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Schadensersatz bei unterbliebener Zielvereinbarung gegenüber Arbeitgeber

Krankenhaus muss Tantieme zahlen: Arzt klagt erfolgreich

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts Lübeck, wonach einem Kläger Schadensersatz in Höhe von 63.000 Euro zusteht. Der Schadensersatz resultiert aus der Nichterfüllung einer vertraglichen Zielvereinbarung für das Jahr 2021 durch den Arbeitgeber. Die fehlende Einigung und späte Vorlage eines Tantieme-Vorschlags durch den Arbeitgeber wurden als Pflichtverletzung gewertet.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 2 Sa 150/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Schadensersatzanspruch: Dem Kläger steht ein Schadensersatz in Höhe von 63.000 Euro zu, da der Arbeitgeber die Zielvereinbarung für 2021 nicht fristgerecht erfüllt hat.
  2. Vertragliche Verpflichtung: Die Zielvereinbarung war vertraglich bis zum 1. März 2021 zu treffen, was nicht erfolgte.
  3. Initiativlast des Arbeitgebers: Der Arbeitgeber trug die Hauptverantwortung, einen Vorschlag für die Zielvereinbarung zu unterbreiten.
  4. Verspäteter Vorschlag: Ein Vorschlag wurde erst nach dem vertraglichen Stichtag, am 19. März 2021, vorgelegt.
  5. Keine Verhandlungen: Es fanden keine fristgerechten Verhandlungen zwischen den Parteien statt.
  6. Unmöglichkeit der Nachholung: Nach Ablauf der Zielvereinbarungsperiode war eine nachträgliche Vereinbarung nicht mehr möglich.
  7. Verschulden des Arbeitgebers: Der Arbeitgeber trug die Schuld am Nichtzustandekommen der Vereinbarung.
  8. Kein Mitverschulden des Klägers: Der Kläger hat seinerseits ausreichend Initiative gezeigt und ist nicht mitverantwortlich.

Schadensersatz bei Nichterfüllung von Zielvereinbarungen im Arbeitsrecht

Im Arbeitsrecht spielt die Einhaltung vertraglicher Verpflichtungen eine zentrale Rolle. Ein besonders interessanter Aspekt dabei ist die Zielvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Solche Vereinbarungen sind oft mit Tantieme-Zahlungen verknüpft und sollen den Arbeitnehmer motivieren, bestimmte Ziele zu erreichen. Doch was passiert, wenn ein Arbeitgeber die für die Zielvereinbarung erforderlichen Schritte nicht unternimmt? In solchen Fällen kann es zur Forderung von Schadensersatz durch den Arbeitnehmer kommen, insbesondere wenn die ausbleibende Vereinbarung finanzielle Einbußen zur Folge hat. Dieses Thema betrifft grundlegende Fragen des Arbeitsrechts, wie die Pflichtverletzung des Arbeitgebers, die Initiativlast für das Zustandekommen von Vereinbarungen und die Auslegung der Zielvereinbarungsperiode.

Im Folgenden wird ein konkretes Urteil des Landesarbeitsgerichts vorgestellt, das sich mit genau dieser Thematik befasst. Es beleuchtet, wie das Gericht die Pflichten und Verantwortlichkeiten der beteiligten Parteien bewertet und welche Maßstäbe an die einvernehmliche Regelung solcher Zielvereinbarungen angelegt werden. Lesen Sie weiter, um zu erfahren, wie dieses spannende und für das Arbeitsrecht bedeutsame Thema rechtlich eingeordnet wird.

Der Streit um die Tantieme: Ein Fall von unterbliebener Zielvereinbarung

In einem bemerkenswerten Rechtsstreit vor dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (Az.: 2 Sa 150/22) ging es um die Klage eines Chefarztes gegen seinen Arbeitgeber, eine Klinik, bezüglich der Zahlung weiterer Tantieme in Höhe von 63.000 Euro für das Jahr 2021. Der Fall dreht sich im Kern um eine nicht zustande gekommene Zielvereinbarung zwischen den Parteien, die für die Berechnung der Tantieme ausschlaggebend war.

Der Kläger, seit 2006 bei der Beklagten beschäftigt, hatte in den vorherigen Jahren Verhandlungen über Tantiemevereinbarungen geführt. Diese Verhandlungen waren meist langwierig und führten teilweise erst im Mai des jeweiligen Tantiemejahres zu einer Einigung. Für das Jahr 2019 konnte eine einvernehmliche Regelung erzielt werden, jedoch kam es ab 2020 zu Streitigkeiten.

Konfliktlinien: Die Rolle der E-Mail und verpasste Fristen

Die Auseinandersetzung verschärfte sich, als die Beklagte Ende Februar 2021 per E-Mail ankündigte, die Systematik der Ziele aus 2020 beizubehalten und die individuellen Zielvereinbarungen für 2021 „in den kommenden Tagen“ zuzusenden. Allerdings erfolgte die Übersendung eines konkreten Vorschlags erst am 19. März 2021 – nach dem vertraglich festgelegten Stichtag 1. März 2021. Der Kläger lehnte diesen Vorschlag ab und unterbreitete einen Gegenvorschlag, auf den die Beklagte jedoch nicht reagierte.

Der Kläger argumentierte, dass die Beklagte ihrer Initiativlast zur fristgerechten Einleitung von Verhandlungen zur Tantieme-Vereinbarung nicht nachgekommen sei, was eine Pflichtverletzung darstelle. Der Beklagte hingegen sah keine Verletzung der Verhandlungspflicht, da ein Angebot gemacht wurde, welches der Kläger ablehnte.

Gerichtsentscheidung: Schadensersatz für den Kläger

Das Arbeitsgericht gab dem Kläger Recht und entschied, dass ihm ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 63.000 Euro zusteht. Es stellte fest, dass die Beklagte die Pflichtverletzung zu vertreten hat, da sie nicht rechtzeitig eine Zielvereinbarung für das Jahr 2021 vorschlug und auf den Gegenvorschlag des Klägers nicht reagierte.

