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Kündigungsschutzklage – Aussetzung wegen Vorgreiflichkeit

Rechtliche Hürden: Kündigungsschutzklage und Vorgreiflichkeit

Das Landesarbeitsgericht Sachsen hob den Beschluss des Arbeitsgerichts Leipzig auf, der die Aussetzung einer Kündigungsschutzklage wegen der Vorgreiflichkeit eines anderen Rechtsstreits verfügte. Das Gericht stellte fest, dass die Voraussetzungen für eine solche Aussetzung nicht erfüllt waren und dass die Ermessensausübung des Arbeitsgerichts fehlerhaft war, insbesondere weil die Möglichkeit einer Ausklammerungsentscheidung nicht in Betracht gezogen wurde.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 1 Ta 10/23  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses: Das Landesarbeitsgericht Sachsen hebt den Beschluss des Arbeitsgerichts Leipzig auf.
  2. Unzureichende Grundlage für Aussetzung: Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 148 ZPO waren zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht erfüllt.
  3. Bedeutung der Vorgreiflichkeit: Die Frage der Vorgreiflichkeit eines anderen Rechtsstreits war zum Zeitpunkt der Aussetzung noch nicht abschließend beurteilbar.
  4. Fehlerhafte Ermessensausübung: Das Arbeitsgericht berücksichtigte nicht alle relevanten Aspekte, insbesondere die Möglichkeit einer Ausklammerungsentscheidung.
  5. Wichtigkeit des Beschleunigungsgrundsatzes: Die Bedeutung des Beschleunigungsgrundsatzes in Bestandsstreitigkeiten wurde hervorgehoben.
  6. Prüfung der Kündigung: Beide Parteien müssen Gelegenheit zur Stellungnahme zur Kündigung haben, bevor die Vorgreiflichkeit beurteilt werden kann.
  7. Relevanz der Betriebsratsanhörung: Die Betriebsratsanhörung wirft Fragen auf, die im Rahmen des Verfahrens zu klären sind.
  8. Keine abschließende Stellungnahme der Beklagten: Zum Zeitpunkt der Aussetzung hatte die Beklagte noch nicht abschließend zum Kündigungsschutzantrag Stellung genommen.

Das Spannungsfeld des Arbeitsrechts: Kündigungsschutzklagen und ihre juristischen Feinheiten

Arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen sind oft von komplexen und vielschichtigen Verfahren geprägt. Im Mittelpunkt stehen häufig Kündigungsschutzklagen, die nicht selten eine Herausforderung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer darstellen. Ein besonders interessanter Aspekt in diesem Kontext ist die Aussetzung von Rechtsstreitigkeiten. Dies geschieht vor allem dann, wenn die Entscheidung eines Falls von anderen, parallel laufenden Verfahren abhängt – ein Vorgang, der als Vorgreiflichkeit bekannt ist. Speziell die Entscheidungen des Arbeitsgerichts Leipzig bieten aufschlussreiche Einblicke in die Handhabung solcher Situationen, bei denen es um mehr geht als nur um die bloße Kündigung eines Arbeitsverhältnisses.

Diese Thematik wirft grundlegende Fragen auf: Wann ist eine Aussetzung eines Rechtsstreits gerechtfertigt? Wie wird die Vorgreiflichkeit anderer Fälle bewertet? Und welche Auswirkungen haben diese Entscheidungen auf die beteiligten Parteien? Im Folgenden wird ein konkretes Urteil beleuchtet, das Licht in das komplexe Geflecht von Kündigungsschutzklagen und der damit verbundenen juristischen Abwägungen bringt. Lassen Sie uns gemeinsam eintauchen in die Welt des Arbeitsrechts, um die Details und Hintergründe dieses spannenden Falls zu erkunden.

Der Weg zur Klärung einer Kündigungsschutzklage

Im Fokus des aktuellen Falles steht eine Kündigungsschutzklage am Arbeitsgericht Leipzig, die eine bemerkenswerte Wendung nahm. Der Kläger, ein Arbeitnehmer, wandte sich gegen die fristlose sowie hilfsweise ordentlich ausgesprochene Kündigung seines Arbeitsverhältnisses, die ihm am 20.09.2022 zugegangen war. Die Besonderheit dieses Falles liegt darin, dass die Beklagte, sein Arbeitgeber, das Arbeitsverhältnis bereits am 31.03.2022 außerordentlich gekündigt hatte. Diese frühere Kündigung wurde ebenfalls vom Kläger gerichtlich angefochten und war unter dem Aktenzeichen 13 Ca 924/22 beim Arbeitsgericht Leipzig anhängig.

