Skip to content

Nachgewährung von Urlaub bei Corona-Quarantäne während des Urlaubs?

Arbeitsgericht Oberhausen – Az.: 3 Ca 321/21 – Urteil vom 28.07.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Streitwert: 1.015,40 €

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

T a t b e s t a n d:

I.

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin Urlaub nachzugewähren.

Die Klägerin ist bei der Beklagten als Arbeitnehmerin zu einer durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung von 2.200,00 € beschäftigt. Im Jahr 2020 gewährte die Beklagte der Klägerin einen von ihr beantragten Urlaub für die Zeit vom 10. bis 31.12.2020. Nach Kontakt mit ihrer Corona infizierten Tochter begab sich die Klägerin nach Rücksprache mit der Beklagten ab dem 08.12.2020 in Quarantäne. Sie meldete sich beim Gesundheitsamt. Im Hinblick auf den Kontakt mit ihrer positiv getesteten Tochter ordnete das Gesundheitsamt zunächst Quarantäne bis zum 16.12.2020 für die Klägerin an. Bei einer Testung am 16.12.2020 wurde festgestellt, dass sich die Klägerin mit Corona infiziert hatte. Mit Schreiben vom 17.12.2020 (Bl. 3 d. A.) forderte das Gesundheitsamt die Klägerin auf, sich in der Zeit vom 6. bis 23.12.2020 in häusliche Quarantäne zu begeben. Das Schreiben enthält den Hinweis, dass die Klägerin als Kranke im Sinne des § 2 Nr. 4 IfSG anzusehen sei. Die Klägerin unterrichtete hiervon die Beklagte. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung holte sie nicht ein.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte sei verpflichtet, ihr zehn Urlaubstage, die auf den Zeitraum vom 10. bis 23.12.2020 entfielen, wegen der verhängten Quarantäne nachzugewähren. Ihr Urlaubsanspruch sei soweit nicht verbraucht.

Die Klägerin beantragt, es wird festgestellt, dass der Klägerin noch 10 Urlaubstage aus dem Jahr 2020 zustehen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Sie habe den in der Zeit vom 10. bis 23.12.2020 (zehn Arbeitstage) gewährten Urlaub verbraucht. Der Urlaubsanspruch sei insoweit erfüllt. Der Landschaftsverband lehne in derartigen Fällen Erstattungsanträge ab mit der Begründung, dass für bereits genehmigten Urlaub kein Verdienstausfall entstehe und die Voraussetzung von § 56a des IfSG deshalb nicht gegeben sein.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die Klage war als unbegründet abzuweisen. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Nachgewährung von zehn Urlaubstagen. Die von der Klägerin begehrte Feststellung, dass ihr dieser Urlaub nachzugewähren sei, kann daher nicht getroffen werden.

Gemäß § 9 BUrlG werden im Fall der Erkrankung eines Arbeitnehmers werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Urlaub angerechnet. Ohne Attest besteht demnach kein Anspruch auf Nachgewährung von Urlaub im Fall der Erkrankung eines Arbeitnehmers. Hintergrund dieser Regelung ist nicht nur die Vorbeugung gegen Missbrauch zu Lasten des Arbeitgebers. Vielmehr obliegt auch die Beurteilung, ob eine Erkrankung im Einzelfall aufgrund der Ausgestaltung des individuellen Arbeitsplatzes des Arbeitnehmers zu einer Arbeitsunfähigkeit führt, der ärztlichen Beurteilung. Es muss gerade eine dem Arbeitsunfähigkeitsbegriff entsprechende ärztliche Bescheinigung ausgestellt worden sein (Arbeitsgericht Bonn Urteil v. 07.07.2021 Aktz. 2 Ca 504/21 m.w.N).

Dieser Anforderung an die Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses genügt die von der Klägerin vorgelegte Ordnungsverfügung der Stadt Q. vom 17.12.2020(Bl. 3 f. d. A.) nicht. Aus diesem Bescheid der Stadt Q. ergibt sich zwar, dass die Klägerin an dem Coronavirus erkrankt ist. Es wird indessen keine Beurteilung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin vorgenommen. Diese Beurteilung obliegt vielmehr einem Arzt. Der Arzt hat bei Erteilung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung konkret zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer/der Arbeitnehmerin die Arbeitsleistung wegen der Erkrankung nicht möglich ist. Hierbei sind konkrete Richtlinien für die Erteilung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu beachten. Allein die Anordnung von Quarantäne durch das Gesundheitsamt reicht hierfür nicht aus. Die Prüfung der Arbeitsfähigkeit eines Arbeitnehmers ist nicht untrennbar mit dem Erlass einer Quarantäneanordnung verbunden.