Das Gericht wies darauf hin, dass es für eine gültige Tantiemevereinbarung essentiell ist, dass die Parteien über die Kriterien verhandeln. Die einseitige Festlegung von Zielen durch die Beklagte nach Ablauf der Zielvereinbarungsperiode widerspricht den vertraglichen Vereinbarungen und dem Zweck einer Zielvereinbarung.

Die Berufung der Beklagten: Keine Änderung des Urteils

In der Berufung argumentierte die Beklagte, ihre vorgeschlagenen Ziele seien zulässig und ordnungsgemäß berechnet worden. Sie behauptete, ihre Initiativ- und Verhandlungspflicht erfüllt zu haben, indem sie dem Kläger rechtzeitig ein Angebot machte. Die Beklagte behauptete weiterhin, dass kein Kontrahierungszwang bestünde und sie berechtigt gewesen sei, Ziele einseitig festzulegen.

Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung zurück und bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichts. Es stellte klar, dass der Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz hat, da die Beklagte ihre Verpflichtungen nicht erfüllte und damit die Unmöglichkeit der Zielfestlegung verursachte. Das Gericht betonte auch, dass die Beklagte die Pflichtverletzung verschuldet hat, da sie trotz des Wissens um die Bedeutung der Tantiemevereinbarung für den Kläger keine rechtzeitigen Verhandlungen initiierte.

In diesem komplexen Fall wurde deutlich, dass die rechtzeitige und einvernehmliche Regelung von Zielvereinbarungen im Arbeitsrecht von entscheidender Bedeutung ist. Die Entscheidung unterstreicht die Notwendigkeit, dass Arbeitgeber ihre vertraglichen Verpflichtungen ernst nehmen und fristgerecht handeln müssen, um Schadensersatzansprüche zu vermeiden.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was bedeutet eine Zielvereinbarung im Arbeitsrecht?

Eine „Zielvereinbarung“ im Arbeitsrecht ist eine vertragliche Nebenabrede zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, in der bestimmte erwünschte Zustände (Ziele) festgelegt werden, die innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens erreicht werden sollen. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich durch die Zielvereinbarung, zur Erreichung dieser Ziele beizutragen.

Zielvereinbarungen werden oft genutzt, um Leistungsanreize für Arbeitnehmer zu setzen, insbesondere für Fach- und Führungskräfte. In der Praxis wird häufig vereinbart, dass der Arbeitnehmer je nach Grad der Zielerreichung am Ende der vereinbarten Periode einen Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung, also eine Zielerreichungsprämie, hat.

Die genaue Ausgestaltung einer Zielvereinbarung besteht in der Regel aus drei Bausteinen: individuellen Regelungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die den allgemeinen Rahmen festlegen, den spezifischen Zielen, die erreicht werden sollen, und den Kriterien zur Messung der Zielerreichung.

Die Ziele einer Zielvereinbarung können vielfältig sein und reichen von Umsatzvorgaben und Deckungsbeiträgen bis hin zu Auftragseingängen bei vorgegebener Kalkulation. Es ist auch möglich, qualitative Ziele zu vereinbaren, wie zum Beispiel Vorgaben zur beruflichen Weiterbildung des Arbeitnehmers.

Wenn eine Zielvereinbarung nicht zustande kommt, hat der Arbeitnehmer in der Regel einen Schadensersatzanspruch, dessen Höhe die Arbeitsgerichte schätzen müssen.

Es ist auch wichtig zu erwähnen, dass Zielvereinbarungen nicht immer mit einem Bonus verbunden sind. Der Arbeitnehmer ist an die Weisungen des Arbeitgebers gebunden, daher sind auch Zielvereinbarungen ohne Bonus möglich.

Zielvereinbarungen können auch Nachteile haben. Zum Beispiel kann es Konsequenzen haben, wenn ein Ziel nicht erreicht wird, wie das Ausbleiben der Bonuszahlung oder weitergehende Sanktionen. Außerdem kann es vorkommen, dass der Arbeitnehmer ausschließlich für die Ziele seines Vorgesetzten arbeitet und dadurch leistungsmindernde Anreize entstehen.

Es ist daher entscheidend, dass Zielvereinbarungen sorgfältig ausgearbeitet und klar kommuniziert werden, um Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden.

Was ist eine Tantieme und wie funktioniert sie in einem Arbeitsverhältnis?

Eine „Tantieme“ ist eine variable, erfolgsabhängige Vergütung, die zusätzlich zum regulären Gehalt gezahlt wird. Sie ist in der Regel an den Erfolg des gesamten Unternehmens oder eines Unternehmensteils gekoppelt und wird häufig an Geschäftsführer, leitende Angestellte und Vorstandsmitglieder gezahlt. Im Gegensatz zur Provision, die sich auf einzelne Geschäftsabschlüsse bezieht, orientiert sich die Tantieme am Gesamtergebnis des Unternehmens.

Ein Anspruch auf eine Tantieme besteht nur bei entsprechender vertraglicher Vereinbarung, einer Gesamtzusage, einer betrieblichen Übung, einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung. Die Höhe der Tantieme und die Berechnungsgrundlage ergeben sich aus den getroffenen vertraglichen Vereinbarungen. Bei der Berechnung von Tantiemen, die sich am Gewinn orientieren, wird der jährliche Reingewinn als Berechnungsgrundlage herangezogen, wobei auf die vom Unternehmen aufgestellte Handelsbilanz abzustellen ist.

Tantiemen gelten steuerrechtlich als Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit und unterliegen der Lohnsteuer. Bei der Auszahlung von Tantiemen an Mitarbeiter sollten Unternehmen darauf achten, dass die Zahlungen angemessen sind, um steuerliche Probleme zu vermeiden.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein – Az.: 2 Sa 150/22 – Urteil vom 11.07.2023

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 29.06.2022 – 5 Ca 646/22 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger macht gegenüber der Beklagten die Zahlung von 63.000,00 € weiterer Tantieme für das Kalenderjahr 2021 im Wege des Schadensersatzanspruchs wegen unterbliebener Zielvereinbarung geltend.