Das juristische Dilemma der Vorgreiflichkeit

Ein Schlüsselaspekt des Falls ist die Vorgreiflichkeit. Die Beklagte beantragte zunächst die Aussetzung des Rechtsstreits um die Kündigung vom 19.09.2022, da der Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache vom Ausgang des Parallelrechtsstreits abhinge. Dieser Antrag wurde jedoch vom Arbeitsgericht abgelehnt. Nachdem keine Einigung in der Güteverhandlung erzielt wurde, wiederholte die Beklagte ihren Antrag, was zur Aussetzung des Rechtsstreits führte. Das Arbeitsgericht begründete die Aussetzung mit der Gefahr widerstreitender Entscheidungen, da unklar war, ob das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der zweiten Kündigung überhaupt noch bestand.

Die sofortige Beschwerde und ihre Folgen

Der Kläger legte daraufhin sofortige Beschwerde ein, da er der Ansicht war, dass der Aussetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts unzureichend begründet sei und die Interessen der Parteien nicht angemessen berücksichtige. Interessanterweise half das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht ab, woraufhin das Landesarbeitsgericht Sachsen mit dem Aktenzeichen 1 Ta 10/23 in die Angelegenheit eintrat. Dieses Gericht hob schließlich den Aussetzungsbeschluss auf, da die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach § 148 ZPO nicht erfüllt waren.

Gründe für die Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses

Das Landesarbeitsgericht Sachsen argumentierte, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 148 ZPO zum Zeitpunkt der Aussetzung nicht vorlagen und das Arbeitsgericht bei der Ausübung seines Ermessens nicht alle relevanten Aspekte berücksichtigt hatte. Insbesondere wurde die Möglichkeit einer Ausklammerungsentscheidung, bei der einzelne Feststellungen isoliert betrachtet werden können, nicht in Betracht gezogen. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt somit ein bedeutendes Beispiel dafür dar, wie Gerichte mit der Komplexität von Kündigungsschutzklagen und der damit verbundenen Vorgreiflichkeit umgehen.

Insgesamt verdeutlicht dieser Fall die juristische Komplexität, die mit Kündigungsschutzklagen und der Frage der Vorgreiflichkeit einhergeht. Er zeigt auch, wie wichtig es ist, dass Gerichte alle relevanten Aspekte sorgfältig prüfen und abwägen, um zu einer gerechten Entscheidung zu gelangen. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen bietet somit wichtige Einsichten in die juristische Handhabung solcher Fälle.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was bedeutet Vorgreiflichkeit in einem arbeitsrechtlichen Kontext?

Vorgreiflichkeit in einem arbeitsrechtlichen Kontext bezieht sich auf die Situation, in der der Ausgang eines Rechtsstreits vom Ausgang eines anderen Rechtsstreits abhängt. In solchen Fällen kann das Gericht gemäß § 148 ZPO die Aussetzung eines Verfahrens anordnen, um eine mehrfache Prüfung derselben Frage in mehreren Verfahren zu verhindern und einander widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Die Vorgreiflichkeit ist insbesondere gegeben, wenn in einem anderen Rechtsstreit eine Entscheidung ergeht, die für das auszusetzende Verfahren materielle Rechtskraft entfaltet oder Gestaltungs- bzw. Interventionswirkung erzeugt.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Sachsen – Az.: 1 Ta 10/23 – Beschluss vom 25.01.2023

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Leipzig vom 12.12.2022 – 9 Ca 2338/22 – aufgehoben.

Gründe

I.

Mit seiner sofortigen Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die in dem angefochtenen Beschluss angeordnete Aussetzung des Rechtsstreits bis zum rechtskräftigen Abschluss eines in einer anderen Kammer des Arbeitsgerichts Leipzig anhängigen Rechtsstreits.

