Skip to content

Überstundenabgeltung und Ausgleichsvereinbarung

ArbG Münster – Az.: 2 Ca 572/17 – Urteil vom 28.09.2017

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.317,28 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz nach BGB seit dem 01.02.2017 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 1.317,28 EUR.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Abgeltung von Überstunden.

Die 1965 geborene verheiratete Klägerin war bei den Beklagten auf Basis des Arbeitsvertrages vom 8. Juli 2013 als Sekretärin in Vollzeit beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis bestand vom 01.01.2014 bis 31.01.2017. Der Bruttomonatsverdienst der Klägerin betrug 3.250,00 EUR. Vereinbart hatten die Parteien 38,5 Stunden pro Woche. Datiert unter dem 27.09.2016 hatten die Beklagten das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich und fristlos, hilfsweise fristgerecht, gekündigt. Wegen der von den Beklagten ausgesprochenen Kündigung hatte die Klägerin vor dem Arbeitsgericht Münster, AZ: 2 Ca 1641/16, Kündigungsschutzklage erhoben. Im Rahmen des in diesem Rechtsstreit anberaumten Gütetermins hatten sich die Parteien auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.01.2017 verständigt. Darüber hinaus enthält der Vergleich folgende Regelung:

2. Die Beklagten rechnen das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin jeweils zum  Fälligkeitszeitpunkt ab und zahlen den sich ergebenden Nettobetrag an die Klägerin. Die Parteien sind sich darin einig, dass der Klägerin auch die ihr zustehenden Weihnachtsgeldansprüche 2016 abgerechnet und ausgezahlt werden. Die Zahlung erfolgt unter Berücksichtigung Anspruchsübergangs auf die Agentur für Arbeit.

3. Die Beklagten stellen die Klägerin unwiderruflich von der Pflicht der Erbringung der Arbeitsleistung bis einschließlich 31.01.2017 unter Fortzahlung der vereinbarten Vergütung frei. Urlaubsansprüche der Klägerin für 2016 und für 2017 werden mit der Freistellung in Natura gewährt.

Der Vergleich enthält keine Ausgleichsklausel.

Bei den Beklagten existiert ein Zeiterfassungssystem. Für jeden Monat wird ein sogenanntes Monatsjournal erstellt, aus dem sich die jeweiligen Überstunden ergeben, die von Monat zu Monat weitergetragen werden, wenn sie nicht ausgeglichen werden. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der außerordentlichen Kündigung waren im Zeiterfassungssystem auf dem Arbeitszeitkonto der Klägerin 67,1 Stundenguthaben erfasst. Dieses entspricht unstreitig einem Geldwert von 1.317,28 EUR brutto.

Die Klägerin trägt vor, in Höhe des Geldwerts habe sie Anspruch auf Überstundenabgeltung. Insbesondere seien die Überstunden nicht mit der im Vergleich vor dem Arbeitsgericht Münster vom 15.11.2016 im Kündigungsschutzverfahren vereinbarten Freistellungsregelung in Freizeit abgegolten. Durch die vereinbarte Freistellung seien ausdrücklich ausschließlich die Urlaubsansprüche der Klägerin erledigt gewesen. Es komme auf ein objektives Verständnis der Regelung an. Vom Horizont eines objektiven Dritten aus lasse die Regelung keinen anderen Schluss zu, als dass die Parteien durch die Freistellung ausschließlich die Urlaubsansprüche der Klägerin hätten erfüllen wollen. Hätten sie auch die Freizeitausgleichsansprüche miterledigen wollen, hätten sie das regeln müssen. Nehmen Parteien in eine Regelung mit auf, dass und welche Ansprüche damit erfüllt werden sollen, dann bedeute das im Umkehrschluss, dass die nicht Genannten nicht erfasst werden sollen. Anders wäre es möglicherweise nur dann, wenn sich die Parteien auf eine unwiderrufliche Freistellung einigten, ohne aufzunehmen, welche Ansprüche dadurch erledigt werden sollen. Das hätten die Parteien dieses Rechtsstreits aber nicht getan und auch nicht gewollt. Die Klägerin hätte, um Freizeitausgleich in Anspruch zu nehmen, einen Antrag stellen müssen. Dass die Klägerin nach Ende des Arbeitsverhältnisses den Ausgleich ihrer Überstunden verlange, sei nicht zu beanstanden und auch nicht ungewöhnlich. Nach Ende des Arbeitsverhältnisses hätten die Ansprüche der Klägerin abgegolten werden müssen. Der Anspruch gehöre zudem zu den nach Ziffer 2. des Vergleichs abzurechnenden Ansprüchen, so dass die Ausschlussfrist des § 12 des Arbeitsvertrages eingehalten sei.