Der am ….1963 geborene Kläger steht seit 01.10.2006 bei der Beklagten in einem Arbeitsverhältnis, zunächst auf Grundlage des Arbeitsvertrages gem. Anlage K1 (Bl. 11 ff. d. A.). Mit Änderung des Arbeitsvertrages vom 22.07.2019 (Anlage K2, Bl. 34 ff. d. A.) übertrug die Beklagte dem Kläger die Position des Chefarztes der Klinik für diagnostische und interventionelle Radiologie und Neuroradiologie. In § 8 Abs. 2 des ursprünglichen Arbeitsvertrages ist geregelt, dass der Kläger neben seiner Vergütung eine erfolgsabhängige, nicht zusatzversorgungspflichtige Tantieme gemäß einer Tantiemen-Vereinbarung erhält. Weiter heißt es in § 8 Abs. 2 des Arbeitsvertrages:

„Der Arzt erhält ferner eine erfolgsabhängige, nicht zusatzversorgungspflichtige Tantieme gem. der als Anlage 1 beigefügten Tantiemevereinbarung.

Für die Berechnung der Tantieme nach Anlage 1 sind die gemeinsam durch Kaufmännische Leitung und Ärztliche Leitung der Klinik festgelegten Planzahlen für das Krankenhaus maßgebend. Das Betriebsergebnis der Klinik wird nach stets gleichbleibenden handelsrechtlichen Grundsätzen ermittelt. Maßgebend ist das ebenfalls der Anlage 1 beigefügte Berechnungsschema.

Soweit das Betriebsergebnis durch außerordentliche und einmalige Aufwendungen oder Erträge beeinflusst ist, deren Entstehen oder Höhe der Arzt nicht zu vertreten hat, ist das Betriebsergebnis um diese Positionen zu korrigieren. Zu diesem Zweck wird die Klinik dem Mitarbeiter einen Vorschlag unterbreiten, hinsichtlich welcher Positionen das Betriebsergebnis zu korrigieren ist. Eine einvernehmliche Regelung hierüber ist anzustreben. Die übrigen Zielgrößen für die Höhe der Tantieme sind in gleicher Weise um außerordentlichen Einflüsse zu korrigieren. Kommt keine Einigung zwischen Arzt und Krankenhausträger zustande, entscheidet diese Frage der vom Unternehmen beauftragte Wirtschaftsprüfer als Schiedsgutachter.

[…]“

Die Regelung in § 8 Abs. 2 ist weiterhin gültig. In der zwischen den Parteien geschlossenen Tantieme-Vereinbarung (Anlage K3, Bl. 37-38 d. A.) heißt es unter Ziff. 4. wie folgt:

„Die Kriterien für die Tantieme werden von den Parteien spätestens bis zum 01.03. eines Kalenderjahres für das Kalenderjahr bzw. bei abweichendem Geschäftsjahr bis zum Ablauf des zweiten Monates des jeweiligen Geschäftsjahrs neu vereinbart. Wird eine Vereinbarung nach Satz 1 nicht oder nicht fristgerecht erzielt, werden die Kriterien durch den Arbeitgeber im Rahmen billigen Ermessens bestimmt.“

Das Festgehalt des Klägers betrug derzeit 225.000,00 €. Der Zielwert der Tantieme beträgt 70.000,00 €. Die Parteien des Rechtsstreits verhandelten in den Jahren 2019 und vorher durchaus länger über den Abschluss der Tantiemevereinbarung. Sie blieben hierbei im Gespräch und tauschten immer wieder Vorschläge und Gegenvorschläge zur Anpassung der Tantiemevereinbarung aus, sodass teilweise auch erst im Mai des Tantiemejahres eine Zielvereinbarung geschlossen wurde. Zuletzt für das Kalenderjahr 2019 legten die Parteien einvernehmlich die Kriterien für die dem Kläger zustehende Tantieme fest. Ende 2019 erhielt die Beklagte einen neuen Geschäftsführer. Ab dem 30. März 2020 kam es zu Auseinandersetzungen der Parteien über die Tantiemezahlungen für 2020. Für das Kalenderjahr 2020 trafen die Parteien keine Regelung und führten im Anschluss darüber einen Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Lübeck zu dem Aktenzeichen 2 Ca 726/21. Der Kläger reichte die entsprechende Klage am 29.04.2021 beim Arbeitsgericht ein. Das Verfahren endete am 19.08.2021 mit einem Vergleich. Auch für das Kalenderjahr 2021 legten die Parteien nicht einvernehmlich die Kriterien für die Tantieme fest.

Mit E-Mail vom 26.02.2021 (Bl. 74-75 d. A.) kündigte die Beklagte gegenüber den Tantieme-Berechtigten für das Kalenderjahr 2021 folgendes an:

„[…]

Für 2021 werden wir die Systematik der Ziele aus 2020 grundsätzlich beibehalten. Neben dem EBITDA des Hauses werden wir, da wo sinnvoll, den DB1 (bettengeführt) bzw. WL-Erlöse (nicht bettengeführt) als wirtschaftliche Ziele für den jeweiligen Fachbereich definieren. Darüber hinaus werden in aller Regel neben den medizinischen Q- bzw. VWD-Zielen des letzten Jahres sowie Urlaub und Überstunden unsere neuen OP-Kennzahl-Ziele in den Vereinbarungen für alle operierenden Fachabteilungen (Gesamtziel) verankert.

Ihre individuellen Abrechnungen für 2020 sowie die individuellen Zielvereinbarungen 2021 lassen wir Ihnen in den kommenden Tagen zukommen.