Die Parteien streiten in der Hauptsache um die Wirksamkeit einer am 20.09.2022 zugegangenen fristlosen, hilfsweise ordentlich ausgesprochenen Kündigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses vom 19.09.2022. Die Beklagte hatte das Arbeitsverhältnis bereits am 31.03.2022 außerordentlich gekündigt. Auch diese Kündigung hat der Kläger gerichtlich angegriffen. Die Kündigungsschutzklage ist beim Arbeitsgericht Leipzig unter dem Aktenzeichen 13 Ca 924/22 rechtshängig.

Noch vor dem in der Hauptsache auf den 08.11.2022 bestimmten Gütetermin beantragte die Beklagte den Rechtsstreit um die Kündigung vom 19.09.2022 wegen Vorgreiflichkeit des Rechtsstreits um die früher ausgesprochene Kündigung auszusetzen. Dies lehnte das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 07.11.2022 ab.

Nachdem die Güteverhandlung vom 08.11.2022 nicht zu einer Erledigung der Hauptsache geführt hatte, beantragte die Beklagte mit Schreiben vom 22.11.2022 erneut die Aussetzung des Verfahrens bis zum Abschluss des unter dem Az.: 13 Ca 924/22 anhängigen Verfahrens. Da als Vorfrage des in der Hauptsache geführten Kündigungsrechtsstreits zu prüfen sei, ob das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch bestanden habe, hänge der Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache vom Ausgang des Parallelrechtsstreits der Parteien vor der 13. Kammer ab. Ohne dass dies eine abschließende Stellungnahme sein solle, werde in der Sache selbst auf ein als Anlage beigefügtes Schreiben zur Betriebsratsanhörung vom 19.09.2022 verwiesen, das den zur Kündigung führenden Vorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Sicht darstelle. Wegen der Einzelheiten wird auf das als Anlage B 1 vorgelegte Schreiben der Beklagten an den Betriebsrat vom 19.09.2022 Bezug genommen.

Durch Beschluss vom 12.12.2022 setzte das Arbeitsgericht den Rechtsstreit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens mit dem Aktenzeichen 13 Ca 924/22 aus. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus für die Aussetzung sei die Gefahr widerstreitender Entscheidungen maßgeblich, denn die in der Hauptsache anhängige Kündigungsschutzklage stehe unter dem Vorbehalt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien überhaupt noch besteht.

Mit seiner sofortigen Beschwerde vom 22.12.2022 wendet sich der Kläger gegen die Aussetzung des Verfahrens. Der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 12.12.2022 sei unzureichend begründet, weil sich dem Aussetzungsbeschluss nicht entnehmen lasse, dass die vom Arbeitsgericht zu treffende Ermessensentscheidung die wechselseitigen Interessen der Parteien berücksichtige.

Mit Beschluss vom 09.01.2023 half das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht ab. Die sofortige Beschwerde habe sich mit der Begründung, es seien widerstreitende Entscheidungen zu besorgen, nicht auseinandergesetzt. Der Rechtsstreit vor der 13. Kammer sei als vorgreiflich anzusehen und der Streit über die Wirksamkeit der zweiten Kündigung auch unter Beachtung des Beschleunigungsgrundsatzes nicht vorrangig zu behandeln.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist nach den §§ 252, 267 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist zulässig, denn sie ist innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 269 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingelegt und wahrt die in § 269 Abs. 2 Satz 1, § 130 a Abs. 1 bis Abs. 4 ZPO vorgeschriebene Form.

2. Die sofortige Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Aussetzungsbeschlusses.

a) Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder teilweise von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, kann das Gericht nach § 148 ZPO anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist.

aa) Bei der Ausübung des durch den Begriff „kann“ in § 148 ZPO eröffneten Ermessens, hat das Gericht den Zweck der Aussetzung des Verfahrens, einander widersprechende Entscheidungen zu vermeiden, gegen die Nachteile der durch die Aussetzung verlängerten Verfahrensdauer und die dadurch entstehenden Folgen für die Parteien abzuwägen (BAG, Urt. v. 16.04.2014, Az.: 10 AZR 6/14, Juris, Rn. 5). Bei der Abwägung ist der Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Abs. 1 ArbGG, dem in Bestandsstreitigkeiten nach § 61 a ArbGG besonders große Bedeutung zukommt, zu berücksichtigen, ferner die Vorschriften zum Schutz vor überlanger Verfahrensdauer nach § 9 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, § 198 ff. GVG (BAG, a. a. O.).