Die Klägerin beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 1.317,28 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz nach BGB seit dem 01.02.2017 zu zahlen.

Die zunächst angekündigten Auskunfts- und Abrechnungsansprüche erklärte die Klägerin für erledigt.

Die Beklagten schlossen sich der Erledigungserklärung an.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie tragen vor, die Freistellung im gerichtlichen Vergleich vom 15.11.2016 erfasse unter Ziffer 3. auch Freizeitausgleichsansprüche, auch wenn diese nicht ausdrücklich erwähnt worden seien.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts müsse bei einer Freistellung ausdrücklich erwähnt werden, wenn sie unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche erfolge. Dies liege an den Besonderheiten des Urlaubsrechts. Im Gegensatz zu anderen Freistellungsansprüchen sei der Arbeitgeber Schuldner, der Arbeitnehmer Gläubiger des Urlaubsanspruchs. Daher müsse der Arbeitgeber als Schuldner des Urlaubsanspruchs hinreichend deutlich Urlaub erteilen. Anders als beim Urlaub sei die Sach- und Rechtslage bei Überstundenguthaben auf Arbeitszeitkonten. Das Überstundenguthaben auf Arbeitszeitkonten sei ein Vorschuss des Arbeitnehmers auf die vertragliche Hauptleistungspflicht. Dieser Vorschuss werde durch Freistellung ausgeglichen. Dazu bedürfe es noch nicht einmal einer Freistellungserklärung durch den Arbeitgeber. Vielmehr könne auch im Betrieb der Beklagten der Arbeitnehmer selbst entscheiden, wann und in welchem Zeitraum er die Überstunden ausgleiche. Anders als beim Urlaub handele es sich bei dem Freizeitausgleichanspruch nicht um einen eigenständigen Anspruch. Für das Abbauen von Überstundenguthaben sei es auch nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer unwiderruflich von der Arbeitsleistung freistelle. Demgemäß gebe es – soweit ersichtlich – keine gerichtliche Entscheidung, nach der bei einer Freistellung ausdrücklich erwähnt werden müsse, dass sie unter Anrechnung auf sonstige Freizeitausgleichsansprüche, insbesondere Überstundenguthaben auf Arbeitszeitkonten erfolge.

Der Sache nach verlange die Klägerin mit der Klage für den Zeitraum der Freistellung Lohn ohne Arbeit. Das widerspreche dem Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“, der im Ergebnis besage, dass der Arbeitnehmer bei Nichtleistung der Arbeit einer besonderen Anspruchsgrundlage bedürfe, um einen Vergütungsanspruch zu haben. Eine besondere Anspruchsgrundlage bestehe jedoch nicht. Es sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin in Kenntnis der Überstunden die Freistellung der Beklagten entgegengenommen habe. Erst mit Anwaltsschreiben vom 06.02.2017, sechs Tage nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, habe sie die Abrechnung und Auszahlung der Überstunden gefordert. Den Zeitpunkt nach Ablauf des Arbeitsverhältnisses habe die Klägerin bewusst gewählt. Der Klägerin sei klar gewesen, dass die Beklagten mit der Freistellung auch Überstundenguthaben hätten abgelten wollen. Ihr sei bewusst gewesen, dass die Beklagten sie zum Zwecke der Klarstellung unter Anrechnung auf Freizeitausgleichsansprüche freistellen würden, wenn sie die Abrechnung und Auszahlung der Überstunden während des Arbeitsverhältnisses gefordert hätte. Die einseitige Freistellung unter Ziffer 3. im gerichtlichen Vergleich vom 15.11.2016 habe demnach auch ohne Hinweis darauf, dass sie auf Freizeitausgleichsansprüche erfolge, zum Ausgleich des Überstundenguthabens geführt.

Zudem seien die geltend gemachten Ansprüche nach § 12 des Arbeitsvertrages verfallen. Vergütungsansprüche etwaiger Überstunden hätten innerhalb von drei Monaten schriftlich geltend gemachten werden müssen. Erstmalig mit dem Schreiben der jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 13.02.2017 seien Überstunden erwähnt worden und somit verspätet geltend gemacht worden.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin hat Anspruch auf Entgelt für die geleisteten Überstunden gem. § 611 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag in unstreitiger Höhe.