[…]“

Am 19.03.2021 erhielt der Kläger zusammen mit der Abrechnung der Tantieme für das Kalenderjahr 2020 einen Vorschlag der Beklagten für die Tantieme-Vereinbarung 2021, den der Kläger ablehnte. Der Kläger unterbreitete der Beklagten mit Schreiben vom 22.04.2021 einen Gegenvorschlag. Unter ande am 03.06.2021 erinnerte der Kläger die Beklagte an eine Reaktion auf seinen Vorschlag, da die Beklagte bis dahin nicht geantwortet hatte. Am 15.06.2021 teilte Herr B., ein Beschäftigter der Beklagten, dem Kläger mit, dass er den Vorschlag des Klägers dem Geschäftsführer, Herrn T., unterbreitet und sich im Anschluss bei dem Kläger meldet, was jedoch zu keinem Zeitpunkt geschah. Am 25.03.2022 erhielt der Kläger die Tantieme-Abrechnung für das Jahr 2021. Den dort ausgewiesenen Bonus i.H.v. 7.000,00 € zahlte die Beklagte an den Kläger.

Der Kläger hat vorgetragen, dass er gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz wegen unterbliebener Tantieme-Vereinbarung für das Kalenderjahr 2021 i.H.v. 63.000,00 €, der Differenz zwischen gezahlter Tantieme und Zieltantieme, habe. Die Beklagte sei der ihr gemäß Tantieme-Vereinbarung obliegenden Initiativlast nicht nachgekommen und habe auch auf den Gegenvorschlag des Klägers mit diesem keine Verhandlungen mit dem Ziel der einvernehmlichen Festlegung der Kriterien vor dem 01.03.2021 und auch nicht vor Ablauf der Zielvereinbarungsperiode aufgenommen. Damit habe die Beklagte ihre Pflichten aus der Tantieme-Vereinbarung in vertretbarer Weise verletzt. Bei der E-Mail vom 26.02.2021 handele es sich nicht um einen Tantieme-Vorschlag, sondern um allgemeine Ausführungen der Beklagten an sämtliche Tantieme-Berechtigte. Darüber hinaus entsprächen die von der Beklagten für die Tantieme 2021 zugrunde gelegten Kriterien nicht billigem Ermessen und benachteiligten den Kläger unverhältnismäßig. Die einzelnen Kriterien seien unzulässig.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 63.000,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat dargelegt, dass der vom Kläger unterbreitete Gegenvorschlag für die Beklagte nicht akzeptabel gewesen sei, so dass die Verhandlungen über die Zielvereinbarung für gescheitert erklärt worden seien und die Beklagte die Ziele nach billigen Ermessen festgesetzt habe, was sie gem. § 8 Abs. 2 der Tantieme-Vereinbarung auch gedurft hätte. Keinesfalls habe die Beklagte das Nichtzustandekommen der Zielvereinbarung zu vertreten, denn die Beklagte habe nicht die alleinige Initiativlast, sondern auch der Kläger habe die Aufnahme der Verhandlungen geschuldet. Der Kläger habe insbesondere nach der E-Mail vom 26.02.2021 die Möglichkeit gehabt, auf die dargelegten Ziele zu reagieren und die Verhandlungen aufzunehmen. Im Übrigen seien die von der Beklagten nach billigem Ermessen bestimmten Ziele auch zulässig und verhältnismäßig. Die Ziele seien vom Kläger erreichbar gewesen, überprüfbar und zur Motivation des wirtschaftlichen Denkens geeignet. Auch habe der Kläger die Ziele beeinflussen können.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 29.06.2022 der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 63.000,00 € wegen unterbliebener Zielvereinbarung habe. Aus der arbeitsvertraglichen Regelung des § 8 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrages folge, dass die Parteien jährlich eine Vereinbarung über die Tantieme treffen. Es handele sich um eine Zielvereinbarung, auch wenn gemäß § 8 Abs. 2 des Arbeitsvertrages die wirtschaftlichen Ziele (Betriebsergebnis) von der Beklagten vorgegeben seien. Der Arbeitsvertrag sehe insoweit auch eine einvernehmliche Korrektur und damit auch das Erfordernis von Verhandlungen und Vereinbarungen vor. Darüber hinaus enthalte die Zielvereinbarung auch weitere individuelle Ziele, über die die Parteien Einvernehmen erzielen müssten. Voraussetzung einer Tantiemevereinbarung sei mithin die Verhandlung der Parteien über die Kriterien. Unstreitig sei bis zum 01.03.2021 zwischen den Parteien keine Vereinbarung über die Tantieme 2021 zustande gekommen. Die Beklagte habe diese Pflichtverletzung auch zu vertreten. Unstreitig sei es in den vergangenen Jahren, mit Ausnahme des Jahres 2020 stets so gehandhabt worden, dass die Beklagte mit entsprechenden Vorschlägen auf den Kläger zugekommen sei. Auch für 2021 habe die Beklagte mit E-Mail vom 26.02.2021 angekündigt, dass sie dem Kläger in den „kommenden Tagen“ die individuelle Zielvereinbarung 2021 zukommen lasse. Der Kläger habe aufgrund dieser konkreten Ankündigung keine eigenen Aktivitäten mehr ergreifen müssen, um die Beklagte zu Verhandlungen aufzufordern. Tatsächlich sei jedoch erst am 19.03.2021 ein konkreter Tantieme-Vorschlag an den Kläger übersandt worden. Am diesem Tag sei der Stichtag für eine einvernehmliche Regelung, nämlich der 01.03.2021 bereits abgelaufen gewesen, sodass die Beklagte ihre Pflicht zum Abschluss einer Tantieme-Vereinbarung 2021 allein durch die verspätete Übersendung verletzt habe. Tatsächlich habe die Beklagte dem Kläger erst nach Ablauf der Zielvereinbarungsperiode am 25.03.2022 die konkreten Kriterien zusammen mit der Tantieme-Abrechnung für 2021 mitgeteilt. Eine nachträgliche Vereinbarung sei jedoch nicht mehr möglich und stehe im Widerspruch zu den zwischen den Parteien getroffenen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen sowie dem Sinn und Zweck einer Zielvereinbarung, da die Ziele so rechtzeitig mitgeteilt werden müssten, dass der Arbeitnehmer noch Einfluss auf deren Erfüllung nehmen könne.

Die Beklagte habe das Nichtzustandekommen der Zielvereinbarung zu vertreten. Zwar habe der Kläger der Beklagten einen Gegenvorschlag unterbreitet. Auf diesen habe die Beklagte bis zum Ablauf des Zielvereinbarungszeitraumes nicht reagiert. Der weitergehende Vortrag der Beklagten sei unsubstantiiert.

