist immerhin sechs Monate zur Verfügung.

Zu Lasten der Klägerin war jedoch zu werten, dass ihr Pflichtenverstoß schwer wog. Die Beklagte hatte ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin. Ein arbeitsunfähiger Arbeitnehmer ist nicht in der Lage, die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Auch ist der Arbeitgeber zur Rücksichtnahme auf die Belange des Arbeitnehmers verpflichtet (vgl. BAG, Urteil vom 25.01.2018 – 2 AZR 382/17 – Rn. 37). Die Klägerin hat 2021 zum wiederholten Mal nicht innerhalb der gesetzten Frist einen Nachweis ihrer Arbeitsfähigkeit geführt, denn schon 2020 hatte sie einen solchen nicht vorgelegt. Nach dem unbestrittenen Sachverhalt hat sie damals an der Untersuchung nicht mitgewirkt. Dabei handelte die Klägerin Ende Mai 2021 in Kenntnis dessen, dass die Beklagte für diesen Fall bereits arbeitsvertragliche Maßnahmen angekündigt hatte. Zudem hat die Klägerin die Beklagte durch ihre E-Mail vom 30.05.2021 getäuscht und damit deren Vertrauen in die redliche Beachtung und Erfüllung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten zerstört. Auch dass die Klägerin in Kenntnis dessen, dass es am 28.05.2021 zu keiner Untersuchung gekommen ist, sich bis zum Ausspruch der Kündigung am 30.06.2021 nicht an die Beklagte wandte, um ihrer Mitwirkungspflicht aus § 241 Abs. 2 BGB zu genügen, spricht für die negative Prognose, die Klägerin werde auch zukünftig versuchen, sich einer betriebsärztlichen Untersuchung zu entziehen. Auch war die Beklagte nicht darauf zu verweisen, die Klägerin anderweitig einzusetzen. Da die Arbeitsfähigkeit der Klägerin nicht geklärt worden ist, war der Beklagten dies schon tatsächlich nicht möglich. Schließlich war zu berücksichtigen, dass es die Klägerin selbst in der Hand hatte, sich am 28.05.2021 und unmittelbar danach vertragsgetreu zu verhalten.

b) Die Kündigung vom 30.06.2021 ist auch gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG wirksam. Nach dem Vortrag der Beklagten zur Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung und ihrer Vorlage mit Anlage B40 (= Bl. 191 ff. d. A.) hat die Klägerin diese nicht im Einzelnen bestritten.

2. Der Kündigungsschutzantrag in Bezug auf die Kündigung vom 30.12.2021 (Antrag zu 14.) ist unbegründet. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis besteht im Zeitpunkt des Kündigungstermins 30.06.2022 nicht mehr, weil es bereits durch die Kündigung der Beklagten vom 30.06.2021 zum 31.12.2021 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte ist nicht in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB verpflichtet, die Abmahnung vom 15.10.2021 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

a) Das durch die Abmahnung vom 15.10.2021 gerügte Verhalten der Klägerin besteht darin, dass sie nur die von der Versicherung geforderten Unterlagen wie OP-Bericht, OP-Protokoll, Labor- und mikrobiologische Befunde sowie Dokumente, die die Codierung der in Rechnung gestellten Entgelte rechtfertigten, zur Weitergabe an die externe Versicherung hätte vorbereiten dürfen. Dies ist dem Text des Abmahnungsschreibens, beginnend mit „Bei ordnungsgemäßen Verhalten hätten Sie …“ zu entnehmen.

b) Eine entsprechende Weisung hat die Mitarbeiterin Frau T. der Klägerin erteilt. Nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Beklagten hat diese Mitarbeiterin der Klägerin vorgeschlagen, sich mit der Kodierungsfachfrau in Verbindung zu setzen, um zu klären, welche Unterlagen die Versicherung konkret meinen könnte.

c) Dieser Anweisung hat die Klägerin zuwidergehandelt, indem sie ausweislich ihrer E-Mail vom 10.09.2021 an den Mitarbeiter im Archiv Herrn S. verlangte, die komplette Patientenakte auf CD zu brennen. Tatsächlich ist dies so ausgeführt worden.

III.

Die Kosten des Rechtsstreits waren zwischen den Parteien verhältnismäßig gemäß §§ 92 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO zu teilen. Dabei war von einem Obsiegen der Beklagten hinsichtlich der beiden Kündigungsschutzanträge, die mit jeweils 3 Bruttomonatsvergütungen bewertet wurden, und dem Antrag auf Entfernung der Abmahnung vom 15.10.2021, der mit einer Bruttomonatsvergütung zugrunde zu legen war, d.h. in Höhe von 24.945,83 €, auszugehen. Bei einem Gesamtstreitwert von 64.146,24 € ergab sich hieraus eine Kostenquote von 6/10 zu Lasten der Beklagten und 4/10 zu Gunsten der Klägerin.

IV.

Es bestand kein Grund gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG, die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.

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