bb) Die Frage, ob der andere anhängige Rechtsstreit vorgreiflich ist, stellt kein Ermessenskriterium dar, sondern ist Tatbestandsvoraussetzung des § 148 ZPO, die erfüllt sein muss, bevor das Ermessen des Gerichts eröffnet wird (BAG, a. a. O., Rn. 10).

cc) Im Beschwerdeverfahren kann die Entscheidung des Arbeitsgerichts über die Aussetzung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO nur daraufhin überprüft werden, ob ein Aussetzungsgrund im Sinne der Vorgreiflichkeit eines anderen Rechtsstreits vorliegt [oben 2. a) bb)] und ob das Arbeitsgericht bei der Ausübung seines Ermessens dessen Grenzen eingehalten hat und ihm auch sonst keine Ermessensfehler unterlaufen sind (BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az.: II ZB 16/20, Juris, Rn. 20; Beschluss vom 25.07.2019, Az.: I ZB 82/18, Juris, Rn. 38).

b) In Anwendung dieser Grundsätze, die die Beschwerdekammer in ständiger Rechtsprechung anwendet (vgl. Sächs. LAG, Beschluss vom 17.10.2022, Az.: 1 Ta 146/22, Juris, zu II. 2. der Gründe), war der Beschluss über die Aussetzung des Rechtsstreits aus zwei Gründen aufzuheben:

aa) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 148 ZPO liegen noch nicht vor, denn es ist nach dem Stand, den das Verfahren bis zur Verkündung des Aussetzungsbeschlusses erreicht hat offen, ob das ältere Verfahren mit dem Aktenzeichen 13 Ca 924/22 vorgreiflich ist.

Nach dem sog. erweiterten punktuellen Streitgegenstandsbegriff ist in einer dem Antrag nach § 4 KSchG stattgebenden Entscheidung zugleich die Feststellung enthalten, dass zum vorgesehenen Auflösungszeitpunkt noch ein Arbeitsverhältnis der Parteien bestanden hat (vgl. Klose in KR-Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz, 13. Aufl. 2022, § 4 KSchG RdNr.290). Die Vorgreiflichkeit einer die frühere Kündigung betreffenden Klage folgt mithin aus dem Streitgegenstand der in der Hauptsache anhängigen Kündigungsschutzklage. Würde der in der Hauptsache anhängigen Kündigungsschutzklage stattgegeben, stünde inzident fest, dass das Arbeitsverhältnis über den in der früheren Kündigung angegebenen Beendigungszeitpunkt hinaus bestanden hat. Würde die in der Hauptsache anhängige Kündigungsschutzklage dagegen abgewiesen, stünde nur fest, dass über den in der Kündigung bestimmten Zeitpunkt hinaus kein Arbeitsverhältnis besteht. Die Begründung und die Vorfrage, ob das Arbeitsverhältnis bereits durch eine frühere Kündigung aufgelöst worden ist, nähmen nicht an der Rechtskraft des klageabweisenden Urteils teil (BAG, Urteil vom 23.10.2008, AZ. 2 AZR 131/07, Juris, Rn. 18, grundlegend BAG Urteil vom 15.1.1991, Az. 1 AZR 94/90 zu I.1. a der Gründe).

Ob der in der Hauptsache anhängigen Kündigungsschutzklage stattzugeben ist, lässt sich freilich erst prüfen, wenn beide Parteien Gelegenheit hatten, sich zur Kündigung zu äußern. Der Rechtsstreit muss „ausgeschrieben“ sein, bevor sich die Vorgreiflichkeit eines Rechtsstreits um eine frühere Kündigung überhaupt beurteilen lässt (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.11.2020, Az.: 21 Ta 1223/20, Juris, Rn. 24; LAG Köln, Beschluss vom 27.03.2020, Az.: 4 Ta 31/20, Juris, Rn. 20).

Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit zu einem Zeitpunkt ausgesetzt, in dem die Beklagte zu der gegen die Kündigung vom 19.09.2022 erhobenen Kündigungsschutzklage noch nicht abschließend Stellung genommen hatte. Zwar hat die Beklagte „in der Sache selbst“ auf die schriftliche Betriebsratsanhörung vom 19.09.2022 Bezug genommen. Sie hat jedoch gleichzeitig ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies keine abschließende Stellungnahme zum Kündigungsschutzantrag des Klägers sein soll. Die dergestalt vorbehaltene, ergänzende Stellungnahme der Beklagten dürfte auch geboten und im Rahmen der nach § 139 Abs.1 Satz 2 ZPO erforderlichen Sachaufklärung durch das Gericht anzufordern sein. Die schriftliche Betriebsratsanhörung vom 19.09.2022 wirft nämlich Fragen auf. So datiert die Betriebsratsanhörung ebenso wie die Kündigung vom 19.09.2022, während der Betriebsrat seine Stellungnahme erst am 20.09.2022 abgegeben hat. Inhaltlich lässt die Betriebsratsanhörung vom 19.09.2022 zudem nicht erkennen, ob die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten hat.

Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit mithin zu einem Zeitpunkt ausgesetzt, in dem die Vorgreiflichkeit des Rechtsstreits 13 Ca 924 /22 noch nicht beurteilt werden konnte. Die maßgebliche Tatbestandsvoraussetzung einer Aussetzung nach § 148 ZPO lag damit nicht vor. Bereits dies führt zur Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses.

bb) Auch die Ermessensausübung des Arbeitsgerichts ist bislang fehlerhaft.

Es ist anerkannt, dass die Entscheidung über einen Kündigungsschutzantrag auf die Auflösung eines (streitigen) Arbeitsverhältnisses durch die konkret angegriffene Kündigung beschränkt werden kann (BAG, Urt. v. 22.11.2012, Az.: 2 AZR 732/11, Rn. 20). Mittels dieser so genannten Ausklammerung ist es dem Arbeitsgericht möglich, einzelne Feststellungen „herauszupicken“, mithin die Rechtskraft eines Kündigungsschutzantrages dergestalt zu beschränken, dass nur die Nichtbeendigung des (streitigen) Arbeitsverhältnisses durch die angegriffene Kündigung festgestellt wird (vgl. Thüringer LAG, Urt. v. 16.08.2022, Az.: 1 Sa 197/21, Juris, Rn. 60). Eine Ausklammerungsentscheidung kommt insbesondere in Betracht, wenn eine Kündigung offensichtlich unwirksam ist, etwa, weil sie gegen das Schriftformerfordernis des § 623 BGB verstößt, weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört wurde (§ 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) oder wenn gesetzlicher Sonderkündigungsschutz unbeachtet blieb.

Mit der rechtlich zulässigen Verfahrensweise der Ausklammerung muss sich das Arbeitsgericht im Rahmen seiner Ermessensentscheidung über die Aussetzung des Kündigungsrechtsstreits auseinandersetzen. Wird die Möglichkeit einer Ausklammerungsentscheidung bei der Ausübung des von § 148 ZPO eröffneten Ermessens gar nicht bedacht, liegt regelmäßig ein Ermessensfehlgebrauch vor. Eine prozessual zulässige Gestaltung wird dann nämlich nicht in die Ermessensausübung einbezogen und deren Bedeutung für die Durchsetzung des aus den §§ 9 Abs.1, 61a ArbGG folgenden besonderen Beschleunigungsgebots nicht gewürdigt. Dieser Fehler bei der Ausübung des Ermessens führt ebenfalls zur Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses.

III.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, denn das Beschwerdeverfahren ist Bestandteil des Hauptsacheverfahrens. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind mithin ein Teil der Kosten des Rechtsstreits, über die das Arbeitsgericht im Rahmen der Entscheidung über die Kündigungsschutzklage mit zu befinden hat (vgl. Herget in Zöller, ZPO, Kommentar, 34. Aufl. 2022, § 97, Rn. 9).

IV.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen der §§ 78 S. 2, 72, Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Entscheidung der Kammer weicht nicht von der Rechtsprechung anderer Obergerichte ab und absolute Revisionsgründe liegen nicht vor.

 

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