Die Beklagte habe die Tantiemevereinbarung gemäß Ziffer 4. der Tantiemevereinbarung auch nicht einseitig bestimmen dürfen. Dies hätte zunächst die Aufnahme von Verhandlungen innerhalb der Zielvereinbarungsperiode vorausgesetzt.

Gegen dieses, der Beklagten am 22.07.2022 zugestellte Urteil, hat diese am 10.08.2022 Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22.10.2022 (Samstag) – am 24.10.2022 (Montag) begründet.

Die Beklagte nimmt auf ihren erstinstanzlichen Vortrag Bezug und trägt vor, die von ihr, der Beklagten, vorgeschlagenen Ziele für die Tantiemevereinbarung 2021 seien zulässig und ordnungsgemäß auf Basis des testierten Jahresabschlusses berechnet worden. Das Arbeitsgericht habe den Inhalt der Initiativ- und Verhandlungspflicht der Beklagten verkannt. Die Beklagte treffe kein Kontrahierungszwang, sondern sie erfülle ihre Initiativ- und Verhandlungspflicht bereits dann, wenn Sie dem Arbeitnehmer rechtzeitig ein Angebot auf Abschluss der Zielvereinbarung mache, welches für den Arbeitnehmer erreichbare Ziele enthalte. Diese Pflicht habe die Beklagte mit dem Senden des konkreten Zielvorschlages am 19.03.2021 erfüllt. Die Versäumung der vertraglichen Verhandlungspflicht könne allenfalls einen Ersatz von Verzugsschäden begründen. Hierfür seien jedoch die weiteren Voraussetzungen nicht gegeben, da das Senden des konkreten Zielvorschlages am 19.03.2021 für das Nichtzustandekommen des Vorschlages nicht kausal gewesen sei, sondern die Ablehnung des Klägers. Auch ein Verzugsschaden des Klägers sei mangels Pflichtverletzung der Beklagten, fehlender Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden nicht gegeben. Ein Mitverschulden des Klägers sei zudem zu berücksichtigen.

Das Arbeitsgericht gehe fehlerhaft davon aus, dass die Beklagte nicht zur einseitigen Zielvorgabe berechtigt sei. Die relevanten Regelungen des Arbeitsvertrages und der Tantiemenvereinbarung bestimmten ausdrücklich, dass eine einseitige Zielvorgabe durch die Beklagte allein durch den Ablauf der Verhandlungspflicht, also dem 1. März 2021, möglich sei. Ein zusätzliches Verhandlungserfordernis bestehe gemäß den vertraglichen Regelungen gerade nicht. Eine unzulässige oder verspätete Zielvorgabe könne keinen Schadensersatz begründen. Stattdessen könne der Kläger eine gerichtliche Überprüfung der getroffenen Zielvorgabe beantragen. Da die Zielvorgabe der Beklagten billigem Ermessen entsprochen habe, scheide ein derartiger Anspruch aus.

Das Arbeitsgericht habe zudem nicht überprüft, ob dem Kläger überhaupt ein Schaden entstanden sei. Es mangele an einer Prüfung der haftungsausfüllenden Kausalität und der konkreten Schadenshöhe.

Es sei darauf hinzuweisen, dass § 8 Abs. 3 des Arbeitsvertrages noch Ziffer 4 der Tantiemenvereinbarung einen Kontrahierungszwang normieren würden. Diese Vorschriften beschränkten sich auf eine Initiativpflicht, wobei der Arbeitgeber diese Pflicht bereits dann erfülle, wenn er dem Arbeitnehmer Ziele vorgeschlagen habe, die dieser nach einer auf den Zeitpunkt des Angebots bezogenen Prognose hätte erreichen können. Sie, die Beklagte, habe dem Kläger auch am 19. März 2021 noch ein konkretes Angebot zum Abschluss einer Zielvereinbarung unterbreiten können, da die Zweckfestsetzung einer Zielfestlegung auch nach dem 1. März eines Jahres erreicht werden könne. Die Beklagte habe ihre vertragliche Initiativpflicht spätestens durch Übermittlung eines konkreten Vorschlages einer Zielvereinbarung am 19.03.2021 erfüllt. Sie, die Beklagte wolle in diesem Verfahren eine Antwort darauf, ob die von der Beklagten Kriterien wie EBITDA Klinik, Reduzierung Großgeräte-Diagnostik, Resturlaub und Überstunden zulässige Ziele für eine Tantiemevereinbarung seien.

Die Beklagte beantragt,

1. auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 29.06.2022, Az. 5 Ca 646/22, abgeändert.

2. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und führt ergänzend aus, dass die Beklagte keine Initiative für das Zustandekommen einer Tantiemeregelung 2021 gezeigt habe. Die E-Mail vom 26.02.2021 habe keine individuelle Aufforderung an den Kläger enthalten, sondern war eine Rund-Mail an alle tantiemeberechtigten Ärzte der Klinik ohne individuelle Tantiemekriterien. Gespräche über eine Tantiemeregelung 2021 habe es unstreitig nicht gegeben. Im Übrigen seien die Aufnahme von Tantiemezielen EBITDA Klinik und WL-Arzt gesetzeswidrig und die von der Beklagten für diese beiden Ziele vorgegebenen Mindestzielerreichungen von 95% absolut unverhältnismäßig und unbillig. Dies gelte auch für das Tantiemekriterium „Reduzierung Großgerätediagnostik“, da es der Beklagten ausschließlich um ihre eigene Kostenreduzierung und nicht um eine ordnungsgemäße Patientenversorgung gehe. Im Übrigen würden auch für die von der Beklagten bestimmten Tantiemekriterien Berechnungskriterien und -zahlen fehlen. Er, der Kläger, hätte das Tantiemeziel von 70.000,00 Euro in 2021 erreicht.