1. Der Anspruch auf Entgelt für die auf dem Arbeitszeitkonto zuletzt noch ausgewiesenen Überstunden ist nicht durch die Freistellung aufgrund des gerichtlichen Vergleichs vom 15.11.2016 erfüllt worden.

a) Die Auslegung des Prozessvergleichs ist anhand der Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB vorzunehmen. Danach sind Verträge und damit auch Prozessvergleiche so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind jedoch auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Ebenso sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen (ständige Rechtsprechung BAG, 23.06.2016, 8 AZR 757/14, JURIS Rn. 19).

b) Der Wortlaut des geschlossenen Vergleichs regelt zu den im Arbeitszeitkonto der Klägerin verzeichneten Überstunden nichts. Die Freistellungsvereinbarung enthält lediglich die Unwiderruflichkeit der Freistellung. Darüber hinaus sind ausdrücklich als bereits mit der Freistellung gewährte Ansprüche die Urlaubsansprüche der Klägerin für 2016 und 2017 genannt. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Inhalt dieser Vereinbarung auch die Abgeltung noch bestehender Überstundenansprüche der Klägerin gewesen sein soll.

Auch die Interessenlage bei Vergleichsschluss spricht nicht dafür, dass der Vergleich dahingehend auszulegen ist, dass mit der Freistellung die Überstundenansprüche der Klägerin erfüllt werden sollten. Bei der Freistellungsvereinbarung im Prozessvergleich handelt es sich um einen Erlassvertrag im Sinne von § 397 BGB. Mit der Vereinbarung ist die Arbeitspflicht der Klägerin aufgrund des Erlassvertrags entfallen (BAG 19.03.2002, 9 AZR 16/01, JURIS Rn. 30).

Die Freistellungsvereinbarung mit der Klägerin ist – wie die Vergleichsregelungen im Übrigen – zur einvernehmlichen Erledigung des Bestandsschutzverfahrens der Klägerin getroffen worden und steht damit in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zu der Vereinbarung, dass das Vertragsverhältnis der Parteien jedenfalls zum 31.01.2017 sein Ende finden sollte. Die Freistellungsvereinbarung diente damit nicht in erster Linie der Erfüllung von Ansprüchen der Klägerin, sondern der Regelung der Arbeitsverpflichtung für den verbleibenden Zeitraum des Arbeitsverhältnisses. Aus dem Zweck der Freistellungsvereinbarung kann daher nicht geschlossen werden, dass mit dieser unstreitig bestehende Ansprüche der Klägerin insgesamt abgegolten werden sollten und nicht nur die ausdrücklich benannten Urlaubsansprüche für 2016 und 2017. Da es sich bei der Freistellungsvereinbarung – wie ausgeführt – um einen Erlassvertrag hinsichtlich der Arbeitsleistung der Klägerin handelt, kann auch dahinstehen, ob es bei einer einseitigen Freistellungserklärung des Arbeitgebers zur Erfüllung von Überstundenabgeltungsansprüchen kommen kann, was nach derzeitigem Vortrag der Parteien allerdings nicht so wäre. Die Regelungen hinsichtlich des Arbeitszeitkontos müssten die einseitige Freistellung durch den Arbeitgeber zum Abbau von Arbeitszeitguthaben überhaupt zulassen. Zu der inhaltlichen Ausgestaltung der Regelungen hinsichtlich des geführten Arbeitszeitkontos haben die Beklagten jedoch nichts vorgetragen. Nach klägerischem Vortrag wäre ein Antrag auf Freizeitausgleich erforderlich gewesen, um das Arbeitszeitkonto auf diese Weise abzubauen.

2. Es ist auch nicht treuewidrig (§ 242 BGB), dass die Klägerin den Freizeitausgleich während des Zeitraums der Freistellung nicht beantragt hat. Die Klägerin war ohnehin von der Pflicht zur Arbeitsleistung befreit.

3. Die Ansprüche der Klägerin auf Entgelt für geleistete Überstunden sind mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden, weil der Abbau des Arbeitszeitkontos in Freizeit mit Erreichen dieses Zeitpunkts nicht mehr möglich war. Damit hat die Klägerin mit dem vorprozessualen Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 13.02.2017 die Ausschlussfristen des Arbeitsvertrages, wonach Ansprüche innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit gegenüber den Beklagten geltend zu machen sind, eingehalten.

4. Eine Ausgleichsklausel ist im geschlossenen Prozessvergleich nicht vereinbart, so dass die Klägerin auch nicht aus diesem Grunde von der Geltendmachung des Entgelts für die geleisteten Überstunden ausgeschlossen ist.

5. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 2 Ziffer 1, 288 Abs. 1 BGB.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 91a ZPO, 46 Abs. 2 ArbGG. Danach sind die Kosten des Rechtsstreits aufgrund der Begründetheit des Anspruchs auch hinsichtlich der Erledigungserklärung den Beklagten aufzuerlegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf dem im Urteil festgesetzten Streitwert, da der Auskunfts- und Abrechnungsanspruch nach § 44 GKG nicht zu einer Erhöhung des Streitwerts führt.

III.

Die Streitwertfestsetzung im Urteil beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG. Es ist der Betrag der geltend gemachten Forderung festgesetzt.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!