Sollte die Klägerin einwenden, dass es ihr unmöglich gewesen sei eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erhalten, da sie sich in häuslicher Isolation befunden habe, wäre dem nicht zu folgen. Vielmehr war gemäß Beschluss des gemeinsamen Bundesausschusses über die Änderung der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie: Covid-19 Pandemie vom 15.10.2020 ab dem 19.10.2020 bis jedenfalls zum 31.12.2020 die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach telefonischer Anamnese bis zu einer Höchstdauer von 14 Tagen möglich. Damit wäre es der Klägerin möglich gewesen, auf telefonischem Weg eine Beurteilung ihrer Arbeitsfähigkeit durch ärztliches Zeugnis zu erlangen (vgl. Arbeitsgericht Bonn Urteil vom 07.07.2021 Aktz. 2 Ca 504/21).

Eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG kann nicht erfolgen.

Eine analoge Gesetzesanwendung setzt voraus, dass ein gesetzlich ungeregelter Sonderfall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Reihenfolge verlangt wie die erfassten Fälle (BAG Urteil vom 05.06.2014 Aktz. 6 AZN 267/14, zitiert nach Juris Rn. 37). Zudem muss eine planwidrige Gesetzeslücke vorliegen (BAG Urteil vom 05.06.2014Aktz. 6 AZN 267/14, Juris Rn. 37). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall jedoch nicht vor.

Für eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Vielmehr handelt es sich bei § 9 BUrlG um eine eng begrenzte Ausnahmevorschrift. Nach der Konzeption des BUrlG fallen Urlaubsstörende Ereignisse grundsätzlich als Teil des persönlichen Lebensschicksals in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers. Nur soweit der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien besondere urlaubsrechtliche Nicht-Anrechnungsregeln wie z. B. § 9 BUrlG, setzen, sind die allgemeinen Gefahrtragungsregelungen des BGB nicht anzuwenden (allgem. Rechtsprechung siehe nur BAG Urteil vom 10.05.2005 Aktz. 9 AZR 251/04, Juris,Rz. 30). Damit handelt es sich bei § 9 BUrlG um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift, welche einer analogen Anwendung nicht zugänglich ist (s. BAG Urteil vom 10.05.2005 Aktz. 9 AZR 251/04 Rz 31; siehe auch Urteil Arbeitsgericht Bonn v. 07.07.2021, Aktz. 2 Ca 504/21 m.w.N.). Es liegt keine planwidrige Regelungslücke vor.

Darüber hinaus fehlt es an einer vergleichbaren Sachlage. Die Erkrankung mitSARS-CoV-2 führt nicht unmittelbar und zwingend zu einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht, der die Kammer folgt, ist dies aber Voraussetzung, für eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG. Danach kommt eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG auf andere urlaubsstörende Ereignisse nur dann in Betracht, wenn typischerweise mit jeder Erkrankung eine mit einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbaren Beeinträchtigung vorliegt (vgl. BAG Urteil v. 09.08.1994 – 9 AZR 384/92, Juris, Rn. 34).

Dies ist bei einer Erkrankung mit SARS-CoV-2 nicht der Fall. Denn eine Erkrankung mit SARS-CoV-2 führt bei einem sympthomlosen Verlauf nicht unmittelbar zu einer Arbeitsunfähigkeit. Vielmehr kann – je nach den Bedingungen des einzelnen Arbeitsplatzes – eine Arbeitsfähigkeit weiterhin gegeben sein. Dem gemäß sehen auch die Leitlinien der kassenärztlichen Bundesvereinigung bei einem symthomlosen Verlauf die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht vor. Denn wenn ein Arbeitnehmer trotzt Erkrankung mit SARS-CoV-2 und Isolationsanordnungen weiterhin seine Arbeitsleistung von einem häuslichen Arbeitsplatz erbringen kann, kann der Zweck des BUrlG, nämlich die Erholung des Arbeitnehmers von seiner Arbeitsleistung mit der Urlaubsgewährung dennoch erreicht werden. Damit fehlt es aber an einer vergleichbaren Sachlage zu §9 BUrlG (Urteil Arbeitsgericht Bonn vom 07.07.2021Aktz. 2 Ca 504/21 m w. N).

Sobald eine Erkrankung mit SARS CoV-2 und der daraus folgenden Isolationsanordnung nicht in jedem Fall zu einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers führt, besteht keine zu § 9 BUrlG vergleichbare Sachlage.

Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Nachgewährung von zehn Urlaubstagen gegenüber der Beklagten hat.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO.

III.

Der Streitwert wurde gem. den §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 48 Abs. 3 GKG festgesetzt.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!