Es habe der betrieblichen Übung seit 2006 entsprochen, dass die Beklagte als Arbeitgeber dem Kläger einen Vorschlag für neue Tantiemenkriterien unterbreitet, über den anschließend verhandelt wurde. Dies entspreche § 106 GewO.

Das Berufungsgericht hat die erstinstanzliche Akte aus dem Verfahren 2 Ca 726/21 Arbeitsgericht Lübeck beigezogen.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen zweitinstanzlich eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.07.2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A. Die gemäß § 64 Abs. 2 b ArbGG statthafte, form- und fristgemäß eingelegte und be-gründete und damit zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist nicht abzuändern, da dem Kläger der geltend gemachte restliche Anspruch auf eine Zielvereinbarungsprämie für das Jahr 2021 in vollem Umfang zuzüglich der verlangten Zinsen zusteht.

B. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Zunächst wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf das sehr gut und sorgfältig begründete Urteil des Arbeitsgerichts vom 29.06.2022 Bezug genommen. Lediglich auf die Ausführungen der Beklagten in der Berufung eingehend wird folgendes ergänzend ausgeführt:

1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1, Abs. 3 i. V. m. §§ 283 Satz 1, 252 BGB zu. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein Arbeitgeber bei einer nicht abgeschlossenen Zielvereinbarung nach Ablauf der Zielperiode nach den genannten Normen verpflichtet sein, dem Arbeitnehmer wegen der entgangenen Vergütung Schadensersatz zu leisten. Die Festlegung von Zielen wird jedenfalls mit Ablauf der Zielperiode unmöglich im Sinne von § 275 Abs. 1 BGB (z. B. BAG, Urt. v. 10.12.2008 – 10 AZR 889/07 – Juris, Rn 12: BAG, Urt. v. 17.12.2020 – 8 AZR 149/20 -, Rn. 44, 45, 46, juris). Nach Ablauf der Zeit, für die ein Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmer Ziele zu vereinbaren hatte, ist die Festlegung von Zielen nicht mehr möglich. Eine Zielvereinbarung, die bei Zielerreichung einen Anspruch des Arbeitnehmers auf einen Bonus begründet, kann entsprechend dem Leistungs- und Motivationsgedanken ihre Anreizfunktion nur erfüllen, wenn der Arbeitnehmer bereits bei der Ausübung seiner Tätigkeit die von ihm zu verfolgenden Ziele kennt und weiß, auf das Erreichen welcher persönlicher und/oder unternehmensbezogener Ziele der Arbeitgeber in dem jeweiligen Zeitraum besonderen Wert legt und deshalb bereit ist, bei Erreichen dieser Ziele den zugesagten Bonus zu zahlen. Eine dem Leistungssteigerungs- und Motivationsgedanken und damit dem Sinn und Zweck einer Zielvereinbarung gerecht werdende Aufstellung von Zielen für einen vergangenen Zeitraum ist nicht möglich. Die Festlegung von Zielen wird spätestens mit Ablauf der Zielperiode unmöglich im Sinne von § 275 Abs. 1 BGB, so dass der Arbeitnehmer nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB i.V.m. § 283 Satz 1 BGB statt der Festlegung von Zielen Schadensersatz verlangen kann (BAG, Urt. vom 17.12.2020 – 8 AZR 149/20 – Rn. 46, juris).

2. Die Beklagte hat mit dem Kläger für das Jahr 2021 keine Zielvereinbarung abgeschlossen, obwohl sie hierzu vertraglich verpflichtet war. Sie hat den Nichtabschluss der Zielvereinbarung auch allein zu vertreten, so dass sie zur Erstattung des dem Kläger hieraus entstandenen Schaden verpflichtet ist.

Die Beklagte war gegenüber dem Kläger bis zum 01.03. für das Jahr 2021 zum Abschluss einer Zielvereinbarung verpflichtet. Da sie eine entsprechende Zielvereinbarung nicht abgeschlossen hat, hat sie ihre Pflichten verletzt.

Die Pflicht der Beklagten zum Abschluss einer Zielvereinbarung für das Jahr 2021 folgt aus § 8 Abs. 2 des zwischen den Parteien vereinbarten Arbeitsvertrages i. V. m. Ziff. 4 der Tantiemenvereinbarung. Nach S. 1 der Tantiemevereinbarung werden die Kriterien für die Tantieme von den Parteien spätestens bis zum 01.03. eines Kalenderjahres neu vereinbart. Mit dieser Regelung kommen die Beklagte und der Kläger überein, gemeinsam individuelle Jahresziele zu vereinbaren. Eine solche Zielvereinbarung ist ausweislich der Regelung bindend und dient als Grundlage der Berechnung der nach § 8 Abs. 2 des Arbeitsvertrages zugesagten Tantieme des Klägers. Wie bereits das Arbeitsgericht zu Recht ausführlich dargestellt hat, handelt es sich nicht um eine einseitige Zielvorgabe, sondern um eine Tantiemevereinbarung, die Verhandlungen der Parteien voraussetzt.

Wie das Arbeitsgericht richtig festgestellt hat, sind bis zum 01.03.2021 keine Verhandlungen über die Tantieme 2021 geführt worden. Die seitens der Beklagten gesandte E-Mail war eine pauschale Rund-Mail an alle tantiemeberechtigten Ärzte der Beklagten mit einer Ankündigung in den „kommenden Tagen“ auf jeden Arzt mit einer individuellen Zielvereinbarung zukommen zu wollen. Dies geschah jedoch nicht bis zum 01.03.2021, sondern erst zum 19.03.2021. Folgerichtig nennt die Beklagte selbst in ihren Schriftsätzen auch immer das Datum „19.03.2021“ als Datum der Übersendung eines Tantieme-Vorschlags an den Kläger. Der Kläger war – ebenfalls vom Arbeitsgericht bereits festgestellt – aufgrund dieser Ankündigung der Beklagten nicht verpflichtet, eigenen Aktivitäten zu entfalten. Darüber hinaus ist die Beklagte in den vorhergehenden Jahren unstreitig mit einem ersten Vorschlag aktiv geworden. Auch aus der Vereinbarung in § 8 Abs. 2 des Arbeitsvertrages folgt, dass regelmäßig zunächst die Beklagte einen Vorschlag zu unterbreiten hatte, da für die Berechnung der Tantieme die gemeinsam durch die kaufmännische Leitung und Ärztliche Leitung der Klinik festgelegten Planzahlen für das Krankenhaus maßgebend sind. Über diese Planzahlen verfügt nur die Beklagte, so dass auch nur sie in der Lage war einen ersten Vorschlag zu unterbreiten. Die Übersendung des Tantiemevorschlags am 19.03.2023 an den Kläger war verspätet. Der Abschluss einer fristgerecht ausgehandelten Tantiemevereinbarung war zu diesem Datum unmöglich.

3.) Die Beklagte hat die verspätete Unterbreitung eines Tantiemevorschlags und in dessen Folge die unterbliebene Tantiemevereinbarung auch verschuldet. Sie hat die verspätete Übersendung des Tantiemevorschlags zu vertreten. Die Beklagte wusste aufgrund der Auseinandersetzungen der Parteien über die Tantiemevereinbarung 2020, dass der Kläger an seinen Tantiemevereinbarungen festhalten wird. Soweit der Kläger selbst in der mündlichen Verhandlung vom 11.07.2023 darauf hingewiesen hat, dass auch in den Vorjahren Tantiemevereinbarungen nicht rechtzeitig zum 01.03., sondern teilweise auch erst im Mai des jeweiligen Jahres abgeschlossen worden sind, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Streitgegenstand in diesem Verfahren ist die Zahlung einer Tantieme für das Jahr 2021 als Schadensersatz. Denkbar wäre, dass die Parteien in den Vorjahren einvernehmlich auf die Einhaltung des Stichtages 01.03. verzichtet haben. Für das Jahr 2021 hat der Kläger jedenfalls deutlich gemacht, dass er an den vertraglichen Regelungen und damit auch an dem vereinbarten Stichtag 01.03. festhält. Die Beklagte hätte auch – gerade wegen der bereits laufenden Auseinandersetzungen über die Tantiemezahlung 2020 – jeden Anlass gehabt nunmehr rechtzeitig einen Vorschlag an den Kläger zu unterbreiten.

Die Beklagte hat überdies mit dem Kläger in der Zielvereinbarungsperiode 2021 überhaupt keine Verhandlungen geführt. Weit nach Ablauf der Zielvereinbarungsperiode, nämlich am 25.03.2022, hat sie dem Kläger die konkreten Ziele zusammen mit der Tantiemeabrechnung für 2021 mitgeteilt. Soweit sich die Beklagte hierbei auf ihr einseitiges Festsetzungsrecht beruft, kann sie hiermit nicht durchdringen. Ein einseitiges Festsetzungsrecht der Beklagten besteht nach der Vereinbarung in Ziffer 4 der Tantiemevereinbarung nur, wenn eine Vereinbarung nicht oder nicht fristgerecht erzielt wird. Vereinbarungen setzen Gespräche, den Austausch von unterschiedlichen Standpunkten, Annäherungen oder jedenfalls die gemeinsame Feststellung, dass die Verhandlungen gescheitert sind, voraus. Diese Verhandlungsparameter hat die Beklagte nicht ansatzweise eingehalten.

Soweit das Arbeitsgericht darauf verweist, dass der Kläger aufgrund des von ihm am 22.04.2021 vorgelegten Gegenvorschlages sowie seiner weiteren Nachfragen zum Stand der Verhandlungen keine weitere Initiative mehr ergreifen brauchte, teilt das Berufungsgericht diese Auffassung. Das „Aussitzen“ der Angelegenheit über die gesamte Zielvereinbarungsperiode macht deutlich, dass die Beklagte an Verhandlungen mit dem Kläger seinerzeit kein Interesse hatte. Vorliegend sind demgemäß die zusätzlichen Voraussetzungen des § 283 BGB erfüllt. Die maßgebliche Zielvereinbarungsperiode war abgelaufen, ohne dass es zu einer Zielvereinbarung gekommen ist. Die Anreizfunktion der Zielvereinbarung kann nach Ablauf der Zielvereinbarungsperiode nicht mehr erreicht werden; es ist Unmöglichkeit i.S.v. § 283 BGB eingetreten.

4.) Demgemäß kann der Kläger Schadensersatz verlangen. Ein Anspruch auf Zahlung eines Verzugsschadens besteht nicht, da das Gesetz eindeutig die Zahlung eines Schadensersatzes vorsieht. Im Übrigen geht die Beklagte offenbar davon aus, dass sich der Verzug der Beklagten nur auf den Zeitraum vom 01.03. bis 19.03.2021 bezieht. Dass mit der Vorlage des Vorschlags der Beklagten am 19.03.2021 keine Vereinbarung zwischen den Parteien getroffen worden ist, ist bereits oben hinreichend dargelegt worden.

5.) Der Höhe nach beläuft sich der dem Kläger zu ersetzende Schaden auf 63.000,00 Euro als Differenz zwischen der bereits geleisteten Zahlung an den Kläger aus der Abrechnung vom 25.03.2022 und der Summe der abzuschließenden Zielvereinbarung für 2021. Dem Kläger ist aufgrund der Pflichtverletzung der Beklagten die Möglichkeit entgangen, die Zielvereinbarungsvereinbarung mit einer Zielsumme von 70.000,00 Euro zu erreichen. Der Umfang des zu ersetzenden Schadens richtet sich nach den §§ 249 ff. BGB.

aa) Nach § 252 Satz 1 BGB umfasst der zu ersetzende Schaden auch den entgangenen Gewinn. Dazu gehört auch entgangener Verdienst aus abhängiger Arbeit und damit auch eine Tantiemezahlung. Als entgangen gilt gemäß § 252 Satz 2 BGB der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. § 252 Satz 2 BGB enthält für den Geschädigten eine den § 287 ZPO ergänzende Beweiserleichterung. Der Geschädigte hat nur die Umstände darzulegen und in den Grenzen des § 287 ZPO zu beweisen, aus denen sich nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder den besonderen Umständen des Falls die Wahrscheinlichkeit des Gewinneintritts ergibt. Da die Beweiserleichterung der §§ 252 BGB, 287 ZPO auch die Darlegungslast derjenigen Partei mindert, die Ersatz des entgangenen Gewinns verlangt, dürfen insoweit keine zu strengen Anforderungen gestellt werden (BAG v.12. Dezember 2007 – 10 AZR 97/07 – Rn. 48 mwN, BAGE 125, 147).

bb) Dem Anwendungsbereich des § 287 Abs. 1 ZPO unterliegen sowohl die Feststellung des Schadens als auch dessen Höhe. Die Vorschrift dehnt für die Feststellung der Schadenshöhe das richterliche Ermessen über die Schranken des § 286 ZPO aus. Das Gesetz nimmt in Kauf, dass das Ergebnis der Schätzung mit der Wirklichkeit vielfach nicht übereinstimmt. Allerdings soll die Schätzung möglichst nahe an diese heranführen (BAG 12. Dezember 2007 – 10 AZR 97/07 – Rn. 49 mwN, BAGE 125, 147).

cc) Hat der Arbeitgeber schuldhaft kein Gespräch mit dem Arbeitnehmer über eine Zielvereinbarung geführt, ist die für den Fall der Zielerreichung zugesagte Tantieme bei der abstrakten Schadensberechnung nach § 252 Satz 2 BGB Grundlage für die Ermittlung des dem Arbeitnehmer zu ersetzenden Schadens. Zwar müssen Zielvereinbarungen nicht stets die in Aussicht gestellte Tantieme auslösen. Sie verfehlen jedoch ihren Motivations- und Leistungssteigerungszweck und werden ihrer Anreizfunktion nicht gerecht, wenn die festgelegten Ziele vom Arbeitnehmer von vornherein nicht erreicht werden können. Auch kann sich ein Arbeitgeber der in der Rahmenvereinbarung zugesagten Tantiemezahlung nicht dadurch entziehen, dass er vom Arbeitnehmer Unmögliches verlangt und nur bereit ist, Ziele zu vereinbaren, die kein Arbeitnehmer erreichen kann. Dem ist bei der Ermittlung des Schadens nach § 287 Abs. 1 ZPO Rechnung zu tragen.

(1) Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen. Solche besonderen Umstände hat der Arbeitgeber darzutun und gegebenenfalls zu beweisen (BAG 12. Dezember 2007 – 10 AZR 97/07 – Rn. 50, BAGE 125, 147).

(2) Die Beklagte hat keine besonderen Umstände dargetan, die die Annahme ausschließen, dass der Kläger die in 2021 vereinbarte Ziele erreicht hätte. Der Kläger wies im Jahre 2019 einen Zielwert von 88.750,00 Euro auf. Es spricht also vieles dafür, dass der Kläger im Jahre 2021 den Zielwert von 70.000,00 Euro erreicht hätte. Demgemäß kann der Kläger von der Beklagten die ihm infolge der Pflichtverletzung entgangenen Tantiemezahlungen ersetzt verlangen.

6.) Der Anspruch des Klägers auf Schadensersatz nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB i.V.m. § 283 Satz 1 BGB ist nicht nach § 254 Abs. 1 BGB zu mindern

a) Ist in der Rahmenvereinbarung nicht ausdrücklich geregelt, dass der Arbeitgeber die Initiative zur Führung eines Gesprächs mit dem Arbeitnehmer über eine Zielvereinbarung zu ergreifen hat, und führt auch die Auslegung der Bonusregelung nicht zu einer alleinigen Pflicht des Arbeitgebers, die Verhandlungen über die Zielvereinbarung einzuleiten, ist bei einer nicht zustande gekommenen Zielvereinbarung nicht stets davon auszugehen, dass nur der Arbeitgeber die Initiative zu ergreifen und auf Grund seines Direktionsrechts ein Gespräch mit dem Arbeitnehmer über mögliche Ziele und deren Gewichtung anzuberaumen hatte. Vielmehr muss in einem solchen Fall auch der Arbeitnehmer die Verhandlungen über die Zielvereinbarung anregen. Insoweit reicht es allerdings aus, wenn er den Arbeitgeber zu Verhandlungen über die Zielvereinbarung auffordert (vgl. BAG 12. Dezember 2007 – 10 AZR 97/07 – Rn. 52 f., BAGE 125, 147; BAG, Urteil vom 17. Dezember 2020 – 8 AZR 149/20 -, BAGE 173, 269-287, Rn. 58 – 61, juris).

b) Wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend festgestellt hat, trifft den Kläger kein Mitverschuldensanteil am Nichtzustandekommen der Zielvereinbarung. Der Kläger hatte die Beklagte ausreichend deutlich zu Verhandlungen über eine Tantiemevereinbarung aufgefordert. Dies folgt zum einen aus dem bereits geführten Vorprozess beim Arbeitsgericht Lübeck, Az. 2 Ca 726/21, in dem es bereits um die Tantiemeabrechnung 2020 ging. Die Parteien befanden sich in einem fortlaufenden Prozess der Auseinandersetzung über die zu vereinbarenden Ziele. Die Beklagte wusste, dass der Kläger an der Tantiemevereinbarung festhalten wollte. Demgemäß war eine förmliche erneute Aufforderung des Klägers ihm Vorschläge für eine Tantiemevereinbarung zu unterbreiten, entbehrlich.

7. Der Zinsanspruch für die geltend gemachte Schadensersatzzahlung ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.

8. Da der Schadensersatzanspruch des Klägers bereits aufgrund der nicht zustande gekommenen Vereinbarung zwischen dem Kläger und der Beklagten und dem Ablauf der Zielvereinbarungsperiode besteht, kam es auf die Frage welche Ziele zulässigerweise in einer Tantiemenvereinbarung aufgenommen werden können, nicht mehr an.

9. Die Beklagte trägt die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels, § 97 ZPO, § 64 Abs. 6 ArbGG. Gründe für die Zulassung der Revision waren nicht ersichtlich. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Auf § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

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